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Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

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Published by NoSpam, 2018-01-10 22:07:49

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

9.14 · Gastrointestinale Blutung 289 9

Akute Magen-Darm-Blutung !

Definition
Einblutung in Speiseröhre, Magen oder Darm. Häufige Ursachen: Blutung aus
Ösophagus- / Magenfundusvarizen, Magen- und Darmgeschwüren, Tumoren in
Magen und Darm; Mallory-Weiss-Syndrom (Längseinrisse der Ösophagus-
Schleimhaut nach starkem Erbrechen, vornehmlich bei Alkoholikern).

Symptomatik
• Übelkeit, Schwächegefühl, Schwindel, evtl. Atemnot
• ggf. Schocksymptomatik
• Akut-Anamnese (evtl. bekannt: Ulkus, Tumor, Colitis ulcerosa, Varizen):

Seit wann Beschwerden? “Reizmagen”? Geschwür bekannt? Stress? häufige-
re Aspirin®- Einnahme? Schmerz- / Kortisontherapie? Starker Kaffee und /
oder Zigarettenkonsum? U. a. m.
• Bluterbrechen (hellrot oder kaffeesatzartig)
• evtl. Bluthusten (Hustenreiz durch zurücklaufendes hochgewürgtes Blut)
• evtl. Teerstuhl / frisches Blut im Stuhl
Achtung: Zuweilen sind diese eindeutigen Hinweise am Notfallort nicht zu über-
sehen; gelegentlich werden sie aber auch aus verständlicher Scham heraus nicht
genannt bzw. beseitigt. Immer (selbstverständlich rücksichtsvoll) nachfragen!
• bei Begleiterkrankungen: z. B. Ikterus, Aszites

Notfalltherapie
• Untersuchung, Standardtherapie, Schocktherapie (s. S. 228 ff.)
• ggf. Magensonde (nicht bei V.a. auf Ösophagusvarizenblutung!)
• ggf. Sengstaken-Blakemore / Linton-Nachlas-Sonde (bei Ösophagusvarizen-

blutung - s. S. 59)
• Medikamente:

- ggf. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.)
- bei V.a. Ösophagusvarizenblutung ggf. Terlipressin (1-2 mg i.v.)
- ggf. Blutdrucksenkung (bei Hypertonie durch Terlipressin z.B. Clonidin)

Praxistipps
• Der tatsächliche Blutverlust ist nur schwer abschätzbar. Daher rechtzeitig

Schocktherapie und ggf. Kreuzblutabnahme.
• Etwa 5 % der akuten gastrointestinalen Blutungen verlaufen tödlich!

Bei Ösophagusvarizenblutungen bis zu 30 %.
• Blut nicht schlucken lassen! (Stark emetisch, Aspirationsgefahr!)

290 Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle

Akutes Abdomen I

[1] Gallenblase (Vesica fellea; OR)

[2] rechte Nebenniere (Glandula [19]
[21]
suprarenalis d.; OR)
[20]
[3] Zwölffingerdarm (Duodenum; OR) [22]
[4] rechte Niere (Ren d.; OR)

[5] Colon transversum (Quercolon; O) [2]
[5]
[6] Colon ascendens (aufsteigendes [1] [18]
Colon; UR) [10]
[4] [16][17]
[7] Blinddarm (Caecum; UR) [3]
[8] Wurmfortsatz (Appendix vermif.; UR)

[9] rechter Harnleiter (Ureter d. ; UR)

[10] Harnblase (Vesica urinaria; U)

[11] Mastdarm (Rectum) und Analkanal [6] [13] [15]
[12] Ileum (Krummdarm)

[13] Colon sigmoideum

[14] linker Harnleiter (Ureter s.; UL)

[15] Colon descendens (absteigendes

Colon; UL) [7] [12]

[16] Leerdarm (Jejunum) [8] [9] [14]
[11]
[17] Bauchspeicheldrüse (Pankreas; O)
Anatomie des
[18] linke Niere (Ren s.; OL) Abdomens

[19] linke Nebenniere (Glandula

suprarenalis s.; OL) O = Oberbauch

[20] Milz (Splen; OL) U = Unterbauch

[21] Magen (Gaster; O) L = Links

[22] Leber (Hepar; OR) R = Rechts

Chirurgische Notfälle Definition: Unter dem Begriff des Akuten Abdomens fasst man plötzlich auftre-
tende heftige Beschwerden zusammen, die durch potenziell lebensbedrohliche
Verletzung oder Erkrankung von Bauchorganen hervorgerufen werden (können).

Leitsymptome (typisch, aber nicht obligatorisch):

• Abdominelle Schmerzen,
• brettharte Bauchdecke (Abwehrspannung ➯ Peritonitis s.u.),
• Druckschmerzhaftigkeit,
• Schocksymptomatik (s. S. 214, 216 f.),
• Übelkeit und Erbrechen,
• flache, schnelle Atmung
• Angst, verfallener Gesichtsausdruck
• ggf. auch Fieber

Pathophysiologie der Peritonitis:
Keimbesiedlung (Infektion), Entzündungen, Perforationen, Blutungen, Traumata,
Tumoren usw. führen zu einer Reizung des Peritoneums - je nach Ausmaß lokal
oder generalisiert. Folgen:

➯ Ödematöse Entzündung mit Fibrinausschwitzungen
➯ Flüssigkeitsverlust / Hypovolämie
➯ Schock

9.15 · Akutes Abdomen 9291

Akutes Abdomen / Differenzialdiagnose I

In der Regel ist das Akute Abdomen notfallmedizinisch einheitlich zu behandeln. Die diagno-
stischen Möglichkeiten sind im RD beschränkt. Trotzdem sollte der Notarzt versuchen,
seine Verdachtsdiagnose im Hinblick auf die Wahl eines Analgetikums, das Ausmaß einer
möglichen Volumentherapie aber vor allem auch die korrekte Wahl der Zielklinik zu optimie-
ren (Allgemeinchirurgie, Innere Medizin, Gynäkologie, Urologie; Spezialdisziplinen, z.B.
Gastroenterologie, Hämatologie, Gefäßchirurgie, Dialysezentrum). Dadurch kann die
Leidensdauer des Pat. verkürzt und die Prognose im Einzelfall deutlich verbessert werden.

Essentiell für die Verdachtsdiagnose im Rettungsdienst sind:
1. Schmerz (Ort, Art, Dauer, Ausstrahlung, Wirkung äußerer Einflüsse),
2. Begleitsymptomatik (z.B. Fieber, Ikterus, Schock, Erbrechen) und
3. Anamnese (z.B. Steinleiden, Unfall, Z.n. Appendektomie als Ausschluss)

Der Schmerzcharakter kann die möglichen Ursachen eingrenzen helfen:
• „somatischer Bauchschmerz“ (gut lokalisierbar, aber nicht immer über dem
betroffenen Organ; lang anhaltend; i.d.R. dumpf stechend / schneidend;
brettharter Bauch) tritt auf bei Organentzündungen, Abszess, Perforation,
Peritonitis, Obstruktion (Darm / Gefäße), Blutung, Verätzung. Extraabdominell
auch retroperitoneale Blutung, Aortenaneurysma, Wirbelfraktur, Hodentorsion,
Harnverhaltung. Bedarf meist chirurgischer Therapie!
• „viszeraler Bauchschmerz“ (diffus; schmerzfreie oder -verminderte
Intervalle; früh vegetative Symptomatik) tritt auf bei Hepatitis, Ulcus
ventriculi / duodeni, Cholecystitis / Gallenkolik, Pankreatitis, Milzinfarkt,
Enteritis, Colitis, Pneumokokkenperitonitis, Intoxikationen. Extraabdominell
auch Herz-, Lungen-, Gefäß-, Blut-, Nieren-, Stoffwechsel-, Nerven- und
endokrine Erkrankungen. Bedarf meist konservativer Therapie.

Die Bezeichnungen UL, OL usw. (s. Schaubild vorhergehende Seite) werden im folgenden für
die Hauptschmerzlokalisationen bei den differentialdiagnostischen Hinweisen verwendet.

A. Intraabdominelle Ursachen des Akuten Abdomens
1. Entzündung
Sämtliche Entzündungen im Bereich des Abdomens können zu lokaler oder gene-
ralisierter Peritonitis führen. Der dabei auftretende Entzündungsschmerz ist
meist kontinuierlich zunehmend. Komplikationen der Entzündung können
Abszess- und Fistelbildung, Perforation, Blutung und Ileus sein. Auswahl:

• Appendizitis (UR): McBurney-Drucktest positiv, kontralateraler Loslaßschmerz.
• Pankreatitis (O): akuter Beginn, gürtelförmige Schmerzen.
• Cholezystitis (OR): evtl. mit Gallenkolik (s.u.); Übelkeit, Erbrechen.
• Divertikulitis (U): Schmerzen suprapubisch oder iliakal, Subileus, Tenesmen.
• Enteritiden, z.B. Ent. regionalis Crohn: Diarrhö, ggf. blutig, Erythema nod.
• Colitiden, z. B. Col. ulcerosa: Diarrhö, ggf. blutig, Tenesmen, evtl. Fieber.
• Lymphknotenentzündung, z.B. Lymphadenitis mesenterica (U).
• Abszesse, z.B. Psoasabszeß (UR/UL): aktives Beugen der Hüfte schmerzt.
• Salmonellose: Brechdurchfall nach Latenz von 20 - 24 Stunden.

Chirurgische Notfälle 292 Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle

Akutes Abdomen / Differenzialdiagnose II

2. Kolik
Starke, krampfartige Leibschmerzen infolge spastischer Kontraktion eines
abdominellen Hohlorgans (glatte Muskulatur); schmerzfreie Intervalle. Häufig
vegetative Symptomatik: Schweißausbrüche, Erbrechen, Übelkeit, Kreislaufkol-
laps. Beispiele: Gallenkolik (OR; meist nach fetthaltigen Mahlzeiten oder
Alkoholgenuss, evtl. Cholezystolithiasis bekannt), Nierenkolik (s. nächste Seite),
evtl. Ileus (s.u.).

3. Ileus
• Mechanischer Ileus: Kolikartige Schmerzen; verstärkte, metallisch klingen-
de Darmgeräusche (“Pressstrahlgeräusch”); kein Stuhlgang (Obstipation);
evtl. Stuhlerbrechen (Miserere).
• Paralytischer Ileus: Keine Darmgeräusche auskultierbar, aufgetriebener Leib,
kein Stuhlgang (Obstipation), evtl. Stuhlerbrechen (Miserere); oft Folge
einer generalisierten Peritonitis.
• Invagination (UR - s. S. 337): Schmerzhafter, walzenförmiger Tumor tast-
bar, bei rektalem Austasten Blut am Finger, sonst wie mechanischer Ileus.
• Volvulus: Eine Stiel- bzw. Achsendrehung z.B. des Magens oder des
Duodenums (meist Säuglinge oder Kleinkinder betroffen) kann zu einem
Strangulationsileus führen.

4. Tumorerkrankungen (z.B. Rektum-Karzinom, Magen-Karzinom) können über
Entzündungsreaktionen oder Infiltrationen des Peritoneums oder Perforationen
zur Symptomatik des Akuten Abdomens führen.

5. Perforationen, z.B. Ulcusperforation (OM, Ausstrahlung: rechte Schulter),
Tubarruptur (s. nächste S.): zunehmende Schmerzen bis zum Rupturschmerz,
dann evtl. schmerzfreies Intervall bis zur Entwicklung des Peritonitisschmerzes.

6. Verschluss von Abdominalgefäßen, z.B. Mesenterialinfarkt (UM): akute
Schmerzen mit Schmerzbesserung für Stunden (schmerzfreies Intervall) danach
Entwicklung von Peritonitiszeichen mit Schmerzsymptomatik (mit Einsetzen der
Peritonitiszeichen sinkt die Überlebensrate rapide ab!) Cave: Fehldeutung
des freien Intervalles ! Anamnestisch evtl. bekannte Angina abdominalis (bei An-
strengung oder postprandial) oder Vorhofflimmern (Auslöser: Embolie).

7. Verletzung bzw. Ruptur von Organen und Gefäßen des Abdomens (s.a.
Abdominaltrauma S. 272 f.): 1. Leber (OR): massiver Blutverlust ! 2. Milz (OL): an
zweizeitige Milzruptur denken! Blutverlust! 3. Aneurysmen (UM - s.S. 238 f.).

8. Hernien, z.B. Leistenbruch, Zwerchfellbruch, Nabelbruch: Einklemmung einer
Darmschlinge in offener Bruchpforte mit Unterbindung der Blutversorgung des
Darmes (Ischämie; arterielle Versorgung gestört) und Einblutung (Stauung des
venösen Rückflusses.

9.15 · Akutes Abdomen 9293

Akutes Abdomen / Differenzialdiagnose III

B. Extraabdominelle Ursachen des Akuten Abdomens

1. Angina pectoris / Herzinfarkt (OM / OL): Linksseitige Schmerzen, evtl. Aus-
strahlung in Rücken, Arm oder Hals bzw. Abdomen. Spezifische Behandlung un-
bedingt erforderlich! S. S. 214 ff.

2. Pleuritis (OR / OM / OL): Atemabhängige Schmerzen.

3. Urologische Erkrankungen (vgl. S. 410 f.):
a. Akutes Skrotum (UR / UL): Hodentorsion, Orchitis, Epididymitis.
Schmerzen im Hoden, Ausstrahlung in die Leiste.
b. Akuter Harnverhalt (U): Prallgefüllte Blase mit Unfähigkeit zum
Wasserlassen, meist durch Prostataadenom bei Männern.
c. Nierenkolik durch Urolithiasis: Nieren-, Nierenbecken-, Harnleiter-, Blasen
steine. (OR/OL/UR/UL). Ausstrahlung in die Leisten, Kolik, evtl. Nierenklopf-
schmerz.
d. Pyelonephritis (OR / OL): evtl. Ausstrahlung in die Flanken, Nierenklopf-
schmerz.
e. Nierentrauma (Blutung, Hämatom)

4. Gynäkologische Erkrankungen:
a. Extrauteringravidität (UR / UL; vgl. S. 322): Fehlende Regelblutung
oder Genitalblutungen bei vorher ausgebliebener Regel (6. Woche),
zunehmende Schmerzen, Rupturgefahr (➯ Blutverlust !).
b. Tubentorsion bzw. stielgedrehte Ovarialzyste (UR / UL): Plötzl. Schmerz-
beginn, oft nach Drehbewegungen (Tanzen). V. a. bei bestehenden Zysten.
c. Entzündung / Tumorerkrankungen von Uterus, Ovarien, Tuben, Vagina, z. B.
Adnexitis (UR / UL).

5. Malaria tropica: initiale Symptome sind Bauchschmerzen, Durchfälle, Fieber,
Schüttelfrost, Verwirrtheit und Sklerenikterus. Anamnese: Tropenaufenthalt.
Mikroskopischer Nachweis in jeder Klinik möglich.

6. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bzw. Wirbelsäulentrauma

7. Herpes Zoster: Bei Befall entsprechender Nerven Ausschlag und
Schmerzsymptomatik im betreffenden Hautsegment; hier: im Bereich des Abdo-
mens, keine Peritonitis.

