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Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

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Published by NoSpam, 2018-01-10 22:07:49

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

6.1 · Synkope 6189

Synkope !

Symptomatik
(Differenzierung s. folgende Seiten)
• Blässe, Schwarzwerden vor den Augen
• (kurzzeitige) Bewusstlosigkeit / Ohnmacht, evtl. Krampfgeschehen
• Tonusverlust der Muskulatur, Zusammensinken
• gelegentlich: Schwitzen, Bradykardie, kurzer klonischer Krampfanfanfall,

Blutdruckabfall, häufig rasche Erholung

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Abklärung der Ursache der Synkope (z. B. Blutzuckertest, Hilfsschema s.

folgende Seiten) und Durchführung entsprechender spezifischer Maßnahmen
• Achtung: Im Zweifelsfall immer kompletten Basischeck durchführen.

Mögliche Verletzungen durch Sturz bedenken !
• Untersuchung, Standardtherapie
• in schweren Fällen: venöser Zugang, Infundieren von Vollelektrolytlösung
• Medikamente:

• Sympathomimetika, z. B.
- Etilefrin (Erwachsene: 1 - 10 mg i.v.; 1 Ampulle mit NaCl 0,9% auf 10 ml
verdünnen und in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungs-
eintritt dosieren) oder
- Theodrenalin und Cafedrin [Akrinor®] (Erwachsene: 0,2 - 2 ml i.v.;
1 Ampulle mit NaCl 0,9 % auf 10 ml verdünnen und in 1-ml-Schritten
langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt dosieren)

• ggf. Therapie der zugrunde liegenden Störung

Bewusstseinsstörungen 190 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

Synkope - Differenzialdiagnostisches Hilfsschema

1. Ist eine Herzerkrankung bekannt? Hat der Pat. vor der Synkope Herzstolpern
oder Herzrasen bemerkt? Sind Herz-Rhythmusstörungen im EKG sichtbar?

ja ➯ Verdacht auf kardiale Synkope
s. Herz-Rhythmusstörungen (Kapitel 4)

2. Hat der Patient eines der folgenden Symptome gespürt ? Lähmungserschei-
nungen oder Gefühlsausfälle in den Gliedern, Sehstörungen, Verwirrtheit,
Sprachschwierigkeiten, plötzliche starke Kopfschmerzen

ja ➯ Verdacht auf Schlaganfall (TIA, PRIND, Apoplexie - s. S. 198 ff.)
➯ Klinikeinweisung

3. Ist bei dem Patienten eine diabetische Erkrankung bekannt ? Hat der Patient
Heißhunger? Hat der Patient schon länger keine Nahrung mehr zu sich
genommen?

ja ➯ Verdacht auf Hypoglykämie (s. S. 192 f.) ➯ Blutzuckerbestimmung !

4. Fühlt der Patient ein Kribbeln in den Händen? Hat der Patient eine
Pfötchenstellung bei bestehender Hyperventilation?

ja ➯ Hyperventilationstetanie bzw. -syndrom ➯ s. S. 208 f.

5. Hat der Patient in letzter Zeit ein Schädeltrauma erlitten (z. B. sich den Kopf
gestoßen)?

ja ➯ Verdacht auf epi- oder subdurales Hämatom ➯ s. Kapitel 9

6. Ist die Patientin schwanger oder besteht die Möglichkeit?

ja ➯ Schwäche und Ohnmacht sind häufige Schwangerschaftsphänomene;
in Rückenlage mögliches Vena-cava-Kompressionssyndrom (Schwanger-
schaft im letzten Drittel - s. Kapitel 10) ➯ durch Facharzt (Gynäkologen) abklä-
ren; im Zweifel: Linksseitenlagerung

7. Hat die Patientin zur Zeit ihre Regelblutung oder steht sie kurz davor ? Hat die
(meist junge) Patientin Unterbauchschmerzen?

ja ➯ Verdacht auf Praemenstruelles Syndrom ➯ durch Facharzt (Gynäkolo-
gen) abklären (Beachte: gynäkologische Blutung, s. Kapitel 10)

6.1 · Synkope 6191

8. Ist die Regel ausgeblieben (Frauen im gebärfähigen Alter)?

ja ➯ Verdacht auf Schwangerschaft / Extrauteringravidität (s. Kapitel 10)
➯ Abklärung durch (Haus-) Arzt / Gynäkologen (Beachte: Schock bei
Extrauteringravidität / Tubarruptur ➯ Klinik: Not-OP)

9. Hatte der Patient ein seelisches Schockerlebnis (z. B. Aufregung, Schreck)?

ja ➯ Verdacht auf vasovagale Synkope ➯ Beruhigung, Ausschluss anderer
Möglichkeiten, Vorstellung beim Arzt

10.Ist der Patient hastig aufgestanden, bevor er „umkippte“ ?

ja ➯ Verdacht auf orthostatische Fehlregulation ➯ Abklärung durch
(Haus-) Arzt

11.Hat der Patient sich lange in warmer oder enger Umgebung aufgehalten?

ja ➯ Verdacht auf Hitzekollaps (s. Kapitel 13)

12.Nimmt der Patient Antihypertonika?

ja ➯ Verdacht auf Überdosierung oder verstärkte Wirkung ➯ ggf. durch
(Haus-) Arzt abklären

13.Hat der Patient (starke) Schmerzen?

ja ➯ Verdacht auf vasovagale Reaktion ➯ unbedingt Ursache der
Schmerzen abklären

14.Gibt es Hinweise auf akuten Blutverlust? (z. B. zurückliegendes Bluter-
brechen, Teerstuhl, starkes Nasenbluten, Akutes Abdomen, starke
Menstruation, Schocksymptomatik usw.)

ja ➯ Verdacht auf Volumenmangel (s. Kapitel 8) / Exsikkose

15.Leidet der Patient unter heftigem, evtl. länger anhaltendem Erbrechen oder
Durchfällen?

ja ➯ Verdacht auf Exsikkose / Elektrolytstörungen (s. Kapitel 14)

Bewusstseinsstörungen 192 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

! Akute Hypoglykämie

Definition

Absinken des Blutzuckers unter 50 mg/dl (< 2,8 mmol/l). Erste Symptome oft
schon unter 70 mg/dl (< 3,9 mmol/l); schwerere Symptome
(Bewusstseinsstörungen) bereits unter 60 mg/dl (< 3,3 mmol/l) mgl. (bei Gesun-
den bis zur Nahrungsaufnahme i. d. R. ausreichend hormonell kompensiert). Da
aber im RD Messtoleranzen um 20 % vorkommen und eine Hypoglykämie bei
Diabetikern rasch zunehmen kann, sollte ab Messwerten unter 60 mg/dl (< 3,3
mmol/l) mit entsprechender Symptomatik gehandelt werden (Glukosezufuhr bei
Ansprechbarkeit möglichst oral).

Ursachen

• (Relative) Überdosierung von Insulin (Verwechslung, Versehen, Suizidabsicht);
zu geringe/zu späte Nahrungsaufnahme bzw. Erbrechen; Insulinüberhang nachts
(unbemerkte Hypoglykämie im Schlaf)

• Erniedrigung des Insulinbedarfes (z. B. bei starker körperlicher Belastung; nach
Erholung von einer Infektion, nach Gewichtsreduktion, nach Entbindung)

• Überdosierung von Sulfonylharnstoffen (Glinide)
• Alkoholintoxikation (bei Diabetikern ab 20 g; sonst insbesondere bei fehlender

Nahrungsaufnahme > 48 Stunden oder bei Lebererkrankungen)
• Hypothyreose und Nebennierenrindeninsuffizienz
• bei Nicht-Diabetikern: evtl. durch insulinproduzierenden Tumor (Insulinom)

Symptomatik

• Entwicklung plötzlich (Minuten bis Stunden).
• Symptome der adrenergen Gegenregulation (können z. B. bei Betablocker-

einnahme fehlen):
- Unruhe, Zittern, Schwitzen; evtl. akuter Erregungszustand (evtl. Aggressivität)
- Heißhunger, Herzklopfen, Bauch-, Kopfschmerzen, Schwächegefühl
- normal tiefe, schnelle Atmung; Tachykardie, Blutdruck normal bis erhöht
• Symptome des Glukosemangels auf das Nervensystem:
- Somnolenz/Bewusstlosigkeit
- unkontrolliertes Verhalten, Sprach- und Sehstörungen; evtl. Krämpfe
• Blutzuckertest: Werte niedrig, i.d.R. unter 60 mg/dl (< 3,3 mmol/l)

Blutzuckermessstreifen und elektrosensorische Messgeräte sind nur zur gro-
ben Akutdiagnostik und zur Selbstkontrolle geeignet und nicht für die Diagnose-
stellung des Diabetes mellitus! Die Messgeräte dürfen (trotz der im
Rettungsdienst regelmäßig vorgeschriebenen Funktionskontrollen nach § 4 EichO/
MPBetreibV i. V. m. BÄK-Richtlinie) Abweichungen bis zu +/- 16 % aufweisen.

6.2 · Diabetes mellitus 6193

!

Notfalltherapie

• Basischeck, Basismaßnahmen (ggf.Seitenlage), Standardtherapie
• Patient bei Bewusstsein ➯ orale Zuckerzufuhr, am besten Traubenzucker:

- hypoglykämische Symptome, BZ 60–70 mg/dl (3,3–3,9 mmol/l) ➯ 8 g p. o.
- < 60 mg/dl (< 3,3 mmol/l) ➯ 16 g p. o.; z. B. als Dextroenergen®-Täfelchen (1

Täfelchen = 4 g) ggf. alternativ zuckerhaltige Lösungen (Cola/Limonade; keine
„Light-Getränke“, die sich häufig bei Diabetikern finden ➯ wirkungslos!; bei
Acarbose- oder Miglitoltherapie ist nur Glukose wirksam, nicht z. B. Rohrzucker
= Saccharose; nur echte Fruchtsäfte und glukosehaltige Getränke wirken!)
• Medikamente (sofern keine orale Traubenzuckergabe möglich):
- Glukose 40 % (je nach Bedarf 20–40 ml unter laufender (!) Infusion, evtl.
wiederholen), cave: gefäßschädigende Wirkung! (Langsam injizieren!)
- Bei Bewusstlosigkeit und schwierigen Venenverhältnissen: Glukagon s.c./i.m.
erwägen (ggf. z. B. im Kühlschrank des Pat. nachsehen!) – vgl. S. 515)
• Bei Insulinpumpenträgern ggf. s.c.-Nadel herausziehen, Display-Informa-
tionen notieren, Batterie nicht entfernen

Praxistipps
• Gefahr von Hirnschädigungen durch längerdauernde Hypoglykämie ➯ frühest-

möglich Glukose zuführen. Bei längerdauerndem hypoglykämischen Koma (ver-
zögertes Erwachen nach Glukosezufuhr) sollte eine Schädel-CT zur Hirnödem-
feststellung durchgeführt werden (Auswahl der Zielklinik).
• Auch bei guter Erholung des Patienten vor Ort i.d.R. klinische Abklärung (v. a.
bei Nichtdiabetikern)! Von einer Klinikeinweisung kann bei einem kurzen Ein-
zelereignis abgesehen werden, wenn die Ursache klar identifiziert ist, die der
aufgeklärte und verständige Patient im Anschluss vermeiden kann, und ein zu-
verlässiger Beobachter mit Messmöglichkeit noch für einige Zeit vor Ort bleibt.
• Faustregel: 10 g Glukose (= 25 ml Glukose 40 %) steigern den Serumblutzucker
um 100 mg/dl. Aber anschließend rascher BZ-Abfall durch Auffüllung der
Speicher und Verstoffwechselung. Prophylaxe einer erneuten Hypoglykämie
durch orale Gabe langwirksamer Kohlenhydrate (1–2 BE, z. B. in Form von Brot)
oder langsame Glukoseinfusion (5–10%).
• Patienten mit Unterzuckerung sind gelegentlich verwirrt und aggressiv. Sie
können enorme Kräfte mobilisieren ➯ Eigenschutz!
• Häufig wird der Rettungsdienst bei Hypoglykämien wegen Verhaltensauf-
fälligkeiten hinzugezogen (z. B. Aggression, Verwirrtheit, lallende Sprache), die
in dieser Form z. B. auch bei Alkoholintoxikation, Schlaganfall und psychiatri-
schen Notfällen vorkommen. Nie leichtfertig Diagnosen stellen; immer Blut
zuckertest! Trotz evtl. Alkoholkonsum ➯ nie alles auf den Alkohol schieben!
• Beachte, dass unterwiesene Laienhelfer oder der Patient selbst als Notfall-
maßnahme eine Glukagon-Injektion vorgenommen haben können, deren Wir-
kung etwa mit 10 min Verzögerung einsetzt und bei der weiteren Versorgung
berücksichtigt werden sollte (vgl. S. 515).

Bewusstseinsstörungen 194 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

! Ernste Hyperglykämie (Coma diabeticum)

Definition
Langsam einsetzende Bewusstseinstrübung durch starken BZ-Anstieg bei

a) bekannter Zuckerkrankheit (am häufigsten): z. B. durch Infektionen ausge-
löst, durch Insulinunterdosierung (Patient selbst oder Pflegepersonal)
schwere Erkrankungen, hyperglykämische Medikamente

b) noch nicht diagnostizierter Zuckerkrankheit (Erstmanifestation)

Der relative oder absolute Insulinmangel bewirkt eine Gegenregulation durch
Stresshormone (Glukagon, Kortisol, Adrenalin, Wachstumshormon). Die extreme
Hyperglykämie führt zu Veränderungen im Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettstoff-
wechsel mit verschiedenen Folgen in zwei Formen (etwa 30 % der Patienten
weisen beide Komponenten in unterschiedlichen Verhältnissen auf):

• Diabetische Ketoazidose: Hyperglykämie (> 250 mg/dl; > 13,9 mmol/l),
Ketonsubstanzen in Blut und Urin erhöht nachweisbar und Azidose (arterieller
pH < 7,3). Ca. 10 Fälle/100.000 Einwohner/Jahr; ca. 25% Erstmanifestation und
75% bei bekanntem Diabetes (häufiger Typ-1- als Typ-2-Diabetes).

• Hyperosmolares hyperglykämisches Syndrom (etwa dreimal höhere Letalitä
und zehnmal seltener als diabet. Ketoazidose): schwere Hyperglykämie (> 600
mg/dl; > 33,3 mmol/l). Hyperosmolarität des Blutes ➯ gesteigerte Urin-
produktion (osmotische Diurese ➯ Dehydratation). Eine Insulinrestsekretion
hemmt die Lipolyse und Ketogenese, kann aber die Hyperglykämie nicht ver-
hindern (langsamere, aber letztlich schwerere Hyperglykämie und Dehydratation
als bei Ketoazidose; Verstärkung durch vermindertes Durstgefühl älterer
Menschen, Diuretika-Therapie und Niereninsuffizienz).

Symptomatik

• Somnolenz bis Koma (auch Fälle ohne Bewusstseinstrübung kommen vor)
• Durst, vermehrtes Trinken und Wasserlassen
• Zeichen der Exsikkose: Gewichtsverlust, herabgesetzter Hautturgor (stehende

Hautfalten), trockene Haut und Schleimhäute (Zunge), eingesunkene Augen
• Tachykardie, Blutdruck normal/erniedrigt; schlaffer Muskeltonus, Kraftlosigkeit
• häufig Infektion vorangehend, Körpertemperatur meist aber normal/erniedrigt

Zusätzliche Zeichen der diabetischen Ketoazidose (meist Typ-1-Diabetes):
• langsame Entwicklung (über Stunden bis Tage)
• häufig Abgeschlagenheit, Übelkeit, z. T. schwere Bauchschmerzen.
• Tiefe Atmung (Kussmaul-Atmung wegen metabolischer Azidose).
• Azetongeruch (wie Nagellackentferner) in der Ausatemluft.
• Blutzuckertest: Werte hoch, meist über 250 mg/dl (> 14 mmol/l), selten über

350 mg/dl (> 20 mmol/l).

