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Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

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Published by NoSpam, 2018-01-10 22:07:49

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

2.4 · Straßenverkehrsrecht 89 2

Sonderrechte / Wegerecht I

Sonderrechte

Nach § 35 Abs. 5 a StVO sind „Fahrzeuge des Rettungsdienstes von den Vorschrif-
ten der StVO befreit“, wenn „höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu
retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.“
Die berechtigten Fahrzeuge dürfen also unter den genannten Voraussetzungen
gegen die Vorschriften der StVO verstoßen. Es ist aber nicht erlaubt, gegen Vor-
schriften anderer Gesetze (z. B. StGB, StVG, StVZO) zu verstoßen, die ebenfalls
straßenverkehrsrechtliche Regelungen enthalten! (z. B. Gefährdung des Straßen-
verkehrs, Alkohol am Steuer). Die Inanspruchnahme von Sonderrechten bedarf
keiner Kennzeichnung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern (ist aber sinn-
voll, um Gefahren zu minimieren). „Die Sonderrechte dürfen nur unter gebühren-
der Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt wer-
den.“ (§ 35 Abs. 8 StVO). Dies bedeutet eine erhöhte Sorgfaltspflicht bei der
Inanspruchnahme von Sonderrechten. Bei einem Unfall mit Sonderrechtsgebrauch
wird sich der Fahrer immer dem Vorwurf stellen müssen, dass er die öffentliche
Sicherheit und Ordnung nicht gebührend beachtet hat, da sonst der Unfall gar
nicht hätte passieren können. Der § 35 StVO gibt dem RD kein allgemeines Vor-
recht gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern.

Wegerecht

Gemäß § 38 Abs. 1 StVO darf der Rettungsdienst blaues Blinklicht zusammen
(!) mit dem Einsatzhorn verwenden, „wenn höchste Eile geboten ist, um Men-
schenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwen-
den.“ Damit wird allen übrigen Verkehrsteilnehmern angeordnet, sofort freie Bahn
zu schaffen. Trotzdem erhöhte Sorgfaltspflicht:
Auf Sicht fahren (Vergewissern, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer das RD-
Fahrzeug gesehen haben; Überfahren roter Ampeln und vorfahrtnehmender
Schilder nur mit Schrittgeschwindigkeit und wenn die anderen Verkehrsteilneh-
mer zum Stehen gekommen sind, bzw. ihre Geschwindigkeit ausreichend ver-
mindert aben; langsames und umsichtiges Fahren in der Nähe von Kindergärten,
Schulen, Altenheimen, bei Fußgängerüberwegen, in Fußgängerzonen, etc.)

Blaues Blinklicht alleine

darf laut § 38 Abs. 2 StVO zur Warnung an Unfall-/Einsatzstellen und bei Fahr-
ten im geschlossenen Verband verwendet werden. In verschiedenen Einsatz-
situationen ist es übliche Praxis, nur mit blauem Blinklicht alleine zu fahren (z. B.
nachts), und dabei Sonderrechte in Anspruch zu nehmen. Wegerecht besteht
dabei aber nicht! Trotz evtl. vernünftiger Gründe für dieses Verfahren (z. B. Scho-
nung von Patienten oder Anwohnern) sind im Falle eines Unfalls erhebliche Kon-
sequenzen für den Fahrer möglich, da dieser glaubhaft nachweisen muss, dass
seine Vorgehensweise sorgfältig war und der Unfall bei Einsatz der akustischen
Warnanlage auch geschehen wäre.

Recht 90 Kapitel 2 · Recht

Sonderrechte / Wegerecht II und Unfall

Indikationstellung für Sonderrechte/Wegerecht
• Leitstelle: bei Alarmierung, wobei sich der Fahrer darauf verlassen muss und

darf, dass die Kriterien zur Sondersignalfreigabe tatsächlich vorliegen
• Besatzung: Indikationsstellung durch den medizinisch Höchstqualifizierten
Abwägung: Medizinischer Nutzen durch Zeitgewinn versus Risiko (statistisch ca.
8-fach erhöhtes Unfallrisiko) und Wirkung auf den Patienten (ggf. Aufklärung).

Hinweis: Vom Einsatz eines NEF als „Straßenräumer“ für einen RTW, der einen
Patienten mit Sonderrechten/Wegerecht zur Klinik transportiert, muss aus versch.
Gründen abgeraten werden! Ein NEF darf einem mit Sondersignal zur Klinik fah-
renden RTW nur mit Sondersignal folgen, wenn ein neuer Einsatz konkret vorliegt.

Eigenunfall oder Vorbeifahren an Fremdunfall

1. Immer anhalten!
Jeder Unfallbeteiligte muss sich nach einem Unfall als solcher den anderen Unfall-
beteiligten zu erkennen geben, d.h. seine Personalien, Fahrzeugkennzeichen und
die Art seiner Beteiligung angeben (sonst: unerlaubtes Entfernen vom Unfallort,
§ 142 StGB). Wichtig: Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten zum Unfall beige-
tragen haben kann (§ 142 V StGB). Häufig verursacht z. B. Sondersignalgebrauch
ein Fehlverhalten Dritter (z. B. Sturz eines Fahrradfahrers oder Auffahrunfall durch
Unaufmerksamkeit) . das Rettungsmittel ist dann Unfallbeteiligter im Sinne des
Gesetzes und muss auch bei Bagatellschäden immer zunächst anhalten.

2. Erste kurze Meldung an die Leitstelle
• Eigenwahrnehmung/Beteiligung an Verkehrsunfall
• vorläufig nicht einsatzbereit; ggf. prophylaktisch weiteres Rettungsmittel zum

ursprünglichen Einsatzort entsenden

3. Unfallstelle absichern und sorgfältige Erkundung
• Sind Personen verletzt? (Schwere der Verletzungen?)
• Eigenes Fahrzeug einsatzfähig? (Fahrfähig? Betriebssicher? Verkehrssicher?)

4. Entscheidung
• Wenn kein weiterer Unfallbeteiligter vor Ort und dringlicher Einsatz (§ 35 V StVO)

den Einsatz fortsetzen (berechtigtes Entfernen) und unverzüglich danach Kon-
takt mit Polizei aufnehmen (Unfallbeteiligung per Funk an RLS dokumentieren).
• Bei nicht dringlichem Einsatz oder Fahrt ohne Auftrag: grundsätzlich zunächst
vor Ort bleiben; wenn kein weiterer Unfallbeteiligter vor Ort ist, angemessene Zeit
warten; danach Kontakt mit Polizei und ggf. Geschädigten aufnehmen.

• Sind Personen verletzt?

2.4 · Straßenverkehrsrecht 91 2

Unfall II

Mögliche Konstellationen:

Verletzte außerhalb Anfahrt zum Pat. Patient an Bord Patient an Bord
des Rettungsmittels Notfalleinsatz (vital bedroht) (Patient stabil)

definitiv keine weiterfahren weiterfahren weiterfahren

nur Leichtverletzte abwägen abwägen abwägen

Schwerverletzte vor Ort bleiben vor Ort bleiben vor Ort bleiben

• Vorgehen A: Vor Ort bleiben
Grundsatz: Patienten/Verletzte (erst-)versorgen!
Keinesfalls von der Unfallstelle entfernen. Anderenfalls droht Strafbarkeit wegen
unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c StGB) oder gar Körperverletzungsdelikten
durch Unterlassung (Garantenstellung, § 13 StGB i. V. m. entsprechenden Tat-
beständen nach § 223 ff. StGB). Für verletzte Unfallgegner möglichst anderes
Rettungsmittel anfordern, um emotionale Spannungen mit juristischen Folgen
vorzubeugen (z. B. Vorwurf eines Behandlungsfehlers)
• Vorgehen B: Weiterfahren
Grundsatz: gerechtfertigtes Entfernen vom Unfallort!
Entfernen vom Unfallort ist in Ordnung, wenn den anderen Unfallbeteiligten die
eigenen Personalien, das Fahrzeugkennzeichen und die Beteiligung am Unfall
angegeben wurden (dauert nicht lange). Ein vorheriges Entfernen kann im Ex-
tremfall über § 34 StGB (vgl. S. 83) gerechtfertigt sein. Umstände des Einzellfalles
sind entscheidend. Bei Fahrt zu vermutlich kritischem Einsatz oder bei kritischem
Patient an Bord und lediglich Sachschaden vor Ort ist eine Weiterfahrt zulässig.
Möglichst Polizei (ggf. über Funk) kurz darüber informieren und der Polizei un-
mittelbar nach Beendigung des Einsatzes zu Verfügung stehen.
• Vorgehen C: Abwägen
Grundsatz: Sehr genaues Abwägen zwischen Vorgehen A und B.

Je geringer der Schaden vor Ort und je größer der Schaden für den Patienten (zu
dem gefahren wird bzw. der an Bord ist), desto eher ist eine Weiterfahrt gerecht-
fertigt! Eine Strafbarkeit entfällt dann (in Extremfällen) aufgrund Rechtfertigung
über § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) bzw. aufgrund einer rechtfertigen-
den Pflichtenkollision. Im Zweifel (z.B. über die Verletzungsschwere beteilig-
ter Personen) vor Ort bleiben!

6. Zweite, konkrete Meldung an die Leitstelle
• Schadenslage: Verletzte (schwer/leicht), Sachschäden, Gefahrenlage
• Eigene Lage: eigenes Personal/Fahrzeug einsatzbereit/nicht einsatzbereit
• Entscheidung: wir bleiben vor Ort / wir führen ursprünglichen Auftrag aus
• Nachforderung von Polizei/Feuerwehr/Rettungsdienst

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Recht 94 Kapitel 2 · Recht

Behandlungs- und Mitfahrverweigerung III

1 öffentliche Sicherheit und Ordnung

Die öffentliche Sicherheit:
• Bestand des Staates
• ordnungsgemäßes Funktionieren staatlicher Einrichtungen
• Schutz der Individualrechtsgüter (Leben, Gesundheit, Vermögen, Eigentum))
• Schutz der gesamten geschriebenen Rechtsordnung
Jeder Verstoß gegen Gesetze/Vorschriften gefährdet die öffentliche
Sicherheit.

Die öffentliche Ordnung:
In einem Polizeibezirk herrschende Wertvorstellungen, sofern sie unerlässlich für
ein friedliches Zusammenleben sind. Sie müssen mit staatlichen Gesetzen,
insb. mit Grundrechten (speziell von Minderheiten!) vereinbar sein.

2 Einwilligungsfähigkeit

Ab ca. 14–16 Jahre, aber Einzelfallentscheidung; hängt von „individueller geisti-
ger und sittlicher Reife“ ab. Verstehen der Bedeutung und Tragweite der Be-
handlung bzw. Nichtbehandlung. Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) hat nur
Indizwirkung. Kriterien der Einwilligungsfähigkeit:
• Verhalten:

- Kongruent (passt zusammen)
- Konsistent (beständig, dauerhaft)
• Bewusstsein: orientiert bzgl.
- Person („Wie heißen Sie?“/„Wie ist ihr Geburtsdatum?“)
- Situation („Was ist vorgefallen?“)
- Ort („Wo sind wir?“)
- Zeit („Welcher Tag ist heute?“)
- Raum (gerichteter Bewegungen des Patienten?)
• Antizipationsfähigkeit (in die Zukunft planen/denken können)
• Keine verzerrte Wahrnehmung (Krankheit/Medikamente/Notfall)
• Ausreichende Intelligenz, um die Aufklärung zu verstehen
• Erkennen von Erforderlichkeiten unter Berücksichtigung von Alternativen

Merke: Ein Patient, der angesichts einer Lebensbedrohung die Behandlung ver-
weigert, sollte im Falle eines Zweifels bezüglich oben genannter Kriterien nicht als
einsichtsfähig gelten.

3 Voraussetzung für Zwangsbehandlung/-einweisung

• Vorliegen einer psychischen Störung,
• die zu einer Eintrübung der freien Willensbildung führt
• und eine Eigen-/Fremdgefahr (auch langfristig) birgt.