8. Diabetische Ketoazidose (Hyperglykämie): Im Rahmen dieser Erkrankung
kann es zu einer Pseudoperitonitis mit Oberbauchkrämpfen, Erbrechen und
Acetongeruch kommen. Auch andere metabolische Erkrankungen (z. B. Urämie,
Porphyrien) können das Bild des Akuten Abdomens hervorrufen. Vgl. S. 194.

9. Intoxikationen (s. Kapitel 12)

10. Akutes Engwinkelglaukom (s. S. 412 f.)

Chirurgische Notfälle 294 Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle

! Akutes Abdomen

Symptomatik
• Bauchschmerzen, gekrümmte (Schon-) Haltung
• brettharte Bauchdecke (Abwehrspannung), Druckschmerzhaftigkeit
• evtl. Schocksymptomatik
• evtl. Übelkeit und Erbrechen
• evtl. Trauma in den letzten Tagen (➯ zweizeitige Milz- / Leberruptur?!)

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen; hier speziell: Sauerstoff, ggf. Schocklage

(Vorsicht: Nicht bei kardiogenem Schock), den Patienten Schonhaltung
einnehmen lassen (z. B. Knierolle, Beine anziehen)
• Ess-, Trink- und Rauchverbot (➯ evtl. OP !)
• insbesondere bei starken Schmerzen, Schockzeichen (innere Blutung?!) und
Verdacht auf Herzinfarkt: EKG-Diagnostik! Vgl. S. 162 f. und S. 214 ff.
• Untersuchung, Standardtherapie, ggf. Schocktherapie (s. S. 228 ff.)
• ggf. Magensonde; evtl. Blasenkatheter (nicht bei Beckenfraktur)
• Medikamente:

ggf. Spasmolytika, z. B. Butylscopolaminiumbromid (20-40 mg langsam i.v.),
evtl. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.).
Analgesie sollte heutzutage keinem Patienten mit akutem Abdomen mehr
vorenthalten werden, z. B. Metamizol (10 - 30 mg / kg KG als Kurzinf. i.v.).
- Aber: Der Notarzt sollte vorher gezielt die relevanten Untersuchungen (ins-

besondere Palpation des Abdomens, Loslass-Schmerz) durchführen, die
Ergebnisse (Schmerzsymptomatik) dokumentieren und an den klinischen
Kollegen weitergeben, um somit die Möglichkeiten der klinischen
Diagnostik (z. B. Ultraschall, Labor) zu unterstützen.
- Im Zweifel möglichst kurzwirksame Substanzen verabreichen.
- Vorsicht bei der Gabe von Opiaten; sie führen unter Umständen zum
Spasmus der glatten Muskulatur und können bei alleiniger Gabe dadurch
die Symptomatik des Akuten Abdomens verstärken. Ggf. z.B. Pethidin.

Praxistipps
• Extraabdominelle Differentialdiagnosen in Betracht ziehen (z.B. Myokardinfarkt,

Pneumonie, diabetisches Koma, Engwinkelglaukom). Ggf. spezifi-
sche Behandlung.
• Zielklinik mit Bedacht auswählen, um Verlegungen und ggf. Zeitverlust zu
vermeiden (Fachabteilung).
• Wenn keine Vitalstabilisierung möglich ➯ zügiger Transport (ggf. Sonder-
signal). Bei Verdacht auf intraabdominelle Blutung ggf. direkt OP
anfahren, Voranmeldung (ggf. Not-Laparotomie)!
• Bei Nierenkolik ist Metamizol das Analgetikum der Wahl (vgl. a. S. 533).

Kapitelübersicht 295 10

Gynäkologische Notfälle

10.1 Allgemeine Hinweise .................................................. 296

10.2 Mutterpass: Abkürzungen, wichtige Angaben ............ 297

10.3 Vaginale Blutung (Differenzialdiagnose) .................... 298

10.4 Sexualdelikte ............................................................... 299

10.5 Schwangerschaft und
Schwangerschaftskomplikationen .............................. 301
Schwangerschaft ............................................. 301
SIH / Eklampsie ............................................... 302
Vena-cava-Kompressionssyndrom .............. 304

10.6 Geburt und Geburtskomplikationen ............................ 305
Geburt .............................................................. 305
Erstversorgung des Neugeborenen ............. 310
Risikogeburten ................................................ 313
Nabelschnurvorfall .......................................... 314
Vorzeitige Plazentalösung ............................... 315
Placenta praevia ............................................... 316
Postpartale Blutung ........................................ 317
Uterusruptur .................................................... 318
Fruchtwasserembolie ...................................... 319

10.7 Abort .......................................................................... 320

10.8 Extrauteringravidität (EU) ........................................... 322

Gynäkologische Notfälle 296 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

Allgemeine Hinweise

Im Rettungsdienst ist der Anteil an männlichen Mitarbeitern sehr hoch;
daher steht zur Behandlung weiblicher Patienten selten eine Frau zur Verfü-
gung. Hierbei mag der § 81 d StPO als Anhaltspunkt dienen:
„(1) Kann die körperliche Untersuchung einer Frau das Schamgefühl
verletzen, so wird sie einer Frau oder einem Arzt übertragen. Auf Verlangen
der zu untersuchenden Frau soll eine andere Frau oder ein Angehöriger
zugelassen werden.
(2) Diese Vorschrift gilt auch dann, wenn die zu untersuchende Frau in die
Untersuchung einwilligt.“
Sowohl Takt und gute Sitte wie auch der juristische Eigenschutz gebietet die
umsichtige Auswahl und Durchführung der Maßnahmen. Die Anwesenheit
einer Frau (auch Laie) ist - mit Einverständnis der Patientin - immer
anzuraten (Zeuge!). Maßnahmen zur Beseitigung vitalbedrohlicher
Zustände haben selbstverständlich ohne Rücksicht auf das Geschlecht des
Patienten zu erfolgen (§323 c StGB / §13 StGB).

Nach Unfällen oder akuten Erkrankungen in der Schwangerschaft:
• Vorrangig geburtshilfliche Abklärung (wenn keine vitale Bedrohung der
Mutter besteht, Transport in eine gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung,
um eine etwaige Schädigung des Kindes auszuschließen.)
• Ein Blick in den Mutterpass ist immer sinnvoll. (Aus diesem gehen u. a.
hervor: Erst- oder Mehrgebärende, voraussichtlicher Geburtstermin,
Schwangerschaftsverlauf, betreuender Arzt und Klinik, Blutwerte und
weitere Befunde, zu erwartende Komplikationen. Achtung: Der Mutterpass
bietet Raum für mehrere Schwangerschaftsbeschreibungen; deswegen prü-
fen, ob die gefundenen Angaben zur aktuellen Schwangerschaft gehören!)

Herz-Kreislaufstillstand bei einer Schwangeren:
Spezielle Ursachen: schwangerschaftsbedingte Lungenembolien und Herz-
rhythmusstörungen (z. B. durch Tokolyse), SIH/Eklampsie, Suizid, Sepsis, Blut-
verluste (ektobe Schwangerschaft, Plazenta praevia). Die Reanimation wird wie
bei Nicht-Schwangeren durchgeführt (BLS/ALS); bei fortgeschrittener Schwan-
gerschaft (> 20 Wochen) den Uterus unter CPR nach links verlagern oder
Reanimation in 15° Linksseitenlage (venöser Rückstrom!). Bei Hochschwan-
geren erhöhte Aspirationsgefahr (Krikoiddruck, frühe Intubation), höhere
Atemwegsdrücke, erschwerte Intubation (Schleimhautödem; ggf. 0,5-1,0 mm
kleineren Tubus als üblich verwenden). Wenn die Schwangerschaftsdauer über
20. Wochen beträgt, ist sofort nach Einsetzen der CPR eine Notfallhysterektomie
bzw. eine perimortale Sectio zu erwägen (Durchführung jeweils nur in der Kli-
nik). Bei schneller Durchführung steigt die Überlebenschance der Mutter. Ins-
besondere ab der 24. Woche und bei Nachweis kindlicher Lebenszeichen
steigen auch die Überlebenschancen für das Kind (dann eher Sectio).

10.2 · Mutterpass 1 02 9 7

Wichtige Abkürzungen und Angaben im Mutterpass

EGT Errechneter Geburtstermin (s. S. 301)
EUG Extra-Uterin-Gravidität
CTG Cardio-Toko-Graphie
MM Muttermund
PROM premature rupture of membranes (vorzeitiger Blasensprung)
SSL Scheitel-Steiß-Länge; Rückschluss auf Schwangerschaftswoche!
SSW Schwangerschaftswoche
ZT Zyklustag

Positionsmöglichkeiten des Kindes in der Gebärmutter
1. Lage (Längsachse des Kindes bezogen auf Längsachse des Uterus)
Längslage – Schräglage - Querlage

2. Stellung (Kindsrücken bezogen auf Uteruswand)

I Rücken links seitlich Ia Rücken links vorne

Ib Rücken links hinten

II Rücken rechts seitlich IIa Rücken rechts vorne

IIb Rücken rechts hinten

3. Einstellung (Beziehung des vorangehenden Kindsteils zum Geburtskanal)
a) Schädellagen (SL, 94-96%):
HHL hintere Hinterhauptslage (kleine Fontanelle - regelgerecht)
VHHL vordere Hinterhauptslage (kleine Fontanelle)
VHL Vorderhauptslage (große Fontanelle; ungünstig; häufig
Episiotomie nötig)
Stirnlage (sehr ungünstig; primäre Sectio!! Nur selten ist bei kleinem
Kind eine spontane Entbindung möglich)
Gesichtslage (Gesicht tastbar; primäre Sectio (mento-post.))
Einstellungsanomalien:
Hoher Gradstand, tiefer Querstand, dorso-posteriore Einstellung,
hintere Scheitelbeineinstellung (selten).

b) Beckenendlage (BEL, 3-5% - erhöhtes Mortalitäts- und Morbiditäts-
risiko, Notfälle, schlechte Dehnung, Geburtstraumen. Beachte: Bei Kopf-
durchtritt Nabelschnurkompression; Entwicklung möglichst < 1 min !
Wehen fördern, großzügige Indikation zur Episiotomie, erhöhte CPR-
Bereitschaft (Kind), Analgesie, Zurückhalten des Steißes, bis Kind in
einer Wehe entwickelt werden kann (ohne Ziehen/Drücken),
Entwicklung nach Bracht, ggf. Kristeller-Handgriff, ggf. Armlösung, ggf.
Veit-Smellie-Handgriff (vgl. 393 ff.).

c) Querlage (QL, 0,5-1%)
Nach Blasensprung: verschleppte QL möglich (z. B. Armvorfall) – dann
Wendung kontraindiziert; im RD Tokolyse und Sectio-Voranmeldung!

4. Haltung (Beziehung der Kindsteile zueinander)
a) regelgerecht: Kopf gebeugt, Kinn auf der Brust
b) regelwidrig: z. B. Streckung / Deflektion

Gynäkologische Notfälle 298 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

Vaginale Blutung

Blutungen während der Schwangerschaft
• Unterbauchschmerzen bei fehlender Regelblutung bzw. bestehender
Schwangerschaft (2 - 3. Monat); oft Blutung; kein Abgang von Gewebsteilen;
evtl. mit Symptomatik des Akuten Abdomens:
➯ V. a. Extrauteringravidität (s. S. 322)
➯ Auch an möglichen Abort (s. S. 320 f.) denken!
• Bestehende (Früh-) Schwangerschaft (bis ca. 5 - 6. Monat)
- mit Gewebsteilabgang
➯ V. a. Fehlgeburt / Abort (s. S. 322 f.)
- ohne Gewebsteilabgang
➯ Auch an Extrauteringravidität (s. S. 322) denken!
• Blutungen gegen Ende der Schwangerschaft:
- kein Fruchtwasserabgang; keine Schmerzen:
➯ V. a. Placenta praevia (s. S. 316) - Achtung: Verblutungsgefahr!
- Schmerzen; Schocksymptomatik; Dauerkontraktion des Uterus (vom
Geübten durch Tasten als harte Masse feststellbar), keine Wehen:
➯ V. a. vorzeitige Plazentalösung (s. S. 315)- Achtung: Verblutungsgefahr!
• Blutungen während der Geburt:
- bei Wehentätigkeit ➯ Physiologisch, solange keine starke Blutung (< 500 ml)
- evtl. Aufhören der Wehen; symptomarm bis Vernichtungsschmerz:
➯ V. a. Uterusruptur (s. S. 318)
• Blutung nach der Geburt (s. S. 317):
➯ Uterusatonie (Achtung: Verblutungsgefahr!), Plazentaaustoßung,
Dammriss, Verletzung des Geburtskanales, Gerinnungsstörung.

Blutungen außerhalb von Schwangerschaft und Geburt
• Normale Monatsblutung (1. Periode etwa im 13. Lebensjahr)
• Blutungsunregelmäßigkeiten (v. a. bei jungen Frauen und Mädchen)
• Tumoren
• Verletzungen:
- Kohabitationsverletzungen: Defloration (auch spontan möglich). Trotz
behutsamen Beischlafes Blutung in jedem Alter möglich!
- Unfall, besondere sexuelle Praktiken
- Kriminelles Delikt (Vergewaltigung / illegale Abtreibung).
- Fremdkörper im Vaginalbereich (z. B. bei Selbstbefriedigung).

10.3 · Blutung / 10.4 · Sexualdelikte 299 10

Vaginale Blutung !

Aus jeder gynäkologischen Blutung kann sich ein Volumenmangelschock
entwickeln! Die äußerlich sichtbare Blutung stellt u. U. nur einen Bruchteil
des tatsächlichen Blutverlustes dar (Vorhandensein größerer Blutmengen im
Uterus).

Allgemeine Maßnahmen bei vaginaler Blutung / Verletzung

• Beruhigung und Gespräch, störende Personen wegschicken (Peinlichkeit!
➯ auf Takt und Distanz achten; bei Vergewaltigung s. u.). Bei Betreuung und
Untersuchung (NA) möglichst eine Frau einbeziehen (auch Laie); dabei auch
immer an Zeugen für das eigene Handeln denken.

• Basischeck, Basismaßnahmen. Fritsch-Lagerung. Ggf. Schocklage.
• Inspektion des äußeren Genitales nur, wenn die Umstände es zulassen und es

notfallmedizinisch indiziert ist. Ansonsten: Körperbedeckung!
• Keine Entfernung von pfählenden Gegenständen.
• Bei Vulvahämatom ggf. Kühlung.
• Evtl. ausgestoßene Teile mit in die Klinik bringen.
• Ggf. Schocktherapie (s. Kapitel 8).
• Ggf. Auskultieren der kindlichen Herztöne.
• Ggf. Sedativa / Analgetika.
• An Tetanusprophylaxe denken (Klinik).

Sexualdelikte

Im folgenden werden einige Hinweise für den Fall gegeben, dass ein Mädchen /
eine Frau widerrechtlich / entgegen ihrem Willen zu sexuellen Handlungen ge-
zwungen wurde (sexueller Missbrauch; jurist. Definition der Vergewaltigung =
Eindringen des Penis in den Scheidenvorhof, auch ohne Ejakulation):

• Generell hat die Behandlung vitaler Bedrohungen Priorität!
• Behutsame psychische Betreuung (vgl. Kap. 15). Abschirmen. Ruhe. Zeit.