6.2 · Diabetes mellitus 6195

!

Symptomatik (Fortsetzung)

Zusätzliche Zeichen des hyperosmolaren hyperglykämischen Syndroms (meist
Typ-2-Diabetes):
• sehr langsame Entwicklung (über Tage bis Wochen)
• Häufig neurologische Ausfälle (Aphasien, Lähmungen, Sehstörungen mit

Gesichtsfeldausfällen), evtl. Krampfanfälle
• Blutzuckertest: Werte sehr hoch, meist über 600 mg/dl (> 33 mmol/l).

Notfalltherapie

• Basischeck, Basismaßnahmen (Blutzuckertest! Seitenlage bei Bewusstlosigkeit)
• Untersuchung, Standardtherapie
• Ausgleich des Flüssigkeitsdefizites ist die wichtigste Maßnahme bei hyper-

glykämischen Notfällen; durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr lässt sich der
Blutzucker um bis zu 25 % senken (Verdünnung und Ausscheidung über die
Niere, sofern keine Niereninsuffizienz besteht): zügiges Infundieren von VEL
(ca. 1000–1500 ml in der ersten Stunde; Vorsicht bei Herz-/Niereninsuffizienz)
• bei Schocksymptomatik: kolloidaler Volumenersatz + VEL

Praxistipps

• Bei diabetischer Ketoazidose besteht grundsätzlich ein erhebliches Kalium-
defizit (aber nicht unbedingt initial eine Hypokaliämie), das durch Insulingabe
verstärkt wird ➯ schwere kardiale Nebenwirkungen (letale Arrhythmien)
möglich ➯ keine präklinische (= unkontrollierte) Insulingabe (in der Klinik
vorher Elektrolytbestimmung und ggf. -substitution).

• Wegen der Gefahr einer Überkorrektur und Elektrolytstörung keine unkon-
trollierte Azidosekorrektur (z. B. mit NaHCO ).

3

• Bei Typ-2-Diabetes-Patienten mit Biguanid-Therapie (Metformin, z. B. Gluko-
phage®) ist bei ketoazidotischer Symptomatik mit normalem oder nur leicht
erhöhtem Blutzucker (< 300 mg/dl; < 17 mmol/l) immer an die seltene, aber in
50–80 % letale Metformin-assoziierte Laktatazidose (MALA) zu denken. Meist
nur geringe Exsikkose und kein Azetongeruch, dafür ausgeprägte Hypotonie
und Kussmaulatmung. Eine MALA muss umgehend intensivmedizinisch ver-
sorgt werden (Diagnosesicherung; frühzeitige Intubation/Beatmung; Elimi-
nation des Metformins; ggf. Azidosekorrektur und Schocktherapie).

• Eine Verschlimmerung einer Überzuckerung ist notfallmedizinisch im allge-
meinen weniger folgenschwer als eine fortdauernde Unterzuckerung ➯ steht
(ausnahmsweise) keine Blutzuckertestmöglichkeit zur Verfügung, so können
zur Diagnostik 20 (–40) ml Glukose 40 % gegeben werden.

Bewusstseinsstörungen 196 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

! Krampfanfall (Grand-mal-Anfall)

Symptomatik
• Evtl. Ankündigung durch sog. Prodromalsymptome (Aura: Der Pat. empfindet

z. B. ein „komisches Gefühl“, Magenbeschwerden, Übelkeit, Angst, Wachträume,
abnorme Geruchs-/Geschmacks-/Seh-/Hörwahrnehmungen)
• evtl. Beginn mit fokalem Krampfgeschehen
• Tonische Phase (ca. 10-30 Sekunden): Plötzliches Hinstürzen, evtl. Initialschrei,
Bewusstlosigkeit; weit geöffnete und „verdrehte“ Augen; evtl. weite, lichtstarre
Pupillen; meist zuerst Starrwerden der Muskulatur (tonischer Krampf)
• Übergang in klonische Phase (ca. 1–5 Minuten): Rhythmisches Zucken oder
Vibrieren der Muskulatur (Kloni); generalisierter Krampf, Schaum vor dem Mund
(ggf. blutig bei Zungenbiss); Zyanose, evtl. Atemstillstand; Tachykardie, Hyper-
tonie; Schwitzen
• Nach dem Anfall: röchelndes Einsetzen der Atmung, Erschlaffen der Muskula-
tur; postiktaler Dämmerzustand (Benommenheit, Verwirrtheit), Gedächtnisverlust
für die Anfallszeit und kurz danach (retrograde Amnesie), evtl. Sprachstörung,
meist Nachschlafphase von einigen Minuten (auf jeden Fall kurz wecken zwecks
Bewusstseinsüberprüfung, ansonsten ausschlafen lassen!), Muskelkater
• Da bei Eintreffen des RD der Anfall meist vorüber ist, müssen zur Abklärung von
Differenzialdiagnosen (z. B. Synkopen) Augenzeugen nach den o.g. Sympto-
men befragt werden (die Symptome, deren Dauer und Ablauf sowie ihr even-
tuelles Fehlen sind für die neurologische Abklärung in der Klinik sorgfältig zu
dokumentieren!). Außerdem muss nach weiteren charakteristischen, aber nicht
immer auftretenden Hinweisen auf einen Grand-mal-Anfall gesucht werden:
Zungenbissverletzung, Einnässen, seltener Einkoten, Forellenphänomen
(punktförmige Einblutungen in die Augenlider)
• An Verletzungen durch Sturz und extreme Muskelkräfte denken (häufig über-
sehen), z. B. hintere Schulterluxation, Wirbelkörperkompressionsfrakturen
• Status epilepticus: Krampfanfall über mehr als 5 min bei generalisiert-tonisch-
klonischen Anfällen und von 20–30 min bei fokalen Anfällen und Absencen oder
„andauernder Krampfzustand“ mit Serie von Anfällen, die sich in kurzen Ab-
ständen wiederholen, sodass der Patient über mehr als 30 min das Bewusstsein
nicht wiedererlangt. Ein generalisierter tonisch-klonischer Status epilepticus ist
lebensbedrohlich (Letalität 10 %, bei Eklampsie noch höher, s. Kapitel 10); todes-
ursächlich können Atemstillstand, Hirnödem, Lungenödem, Hyperthermie und
sekundäre Aspirationspneumonien sein.

Erstmaßnahmen
• Basischeck, Basismaßnahmen (Freihalten der Atemwege! Sauerstoffgabe ins-

bes. bei Zyanose, vgl. S. 556; Blutzuckerbestimmung)
• Schutz vor Verletzungen: Platz schaffen, nicht festhalten, Kleidung lockern,

Polsterung (v.a. des Kopfes), so früh wie möglich Zahnprothesen entfernen;
keine Gegenstände in den Mundraum einlegen (kein Beißkeil!)
• Untersuchung (Anamnese! Anfallsbeobachtung!), Standardtherapie

6.3 · Krampfanfall / Epilepsie 197 6

!

Notfalltherapie

• Medikamente

- Benzodiazepine, z. B.:

Lorazepam (0,1 mg/kgKG (1–2 mg) verdünnt langsam i.v.)

ggf. wdh., max. 10 mg

oder Clonazepam (0,5–2 mg langsam i.v.), ggf. wdh., max. 6 mg

oder Diazepam (0,25 mg/kgKG (10–20 mg) langsam i. v.)

ggf. wdh., max. 30 mg;

(bei fehlendem venösen Zugang 10–20 mg rektal mgl.)

Bei initialer Gabe von Clonazepam oder Diazepam sollte ggf. schon innerhalb

von 10 min eine Aufsättigung mit Phenytoin erfolgen (getrennter Zugang)

- Bei Eklampsie: Magnesium (s. S. 531)

- Bei Alkoholentzugsdelir: Clomethiazol (i.d.R. erst in der Klinik)

- Bei Status epilepticus ohne Ansprechen auf Benzodiazepine: Phenytoin

über separaten Zugang (15–20 mg/kgKG langsam i. v.: 50 mg/min über 5 min;

ggf. Rest über 20–30 min, max. 30 mg/kgKG) unter EKG- und RR-Monitoring

- Ultima Ratio: Barbiturat-Narkose-Einleitung, z. B. Thiopental-Natrium

(4–7 mg/kgKG i. v.), ggf. Kombination mit Opiat zur Analgesie, danach i. d. R.

Intubation und Beatmung. Alternativen zu Thiopental: Propofol, Midazolam,

Valproat. Nach Narkoseeinleitung mit Thiopental, Propofol oder Midazolam

möglichst EEG-gesteuerte Aufrechterhaltung (Klinik).

• Keine routinemäßige Medikation nach Ablauf eines Krampfanfalls.

• Bei schwer zu schaffendem venösem Zugang an die Möglichkeit eines implan-

tierten Port-Systems denken (s. S. 40)! Ggf. auch bei Erwachsenen rektale Gabe

von Diazepam (10–20 mg).

• Klinikeinweisung auf jeden Fall bei 1. Anfall, Anfall mit Verletzungen, Schwan-
gerschaft, Anfallsserien, Hinweise auf eine behandlungsbedürftige Ursache (s.
u.). In diesen Fällen sollte die Zielklinik über ein CCT verfügen.

• Überprüfen, welche Ursache dem Krampfanfall zu Grunde liegt, z. B.:
a) Epilepsie (angeboren oder erworben); häufig bei Unterbrechung oder
Dosisreduktion einer antiepileptischen Therapie, auch in der Schwangerschaft
b) Gelegenheitsanfall (einmaliger Krampf als Reaktion auf einen definierten
Reiz), z. B. Stoffwechsel- und Elektrolytstörungen (insbes. Unter- und
Überzuckerung, Urämie, Hypokalzämie, Hypomagnesämie), Hypoxie,
Schwangerschaftserkrankungen (Eklampsie), Entzugsdelir (insbes. Alkohol-
entzug, Opiatentzug), Stromunfall, Vergiftungen, Drogen und Medikamente
(z. B. Antibiotika), Fieber (meist Alter 6 Monate – 5 Jahre), Flüssigkeitsmangel
(z. B. Dehydratation bei Kindern). Häufige Auslöser (z.T. in Kombination mit
o. g. Ursachen): Übermüdung, Flackerlicht, Alkoholabusus, Stress
c) (Akute) zerebrale Schädigung (Krampfanfall als Herdzeichen!), z. B.
Enzephalitis, Meningitis, SHT, Hirntumor, Apoplexie (Krampfanfälle häufiger
bei intrakranieller Blutung als bei ischämischem Insult), Sinusthrombose

Bewusstseinsstörungen 198 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

Schlaganfall (Apoplex)

Ein Apoplektischer Insult (Schlaganfall, Apoplex) bezeichnet den Funktionsaus-
fall einer umschriebenen Hirnregion, der sich typischerweise in einem fokal-
neurologischen Defizit äußert, d. h., dass z. B. Muskelfunktionen und Wahrneh-
mungen im zugehörigen Körpergebiet ausgefallen sind.
Ein Schlaganfall kann in jedem (!) Alter auftreten, > 50 % der Fälle ereignen sich
aber bei Patienten über 70 Jahre. Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache
in Deutschland (nach Herzerkrankungen und Krebs).

Ursachen

1. Ca. 80 % zerebrale Ischämie
embolisch oder thrombotisch bedingte Minderdurchblutung, selten auch
zerebrale Hypoperfusion bei akutem Schock oder Hypoxämie
• Auftreten oft nachts (Patient wacht damit auf)
• 1–3 Tage nach einem Initialereignis können sich stark raumfordernde Media-
infarkte entwickeln (schwerste Symptomatik, zunehmende Bewusst-
seinseintrübung, Cheyne-Stokes-Atmung, gleichseitige (zum Infarkt)
Mydriasis, evtl. Streckkrämpfe)

2. Ca. 15 % Blutung (vgl. auch Kapitel 9)
a) Intrazerebrale Blutung (10 %) – Ursachen: Hypertone Massenblutung,
Aneurysmaruptur, Gerinnungsstörungen (z. B. bei Marcumar®-Behandlung)
b) Subarachnoidalblutung (SAB, < 5 %) – Ursache: Aneurysmaruptur (meist
an den Hirnbasisarterien) – Letalität: Erstruptur 20 %, Zweitruptur 70 %
(jeweils bis zu 50 % davon vor Transportbeginn). Etwa die Hälfte der Rupturen
tritt bei körperlicher Belastung auf.
• Plötzliche, stärkste Kopfschmerzen und frühe Bewusstseinstrübung
• Schweißausbruch, Übelkeit, Erbrechen
• Häufig tagsüber und von Krampfanfällen begleitet
• Bei SAB häufig sog. Vernichtungskopfschmerz und Meningismus

3. Zerebrale venöse Abflussstörung (Hirnvenen- oder Sinusthrombose)
• Schleichende, oft langsame Entwicklung der Apoplexsymptomatik über Tage
bis Wochen bei schon frühzeitig bestehenden Kopfschmerzen
• Häufig Krampfanfälle und Hirndruckzeichen
• Vorkommen während Schwangerschaft und nach Entbindung, nach
neurochirurgischen Eingriffen, bei allgemeiner Thromboseneigung (Risiko-
faktoren erfragen!) und Hirntumoren

4. Selten Dissektion (Aneurysma) oder Stenose der Arteria carotis
• Symptomatik und Vorgehen wie bei ischämischem Schlaganfall
• Z. T. Horner-Syndrom durch Sympathikusschädigung (Miosis, hängendes
Augenlid, scheinbar zurückgesunkener Augapfel auf betroffener Seite)

Eine Differenzierung des Insultes nach seinen Ursachen ist im Rettungsdienst i. d.
R. nicht möglich. Einzige Ausnahme bildet die SAB (plötzlich einschießender
Vernichtungskopfschmerz und Meningismus als zusätzliche Symptome).

6.4 · Schlaganfall (Apoplex) 199 6

Einteilung der zerebralen Durchblutungsstörungen

I asymptomatische Stenose (Gefäßverengung)
IIa TIA = Transitorische ischämische Attacke: maximal 24 h anhaltende (fokale)

neurologische Funktionsstörungen (meist < 10 min), z. B. Amaurosis fugax
(flüchtige Blindheit). Eine TIA ist nicht immer harmlos, sondern z.T. Warn-
symptom einer drohenden Apoplexie!
IIb PRIND = Prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit:
neurologische Ausfälle durch ischämische zerebrovaskuläre Störungen, die
sich nach 1 Tag bis 3 Wochen folgenlos zurückbilden
III PS = Progressive Stroke: über Stunden bis Tage zunehmendes oder
wechselndes neurologisches Defizit (Besserung möglich)
IV CS = Complete Stroke = Apoplexie: Dauerhafte neurologische Ausfälle

Stroke-Units

Stroke-Units (= engl. „Schlaganfall-Einheiten“) sind spezialisierte Versorgungs-
einrichtungen, die auf die standardisierte klinische Erstversorgung und Früh-
rehabilitation von Schlaganfallpatienten ausgelegt sind, wobei eine besonders
zügige Diagnostik (< 30–60 min) und kompetente Versorgung rund um die Uhr
gewährleistet werden muss, z. B.: sofortige Verfügbarkeit einer Schädel-CT/
Magnetresonanztomografie/Angiografie, schnelle interdisziplinäre fachärztliche
Diagnostik und Therapie (Neurologie, Neuroradiologie, Anästhesie/Intensiv-
medizin, Neurochirurgie und innere Disziplinen), spezielle therapeutische
Optionen (z. B. Thrombolyse, interventionelle Radiologie, Neurochirurgie, Gefäß-
chirurgie), speziell ausgebildetes Pflege- und Rehabilitationspersonal.