2.5 · Behandlungsverweigerung 95 2

Behandlungs- und Mitfahrverweigerung IV

4 Mutmaßliche Einwilligung

Ist ein Patient nicht einwilligungsfähig (Bewusstlosigkeit, Vollrausch etc.), muss
gemutmaßt werden, welche Entscheidung er bei klarem Bewusstsein treffen wür-
de. Voraussetzung dafür ist aber immer, dass der Behandelnde sich um eine ernst-
hafte Erforschung des Patientenwillens bemüht und nicht seine eigenen Ansich-
ten oder allgemeingültige Vorstellungen an dessen Stelle gesetzt hat. Ist z. B.
bekannt, dass ein Patient bestimmte Maßnahmen aus religiösen oder weltan-
schaulichen Gründen generell ablehnt, kann nicht von einer mutmaßlichen Ein-
willigung ausgegangen werden. Anwesende bekannte Personen des Patienten
oder der Sorgeberechtigten (Lehrer, Gruppenleiter etc.) können hier ein Indiz
geben, sind also zu befragen.
Bei lebensrettenden Maßnahmen ist eine mutmaßliche Einwilligung im all-
gemeinen anzunehmen!
Gleiches gilt wenn ein Sorgeberechtigter nicht erreichbar ist. Hier ist sein mutmaß-
licher Wille ausschlaggebend. Generell gilt: je schwerer und komplika-
tionsträchtiger einer- und je weniger dringlich andererseits der Eingriff ist, desto
eher ist davon auszugehen, dass die Einwilligung durch die Eltern als gesetzliche
Vertreter erfolgen muss. In dringenden Fällen können die Maßnahmen im Voraus
getroffen werden, der Sorgeberechtigte ist aber baldmöglichst zu verständigen.

5 Wenn Nichtbehandlung geboten ist, gilt:

• Behandlung wäre eine Straftat.
• Aber: Soziale Notwendigkeiten verantwortungsvoll regeln (z. B. Beaufsichtigung,

Hilfe durch Sozialstation organisieren)
• ggf. bei Gesundheitsamt/Ordnungsamt/Vormundschaftsgericht melden
• Immer Patienten ausführlich aufklären! ggf. Notarzt
• Immer gut dokumentieren! Zeugen!

6 Gewaltanwendung

Gewaltanwendung durch RD Personal erfordert unbedingt die Anwesenheit der
Polizei!

7 Behandlung trotz Verweigerung eines Sorgeberechtigten

• Bei Lebensgefahr und höchster Eile kann in seltenen Ausnahmefällen auch ge-
gen den Willen der Betreuer behandelt werden. Rechtfertigung (Straffreiheit)
über § 34 StGB (Notstand) z. B. Verweigerung aufgrund religiöser Vorbehalte
der Sorgeberechtigten gegen die nötige Maßnahme.

• Vorsicht! Sehr kritisch prüfen!
• (Notarzt!), ggf. Polizei!

Recht 96 Kapitel 2 · Recht

Medizinproduktegesetz

Die Besatzung ist als Anwender im Sinne des Gesetzes (MPG, MPBetreibV) für
Sicherheit, Funktionszustand und Vollständigkeit von Material und Fahrzeug
verantwortlich. Daher sind zu den auf den eigenen Rettungsmitteln vorgehalte-
nen Geräten fundierte Kenntnisse erforderlich: Bedienung, Wartung, Pflege (inkl.
sachgerechte Desinfektion).

Für bestimmte Verstöße im Medizinprodukterecht werden Strafen oder Bußgel-
der angedroht, auch wenn niemand zu Schaden kommt, z. B.:
• Anwendung von mängelbehafteten Medizinprodukten ist strafbar (Freiheits-
strafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe)
• Unbefugter Anwendung, z. B. wegen ungenügender Ausbildung/Kenntnisse/
praktischer Erfahrung ohne Gewähr einer sachgerechten Handhabung (Ordnungs-
widrigkeit; Geldbuße bis zu 25 000,- EUR).

Einweisung
Jeder Anwender eines Medizinproduktes der Anlage 1 MPBetreibV (De.brillato-
ren, Beatmungsgeräte, Spritzenpumpen) muss nach § 5 MPBetreibV durch einen
Berechtigten (meist MPG-Beauftragter) eingewiesen sein. Es besteht eine Doku-
mentationsp.icht im Gerätebuch. Manipulationen an Geräten und Gerätemodellen,
für die keine Einweisung vorliegt, sind im Regelfall verboten (z. B. Inkubatoren,
Beatmungsgeräte oder Spritzenpumpen von Kliniken bei Intensivverlegungen).

Funktionstest
Jedes Medizinprodukt ist vor jeder Anwendung einem Funktionstest zu unterzie-
hen. Hierbei reicht bei Geräten der Anlage 1 meist der Selbsttest nicht aus (siehe
Bedienungsanleitung). Die Funktionsprüfung ist im Rettungsdienst u. U. nicht
möglich – daher: nach dem Einsatz ist vor dem nächsten Einsatz!
• Sicherheits- und messtechnische Kontrollen (STK/MTK): Der Betreiber hat bei
Medizinprodukten der Anlage 1 nach den Angaben des Herstellers – aber mind.
alle 2 Jahre – sicherheitstechnische Kontrollen durchzuführen. Für Medi-
zinprodukte der Anlage 2 gilt bezüglich der messtechnischen Kontrolle gleiches.
(Kontrolle der Prüfplakette bei Dienstantritt).

Meldung von (Beinahe-) Vorkommen
Der Betreiber und/oder der Anwender ist zur Meldung von sicherheitsrelevanten
Vorkommnissen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
verppflichtet (MPSV). Das Meldedokument ist unter www.bfarm.de zu erhalten!

Zugriff auf Bedienungsanleitungen
Nach § 9 MPBetreibV muss von jedem Mitarbeiter jederzeit die Bedienungsanlei-
tung eingesehen werden können. D. h. für Geräte der Anlage 1 sollte mindestens
eine Kurzanleitung (des Herstellers) auf dem Rettungsmittel vorgehalten werden.

Kapitelübersicht 39 7

Notfalldiagnostik

3.1 Allgemeine Hinweise .................................................... 98

3.2 Leitsymptomatik ........................................................... 99
Neurologie ......................................................... 9 9
Atmung ............................................................ 100
Herz-Kreislauf .................................................. 101
Abdomen (auch Urologie / Gynäkologie) .... 102
Trauma ............................................................. 103

3.3 Ultraschalldiagnostik im Rettungsdienst ..................... 104
3.4 Differenzialdiagnosen (DD) ......................................... 108

DD Thoraxschmerz (retrosternal) ................. 108
DD Herzklopfen / Herzrasen ........................... 110
DD Kopfschmerz / Gesichtsschmerz ............ 111
DD Übelkeit / Erbrechen ................................. 112
DD Diarrhö ....................................................... 113
DD Fieber / Schüttelfrost ................................ 114
DD Husten / Auswurf ...................................... 115
DD Akuter Verlust der Sehkraft ..................... 116
DD Schwindel .................................................. 116

Weitere differenzialdiagnostische Übersichten:
Akutes Abdomen ......................................... 290 ff.
Peripherer Gefäßverschluss ............................ 246
Synkope ....................................................... 190 f.
Vaginale Blutung ............................................. 298

Beachte: Diese Differenzialdiagnosen sind für Belange des Rettungsdienstes mo-
difiziert und erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

EKG-Diagnostik/Herzrhythmusstörungen s. Kapitel 4

Notfalldiagnostik 9 8 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

Allgemeine Hinweise

Die Notfalldiagnostik sollte in jedem Fall den gründlichen Basischeck (s.
S. 16), die Rahmenbedingungen, eine leitsymptomorientierten Anamnese
und das Allgemeinbefinden des Patienten (z. B. Todesangst) einschließen.
Dabei ist stets auch zu hinterfragen ob die Symptome akut neu aufgetreten
(Notfall!) oder chronisch unverändert (Notfall?) sind.

Ablauf der Notfalluntersuchung im Kontext
1. Lebensrettende Sofortmaßnahmen / Basismaßnahmen
2. Möglichst Stabilisierung des Patienten
3. Aus Anamnese, Rahmenbedingungen und Basischeck ergibt sich die

Leitsymptomatik ➯ Erweiterte leitsymptomorientierte Notfalldiagnostik:
- Neurologische Leitsymptomatik s. S. 99
- Respiratorische Leitsymptomatik s. S. 100
- Kardiozirkulatorische Leitsymptomatik s. S. 101
- Abdominelle / Gynäkologische / Urologische Leitsymptomatik s. S. 102
- Traumatologische Leitsymptomatik s. S. 103

4. Diese Notfalldiagnostik führt zu einer vorläufigen Arbeitsdiagnose, die
entweder offensichtlich ist (z. B. sichere Fraktur), durch den Erfolg der sich
anschließenden Notfalltherapie bestätigt wird (z. B. Opioidintoxikation nach
Naloxongabe) oder erst in der Klinik überprüft werden kann (z. B. zerebrale
Ischämie mittels CT).

Psychologische Faktoren bei der Notfalldiagnostik
• Mit Faktoren rechnen, die die Kommunikation mit dem Patienten beeinträch-
tigen können. Diese müssen schnell erkannt und, wenn möglich, umgangen
werden. Bsp.: Sprachbarriere (bewusst langsam, deutlich und dialektfrei
sprechen, ggf. dolmetschen lassen (z. B. Familienangehörige), Hörstörungen/
Taubheit, Sehstörungen/Blindheit, Religionszugehörigkeit.
• Aktives Zuhören:
Positive Wertschätzung, Empathie (Einfühlen), Selbstkongruenz (Ehrlichkeit)
• Mögliche Beurteilungsfehler beachten, z. B.
Æ Halo-Effekt: Ein besonders augenfälliges Symptom führt zur Unterschät-
zung eines weniger beeindruckenden, aber bedeutsameren Zeichens.
• Es ist darauf zu achten, dass dem Patienten bei Untersuchungsvorgängen und
Fragen keine Reaktionen oder Antworten nahegelegt werden (Suggestion).
• Scham kann zu unvollständigen oder unrichtigen Äußerungen führen. Ggf.
auch von scheinbar nicht störenden Anwesenden Distanz verlangen (z. B.
Arbeitskollegen, u. U. sogar Eltern oder Freunde). Patientenwunsch beachten!
• Eine gute begleitend durchgeführte psychische erste Hilfe (s. Kapitel 15)
fördert in der Regel eine notfallmedizinisch effiziente Kommunikation.

3.2 · Leitsymptome 39 9

Leitsymptomatik - Neurologie

1. Retrograde Amnesie; z. B. Commotio cerebri, Schädel-Hirn-Trauma
2. Pupillenzustand (Anisokorie?)

a) Miosis:
z. B. bei Parasympathomimetika (Physostigmin, E 605®), Opiaten,
Blutungen und Raumforderungen am Hirnstamm (max. enge Pupillen ohne
Lichtreaktion), sonstigen zerebralen Raumforderungen, Horner Syndrom
(Miosis, Ptosis, (Pseudo-)Enophtalmus) - bei entzündlichen oder raum-
fordernden Prozessen am Hals, sowie als Warnzeichen vor Einklemmung des
Hirnstammes bei Hirnödem
b) Mydriasis:
z. B. bei Sympathomimetika, Parasympatholytika, intrakraniellen Raum-
forderungen (Blutung, Ödem, Tumor), tiefen Komastadien (Bulbärhirnsyndrom,
Hirntod), nach Grand-Mal-Anfall, erblindetes Auge, Glasauge, Pupillotonie/Adie-
Syndrom (parasympatische Innervationsstörung), Augentropfen
3. • Physiologische Reflexe, z. B.:

- 1. Prompte direkte Lichtreaktion des beleuchteten Auges (Miosis).
2. Prompte indirekte Lichtreaktion des nicht beleuchteten Auges bei
Beleuchtung des anderen (Miosis).