Körperkontakt nur bei Notwendigkeit und mit äußerster Vorsicht. Jede
Maßnahme (v. a. Körperkontakt) vorher ankündigen! Die Patientin
befindet sich in einer Ausnahmesituation (Demütigung; Gefühle von
Ohnmacht, Beschmutzung, Hilflosigkeit, Angst, Wut). Ihr tatsächlicher
psychischer Zustand mag z. B. angesichts der Fassungslosigkeit, primären
Beherrschtheit oder scheinbaren Teilnahmslosigkeit nicht augenfällig sein.
Patientin nicht alleine lassen (u. a. mögliche Suizidgefahr)!
• Möglichst Betreuung durch Frau (Rettungsassistentin, Notärztin). Wenn
vorhanden, Fachdienst (Psychologin) hinzuziehen (Schweigepflicht
beachten / Einverständnis der Patientin).

[Fortsetzung auf der nächsten Seite]

Gynäkologische Notfälle 300 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Notfall: Sexualdelikte II

• Zur sofortigen Anzeige raten (frühzeitige Täterfahndung). Die eigenständi-
ge Anforderung der Polizei gegen den Willen der Patientin ist nicht zulässig
(Schweigepflicht!). Ausnahmen: fehlende Geschäftsfähigkeit, konkrete
Gefährdung weiterer Personen.

• Kurze sachliche Anamneseerhebung. Keine vaginale Untersuchung, wenn
nicht wegen Vitalbedrohung erforderlich.

• Patientin stets über Maßnahmen, Folgeschritte und deren Sinn
informieren.

• Wenn erwünscht/erforderlich, Sedierung und/oder Analgesie
• Sorgfältige Dokumentation des Vorgangs (Befunde, Anamnese,

Schilderungen, rettungsdienstliche Maßnahmen usw.).
• Die Patientin sollte sich - so schwer es fallen kann - wenn möglich nicht

duschen/waschen (Zerstörung von Spuren, z. B. Körpermaterial des Täters).
• Ggf. Asservierung von Beweisen (z. B. Bettwäsche) ➯ Polizei.
• Der Patientin den Transport in eine gynäkologische Praxis / Klinik nahe-

bringen. (Wenn machbar: Praxis ihres Vertrauens. - Achtung: Evtl.
erster gynäkologischer Besuch überhaupt!) Dort erfolgen möglichst ohne
Wartezeit (Voranmeldung!) und ohne Behandlungszeitdruck und unter
Absprache mit der Spurensicherung und / oder einem rechtsmedizinischen
Institut die weiteren Schritte:

- Behutsame und vollständige Befund- und Beweiserhebung.
- Sorgfältige Dokumentation! (Dies erspart der Patientin u. U. später

erneute peinliche Berfragungen, z. B. vor Gericht.)
- Absprache weiteren Vorgehens: medizinische Behandlung, psychische

Betreuung, regionale Selbsthilfegruppen, Bezugspersonen usw.

Praxistipps
• Im Rettungsdienst die Gefahr einer sekundären Traumatisierung durch

falsche Vorgehensweise bedenken!
• Grundsätzlich alle Verletzungen dokumentieren, da der Täter später oft vor

Gericht nicht den Beischlaf bestreitet, sondern eine Freiwilligkeit des Opfers
behauptet! Cave: Belastung einer anderen Person mit selbstbeigebrachten Ver-
letzungen (haufig charakteristische Form und Lokalisation; wertungsfreie
Dokumentation - Beurteilung später durch Spezialisten!).
• Trotz Vergewaltigung müssen nicht zwingend Verletzungen wie Hämatome
oder Kratzspuren auftreten, da das Opfer u. U. zu Gegenwehr gar nicht in der
Lage ist (z. B. aufgrund massiver Gewaltandrohung/psychische Gewalt).
• Diskrete Einsatzabwicklung (z. B. bei nicht einsatztaktisch relevanten
Informationen Telefon statt Funk benutzen - aber: Dokumentation!).
• Für Aussagen gegenüber der Polizei muss ein behandelnder Arzt vorher
durch die Patientin von seiner Schweigepflicht entbunden werden!

10.5 · Schwangerschaft 1 03 0 1

Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft beginnt mit der Einnistung einer befruchteten Eizelle in die
Gebärmutterschleimhaut. Entwicklungsstufen:

• Zygote: Befruchtete Eizelle
• Blastozyste: 1 - 2 SSW
• Embryo: 3. - 12. SSW
• Fetus: 13. SSW bis zum Ende der Schwangerschaft
• Frühgeburt: Beendigung der Schwangerschaft vor der vollend. 37. SSW
Eine normale Schwangerschaft dauert ungefähr 40 Wochen (9 Monate = 10
Mondmonate = 280 Tage). Zwischen der 39. und 42. SSW werden rund 80 %
aller Kinder geboren. Errechnung des mittleren Geburtstermins nach der
Naegele-Regel: Geburtstermin = 1. Tag der letzten Regelblutung + 7 Tage - 3
Monate + 1 Jahr (An diesem Termin kommen etwa 4 % aller Kinder zur Welt.)

Physiologische Veränderungen der Vital-Parameter während der Schwanger-
schaft - Werte am Ende der Schwangerschaft:

Atmung Kreislauf

• AMV 50 % ≠ • Blutvolumen 20 - 40 % ≠
• AZV 40 % ≠ • Herzschlagvolumen 30 % ≠
• AF 15 % ≠ • HF + 15 / min
• O2-Verbrauch 20 % ≠ • HZV 50 % ≠
• Residualvolumen 20 % Ø • peripherer Gefäßwiderstand 15 % Ø
• Exspiratorisches Reserve- • verminderte Empfindlichkeit der Arterien für

volumen 20 % Ø Angiotensin II
• erhöhter Venendruck in den unteren Extre-

mitäten (Kompression der V. cava inf.)
➯ Varizen (Vulva, Analbereich)

Blutdruck: Blutdruckabfall in der Frühschwangerschaft (systolisch 4 mmHg Ø /
diastolisch 5 - 15 mmHg Ø); im Verlauf der Schwangerschaft wieder Annahme
der Ausgangswerte. Bei etwa 8 % der Schwangeren besteht eine Hypotonie (RR
mehrmals < 100 / 60 mmHg) ➯ u. U. Minderdurchblutung der Placenta; ab der
13. SSW subjektive Beschwerden (Schwindel, Ohrensausen) (Therapie mit
Ergotaminpräparaten möglich). Hypertonie (RR > 140 / 90 mmHg; Gestose) ist
behandlungsbedürftig - s. folgende Seiten.

Häufige Schwangerschaftsbeschwerden: (Morgendliche) Übelkeit, Erbrechen,
Sodbrennen, Verstopfung, Krampfadern, Hämorrhoiden, Kurzatmigkeit, Schlaf-
losigkeit, seelische Verstimmung, Schwindel- und Ohnmachtsanfälle.

302 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

Gynäkologische Notfälle Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie (SIH, Spätgestose)

Als Spät-Gestose wird eine im Verlauf der Schwangerschaft (ca. ab 20. SSW) auf-
tretende hypertensive Schwangerschaftserkrankung (schwangerschaftsin-
duzierte Hypertonie = SIH) bezeichnet (erhöhter Blutdruck > 140/90 mmHg). Die
SIH wurde früher nach den Symptomen als EPH-Gestose bezeichnet (E dema =
Ödeme; P roteinurie = Eiweißausscheidung im Urin (Schäumen, evtl. Flockenbil-
dung); H ypertonie = Bluthochdruck). Da Ödeme häufig während der Schwanger-
schaft auftreten und keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf einer SIH haben,
wird der Begriff EPH-Gestose nicht mehr benutzt.
SIH ist eine Multiorganerkrankung, die nur während oder kurz nach der Schwan-
gerschaft auftritt. Wahrscheinlich führt eine Minderdurchblutung (des Tropho-
blasten) über Toxine in verschiedenen Organen zu einer Funktionsstörung Endo-
thels (wichtiges Organ u.a. für Blutdruckregulation).

Akute Bedrohung:
• Ab Blutdruckwerten > 180/110 besteht eine erhöhte Gefahr von gefäßbedingten

Komplikationen.
• Bei SIH können tonisch-klonische Krampfanfälle auftreten (= Eklampsie;

Vitalbedrohung für Mutter und Kind! Tod des Kindes in etwa 50 % der Fälle, Tod
der Mutter in bis zu 5%).
• Bei SIH mit Proteinurie ist das Risiko für einen eklamptischen Anfall stark erhöht
(= Präeklampsie). Prophylaxe: Reizabschirmung!
• Als besonders schwere Form der SIH kann sich im letzten SSD – z. T. innerhalb
von Stunden – das HELLP-Syndrom entwickeln (hemolysis, elevated liver
enzymes, low platelets): Hämolyse, Anstieg der Transaminasen, Thrombo-
zytopenie.
- Symptomatik: Gastrointestinale Beschwerden (Schmerzen im rechten Ober-

bauch, Leberschwellung, Übelkeit, Erbrechen).
- Oft letale Komplikationen: Hirnblutung, subkapsuläre Leberblutung, Leber-

ruptur, schwere Gerinnungsstörungen.
• Bei Eklampsie und HELLP-Syndrom ist die umgehende Entbindung die ein-

zige wirksame Maßnahme zur Rettung von Mutter und Kind.
• Notärztliche Transportbegleitung zum Kreißsaal/zur Intensivstation.

Besonders SIH-gefährdete Patientinnen Häufigkeit
• junge Erstgebärende unter 18 Jahre SIH: ungefähr 10 % aller
• Hypertonie oder Diabetes mellitus bekannt
• Mehrlingsschwangerschaft aller Schwangeren
• Alter über 35 Jahre Präeklampsie: ca. 5 %
Eklampsie: bis 0,1 %

Akutkomplikationen der SIH
Intrauteriner Fruchttod, vorzeitige Plazentalösung; Eklampsie (s. o.), akutes
Nierenversagen, Lungenödem, Schock

10.5 · Schwangerschaft 1 03 0 3

Eklampsie !

Symptomatik
• evtl. Zeichen/Anamnese der SIH: Hypertonie, Proteinurie (schaumig/flockig)
• Präeklampsie: Folgende Symptome können als Vorboten eines eklamptischen

Anfalls gewertet werden: Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Ohrensausen,
Sehstörungen (Augenflimmern, Gesichtsfeldausfälle: Fingerperimetrie),
Bewusstseinstrübung, Unruhe, Tachykardie, Reflexüberempfindlichkeit
(Patientin ist licht- und lärmempfindlich), evtl. Übelkeit/Erbrechen (Hirnödem!),
evtl. Bauchschmerzen (V. a. im rechten Oberbauch; DD: HELLP-Syndrom!)
• Eklampsie: klonisch-tonischer Krampfanfall (ca. 1 min, Auslösung durch
Licht/Lärm möglich); Zungenbiss, Atemstillstand, Zyanose, Bewusstlosigkeit
Blutdruck meist über 160/110 mmHg

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen (RR-Monitoring), Linksseitenlagerung
• Schutz vor Verletzungen, Versorgen eventueller Verletzungen
• ruhige Atmosphäre schaffen (Abschirmen von Reizen: Lärm, helles Licht,

Schmerzen); schonender Transport ohne Sondersignal
• Untersuchung, Standardtherapie
• Medikamente:

- Magnesiumsulfat (im Anfall 1–2 g über 2 min langsam i. v.; ggf. wdh.;
anschließend 1–2 g/h als 10 %-ige Lösung i. v.); die AF sollte weiterhin über
14–16/min liegen der PSR sollte noch auslösbar bleiben (zeigt Mg-Konzen-
tration i. d. R. noch unter 5 mmol/l an – auf Atemdepression achten! Nicht
bei Anurie!)

- wenn Magnesiumtherapie nicht ausreichend wirksam: Antikonvulsiva/
Benzodiazepine, z. B. Diazepam (10 mg i. v.; ggf. wdh.) oder Phenytoin

- Antihypertonika nur bei exzessiv hohen Blutdruckwerten (> 200/100
mmHg); z. B. Dihydralazin (6,25–12,5 mg langsam (über 2 Minuten) i. v.;
Wiederholungsgabe nach 20–30 min möglich; ständige Puls- und RR-
Kontrolle!) Der Blutdruck darf nur äußerst langsam gesenkt werden und
keinesfalls unter den individuellen Normalblutdruck bzw. unter 150/100
mm Hg absinken (Gefahr plazentarer Minderdurchblutung mit Schädigung
des Feten, daher vorher/begleitend VEL-/Volumengabe wegen ver-
mindertem Plasmavolumen durch Proteinurie). Andere Antihypertonika nur
unter strengster Beachtung der Zulassung und Kontraindikationen! Infrage
kommt z. B. Urapidil.
Kalziumantagonisten wegen potenziell gefährlicher Interaktion mit Mag-
nesium eher vermeiden!

• Auch an andere Ursachen für Krampfanfälle denken (z. B. Epilepsie – Reduk-
tion/Absetzen einer Antikonvulsiva-Therapie während der Schwangerschaft).

Gynäkologische Notfälle 304 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Vena-cava-Kompressionssyndrom

Definition
Vena-cava-Kompressionssyndrom: Synkope einer Schwangeren im letzten
Schwangerschaftsdrittel durch relativen Volumenmangelschock wegen Vermin-
derung des venösen Blutrückstromes zum Herzen (die schwangere Gebärmut-
ter drückt die V. cava inferior ab).

Symptomatik
• Schwindel, Schwächegefühl, Übelkeit
• Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit (Synkope)
• Blässe, Zyanose, kalter Schweiß, kühle Extremitäten
• keine Halsvenenstauung
• Puls tachykard und kaum tastbar, Blutdruckabfall
• Nagelbettprobe verzögert

Notfalltherapie:
• Basischeck, Basismaßnahmen (Sauerstoffgabe!)
• Lagerung auf der linken Seite.
• Schonender Transport.
• Untersuchung, Standardtherapie

In der Regel ist Volumenersatz wegen des relativen Volumenmangels nicht indi-
ziert; tritt jedoch keine Besserung des Zustandes der Patientin ein (Verdacht auf
Blutung), ggf. Volumensubstitution (z.B. VEL).

Praxistipps
• Bei jeder Spätschwangeren mit Schocksymptomatik besteht der Verdacht auf

ein Vena-cava-Kompressionssyndrom. Dennoch dürfen andere Ursachen
(z. B. innere Blutung) nicht vorzeitig ausgeschlossen werden; bei jeder Frau
(in der Frühschwangerschaft) mit obiger Symptomatik muss an eine
Extrauteringravidität gedacht werden (vgl. S. 322).
• Auch bei Besserung des Zustandes der Patientin nach Vena-cava-
Kompressionssyndrom durch Linksseitenlagerung sollte eine geburtshilfliche
Abklärung (Schädigung des Feten durch Sauerstoffmangel) unbedingt
erfolgen.

10.6 · Geburt 1 03 0 5

Geburt I !