Zielsetzung

Nach einem akuten ischämischen Schlaganfall verstirbt jeder 10. Patient innerhalb
von 30 Tagen. Etwa die Hälfte der Überlebenden weist nach einem halben Jahr eine
körperliche und/oder geistige Behinderung auf. Die Behandlung bestimmter
Patienten mit frischen Schlaganfällen in Stroke-Units führt nachweislich zur
Senkung der Sterblichkeit und zu einer Verminderung der Behinderungen. Ob-
wohl es nach Schlaganfällen innerhalb kürzester Zeit (ca. 3-4 min) zu irreversiblem
Gewebsuntergang (Nekrosen) in nicht mehr durchbluteten Bereichen (Infarktzo-
ne) kommt, ist es möglich, durch Maßnahmen innerhalb weniger Stunden das
bedrohte Randgebiet um die Infarktzone herum (Penumbra) zu retten; in diesem
Gebiet ist die Durchblutung vermindert, ohne dass die Infarktschwelle schon er-
reicht ist, d.h. eine Erholung und damit eine Rückbildung der Symptome ist noch
bei rechtzeitiger Wiederherstellung der Durchblutung möglich (z. B.
Thrombolysetherapie). Eine andere Funktion der Stroke-Units ist es, Patienten mit
operablen Hirnblutungen schnellstmöglich zu erkennen, um sie der neurochirur-
gischen oder interventionell-radiologischen Versorgung zuzuführen.

Bewusstseinsstörungen 200 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

! Akuter Schlaganfall

Symptomatik

Zur neurologischen Diagnostik vgl. a. S. 99.
Immer abklären: Neu aufgetretene oder alte Symptome?

a) Karotisstromgebiet - Halbseitenstörung: Meist plötzliche sensible und/oder
motorische Ausfälle (Lähmung, Taubheit, Kribbeln) in einer Körperhälfte
• arm- und gesichtsbetont (Versorgungsgebiet der A. cerebri media), evtl. nur
„hängender Mundwinkel“ mit ungehindertem Speichelfluss, ggf. Sprach-
störung (Aphasie, z. B. Wortfindungsstörung)
• beinbetont (Versorgungsgebiet der A. cerebri anterior)
• komplette Halbseitenlähmung (Hemiplegie); evtl. auch nur einseitig „schwere
Gliedmaßen“, evtl. Herdblick
Diagnostik: Händedruckprobe (evtl. einseitig vermindert oder aufgehoben),
den Patienten die Zunge herausstrecken/die Stirne runzeln lassen.

b) Vertebralisstromgebiet (Kleinhirn/Stammhirn)
• Übelkeit, (Dreh-) Schwindel, Störungen von Gleichgewicht und
Bewegungsabläufen (Ataxie), Tinnitus, Bewusstseinsstörungen
• Schluckstörung, Sprechstörung (Dysarthrie)
• Sehstörung: Doppelbilder, Gesichtsfeldausfälle bis zur Halbseitenblindheit
(homonyme Hemianopsie, Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior)
• Gekreuzte Lähmung (Hirnnerven/periphere Nerven) oder Tetraplegie/-parese

Weitere Symptome: Kopfschmerzen, plötzlicher Vernichtungskopfschmerz
(Verdacht auf SAB), Bewusstseinsstörung/Krampfanfall (häufiger bei Blutungen),
Pupillendifferenz, evtl. Cheyne-Stokes-Atmung, Urin-/Stuhlabgang, pathologi-
sche Reflexe (Babinski), evtl. Bradykardie und Arrhythmie (Hirndruckzeichen!)

Risikofaktoren: Marcumar®-Behandlung, Embolieneigung (Diabetes mellitus,
Vorhofflimmern, Herzklappenerkrankungen), Hypertonie

Notfalltherapie

• Basischeck (RR- und EKG-Monitoring! Blutzuckertest!)
• Basismaßnahmen (Atemwege freihalten, großzügige Sauerstoffgabe!)
• Bei Lähmungen und Sensibilitätsstörungen Lagerung/venöser Zugang auf

gesunder Körperseite!
• Untersuchung, Standardtherapie
• Indikation für die Aufnahme in einer Stroke-Unit überprüfen (s. S. 202) – ggf.

direkte Anfrage bei der Stroke-Unit. Das aufnehmende Krankenhaus sollte
mindestens über eine Möglichkeit der unmittelbaren CT-Diagnostik verfügen!
Voranmeldung! (CT-Gerät einsatzbereit?)

6.4 · Schlaganfall (Apoplex) 201 6

!

Notfalltherapie (Fortsetzung)

• Medikamente:
Die medikamentösen Maßnahmen des Notarztes bezüglich des Blutdrucks sollten
zurückhaltend sein. Nur anhaltende, exzessiv hohe Werte (z. B. > 220 mmHg
systolisch bzw. > 120 mmHg diastolisch über mehr als 15 min) sollten vorsichtig
korrigiert werden (< 15 %). Durch die gestörte Selbstregulation der Hirndurch-
blutung kann eine Blutdrucksenkung zu einer Zunahme der Schädigung führen.
Insbesondere sind gefäßerweiternde Maßnahmen wegen des Steal-Effektes zu
unterlassen (Medikamente wirken zuerst in gut durchbluteten Bereichen; dort
Gefäßerweiterung; dies führt zu weiterer Abnahme der Durchblutung im geschä-
digten Bereich.). Ggf. vorsichtige Senkung; jedoch nicht unter 180/90 mmHg; vgl.
auch Kapitel 8 (Hypertensive Krise, akute Herzinsuffizienz).

- Eine arterielle Hypotonie (< 120 mmHg systolisch) sollte korrigiert werden
(z. B. mit Etilefrin)

- Bei Flüssigkeitsdefizit: VEL nach Bedarf i.v.
- Bei Krampfanfällen s. S. 196 f.
- Der Blutzuckerspiegel sollte zwischen 70 und 140 mg/dl liegen (BZ-Werte unter

60 mg/dl und über 300 mg/dl sollten kurzfristig korrigiert werden – s. S. 192 ff.)
- Bei Fieber (erhöht Risiko eines Hirnödems und Einblutung):

Antipyretika, z. B. 1000 mg Paracetamol rektal
- Auf Hirndruckzeichen achten! Ggf. Osmotherapie (z.B. Mannitol, s. S. 532)

• Auch bei TIA unbedingt Klinikeinweisung (Kriterien für Stroke-Unit prüfen, s.
folgende S.), da sich bei 10–20 % der Patienten ein Schlaganfall ankündigt
(50 % permanente Ischämie innerhalb von 3 Tagen).

• Zeitverluste vermeiden: Zeitfenster Lyse nur 3 Stunden (systemisch) vom
Symptombeginn an!

Differenzialdiagnosen

Bei frischen neurologischen Ausfällen auch immer an folgende Ursachen denken:

• Unterzuckerung (s. S. 192 f.)
• Z. n. Krampfanfall anderer Ursache (s. S. 196 f.)
• Schädel-Hirn-Trauma (s. Kapitel 9)
• Bluthochdruckkrise (s. Kapitel 8)
• Hypoxie verschiedener Ursache
• Migräne

Bewusstseinsstörungen 202 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

Stroke Unit

Zu Stroke-Units allgemein s. S. 199

Aufnahmekriterien für Stroke-Units

Regional verschieden existieren Kriterien für Aufnahme, Screening und Selektion
für spezielle Therapieverfahren (z. B. Thrombolyse). Den Rettungsdienstmitarbei-
tern oder der Rettungsleitstelle sollten die aktuellen Kriterien für die Aufnahme in
die nächstgelegene Stroke-Unit des Rettungsdienstbereiches vorliegen!

Thrombolyse

Eine Thrombolyse bei frischem ischämischem Schlaganfall senkt die Rate an Lang-
zeittodesfällen und den Behinderungsgrad der Überlebenden, jedoch erhöht sie
das Risiko, in den ersten Tagen an einer intrakraniellen Blutung zu versterben,
sodass strenge Einschlusskriterien und eine intensive Überwachung nach Throm-
bolyse notwendig sind, um den Nutzen gegenüber dem Risiko aufzuwiegen.

Allgemeine Aufnahmekriterien für die Stroke-Unit

• Symptomatik < 24 h
• Alter 18–70 Jahre (< 80 Jahre)
• Erhaltenes Bewusstsein bei Eintreffen des Rettungsdienstes (Ausnahme V. a.

Hirnstammischämie; hier ist eine Aufnahme trotz früher Bewusstseinsstörung
erfolgversprechend)
• Patienten mit Erstereignis, V. a. TIA, Patienten < 45 Jahre mit Herd-Symptoma-
tik; Patienten mit wechselnder oder zunehmender Symptomatik
• Ausgeprägte Symptomatik, z.B. Hemiparese, Aphasie (Unfähigkeit zu sprechen),
5–25 Punkte im NIHSS-Score (National Institute of Heath Stroke Scale), den
auch der geübte Notarzt anwenden kann
• Kriterien für mögliche Thrombolyse:
- Symptombeginn zeitlich klar definierbar (Problem: aus dem Schlaf heraus,

Zeitpunkt des Einschlafens als Maß)
- Symptombeginn < 3 Stunden (selten < 6 Stunden)
- Einwilligung des Patienten zur Lysetherapie (ggf. mutmaßlicher Wille)
- Keine Lyse-Kontraindikationen (wie bei Myokardinfarkt, vgl. S. Kapitel 8)

I.d.R. keine Aufnahme (Ausschlusskriterien)

• stabile Symptomatik > 24 h
• eingeschränkte Lebenserwartung oder Pflegebedürftigkeit schon vor (!) dem

Ereignis (< 6–12 Monate)
• Multimorbidität, welche eine aggressive Therapie nicht rechtfertigt
• Koma mit Beatmungspflichtigkeit (Intensivstation!)
• Krampfanfälle bei Symptombeginn
• ggf. Kontraindikationen der Lysetherapie (wie bei Myokardinfarkt)

Kapitelübersicht 7203

Respiratorische Notfälle

7.1 Algorithmus Atemwegsverlegung (BLS) .................... 204
7.2 Sicherung der Atemwege

(Advanced Airway Management nach ERC) ................ 205
7.3 Asthma (bronchiale) ................................................... 206
7.4 Hyperventilation(ssyndrom) ....................................... 208
7.5 Aspiration / Bolusgeschehen ...................................... 210
7.6 Der COPD-Patient als Notfallpatient ............................ 212

Aus Gründen der Ätiologie bzw. Pathogenese werden folgende Notfälle und
Erkrankungen in anderen Kapiteln besprochen:

Lungenödem,
Lungenembolie ...................... Kardiozirkulatorische Notfälle (213)
Thoraxtrauma/Rippenfraktur,
Pneumothorax/Hämatothorax ........... Chirurgische Notfälle (247)
Fruchtwasserembolie ..................... Gynäkologische Notfälle (295)
Epiglottitis, Pseudokrupp ................................ Kindernotfälle (323)
Intoxikationen (Alkylphosphate, Reizgas-/Rauchgas, Kohlen-
monoxid, Kohlendioxid, Zyanid) .................... Intoxikationen (347)
Strangulation, Ertrinken, Tauchunfall ....... Sonstige Notfälle (395)

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7.2 · Airwaymanagement 205 7

Algorithmus Atemwegsmanagement

Advanced Airway Management
modifiziert nach ERC 2000 / 2005

Atemstillstand
bzw. ungeschützte Atemwege

Anatomisches Ausrichten des Kopfes
(Cave: HWS-Verletzungen!)

Sellick-Handgriff

Initiale Oxygenierung sicherstellen

Sicherung der Atemwege
abhängig von Ausbildung und Ausrüstung:

Larynxmaske / -tubus Endotracheale Intubation1 Combitube

Scheitern
• der Atemwegssicherung
• der adäquaten Beatmung

Beutel-Masken-Beatmung
(ggf. Guedel-Tubus usw.)

Unmöglichkeit der Beatmung
mit einfachen Hilfsmitteln

Chirurgische Atemwegssicherung erwägen
(Notarzt!)

Koniotomie / chirurg. Krikothyre!oidotomie
(evtl. Nadelkrikothyreoidotomie)

Beatmung

1 Die endotracheale Intubation stellt die beste Variante dar (z. B. wegen des Aspirations-
schutzes). Larynxmaske und Combitube sind im RD initiale Alternativen.

Verweise: Intubation S. 45, Combitube S. 49, Larynxmaske S. 50, Koniotomie S. 51

Respiratorische Notfälle 206 Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle

Asthma (bronchiale)

Einteilung
• Das allergische (extrinsic) Asthma bronchiale findet sich bei Pat. mit entspr.

genetischer Disposition (hyperreaktives Bronchialsystem / Atopiker). Die
Reaktion (Soforttyp) kann auf unterschiedliche Allergene erfolgen.
• Das nicht-allergische (intrinsic) Asthma bronchiale kann durch
Infektionen, chemisch-physikalische Reize (Staub, kalte Luft), Anstrengung
und Aufregung/ Stress (psychogenes Asthma; vor allem bei Kindern und
Jugendlichen) und durch Analgetika (z. B. ASS; pseudoallergische Reaktion)
ausgelöst werden. Auch -Rezeptorenlocker können asthmatische
Beschwerden verursachen.

Die drei Hauptmechanismen
• Bronchospasmus
• Entzündliches Bronchialschleimhautödem
• Hypersekretion eines zähen Schleims (Dyskrinie)

Dies bedingt einen erhöhten Strömungswiderstand mit Behinderung der Ausat-
mung (Symptome s. rechts) bis hin zum Bronchialkollaps; dadurch kommt es zu
einem erhöhten Lungenvolumen (Volumen pulmonum auctum). Chronisch kann
eine derart verstärkte Blähung der Lunge auch zum irreversiblen Emphysem
(Druckatrophie, Schwund der Alveolarsepten) führen. Der daraus resultierende
Druckanstieg im kleinen Kreislauf führt wiederum zu einer Rechtsherzhypertrophie
(chronisches Cor pulmonale). Auch während eines Asthmaanfalles sind Rechts-
herzbelastungszeichen nachweisbar. Ein schwerer Asthmaanfall über Stunden
oder Tage wird als Status asthmaticus bezeichnet.

Ähnliche Symptome treten auch bei einem Asthma cardiale auf (nächtlicher
Husten, anfallsweise Atemnot - cave: andere Therapie!)

Notfalltherapie
• Kooperativen Patienten kann (sofern sie es nicht selbst schon wissen) zur

Unterstützung die sogenannte Lippenbremse (Ausatmung gegen die
gespitzten Lippen) beigebracht werden, die durch den vorgeschalteten
Atemwiderstand einen exspiratorischen Kollaps der Bronchien vermindert.
• Entgegen früheren Empfehlungen sollte auf eine medikamentöse Sedierung,
vor allem bei beginnender Hyperkapnie, verzichtet werden (Atemdepression!).
• Bei muskulärer Erschöpfung des Patienten und bei Bewusstseinstrübung ist
die Intubation als Ultima Ratio indiziert (Narkoseeinleitung).
• Folgende Medikamente sollen im Asthmaanfall nicht gegeben werden:
Antitussiva, -Blocker, ASS, Sedativa, Parasympathomimetika, Digitalis.

7.3 · Asthma 7207

Akuter Asthmaanfall !