- Kornealreflex (Hirnnerven V1 und VII): Lidschluss auf Reiz der Kornea
- Würge-, Schluck- und Hustenreflex (Hirnnerven IX und X)
- Muskeleigenreflexe: z. B. Patellar-(L3/4) und Bizeps-(C6) Sehnenreflex
- Fremdreflex: Bauchhautreflex (Th5-Th12)
Fehlende, verzögerte oder nicht seitengleiche Reflexe sind i.d.R. Ausdruck
neurologischer Störungen (z. B. SHT, Apoplexie)
• Pathologische Reflexe (nur bei zentralen neurologischen Störungen
vorhanden, z. B. Pyramidenbahnläsion; z. T. bei Neugeborenen und Säug-
lingen noch physiologisch!), z. B.:
- Babinski- / Gordon- / Oppenheim-Reflex (tonische Dorsalflexion der Groß-

zehe mit Abspreizen der übrigen Zehen bei Bestreichen des lateralen
Fußrandes / „Wadenkneten“ / kräftiges Entlangstreichen an der Tibiakante)
- Greifreflex (Festhalten des Gegenstandes nach Berühren der Handfläche)
4. Nervendehnungsschmerz, z. B. Lasègue-Zeichen:
• normal = problemloses Anheben (Untersucher) des gestreckten Beines
• positiv (Schmerzen dabei): Nervenwurzelirritation im Lumbalbereich (z. B.
bei Bandscheibenvorfall, Meningitis)
5. Meningismus (nicht testen bei V.a. HWS-Verletzung): möglicher Hinweis auf
z. B. Meningitis, Subarachnoidalblutung, Sonnenstich oder HWS-Trauma.
6. Prüfen weiterer wichtiger Hirnnerven (z. B. III u. VI: Augenbewegungen /
V: Sensibilität der Gesichtshaut / XII: Zungenmotorik) und der Koordination
(u. a. Kleinhirn und Basalganglien; z. B.: Finger zur Nasenspitze führen;
Diadochokinese = schnell alternierende gegensätzliche Bewegungen).

100 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

Leitsymptomatik - Atmung

Atembewegungen

• beschleunigt (Tachypnoe): z. B. bei Gasaustauschstörung der Lunge,

Anstrengung,erhöhtem O2-Bedarf
• Kussmaulatmung (vertieft und beschleunigt): z. B. bei Azidose

• Hinweise auf zentrale Atemstörungen:

Cheyne-Stokes-Atmung: Biot-Atmung:

Notfalldiagnostik • Schnappatmung (niedrigfrequente Atembewegung des Mundes ohne
adäquate Thoraxbewegung): Herz-Kreislaufstillstand!

• invers (“Schaukelatmung”; Vorwölbung der Bauchdecke bei Einatmung bei
gleichzeitiger Einziehung des Thorax u. umgekehrt): Atemwegsverlegung!

• paradox (Thoraxeinziehung bei Ein- und -vorwölbung bei Ausatmung):
Rippenserienfraktur, instabiler Thorax

Atemgeräusch (ohne Stethoskop)
• normal = leises Strömungsgeräusch / fehlend: Atemstillstand
• pfeifend (spastisch) bei Ausatmung (verlängert): z. B. bei Asthma
• Stridor (ziehend-pfeifend-schnarchendes Geräusch): Atemwegsverlegung
- inspiratorisch: Verlegung der oberen Atemwege, z. B. Epiglottitis
- exspiratorisch: Verlegung der unteren Atemwege, z. B. Bronchospastik
• feines Rasseln: z. B. bei Lungenödem, Lungenentzündung
• grobes Rasseln: z. B. bei Flüssigkeit in Rachen / Trachea; Aspiration

Qualität des Atemgeräusches (mit Stethoskop; bei Einatmung):
• normal = vesikulär - leises Stömungsgeräusch beidseitig und seitengleich
• einseitig: z. B. bei Pneumothorax, Spannungspneumothorax, falsche
Tubuslage (zu tief ➯ meist rechtsseitiges Atemgeräusch)
• trockene Rasselgeräusche (Giemen, Brummen, Pfeifen) bei der Ausat-
mung: z. B. bei Asthma oder Bronchitis
• feuchte Rasselgeräusche:
- feinblasig, nicht klingend (= ohrfern): z. B. bei Lungenstauung
- feinblasig, klingend (= ohrnah): z. B. bei Lungenentzündung
- grobblasig: Flüssigkeit oder Schleim in den Bronchien, Lungenödem

Perkussion der Lunge
• normal = sonor
• hypersonor: z. B. bei Pneumothorax
• gedämpft: Pleuraerguss, Lungenentzündung; Hämatothorax

Hautknistern
• Hals / Thorax: Hautemphysem z. B. bei Lungenverletzung, Pneumothorax
• Alle Lokalisationen: Gasansammlung unter Haut, z. B. bei Gasbrand

3.2 · Leitsymptome 3101

Leitsymptomatik - Herz-Kreislauf

Halsvenen
• normal = kaum sichtbar
• gestaut, prall gefüllt: z. B. bei Herzinsuffizienz, Lungenembolie, kardiogener
Schock, Spannungspneumothorax, Perikardtamponade
• pulsierend: Trikuspidalklappeninsuffizienz

Nagelbettprobe
• normal = schnelle Füllung (Rötung) des Nagelkapillarbettes nach Druck auf
den Nagel (Weißfärbung)
• verzögert (> 2 s): z. B. bei Zentralisation, Schock, Unterkühlung

Periphere Pulse tastbar?
• normal = ja
• nein: z. B. bei Durchblutungsstörungen, Zentralisation (Schock)

Haut / Schleimaut
• normal = rosig
• gerötet: Extremitäten ➯ z. B. bei Entzündung, Thrombose; Kopf ➯ z. B. bei
Hypertonus, Sonnenstich; ganzer Körper ➯ z. B. bei Hitzschlag, Fieber,
Atropinintoxikation
• blass: z. B. bei Schock, Zentralisation, Anämie, Durchblutungsstörung
• Ikterus: z. B. bei Leber- u. Gallenwegserkrankungen
• Zyanose: z. B. Hypoxie, Pseudozyanose durch Farbstoffe (Toluidinblau)
• Quaddeln / Ausschlag: z. B. allergische Reaktion, andere Hautkrankheiten

Extremitätentemperatur
• normal = warm
• heiß: z. B. bei Fieber, Entzündung, Thrombose
• kalt: Durchblutungsstörung, Zentralisation, Unterkühlung
• kaltschweißig: z. B. bei Herzinfarkt, Schock, Akutem Abdomen

Hautturgor
• normal = glatt, spannungslos
• Ödeme: z. B. bei Herzinsuff., Thrombose, Lymphstau, Entzündung
• stehende Hautfalten: Flüssigkeitsmangel, Exsikkose
• Schwellung: Verletzung, Tumor, Entzündung, Ödem, Lymphknoten

Nykturie
z. B. bei Herzinsuffizienz, Prostataadenom

Herz - Auskultation
Das Abhören und die Beurteilung der Herztöne und Herzgeräusche besitzt kaum
Relevanz im akuten präklinischen Notfallgeschehen. Eine Ausnahme bildet ledig-
lich die Überwachung der Herztätigkeit beim Transport von Säuglingen und Klein-
kindern (präkordiales Stethoskop). Zur Diagnose Herz-Kreislaufstillstand bzw.
zur Todesfeststellung bedient man sich der Pulskontrolle (Karotispuls), ergänzt
durch eine EKG-Ableitung und ggf. der Identifikation sicherer Todeszeichen.

Notfalldiagnostik 102 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

Leitsymptomatik - Abdomen

Schmerzen (siehe jeweils auch Akutes Abdomen S. 290 ff.)
• kontinuierlich zunehmend: Entzündung, z. B. Appendizitis, Peritonitis
• Kolik: z. B. Gallenkolik, Nierenkolik
• Perforationsschmerz (akute Schmerzzunahme ➯ kurze Besserung ➯
Peritonitisschmerz): Hinweis auf Perforation eines Bauchorganes
• längeres schmerzfreies Intervall (akut einsetzender Schmerz ➯ für
Stunden Schmerzbesserung ➯ Peritonitisschmerz): z. B.
Mesenterialinfarkt oder Darmischämie bei Strangulation einer Schlinge
• kontralateraler Loslassschmerz: z. B. bei peritonealer Reizung bei
Appendizitis
• McBurney-Druckpunkt (Mitte zwischen Nabel und vorderem
Darmbeinstachel): V. a. Appendizitis

Schmerzausstrahlung
• links (auch Schulter): Milzruptur, Angina Pectoris, Herzinfarkt
• rechte Schulter: Cholezystitis, Extrauteringravidität
• Rücken: Aortenaneurysma, Pankreatitis, Herzinfarkt, Angina Pectoris
• Penis, Skrotum, Leiste, Schamlippen: Harnleiterkolik
• Nabel: Appendizitis

Auskultation des Abdomens
• normal = Darmgeräusche vorhanden
• metallisch klingende Darmgeräusche: z. B. bei mechanischem Ileus
• “Totenstille”: z. B. bei paralytischem Ileus

Palpation des Abdomens
• normal = weiches Abdomen; keine Abwehrspannung
• lokale Abwehrspannung: lokale Reizung des Peritoneums z. B. durch Ent-
zündung dort liegender Organe
• generalisierte Abwehrspannung: Peritonitis/Akutes Abdomen
• Geschwulst tastbar: z. B. Tumor, Koprostase
• pulsierender Tumor: V. a. Aortenaneurysma
• walzenförmiger Tumor: Invagination

Bei gynäkologischer Leitsymptomatik sollten erfragt werden (vgl. Kapitel 10):
- Letzte Regelblutung? (wann, wie stark, Besonderheiten)
- Mögliche Schwangerschaft? (wenn möglich: wie weit fortgeschritten)
- Medikamente? (z. B. Sterilitätstherapie: kann zu einer z. T. extremen
Vergrößerung der Ovarien in bedrohlichem Ausmaße führen (OHSS =
Ovarielles Hyperstimulationssyndrom))

Auch Ausscheidungen (Urin, Stuhlgang, Sputum) können Hinweise zu allen
Leitsymptomatiken geben, z. B. Blutbeimengungen, Verfärbungen.

3.2 · Leitsymptome 3103

Leitsymptomatik - Trauma

Der Patient wird gemäß seinen Beschwerden (z. B. Schmerzen, Funktions-
störung) und dem anzunehmenden Unfallmechanismus lokal untersucht; in
unklaren Fällen (z. B. Polytrauma) erfolgt möglichst ein „Bodycheck“:

• Ganzkörperinspektion nach Entkleiden:
- Beachten der Körperlage (z. B. Außenrotation und Verkürzung des Beines
bei Oberschenkelhalsfraktur)
- Prellmarken / Blutergüsse
Hinweise auf Verletzung tieferliegender Strukturen!
- Wunden / Blutungen
Immer Verletzung tiefer liegender Strukturen bedenken!
- Liquorausfluss aus Ohr / Mund / Nase (Nachweis mit Blutzuckertest:
2/3 des Blutzuckers): Hinweis auf Schädelbasisfraktur

• eine Palpation des zugänglichen Skelettsystems
- Schädelkalotte sowie Ober- / Unterkiefer
- obere Extremität, inklusive Schultergürtel (Claviculae!)
- Brustkorb (Rippen / Brustbein)
- Becken
- untere Extremität
Fraktur- / Luxationszeichen s. Kapitel 9.
Ggf. Funktionskontrolle von Gelenken, sofern keine anderen Verletzungs-
zeichen feststellbar. Keine Funktionskontrolle der Wirbelsäule!

• eine Palpation des Abdomens (Abwehrspannung ?)

• die Kontrolle von Durchblutung, Motorik und Sensibilität an den
Extremitäten (= ggf. auch Zeichen für Schädigung der Wirbelsäule!), sofern
nicht wegen einer Verletzung kontraindiziert

• Auskultation der Lunge

• Bei Schockzeichen, Blutverlust, Verdacht auf Herz-Beteiligung, unklarer Sturz-
ursache usw.:
s. Leitsymptomatik Herz-Kreislauf S. 101!

• Bei Beteiligung des Brustkorbes (Thoraxtrauma) / Atemstörungen usw.:
s. Leitsymptomatik Atmung S. 100!

• Bei Beteiligung von Kopf und / oder Wirbelsäule bzw. Bewusstseinsstörung
oder neurologischen Symptomen usw.:
s. Leitsymptomatik Neurologie S. 99!

Zum Vorgehen bei Polytrauma s. Kapitel 9.

Notfalldiagnostik 104 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst I

Seit einigen Jahren sind mobile tragbare Ultraschallgeräte mit geringem Gewicht
(1-3 kg) auf dem Markt, denen vielfach eine besondere Rolle für die Notfallmedizin
zugeschrieben wird (z.B. Pie Medical 50S Tringa, Metrax Primedic HandyScan,
Sonosite 180Plus). Wegen der Anschaffungskosten werden diese Geräte voraus-
sichtlich noch für längere Zeit Rettungsmitteln an größeren notfallmedizinischen
Zentren vorbehalten bleiben.

