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Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

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Published by NoSpam, 2018-01-10 22:07:49

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin. Kompendium für den Notarzt [Springer, 3. Aufl., 2006]

4.6 · Extrasystolen 4139

Extrasystolen III
D. Couplets (Lown IVa)

Charakteristik: Zwei ventrikuläre Extrasystolen des gleichen Ursprungs
direkt hintereinander. Drei Extrasystolen in Serie werden als Triplet bezeichnet.

E. Salven (Lown IVb)

Charakteristik: Mehr als drei ventrikuläre Extrasystolen direkt hintereinander
F. R-auf-T-Phänomen (Lown V)

Charakteristik: Eine früh erscheinende ventrikuläre Extrasystole fällt in die
vulnerable Phase von T (Erregungsrückbildungswelle) der vorangehenden Herz-
aktion; Gefahr des Kammerflimmerns

EKG-Diagnostik 140 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Extrasystolen IV

Lown-Classification für ventrikuläre Extrasystolen:
0 keine ventrikulären Extrasystolen
I weniger als 30 ventrikuläre Extrasystolen pro Stunde
II mehr als 30 ventrikuläre Extrasystolen pro Stunde
IIIa multiforme ventrikuläre Extrasystolen
IIIb Bigeminus
IVa Couplet
IVb Salve
V R-auf-T-Phänomen

Ursachen für ventrikuläre Extrasystolen:
Organische Herzerkrankungen, z. B. Herzinfarkt, Koronare Herzkrankheit, Myo-
karditis, Kardiomyopathie, Alkohol, Koffein, Nikotin, Digitalis (vor allem Bigeminus),
Katecholaminwirkung, Intoxikation mit Sympathomimetika usw.

Symptomatik: „Herzstolpern“, evtl. peripheres Pulsdefizit; abhängig von der Herz-
auswurfleistung Zeichen klinischer Instabilität

Gefahren: Kammerflimmern bei R-auf-T-Phänomen (Lown-Classification V), bei
organischen Herzerkrankungen (z. B. Herzinfarkt): ventrikuläre Tachyarrhythmie
bis hin zum Kammerflimmern ab Lown-Classification IIIa

Notfalltherapie
• Basischeck, Basismaßnahmen, Standardtherapie
• Ventrikuläre Extrasystolen bei Gesunden bedürfen in der Regel keiner

Soforttherapie, sofern keine Zeichen klinischer Instabilität vorhanden sind.
• Bei Bigeminus sollte immer an eine Digitalisüberdosierung/-intoxikation

gedacht werden.
• Beachte: R-auf-T-Phänomen (mit Gefahr des Kammerflimmerns): Hier muss

akut interveniert werden.
• Ventrikuläre Extrasystolen bei organischen Herzerkrankungen (z. B. Herz-

infarkt) sollten spätestens ab Lown-Classification IIIa behandelt werden.
• Mögliche Substanzen: Lidocain (0,5 - 1,5 mg/kg KG i.v.), Propafenon (0,5 - 1

mg/kg KG i.v.)
• Beachte: Auch bei symptomatischer Extrasystolie sollte die Behandlung

mit Antiarrhythmika (insbes. der Klasse I) nicht routinemäßig und nur nach
eingehender Prüfung der Kontraindikationen erfolgen. In der Klinik
sollten Ursachenforschung und -bekämpfung Priorität haben.

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EKG-Diagnostik 142 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Bradykardien I - Ergänzungen zum Algorithmus

Von einer Bradykardie spricht man bei einer Herzfrequenz unter 50 / min.
Bradykardien können bei sportlich trainierten Menschen normal sein. Beim Normal-
patienten können sie aber auch zu einem bedrohlichen Abfall des Herzzeitvolumens
führen.

Ergänzungen zum Algorithmus Bradykardie71

Atropin
• paradoxe Bradykardien bei Dosierungen < 0,5 mg möglich
• Vorsicht bei ACS (Verstärkung der Ischämie möglich)
• nicht bei Herztransplantierten (paradoxer höhergradiger AV-Block oder Sinus-

arrest möglich)
Schrittmachertherapie
s.S. 57 (externer Schrittmacher: meist Analgosedierung erforderlich)
Adrenalin
2 –10 μg/min i. v., beginnend mit 2 μg/min und aufsteigend bis zur ausreichen-
den Wirkung verabreichen (Spritzenpumpe!)
Mischung: 1 Amp. Adrenalin (Suprarenin® 1 mg/1 ml) + 19 ml NaCl 0,9 %
(Förderrate: beginnen mit 2 ml/h, ggf. steigern bis auf 12 ml/h)