Definition
Anfallsweise Atemnot durch reversible Bronchialobstruktion
(kein Fremdkörper)

Symptomatik
• Dyspnoe bis Orthopnoe, Zyanose; Sprechen durch Kurzatmigkeit erschwert
• Unruhe, Angst, Schwitzen
• aufrechter Oberkörper, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Einziehungen
• Verlängertes Exspirium, Verschleimung, prallgefüllte Halsvenen
• Exspiratorisch: Pfeifen hörbar, Giemen und Brummen auskultierbar; Husten
• im Status asthmat. evtl. kein Atemgeräusch mehr auskultierbar („silent lung“)
• Tachykardie, Hypertonie, später Kreislaufversagen
• Akutanamnese: Asthma bronchiale meistens bekannt, evtl. Auslöser identifi-

zierbar (Infekt, ASS-Medikation, Allergenexposition, psychische Erregung)

Notfalltherapie

• Basischeck, Basismaßnahmen: Beruhigung, Oberkörperhochlagerung,

Sauerstoffgabe 2 - 4 l / min über Nasensonde (an möglichen Atemstillstand

denken; ggf. Atemkommandos !)

• Untersuchung, Standardtherapie: venöser Zugang, zur Minderung der

Dyskrinie / Dehydratation auf ausreichende Hydratation achten (VEL!)

• Medikamente:

- 2-Sympathomimetika, z. B.Salbutamol-Inhalation s.S. 555
z. B.Reproterol (0,09 mg i.v. - langsam „frequenz-

neutral“ spritzen)

- ggf. additiv Broncholytika, z. B.Theophyllin (bei Vormedikation: 2-3 mg/kg KG

als Kurzinfusion i.v.)

- Kortikoide, z. B.Prednisolon (250 mg i.v.)

Kontraindiziert: Benzodiazepine, Volumengabe (Rechtsherzstauung),

-Blocker, Barbituratnarkose (relative Kontraindikation; besser Ketamin

(0,5 - 2 mg / kg KG i.v.) zur Narkoseeinleitung benutzen)

• Intubation und Beatmung bei Therapieresistenz (muskuläre Erschöpfung,

hypoxischer / hyperkapnischer Bewusstseinsverlust, Bradykardie).

Achtung
• Bei chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen kann die Atmung (statt

pCO2-Steuerung) primär über die Sauerstoffspannung des Blutes geregelt sein
(pO2-Steuerung). pO2 ≠ ➯ Verminderung des Atemantriebs. Bei O2-Gabe auf
mögliche Atemdepression / Atemstillstand achten (Atemkommandos)!
• Bei medikamentöser Therapie Eigenmedikation des Patienten und Kontra-
indikationen beachten (z. B. geringe therapeutische Breite des Theophyllins.)

Respiratorische Notfälle 208 Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle

Hyperventilation(ssyndrom)

Unter Hyperventilation versteht man eine übermäßige Steigerung der Atmung.

Pathomechanismen des Hyperventilationssyndroms
Durch eine psychogen ausgelöste Hyperventilation wird vermehrt Kohlendioxid
abgeatmet (Hypokapnie); H+-Ionen werden eliminiert; der pH-Wert steigt; es ent-
steht eine respiratorische Alkalose:
H+ + HCO3- (Standardbikarbonat) ➯ H2CO3 ➯ H2O + CO2≠ (wird abgeatmet)

Das im Blut befindliche Kalzium (Ca2+) ist teilweise an Albumin gebunden. Wirksam
ist es jedoch nur in der „freien“, ungebundenen Form. Je alkalischer das Blut ist,
desto höher ist der an Albumin gebundene Anteil des Kalziums.

Es kommt somit durch die respiratorische Alkalose zu einem relativen Kalzium-
mangel (bei regelgerechtem Serum-Kalziumspiegel), was zu (peripheren) Krämp-
fen (normokalzämische Tetanie) führt, außerdem Parästhesien,
Pfötchenstellung der Hände und Karpfenmund zur Folge hat.

Durch Beseitigung der Störung erhöht sich die CO2-Konzentration im Blut wieder
(und der pH-Wert sinkt), damit steigt auch der Anteil des wirksamen Kalziums.
Daher ist z. B. eine Kalziumgabe nicht indiziert.

Als Gegenmittel kann neben Aufklärung und Beruhigung die sogenannte Rück-
atmung eingesetzt werden, dabei wird dem Patienten durch Aus- und Einatmen
in einen Beutel eine mit CO2 angereicherte Atemluft angeboten, deren O2-Gehalt
aber immer noch ausreichend sein muss (z.B. Zwischenatmen von Raumluft).

Ein weiterer Effekt des niedrigen CO2-Gehaltes im Blut kann eine Synkope sein:
Die Hirndurchblutung wird unter anderem über den CO2-Gehalt des Blutes gere-
gelt. Bei niedrigen Werten kann es zu einer Engstellung der Hirngefäße mit kurzer
Bewusstlosigkeit kommen.

Differenzialdiagnosen
Somatogene Ursachen einer Hyperventilation müssen ausgeschlossen werden.
Solche können sein: metabolische Azidose, Hypoxie, Schädel-Hirn-Trauma, Enze-
phalitis, Salizylatintoxikation, hohes Fieber.
Auch Verwechslung mit Tachypnoe bei Lungenembolie möglich! (Besonders bei
jungen Frauen mit Risikofaktoren daran denken!)

7.4 · Hyperventilation 7209

Akutes Hyperventilationssyndrom !

Definition
Tetanie (Spannungs- / Krampfzustand der Muskulatur) und / oder Synkope durch
Hyperventilation, meist bei psych. Belastung (z. B. Aufregung, seelische Konflik-
te). Oft jüngere Frauen betroffen.

Symptomatik
• Unruhe, schnelle tiefe Atmung, vom Patient subjektiv empfundene Atemnot
• Kribbeln / Taubheitsgefühl in Händen / Füßen (von peripher aufsteigend)
• sogenannte Pfötchenstellung der Hände, evtl. Karpfenmund
• evtl. Synkope, evtl. funktionelle Herzbeschwerden
• Blässe, Schwitzen, Reflexüberaktivität
• Tachykardie, Blutdruck normal bis erhöht
• Chvostek-Zeichen positiv: mimische Antwort auf Reizung des Nervus facialis

(Hauptstamm hinter der Ohrspeicheldrüse) durch Beklopfen desselben
zwischen Kieferwinkel und Ohr (erhöhte neuromuskuläre Erregbarkeit)
• Akutanamnese: Psych. Stresssituation (vorsichtig ansprechen).

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• beruhigender Zuspruch, evtl. Vorgeschichte (Streit o. ä.) abklären,

Aufklärung des Patienten über die Art und Harmlosigkeit der Störung
(körperliche Ursachen für eine Hyperventilation ausschließen!)
• Atemkommandos (langsam und ruhig atmen lassen)
• wenn nötig: Rückatmung mit Plastiktüte oder speziellem Beutel (z. B.
Beatmungsmaske mit Adapter auf den Sauerstoffreservoirbeutel gesteckt);
unbedingt vorher die Maßnahme erklären, da der Patient ohnehin schon glaubt
zu ersticken, evtl. Sauerstoff zugeben, um Hypoxie zu vermeiden
• Untersuchung, Standardtherapie
• Medikamente (nur in schweren Fällen, sonst Fixierung auf Spritze möglich):
Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)

Tipps
• Keine Kalziumgabe!
• Keine Versuche einer Konfliktlösung („Krisengespräch“) wegen Gefahr der

Verschlimmerung bzw. erneuten Hyperventilation
• Ausschluss körperlicher Hyperventilationsursachen; ggf. entsprechende

Behandlung. Differenzialdiagnosen des Leitsymptoms „Dyspnoe“ überprüfen!

Respiratorische Notfälle 210 Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle

Aspiration / Bolusgeschehen

Als Aspiration bezeichnet man das Eindringen von Flüssigkeiten oder festen
Stoffen (z. B. Blut, Fremdkörper) in die Atemwege (spontan oder bei Beatmung).

Ursachen
• Erloschene Schutzreflexe, vor allem bei Bewusstlosigkeit, oft in Verbindung
mit Regurgitation von Mageninhalt (Daher kommt der Seitenlage auch im RD
große Bedeutung zu!)
• Unsachgemäß ausgeführte Maskenbeatmung oder Atemspende mit zu
hohem Beatmungsdruck (über 15 cm Wassersäule)
• Auch bei der Kombination von Maskenbeatmung und Thoraxkompressionen
kommt es oft zu einem Rückstrom von Mageninhalt.

Einen guten Aspirationsschutz bietet die endotracheale Intubation. Hierbei wird
die Luftröhre durch eine Blockermanschette (Cuff) gegen das Eindringen von
Fremdmaterial geschützt; trotzdem kann auch neben dem geblockten Cuff Flüs-
sigkeit herunterlaufen. Deshalb ist bei jedem intubierten Pat. im RD eine Magen-
sonde zur Entlastung des Magens angezeigt (Mageninhalt, Luftansammlung durch
Maskenbeatmung / Atemspende). Gefürchtete Folge einer Magensaftaspiration
ist das sogenannte Mendelsonsyndrom - eine fulminante (sehr schwere) Lun-
genentzündung mit der Gefahr des ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrom).
Bei Verlegung der oberen Luftwege durch größere Fremdkörper spricht man von
einem Bolusgeschehen. Durch Steckenbleiben eines Speisebrockens im Rachen
kann auch ein reflektorischer Herz-Kreislaufstillstand ausgelöst werden: Bolus-
tod. Ein Bolusgeschehen findet man vorwiegend bei älteren Menschen. Mangeln-
de Kaufähigkeit (Gebiss) bei zu großen Nahrungsstücken (Fleisch) können zu
einer akuten Verlegung der oberen Luftwege führen (s. Bilder unten). Auch ein
Gebiss oder andere Fremdkörper können Ursache sein. Ein Bolusgeschehen kann
sich auch in der Speiseröhre abspielen: Zu große Nahrungsstücke werden nicht
weitertransportiert - stecken fest; die hintere Luftröhrenwand ist nicht mit Knor-
pel verstärkt und kann deshalb komprimiert werden.

Bolusgeschehen: Bolusgeschehen:
Fremdkörper in der Speiseröhre Fremdkörper verschließt den
Luftröhreneingang

7.5 · Aspiration 7211

Aspiration / Bolusgeschehen !

Definitionen
• Aspiration: Anatmen von Flüssigkeiten oder festen Stoffen.
• Bolusgeschehen: Verlegung d. oberen Luftwege durch größere Fremdkörper

Symptomatik
• Atemnot, Zyanose, (Blut-) Husten
• grob rasselndes oder pfeifendes Atemgeräusch (inspiratorischer Stridor)
• evtl. inverse Atmung oder Atemstillstand
• Tachykardie, Blutdruckanstieg (initial) oder -abfall (terminal)
• Akutanamnese: Häufig während Mahlzeiten und bei spielenden Kindern (s.a.

Kapitel pädiatrische Notfälle), seltener psychiatrische Erkrankungen und bizarre
Suizidversuche, sonstige Manipulationen im Mundraum (z. B. verschluckter ab-
gebrochener Bohrer / aspirierte Zähne beim Zahnarzt)

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen; insbes. Freimachen / Freihalten der

Atemwege (Absaugen / mehrere feste Schläge mit der flachen Hand zwischen
die Schulterblätter / Heimlich-Manöver (bei vitalbedrohlichem Bolus-
geschehen) / ggf. Ausräumen des Pharynx- / Larynxbereiches mit Magillzange
unter laryngoskopischer Sicht)
• bei Bewusstsein: Oberkörper-Hochlagerung / sonst: stabile Seitenlage
• großzügige Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung
• Untersuchung, Standardtherapie, Atemwegsmanagement s. S. 204 f.
• ggf. Intubation und Beatmung (100 % O2, PEEP)
• Medikamente:
Kortikoide, z. B. Prednisolon (250 - 1000 mg i.v.)
ggf. Broncholytika, z. B. Theophyllin (5 mg / kg KG als Kurzinfusion i.v.)
• Magensonde (Magenentlastung; Verhindern weiterer Aspiration)
• nicht zu beseitigende Verlegung ➯ Koniotomie (Ultima Ratio)

Hinweise
• Freimachen der Atemwege: Kontrolle und Ausräumen vor Kopf überstrecken
• Die Bronchiallavage ist derzeit umstritten und kann daher nicht empfohlen

werden (Weiterverteilung von Aspirationsgut in die kleinen Atemwege),
• Bei entsprechenden Verdachtssymptomen ist auf die Umgebung des Patienten

zu achten (Essgeschirr usw.). Oft erholen sich die Patienten nach Beseitigung
des Bolus erstaunlich schnell. Wegen der Gefahr einer anschließenden
Lungenentzündung ➯ auf jeden Fall Klinikeinweisung (je nach Situation HNO-
Abteilung, besonders bei starre Fremdkörpern, oder internistische Aufnahme).
• Bei nicht entfernbarem, tief sitzendem Fremdkörper kann mit Intubation ver-
sucht werden, den Fremdkörper in den rechten Hauptbronchus vorzuschieben,
um so wenigstens die Beatmung der linken Lunge zu gewährleisten.

Respiratorische Notfälle 212 Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle

Der COPD-Patient als Notfallpatient

Synonyme und Definition
COPD (chronic-obstructive pulmonary disease) = COLD (chronic-obstructive
lung disease) = COLE (Chronisch-obstruktive Lungen-Erkrankung)

• Chronische Bronchitis: Erkrankung, die in einem Zeitraum von mind. 2 Jahren
wenigstens innerhalb von 3 Monaten jährlich mit Husten und Auswurf einher-
geht (WHO)

• Lungenemphysem: irreversible Erweiterung und Destruktion der Lufträume
distal der Bronchioli terminales

Obwohl es sich bei der COPD um chronische Erkrankungen handelt, treten im
langjährigen Verlauf häufig akute Notfallsituationen auf. Diese entstehen oft auf
dem Boden einer bakteriellen oder viralen Atemwegsinfektion oder kündigen das
terminale Krankheitsstadium an. Bei dieser akuten Exazerbation, die sich meist
über mehrere Tage progredient entwickelt, stehen zwei Probleme im Vordergrund:

• das Auftreten einer respiratorischen Insuffizienz (Dys- / Orthopnoe) und
• eine akute Rechtsherzinsuffizienz (massiv gestaute Halsvenen, Beinödeme)

bei chronischem Cor pulmonale (druckschmerzhaft gestaute Leber, Appetit-
losigkeit, Übelkeit und Erbrechen als Zeichen der Stauungsgastritis)

Hinweise zur Notfalltherapie

• Die Notfalldiagnostik umfasst insbesondere EKG, Blutdruck, Auskultation von
Herz und Lunge.

• Die Diagnose einer respiratorischen Partial- oder Globalinsuffizienz kann allein
mit der Blutgasanalyse gesichert werden (s. S. 36).

• Eine unkritische und unkontrollierte Sauerstoffzufuhr kann zur Abnahme
des Atemantriebes und damit zur Verstärkung der respiratorischen Insuffi-
zienz führen (hyperkapnisches Koma, Apnoe) – oft mit fatalem Ausgang trotz
Intensivtherapie. Dennoch hat die Behandlung der Hypoxämie Priorität (auf
eine Hemmung des Atemantriebs ist dabei zu achten und ggf. mit Atem-
kommandos entgegenzuwirken; bei Bewusstseinstrübung Reduktion der
Sauerstoffzufuhr erwägen). Mit engmaschigen Blutgasanalysen ist der Erfolg
der Therapie zu kontrollieren; es sollten Blut-Sauerstoff-Partialdrücke zwischen
60 und 65 mmHg (arteriell) erreicht werden. Im Rettungsdienst kann ersatz-
weise eine Sättigung von mind.85–90 % angestrebt werden (hierzu genügt
meist eine Gabe von 2–4 l/min O2 über Nasensonde).

• Die medikamentöse Notfall-Behandlung entspricht der des schweren
Asthmaanfalls (s. S. 207).