Klassische Domäne der Sonographie in der klinischen Notfallmedizin ist die Un-
terstützung der Differentialdiagnose des Akuten Abdomens und der Nach-
weis freier Flüssigkeit in präformierten Körperhöhlen (z.B. intraabdominelle
Blutung, Pleuraerguss, Perikardtamponade). In diesen sowie anderen seltenen
Notfällen (z.B. Geburt, Säuglingsnotfälle) kann der Ultraschall die präklinische
Diagnostik bereichern, birgt jedoch auch Gefahren (s.u.).

Weitere Untersuchungen (Auge, Schilddrüse, Mamma, Hoden, kleinere Gefäße sowie
feinere Untersuchung intrathorakaler oder intraabdomineller Organe) könnten im
Einzelfall diagnostische Hinweise (z.B. Emboliequellen, Metastasen) liefern,
bleiben aber aufgrund der notfallmedizinischen Zielsetzung (fehlende
Konsequenzen) sowie den besonderen Anforderungen an Untersucher und Gerät
in jedem Fall der Klinik und Spezialpraxen vorbehalten.

Der Einsatz der o.g. mobilen Scanner ist limitiert durch
- die Ultraschallkompetenz und -erfahrung des Notarztes
- die Leistungen des Gerätes (v.a. Schallkopf und Bilddarstellung)
- den notfallmedizinischen Zeitfaktor
- die meist suboptimalen Einsatzbedingungen
- die konkurrierenden diagnostischen und therapeutischen
Anforderungen an den Notarzt

Die präklinische Ultraschalluntersuchung darf nicht um ihrer selbst Willen
durchgeführt werden. Gerade in lebensbedrohlichen Situationen (z.B.
intraabdominelle Blutung) darf sie nur eingesetzt werden, wenn eine direkte
Konsequenz für den Patienten resultiert. Diese Konsequenz muss beispielsweise
in Frage gestellt werden, wenn der Patient aufgrund seines Verletzungsmusters
ohnehin an ein Schockraumteam mit standardisiertem Schockraumprotokoll über-
geben wird (keine Konsequenz im Sinne eines Zeitgewinns oder Auswahl einer
geeigneteren Zielklinik bei gleichzeitiger Zeitverzögerung durch die präklinische
Ultraschalluntersuchung unter schlechteren Bedingungen).

Bislang liegen noch nicht ausreichend Studien über den Benefit präklinischer
Sonographie vor, sodass der Einsatz außerhalb von Studien auf Fälle mit klar
nachvollziehbarem Nutzen beschränkt bleiben sollte. - Kein „Notfall-Screening“!

3.3 · Ultraschall 3105

Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst II

Für jede Sonographie im Notarztdienst muss daher gefordert werden:

1.Klare notfallmedizinische Indikation:

Diese gründet sich auf

- eine Fragestellung, die durch die Untersuchung zuverlässig geklärt werden
kann (nicht indizierte Untersuchungen unter problematischen Einsatz-
bedingungen können durch Zeitverlust, Artefakte, Fehldiagnosen oder
unbedeutende, „abklärungsbedürftige“ Nebenbefunde dem Patienten mehr
schaden als nützen)

und damit verbundene

- potenziell rettende Konsequenzen für den Patient; dies ist z.B. der Fall, wenn
ein „waiting trauma“ (durch Wartezeiten in Notaufnahmen oder
Verlegungen) mittels präklinischer Sonographie vermindert oder verhindert
werden kann (über Auswahl und Voranmeldung in einer geeigneten
Zielklinik und/oder gezielte präklinische Notfalltherapie und/oder geeignete
Transportart).

2.Verhältnismäßig kurze Untersuchungszeit

3.Untersuchung nur bezogen auf die Fragestellung

4.Ausreichend qualifizierter Untersucher

5.Keine Verzögerung lebensrettender Maßnahmen

Spezielle Fragestellungen (mögliche Einsatzoptionen s.n.S.)
Freie Flüssigkeit: Der fehlende Nachweis freier Flüssigkeit mit präklinischer
Ultraschalluntersuchung unter problematischen Bedingungen (s.o.) darf
präklinisch nie die klinische Verdachtsdiagnose (z.B. intraabdominelle Blutung)
vorzeitig außer Kraft setzen. Bei klinischem Verdacht (z.B. stumpfes Bauch-
trauma mit Abwehrspannung oder Schocksymptomatik) ist der Patient stets
entsprechend zu behandeln (schnellstmögliches Zuführen zur chirurgischen
Versorgungsoption) - ein Ausschluss ist nicht sicher möglich, die Bestätigung
allein würde i.d.R. oft wenig an der Strategie ändern und zu Zeitverlust führen.
Invagination: Eine Invagination kann durch den Geübten unter guten
Bedingungen ausreichend sicher festgestellt werden.
Präklinisch-sonographisch ist nicht nach Gallenstau, Portalhypertension, Ap-
pendizitis u. Gefäßverschlüssen zu fahnden (fehlende Sensitivität/Spezifität).
Bei gynäkolog. Fragestellung ggf. gefüllte Blase als Schallfenster nutzen!

Notfalldiagnostik

Indikation Fragestellung Sonografische Konsequenzen bei Nachweis 106 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
[Schallfrequenz] (Nachweis / Ausschluss) Nachweiskriterien und passender Klinik
Intraabdominelle Blutung Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst III
Akutes Abdomen verschiedener Ursachen „freie Flüssigkeit“ / „echofreier Saum“; Voranmeldung der geeigneten Mögliche präklinische Untersuchungsoptionen (1)
charakteristische Lokalisationen: Zielklinik zur Notfall-Laparotomie
[(2-) 3-4 (-5) MHz, Akutes (dissezierendes) möglichst unter Spezifikation der
bei Kindern 4-7 MHz; Aortenaneurysma - im Douglas-Raum (cave: gering Blutungsursache, z.B.:
Konvex-Transducer vor Ruptur physiologisch in der Zyklusmitte!) zweizeitige Milz- o. Leberruptur (AC),
empfohlen, aber Aortenaneurysma (HTG-C),
auch Linear- und - dorsal der Milz (paralienal) Extrauteringravidität (Gyn-C).
Sektor-Schallköpfe - im Morison-Pouch (subhepatisch) Schnellstmöglicher Transport unter
geeignet] - lateral von Colon asc. und desc. adäquater Schocktherapie direkt zum
Schockraum oder OP-Saal.
(“paracolic gutter”)

Differenzierung gynäko- Zunahme des Aortendurchmessers Voranmeldung der Zielklinik;
logischer Ursachen (s.n.S.) von kranial nach kaudal; Durchmesser schneller und schonender Transport
infrarenal > 3 cm (ab etwa 5 cm akute (vor Ruptur primär zum CT).
Freie Intraabdominelle Rupturgefahr); ggf. echofreie Zonen im
Blutung (s.o.), Retroperitonealraum (gedeckte s. n. S.
Ruptur!)
intrahepatisches oder
intralienales Hämatom s. n. S.

(Stumpfes) s.o. s.o.
Bauchtrauma, Bei frischem intrahepatischem oder Bei frischem intrahepatischem oder
Polytrauma, intralienalem Hämatom: Parenchym- intralienalem Hämatom: Gefahr der
evtl. unklare unterbrechung, unregelmäßig zweizeitigen Ruptur. Engmaschige
Schocksymptomatik begrenzte Bezirke mit vereinzelten Überwachung und geeignete Klinik
[s.o.] Binnenechos oder subkapsuläre anfahren.
echoarme Bezirke.

Indikation Fragestellung Sonografische Konsequenzen bei Nachweis Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst IV 3.3 · Ultraschall
[Schallfrequenz] und passender Klinik Mögliche präklinische Untersuchungsoptionen (2)
(Nachweis / Ausschluss) Nachweiskriterien

Thoraxtrauma, Hämatothorax, Echoarmer Raum zwischen Pleura Ggf. Thoraxdrainage.

unklare Atemnot, Pleuraerguss visceralis und Pleura parietalis (basal).

kardiogener Schock, (Spontan-) Pneumothorax Aufhebung der atemsynchronen Bewe- Entlastungspunktion. Cave: Diagnose-
(sonographischer Nachweis gung von Lungenreflexband, Wieder- u. Indikationsstellung i.d.R. primär
V.a. Tumorleiden mit hochsensitiv; aber keine holungsartefakte u. meist zusätzl. „Ko- nach Klinik (Perkussion/Auskultation).
blutender Pleura- metenschweifartefakte“; glatter Reflex.
Quantifizierung möglich!) Evtl. Entlastungspunktion; ggf.
oder Perikardarrosion Echoarmer Raum zwischen Epikard u. geeignete HTG-C-Klinik mit Voranmel-
Perikard, v.a. vor rechtem u. hinter dung anfahren.
Perikarderguss, linkem Ventrikel (subkostale Anlotung).

[4-7 MHz, Perikardtamponade

Sektor-Transducer Akutes V. cava und rechter Vorhof dilatiert; ein- Je nach vermuteter Ursache (z.B.
empfohlen] Rechtsherzversagen geschränkte rechtsventrikuläre Funktion Lungenembolie, Rechtsherzinfarkt).

Ventrikel-/Septum-/Papillar- Identifikation geschädigter anatomischer Geeignete Zielklinik, u.U. mit OP-
muskel-Ruptur. Strukturen nur unter Idealbedingungen Voranmeldung anfahren (HTG-C).
möglich (Anatomie, Gerät, echo-
kardiographisch geübter Untersucher) 107

Versch. gynäkolo- Extrauteringravidität mit Identifikation anatomischer Strukturen Je nach Fall: z.B. geeignete Zielklinik
gische Notfälle, Tubarruptur,stielgedrehte (z.B. Placenta praevia, Embryo in Tube, mit OP-Voranmeldung anfahren (ab 24.
fortgeschrittene Ovarialzyste, OHSS, Abort, Lage der Frucht zum Geburtskanal, Woche Sectio-Bereitschaft), Schock-
Spontangeburt vorzeitige Placentalösung, kindliche Herztätigkeit), evtl. therapie, Nottokolyse. Cave: Bestimm-
[(2-) 3-4 (-5) MHz] Geburtskomplikationen retroplazentares Hämatom oder freie te Diagnose-Entscheidungen sind rein
Flüssigkeit im Abdomen (s.vorher.S.) klinisch zu treffen (z.B. Uterusruptur).

Säugling mit V.a. SHT, insbes. Epiduralblutungen Charakteristisch begrenzter Blutnach- Klinik mit Neurochirurgie und
evtl. bei unklarer Be- (symptomfreies Intervall)
weis direkt unterhalb der Kalotte. pädiatrischer Intensivstation anfahren.
wusstlosigkeit [4-7 MHz]
3

Notfalldiagnostik 108 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

DD Thoraxschmerz (retrosternal) I

• Herzinfarkt
Symptome: Vernichtungsschmerz, Todesangst, Kaltschweißigkeit, Enge- /
Druckgefühl in der Herzgegend, Ausstrahlung in linke Schulter, Arme, Hals,
Rücken oder Bauch, evtl. ST-Hebung im EKG, Anstieg von CK, CK-MB und
Troponin T bzw I (Labor in der Klinik)

• Angina pectoris
Symptome: wie Herzinfarkt. Mögliche Auslöser: psychische oder physische
Belastung, Kälte, ausgiebige Mahlzeiten („Blood-pooling“; verdauungsbedingt
vermehrte Durchblutung der Bauchorgane, das Blut „fehlt“ im Kreislauf)

• Lungenembolie
Symptome: Angst bzw. Todesangst, Schmerzen (vor allem inspiratorisch
atemabhängig), trockener Husten, Atemnot, infarktähnliche EKG-Bilder
möglich, Anamnese beachten (vor allem: Bettlägerigkeit, Thrombosen,
vorausgegangene chirurgische Eingriffe).