Zeichen der bevorstehenden Geburt
• Fortgeschrittene Schwangerschaft (ab 6. Monat),
• Abgang eines blutig gefärbten Schleimpfropfes, Schleim, Blut,
• Blasensprung (Fruchtwasserabgang, beachte: Jeder Flüssigkeitsabgang
bei einer Schwangeren ist primär als Blasensprung zu werten.
• Einsetzen regelmäßiger Wehen alle 5 - 10 Minuten, Wehenabstände werden
kürzer, die Wehen selbst evtl. stärker. Eröffnung des Muttermundes.
• Dauer der Eröffnungsphase ca. 9-12h bei Erst-, 7-8h bei Mehrgebärenden

Kurz vor Geburt:
• Austreibungsphase (Dauer ca. 2-3 h bei Erstgebärenden / 0,5-1 h bei Mehr-
gebärenden; Pressphase bei beiden < 0,5 h): Pressdrang, Presswehen, mind.
alle 2 min Wehen (Dauer ca. 1 min), evtl. kindl. Kopf in der Scheide sichtbar.

Vorgehen bei bevorstehender Geburt
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Patientin darf nicht umherlaufen (Gefahr von Geburtskomplikationen wie z. B.

Nabelschnurvorfall), es sei denn eine Hebamme oder ein Gynäkologe hat
das Festsitzen des kindlichen Köpfchens zweifelsfrei festgestellt
• Linksseitenlagerung (Prophylaxe eines V.-cava-Kompressionssyndroms)
• Einsehen des Mutterpasses (vgl. S. 283), kurze Befragung (s. nächste S.)
• ggf. vorsichtige Inspektion des äußeren Genitales (weibl. Zeugen!)
• Voranmeldung in der Klinik, schonender Transport
Vor Transportbeginn sollten Notgeburtenbesteck sowie die für die
Neugeborenenreanimation nötigen Gegenstände griffbereit sein.
• Kein Transport, wenn der kindliche Kopf in der Scheide sichtbar ist bzw.
wenn der Wehenabstand kürzer als 3 min ist (➯ Geburtsleitung s. ab S. 307).
• Untersuchung, Standardtherapie, Auskultieren der kindlichen Herztöne
• Tokolyse in bestimmten Fällen
- Indikation: befürchtete/unmittelbar bevorstehende, schwerwiegende

Geburtskomplikation (z. B. entspr. Angaben im Mutterpass), drohende Früh-
geburt (< 38. Schwangerschaftswoche) - „Der Uterus ist der beste Transport-
Inkubator.“ Kontraindikationen: z.B. Austreibungsphase (Durchschnei
den des Kopfes). Zur Indikation s. die verschiedenen Komplikationen ab S. 314
- Tokolytika: z. B. Fenoterol (0,8 - 4 μg/min i.v. über eine Spritzenpumpe
unter EKG-Monitoring); ergänzend/alternativ auch Magnesium (s. S. 531)
- Inhalatives Fenoterol (Berotec-Dosieraerosol) ist nicht zur Tokolyse
geeignet. Bei broncholytisch-therapeutischer Dosis eine tokolytische Wir-
kung unwahrscheinlich. Um notfallmedizinisch zeitnah uteruswirksame Blut-
spiegel zu erreichen, müssten Vielfache davon inhaliert/oral nachresorbiert
werden. Verzögert käme es zu überhöhten Blutkonzentrationen mit mögli-
cherweise schweren (kardio-)toxischen Nebenwirkungen (unkalkulierbares
Risiko wegen unvorhersehbarer Resorption und Wirkung; nicht steuerbar).

Gynäkologische Notfälle 306 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Geburt II - Notfallanamnese/Kurzuntersuchung

So früh wie möglich sollten die folgenden Informationen im Hinblick auf mögliche
Komplikationen sowie die Übergabe in der Klinik erhoben werden:

1. Allgemeines
• Name, Alter?
• Wievielt-Gebärende?

2. Bisheriger Geburtsverlauf
• Berechneter Termin? (Ggf. Mutterpass!)
• Blasensprung: Wann und wie?
• Wehenverlauf?

3. Gesundheitszustand / Risikofaktoren
• z.B. Diabetes, SIH-Zeichen (vgl. S. 302 f.)

(Informationen möglichst durch Fragen nach Symptomen bzw. durch Nachschla-
gen im Mutterpass ermitteln, um keine (zusätzliche) Angst durch Nennen furcht-
erzeugender Diagnosen zu provozieren!)

4. Frühere Geburten:
• Probleme, Aborte?
• Schnittentbindungen (Cave: Risiko Narbenruptur)?

5. Mutterpass (vgl. S. 297)
• Beckengröße - Kindsgröße?
• Kindslagen?
• Risikofaktoren?

6. Wünsche der Schwangeren
• Geburtsort, Geburtsstellung, Geburtshilfe/Anästhesie?
• Anwesenheit des Vaters oder anderer Angehöriger?

(Die Berücksichtigung dieser und anderer Wünsche sollte - sofern keine wesent-
lichen Abweichungen von einer normalen Spontangeburt zu befürchten sind -
selbstverständlich sein!)

7. Untersuchung
• Basischeck (s. S. 16)
• Körpertemperatur (Infektzeichen)?
ˇ Kopf in Vulva sichtbar?
• Vorwölbung des Anus bei Wehe?
• Nur für den versierten NA: - Beurteilung der kindlichen Herztöne
- Weite des Muttermundes
- Stellung des Kindes (z. B. Leopold-Handgriffe)

Fragen kurz und klar auf das Wesentliche beschränken.
Möglichst nur in den Wehenpausen befragen; kein Verhörstil!

10.6 · Geburt 1 03 0 7

Geburt III - Vorgehen bei Spontangeburt I !

Vorgehen bei Spontangeburt
• Teamwork zwischen Notarzt, Rettungsassistent und ggf. der anwesenden

Hebamme (der Versuch, eine Hebamme nachzufordern, sollte allein aus
forensischen Gründen immer unternommen werden), Kollegialität!
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Beruhigung aller Anwesenden, für Patientin angenehme Atmosphäre
schaffen (Wünsche und ggf. Vorbereitungen für Hausgeburt beachten).
• Blase leeren lassen (volle Blase bewirkt reflektorische Wehenschwäche), evtl.
Darm leeren lassen (sonst Stuhlabgang während der Geburt)
• Sinnvolle Lagerung:
a) im RTW / NAW oder bei Komplikationen Rückenlage:

Beine in Fahrtrichtung, Oberkörper leicht erhöht, Beine angewinkelt;
(für Helfer insbesondere bei Notfallmaßnahmen am besten geeignet;
geringere Verletzungsgefahr für Mutter und Neugeborenes).
b) zu Hause (vorausgesetzt: Platz, keine Rutsch- / Sturzgefahr) nach Wunsch:
Vierfüßlerstellung oder Hockstellung (Vorteile: Ausnutzung der Schwerkraft,
geringerer Druck auf V. cava und Aorta, bessere Atemtechnik)
• Notgeburtenbesteck bereitlegen, sterile Handschuhe anziehen:
sterile Unterlage, sterile Handschuhe, sterile Kompressen, sterile Schere,
sterile Nabelklemmen, dünne Einmalsauger, Handtücher, Wärmeschutzfolie
• Dammschutz (Ziel: Kopfbremse)
1. Warten, bis der Muttermund vollständig eröffnet ist und der Kopf in der
Wehenpause nicht mehr zurückweicht. (Die Mutter darf - auch wenn der
Pressdrang schon da ist - nicht pressen ! ➯ Wehe verhecheln lassen.)
2. Pressen lassen, wenn der Kopf auf dem Beckenboden steht (Anus klafft)
und die Pfeilnaht gerade steht; zur Unterstützung Kopf anheben und Kinn
auf die Brust, Beine auseinander. In der Wehenpause die Entspannung
unterstützen: durchatmen lassen, Kopf zurücklegen usw.
Entwicklung des Kindes:
• Bei Hinterhauptslage (HHL): Dammschutz, den Kopf langsam durchschnei-
den lassen (sanfter Gegendruck mit einer Handfläche), erst obere und dann
untere Schulter entwickeln. (Abb. s. nächste S.) Nie am Kopf ziehen. Bei
geborenem Kopf muss die Geburt unmittelbar zu Ende geführt werden!
(Gefahren: Nabelschnurkompression und O2-Unterversorgung des Kindes.)
• Bei Beckenendlage (BEL): Nach Geburt des Steißes muss die Geburt des
Kopfes schnell folgen (< 60 s; sonst Hypoxie)! Erst wenn die Schulter-
blätter sichtbar sind: den Steiß gürtelförmig fassen und um die Symphyse
der Mutter in Richtung Unterbauch führen (Handgriff nach Bracht). Nie
ziehen! Ein zweiter versierter Helfer erleichtert ggf. durch gezielten
kaudalwärts gerichteten Druck auf den Bauch der Mutter den Durchtritt
des Kopfes (Handgriff nach Kristeller).

Gynäkologische Notfälle 308 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Geburt IV - Vorgehen bei Spontangeburt II

Wegen des grundsätzlich höheren Risikos nicht im RD beherrschbarer Komplika-
tionen bei BEL: Kliniktransport unter Voranmeldung anstreben; venöser Zugang
ist Pflicht. NA: Bereitschaft zur Episiotomie, Wehenförderung, Analgesie,
Intubationsnarkose (sekundäre Sectio ggf. auch in der Austreibungsphase), Bla-
senkatheter. Klinik rechtzeitig informieren, auch prophylaktisch.

• Abnabeln und Erstversorgung des Kindes - s. folgende Seiten! (310 ff.)

• Erstversorgung der Mutter:
• Zuspruch, Anwesenheit. Frühestmöglichen Kontakt zum Kind ermöglichen.
• Über Untersuchungsergebnisse und Maßnahmen informieren.
• Überwachung der Mutter während der Nachgeburtsphase (Kreislauf!)
• Nachgeburt abwarten, steril einpacken und mit in die Klinik nehmen. Wenn
möglich: schon vor Ort durch Hebamme prüfen lassen (Augenschein).
(Bei Dauer der Nachgeburt > 20 min: Hebamme/Arzt in der Klinik
zwecks schnellstmöglicher manueller Lösung informieren; Uterusatonie!)
Nie an der Nabelschnur ziehen!
• Anlegen des Kindes an die Brust ist möglich (je nach Verfassung von Mutter
und Kind ca. 20 - 30 min nach Geburt) und fördert die Uteruskontraktion.
• Fritsch-Lagerung. Kontinuierliche Kreislaufüberwachung.
• Den Eltern gratulieren und Zeit für die Begrüßung ihres Kindes lassen!
• Geburtszeitpunkt und -ort festhalten! In seltenen Fällen von forensischer
Bedeutung!
• ggf. Schocktherapie; ggf. manuelle Placentalösung (möglichst Hebamme/
Gynäkologe); ggf. Bekämpfung atonischer Nachblutungen (s. S. 317)
• Versorgung von Geburtstraumen / Episiotomiewunde (steriles Abdecken)

Komplikationen/spezielle Maßnahmen
• Ggf. Dammschnitt (Episiotomie). Indikationen: schnelle Geburtsbeendigung,

z. B. bei Asphyxie des Kindes, drohender Dammriss, Schonung bei
Frühgeburt. Möglichst vorher Lokalanästhesie - vgl. folgende Seite).
• Dauert die Pressphase (auch bei Erstgebärender) länger als 15 - 30 min
(V.a. Geburtsstillstand), ist nach Ausschluss einer Wehenschwäche (ggf. Gabe
eines Wehenmittels) der dringliche Transport in die Klinik zu erwägen, da fetale
Hypoxie droht und evtl. aufgrund eines Missverhältnisses zwischen Kindsgröße
und Geburtskanal oder Fehllage eine Schnittentbindung oder bes. geburtshilfliche
Technik notwendig ist (ggf. an Tokolyse denken!). Bei langer Pressphase
grundsätzlich großzügige O2-Gabe an die Mutter!
Wenn möglich: kindliche Herztöne überwachen (Bradykardie = Hypoxie!).
• Bei unüberwindlichem Geburtshindernis (z. B. verschleppte QL): erhöhte Gefahr
der Uterusruptur (s. S. 318).

1 03 0 9

Geburt V
Kindslagen

Schädellage (SL) Beckenendlage (BEL) Querlage (QL)
(ca. 94 - 96%, davon (ca. 3 - 5%) (ca. 0,5 - 1%)
ca. 2% regelwidrig)

Geburtshandgriffe

Dammschutz Dammschnitt
Der Dammschnitt (rechtes Bild) wird medio-
lateral und ggf. in Lokalanästhesie durchge-
führt (keine Routinemaßnahme; NA). Indika-
tionen: Blasswerden des Dammes, verzöger-
ter Kopfdurchtritt, drohender Einriss,
Geburtsanomalien

Geburt der Schulter I Geburt der Schulter II
Die vordere Schulter unter Kopf ohne Zug anheben und
Senkung des Kopfes entwickeln, hintere Schultere entwickeln (auf
bis die Oberarmmitte sichtbar ist.
den Damm achten!).

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10.6 · Geburt 1 03 1 1

Erstversorgung/Reanimation des Neugeborenen II

• Wärmeerhalt!
Neugeborene verlieren auch bei Temperaturen, die Erwachsene als warm
empfinden, schnell Wärme (pathophysiologisch ungünstig). Daher in war
men Tüchern aufnehmen; Abtrocknen (sog. Käseschmiere belasssen)
und - sofern in gutem Zustand - der Mutter auf den Bauch/an die Brust legen
(möglichst Hautkontakt und beide warm einpacken (Gesicht frei);
Bauchlage und Kopf zur Seite). Bei Hausgeburt auch warmes Bad möglich (nur
unter Anleitung einer Hebamme). - Auch bei Reanimation Wärmeerhalt!

• Abnabeln:
a) sofort: bei Rhesusinkompatibilität (nicht ausstreichen!) oder wenn Mutter
und Kind zwingend (z. B. CPR) sehr schnell getrennt werden müssen
b) früh (nach Abtrocknen, 1-2 min): bei gesundem Kind (reif, lebensfrisch)
c) spät (sobald die Nabelschnur aufgehört hat zu pulsieren, spätestens nach
ca. 5 min bzw. nach gründlichem Ausstreichen d. Nabelschnur in Richtung
Kind): bei anämischem Kind (anäm. Mutter), Frühgeborenen, Zwillingen.
Durchführung der Abnabelung: 2 sterile Klemmen etwa 10 - 20 cm vom
Nabel des Kindes entfernt (nicht zu nah am Scheideneingang) ansetzen,
dazwischen mit steriler Schere oder Skalpell durchschneiden (letzteres kann
z. B. der Vater übernehmen), die Enden steril abdecken (Klemmen belassen).
Evtl. Blutabnahme aus Nabelvene u. -arterie (kennzeichnen) für die Klinik zur
BGA (heparinisiert). Cave: Hochlagerung des Kindes bei fehlender Abnabelung
(z. B. Bauch der Mutter) kann zu Blutverlusten in Richtung Plazenta führen!

• Absaugen: nicht routinemäßig, da schädlich!
Sollte das Neugeborene – i. d. R. hypoxie-/stressbedingt – intrauterin
dickflüssiges Mekonium ausgeschieden und durch erste Atemversuche
pränatal aspiriert haben, besteht – ausnahmsweise – eine Indikation zum
Absaugen (möglichst unter Sicht, Pharynx mit Zungenspatel darstellen,
später evtl. Nase). Nicht mit vollem Sog; Baby-Schleimabsauger verwenden
(Cave: Schleimhautläsionen; reflektorische Bradykardien und Apnoe mgl.)