• Bei gleichzeitig dekompensiertem Cor pulmonale sind ggf. Nitrate, Diuretika
und Inotropika einzusetzen.

Kapitelübersicht 213 8
Kardiozirkulatorische Notfälle

8.1 Akutes Koronarsyndrom (ACS):
Angina pectoris (AP), Akuter Myokardinfarkt (AMI)
Algorithmus ..................................................... 214
Erläuterungen zum Algorithmus ................... 215
Präklinische Lysetherapie ............................... 217

8.2 Herzinsuffizienz .......................................................... 218

8.3 (Kardiales) Lungenödem ............................................ 220

8.4 Hypertonie / Hypertensive Krise .................................. 222

8.5 Schock ........................................................................ 224
Definition, Formen, Ursachen ....................... 224
Pathophysiologie ............................................. 225
Kardiogener Schock ....................................... 226
Volumenmangelschock .................................. 228
Anaphylaktischer Schock ............................... 232
Neurogener Schock ........................................ 234
Spinaler Schock ............................................... 235
Septischer Schock .......................................... 236

8.6 Herzbeuteltamponade ................................................. 237

8.7 Aortenaneurysma-Ruptur ........................................... 238

8.8 Lungenembolie ........................................................... 240

8.9 Gefäßverschlüsse ........................................................ 242
Akuter venöser Verschluss ............................ 242
Akuter arterieller Verschluss .......................... 244
DD venöser / arterieller Verschluss ............... 246

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8.1 · Akutes Koronarsyndrom 215 8

Akutes Koronarsyndrom - Erläuterungen zum Algorithmus !

Akutes Koronarsyndrom = acute coronary syndrome (ACS)

Symptomatik des ACS

Akutes Engegefühl des Brustkorbs oder akuter Thoraxschmerz

+ besonders, wenn dies in Ruhe oder bei geringer Belastung auftritt
und länger als 20 Minuten anhält

oder + zunehmende, schwere AP (CCS III/IV) bei bisher stabiler AP
oder + innerhalb der letzten 6 Wochen neu aufgetretene, schwere AP

Vorsicht: Häufig untypische Beschwerden bei Diabetikern, Frauen, Herz-
transplantierten, Jüngeren (< 40 Jahre), Älteren (> 75 Jahre): Übelkeit, Erbrechen,
Oberbauch- oder Rückenschmerzen, zunehmende Luftnot, stechende Schmer-
zen. Auch bei hämodynamischer Verschlechterung beatmeter Patienten an die
Möglichkeit eines Myokardinfarktes denken!

Wichtige Begriffe

Der Begriff des ACS wurde geschaffen, da sich hinter der ACS-Symptomatik – rein
klinisch nicht sicher unterscheidbar – drei verschiedene Erscheinungsformen der
koronaren Herzerkrankung verbergen können:

• STEMI: ST-elevation myocardial infarction
= Herzinfarkt mit ST-Hebung (EKG)

Diagnose STEMI: typische ACS-Symptomatik + EKG-Befund:
- ST-Hebung

> 0,1 mV in mind. zwei benachbarten Extremitätenableitungen
und/oder

> 0,2 mV in mind. zwei benachbarten Brustwandableitungen
- oder (wahrscheinlich) neu aufgetretener Linksschenkelblock

• NSTEMI: non-ST-elevation myocardial infarction = Herzinfarkt ohne ST-
Hebung im EKG (Diagnose NSTEMI: typische ACS-Symptomatik + positive Herz-
enzyme, z. B. kardiales Troponin I/T)

• UAP: unstable angina pectoris = instabile Angina pectoris (Diagnose UAP:
typische ACS-Symptomatik + Anamnese kardiovaskulärer Risikofaktoren bei
normalen Werten der Herzenzyme – z. B. kardiales Troponin I/T)

Eine bereits präklinische Differenzierung des ACS mittels 12-Kanal-EKG und klini-
schen Parametern ist anzustreben, um die geeignete Reperfusionsstrategie zu
bahnen (Zielklinikauswahl und Voranmeldung für PCI). Die Lysetherapie im
Rettungsdienst bringt im Mittel einen Zeitgewinn von 60 min gegenüber klini-
scher Lyse und ist der PCI bei Symptombeginn < 3 Stunden in der initialen
Wiedereröffnungsrate ebenbürtig. Die präklinische Lysetherapie ist bei Anwen-
dung standardisierter Protokolle sicher.

Kardiozirkulatorische Notfälle 216 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

! Erläuterungen Algorithmus Akutes Koronarsyndrom II

Medikamentöse Frühtherapie bei ACS
Merkwort für die Basistherapie bei ACS „MONA“:

• Morphin
• Oxygen (Sauerstoff)
• Nitroglycerin (Glyceroltrinitrat)
• Acetylsalicylsäure (ASS)

(Kein Glyceroltrinitrat bei Einnahme von PDE-5-Inhibitoren innerhalb der letzten 24 h (z. B.
Sildenafil=Viagra®, Tadalafil=Cialis®, Vardenafil=Levitra®) – bedrohliche, therapierefraktäre
Blutdruckabfälle möglich. Immer nachfragen - taktvoll.)

Clopidogrel (z. B. Iscover®, Plavix®)
Neues Standardmedikament (schon in der Frühphase) zur Thrombozyten-
aggregationshemmung. Im Gegensatz zum Algorithmus allerdings gemäß
Leitlinientext und ILCOR-Empfehlung nur für folgende Patienten empfohlen:
• STEMI (bis 75 Jahre), die mit Fibrinolyse, ASS und Heparin behandelt werden.
• Pat. ohne STEMI, die erhöhte Herzenzyme oder neue aufgetretene Ischämie-

zeichen im EKG haben.
• Pat. mit ACS, die aufgrund einer echten Allergie kein ASS erhalten dürfen.

Akut-PCI (akute perkutane Koronarintervention)
Akut-PCI = Akut-PTCA = perkutane transluminale Koronarangioplastie: über eine
Femoralarterie wird ein Linksherzkatheter gelegt - Dilatation von verengten Herz-
kranzgefäßen, z. B. mit eingeführtem Ballonkatheter; häufig wird bei der Akut-PCI
ein sog. Stent („Gefäßstütze“) zur Verhinderung eines Wiederverschlusses einge-
legt. Verfahren der Wahl, aber wegen hoher personeller Kompetenz und techni-
scher Ausstattung nur an spezialisierten Zentren verfügbar.

Thrombolyse/Fibrinolyse (kurz „Lyse-“Therapie)
Medikamentöser Eingriff in das menschliche Blut-Gerinnungssystem zur Auflö-
sung von frischen Blutgerinnseln; auch im RD möglich.

Durchführung: Intravenöse Gabe von Fibrinolytika, z.B.:
• Alteplas(e) (rt-PA) s. S. 486 • Reteplas(e) (rt-PA) s. S. 554
• Anistreplase (APSAC) s. S. 488 • Tenecteplase s. S. 559
(Streptokinase und Urokinase werden aufgrund aufwändigerer Applikation und
der Sensibilisierungsproblematik in der Präklinik nicht mehr eingesetzt.)

• Keine initiale Heparinisierung vor Lyse mit Anistreplase (erhöhte Blutungsgefahr);
keine GPIIb/IIIa-Antagonisten vor Lyse mit Alteplase

• Zulassung beachten: Urokinase ist für AMI nicht ausdrücklich zugelassen; Ani-
streplase, Reteplase u. Tenecteplase sind nicht für Lungenembolie zugelassen!

8.1 · Akutes Koronarsyndrom 217 8

Präklinische Lysetherapie !

Lyse-Indikationen im Rettungsdienst
• AMI (STEMI) mit folgenden Kriterien:

- Sichere Diagnose: typische Symptomatik (ACS s. S. 215) + typische EKG-Ver-
änderungen (ST-Hebung s. S. 162 f.) + erfahrener Untersucher
- Beginn der Beschwerden < 4–6 h (nicht länger zurück, sonst kein Vorteil

gegenüber der Therapie in der Klinik)
- Deutlicher Zeitvorteil gegenüber der Akut-PCI (s. Algorithmus S. 214)
- Ausschluss von Kontraindikationen (s. u.); der potenzielle Nutzen (Rettung

von ischämischem Gewebe) überwiegt hinsichtlich Ausprägung und Wahr-
scheinlichkeit das Risiko der Lysekomplikationen (v. a. Blutungen, insbes.
schwere Hirnblutungen in ca. 1%)
- Möglichkeiten zur Behandlung von Komplikationen vorhanden

• Für andere Anwendungen der Lysetherapie im RD (z. B. Lungenembolie, therapie-
refraktäre CPR) sind die mangelnde diagnostische Sicherheit und die hohen
Risiken einer Lysetherapie zu bedenken. Eine präklinische Lyse kommt in den
genannten Fällen als Ultima Ratio in Betracht. Andere Lyse-Anwendungsgebiete
und -Verfahren bleiben aber spezialisierten Kliniken vorbehalten (z. B. Apoplex;
Stroke-Unit s. S. 202).

Kontraindikationen (nach DKG 2004)
- jemals Hirnblutung
- innerhalb der letzten 6 Monate: Schlaganfall
- innerhalb der letzten 4 Wochen: Magen-Darm-Blutung
- innerhalb der letzten 3 Wochen: Unfall (insbes. Kopfverletzung) oder
Operation (z. B. auch Liquorpunktion, arterielle Punktion, Organbiopsie)
- (fortgeschrittenes) Tumorleiden oder neurologische ZNS-Erkrankung
- aktive innere Blutung (außer Regelblutung) oder Blutungsneigung
- Dissezierendes Aortenaneurysma

Relative Kontraindikationen
TIA in den letzten 6 Monaten / orale Antikoagulanzientherapie (z. B. bei Marcumar®-
Behandlung – INR > 2; > 1,3 bei Tenecteplase) / Schwangerschaft / nicht
komprimierbare Gefäßpunktionen (z. B. zentral venöser Subklaviakatheter) /
schwere Hypertonie trotz Behandlung RRdiast > 110 mmHg und/oder RRsyst
> 180 mmHg / aktives Magen-/Zwölffingerdarmgeschwür / floride Endokarditis/
fortgeschrittene Lebererkrankung / längere (> 10 min) oder traumatische CPR

Zusätzlich zur DGK-Liste sollte der Notarzt – je nach Thrombolytikum - folgende mögliche
Einschränkungen/Kontraindikationen in seiner Entscheidung bedenken: Entbindung in den
letzten 2–12 Wochen; frische i.m.-Injektion; unklare Kopfschmerzen innerhalb der letzten
6–12 Monate, Verdacht auf Entzündung der Bauchspeicheldrüse, frühere allergische
Reaktion auf ein Thrombolytikum, intrakranielles Aneurysma, Sepsis, Dialysepatient.

Kardiozirkulatorische Notfälle 218 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Herzinsuffizienz

Definition: Akute Leistungsminderung des Herzens mit drohendem Vorwärts-
versagen (Blutdruckabfall, Schockzeichen) und / oder drohendem Rückwärts-
versagen (venöse Stauung, Ödeme, Lungenödem).

Nach der jeweils betroffenen Kammer unterscheidet man Linksherz-, Rechts-
herz- und Globalherzinsuffizienz (links und rechts). Entsprechend dem zeitli-
chen Verlauf wird die chronische Herzinsuffizienz von der akuten Herzinsuffizienz
abgetrennt. Die akute Linksherzinsuffizienz kann z. B. durch Myokardinfarkt
und Bluthochdruckkrise bedingt werden. Die akute Rechtsherzinsuffizienz fin-
det sich z. B. bei einer Lungenembolie. Weitere Ursachen einer Herzinsuffizienz
können sein: Herzklappenfehler, Kardiomyopathien, pulmonale Hypertonie (z. B.
bei Asthma), Herzrhythmusstörungen, Überwässerung (z. B. Infusionstherapie)
usw. Die chronische kompensierte Herzinsuffizienz ist im Rettungsdienst nur se-
kundär von Belang. Notfallmedizinisch relevant ist die akut dekompensierte Form
der chronischen Herzinsuffizienz bzw. die akute Herzinsuffizienz.

Stadieneinteilung der Herzinsuffizienz gemäß der New-York-Heart-
Association (NYHA):
I Beschwerdefreiheit, normale körperliche Belastungsfähigkeit
II Beschwerden bei stärkerer körperlicher Belastung
III Beschwerden schon bei leichter körperlicher Belastung (Alltagsbelastung)
IV Beschwerden in Ruhe

Die Therapie besteht zum einen in kausalen Maßnahmen, d. h. Beseitigung der
Ursache (z. B. Therapie einer arteriellen Hypertonie, KHK usw.) und zum anderen
in medikamentösen Maßnahmen zur Herzentlastung und Verbesserung des Wir-
kungsgrades der Herzarbeit. In kardiochirurgischen Zentren besteht die Möglich-
keit, bei Versagen der konservativen Therapie des kardiogenen Schocks eine
intraaortale Ballonpumpe einzusetzen. (vgl. S. 226 f.) Die weitere Therapie der
akuten Herzinsuffizienz siehe nächste Seite.

Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz außerhalb der Notfallmedizin - Lang-
zeittherapie: Allgemeine Maßnahmen wie körperliche und seelische Entlastung,
Gewichtsnormalisierung, Stuhlregulierung, Thromboseprophylaxe, medikamen-
töse Therapie (Diuretika, Digitalis, ACE-Hemmer, Glyceroltrinitrat, Calcium-
antagonisten, Phosphodiesterasehemmer (Enoximon) [Perfan®])

8.2 · Herzinsuffizienz 8219

Akute Herzinsuffizienz !

Symptomatik
• Dyspnoe (auch in Ruhe), schnelle Atmung, evtl. Zyanose
• Unruhe, Angst, Schwächegefühl
• Blässe, kühle, evtl. feuchte Extremitäten
• evtl. Bewusstseinsstörung, niedrige Sauerstoffsättigung
• Puls evtl. tachykard, bradykard, arrhythmisch
• Blutdruckabfall / kardiogener Schock

• spezielle Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz:
• gestaute Halsvenen, Ödeme, Bauchwasser (Aszites)
• chronisch: evtl. Oberbauchsymptomatik (Stauungsgastritis)

• spezielle Zeichen der Linksherzinsuffizienz:
• Lungenstauung / Lungenödem (Auskultation: feine Rasselgeräusche)
• Husten, Asthma cardiale
• Nykturie

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen (Oberkörperhochlagerung)
• evtl. unblutiger Aderlass bei Lungenödem
• Untersuchung, Standardtherapie (venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder

Mandrin - keine Volumengabe)
• Medikamente:

- Vasodilatatoren, z. B. Glyceroltrinitrat [Nitrolingual®-Spray] (1–2 Hübe) oder
[Perlinganit®] (0,03–0,18 mg/kgKG/h über exaktes Dosiersystem unter RR-
Monitoring - der systolische RR sollte 90 mmHg nicht unterschreiten)

- (Schleifen-)Diuretika, z. B. Furosemid (20–40 mg i. v.)
- bei Low-Output-Syndrom: Katecholamine, z. B.