• Spontanpneumothorax
Symptome: altersunabhängig (oft bei jungen Patienten), rasch auftretende
Atemnot, oft plötzlich einschießender stechender Schmerz im Rücken als
Beginn, hypersonorer Klopfschall über einer Lungenseite kombiniert mit
abgeschwächtem Atemgeräusch, Anamnese (oft bekannte Emphysemblasen
oder gleiches Ereignis bekannt)

• Perforiertes Magen-Ulkus
Symptome: abdominelle Abwehrspannung / bretthartes Abdomen
(entsprechend der Symptomatik des akuten Abdomens), Anamnese (oft
bekanntes Magengeschwür, oftmals Einnahme von ASS oder nichtsteroidalen
Antiphlogistika in der Anamnese)

• Perikarditis
Symptome: Patient vor Schmerz oft nach vorn übergebeugt, evtl.
Schmerzzunahme bei Inspiration, flache und schnelle Atmung, ggf.
Perikardreibegeräusch auskultierbar

• Symptomatisches Aortenaneurysma (thorakal)
(Ruptur, Dissektion oder Zustand vor Ruptur!) Symptome: Starke Schmerzen
mit Ausstrahlung in Rücken, Beine oder Nacken, je nach Ausprägung der Durch-
blutungsstörung; oft betroffen: Herz, Gehirn, Nieren, Darm und/oder Extremi-
täten, evtl. Volumenmangelschock, evtl. bekanntes Aortenaneurysma

33.4 · Differenzialdiagnosen
109

DD Thoraxschmerz (retrosternal) II

• Pleuritis, Pleuraerguss
Symptome: atemabhängige Schmerzen, Luftnot, Pleuritis: ggf. grippale
Symptome, evtl. basal gedämpfter Klopfschall über der betroffenen Seite.

• Funktionelle Herzbeschwerden (psychogene Herzbeschwerden)
Symptome: häufig mit Hyperventilation einhergehend, „Herzrasen“, oft scharf
umschriebene kurz andauernde, schneidende Schmerzen in Ruhe, meist über
der Herzspitze. Hinweis: Auch bei Verdacht immer erst Ausschluss organischer
Ursachen (muss unbedingt erfolgen!), bis dahin wie Herzinfarkt behandeln!

• Akute Pankreatitis
Symptome: Gürtelförmiger Oberbauchschmerz, ausstrahlend in den Rücken,
Übelkeit, Erbrechen, evtl. Gallenwegserkrankungen oder Alkoholabusus in der
Vorgeschichte

• Sodbrennen
Symptome: bei Refluxösophagitis bzw. Zwerchfellhernie; überwiegend
nächtliche, im Liegen verstärkte Schmerzen, verursacht durch
zurücklaufende Magensäure, Besserung beim Aufsetzen

• Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom; selten, aber bei eingetretener
Ruptur: Letalität 20 - 40 %!)
Symptome: klassische Trias: reichliches Essen und Alkohol, explosionsartiges
Erbrechen, starke Schmerzen in Abdomen und Thorax

• Cholelithiasis / Gallenkolik / Nierenkolik
Symptome: anfallsweise Kolikschmerzen, evtl. Steinleiden bekannt

• Rippenfraktur
Symptome: temabhängige Schmerzen, Druckschmerz, evtl. Unfallanamnese

• Neuralgie (meist Ausstrahlung entlang eines Nervensegmentes)

110 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

DD Herzklopfen / Herzrasen

• Herzklopfen und Herzrasen treten oft gemeinsam auf und können die
gleichen Ursachen haben. Beide Begriffe beziehen sich auf das subjektive
Gefühl des Patienten.

• Herzrasen: Eine ungewohnt hohe Herzfrequenz wird vom Patienten als
• Herzklopfen: „Herzrasen“ empfunden.
Vermehrte Arbeit des Herzens, z. B. bei Herzrasen, kann vom
Patienten als „Herzklopfen“ wahrgenommen werden.
Unabhängig vom Herzrasen tritt das „Herzklopfen“ auch bei
deutlicher Erhöhung des Blutdrucks auf.

• Herzklopfen und Herzrasen können durch Medikamente, Adrenalinaus-
schüttung, Herzrhythmusstörungen und kompensatorische Tachykardien
(z. B. bei Sauerstoffmangel) ausgelöst werden.

Notfalldiagnostik Mögliche Ursachen
• Extrasystolie
• Paroxysmale Tachykardien

• Vorhofflimmern, Vorhofflattern mit absoluter Arrhythmie (peripheres
Pulsdefizit)

• Hyperthyreose (Schweißausbrüche, Hitzewallungen, Blutdruckanstieg,
Unruhe, der Patient empfindet Wärme als unangenehm)

• Anämie (Blässe, Blutung)
• Hypovolämie (Exsikkose-Zeichen, Schocksymptomatik)
• Orthostatische Hypotonie (Symptome bei plötzlichem Lagewechsel)
• Fieber
• Menopause (Schweißausbrüche, Hitzewallungen)
• Medikamente, z. B. Schilddrüsenhormone
• Genussmittel wie Kaffee, Tabak und Alkohol
• Drogen
• Angstreaktionen

• Hypertonie

• Zur weiteren Abklärung sollten mindestens Blutdruck und EKG kontrolliert
werden.

33.4 · Differenzialdiagnosen
111

DD Kopfschmerz / Gesichtsschmerz

Akute Kopfschmerzattacke

• Beidseitig, Nackensteifigkeit:
➯ Meningitis / Enzephalitis / Subarachnoidalblutung

• Plötzlich einsetzender Vernichtungskopfschmerz:
➯ Subarachnoidalblutung

• Einseitig, frontal, bohrend:
➯ evtl. Sinusitis

• Außerdem sekundärer Kopfschmerz bei: Hypertonie, Herzinsuffizienz,
Fieber, Schlafmangel, nach Alkohol- oder Nikotinabusus oder -entzug,
Schädel-Hirn-Trauma und intrakraniellen Blutungen, Wirbelsäulenaffektionen
sowie bei verschiedenen Augen- und Zahnerkrankungen

Akute wiederkehrende Kopfschmerzattacken
(vasomotorisch bedingt)

• Migräne: Streng einseitiger, pulsierender Kopfschmerz mit Übelkeit und
Erbrechen; Lichtscheu, Geräuschempfindlichkeit, Lichtblitze oder Flimmern
vor den Augen

• Cluster-Kopfschmerz (= Bing-Horton-Kopfschmerz): gehäuft auftretende,
einseitige Kopfschmerzattacken (drei- bis viermal täglich) mit
monatelangen beschwerdefreien Intervallen; Schmerzen im Bereich der
Augenhöhle mit Rötung und Tränenfluss sowie „laufender Nase“

• Trigeminusneuralgie: blitzartig einsetzende, brennende, heftige, Sekunden
dauernde Schmerzen im Gesicht, evtl. mit Zuckungen der
Gesichtsmuskulatur; nachfolgend Rötung der Areale

• Arteriitis temporalis: Ein- oder beidseitige, anfallsartige Kopfschmerzen,
evtl. Schmerzen beim Kauen, Augenschmerzen, Sehstörungen. Die
entzündete Arteria temporalis (Schläfenarterie) ist als verdickter Strang
tastbar, evtl. pulslos.

Chronische Kopfschmerzen

• Spannungskopfschmerz (konstant, beidseitig)
• intrakranielle Raumforderung (morgens am stärksten - über den Tag

abnehmend, über Wochen und Monate zunehmend): z. B. Tumor

• Halswirbelsäulen-Syndrom: evtl. neurologische Ausfälle an den Händen
• Medikamenten- und vergiftungsbedingt: Nitrate, Nifedipin, Methanol,

Kohlenmonoxid u. a. m.

Notfalldiagnostik 112 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

DD Übelkeit / Erbrechen

Auslösende Reize allgemein
• Nervenimpulse von Verdauungstrakt, Gleichgewichtsorgan usw.
• Direkte mechanische Einwirkungen (Trauma, Hirnödem)
• Giftstoffe

Spezielle Ursachen

• zuviel gegessen
• Vergiftungen (z. B. Alkohol), Medikamente (z. B. nach Narkose)
• Erhöhter Hirndruck und Reizung der Hirnhäute (Meningitis / Enzephalitis,

Hydrozephalus, Hirntumor, intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma);
dabei typisch: Erbrechen ohne Übelkeit
• Herzinsuffizienz (Stauungsgastritis)
• Hormonstörungen in der Frühschwangerschaft (Emesis gravidarum)
• Schwangerschaft (vor allem morgens)
• Blut im Magen (Hämatemesis; z. B. durch Nasenbluten, gastrointestinale
Blutungen)
• Magen-Darm-Entzündungen und -Reizungen (Geschwüre, Appendizitis,
Gastroenteritis, Lebensmittelvergiftung)
• Systemische Infektionen (z. B. Hepatitis, Cholezystitis); dabei typisch:
intermittierendes Erbrechen im 12- bis 48-Stunden-Rhythmus
• Pylorusstenose, Invagination, Darmtumor
• Migräne
• Grüner Star / akutes Glaukom
• Ménière-Krankheit, Innenohrentzündung, Bewegungskrankheit
(z. B. Schifffahrt, Autofahrt - Reisekrankheit)
• Addison-Krankheit, Ketoazidose bei Diabetes mellitus, Ketonurie (bei
Kindern)
• Ekel, emotionale Reaktionen, psychiatrische Erkrankungen (z. B. Anorexia
nervosa, Bulimie)

33.4 · Differenzialdiagnosen
113

DD Diarrhö

Akuter Durchfall

• infektiös: viral, bakteriell, protozoenbedingt (z. B. Gastroenteritis oder
Salmonellose)

• Nach und während Auslandsaufenthalt: Reisediarrhö (zu
80 % bakteriell; Prophylaxe: „Boil it, cook it, peel it or forget it.“)

• Lebensmittelvergiftung: Brechdurchfälle wenige Stunden nach Genuss
toxinhaltiger Lebensmittel (in der Regel mehrere Personen betroffen)

• medikamentös bedingt: vor allem bei Antibiotika
• Nahrungsmittelallergie: z. B. Kuhmilchproteinintoleranz bei Säuglingen:

bereits in den ersten Tagen nach Gabe von Kuhmilchprodukten heftige
wässrige oder blutige Durchfälle bis hin zu Schock und Krämpfen.
Therapie: strikt kuhmilchfreie Ernährung
• vegetativ: Stress, Angst
• desweiteren: ischämische Darmentzündung, Intoxikationen usw.

Blutiger Durchfall

• infektiös: z. B. Shigellenruhr, Salmonellose, Amöbenruhr, Campylobacter
jejuni.

• Invagination (s. Kapitel 11).
• stenosierende Karzinome.
• Colitis ulcerosa (selten Morbus Crohn)
• ischämische Colitis, Mesenterialinfarkt

Chronischer Durchfall

• infektiös: Tbc, Shigellen, Amöben usw.
• Colitis ulcerosa und Morbus Crohn
• Nahrungsmittelallergie
• Störungen der Verdauung (Maldigestion und Malabsorption), z. B. Zöliakie
• Laktasemangel
• medikamentös bedingt

Akutes Abdomen s. S. 290 ff.

Notfalldiagnostik 114 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

DD Fieber / Schüttelfrost

• Infektionen
Verschiedene bakterielle, virale, pilz- oder protozoenbedingte Infektionen
zeigen als (Leit-) Symptom Fieber.
- Husten? Atembeschwerden? Auswurf?
➯ Grippe, Bronchitis, Lungenentzündung.
- Starke atemabhängige Pleuraschmerzen? Reibegeräusche
auskultierbar?
➯ Rippenfellentzündung („Teufelsgrippe“)
- Schluckbeschwerden?
➯ Pharyngitis, Angina
- Kopfschmerzen?
➯ Grippe, Meningitis (Nackensteifigkeit!)
- Bauchschmerzen? Magenkrämpfe? Durchfall?
➯ Appendizitis (McBurney!), Gastroenteritis, Gastritis, sonstige
Entzündungen des Magen-Darm-Traktes
- Schmerzen in den Flanken / Leisten? Abnorm häufiges,
schmerzhaftes Harnlassen? Rosafarbener oder trüber Urin?
➯ Blasenentzündung, Nierenbeckenentzündung
- Wiederkehrende Fieberschübe bei zurückliegendem Auslandsaufenthalt
(Tropen)?
➯ Malaria, Rückfallfieber u. a. m.