• Vitalparameter des Neugeborenen:
- Spontanatmung spätestens 1 min nach der Geburt (kräftiges Schreien).
- AF 30 - 40 / min, AZV 15 - 20 ml, HF 130 - 140 / min.
Die Beurteilung nach dem APGAR-Schema (s. S. 577) ist weit verbreitet und
möglicherweise forensisch sinnvoll, aber zur Ableitung von konkreten
(Reanimations-) Maßnahmen nur bedingt geeignet (hierfür war es auch nie
gedacht). Es hat sich als recht subjektiv herausgestellt.
Maßnahmen nach Algorithmus (s. linke Seite)! Zyanose, Bradykardie (< 100/
min), schlaffer Tonus und jegliche Atemstörung zwingen zum Handeln: 1. Taktile
Stimulation (keine gewaltsamen Methoden, keine Zeit verschwenden!); 2.
Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung (bei Misserfolg optimieren); 3. ggf. Thorax-
kompressionen; 4. u. U. Intubation, Medikamente (Näheres s. nächste Seite!)

Gynäkologische Notfälle 312 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

Reanimation des Neugeborenen III

• Priorität Nr. 1 = Atmung!
Unregelmäßigkeiten oder Fehlen der Atmung sind prinzipiell mit qualitativ
guter Maskenbeatmung zu behandeln (Neutralposition z. B. durch 2 cm
dickes Handtuch unter dem Kopf herstellen). Bei Erreichen ausreichender
Sauerstoffpartialdrücke normalisieren sich Herzfrequenz, Muskeltonus, Haut-
farbe und die Atmung schnell von selbst (< 30 Sekunden).

• Die ersten Atemzüge = Blähbeatmungen
In den Lungen befinden sich zunächst noch Flüssigkeitsmengen, die die Dif-
fusion der Atemgase behindern, aber normalerweise zügig durch die ersten
Schreie (höherer Druck in der Lunge unter Exspiration als bei normaler
Atmung) zur Resorption gebracht werden.
Um dies auch bei Atemstillstand zu gewährleisten, sollen die ersten Beat-
mungen als sog. Blähbeatmungen/Entfaltungsbeatmungen ausgeführt
werden: initialen Beatmungsdruck für 2 – 3 Sekunden aufrecht erhalten. Der
erforderliche Druck ist variabel und sollte den Brustkorb sichtbar wie bei
normaler Atmung heben und senken (20 cm H O können effektiv sein, es

2

können aber auch Drücke von 30 – 40 cm H O erforderlich werden).
2

• Thoraxkompressionen
Im Gegensatz zur CPR bei Erwachsenen dienen Thoraxkompressionen bei
Neugeborenen nicht der Überbrückung der Perfusion vitaler Organe. Vielmehr
soll v.a. oxygeniertes Blut aus der Lunge in die Koronararterien gelangen
(kurzer Weg; oft schnelles Ansprechen des Herzens auf wenige Kompres-
sionen; daher kurzes Intervall bis zur nächsten Kontrolle: 30 s). Thorax-
kompressionen können daher ein Defizit in der Beatmung nicht ausgleichen!

• Intubation nicht zwingend
Bedeutet Unterbrechung der Beatmung! Kann in bestimmten Situationen zu
unterschiedlichen Zeitpunkten erwogen werden (z.B. V.a. Verlegung der
Trachea mit Mekonium; ineffektive Beatmung trotz optimierter Technik;
Thoraxkompressionen; Zwerchfellhernie, Geburtsgewicht < 1000 g; jeweils
abhängig von Übung und Erfahrung des Durchführenden)

• Medikamente nur sehr selten indiziert (vorzugsweise Nabelvenenkatheter)
Indikation: unzureichende Herzfunktion trotz adäquater Basisreanimation
(schlechte Prognose); in Frage kommen Adrenalin (0,01-0,03 mg/kg i.v.),
Natriumhydrogencarbonat (1-2 mmol/kg KG i.v.); Flüssigkeitssubstitution

• Beendigung von Reanimationsbemühungen
Möglichst im Dialog mit den Eltern. Nach 10 Minuten kontinuierlicher und
adäquat durchgeführter Reanimationsmaßnahmen ohne Lebenszeichen kann
ein Abbruch erwogen werden. Wenn die Umstände fast sicher mit einem
frühen Tod des Kindes und hoher Morbidität unter den wenigen Überleben-
den verbunden ist, sind Reanimationsversuche nicht indiziert (z. B. gesicherte
Schwangerschaftsdauer < 23 Wochen, Geburtsgewicht < 400 g, Anenzephalie,
nachgewiesene Trisomie 13 oder 18).

10.6 · Geburt 1 03 1 3

Risikogeburten/Besonderheiten

Besonderheit Zwillingsgeburt:
Liegen beide Kinder in SL (in etwa 45% der Fälle) ist die Geburt i.d.R. unpro-
blematisch. Auch wenn eines der beiden in BEL liegt (35%), aber nicht zu
groß ist, ist eine vaginale Entbindung möglich.
Beide Kinder in BEL (ca. 10 %) werfen massive Probleme auf. Kom-
binationen von SL mit QL, BEL mit QL sowie QL mit QL haben fast keine
Chance, normal geboren zu werden. Insbesondere bei Verdacht auf Vorfälle
(kindlicher Extremitäten) sollte zügig die Sectio angestrebt werden!
Nach Geburt des ersten Zwillings sollte die des zweiten innerhalb von < 15
min von statten gehen! (Gefahr: z. B. vorzeitige Plazentalösung.)

Anmerkungen zur Tokolyse (Wehenhemmung):
Zur Nottokolyse (Arzt !) steht das Fenoterolpräparat Partusisten®intrapartal
zur Verfügung (i.-v.-Applikation). Von zahlreichen Autoren wird zur Wehen-
hemmung die Anwendung des Fenoterolpräparates Berotec® 100 (Dosier-
Aerosol) propagiert. Diese Aussage ist jedoch nicht einwandfrei, da diese
Indikation nicht in den Herstellerangaben (Beipackzettel) genannt wird (keine
Zulassung) und laut Fachinformation eine tokolytische Wirkung unwahr-
scheinlich ist. Beachte aber: Gefahren durch Auftreten von Nebenwirkungen!
Generell sollte eine Wehenhemmung - von bestimmten Indikationen
abgesehen - nur im klinischen Bereich durchgeführt werden. Indikations-
stellung - wenn möglich - durch erfahrenen Gynäkologen. Vgl. S. 305.

Gründe für primäre Sectio (schwerwiegende Geburtshindernisse /Risiken):
Beckenanomalie / Beckenverengung, Nabelschnurvorfall (früh), Placenta
praevia (früh), Kindliche Hypertrophie > 3500 g, Fußlage, QL (häufig recht-
zeitige Klinikeinweisung durch behandelnden Arzt), BEL mit weiterer Kompli-
kation, Hyperextension des Kopfes, > 2 Kinder.

Gründe für eine primäre Einweisung in ein Perinatalzentrum (i.d.R.
Klinik der Maximalversorgung) unabhängig von eventueller Wunschklinik:

• Komplikationen bei Mutter und Kind werden beherrschbar
• sekundäre Verlegung (= Trennung + Transportrisiko) wird vermieden
• neonatologische Intensivtherapie, Diagnostik, ggf. Neugeborenenchirurgie

Beispiele für solche Risikoschwangerschaften: Alkohol-/Drogen-
abhängigkeit der Mutter, insulinabhängiger Diabetes mellitus, höhergradige
Mehrlingsschwangerschaft, Wehen vor der 33. – 35. SSW, intrauterine
Infektion, Blutungen nach der 28. SSW, schwere mütterliche Erkrankungen
(z. B. EPH-Gestose / HELLP-Syndrom), chronische Erkrankungen der Mutter
mit Bedrohung des Kindes (z. B. HIV, Hyperthyreose), Morbus haemolyticus
neonatorum, fetale Komplikationen (z. B. Arrhythmien, Mangelentwicklung
< 5. Perzentile, schwere Fehlbildungen).

Gynäkologische Notfälle 314 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Nabelschnurvorfall

Definition
Nach Blasensprung (Abgang von Fruchtwasser)
Vorfall der Nabelschnur, welche zwischen tiefer-
tretendem Kopf und Beckenring eingeklemmt und
abgedrückt werden kann. Dadurch akute Unter-
versorgung des Kindes. Schlimmstenfalls Um-
schlingung des kindlichen Halses mit der Nabel-
schnur. ➯ Das Kind wird beim Tiefertreten stran-
guliert. Der Nabelschnurvorfall ist sehr selten (un-
gefähr 3 % aller Geburtskomplikationen).
Prädisponierende Faktoren: Mehrlingsschwangerschaften, Querlage,
Beckenendlage, Mehrgebärende, viel Fruchtwasser.

Symptomatik
• beginnende Geburt, Zustand nach Blasensprung
• evtl. tritt die Nabelschnur vor dem oder am Kopf des Kindes aus dem Mutter-

mund
• evtl. um den Hals des Kindes liegende Nabelschnur (Umschlingung)

Notfalltherapie (Notarzt/Hebamme)
• Basischeck, Basismaßnahmen (Sauerstoffgabe!)
• Flachlagerung mit Beckenhochlagerung
• zügiger Transport und Voranmeldung in der aufnehmenden Klinik

(Vorbereiten der Schnittentbindung)
• Untersuchung (auch vaginal - pulsierende Nabelschnur tastbar?)
• Standardtherapie
• vorsichtiges vaginales Zurückdrücken des Kindskopfes (auch während des

Transportes; ggf. Versuch der manuellen Lösung der Nabelschnur)
• ggf. Abnabelung direkt nach Durchtritt des Kopfes und zügige Entbindung
• Medikamente:

ggf. Tokolytika, z. B. Fenoterol (0,8 - 4 μg / min i.v. über eine Spritzenpumpe)

Praxistipp
Die Gefahr des Nabelschnurvorfalles besteht besonders bei herumlaufenden Pa-
tientinnen nach erfolgtem Blasensprung; daher Schwangere stets liegend (und
in Linksseitenlagerung zur Prophylaxe eines Vena-cava-Kompressionssyndromes)
transportieren.

10.6 · Geburtskomplikationen 315 10

Vorzeitige Plazentalösung !

Definition
Vorzeitige (unvollständige oder vollständige) Ablösung der normal sitzenden
Plazenta (Synonym: retroplazentares Hämatom) nach der 28. Schwangerschafts-
woche ➯ arterielle Blutung ➯ Unterbrechung des Stoffwechsels zwischen müt-
terlichem und kindlichem Kreislauf ➯ Gefahr der Schädigung des Kindes durch
Unterversorgung. Durch Blutung mit anschließendem Schock wird auch die
Mutter akut bedroht, wobei nicht nur der Volumenmangel, sondern oft auch
Gerinnungsstörungen eine Rolle spielen. Ursachen: Extreme Blutdruck-
schwankungen, Fruchtwasserpunktion, Geburt des ersten Zwillings, mechani-
sche Gewalteinwirkung (Stoß, Sturz, Trauma). Häufigkeit: 0,5 - 1 % aller Schwan-
gerschaften. Mortalität der Feten: 20 - 35 %, davon sterben etwa 50 % noch im
Uterus.

Symptomatik
• Plötzlich auftretende Schmerzen, schmerzhafte Dauerkontraktion des

brettharten und druckempfindlichen Uterus („Holzuterus“)
• Schockzeichen
• Nicht immer tritt die Blutung auch nach außen auf (selbst dann nur minimale

Menge im Vergleich zur tatsächlichen Blutmenge im Uterus).

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen, Schocklage (auf der linken Seite) - Beachte:

Atembehinderung durch Druck des Kindes!
• Voranmeldung in der aufnehmenden Klinik
• zügiger Transport mit Sondersignal
• Untersuchung, Standardtherapie
• Auskultieren der kindlichen Herztöne
• Vaginale Untersuchung ist kontraindiziert! (DD: Placenta praevia.)
• Volumensubstitution (Schocktherapie), ggf. Kreuzblutabnahme
• Achtung: Tokolyse (Wehenhemmung) ist kontraindiziert!

Praxistipp
• Bei Schocksymptomatik besteht akute Lebensgefahr für Mutter und Kind.
Das erste Ziel aller therapeutischen Maßnahmen ist die Entbindung auf schnell-
stem und sicherstem Wege ➯ Sondersignaltransport in die Klinik (➯ i. d. R.
Kaiserschnitt bei lebensfähigem Kind) unter Volumentherapie.

Gynäkologische Notfälle 316 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Placenta praevia

Definition
Tiefer Sitz der Plazenta, evtl. vollständig vor dem in-
neren Muttermund; bei Dehnung des unteren Uterin-
segmentes im letzten SSD kommt es zu einem Ab-
scheren der Plazenta von der Uteruswand und
starken Blutungen (25 % der Blutungen vor und
während der Geburt.) Prädisponierende Faktoren:
Mehrlingsschwangerschaften, Mehrgebärende, hö-
heres Alter der Schwangeren (über 39 Jahre ist das
Risiko um das Dreifache erhöht), frühere gynäkol. Ope- Placenta praevia totalis
rationen. Häufigkeit: 0,5 % aller Schwangerschaften.

Symptomatik
• schmerzlose (!), rezidivierende oder anhaltend starke Blutung im letzten

Schwangerschaftsdrittel (vor Blasensprung); Schockzeichen
• weiches Abdomen, weicher Uterus

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen, Schocklage (auf der linken Seite / Ganzkörper-

schräglage - Beachte: Atembehinderung durch Druck des Kindes)
• schonender und zügiger Transport
• Voranmeldung in der Klinik
• Untersuchung, Standardtherapie
• Vor der 36. Schwangerschaftswoche Tokolyse mit Fenoterol (0,8 - 4 μg /

min i.v. über eine Spritzenpumpe) zur Hinauszögerung der Geburt möglich;
später Geburtsverzögerung eher vermeiden (Dauer einer möglichen Unter-
versorgung des Kindes bzw. einer Blutung verlängert).
• Schocktherapie (s. Kapitel 8)

Praxistipps
• Placenta praevia meist im Mutterpass vermerkt! (Aufgrund der anatomischen

Anlage i.d.R. bei einer der ersten Ultraschalluntersuchungen entdeckt, weit
bevor es in der Spätschwangerschaft zu Komplikationen kommt.)
• Es muss in Betracht gezogen werden, dass im Uterus größere Blutmengen
vorhanden sein können, die äußerlich sichtbare Blutung also nur einen
Bruchteil des tatsächlichen Blutverlustes darstellt. Die Blutung nährt sich meist
nur aus dem mütterlichen Kreislauf; Verblutungsgefahr!
• Unter keinen Umständen vaginale oder rektale Tastuntersuchung!
(Auslösung massiver Blutungen möglich!)

10.6 · Geburtskomplikationen 317 10

Postpartale Blutung !

Definition
Nachgeburtliche Blutungen (Blutverlust > 500 ml ➯ pathologisch).

Ursachen
• Dammriss / Zervixriss (Geburtstrauma).
• Fehlende Plazentalösung: keine komplette Lösung des Zusammenhalts

zwischen Plazenta und Uterus oder Retention der gelösten Plazenta durch
zervikalen Spasmus (Blutungen in unterschiedlicher Intensität).
• Uterusatonie: atonische („schlaffe“) Uterusmuskulatur; nach Ausstoßung der
Plazenta wird die Blutung nicht durch Kontraktion des Uterus gestillt - starke
Blutung.