- bei überwiegender pulmonaler Stauung:
Dobutamin (2–10 μg/kgKG/min i. v. – auf Tachykardie achten; Beginn
mit 2 μg/kgKG/min. Dosissteigerung ggf. jeweils nach 5–10 min
Achtung: eingenommene Betablocker können die vermittelte
Vasodilatation antagonisieren)

- bei niedrigem systolischen RR (< 80–90 mmHg)
a) zusätzlich zu Dobutamin: Noradrenalin (0,9–6 μg/kg KG/h) oder
b) bes. bei Bradykardien ohne Atropinwirkung: nur Adrenalin (ohne
Dobutamin – sonst Konkurrenz um den Rezeptor - Dobutamin mindert
durch schwächere Aktivität die Adrenalinwirkung (Betablocker mit ISA))

- Dopamin (s. S. 504) alleine; Probleme: Wirkung kann bei chronischer
Herzinsuffizienz mit entleerten Noradrenalinspeichern geringer sein; in
hohen Dosen stärkere Herzfrequenzsteigerung als Adrenalin)

Verabreichung der Katecholamine nur über Spritzenpumpe

220 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Kardiozirkulatorische Notfälle (Kardiales) Lungenödem

Formen des Lungenödems und Ursachen
• Kardiales Lungenödem (am häufigsten)
Ursachen: Linksherzinsuffizienz mit Druckanstieg im Lungenkreislauf
vor allem bei hypertensiver Krise, Herzinfarkt, Herzklappenerkrankung (z. B.
Mitralstenose) usw. ➯ Rückwärtsversagen. Durch die Lungenstauung
kommt es zu einem erhöhten Druck in den Lungenkapillaren mit Übertritt von
Flüssigkeit aus der Lungenstrombahn in den Zwischenzellraum und den
Alveolarraum.
• Toxisches und allergisches Lungenödem (vgl. S. 374 f.)
Ursachen: Durch die Einwirkung toxischer Stoffe (z. B. bei Reizgas- und
Rauchgasvergiftungen), sowie im Zuge einer anaphylaktischen Reaktion kann
es zu einer Permeabilitätssteigerung (höhere Durchlässigkeit) der Lungen-
kapillarmembranen mit Übertritt von Flüssigkeit in den Zwischenzellraum
und den Alveolarraum kommen.
• Weitere Ursachen
Herabgesetzter onkotischer Druck des Blutes bei Überwässerung
(z. B. Dialyse), Aufenthalt in größerer Höhe (Höhenlungenödem) durch
geringeren (Gegen-) Druck in den Alveolen gegen das Gefäßsystem.

Stadien des Lungenödems
1. Ödem des Lungengewebes (Flüssigkeitsübertritt in den Zwischenzellraum;
interstitielles Lungenödem). Meistens unsymptomatisch, gelegentlich
findet sich ein leichtes Giemen bei der Exspiration, es kann jedoch radio-
logisch nachgewiesen werden. Bei fraglich gefährdeten Patienten sollte
deswegen schon in der Frühphase ein Röntgenbild des Thorax angefertigt
werden, so z. B. bei Rauchgasvergiftungen, akuten Herzerkrankungen
usw. Ggf. kann dann auch eine entsprechende Therapie frühzeitig eingeleitet
werden.
2. Übertritt von seröser Flüssigkeit in die Alveolen (alveoläres Lungenödem)
3. Schaumbildung
4. Asphyxie (Erstickung)

Differenzialdiagnose

Kardiales Lungenödem Asthma bronchiale
• kardiale Anamnese • pulmonale Anamnese
• feuchte Haut • trockene Haut
• oft Hypertonie • normaler Blutdruck
• feuchte Rasselgeräusche • trockene Rasselgeräusche (Giemen)

8.3 · Lungenödem 8221

Akutes kardiales Lungenödem !

Definition
Lungenödem: Austritt von Flüssigkeit aus den Lungenkapillaren in den
Zwischenzell- und Alveolarraum. Die Diffusionsstrecke für Sauerstoff und Koh-
lendioxid ist verlängert ➯ Hypoxie.

Symptomatik
• Angst, Unruhe, Dyspnoe / Orthopnoe (auch in Ruhe), evtl. Zyanose
• aufrechter Oberkörper, evtl. Einsatz der Atemhilfsmuskulatur
• evtl. Austritt von fleischwasserfarbenem Schaum aus dem Mund (schwerste

Form)
• Brodeln und feuchte Rasselgeräusche bei Ein- und Ausatmung
• evtl. spastische Atemgeräusche
• feuchte und kühle Haut (Kaltschweißigkeit), Blässe
• Puls tachykard, evtl. arrhythmisch
• Blutdruck unterschiedlich je nach Begleiterscheinungen, z. B. hoch bei

gleichzeitiger hypertensiver Krise; niedrig bei Herzinsuffizienz mit kardiogenem
Schock

Notfalltherapie

• Basischeck, Basismaßnahmen (Lagerung: sitzend mit Oberkörper hoch,
Beine herabhängen lassen ➯ Senken der Vorlast)

• evtl. unblutiger Aderlass
• Untersuchung, Standardtherapie (venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder

Mandrin - keine Volumengabe !)
• bei anhaltend niedriger (SpO2 < 90 %) trotz Therapie - wenn vorhanden: Masken-

CPAP (bei steigender SpO2 senken, da sonst bei Hyperkapnie verminderter
Atemantrieb möglich)
• ggf. Intubation und PEEP-Beatmung (5 - 10 cm H2O)
• Medikamente
• (Schleifen-)Diuretika, z. B. Furosemid (40 - 80 mg i.v.)
• Vasodilatatoren, z. B. Glyceroltrinitrat [Nitrolingual®-Spray] (1 - 2 Hübe) oder

[perlinganit®] (0,03 - 0,18 mg / kg KG / h i.v. über exaktes Dosiersystem)
Beachte: Nicht, wenn der individuelle Normalblutdruck deutlich unter-
schritten ist!
• ggf. Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.)
• falls erforderlich: Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)

Kardiozirkulatorische Notfälle 222 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Hypertonie / Hypertensive Krise

Definition der Hypertonie gemäß WHO
Dauernde Erhöhung des Blutdrucks auf systolisch > 140 mmHg und diastolisch
> 90 mmHg

Einteilung
1. Primäre Hypertonie:

Essenzielle Hypertonie (ungefähr 90 % der Bluthochdruckpatienten) – multifak-
toriell bedingte Störung der Blutdruckregulation unbekannter Ursache
2. Sekundäre Hypertonien:
• Renale Hypertonie (bei Nierenerkrankungen, z. B. Nierenarterienstenosen)
• Endokrine Hypertonie (z. B. Phäochromozytom, Cushing-Syndrom usw.)
• Medikamentös (z. B. Ovulationshemmer)/ernährungsbedingt (z. B. Lakritze)
• Kardiovaskulär (z. B. Aortenisthmusstenose)
• Schwangerschaftshypertonie (SIH – vgl. S. 302 f.)

Hypertensiver Notfall („hypertensive emergency“)
Akut und stark (über den individuellen Normaldruck) erhöhter Blutdruck und
Hinweise auf gefährliche Folgeerkrankungen, z. B.:
• ZNS: Hochdruckenzephalopathie (Hirndruckanstieg mit Folgen wie Kopfschmer-

zen, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen/Augenflimmern, Schwindel, Bewusst-
seinsstörungen, neurologische Ausfälle, Sprachstörungen, Krämpfe). Kom-
plikationen: Apoplex (akute Minderdurchblutung/Ischämien) oder Blutungen,
z. B. rupturierendes Aneurysma im Gehirn)
• Herz-Kreislauf: Ischämie am Herzen, Angina pectoris. Komplikationen Herz-
insuffizienz (s. S. 218 f.); Lungenödem (s. S. 220 f.), Herzinfarkt (s. S. 214 ff.);
Aortendissektion (s. S. 238 f.)
Ziel der Erstbehandlung ist die Vermeidung der genannten Komplikationen!

Hypertensive Krise („hypertensive urgency“)
„Krise“ ist insofern irreführend, dass im Regelfall nicht feststellbar ist, ob es sich
bei der festgestellten Blutdruckerhöhung

a) wirklich um einen plötzlichen Blutdruckanstieg im Sinne einer anfallsweisen
Krise handelt oder

b) ob eine chronische, bislang nicht erkannte Bluthochdruckerkrankung vor-
liegt, die (rasch) fortschreitend zu stark erhöhten RR-Werten geführt hat.

Notfallversorgung
• Hypertensiver Notfall: Sofortige Maßnahmen zur Blutdrucksenkung erforder

lich (s. rechte S.)
• Hypertensive Krise: Der Patient wird im RD – auch bei hohen Blutdruckwerten

(bis etwa 200/110 je nach Patient) – nur überwacht und zur unmittelbaren Blut-
druckeinstellung mit oralen Medikamenten in eine Klinik eingewiesen.

8.4 · Hypertonie 8223

Hypertensiver Notfall !

Symptomatik
• rasche und symptomatische Blutdruckerhöhung weit über den

individuellen Normalblutdruck
• Bewusstseinsstörungen, Herzklopfen, Unruhe
• Kopfschmerzen, Kopf gerötet, Schwitzen, Sehstörungen, Sprachstörungen
• Schwindelanfälle, Ohrensausen
• Übelkeit, Erbrechen, evtl. Krämpfe
• evtl. Angina pectoris, Herzinfarkt
• evtl. Apoplektischer Insult
• evtl. Rasselgeräusche (Lungenödem - s. S. 221), Atemnot
• evtl. Nasenbluten
• Akutanamnese: Bekannter Hypertonus, u.U. vernachlässigte Medikation oder

Rebound nach (eigenwilligem) Absetzen, seltener Schwangerschaftshypertonie
(vgl. S. 303 f.) oder sympathomimetische Drogen (z.B. Kokain).

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen (Oberkörperhochlagerung)
• Untersuchung, Standardtherapie (venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder

Mandrin - keine Volumengabe)
• Antihypertonika (Ziel: notfallmedizinisch möglichst nur eine Substanz), z. B.

- Urapidil (10–50 mg i. v.; langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt
titrieren, Wirkung tritt mit wenigen Minuten Verzögerung ein)

- Schnell resorbierbare Kalziumantagonisten: z. B. Nitrendipin (5 mg p. o.), nicht
bei instabiler AP/Herzinfarkt < 4 Wochen!

- Glyceroltrinitrat-Spray (1–2 Hübe zu 0,4 mg s. l., ggf. wdh., ggf. Fortführung
über Spritzenpumpe), Mittel der Wahl bei Lungenödem, AP/ACS

- Spezielle Antihypertensiva bei speziellen Ursachen/Folgen (wenn mgl. auch die
Ursache selbst behandeln!): ggf. Clonidin (bei Entzugsdelir), bei Kokain-
intoxikation s. Kapitel 12, ggf. Magnesium/Dihydralazin (Schwangerschaft .
SIH/Eklampsie, s. S. 303), Phäochromozytom (initial Urapidil, anschließend
Beta-Blocker)

- Sicherung der Nierenfunktion: ggf. Furosemid (20–40 mg i. v.) und VEL i. v.
• Vorgehen bei Schlaganfall s. S. 200 ff.

Ziel: Initiale Senkung der Blutdruckwerte ca. 15 bis max. 25 % (in den ersten 60
min). Bei Linksherzinsuffizienz (s. S. 218) und Aortendissektion (s. S. 238 f.) ggf.
stärkere Blutdrucksenkung erforderlich!

Kardiozirkulatorische Notfälle 224 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Schock / Definition, Formen, Ursachen

Definition
Multifaktorielle Störung des Blutkreislaufes mit lebensbedrohlicher Hypoperfusion
der Organe und / oder Hypoxie der Gewebe. Es entsteht ein Missverhältnis zwi-
schen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffangebot.

Formen und Ursachen

• Volumenmangelschock (S. 228 ff.)
Kreislaufinsuffizienz durch Verminderung der zirkulierenden Blutmenge (Vo-
lumen). Ursachen: Volumenverluste (Blut-, Plasma- und andere Körper-
flüssigkeitsverluste durch z. B. Blutung, Exsikkose, Durchfälle, Erbrechen usw.).
Man spricht von einem absoluten Volumenmangel (Hypovolämie).
(Eine kurzzeitige Blutverteilungsstörung, bei der eine größere Blutmenge nicht
am Kreislauf teilnimmt - z. B. durch periphere Weitstellung der Gefäße bei
vasovagaler Synkope mit „Versacken“ des Blutes vor allem in den Beinen; s. S.
188 f. - nennt man relativen Volumenmangel. Man spricht hier nicht von einem
Volumenmangelschock.)

• Kardiogener Schock (S. 226 f.)
Kreislaufinsuffizienz durch Pumpversagen des Herzens (z. B. bei Herzinfarkt,
Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen usw.)

• Anaphylaktischer Schock (S. 232 f.)
Kreislaufinsuffizienz durch allergische Reaktion vom Sofort-Typ durch
histaminvermittelte Weitstellung der peripheren Gefäße und Bronchospasmus

• Septischer Schock (S. 236)
Kreislaufinsuffizienz, verursacht durch freiwerdende Bakterientoxine (Eröff-
nung physiologischer arteriovenöser Fisteln und Vasodilatation), führt zu Hyper-
zirkulation des Blutes mit Minderversorgung der Organe (hyperdyname Pha-
se); später Übergang in hypodyname Phase mit Symptomen des Volumen-
mangelschocks.

• Neurogener Schock (S. 234)
ZNS-Störung mit Einfluss auf die Gefäßenervation bedingt eine periphere Ge-
fäßerweiterung (z. B. bei Schädel-Hirn-Trauma, starken Schmerzen usw.).

• Spinaler Schock (S. 235)
Eine akute Querschnittslähmung führt über eine Sympathikusblockade der
betroffenen Region zu einer Vasodilatation mit nachfolgender
Schocksymptomatik.

8.5 · Schock 8225

Schock / Pathophysiologie

Einleitung der Schockkaskade durch Abfall des Herzzeitvolumens (➯ RR Ø)

Kompensatorische Gegenregulation (u. a. katecholaminvermittelt
(Sympathikusaktivierung / Stressreaktion): Herzfrequenzanstieg; periphe-
re Vasokonstriktion = Zentralisation zur Gewährleistung der Perfusion von
Herz und Gehirn; Einstrom von Flüssigkeit aus dem Interzellulärraum in
den Intravasalraum.
Bei Versagen der Gegenregulation ➯ verminderte Organperfusion:

Störung der Makro- und Mikrozirkulation:

• Minderperfusion • Stase (➯ Sludge = „Verklumpung“),

• Gefäßatonie (präkapillär > postkapillär),

• Kapillarschaden (Endotheldefekt),

• Mikrothrombenbildung

➯ Gewebshypoxie (O2-Mangel) ➯ Intravasale
➯ Anaerober Stoffwechsel Gerinnung (s. u.)
➯ Metabolische Azidose

➯ Verstärkung des Volumenmangels durch Wanderung von Flüssigkeit
aus dem Gefäßsystem in den Zwischenzellraum (interstitielles Ödem)

➯ Dekompensation des Kreislaufes

➯ (Multi-) Organversagen:
• Niere: Minderdurchblutung der Nierenrinde ➯ Versiegen der Primärharn-
bildung (Oligurie / Anurie) ➯ akutes Nierenversagen (Schockniere).
• Herz: Minderdurchblutung der Herzkranzgefäße ➯ Herzinsuffizienz.
• Lunge: ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrome; Schocklunge) Gewebs-
Hypoxie, Gewebs-Azidose ➯ Schädigung der alveolokapillären Membran
➯ Permeabilitätsstörungen (erhöhte Permeabilität) ➯ interstitielles /
intraalveoläres Lungenödem ➯ Ausbildung hyaliner Membranen,
Mikroatelektasen und Thromben und nachfolgend unzureichende Bildung
von Surfactant; Lungenödem; Mikroembolien
• Leber: Minderdurchblutung ➯ verminderte Leberfunktion (Schockleber).

➯ Verbrauchskoagulopathie / DIC (Disseminierte intravasale Gerinnung):
Störung der Mikrozirkulation (präkapilläre Dilatation (metabolisch bedingt)
bei postkapillärer Gefäßverengung ➯ Blut versackt im Kapillarbett, Stase
usw.) ➯ Mikrothrombenbildung ➯ gesteigerter Umsatz von Gerinnungs-
faktoren = DIC (Ausbreitung der Gerinnungsaktivität über den gesamten Or-
ganismus). Bei Erschöpfung des Potentials an Gerinnungsfaktoren:
Verbrauchskoagulopathie (erhöhte Blutungsneigung).