• Andere Erkrankungen
Dehydratation (stehende Hautfalten!), Arzneimittelreaktion („Drug fever“),
Tumore (v. a. maligne Lymphome), Bindegewebserkrankungen
(z. B. systemischer Lupus erythematodes; Rheumatismus, Arthritis),
Hyperthyreose, psychogenes Fieber, Leberzirrhose, rezidivierende
Lungenembolien, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa

33.4 · Differenzialdiagnosen
115

DD Husten / Auswurf

Akuter Husten

• Atemnot?
➯ Pneumothorax (atemabhängige Thoraxschmerzen; hypersonorer
Klopfschall)
➯ Fremdkörperaspiration, Reizgasinhalation
➯ Lungenembolie
➯ allergische Reaktion

• Fieber?
➯ Infektionen, z. B. banale Erkältung, Laryngitis, Pharyngitis, Tracheitis,
akute Bronchitis (exspiratorisches Pfeifen), Lungenentzündung,
Tbc (Nachtschweiß, Gewichtsverlust)

• Bluthusten?
➯ Thoraxtrauma
➯ Bronchialkarzinom, Bronchiektasie, Bronchitis, Lungenentzündung
➯ Tuberkulose (Nachtschweiß, Gewichtsverlust)
➯ Lungeninfarkt, Stauungslunge, Mitralstenose

• Heiserkeit oder Stimmverlust?
➯ Überanstrengung der Kehlkopfmuskulatur
➯ psychische Ursache, z. B. Angst
➯ Entzündung und sonstige Veränderungen (Karzinome, Polypen) der
Stimmbänder oder des Kehlkopfes
➯ vor allem bei Kindern: Krupp, Pseudokrupp

• Trockener Husten, Reizhusten?
➯ hyperreagibles Bronchialsystem / allergische Reaktion
➯ psychogen
➯ Reizung der Atemwege durch Staub, Rauch oder Gase
➯ Rippenfellreizung (Erguss, Entzündung usw.)

Chronischer Husten
➯ chronisch obstruktive Bronchitis (Rauchen)
➯ Bronchiektasien (maulvoller, übelriechender Auswurf, besonders
morgens)
➯ Bronchialkarzinom (Rauchen, Gewichtsverlust)
➯ Tuberkulose (Nachtschweiß, Gewichtsverlust)
➯ verschiedene Ursachen des akuten Hustens

Anfallsweiser Husten
➯ Asthma, chronische Bronchitis
➯ allergische Alveolitis
➯ Keuchhusten (stakkatoartige Hustenanfälle)

116 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik

Notfalldiagnostik DD Verlust der Sehkraft

• Verlust der Sehkraft in Sekunden:
➯ Zentralarterienverschluss (akuter Verschluss der Gefäßversorgung des
Auges, Absterben der Ganglienzellen, nach 60 Minuten irreversibel; evtl.
nur vorübergehender Verschluss = Amaurosis fugax). Andere
Durchblutungsstörungen beachten (z. B. Apoplex !).
➯ Trauma; Abscherung des Sehnerven

• Verlust der Sehkraft in Minuten:
➯ Zentralvenenverschluss (akuter Verschluss / Thrombose)
➯ Glaskörpereinblutung, Netzhautriss: Sehen von „schwarzen Flocken“,
„Rußregen“ oder „Schwarm von schwarzen Mücken“ bis zur Erblindung.
Beachte: Nicht mit Glaskörpertrübungen (sogenannte „Mouches
volantes“ = fliegende Mücken) verwechseln, die harmlos sind.

• Verlust der Sehkraft in Stunden:
➯ Winkelblockglaukom (Engwinkelglaukom): Akute Verlegung des
Kammerwinkels mit Abflussblockierung des Kammerwassers führt zum
Glaukomanfall; begünstigt durch Mydriasis. Schmerzen!
➯ Akute Iritis: Schmerzen wie Engwinkelglaukom mgl., aber Bulbus nicht hart.

DD Schwindel • Ohrenschmerz?
➯ Otitis media
• Verminderte Hörkraft? ➯ Otitis externa
➯ Durchblutungsstörung des ➯ Fremdkörper im Ohr
Innenohres ➯ Baro- / Knall-Trauma
➯ Autoimmunreaktion (Trommelfellperforation)
➯ Ménière-Krankheit bzw. -Anfall ➯ Zoster
➯ Labyrinthitis ➯ Zahnprobleme

• Ohrensausen (Tinnitus)? • Drehschwindel?
➯ Hörsturz ➯ Ménière-Anfall
➯ Ménière-Krankheit bzw. -Anfall ➯ Labyrinthitis
➯ Otitis media ➯ Versch. neurolog. Erkrankungen
➯ Schädigung, Veränderung oder
Erkrankung des Mittel-/Innenohres • Blutung aus dem Ohr?
➯ Verlegung des Gehörganges ➯ Fremdkörper im Ohr
(z. B. Cerumen) ➯ Manipulationen, Trauma,
➯ Baro-/Knall-Trauma Trommelfellperforation
(Trommelfellperforation) ➯ Schädel-Hirn-Trauma
➯ Schädel-Hirn-Trauma

Kapitelübersicht 4117
EKG-Diagnostik

4.1 Das EKG im Rettungsdienst ........................................ 119

4.2 Störungen der EKG-Diagnostik ................................... 121

4.3 EKG beim pulslosen Patienten .................................... 124

4.4 Periarrestarrhythmien ................................................. 126

4.5 Tachykardien ............................................................... 127
Behandlungsalgorithmus Tachykardie ........................ 127
Breitkomplextachykardien ........................................... 133
Schmalkomplextachykardien ...................................... 134

4.6 Extrasystolem ............................................................. 137

4.7 Bradykardien ............................................................... 141
Behandlungsalgorithmus Bradykardie ........................ 141

4.8 Herz-Schrittmacher / ICD ............................................ 146
Herzschrittmacher ....................................................... 146
Implantierter Defibrillator (ICD) .................................. 157

4.9 12-Kanal-EKG ............................................................. 160

4.10 EKG bei Myokardinfarkt .............................................. 162

4.11 Lagetypen des Herzens / elektrische Herzachse .......... 164

Übersicht Herzrhythmusstörungen .......................... 118

EKG-Diagnostik 118 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Übersicht Herz-Rhythmusstörungen

Tachykarde Herz-Rhythmusstörungen ......................... 127

Breitkomplextachykardien ...................................... 133
• Ventrikuläre Tachykardien mit Karotispuls ........ 133

Schmalkomplextachykardien (SVT) ........................... 134
• Sinustachykardie ............................................... 134
• Vorhoftachykardie ............................................. 134
• Vorhofflattern ................................................... 135
• Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie ....... 135
• Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien ... 136

Extrasystolen ......................................................... 137

Supraventrikuläre Extrasystolen (SVES) .................... 137

Ventrikuläre Extrasystolen (VES) .............................. 138
• Monotope / Uniforme VES ................................ 138
• Polytope / Multiforme VES ................................ 138
• Bigeminus .......................................................... 138
• Couplets ............................................................ 139
• Salven ................................................................ 139
• R-auf-T-Phänomen ........................................... 139
• Lown-Classification ........................................... 140
• Therapie ventrikulärer Extrasystolen ................. 140

Bradykarde Herz-Rhythmusstörungen ......................... 141

• Sinusbradykardie ............................................... 142
• Knotenbradykardie ............................................ 143
• Kammereigenrhythmus ..................................... 143
• AV-Überleitungsstörungen ............................... 144

Herz-Schrittmacher ................................................. 146

4.1 · EKG im Rettungsdienst 119 4

Das EKG im Rettungsdienst

Aufgaben des EKG im Rettungsdienst
• DD Herzrhythmusstörungen und der Formen des Herz-Kreislaufstillstandes
• Unterstützung der Herzinfarktdiagnostik
• Überwachung der Herzfrequenz

Das EKG ersetzt auf keinen Fall
• Puls- und Blutdruckkontrolle: Das EKG gibt keine Auskunft über die Herz-
auswurfleistung! Ein unauffälliges EKG-Bild ohne (kein Karotispuls
tastbar) oder mit zu geringer Auswurfleistung ist möglich
• klinische Diagnostik (viele Erkrankungen zeigen keine EKG-Veränderung)

„Behandle den Patienten, nicht den Monitor.“
Der klinische Zustand des Patienten lässt sich in drei Gruppen einteilen. Diese
Einteilung ist für die Behandlungsdringlichkeit und bei versch. Rhythmus-
störungen für das Festlegen einer adäquaten Therapie von Bedeutung:

I. Pulsloser Patient (kein Karotispuls = Herz-Kreislaufstillstand)
➯ Sofortige Maßnahmen zur CPR erforderlich !

II. Patient in klinisch instabilem Zustand; Zeichen der Instabilität:
• Thoraxschmerz
• Bewusstseinsstörungen
• Akute Herzinsuffizienzzeichen
• Blutdruckabfall (systolischer RR < 90 mmHg)

➯ Sofortige Behandlung indiziert.
III. Patient in klinisch stabilem Zustand (weder Pulslosigkeit noch

Zeichen klinischer Instabilität)
➯ Überwachung, ggf. Therapie.

An erster Stelle steht die Sicherung und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen
(Basischeck, Basismaßnahmen):

• Beruhigung und Aufklärung
• Oberkörper-hoch-Lagerung (bei Bewusstlosigkeit Seitenlage)
• Patient darf nicht umhergehen (Sauerstoffverbrauch!)
• Sauerstoffgabe; ständige HF-, RR-, EKG- und Pulsoxymetrie-Überwachung
• Reanimationsbereitschaft, ggf. CPR (Algorithmus s.S. 166 f.)

Basisscheck und Basismaßnahmen werden durch die spezifische Therapie nach
Algorithmus (ERC-Leitlinien, 2005) ergänzt:

• Algorithmus Tachykardie s.S. 127 ff.
• Algorithmus Bradykardie s.S. 141
• Algorithmus Akutes Koronarsyndrom s.S. 214 ff.

120 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Grundlagen der EKG-Ableitung

Das EKG misst jeweils zwischen zwei Punkten am menschlichen Körper die elektri-
sche Spannung (Potenzialdifferenz) und macht sie optisch sichtbar. Diese Span-
nung verändert sich durch den Stromfluss am Herzen. Da jedoch nur elektrische
Ströme aufgezeichnet werden, gibt das EKG keine Auskunft über die Herzmuskel-
kontraktionen (Auswurfleistung). Eine vollständige Beurteilung des Reiz-
leitungssystems erfordert mind. 12 Ableitungen.

1 . Monitorüberwachung/

Dreipolableitung rechter - +
linker
(=3-Kanal-Ableitung) Arm
(rot) - - Arm
(gelb)
Schema nach Einthoven:
• bipolare Extremitäten- ++
linkes Bein (grün)
ableitungen:
I, II (= Paddles), III

2.Vierpolableitung (= 6-Kanal-Ableitung)
• bipolare Extremitätenableitungen: I, II, III
• (pseudo-) unipolare Extremitätenableitungen: aVR, aVL, aVF
(aV = augmented Voltage); Ableitungstechnik nach Goldberger:
Zusätzliche 4. Elektrode (= Masse; schwarz) gegenüber grüner Elektrode

EKG-Diagnostik 3. Zehnpolableitung (= 12-Kanal-Ableitung)
• bipolare Extremitätenableitungen: I, II, III (s. o.)
• (pseudo-) unipolare Extremitätenableitungen: aVR, aVL, aVF (s.o.)
• unipolare Brustwandableitungen: V1 - V6 (= präkordiale Ableitungen)
Ableitungstechnik nach Wilson:
V1 = 4. rechter Interkostalraum parasternal (rot)
V2 = 4. linker Interkostalraum parasternal (gelb)
V3 = genau zwischen V2 und V4 (grün)
V4 = 5. linker Interkostalraum in Medioklavikularlinie (braun)
V5 = Höhe von V4 auf der vorderen Axillarlinie (schwarz)
V6 = Höhe von V4 auf der mittleren Axillarlinie (violett)

Die wichtigsten Fragen für die schnelle Rhythmusdiagnose

1. Klinischer Zustand des Patienten? (Puls? Klinisch stabil? Blutdruck?)
2. Breite QRS-Komplex? (> 0,12 s = breit)
3. Frequenz? (Tachykardie? Bradykardie?)
4. Rhythmus? (Regelmäßig? Unregelmäßig?)
5. P-Welle? (Vorhanden? Bezug zum QRS-Komplex?)