Symptomatik
• vaginale Blutung nach Geburt
• evtl. Schocksymptomatik

Notfalltherapie (Notarzt/Hebamme)

• Untersuchung, Standardtherapie, Schocktherapie (s. Kapitel 8)

• Bei Zervix- und Vaginaleinrissen (Geburtstraumen) keine unkontrollierte

Tamponade!

• Bei fehlender Plazentalösung Credé-Handgriff: Uterusfundus wird durch

die Bauchwand gefasst, massiert („Wehe anreiben“) und mit gleichmäßiger

Kraft in Richtung Scheidenausgang ausgedrückt und gehalten (ggf. Kurz-

narkose).

• Bei Uterusatonie Zweifel-Handgriff: bimanuelle

Uteruskompression; ➯ Abdrücken der A. uterina; auch

während des Transportes beibehalten; siehe neben-

stehende Abbildung.

• Bei Misslingen des Credé-Handgriffs oder starkem

vaginalem Blutabgang manuelle Plazentalösung.

Ultima Ratio: Kompression der Aorta abdominalis. Zweifel-Handgriff
• Medikamente:

Bei Uterusatonie (ggf.) Wehenmittel, z. B. Oxytocin (Infusion mit 10 I. E. auf

500 ml Vollelektrolytlösung). Keine Tokolytika!

Gynäkologische Notfälle 318 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Uterusruptur

Definition
Missverhältnis zwischen Belastbarkeit der Gebärmutterwand und Belastung (Grö-
ße des Feten, äußere Einwirkungen, Oxytocin-Überdosierungen, Geburtshinder-
nisse, Vorschädigungen durch Operationen - Gebärmutternarben). ➯ Ruptur der
Gebärmutter (Uterus).

Symptomatik
1. Drohende Ruptur:

• Einsetzen verstärkter Wehentätigkeit (Wehensturm), ungewöhnlich
schmerzhafte Wehen, Geburtsstillstand

• Druckschmerzhaftigkeit des unteren Uterusbereichs
• Aufsteigen der Bandl-Furche
• Unruhe und Todesangst der Kreißenden durch zunehmende Wehenfrequenz,

unerträglichen Wehenschmerz und beginnenden Schock (Verschleierung
der Symptome durch Anästhesie !)
2. Eingetretene Ruptur:
• Akuter abdominaler, auch in die Schulter ausstrahlender Schmerz, evtl. aber
sogar spontanes, kurzzeitiges Erleichterungsgefühl
• schwerer Schock, zunehmende Atemnot
• evtl. kindliche Körperteile durch die Bauchdecke tastbar, abdominelle
Abwehrspannung, Aufhören kindlicher Bewegungen und Herztöne
• evtl. vaginale Blutung (25 % der Fälle)

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Voranmeldung in der Klinik (Schnittentbindung)
• zügiger Transport
• Untersuchung, Standardtherapie, Schocktherapie (s. Kapitel 8)
• Auskultieren der kindlichen Herztöne
• Indikationsstellung für den Transport mit Sondersignal
• Medikamente:

Tokolytika, z. B. Fenoterol (0,8 - 4 μg / min über eine Spritzenpumpe)

Bei vorausgegangenen Schnittentbindungen der Patientin (➯ Mutterpass) wird
bei einer neuerlichen Geburt oft vom behandelnden Arzt eine erneute Schnitt-
entbindung propagiert bzw. geplant (Gefahr einer Narbenruptur).

10.6 · Geburtskomplikationen 319 10

Fruchtwasserembolie !

Definition
Verlegung von Lungenkapillaren durch thromboplastisch aktives Fruchtwasser
(d. h. nicht Fruchtwasser ist Thrombus, sondern führt zur Thrombenbildung) mit
anschließender pulmonalen Hochdruck- und Rechtsherzbelastung -
Verbrauchskoagulopathie; evtl. anaphylaktische Reaktion.

Ursachen
Eindringen einer größeren Menge Fruchtwassers in den mütterlichen venösen
Kreislauf durch Verletzung (z. B. Scheideneinriss, Uterusruptur, vorzeitige Plazenta-
lösung, Schnittentbindung).

Symptomatik
• evtl. Zustand während oder nach einer Geburt
• Atemnot, Zyanose, Schockzeichen
• Angst, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen
• evtl. Urtikaria, Quincke-Ödem

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Untersuchung, Standardtherapie
• symptomatische Therapie
• endotracheale Intubation, Beatmung mit 100 % Sauerstoff
• Medikamente:

• Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.)
• ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)

Hinweise
• Jede akut einsetzende Atemnot bei oder nach der Geburt ist verdächtig

auf eine Fruchtwasserembolie!
• Differenzialdiagnostisch auch an Spontanpneumothorax und akutes Herz-

versagen anderer Genese denken.
• Zur Lungenembolie s. auch Kapitel 8.

Gynäkologische Notfälle 320 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

Abort

Definitionen
(nach der 13. AusführungsVO zum Personenstandsgesetz)

Lebendgeburt
Neugeborenes, bei dem einwandfrei entweder Lungenatmung, Herzschlag, die
Nabelschnurpulsation oder deutlich erkennbare Bewegungen der Muskulatur
vorgelegen haben (unabhängig von Geburtsgewicht/Schwangerschaftsdauer).

Frühgeburt
Beendigung einer Schwangerschaft vor Vollendung der SSW (p. m.; WHO) bzw.
Tragzeit < 259 Tage (p. m.). Per definitionem fällt unter Frühgeburt auch
• die Totgeburt (totgeborenes Kind, mind. 500 g (früher 1 kg) Geburtsgewicht)
• die Lebendgeburt mit weniger als 500 g Geburtsgewicht, bei der nach der

Scheidung vom Mutterleib entweder Herzschlag, Nabelschnurpulsation oder
natürliche Lungenatmung vorgelegen hat, auch wenn es im Verlauf verstirbt.
Frühgeburten (inkl. Totgeburten) müssen beim Standesamt gemeldet und im
Todesfall wie jeder Erwachsene beerdigt werden. Der Mutter steht der Mutter-
schutz in voller Länge zu (8 Wochen).

Fehlgeburt (Abort)
Totgeborenes Kind unter 500 g (früher 1000 g) Geburtsgewicht. Fehlgebur-
ten sind „Erkrankungen“, die nicht an das Standesamt gemeldet werden dür-
fen“ (keine Behandlung der Leibesfrucht als Todesfall; Krankschreibung der
Mutter für 8–14 Tage). Die allgemeine Definition einer Fehlgeburt „Beendigung
einer Schwangerschaft, bevor die Frucht selbst extrauterin lebensfähig ist“ ist
sehr problematisch, da sich die Grenze der Überlebensfähigkeit in Bezug auf
Schwangerschaftsdauer und Geburtsgewicht durch Entwicklungen der neo-
natologischen Intensivmedizin in den letzten Jahren deutlich nach unten be-
wegt hat. Sie kann nicht für alle Kinder absolut festgelegt werden. I. d. R. wird
heute eine Überlebensfähigkeit erst ab der vollendeten (22. bis) 24. SSW (KG um
500 g) angenommen (Bildung der Alveolen in den Lungen). Mittlerweile wer-
den häufig unreife Frühgeborene unter 1000 g erfolgreich versorgt („Rekord“:
244 g, SSL 25 cm, Sept. 2004, Loyola University, Chicago, USA). 5–10 % aller
Geburten sind Frühgeburten (davon ca. 30 % spontan, bevorzugt bei Teen-
agern und bei niedrigem sozioökonomischen Status; weitere 30 % bei Mehrlings-
schwangerschaften).

Formen der Fehlgeburt
• Frühabort: Abbruch der Schwangerschaft bis zur 16. Woche.
• Spätabort: Abbruch der Schwangerschaft zwischen der 17. und 27. Woche.
• Spontanabort: (ohne erkennbare äußere Ursache: häufigste Ursache (50 %)

bei Frühaborten: chromosomale Anomalie des Kindes; Spontanaborte sind
häufig: mindestens 15 % der Schwangerschaften enden vor der 10. SSW!

10.7 · Abort 1 03 2 1

Abort !

Symptomatik
• mäßige bis starke Blutung aus der Scheide
• Unruhe, ggf. Schmerzen, ggf. Schockzeichen
• evtl. ausgestoßene Frucht bzw. Fruchtteile (z. B. in der Toilette)

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen, psychische Betreuung!
• Fritsch-Lagerung
• Untersuchung, Standardtherapie, ggf. Schocktherapie (s. Kapitel 8)
• Medikamente:

- ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5–10 mg i. v.)
- ggf. Analgesie
- ggf. bei lebensbedrohlicher Blutung in Erwägung ziehen: Kontraktionsmittel,

z. B. Oxytocin (z. B. Infusion mit 50 I. E. auf 500 ml Vollelektrolytlösung;
wenn noch nicht geschehen: Verlust des Kindes!)

Praxistipps
• Abort mit Fieber über 38,5 °C oder Schüttelfrost bei der Patientin weist auf

septischen Schock hin.
• Manipulationen am Uterus vermeiden; Gefahr des Eindringens von thrombo-

plastischem Material der Plazenta in den venösen Blutkreislauf der Mutter.
• Komplikationen/Gefahren bei der Abtreibung durch Laien: mechanische Ver-

letzung mit Blutung, septischer Schock, Luftembolie, Vergiftung.
• Es ist stets zu prüfen, ob das Kind noch lebensfähig sein könnte (ab ca. 23.–

24. SSW bei KG > 500 g); ggf. Wiederbelebung einleiten (s. S. 310 ff.)! Umge-
kehrt sollte nicht lebensfähigen Kindern (wie auch bei Erwachsenen) – trotz
evtl. initialer Lebenszeichen – die Möglichkeit eines würdigen Sterbens einge-
räumt werden (Einbeziehung und ehrliche Information der Familie). Diese
Entscheidung setzt eine hohe neonatale Kompetenz des Notarztes voraus
und wird durch den notfallmedizinischen Zeitdruck sowie schwere Objektivier-
barkeit (Schwangerschaftsdauer, KG) erschwert. Im Zweifel sei daher – auch
aus juristischen Gründen – zum Wiederbelebungsversuch angeraten.
• Bei vorzeitigem Blasensprung ggf. Nottokolyse (s. S. 291).

Gynäkologische Notfälle 322 Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle

! Extrauteringravidität (EU)

Definition
Schwangerschaft (Einnistung einer befruchteten Eizelle) außerhalb der Gebär-
mutter (Eileiterschwangerschaft = Tubargravidität oder selten auch in der freien
Bauchhöhle = echte Bauchhöhlenschwangerschaft).
Mögliche Folgen: Tubarabort (Abgang der Frucht in die Bauchhöhle), Tubarruptur
bei Größenzunahme der Frucht - Achtung: Bei einer Tubarruptur können in kur-
zer Zeit 1 - 2 l Blut in die Bauchhöhle verlorengehen!

Differenzialdiagnose
• Tubentorsion (Eileiterverdrehung mit Abschnüren der Blutversorgung)
• Adnexitis (Entzündung der Eierstöcke und Eileiter)
• andere Ursachen für Akutes Abdomen (s. S. 290 ff.)

Symptomatik
a) Symptomarmes Stadium:

• weitgehende Beschwerdefreiheit
• allgemeine Schwangerschaftssymptome (Übelkeit, Spannung in der Brust)
• Ausbleiben der Regel > 5 - 9 Wochen (27 %), Schmierblutungen (50 %)

oder regelstarke Blutung (20 %)
b) Symptomreiches Stadium (Notfall!):

• zunehmender (einseitiger) Unterbauchschmerz
• plötzlicher vernichtender Rupturschmerz auf der gleichen Seite
• Nach eingetretener Ruptur schmerzfreies Intervall möglich.
• Druckempfindlichkeit des Unterbauches, Zwerchfell- und Schulterschmerz
• Akutes Abdomen, Schock
c) Tubarabort:
kaum symptomatisch; evtl. wehen- oder krampfartige Bauchschmerzen
d) Tubarruptur:
• stechender Zerreißungsschmerz im Unterbauch, Akutes Abdomen, Angst
• Kollaps, Schockzeichen

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Voranmelden der Klinik (Vorbereiten einer Notoperation)
• zügiger Transport mit NA und Sondersignal (bei Verdacht auf Tubarruptur)
• Untersuchung, Standardtherapie
• bei Verdacht auf Tubenruptur: ggf. Schocktherapie (s. S. 216 f.)
• Indikationsstellung für Sondersignaltransport

Kapitelübersicht 1 13 2 3

Pädiatrische Notfälle

11.1 Allgemeine Hinweise ................................................ 324
11.2 Reanimation bei Kindern .......................................... 329
11.3 Aspiration / Bolusgeschehen .................................... 332
11.4 Epiglottitis / Pseudokrupp ........................................ 334
11.5 Invagination .............................................................. 337
11.6 Krampfanfall ............................................................. 338
11.7 Dehydratation ............................................................ 340
11.8 Plötzlicher Säuglingstod (SID) ................................. 342
11.9 Kindesmisshandlung ................................................ 344
11.10 Hypoxämischer Anfall ............................................... 346

324 Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle

Allgemeines
A. Altersstufen des Menschen

Pädiatrische Notfälle Neugeborenes 0 - 28 Tage
• Mangelgeburt Geburtsgewicht < 2500 g
• Frühgeborenes Entbindung vor der 38. Schwangerschaftswoche
• Spätgeborenes Entbindung nach der 42. Schwangerschaftswoche

Säugling 28 Tage - 12 Monate
Kleinkind 1 - 3 Jahre

Vorschulkind 3 - 6 Jahre
Schulkind 6 - 15 Jahre

Jugendlicher 15 - 18 Jahre
Erwachsener > 18 Jahre
Senex > 65 Jahre

B. Physiologische Besonderheiten bei Säuglingen / Kleinkindern
1. Das gesunde Kind nach der Geburt

• Beginn der Eigenatmung 5 - 30 Sekunden (erster Schrei bis 40 Sekunden)
nach der Geburt durch verschiedene Reize (Kälte, Berührung, Kohlen-
dioxidanreicherung im Blut). Regelmäßige Atmung nach 1 - 2 Minuten.

• Umstellung des Kreislaufes:
Druckabfall in der Lungenstrombahn und darauf folgende Trennung von
Körper- und Lungenkreislauf. Innerhalb der ersten Wochen verschließen
sich die Kurzschlussverbindungen des kleinen Kreislaufes, Ductus arteriosus
(Botalli) und Vorhofseptum.

• Blutzuckerspiegel - als Hypoglykämie gelten folgende Blutzucker-Werte:

Früh-/Neugeborene < 2500 g < 25 mg / dl
Neugeborene > 2500 g nach Geburt < 30 mg / dl
Neugeborene, 1. Lebenstag < 35 mg / dl
Neugeborene, 2. Lebenstag < 40 mg / dl
Neugeborene, ab 3. Lebenstag < 45 mg / dl
Säugling < 50 mg / dl

Hinweis: Entnahme des Bluttropfens bei Säuglingen an der Ferse.