Bradykarde Rhythmusstörungen
1. Sinusbradykardie

Charakteristik: Normal geformte P-Wellen und QRS-Komplexe mit einwand-
freier Koppelung, Frequenz < 50 / min
Erklärung: Verlangsamte, vom Sinusknoten ausgehende Erregungsbildung
Ursachen: Physiologisch (Sportler und Vagotoniker), Sinusknotensyndrom,
hypersensibler Karotissinus, Medikamentenwirkung, Hypothyreose, erhöhter Hirn-
druck (z. B. bei Schädel-Hirn-Trauma, Apoplex)
Gefahren: Synkope / Adams-Stokes-Anfall

4.7 · Bradykardien 4143

Bradykardien II
2. Knotenbradykardie

Charakteristik: Regulär geformte QRS-Komplexe; 35 - 60 / min; retrograde Erre-
gung der Vorhöfe vom AV-Knoten aus: zum Teil atypische P-Wellen direkt vor oder
hinter dem QRS-Komplex, meist fällt die Vorhoferregung mit der Kammererregung
zusammen, sodass die P-Welle im QRS-Komplex verborgen bleibt.
Erklärung: Ersatzrhythmus vom AV-Knoten ausgehend (sekundäres Erregungs-
bildungszentrum) mit retrograder Erregung der Vorhöfe
Ursachen: Physiologisch (bei Jugendlichen); erhöhter Vagotonus, Intoxikation
/Überdosierung (z. B. Digitalis, -Rezeptorenblocker, Kalziumantagonisten);
Elektrolytstörungen; Herzerkrankungen (z. B. Herzinfarkt)
Gefahren: Synkope / Adams-Stokes-Anfall
3. Kammereigenrhythmus

Charakteristik: Keine P-Wellen; breiter QRS-Komplex (regelmäßig); 30 - 40 / min
Erklärung: Ersatzrhythmus der Kammermuskulatur bei Ausfall übergeordneter
Erregungsbildungszentren. Keine retrograde Vorhoferregung
Ursachen: Intoxikation / Überdosierung (z. B. Digitalis, Antiarrhythmika,

-Rezeptorenblocker); Herzerkrankungen (Myokarditis, Myokardinfarkt u. a. m.)
Gefahren: Synkope / Adams-Stokes-Anfall / Asystolie

EKG-Diagnostik 144 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Bradykardien III / 4. AV-Blockierungen
AV-Block I°

Charakteristik: Überleitung der Vorhoferregung verlängert, jedoch nicht aufge-
hoben (PQ-Zeit > 0,2 s)
AV-Block II° - Typ I (Wenckebach-Periodik)

Charakteristik: Periodisch zunehmende Zeit der AV-Überleitung (PQ-Zeit) bis
zum Ausfall einer AV-Überleitung
AV-Block II° - Typ II (Mobitz-II)

Charakteristik: Nur Weiterleitung jeder 2. oder 3. Vorhofaktion (2:1- bzw. 3:1-
Block); Risiko der Asystolie!

4.7 · Bradykardien 145 4

Bradykardien IV
AV-Block III° (AV-Dissoziation)

Charakteristik: Totaler AV-Block, fehlende Überleitung von Vorhoferregungen
auf die Kammer; deswegen Kammereigenrhythmus (Ersatz) mit meist langsamer
Frequenz (30 - 40 / min), davon unabhängig regelmäßige P-Wellen; hohes Risiko
der Asystolie!!

Ursachen für AV-Blockierungen:
• Erhöhter Vagotonus (z. B. Sportler) ➯ AV-Block I°
• Organische Herzerkrankungen: z. B.: Herzinfarkt (häufigste Ursache)
• Medikamentös-toxisch: z. B. Digitalis, Antiarrhythmika, Chinidin,
-Rezeptorenblocker
• Posttraumatisch
• Hyperkaliämie
• Störung im Bereich des AV-Knotens mit Behinderung der Überleitung des
Aktionspotentials auf die Kammer

Symptomatik: Abhängig von der Herzauswurfleistung Zeichen klinischer Insta-
bilität; längere Asystoliephasen mit Symptomen des Herz-Kreislauf-Stillstandes
möglich (bei AV-Block II° Typ II und III°) - Adams-Stokes-Anfall

Gefahren: Längerdauernde Asystolie zwischen Beginn eines AV-Blockes III° und
dem Einsetzen eines Kammerersatzrhythmus (Adams-Stokes-Anfall), Herzinsuf-
fizienz durch Bradykardie (< 40 / min bei AV-Block II°)

EKG-Diagnostik 146 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Herzschrittmacher - Normalfunktion I
1. Schrittmacher mit Vorhofstimulation

2. Schrittmacher mit Kammerstimulation

3. Schrittmacher mit Vorhof- und Kammerstimulation

Herz-Schrittmacher wird im Folgenden mit SM abgekürzt.