4.2 · EKG-Diagnostik: Störungen 121 4

EKG-Normgrößen / Störungen der EKG-Diagnostik I

Wichtige EKG-Normgrößen

EKG-Abschnitt Dauer in s Amplitude in mV
0,1 - 0,3
P-Welle 0,05 - 0,10 -
-
PQ-Zeit HF 100: < 0,16 < 1/4 R
R: 0,6-2,6
(= Beginn P bis Beginn Q) HF 60: < 0,20 1/8 - 2/3 R/S
-
Q-Zacke < 0,04 -

QRS-Komplex 0,06-0,10

T-Welle -

QT-Strecke HF 100: 0,30

(= Beginn Q bis Ende T) HF 60: 0,40

Berechnung von Zeiten im EKG
Bei einer Ablenkgeschwindigkeit von 25 mm / s (Papiervorschub) entspricht
1 mm genau 0,04 s. (Bei 50 mm / s entspricht 1 mm genau 0,02 s.)

Störungen der EKG-Diagnostik I

Das EKG bietet eine Reihe von Fehlerquellen, die - nicht als solche erkannt - evtl. zu
falscher Diagnose und gefährlicher Therapie führen können:
1. Muskelzittern

Charakteristik: Unregelmäßiges, feines bis grobes Flimmern der EKG-Kurve; in
Abhängigkeit von der Amplitude (bzw. Größe der R-Zacken) und der Ableitung
sind die R-Zacken erkennbar bzw. nicht erkennbar.

Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Vorhofflimmern,
Vorhofflattern, bei kleiner R-Zacke auch Kammerflimmern
Ursachen: Muskelzittern oder muskuläre Anspannung des Patienten

Beseitigung: Patienten beruhigen und zur Entspannung auffordern, Kälteschutz

EKG-Diagnostik 122 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Störungen der EKG-Diagnostik II
2. Wechselstrom

Charakteristik: Sogenanntes „Brummen“ der EKG-Linie; feines, regelmäßiges
Flimmern der EKG-Linie, das dem normalen Verlauf der EKG-Linie folgt
Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Vorhofflimmern, bei
niedriger R-Zacke auch Kammerflimmern
Ursachen: Nicht abgeschirmte Kabel, Leuchtstoffröhren, leistungsstarke Strom-
verbraucher in der Nähe
Beseitigung: Standortwechsel, Abschalten entsprechender Geräte, Überprüfen
von Kabeln und Kontakten, Überprüfung des EKG-Gerätes durch Fachpersonal
3. Lockere Elektroden, Wackelkontakt

Charakteristik: „Wandernde“, „springende“ EKG-Kurve (Verschiebung der Grund-
linie); keine regelmäßige Wiedergabe der QRS-Komplexe
Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differentialdiagnose): Extrasystolen,
Kammerflimmern und weiteren EKG-Bildern (z. B. ventrikuläre Tachykardie)
Ursachen: Mangelhafter Kontakt zwischen EKG-Elektrode und Haut oder Wackel-
kontakt am EKG-Kabelstecker
Beseitigung: Festkleben der EKG-Elektroden, Überprüfen des EKG-Steckers

4.2 · EKG-Diagnostik: Störungen 123 4

Störungen der EKG-Diagnostik III
4. Niedervoltage

Charakteristik: Annähernd Nullinie, je nach Ausprägung sind die R-Zacken (fast)
nicht sichtbar
Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Herzbeutel-
tamponade, Lungenemphysem, Kammerasystolie (Pulskontrolle!) (ggf. Eichzacke
zur Differenzialdiagnose (ist dann entsprechend der Amplitudeneinstellung klein)
Ursachen: Verkleinerung der EKG-Amplitude, ausgetrocknete Gel-EKG-Klebe-
elektroden
Beseitigung: Überprüfen der Amplitudeneinstellung und Korrektur, Überprüfen
der Gel-EKG-Klebeelektroden und ggf. Austausch

5. Falsche Ableitungswahl

Charakteristik: Nulllinie oder wie unter 3.

Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Asystolie (Puls-
kontrolle !), Kammerflimmern

Ursachen: Ableitungsversuch über Defi-Paddles bei geschalteter Ableitungswahl
„I, II oder III“ bzw. Ableitungsversuch über Dreipol-EKG-Kabel bei geschalteter
Ableitungswahl „Defi-Paddles“

Beseitigung: Überprüfen der Ableitungseinstellung und ggf. Korrektur

124 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Das EKG beim pulslosen Patienten I
Ausführliche Abhandlung des Herz-Kreislaufstillstandes s. S. 165 ff.
Der fehlenden Auswurfleistung des Herzens bei Herz-Kreislaufstillstand
können elektrokardiographisch vier EKG-Rhythmen zugeordnet werden:
1. Asystolie

Charakteristik: Nulllinie
Erklärung: Keine elektrische Aktivität des Herzens
Ursachen: z.B. Hypoxie, Hyper- und Hypokaliämie, Intoxikation, vorbestehende
Azidose, Herzinfarkt, vorausgegangene Herzrhythmusstörungen, Vagusreizung,
Karotissinussyndrom, Stoffwechselstörungen, Hypothermie
2. Kammerflimmern (= ventricular fibrillation, VF)

EKG-Diagnostik

4.3 · EKG beim pulslosen Patienten 125 4

Das EKG beim pulslosen Patienten II

Charakteristik: Grobes bis sehr feines Flimmern der EKG-Linie
(Frequenz > 300 - 400 / min); keine QRS-Komplexe erkennbar
Erklärung: Unregelmäßige, unkontrollierte elektr. Aktivität des Herzmuskels
Ursachen: Herzinfarkt, tachykarde Rhythmusstörungen, Hypothermie u.a.m.

3. Pulslose ventrikuläre Tachykardie (Pulslose VT)

Charakteristik: Meist monoforme, voneinander abgrenzbare Kammerkomplexe;
Frequenz meist > 180 / min; kein Puls tastbar (ventrikuläre Tachykardie auch mit
Puls möglich, s. S. 129, 133. - in diesem Fall andere Therapie !)
Erklärung: Meist einzelnes Erregungsbildungszentrum in der Kammer
Ursachen: Herzinfarkt, tachykarde Herzrhythmusstörungen u. a. m.
Hinweis: Torsade de pointes als unkoordinierte Kammertachykardie (Kammer-
anarchie) möglich - s. S. 129, 132.
4. Pulslose elektrische Aktivität (PEA)

Charakteristik: Elektrische Herzaktionen in der EKG-Kurve erkennbar; jedoch
kein Puls tastbar; evtl. verbreiterte QRS-Komplexe; meist bradykarder Rhythmus,
Tachykardie möglich (Hypovolämie)
Erklärung: PEA (pulslose elektrische Aktivität) = elektrische Aktivität am Herzen
vorhanden, jedoch keine ausreichende Herzmuskelaktion (keine Auswurfleistung)
oder Verlegung der Strombahn oder Volumenmangel
Ursachen: Oft bei Hypovolämie, Spannungspneumothorax, Herzbeuteltampo-
nade, Hypoxie, Lungenembolie, Hyperkaliämie, Hypothermie, Intoxikationen
Hinweis: Oben genannte Ursachen bedenken und ggf. beheben !

EKG-Diagnostik 126 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Periarrest-Arrhythmien

Unter Periarrest-Arrhythmien werden Herzrhythmusstörungen verstanden, die z.
B. ausgelöst durch Myokardinfarkte über Kammerflimmern in einen Herz-
Kreislaufstillstand übergehen oder einem Herz-Kreislaufstillstand folgend das
Risiko eines erneuten Herz-Kreislaufstillstands bergen können.
Die dargestellten Algorithmen versetzen auch den Nicht-Spezialisten – bei ent-
sprechender Grundausbildung – in die Lage, diese potenziell lebensbedrohlichen
Situationen einzuschätzen und eine erste lebensrettende Therapie einzuleiten.
Sie sind so einfach wie möglich gestaltet und gewährleisten trotzdem im Notfall
eine effektive und sichere Erstbehandlung. Für nicht lebensbedrohliche Fälle
geben die Algorithmen Hilfestellung, wobei im Regelfall Zeit genug bleibt, einen
erfahrenen Kardiologen oder anderen geeigneten Facharzt hinzuzuziehen, um
ggf. differenziertere Therapiekonzepte anzuwenden.

Grundsätze

1. Bei Verdacht auf lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen:
• Sauerstoffgabe
• venöser Zugang
• wenn irgend möglich: 12-Kanal-EKG
• Reanimationsbereitschaft herstellen (Monitoring, Personal, Defibrillator)

2. Faktoren für die Festlegung der Strategie:
• Ursache der Arrhythmie
Die Beseitigung einer bekannten Ursache (z. B. Elektrolytstörung, Tachy-
kardien bei Volumenmangel oder Fieber) kann unmittelbar zur Behebung der
Störung führen. Gleichzeitig kann sogar die symptomatische Behandlung
eines Herzens, welches nur auf eine extrakardiale Pathophysiologie reagiert,
mehr schaden als nützen, da das Herz unter Umständen noch mehr be-
einträchtigt wird (z. B. Tachykardie, die einen Volumenverlust oder Sauer-
stoffmangel kompensiert).
• Patientenzustand (stabil oder instabil)
Grundsätzlich muss der Behandler/behandelnde Arzt vor jeder Therapie
gewissenhaft aber zügig entscheiden, ob der Patient lebensbedroht ist oder
nicht. Hierfür werden in den Algorithmen entsprechende Kriterien angeführt.
Der instabile Patient ist sofort zu behandeln, und zwar möglichst schnell und
wirksam; das bedeutet konkret durch Elektrotherapie (in Form von
Kardioversion bei Tachykardien oder Schrittmachertherapie bei Bradykardien).
Gerade bei Tachykardien ist die Elektrotherapie (Kardioversion) für den
instabilen Patienten zu bevorzugen (schnellerer Wirkungseintritt, zuver-
lässigere Wirkung, Vermeiden der kardiodepressiven und proarrhythmogenen
Wirkung der meisten Antiarrhythmika).
Bei stabilen Patienten wird die Herzrhythmusstörung näher klassifiziert (QRS-
Breite; Rhythmus regelmäßig?).

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4.5 · Tachykardien 4131

Tachykardie - Ergänzungen zum Algorithmus I

Neu in den ERC-Leitlinien 2005 ist, dass alle Tachykardien in einem Algo-
rithmus abgehandelt werden. Dieser ist allerdings so umfangreich, dass
er in diesem Werk auf 4 Seiten wiedergegeben werden muss (S. 127-130).

Als Tachykardie bezeichnet man eine über die Norm erhöhte Herzfrequenz (z. B.
> 100 / min beim Erwachsenen). Dadurch werden die Ruhephasen des Herzens
(Diastolen) verkürzt

➯ schlechte Füllung des Herzens in der Diastole ➯ RR Ø
➯ schlechtere O2-Versorgung des Herzmuskels.

Nach dem Algorithmus Tachykardien werden die folgenden Merkmale in der vor-
gegebenen Reihenfolge unterschieden:
• Patient stabil? (Instabilitätszeichen ➯ Kardioversion s.S. 57, 128)
• Bei stabilen Patienten: Breite QRS-Komplex?

• QRS-Komplex > 0,12 s = Breitkomplextachykardie (in der Regel ventrikulärer
Ursprung der Erregung = ventrikuläre Tachykardie, aber auch z.B.
supraventrikuläre Tachykardie mit Blockbild möglich)

•QRS-Komplex < 0,12 s = Schmalkomplextachykardie (in der Regel
supraventrikulärer Ursprung der Erregung = supraventrikuläre Tachykardie)

• Regelmäßig / unregelmäßig?