2. Wichtige anatomische Besonderheiten der Atmung:
• Die Zunge ist größer (bei Intubation beachten) und fällt leichter zurück.
Der Rippenstand ist gegenüber dem Erwachsenen eher horizontal; daher

11.1 · Allgemeines 1 13 2 5

sind Säuglinge obligate Bauchatmer (kaum Kompensationsmöglichkeit bei
Behinderung der Zwerchfellatmung!)
• Der Kehlkopf liegt bei C3 / C4 (etwa 2 Wirbelkörper höher als beim
Erwachsenen) und ist nach ventral verkippt ➯ kein Überstrecken des
Kopfes, sondern: Unterkiefer anheben, Esmarch-Handgriff! - Schnüffel-
stellung).
• Der subglottische Raum ist die engste Stelle (beim Erwachsenen: Stimmrit-
ze) ➯ Tubengröße beachten und Tuben bei Kindern unter acht Jahren nicht
blocken (Abdichtung subglottisch).
• Die Trachea ist vergleichsweise kurz (einseitige Fehlintubation häufig;
Verrutschen der Tubuslage trotz Fixation bei Säuglingen bei Kopfbewegun-
gen möglich! - Regelmäßige Lagekontrolle / Auskultation).

3. Wichtige physiologische Besonderheiten der Atmung:
• Säuglinge sind obligate „Nasenatmer“ (Gefährdung z. B. durch Zuschwellen
der Nase!).
• Achtung! Säuglinge lassen Atemnot nicht so deutlich erkennen wie
Erwachsene; auf Dyspnoezeichen achten: Nasenflügeln, Stöhnen, Einziehun-
gen des Thorax beim Atmen.
• Die Schleimhaut (Nase, Epiglottis, Trachea) neigt viel stärker zur
Ödembildung ➯ Obstruktion durch Zuschwellen, Hindernisse bei
Intubation.
• Lunge: Compliance niedriger und Resistance höher als beim Erwachsenen.
• Physiologischer Totraum Früh- / Neugeborener: ca 40% des AZV (Erwach-
sener nur ca. 30 % des AZV und besser kompensierbar).
• Sauerstoffbedarf (und daher das AMV) etwa dreimal höher als beim Erwach-
senen, dies wird durch eine höhere Atemfrequenz bewirkt; das AZV liegt
mit 7 - 9 ml / kg KG im gleichen Bereich wie beim Erwachsenen.

C. Maßnahmen bei Kindernotfällen
• Absaugen:

Sog vorher kontrollieren; dieser darf nicht über 0,2 bar betragen (Gefahr der
Schleimhautverletzung / bei endotrachealem Absaugen Gefahr der
Atelektasenbildung! ➯ immer kurz „nachbeuteln“).
• Beatmung:
Ohne Hilfsmittel ist die Technik Mund-zu-Mund-und-Nase (Säuglinge, Klein-
kinder) anzuwenden. Bei Neugeborenen und Säuglingen sollte bei Beatmung
über Endotrachealtubus die Atemluft angefeuchtet werden.
• Herzfrequenzüberwachung durch Abhören der Herztöne mit Stethoskop.

Pädiatrische Notfälle 326 Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle

• Wärmeerhalt:
Dem Wärmeerhalt kommt im Säuglings- und Kindesalter besondere Bedeutung
zu! Gründe:
- Zitterfreie Wärmebildung im braunen Fettgewebe (Frieren bei Säuglingen
bleibt unerkannt).
- Geringes Körpervolumen ➯ wenig Isolierschicht ➯ schnelle Auskühlung.
- Ein Neugeborenes muss bereits unter 30 bis 32°C Außentemperatur
(Umgebungsluft ohne Kleidung) Energie für die Aufrechterhaltung der
Körpertemperatur aufwenden (thermische Neutralzone: 32-34°C - zum
Vergleich der Erwachsene: 27-29°C). Unter 23°C (Raumtemperatur!)
versagt die Regulation und es kommt zur Unterkühlung (körperlich aktiver
Erwachsener: < 0-5°C).
Daher auch bei Reanimationsmaßnahmen die passive Wärmeerhaltung nicht
vernachlässigen und ggf. rechtzeitig an die Nachforderung eines Inkubators
denken. Bei Inkubatortransporten kontinuierlich die Temperatur kontrollieren:
35 - 37 °C (Kontrolle durch Innenraumthermometer).

• Trauma, Blutverlust, Schock:
Bei Kindern muss auch ein kleiner Blutverlust ernstgenommen werden
(kleines absolutes Blutvolumen, z. B. 300 ml beim Neugeborenen; die typischen
Schockzeichen treten wegen ausgeprägter Fähigkeit zur Zentralisation später
als bei Erwachsenen auf). Wichtige Symptome sind verlängerte kapilläre Füllungs-
zeit (> 2 s) und schlecht tastbare periphere Pulse. Frühzeitige Sauerstoff- und
Volumentherapie (10-20 ml / kg KG initial, dann bis zu 20 ml / kg KG / h während
des Transportes; bei fortlaufenden Volumen- / Flüssigkeitsverlust ggf. weitere
Gabe erforderlich), um die Aktivierung der Schockkaskade zu verhindern (s. S.
225). Ernstzunehmende Blutverluste bei Säuglingen durch Kopfschwarten-
hämatome und intrazerebrale Blutungen. Innere Blutungen werden häufig
unterschätzt.

• Zur präklinischen Volumentherapie sind Vollelektrolytlösungen (und ggf.
kolloidale Volumenersatzmittel) einzusetzen (pädiatrische Infusionslösungen
oder verdünnte Glukoselösungen eignen sich nicht).

• Wegen notwendiger Genauigkeit und kleiner Volumina Infusion geregelt
über Spritzenpumpe geben (Bolusgaben manuell mit großer Spritze, ggf.
Dreiwegehahnsystem zum Nachfüllen der Spritze anschließen), Tropfinfusio-
nen sind unzuverlässig und bergen ggf. das Risiko einer Überinfusion; Volu-
mengaben exakt protokollieren.

• Wenn möglich: Bei Medikation den rektalen Zugangsweg in Betracht ziehen,
vor allem bei Diazepam, Chloralhydrat, Kortikoiden (Schonung des Kindes).
Zur Sedierung kann auch die intranasale Gabe von Midazolam erwogen wer-

11.1 · Allgemeines 1 13 2 7

den (beachte aber: Dosierung anpassen, Wirkungseintritt kann verzögert wer-
den; der Anwender sollte Erfahrung mit diesem Verfahren und seinen Kompli-
kationen besitzen; intranasale Gabe kann schmerzhaft sein). Dosierung:

• intranasal (z. B. per Tuberkulin-Spritze ohne Nadel): 0,3 - 0,4 mg / kg KG

• Venöser / intraossärer Zugang bei Säuglingen und Kleinkindern:
Wenn ein dringend benötigter venöser Zugang nicht geschaffen werden kann,
bestehen alternativ die Möglichkeiten der Medikamenten- und Volumengabe
a) bei Neugeborenen in die Nabelvene und
b) bei Säuglingen und Kleinkindern in das Knochenmark (intraossärer
Zugang - s. S. 41 f.)

• Für Verbrennungen gelten gegenüber Erwachsenen andere Regeln zur Ermitt-
lung verbrannter Oberflächen (s. S. Kapitel13).

• Zur Beurteilung einer Bewusstseinsstörung beim kindlichen Patienten ist die
Glasgow-Coma-Scale modifiziert anzuwenden (s. S. 578)

• Entsprechendes Gerät (z. B. Babybeutel, Blutdruckmessgerät, Tuben)
verwenden. (s. Tabelle S. 574)

• Beatmungsdruck, -volumen, -frequenz, Kreislaufgrößen (s. S. 572 f.).

D. Umgang mit Eltern und Kindern
• Die Einbeziehung der Eltern kann bei der Betreuung und medizinischen

Versorgung des Kindes von Vorteil sein:
a) Die Eltern fühlen sich gebraucht und sind beschäftigt. Oft ist es - auch und
gerade im Notfall - sinnvoll, das Kind zu untersuchen und zu behandeln,
während es sich auf dem Arm bzw. Schoß der Mutter / des Vaters befindet.
b) Das Kind verhält sich in der Regel ruhiger, wenn die Eltern anwesend
sind. Zur Beruhigung von Kindern empfiehlt es sich auch, auf Rettungs-
mitteln ein Stofftier („Teddy“) mitzuführen. (Aber: Hygiene beachten.)
c) Angst und Stress bei den Eltern übertragen sich auf das Kind; deren
Beruhigung und Respekt vor der elterlichen Verantwortlichkeit sind
ebenso wichtig wie die einfühlsame Betreuung des Kindes (Aufklärung
über Erkrankung / Verletzung sowie ergriffene Maßnahmen).

• Umgang mit dem Kind: kindgerechte Sprache, ab entsprechendem Alter auch
dem Kind alles erläutern und es Verantwortung übernehmen lassen
(therapeutisches Bündnis), Spiele (z. B. mit medizinischen Untersuchungs-
geräten) zulassen. Kinder bedürfen einer Vertrauensperson: wenn Eltern nicht
anwesend sind, z. B. auch Begleitung durch Freund, Lehrer o. ä. (Beachte
jedoch die Schweigepflicht!). Auf schmerzhafte Maßnahmen (z. B. Venen-
punktion) vorher ehrlich hinweisen; diese ggf. begründen.

Pädiatrische Notfälle 328 Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle

E. Rechtliche und sicherheitstechnische Aspekte
• Mitfahr- / Behandlungsverweigerung beim Kind: Auch bei Kindern und
Jugendlichen müssen therapeutische Maßnahmen durch ausdrückliche,
stillschweigende oder mutmaßliche Einwilligung abgesichert sein. Bis zum
14. Lebensjahr wird eine Einwilligungsfähigkeit in der Regel nicht
angenommen (Einwilligung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten). Bei
gegebener Einsichts- und Urteilsfähigkeit (Beurteilung im Einzelfall) können
verständige Jugendliche in eine notwendige Therapie selbst einwilligen; bei
schwerwiegenden Eingriffen ist die Einwilligung der Eltern / Sorgeberechtigten
erforderlich. Medizinisch gebotene, nicht aufschiebbare Maßnahmen sind
sofort und ggf. auch ohne Einwilligung von Patient / Sorgeberechtigtem zu
ergreifen. Ansonsten ist ggf. die Einwilligung des Vormundschaftsgerichtes
einzuholen (§ 1666 I BGB). Grundsätzlich sind Selbsttötungsversuche von
Kindern und Jugendlichen uneingeschränkt zu verhindern ! (Nicht-
verhinderung gilt bei bestehender Garantenstellung juristisch als Totschlag
durch Unterlassen; vgl. OLG München, NJW, 2940, 2942).
• Bestimmte Geräte, wie z. B. Gurte auf Fahrtragen, sind primär auf Erwachse-
ne ausgelegt und müssen zum Einsatz bei Kindern ggf. modifiziert werden.
So existieren z. B. verstellbare Rückhaltesysteme für Kinder (z. B. c.a.t.®).

F. Vergiftungen bei Kindern:
• Kinder nehmen „alles“ in den Mund (z. B. Haushaltschemikalien, Pflanzenteile).
• Für Kinder haben Antihistaminika eine hohe Toxizität!
• Bei Kindern ist das Auslösen von Erbrechen mit Salzwasser (Gefahr der

Hypernatriämie) oder Apomorphin kontraindiziert!
• Nur wenige der akzidentellen Substanzaufnahmen durch Kleinkinder sind

lebensbedrohlich. Demgegenüber stehen Gefährdungspotentiale durch fehler-
hafte Erste Hilfe (z. B. Kochsalzgabe; nachfragen !) und invasive therapeutische
Maßnahmen. Daher ist eine sorgfältige Indikationsstellung und eine Abklärung
mit einer Vergiftungszentrale dringend zu empfehlen. Vgl. Kapitel 12.
• Zur Magenspülung physiologische, gewärmte Kochsalzlösung verwenden !
(Etwa 4 - 10 ml / kg KG pro Spülphase.)

G. DD Atemstörungen / Atemnot bei Kindern:
• allergische Reaktion / Anaphylaxie (s. S. 232 f.)
• Asthma bronchiale (s. S. 306 f.)
• verschluckter / aspirierter Fremdkörper (s. S. 332 f.)
• Pseudokrupp oder Epiglottitis (s. S. 334 ff.)
• entzündliche Erkrankungen der Bronchien
• ggf. auch an Thoraxtrauma oder Intoxikation denken
• Insbesondere bei wiederkehrender Atemnot/Zyanose, an das Vorliegen

eines Herzfehlers (z. B. Rechts-Links-Shunt) denken (s. S. 346).

11.2 · Reanimation bei Kindern 329 11

Reanimation bei Kindern I

Zur Reanimation allgemein s. Kapitel 5
Indikationen für die CPR, Durchführung der Thoraxkompressionen

Altersstufe Ort der Indikation Arbeitsfrequenz
des Kindes Pulskontrolle für CPR - Beatmung
- Thoraxkompr.

Neugeborenes A. umbilicalis/ HF < 60 / min 30 / min*
(s. S. 310 ff.!) Auskultation 100 / min
... trotz
suffizienter
Beatmung

Druckpunkt Rippenbogen entlangfahren (proc. xiphoideus)

1 Querfinger Richtung Kopf anlegen, daneben aufsetzen

Drucktechnik 2 Finger aufsetzen (1 Helfer) oder Brustkorb

umgreifen (mit beiden Daumen komprimieren; 2 Helfer)

Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen 3:1

Säugling A. brachialis HF < 60 / min 20 / min*
100 / min
(Auskultation)
15:2
Druckpunkt/-technik siehe Neugeborene 30:2)

Drucktechnik siehe Neugeborene

Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen

(Ersthelfer allein sowie Laien wie bei Erwachsenen:

Kind, 1 Jahr A. carotis fehlende Zeichen... 12-20 / min*
bis Pubertät ... der Zirkulation 100 / min

Druckpunkt/-technik siehe Neugeborene; statt Finger: 1-2 Handballen

Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen 15:2

(Ersthelfer allein sowie Laien wie bei Erwachsenen: 30:2)

Jugendlicher, A. carotis fehlende Zeichen... 10 / min*

ab Pubertät ... der Zirkulation 100 / min

Druckpunkt Mitte des Thorax; untere Brustbeinhälfte

Drucktechnik dort beide Handballen übereinanderlegen

Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen 30:2

(gilt für Ein- und Zweihelfer-Methode)

* Beatmungsfrequenz nach Intubation / ohne Thoraxkompressionen.

Drucktiefe: Der Brustkorb soll jeweils zu einem Drittel eingedrückt werden
(entspr. beim Säugling 2 cm, beim Kind 3 - 4 cm, beim Jugendlichen 4 - 5 cm).

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Pädiatrische Notfälle 332 Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle

Aspiration / Bolusgeschehen

Zur Pathophysiologie vgl. auch S. 210 f.

Definition: Als Aspiration bezeichnet man das Anatmen verschiedener Materiali-
en / Gegenstände / Flüssigkeiten, die dann durch Verbleiben in den Atemwegen
(Luftröhre, Bronchialsystem) die Atmung behindern und evtl. die Lunge schädi-
gen. Auch durch Verschlucken von Fremdkörpern, die dann durch ihren Sitz in
der Speiseröhre von hinten die Luftröhre abdrücken (dort ist die Luftröhre nicht
mit Knorpel stabilisiert), kann die Atmung gestört werden.