➯➯ Tod.

Kardiozirkulatorische Notfälle 226 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Kardiogener Schock

Definition
Vermindertes Herz-Zeit-Volumen (systolische Blutdruckwerte unter 80 - 90 mmHg)
durch verminderte Auswurfleistung des Herzens (Pumpversagen) bei gleich-
zeitig erhöhtem Druck vor dem Herzen

Ursachen
• Herzinsuffizienz (dekompensiert)
• Ausfall funktionsfähigen Herzmuskelgewebes (Herzinfarkt): Sind mehr als

40 % des linken Ventrikels betroffen, kommt es meistens zu einem kardiogenen
Schock. Die Letalität liegt dann bei 90 %.
• Herz-Rhythmusstörungen.
• Einnahme negativ inotroper Medikamente ( -Rezeptorenblocker)
• Seltene Ursachen:
• Volumenbelastung (mit Erhöhung des Preloads): Klappeninsuffizienzen,

Shuntvitien
• Druckbelastung (mit Erhöhung des Afterloads): Klappenstenosen, Lungen-

embolie
• Füllungsbehinderung des Herzens: Herzbeuteltamponade

Differenzialdiagnose zu anderen Schockformen
Wichtigster differenzialdiagnostischer Hinweis ist der im Vergleich zu anderen
Schockformen erhöhte zentralvenöse Druck, erkennbar z. B. an den gestauten
Halsvenen des Patienten.

Besondere therapeutische Optionen
Wesentlicher Punkt ist die Stauung vor dem Herzen bei verminderter Herzaus-
wurfleistung. Daher sind Schocklage und Volumengabe kontraindiziert. Hier-
durch würde das Herz noch zusätzlich belastet. Auch bei gleichzeitig bestehen-
dem Volumenmangel sollte zuerst höchstens eine vorsichtige Volumengabe er-
folgen (Testinfusion mit max. 200 ml). Eine Blutdrucksteigerung mit Medikamen-
ten, welche die peripheren Gefäße verengen, darf nur unter Vorsicht erfolgen, da
hierdurch gleichzeitig die Nachlast erhöht wird und somit für das ohnehin insuf-
fiziente Herz mehr Arbeit anfällt. In kardiochirurgischen Zentren besteht zur
Überbrückung der Zeit bis zur Erholung des Herzens beim Versagen der konser-
vativen Therapie die Möglichkeit des Einsatzes einer intraaortalen Ballonpumpe
zur Ballongegenpulsation. Diese wird während der Diastole EKG-gesteuert auf-
geblasen und kollabiert während der Systole. Damit ermöglicht sie eine bessere
Koronarperfusion.

8.5 · Schock 8227

Kardiogener Schock !

Symptomatik
• Atemnot, Blässe bis Zyanose, evtl. Lungenödem
• Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit
• gestaute Halsvenen
• evtl. Ödeme, vor allem in den Beinen
• Puls evtl. tachykard, bradykard, arrhythmisch, kaum tastbar (zentralisiert)
• Kaltschweißigkeit, Angst
• Nagelbettprobe/ Nagelbettfüllung verlangsamt
• Blutdruck erniedrigt bis nicht mehr messbar

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Oberkörperhochlagerung (trotz Schocksymptomatik!)
• Untersuchung, Standardtherapie venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder

Mandrin - keine Volumengabe)
• ggf. kausale Therapie (Ursache behandeln, z. B. Herzinfarkt)
• Medikamente:

• Katecholamine, z. B. Adrenalin (1 - 12 μg / kg KG / h i.v.) oder
z. B. Dobutamin (2 - 10 μg / kg KG / min i.v.) Hinweis: Verabreichung der
Katecholamine nur über Spritzenpumpe

• ggf. α- und -Sympathomimetika, z. B. Adrenalin (0,05 - 0,1 mg i.v.)
• (Schleifen-) Diuretika, z. B. Furosemid (20 - 40 mg i.v.)
• bei Herz-Rhythmusstörungen: siehe Kapitel EKG-Diagnostik (S. 132 ff.)
• bei starken Schmerzen: Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.)

Praxistipps
• Bei kardiogenem Schock keine Schocklage (Verschlechterung)
• Bei systolischen Blutdruckwerten unter 90 mmHg sollte bei der Behandlung mit

Katecholaminen Dobutamin nicht allein eingesetzt werden, sondern mit vaso-
konstriktorischen Katecholaminen kombiniert werden (Gefahr des Blutdruckab-
falls durch periphere Vasodilatation bei Dobutamin).
• Pulsoxymetrische Überwachung des Patienten bei Zentralisation nicht
aussagekräftig
• Sonderfall: akuter rechtsventrikulärer Infarkt - klassische Symptomtrias:
Hypotension, fehlende Lungenstauung und erhöhter Halsvenendruck. In die-
sem Fall sollten Vasodilatatoren vermieden werden (z. B. Nitrate). Stattdessen ist
– wie bei akutem Rechtsherzversagen durch ausgedehnte Lungenembolie –
zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden rechtsventrikulären Druckes (Preload)
eine sofortige Flüssigkeitszufuhr (Volumengabe) unter engmaschigem Kreis-
lauf-Monitoring erforderlich, ggf. Testinfusion mit 200 ml Kolloid.

Kardiozirkulatorische Notfälle 228 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Volumenmangelschock I

Ursachen: Blutverlust, Plasmaverlust (z. B. Verbrennung), schwere Durchfälle,
heftiges Erbrechen.

Das Blutvolumen bei Erwachsenen beträgt ungefähr 70 - 80 ml / kg KG. Der
Volumenmangelschock durch Blutverlust wird als sogenannter hämorrhagischer
Schock bezeichnet. Die Hypovolämie führt zu einer Verminderung des Herzzeit-
volumens.

Einteilung nach ATLS-Schema
Stadium I (Blutverlust bis zu 15 % des Blutvolumens):

• minimale Tachykardie
• Blutdruck, kapilläre Füllungszeit (Nagelbettprobe < 2 s) und Atemfrequenz

normal
• Druckamplitude des Pulses bleibt konstant
Stadium II (Blutverlust von 15 - 30 % des Blutvolumens):
• Tachykardie
• Druckamplitude des Pulses nimmt ab (durch kompensatorischen Anstieg

des diastolischen Blutdrucks)
• kapilläre Füllungszeit nimmt zu
• kein oder minimaler systolischer Blutdruckabfall
Stadium III (Blutverlust von 30 - 40 % des Blutvolumens):
• Tachykardie
• Abfall des systolischen Blutdrucks
• Tachypnoe (schnelle Atmung)
Stadium IV (Blutverlust über 40 % des Blutvolumens):
• Tachykardie
• deutlicher Blutdruckabfall
• Tachypnoe
• kalte, blasse Haut
(Erst) bei Blutverlust über 50 % des Blutvolumens: Bewusstseinsverlust,
fehlender Puls und Blutdruck!

Folgerung: wichtige Indizien für das Vorliegen eines Volumenmangelschocks
bei entsprechender Verletzung / Erkrankung sind die Nagelbettprobe und
die Tachykardie. Bei einer Symptomatik mit Blutdruckabfall ist bereits von einem
massiven Blutverlust (30 - 40 % des Blutvolumens) auszugehen.

Neben den sichtbaren Blutungen müssen auch immer innere Blutungen
(z. B. Bauchraum) und Einblutungen an Frakturstellen bedacht werden!

8.5 · Schock 8229

Volumenmangelschock II

Aktuelle Konzepte zur Volumentherapie

Physiologische Grundlagen
Ein Hämoglobingehalt von > 10 g/dl bzw. ein Hämatokrit von > 30% indiziert
normalerweise eine ausreichende Sauerstofftransportkapazität. Dies ist i.d.R. bei
Blutverlusten < 30 % des Gesamtblutvolumens der Fall, wenn das verlorene Blut
(Erwachsene ca. 1,5 l) durch andere Flüssigkeiten ersetzt wird. Solange ist klinisch
auch noch kein starker Blutdruckabfall zu erwarten, die Volumentherapie aber
unbedingt indiziert, um ein adäquates Herzzeitvolumen zu erhalten. Bei Blutver-
lusten über 30 - 40 % (> 1,5 l) bzw. resultierendem Hb von < 8 - 10 g/dl wird in
kürzerer Zeit eine Transfusion humaner Blutbestandteile (auch Gerinnungs-
faktoren) nötig (abh. von Alter und Vorerkrankungen). Künstliche O2-Träger (z.B.
DCL-Hb) konnten bislang keine Alternative zu „echten Erythrozyten“ darstellen.

Möglichkeiten des Flüssigkeit- und Volumenersatzes
a) Kristalloide: Vollelektrolytlösungen (VEL) enthalten Kationen und Anionen

in der im Plasma vorkommenden Konzentration (Isotonie).
Die VEL ersetzt extrazelluläre Flüssigkeitsverluste. Nachteil: geringer Volumen-
effekt (Intravasalraum) - 50 %. Vorteil: keine allergischen Reaktionen

b) Kolloide: im RD werden Lösungen künstlicher Kolloide (Hydroxyethylstärke
= HES/HAES, seltener Dextrane u. Gelatine) verwendet, die eine höhere intravasale
Verweildauer als VEL aufweisen: volumenwirksame HWZ z.B. 2-3 h (HES 40.000)/
6-8 h (HES 450.000). Wenn der kolloidosmotische (= onkotische) Volumen
effekt das Infusionsvolumen übertrifft, spricht man von Plasmaexpandern
(z.B. HES 10% 200.000). Außerdem Verbesserung der Mikroperfusion

• Maximale Dosis HES (seit 1998 erhöht): 2g/kg KG/24 h = 33 ml/kg KG/24 h
• Dextrane sollten notfallmedizinisch wegen höheren allergischen Potentials

verlassen werden (zur Prophylaxe ggf. Vorgabe von Dextran 1 [Promit]).

Small-Volume-Resuscitation
Bei schwerem, akuten Volumenmangelschock kann die Bolusgabe geringer
Mengen (ca. 4 ml/kgKG) hyperosmolarer NaCl-Lsg. (7,2-7,5%) in kürzester Zeit
enorme Flüssigkeitsmengen aus dem Interstitium nach intravasal verschieben
(entspr. einer Volumengabe von ca. 40 bis zu 80 ml/kgKG). Dadurch schnelle
Stabilisierung mgl. Näheres s. S. 568.

Konzept der permissiven Hypotension (schwerer Blutverlust)
Bei unstillbarer innerer Blutung ist eine massenhafte Flüssigkeitsinfusion nicht
immer erfolgversprechend, da der Gehalt an Trägern im Blut durch „Verdünnung“
ständig sinkt (Hypoxie). Eine massive Volumengabe erhöht den Blutdruck und
kann dadurch die Blutung sogar verstärken! Daher wird für die möglichst kurze
Versorgung im RD bei penetrierender Verletzung und unstillbaren Blutungen ein
niedriger systolischer Blutdruck (80–100 mmHg) akzeptiert (sofern kein SHT/
WS-Trauma, junger Patient ohne Begleiterkrankungen).

230 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

! Volumenmangelschock I

Definition
Kreislaufinsuffizienz infolge Verminderung der zirkulierenden Blutmenge durch
Blut- und Plasmaverluste, Erbrechen, Durchfall, Verbrennung usw.

Symptomatik Nagelbettprobe Blutdruck Atem-
Blutverlust Pulsfrequenz frequenz
normal
< 15 % normal - erhöht normal normal normal
15 - 30 % stark erhöht verlängert normal erhöht
30 - 40 % stark erhöht verlängert erniedrigt
(syst. RR) erhöht
> 40 % stark erhöht verlängert stark erniedrigt
oder kein Puls

Kardiozirkulatorische Notfälle • Unruhe, Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit
• Blässe (bis Zyanose)
• kalter Schweiß (feuchte, kühle Haut), Durst, Oligurie
• Halsvenen kollabiert (nicht sichtbar), verminderte Venenfüllung (Punktion

erschwert!), Nagelbettprobe verlangsamt (> 2 s), Zentralisation (Hinweis:
pulsoxymetrische Überwachung des Patienten bei Zentralisation nicht
aussagekräftig!)
• zunehmende Tachykardie, Puls kaum tastbar (in der Terminalphase kann der
Übergang zur Bradykardie als Zeichen des drohenden Todes gewertet werden)
• Blutdruckabfall, Blutdruckamplitude vermindert
• evtl. schnelle, flache Atmung
• Hinweise auf starken Flüssigkeits- bzw. insbesondere Blutverlust (auch an
innere Blutung denken! Z. B. bei Fraktur, akutem Abdomen usw.)

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• ggf. Blutung stillen! Schocklage!
• Lagerung:

1. bei klarem Bewusstsein oder bei intubiertem Patient: auf dem Rücken;
Beine hochlagern (Schocklage)

2. bei (V. a.) (H)WS-Trauma: den Patienten auf der Trage komplett kippen
3. bei Bewusstlosigkeit (wenn nicht intubiert): stabile Seitenlage

Hinweis: Die Ganzkörperschräglage (im Vergleich zum Anheben der Beine)
soll nur im begründeten Ausnahmefall (2.) und dann nur bis zu einem
Winkel von ca. 15° durchgeführt werden, weil sie

• zum einen die Herzvorlast und den zentralvenösen Druck erhöht,
• aber die Hirndurchblutung vermindert und
• die Atmung durch erhöhten Druck auf das Zwerchfell beeinträchtigt.

8.5 · Schock 8231

Volumenmangelschock II !

• Untersuchung, Standardtherapie
• Schaffung großlumiger peripherer venöser Zugänge
• Zügiges Infundieren von Volumenersatz (ggf. als Druckinfusion):

• Vollelektrolytlösung (initial 20 ml / kg KG i.v., wenn nicht schon durch
RS / RA gegeben);

• kolloidales Volumenersatzmittel (z. B. Hydroxyethylstärke, initial bis 15 ml/
kg KG i.v.)

• Achtung: Vorsicht bei Herzerkrankungen und Ödemen!
• bei schwerer, akuter (hämorrhagischer) Hypovolämie

(z.B. geschätzter Blutverlust > 30%, ATLS-Stadium III)
ggf. Small-Volume-Resuscitation (möglichst initial):
z.B. HyperHAES, 4 ml / kg KG als Druckinfusion über 2-5 min i.v.
unter engmaschiger Kreislaufkontrolle (s.a.S. 568)
Aufrechterhaltung des Volumeneffektes durch konsequente Anschluss-
behandlung mit kolloidalen und kristalloiden Lösungen nach Bedarf
• ggf. Intubation und Beatmung (100 % Sauerstoff !)
• Kreuzblutabnahme (bei gebotener Eile schon zur Blutbank schicken, z. B.
mit NEF oder Polizei)
• Medikamente:
• ggf. Analgetika, z. B. Ketamin (0,2 - 0,5 mg / kg KG i.v.)
• ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) Cave: Blutdruckabfall,
Atemdepression!
• ggf. Narkoseeinleitung: z. B. Ketamin (1 - 2 mg / kg KG i.v.; halbe Initialdosis
im Allgemeinen nach 10 - 15 min; Beachte: Kombination mit Sedativa
empfohlen!)