Ergänzungen zum Algorithmus

Regelmäßige Schmalkomplextachykardien
• Instabilitätszeichen: Bei regelmäßigen Schmalkomplextachykardien mit

Instabilitätszeichen ist es legitim, während der Vorbereitung der Kardioversion
einen Therapieversuch mit Adenosin durchzuführen. Bei Misslingen ist der syn-
chronisierte Schock unverzüglich anzuwenden.
• Patient stabil: Vagale Manöver (s. S. 56), ggf. Adenosin; bei Misslingen oder
Kontraindikationen ggf. negativ dromotrope Pharmaka (s.n.S.). Durch vagale
Manöver und Adenosingabe können Vorhofarrhythmien (z.B. Vorhofflattern)
vorübergehend demaskiert werden (Sichtbarwerden der Flatterwellen durch
Absenkung der Kammerfrequenz - EKG-Dokumentation!). Wird hingegen durch
eine der genannten Massnahmen die Rhythmusstörung schnell beendet, so
handelt es sich warscheinlich um eine AV-Knoten-Re-Entry-Tachykardie oder
(seltener) um eine atrioventrikuläre Re-Entry-Tachykardie bei Präexzitations-
syndrom (z.B. WPW).

• Vagale Manöver (s.a.S. 56)
Valsalva-Manöver oder Karotissinusmassage. Stets nur einseitig; nicht bei
Strömungsgeräuschen über der A. carotis (Gefahr der Plaqueruptur mit Apoplex).
Bei akuter Myokardischämie oder toxischer Digitaliswirkung kann eine plötzliche
Bradykardie (durch Karotismassage) Kammerflimmern auslösen.

EKG-Diagnostik 132 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Tachykardie - Ergänzungen zum Algorithmus II

Vagale Manöver und Adenosingabe nur unter CPR-Bereitschaft und EKG-
Monitoring. Möglichst gesamtes Manövers mit 12-Kanal-EKG dokumentieren.

• Adenosin:
- Dosis 6mg i.v. als schneller Bolus (große Vene, nachspülen); ggf. zweimalige
Wiederholung mit jeweils 12 mg möglich
- Patienten über unangenehme Nebenwirkungen (Flush, Kollaps, etc.) aufklären
(AV-Blockade für 5-6 Sekunden = ventrikuläre Asystolie!)
- Blockade/Hemmung der Adenosinwirkung durch Theophyllin
- Prolongierte Wirkung (Asystolie) bei denervierten Herz oder Vormedikation mit
Dypiridamol oder Carbamazepin
- Nicht bei präexitationsbedingtem Vorhofflimmern oder Vorhofflattern (WPW;
Gefahr der Beschleunigung der Präexitation durch die AV-Blockade)

• Negativ dromotrope Pharmaka
Zur Frequenzkontrolle bei Misserfolg von Adenosin (oder Kontraindikation): z.B.
Betablocker, Kalziumantagonisten (Kein Adenosin, Diltiazem, Verapamil oder
Digoxin bei präexitationsbedingten Vorhofflimmern oder Vorhofflattern! Be-
schleunigung der Präexitation möglich - Gefahr von Kammerflimmern)

Unregelmäßige Schmalkomplextachykardien
• meist Vorhofflimmern mit Überleitung (Arrhythmia absoluta); seltener Vorhof

flattern mit unregelmäßiger Überleitung
• Instabilitätszeichen: Kardioversion
• Patient stabil:

- medikamentöse Kontrolle der Herzfrequenz (z.B. Betablocker)
- Keine Kardioversion (elektrisch oder medikamentös) ohne Anti-

koagulation oder TEE-Kontrolle bei Vorhofflimmern > 48h (Gefahr der
Thrombenbildung in den Vorhöfen bei länger anhaltendem Vorhofflimmern -
Emboliegefahr bei Kardioversion!)
(< 48h: ggf. medikamentöser Versuch der Rhythmuskonversion mit Amiodaron)

Torsade de pointes (Spezielle Breitkomplextachykardie s.S.129)
• Spitzenumkehrtachykardie - Verlängerung des QT-Intervalls
• Patient stabil: QT-verlängernde Medikamente stoppen; Magnesiumgabe (2g -

vgl. S. 531); Elektrolytveränerungen behandeln (Hypokaliämie?); Expertenhilfe
für zusätzliche Optionen suchen (z.B. Overdrivepacing)
• Instabilitätszeichen: Kardioversion; Pulslosigkeit: CPR + Defibrillation (wie VF)

4.5 · Tachykardien 133 4

Breitkomplextachykardien
Ventrikuläre Tachykardien (VT - mit Karotispuls)

Charakteristik: Meist monoforme, voneinander gut abgrenzbare regelmäßige
Kammerkomplexe in schneller Folge mit hoher Frequenz; Karotispuls
tastbar (pulslose ventrikuläre Tachykardie s. S. 125)

Erklärung: Hochfrequente Reizbildung in der Kammer

Ursachen: Koronare Herzkrankheit, sonstige organische Herzerkrankungen
(Herzklappenfehler), entzündliche Herzerkrankungen (z. B. Myokarditis)

Symptomatik: „Herzrasen“, Herzauswurfleistung meist eingeschränkt mit Zei-
chen klinischer Instabilität

Gefahren: Übergang in VF oder pulslose VT ➯ Herz-Kreislauf-Stillstand !
Therapie: Siehe Algorithmus Seite 127 ff.

Torsade de pointes (Spitzenumkehrtachykardie)
Siehe Seite 132

EKG-Diagnostik 134 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Schmalkomplextachykardien I
1. Sinustachykardie

Charakteristik: Hohe Frequenz (> 100 / min); regelmäßig oder unregelmäßig;
jeder P-Welle folgt ein normal geformter QRS-Komplex; je höher die Frequenz,
desto schwieriger ist die P-Welle vom QRS-Komplex abgrenzbar
Erklärung: Versuch des Körpers, durch Frequenzerhöhung einem gesteigerten
Leistungsbedarf gerecht zu werden oder andere Störungen (z. B. Blutverlust)
auszugleichen und das Herzzeitvolumen beizubehalten.
Ursachen: Anstrengung, Hypovolämie, Schock, Herzinsuffizienz, Aufregung (er-
höhter Sympathikotonus), Fieber, Hyperthyreose, Sauerstoffmangel,
Katecholaminwirkung, Intoxikation mit Sympathomimetika
Therapie: Ursachenbekämpfung
2. Vorhoftachykardie

Charakteristik: Vorhoffrequenz bei 100 - 250 / min, P-Wellen meist verformt
und schlecht erkennbar (abhängig vom Ort der Erregungsbildung im Vorhof)
Erklärung: Tachykarder Vorhofrhythmus bei ektoper Erregungsbildung
Ursachen: Gelegentlich bei organischen Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz,
Myokarditis usw.

4.5 · Tachykardien 4135

Schmalkomplextachykardien II

Sonderform: Vorhoftachykardie mit 2:1-Überleitung (AV-Block II°: evtl. Hinweis
auf Digitalisvergiftung (jedoch nicht das typische Bild für Digitalis; sonst eher:
AV-Block, Kammertachykardie, bradykarde Rhythmusstörungen); kann auch bei
gesunden Patienten auftreten.

3. Vorhofflattern (tachykard)

Charakteristik: Typische Flatterwellen (= Sägezahnmuster) zwischen den
Kammerkomplexen, Kammerfrequenz meist tachykard, meist wird nur jede 2. oder
3. Flatterwelle im AV-Knoten übergeleitet (schützende AV-Blockierung), Vor-
hoffrequenz 200 - 300 / min.

Erklärung: Kreisende Erregung auf Vorhofebene
Ursachen: Organ. Herzerkrankungen, z. B. KHK, HI, Herzklappenveränderungen

Symptomatik: „Herzrasen“; Zeichen der klinischen Instabilität, abhängig von der
Herzauswurfleistung und Kammerfrequenz

4. Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie (tachykard)

Charakteristik: Unregelmäßiges Flimmern der EKG-Kurve zwischen den
(arrhythm.) QRS-Komplexen, keine P-Wellen abgrenzbar, meist Tachykardie

EKG-Diagnostik 136 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Schmalkomplextachykardien III
Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie (Fortsetzung)

Erklärung: Unkontrollierte, unregelmäßige elektrische Aktivität des Vorhofes
(fehlende Hämodynamik des Vorhofes ➯ HZV-Reduktion um bis zu 15 - 20 %)
Ursachen: Organische Herzerkrankungen, z. B. Herzinfarkt, Hypertonie, Mitral-
und Aortenklappenfehler, Perikarditis usw.
Symptomatik: Peripheres Pulsdefizit; Zeichen klinischer Instabilität, abhängig
von der Herzauswurfleistung
Gefahren: Thromboembolien (Thrombenbildung im Vorhof durch dort fehlende
Muskelkontraktion), Herzinsuffizienz

5. Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie

Charakteristik: Schmale, schnelle QRS-Komplexe; P-Wellen kaum abgrenzbar,
Frequenz 150 - 220 / min; bei Säuglingen bis zu 300 / min
Erklärung: Plötzlich einsetzendes „Herzrasen“ mit supra-ventrikulärer Erregung
Ursachen: Vegetative Fehlregulationen (Aufregung, Ermüdung), Wirkung von
Genussmitteln und Drogen, vorgeschädigtes Herz (Myokarditis usw.)
Symptomatik: „Herzrasen“, „Herzjagen“, ggf. Zeichen klinischer Instabilität
Therapie: Erwachsene s. S. 127. Bei Kindern müssen Medikamentendosierungen
und Kardioversionsenergien angepasst werden; vagale Manöver müssen bei Säug-
lingen und Kindern unterbleiben. Bei älteren Kindern empfiehlt sich das Aufblasen-
lassen eines Luftballons zur Vagusstimulation (vgl. S. 56).
Besonderheit Präexzitation:
Das Präexzitationssyndrom (z.B. WPW - Wolf-Parkinson-White) ist von der her-
kömmlichen paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie abzugrenzen, da bei
Präexzitationssyndrom z.B. eine Therapie mit Verapamil kontraindiziert ist (s.S.
132). Da die Ruhe-EKG-Charakteristika der Präexzitation (z.B. Delta-Welle, PQ-Ver-
kürzung) während tachykarder Phasen nicht nachweisbar sind, muss nach entspr.
Ereignissen oder Diagnosen in der Anamnese gefahndet werden.

4.6 · Extrasystolen 4137

Extrasystolen I

Extrasystolen sind außerhalb des regulären Grundrhythmus (i. d. R. früher als
erwartet) auftretende Aktionen im EKG. Sie entstehen durch Impulsgebung un-
terschiedlicher ektoper Herde (vom Sinusknoten unterschiedene, reizbildende
Zentren), sodass es zu einer frühzeitigen Depolarisation kommt. Man unter-
scheidet der Herkunft nach supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen; für
supraventrikuläre Extrasystolen im Gegensatz zu ventrikulären spricht (wenn
vorhanden):

• Eine P-Welle geht dem QRS-Komplex voraus.
• Der QRS-Komplex ist schmal (< 0,12 s).
• Der QRS-Komplex ist wie bei einem Rechtsschenkelblock gezackt.

1. Supraventrikuläre Extrasystolen (SVES)

Charakteristik: Meist normaler (selten deformierter) QRS-Komplex bei defor-
mierter P-Welle (Verkürzung der PQ-Zeit mit näherer Lage des Extrasystolen-
herdes zum AV-Knoten), nach der Extrasystole ggf. kompensatorische Pause

Mögliche Entstehungsorte: Sinusknoten, Vorhof (deformierte P-Welle), AV-
Knoten(negative, fehlende oder in der ST-Strecke erkennbare P-Welle)

Symptomatik: „Herzstolpern“

Gefahren: In der Regel keine Gefahr für den Patienten, der Patientenzustand
verändert sich meist nicht

Therapie: In der Regel keine Therapie nötig

2. Ventrikuläre Extrasystolen
A. Monotope Extrasystolen / Uniforme Extrasystolen

Worterklärung:
• monotop (unifokal) = von demselben Ort (Erregungsbildung) ausgehend
• monomorph (uniform) = von derselben Gestalt

EKG-Diagnostik 138 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Extrasystolen II
Monotope Extrasystolen (Fortsetzung) (Lown i-II)

Charakteristik: Gleich geformte Extrasystolen (danach oft kompensator. Pause)
B. Polytope / Multiforme Extrasystolen (Lown IIa)
Worterklärung:

• polytop (multifokal) = verschiedene Erregungsbildungszentren
• polymorph (multiform) = von verschiedener Gestalt

Charakteristik: Unterschiedlich geformte Extrasystolen
C. Bigeminus (Lown IIIb)

Charakteristik: Regelmäßiges Abwechseln von normalem QRS-Komplex mit
ventrikulärer Extrasystole (monotop).


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