Ursachen
a) Bei der Geburt: Mekoniumaspiration (Mekonium = „Kindspech“; erste Darm-

entleerung des Neugeborenen). Vor allem bei übertragenen Neugeborenen.
b) Postnatale Phase (nach der Geburt): Aspiration von Nahrungsmitteln (z. B.

Milch; häufig bei Erbrechen in Rückenlage), Puder (gefährlich, weil dieser tief
in die Atemwege eindringt).
c) Säuglinge und Kleinkinder: Aspiration fester Nahrungsbestandteile (z. B. Erd-
nüsse) und anderer kleiner fester Gegenstände verschiedenen Materials (z. B.
Spielzeug).

Pathophysiologie
Bei festen Körpern kommt es meist durch den aspirierten Gegenstand zu einem
Ventilmechanismus (Inspirationsluft kann einströmen - Exspirationsluft jedoch
nicht entweichen). Folge ist eine Überblähung der betroffenen Lungenabschnitte,
evtl. mit Verlagerung des Herzens und Zwerchfelltiefstand. Bei Aspiration von
Flüssigkeiten können neben Bronchospasmen durch Reizung der Bronchien Schä-
digungen der Alveolen und schwere Pneumonien die Folge sein.

In der Klinik: Versuch der endoskopischen Entfernung des Fremdkörpers.

Praxistipps
• Jeder Verdacht auf eine Fremdkörperaspiration ist umgehend einer

endoskopischen Untersuchung (vorher Röntgen) zuzuführen, auch wenn
sonstige klinische oder radiologische Hinweise fehlen.
• Vorsicht bei Racheninspektion: reflektorischer Herzstillstand möglich!
• Es muss nicht immer ein akutes Ereignis zugrundeliegen. Z.B. kann eine
zurückliegende Aspiration mit Ventilmechanismus (Lungenüberblähung) oder
Lungenentzündung (Pneumonie) zu einer ähnlichen Symptomatik führen.
• DD: (Pseudo-) Krupp-Syndrom, Epiglottitis, Laryngitis, Bronchitis, Asthma.
• Wenn nach anamnestisch mitgeteilter Fremdkörperaspiration keine
Atemnot / Hypoxiezeichen vorliegen: Keine präklinischen Maßnahmen der
Fremdkörperentfernung (z. B. Laryngoskopie, Heimlich-Manöver), da der
Fremdkörper durch Lageveränderung eine bedrohlichere Situation verur-
sachen kann (z. B. Hängenbleiben im subglottischen Raum)!

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Pädiatrische Notfälle 334 Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle

Epiglottitis / Pseudokrupp

Allgemeines: Der Luftwiderstand einer Röhre ist umgekehrt proportional zur vier-
ten Potenz des Durchmessers (Hagen-Poiseuille). Das bedeutet, dass schon eine
geringe Abnahme des Durchmessers (Stenosierung, Bronchokonstriktion, Ver-
legung), z. B. der Luftröhre, eine starke Erhöhung des Atemwiderstandes zur
Folge hat. Die Atemarbeit wird somit erschwert.

Pseudokrupp (Infektkrupp, akute obstruktive subglottische Laryngitis /
stenosierende Laryngotracheitis):
• Ätiologie / Pathogenese: Virusinfektion; Schwellung und Borkenbildung im

Bereich unterhalb des Kehldeckels (unterer Kehlkopfausgang und obere
Trachea - subglottische Lokalisation); hohe Luftverschmutzung wirkt sich
begünstigend aus, ebenso eine hohe Belastung der Innenraumluft, z. B. durch
Tabakrauch.
• Verlauf: Meist leichter Verlauf, der durch medikamentöse Therapie (s. rechts),
vor allem frühzeitige Kortisongabe, im Allgemeinen gut beherrschbar ist.
Jedoch kann sich bei nicht ausreichender oder ausbleibender Therapie ein
schweres Krankheitsbild bis hin zum Tod entwickeln. Bei Zyanose besteht
Lebensgefahr. Todesangst (bei Eltern und Kind) und körperliche Unruhe
steigern den Sauerstoffbedarf. Laryngoskopie (wegen nicht auszuschließen-
der Möglichkeit der Epiglottitis) kontraindiziert.

Akute Epiglottitis (akute obstruktive supraglottische Laryngitis):
• Ätiologie / Pathogenese: Bakterielle Entzündung; betroffen meist Rachenraum

und Kehlkopfeingang (supraglottisch); Erreger meist Hämophilus influenzae B
(seit Einführung der H. influenzae-Impfung ist die akute Epiglottitis sehr selten
geworden). Der Altersgipfel liegt zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr. Etwa 400-
mal seltener als Pseudokrupp. Im Rahmen einer Entzündungsreaktion kann der
Kehldeckel auf ein Vielfaches seiner normalen Größe anschwellen und zu einer
lebensbedrohlichen Verlegung der Atemwege führen. Jegliche Manipulation im
Rachenbereich kann den Prozess des Anschwellens drastisch beschleunigen.
• Laryngoskopie oder andere Formen der Racheninspektion sind absolut
kontraindiziert! Wenn das Laryngoskop in die Hand genommen wird, dann
nur zur sicheren Intubation. Auch andere Manipulationen am Kind
vermeiden.
• Verlauf: Hochakutes Krankheitsbild, das zur stationären (Intensiv-)Therapie
häufig die endotracheale Intubation (meist ohne maschinelle Beatmung)
erforderlich macht; bei ausreichender Behandlung meist Extubation nach
wenigen Tagen. Bei unzureichender oder zu spät einsetzender Therapie ist die
Letalität (Sterblichkeit) hoch.
• Beachte: Bei Epiglottitis Lungenödem nach Intubation !
• Vorsicht bei Racheninspektion: Reflektorischer Herzstillstand möglich !

11.4 · Epiglottitis/Pseudokrupp 335 11

Epiglottitis / Pseudokrupp I !
Symptomatik / Differenzialdiagnose: nächste Seite

Einfache Therapie-Maßnahmen, ggf. durch Eltern

Pseudokrupp Epiglottitis

• Basischeck, Basismaßnahmen

• Beruhigung von Kind und Eltern

• lückenlose, sichere Überwachung

• Anfeuchten der Atemluft (z. B. im • immer Klinikeinweisung (NA!),

Badezimmer warme Dusche • bequeme Sitzposition

laufen lassen) • wenig Manipulationen am Kind!

• ausreichende Flüssigkeitszufuhr

• ggf. Sauerstoffgabe, Freimachen / Freihalten

der Atemwege (Vorsicht!), ggf. Beatmung

Notfalltherapie • Evtl. Notfallantibiose

• Jegliche Manipulationen im

Rachen- / Kehlkopfbereich

generell vermeiden!

Endotracheale Intubation bei...

[Intubation selten • ...Ermüdung des Kindes [Bei Ateminsuffizienz

erforderlich • ...Zyanose kann eine Überbrückung

(<1 % der Fälle!)] • ...Bewußtseinsstörung mit (assist.) Masken-Beutel-

• ...stark reduzierter Beatmung versucht

Lungenbelüftung werden.

• ...ausgeprägtem Stridor Zur Intubation s.u.]

Sollte die endotracheale Intubation dennoch notfallmedizinisch erforderlich wer-
den, dann ist diese in einem Versuch durch den Erfahrenen durchzuführen (Be-
achte: Sofortiges Zuschwellen der Atemwege durch Manipulationen!) Intubati-
on im Sitzen (Kind)! Danach ist ein zweiter Intubationsversuch oft nicht mehr
möglich! Als Ultima Ratio bleibt dann die Trachealkanülierung. Das Anlegen eines
venösen Zugangs vor einer notwendigen Intubation ist abzuwägen: Zeitverlust
und Forcierung des Zuschwellens (Aufregung und Schreien) bedenken.

Vor Intubation ggf.:
• Gabe von Sedativa, z. B. Diazepam rektal (Kind < 15 kg KG: 5 mg Rectiole /

Kind > 15 kg KG: 10 mg Rectiole)
• Atropin (0,01 mg / kg KG i.v.; ggf. auch s.c. möglich)

Nur bei Pseudokrupp:
Kortikoide (z. B. Prednisolon rektal), Antipyretika (z. B. Paracetamol rektal)
Ggf. inhalative Anwendung eines Adrenalin-Sprays (bei Auftreten von Dyspnoe
und Einziehungen - s. S. 484).

336 Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle

! Notfall: Epiglottitis / Pseudokrupp II

Pädiatrische Notfälle Pseudokrupp Ursache Epiglottitis
Viren Alter
Bakterien
6 Monate - 3 Jahre (meist Hämophilus influenzae)
(selten älter - bis 7 Jahre)
2 - 6 Jahre
(selten jünger / bis 15 Jahre)

allmählich Beginn, Verlauf rasch fortschreitend

befriedigend Allgemeinzustand schwer krank
Körperhaltung sitzend, nach vorne gebeugt
jede Position, oft liegend
bei schwerer Symptomatik sitzend Mund offen,
Speichelfluss verstärkt
geschlossen, Nasenflügeln
(normaler Speichelfluss)

heiser bis aphonisch Stimme kloßig, nicht heiser
Atemgeräusch
inspiratorischer Stridor inspiratorischer Stridor
mit Einziehen mit Einziehen

trocken, bellend Husten keiner

keine (zumindest werden Schluckbeschwerden stark (außerdem starke

Getränke noch akzeptiert) Halsschmerzen und

Nahrungsverweigerung)

mäßig Atemnot zunehmend / deutlich / stark
bei schwerer Symptomatik stark

unterschiedlich (meist mäßig) Fieber hoch (39° - 40°)
schneller Anstieg

eventuell Zyanose eventuell
Lokalbefund
entzündliche Schwellung der Schwellung des Kehldeckels
Schleimhaut unterhalb des (wie eine Kirsche aufgetrie-
Kehlkopfes ben), evtl. des ganzen Halses

Differenzialdiagnostisch können gleiche oder ähnliche Symptome auch durch
eine Kehlkopfdiphterie (echter Krupp; sehr selten) hervorgerufen werden. Der
Beginn ist jedoch langsamer und im Rachenraum finden sich typische
grau-weiße Membran- / Schleimhautbeläge. Ggf. auch an Fremdkörperaspiration
denken.

Alarmzeichen für eine Lebensbedrohung sind: periorale Blässe, Zyanose,
Tachypnoe, Tachykardie (präfinal: Bradykardie!).

11.5 · Invagination 1 13 3 7

Invagination !

Definition
Einstülpung des Dünndarms (meist im Bereich des Übergangs vom Dünndarm
in den Dickdarm = Ileozökalbereich). Durch die Darmperistaltik wird diese
Einstülpung dann weiter vorangeschoben.

Ædistal proximal
(After) Æ (Magen)

Invagination normaler Invagination
allgemein Ileozökalbereich im Ileozökalbereich

Ursachen: Z. B. Entzündungen, Organ-Adhäsionen, Polypen.
Gefahr: Da das Mesenterium mit den versorgenden Blutgefäßen mit eingestülpt
wird, kommt es im betroffenen Darmabschnitt zu Minderdurchblutung (Isch-
ämie; arterielle Gefäße abgedrückt) und Schleimhautblutungen bzw. Blutaustritt
in das Darmlumen (venöse Stauung).
Verlauf: Bei Ausbleiben entsprechender Behandlung kommt es zum Bild des
Akuten Abdomens mit Ileus und Peritonitis bis hin zum Tod.
In der Klinik: Devagination wird oft mittels Kontrastmitteleinlauf erreicht. Ggf.
muss operativ eingegriffen werden.

Symptomatik
• Alter meist zwischen 3. und 36. Monat, meist Buben
• Beginn aus voller Gesundheit heraus oder bei Durchfallerkrankungen:

Plötzliches Auftreten der Symptomatik des Akuten Abdomens mit
schwersten krampfartigen Bauchschmerzen, die anfallsweise auftreten
• Aufschreien und Zusammenkrümmen, Angst, Kaltschweißigkeit, Erbrechen
• Zwischen den Schmerzattacken evtl. beschwerdefrei
• Blutiger Stuhl, Blut und Schleim am rektal untersuchenden Finger
• Evtl. walzenförmige Masse im Bauch tastbar

Notfalltherapie
• Vorgehen wie bei Akutem Abdomen (s. S. 290 ff.)

• Bei Verdacht auf Invagination: Einweisung in eine Kinderklinik.
• Orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sind wegen evtl.

bevorstehender Operation kontraindiziert.

Pädiatrische Notfälle 338 Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle

Krampfanfall

Differentialdiagnose des kindlichen Krampfanfalles

Bei Kindern treten Krampfanfälle vor allem in folgenden Formen auf:
a) Zerebraler Krampfanfall

Chronische Disposition:
• Epileptischer Anfall: angeborene / erworbene Epilepsie (Blitz-Nick-
Salaam, Absencen, Pyknolepsie, Grand-Mal usw.; vgl. S. 196 f.)

Gelegenheitskrampf:
• Fieberkrampf: Alter des Kindes meist zwischen 6 Monaten und 5 Jahren.
Hinweis: Ab einer Krampfdauer über 10 min spricht man auch von einem
komplizierten Fieberkrampf.
• Infekt-Krampf: z. B. durch Meningitis (Symptom: Nackensteifigkeit).
• Exsikkotischer Krampf: Flüssigkeitsmangel (erkennbar z. B. an stehen-
den Hautfalten), z. B. bei Dehydratation durch Infektion.
• Hitze-Krampf: Hitzschlag (z. B. Kind im heißen Auto gelassen), Sonnen-
stich (Sonneneinstrahlung auf ungeschützten Kopf ➯ Symptom: hochro-
ter Kopf) (s. Kapitel 13).
• Toxischer Krampfanfall: Vergiftung (daran denken!! ➯ Ursache
behandeln.)
• Posttraumatischer Krampfanfall: nach Schädel-Hirn-Trauma (Commotio
cerebri, Blutung u. ä.)

b) Primär nicht zerebraler Krampfanfall / Bewusstseinsstörung
• Affekt-Krampf: Angst, Wut, Schmerz, Tadel, Schreck, Sturz können bei
Säuglingen und Kleinkindern oft als Trotzreaktion (meist Alter 6 - 18 Mona-
te) Schreikrämpfe auslösen. Davon sind ungefähr 4 % aller Kinder unter
5 Jahren betroffen. Der Mechanismus verläuft entsprechend einer
Hyperventilationstetanie (Hypokapnie ➯ Engstellung der Hirngefäße
➯ Synkope, Atemstillstand bis hin zu Zyanose und Krampfanfall). Ein
Affektkrampf dauert in der Regel nicht länger als 1 Minute, ist aber
notfallmäßig von einer anderen Anfallsform nicht abgrenzbar (höchstens
Verdacht). Abklärung in der Klinik wie bei jedem anderen Krampfanfall.
• Synkope: (s. 188 ff.): Vor allem bei älteren Kindern.
• Hypoxämischer Anfall: durch kardial bedingten Sauerstoffmangel (s. S.
346).

c) Ansonsten können einem kindlichen Krampfanfall ebenfalls Ursachen wie
beim Erwachsenen zugrunde liegen (außer Eklampsie): Stoffwechsel-
störungen (z. B. Unterzuckerung ➯ Blutzuckertest!), Tumor, Schädel-Hirn-
Trauma (an sub- / epidurale Blutung denken), Stromunfall.


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