Praxistipps
• Wenn nach schneller Infusion von 1000 ml Vollelektrolytlösung und 500

ml kolloidalem Volumenersatzmittel (Erwachsener) bzw. Small-Volume-
Resuscitation (s.o.) keine deutliche Verbesserung der Kreislaufsituation
erfolgt ➯ schneller Transport in die Klinik (Sondersignal). (Ggf. weitere
Infusionstherapie während des Transportes.) Vgl. S. 229
• Bei Polytrauma (s. Kapitel 9) generell die Zeit im Auge behalten; die
präklinischen Maßnahmen sollten innerhalb von 30 Minuten durchgeführt
worden sein. Nur in der Klinik bestehen Möglichkeiten operativer Blut-
stillung, einer Bluttransfusion, differenzierter Volumentherapie anhand
von Laborwerten usw. Vgl. S. 229.
• Bei penetrierender Verletzung, insbesondere des Thorax, schnellstmögli-
cher Transport (Sondersignal) in die Klinik mit Notarztbegleitung. Alle
anderen Maßnahmen müssen sozusagen nebenbei bewältigt werden.

Kardiozirkulatorische Notfälle 232 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Anaphylaktischer Schock

Pathophysiologie
Typ-1-Reaktion (Sofort-Reaktion) des Immunsystems; bei Antigen-Kontakt mit
Immunglobulin E (= Antikörper, gebunden an Mastzellen und basophile
Granulozyten) kommt es zur Freisetzung verschiedener Mediatorstoffe, z. B.

• biogene Amine aus Speichergranula (sofortige Freisetzung): Histamin
a) Wirkung an H1-Rezeptoren: rasche Dilatation aller kleinen Arteriolen
(➯ RR Ø, Schock, Hautrötung, Kopfschmerz), Permeabilitätsstörung im
Bereich der kleinen Venolen (➯ Quaddeln), Bronchospasmus, Verzögerung
der AV-Überleitung (negativ dromotrop)
b) H2-Rezeptoren: verzögerte u. langandauernde Dilatation aller kleinen
Arteriolen, Zunahme von Herzkraft (positiv inotrop) u. Magensaftsekretion
c) Allgemeine Wirkung: Juckreiz und Schmerz an sensiblen Nervenenden

• Arachidonsäuremetabolite (werden verzögert gebildet): Leukotriene und
Prostaglandine

Auch ein schneller Atem- / Herz-Kreislaufstillstand ohne Vorankündigung
(z. B. Hautsymptome) ist möglich.
Eine Spätreaktion mit o. g. Symptomen ist noch nach Stunden möglich.
Ein Blutdruckabfall oder eine Tachykardie kombiniert mit Symptomen wie
Urtikaria (Quaddelbildung), Quincke-Ödem (allergisches Gesichtsödem) bzw.
beginnender Bronchospastik sind immer hochgradig verdächtig auf eine
allergische Reaktion, auch wenn momentan kein direkter Zusammenhang zu
einem Allergen gefunden werden kann.

Allergenen, die häufiger eine Anaphylaxie auslösen

• Röntgenkontrastmittel
• kolloidale Volumenersatzmittel (Dextrane, Gelatine, HAES)
• Blutpräparate, eiweißhaltige Präparate, Nahrungsmittel (z.B. Nüsse)
• Fremdeiweiße (Schlangen- und Insektengifte)
• (Lokal-) Anästhetika, Impfstoffe, Latex

Stellenwert von Adrenalin bei Anaphylaxie (nach ERC)
Adrenalin ist allgemein als das wichtigste Medikament bei schwerer Anaphylaxie
akzeptiert; manche Risikopat. erhalten es als Bedarfsmedikation zur Autoinjektion.
Als alpha-Agonist wirkt es gegen periphere Vasodilatation und Ödeme; seine beta-
mimetische Wirkung bewirkt Bronchodilatation, positive Inotropie u. Unterdrük-
kung der Mediatorfreisetzung. Adrenalin ist um so effektiver, je früher es gegeben
wird. Dennoch birgt bes. die i.v.-Gabe Risiken (und ist daher der ausgeprägten
Schocksymptomatik vorbehalten), während die i.m.-Injektion als sicher gilt und
bereits bei ersten Schockzeichen angewendet werden sollte (z.B. verminderte
Kapillarfüllungszeit, inspirator. Stridor, Tachykardie). Die Adrenalinwirkung kann
durch Betablocker-Medikation vermindert sein; in derartigen Fällen kommt der
sonst ebenfalls wichtigen Volumengabe (> 1-2 l VEL) besondere Bedeutung zu.

8.5 · Schock 8233

Anaphylaktischer Schock !

Definition

Kreislaufinsuffizienz durch allergische Reaktion vom Sofort-Typ mit histamin-

vermittelter Weitstellung der peripheren Gefäße und Bronchospasmus

Symptomatik

Stadium I • Kopfschmerzen, Schwindel

• Flush (durchblutungsbedingte Hautrötung mit Hitzegefühl)

• Hautreaktionen: • Juckreiz (Pruritus)

• Nesselsucht / Quaddeln (Urtikaria)

• Ödeme (z. B. Quincke-Ödem =

Gesichts-Hals-Ödem)

Stadium II • Tachykardie, Blutdruckabfall, Nagelbettprobe > 2 s

• Übelkeit, Erbrechen

• Bronchospasmus

Stadium III • Manifester Schock

• Bronchospasmus, Atemnot

Stadium IV • Atemstillstand / Herz-Kreislaufstillstand

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen, Peak-flow-Messungen zur Verlaufskontrolle
• wenn möglich: Ursache beseitigen (z. B. Infusion stoppen; einen bereits

liegenden venösen Zugang zur weiteren Therapie unbedingt belassen!)
• Untersuchung, Standardtherapie

- ab Stadium I Großzügige Sauerstoffgabe
Kühlung von Schwellungen
(z. B. Insektenstich am Hals / im Mundraum)

- ab Stadium II zusätzlich Schocklagerung
1000 ml VEL als Druckinfusion, ggf. Wiederholung

- Stadium III zusätzlich ggf. Beatmung
- Stadium IV Beatmung, rechtzeitige Intubation (Ödem!), ggf. CPR

• Medikamente:
- ab Stadium I Antihistaminika, z. B. Dimetinden (0,1 mg / kg KG i.v.) und
Cimetidin (2 - 5 mg / kg KG i.v.) Immer H1- und H2-Blockade!
Kortikosteroide, z. B. Prednisolon (250 mg i.v.; Dämpfung
einer Spätreaktion durch Leukotriene). Ggf. Inhalation:
Adrenalin (s.S. 484) o. Betamimetika (z.B. Fenoterol)
- Stadium II Adrenalin: 0,5 mg (0,5 ml 1:1000) i.m.; Erfahrene ggf. schon
wie Stadium III
- Stadium III Adrenalin, fraktioniert zu je 0,1 mg i.v. (je 0,1 ml 1:10000)
(1 ml auf 10 ml NaCl 0,9 % verdünnen: 1 ml enth. 0,1 mg)
- Stadium IV ggf. Reanimation (CPR / ALS)

Kardiozirkulatorische Notfälle 234 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

! Neurogener Schock

Definition
ZNS-Störung mit Einfluss auf die Regulation der Gefäßenervation (vegetative Re-
aktion) bedingt eine periphere Gefäßerweiterung. S. a. Synkope (S. 188 ff.)

Ursachen
• Schädel-Hirn-Trauma
• starke Schmerzen
• Sonnenstich
• u. a. m.

Symptomatik
• Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Synkope
• Unruhe
• Blutdruckabfall
• meist Tachykardie (aber auch normaler Puls oder Bradykardie möglich)
• oft verminderte Venenfüllung

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen (Schocklage)
• Untersuchung, Standardtherapie
• Medikamente:

• α-Sympathomimetika, z. B. Etilefrin (1 - 10 mg i.v.; 1 Ampulle auf 10 ml
verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden
Wirkungseintritt titrieren) oder

• Antihypotonika, z. B. Cafedrin und Theodrenalin [Akrinor®] (0,2 - 2 ml i.v.;
1 Ampulle auf 10 ml verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis
zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren.)

8.5 · Schock 8235

Spinaler Schock !

Definition
Durch Weitstellung der Gefäße (Vasodilatation) bedingter Blutdruckabfall aufgrund
einer Sympathikusblockade (Ausfall der sympathischen Innervation der Gefäße)
bei Verletzungen des Rückenmarkes (akute Querschnittssymptomatik)

Symptomatik
• Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Synkope
• Blutdruckabfall
• Querschnittssymptomatik (vgl. Wirbelsäulentrauma, Kapitel 9)
• meist Tachykardie (aber auch normaler Puls oder Bradykardie möglich)
• oft verminderte Venenfüllung
• Unruhe

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen (Schocklage)
• Untersuchung, Standardtherapie
• Medikamente:

• α-Sympathomimetika, z. B. Etilefrin (1 - 10 mg i.v.; 1 Ampulle auf 10 ml
verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden
Wirkungseintritt titrieren) oder

• Antihypotonika, z. B. Cafedrin und Theodrenalin [Akrinor®] (0,2 - 2 ml i.v.;
1 Ampulle auf 10 ml verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis
zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren)

• ggf. Noradrenalin (0,9 - 6 μg / kg KG / h über Spritzenpumpe i.v.)

Kardiozirkulatorische Notfälle 236 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

! Septischer Schock

Definition
Kreislaufinsuffizienz, verursacht durch frei werdende Bakterientoxine (Eröffnung
physiologischer arteriovenöser Fisteln und Vasodilatation), führt zu Hyperzir-
kulation des Blutes mit Minderversorgung der Organe (hyperdyname Phase); später
Übergang in hypodyname Phase mit Symptomen des Volumenmangelschocks

Symptomatik
• Hyperventilation, Tachykardie, Blutdruck erniedrigt
• warme, gerötete Haut
• evtl. Zyanose der Hände und Finger
• Fieber, Schüttelfrost, Unruhe
• evtl. Petechien (punktförmige Hautblutungen)
• Im fortgeschrittenen Stadium auch blasse kalte Haut mit Zyanose und

Hypotonie möglich (hypodyname Form)

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Untersuchung, Standardtherapie
• Volumentherapie (primär VEL, bei V. a. erniedrigten kolloidosmotischen Druck

< 15 mmHg auch Kolloide)
• Medikamente:

- in der hypodynamen Phase und nach ausreichender Volumentherapie:
Katecholamine, vorzugsweise Noradrenalin (0,9–6 μg/kgKG/h i. v.); bei
längerer Katecholamintherapie Kombination mit einer positiv inotropen
Substanz

- Bei der akuten Meningokokkensepsis (ggf. auch Pneumokokken, H. influenzae)
erhält die Antibiose den Stellenwert einer Notfalltherapie. Bei vitaler Indikation
(Schockzeichen, Petechien, Dyspnoe) und Transportzeit > 30 min, wenn vor-
handen: Ceftriaxon oder Cefotaxim (50 mg/kgKG über 10 min i. v.; ggf.
Vorgabe eines Kortikoids); in diesem Fall kann auf vorherige Lumbalpunktion
verzichtet werden; die wichtigsten Meningitiserreger werden erfasst. Der
Verdacht muss bei unklarem Fieber mit Bewusstseinsstörungen u. ggf.
Meningismus entstehen.

Hinweise
• Verabreichung der Katecholamine nur über eine Spritzenpumpe
• In der Klinik chirurgische Sanierung der Sepsisherde und Antibiotika-Therapie
• Der septische Schock ist ein in der präklinischen Notfallmedizin rares Krank-

heitsbild.

8.6 · Herzbeuteltamponade 237 8

Herzbeuteltamponade !

Definition
Flüssigkeitsansammlung bzw. Einblutung zwischen den Perikardblättern (zwi-
schen Epikard und Perikard); dadurch Behinderung der Blutfüllung des Herzens
in der Diastole mit entsprechender Minderung des Schlagvolumens (Auswurf-
leistung). Das Ausmaß der Pumpinsuffizienz ist abhängig von Menge und Ge-
schwindigkeit der Flüssigkeitsansammlung (bei langsamem Flüssigkeits-
einströmen kann eine Menge von bis zu 500 ml verkraftet werden, bei plötzli-
chem Auftreten können schon 100 - 200 ml tödlich sein).

Ursachen
• penetrierende Thoraxverletzung mit Herztrauma, insbesondere dünne

Stichkanäle
• Myokardruptur (z. B. bei Herzwandaneurysma nach Herzinfarkt)
• Perikardergüsse (z. B. bei Perikarditis)
• nach operativen Eingriffen am Herzen

Symptomatik
• Thoraxschmerz, Druckgefühl, Atemnot, seufzende Atmung
• Blutdruckabfall (Beachte: der arterielle Blutdruck kann bis zur Dekompensation

unauffällig sein!)
• Synkope, Bewusstseinsstörungen bis Bewusslosigkeit, Unruhe
• Herztöne leise und dumpf
• EKG: Niedervoltage
• Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz (Ödeme, gestaute Halsvenen usw.;

diese Zeichen können bei gleichzeitigem Volumenmangel, z. B. bei Thorax-
trauma, fehlen)

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen
• Untersuchung, Standardtherapie
• je nach Symptomatik Behandlung wie kardiogener Schock /

Herzinsuffizienz
• Perikardpunktion bei weitgehend gesicherter Diagnose (präklinisch schwierig

zu diagnostizieren!) bzw. als Ultima Ratio in verzweifelten Fällen:
Technik: Lagerung des Patienten: Oberkörper ca. 30° hochgelagert.
Punktionsstelle: xyphoido-sternaler Winkel (linksseitig!). Stichrichtung:
kranial-dorsal-lateral im 45°-Winkel auf Zentrum der Scapula sinistra zu.
Unter Aspiration Perikardpunktionsnadel vorschieben bis Flüssigkeit aspiriert
wird. Komplikationen: Verletzung von Leber, Magen, Lunge (z.B. Pneumo-
thorax), der A. thoracica interna oder einer Koronararterie. Herz-Rhythmusstö-
rungen (evtl. Kammerflimmern), Ventrikelpunktion, Perikarditis. Cave: Punkti-
on nur unter EKG-Monitoring und Defibrillationsbereitschaft durchführen!

Kardiozirkulatorische Notfälle 238 Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle

Aortenaneurysma-Ruptur

Definition: Ruptur einer Aussackung der Aorta oder Ausbildung eines dis-
sezierenden Aneurysmas im Thorax

Thorakales Aortenaneurysma
Meist Aortendissektion (Ruptur der inneren Gefäßwand mit Einströmen von Blut
zwischen die Gefäßwandschichten). Symptomatik mit akutem Thoraxschmerz
ähnlich dem Herzinfarkt (bzw. ACS)

Abdominelles Aortenaneurysma
Aussackung der kompletten Gefäßwand (80 % infrarenal - unterhalb des Abgan-
ges der Nierenarterie; wesentlich häufiger als thorakales Aortenaneurysma). In
2/3 der Fälle zuerst gedeckte Ruptur (Blutung in den Retroperitonealraum mit
Eigentamponade), in 1/3 der Fälle freie Perforation mit Einblutung in den Bauch-
raum / in die freie Bauchhöhle

Symptomatik:
• Gedeckte Perforation: plötzlich einschießende Bauch- und Rückenschmer-

zen (evtl. wie Harnleiterkolik), starker Blutverlust, Schmerzausstrahlung in
Flanke und Leiste. Achtung: Jederzeit Übergang in freie Ruptur möglich!
• Freie Ruptur: Perforation mit Blutverlust in die freie Bauchhöhle: Akuter (Un-
ter-)Bauchschmerz, massiver Schock, sekundenschnelles Verbluten möglich

Aneurysma verum: Aneurysma dissecans: Aneurysma spuricum
Aussackung der Gefäß- Blut wühlt sich zwischen (oder falsum):
wand (Erweiterung aller die Gefäßwandschichten Durch ein Gefäßleck tritt
Schichten: Intima, und dehnt die äußere Blut aus; das Hämatom
Media und Adventitia) Wand auf. wird von einer binde-
gewebigen Kapsel um-
geben.


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