4.8 · Herzschrittmacher / ICD 147 4

Herzschrittmacher - Normalfunktion II

Charakteristik im EKG
Unmittelbar vor P-Wellen bzw. QRS-Komplexen finden sich so genannte SM-Spikes
(extrem schmale, strichförmige elektrische Impulse). Da die Reizweiterleitung im
Herzen meist nicht den physiologischen Weg über das Reizleitungssystem nimmt,
erscheinen besonders die QRS-Komplexe nach SM-Spikes i. d. R. deformiert und
verbreitert (ähnlich wie ein Linksschenkelblock). Zu beachten ist, dass die SM-
Spikes in manchen Ableitungen nicht zu erkennen sind (wenn der Stromimpuls
senkrecht zur Ableitungsachse erfolgt). Bei manchen EKG-Geräten muss zur kor-
rekten SM-Erkennung ein eigener Modus aktiviert werden. Außerdem können SM-
Impulse bei bipolarer Stimulation und bei niedriger Reizschwelle klein und schwer
erkennbar sein. Daher bei breitem Kammerkomplex in allen EKG-Ableitungen nach
SM-Impulsen suchen bzw. den Patienten befragen/untersuchen: Operationsnar-
be und unter der Haut tastbarer SM von der Größe einer Streichholzschachtel auf
der Brustwand direkt unter dem Schlüsselbein, meist rechts (bei ICD manchmal
auch Unterbauch). Die regelgerechte Funktion des SM ruft beim Patient keine
Symptome oder nur manchmal leichte Muskelzuckungen hervor. Stärkere, evtl.
schmerzhafte Muskelzuckungen oder Schluckauf treten normalerweise nicht auf
und sollten im Schrittmacherzentrum abgeklärt werden und können oft erfolg-
reich durch eine Neuprogrammierung behoben werden.

Gründe und Ziele für Schrittmacherbehandlung
Der SM unterstützt die Herzfunktion, indem er regelmäßig und in ausreichender
Frequenz elektrische Impulse abgibt, die jeweils einen Herzschlag zur Folge ha-
ben. Meist erhöht sich für den Patienten dadurch nicht nur die Überlebenszeit,
sondern auch die Lebensqualität.
I. d. R. erfolgt eine SM-Implantation wegen bradykarder Herzrhythmusstörungen,
die beim Patienten zu belastenden Symptomen (wiederholte Synkopen, Schwin-
del, mangelnde Belastbarkeit) geführt haben oder ein erhöhtes Risiko für einen
plötzlichen Herzstillstand haben.
Seltener werden SM zunehmend auch bei wiederkehrenden tachykarden Herz-
rhythmusstörungen eingesetzt. In den letzten Jahren zunehmend finden SM
auch in der Therapie der schweren chronischen Herzinsuffizienz Anwendung (spe-
zielle biventrikuläre Stimulation, Multisite-Pacing).
In der Notfallmedizin kommen SM vor allem bei schweren symptomatischen Bra-
dykardien (Zeichen klinischer Instabilität und/oder Risiko der Asystolie) sowie bei
der (Kammer-) Asystolie zum Einsatz und ersetzen die z. B. durch Infarkt ausge-
fallene Reizbildung.

Herzschrittmacher werden nach einem festgelegten Code klassifiziert:
NBG-Code: NASPE (North American Society of Pacing and Electrophysiology

BPEG (British Pacing and Electrophysiology Group)
Generic Pacemaker-Code
Dieser Code ist auf der folgenden Seite wiedergegeben.

148 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Herzschrittmacher: NBG-Code (vgl. S. 147)

1. Buchstabe 2. Buchstabe 3. Buchstabe 4. Buchstabe 5. Buchstabe

Ort der Ort der Impuls- Betriebsart/Mo- Programmier- Besondere
Stimulation
wahrnehmung dus (Reaktion barkeit Funktionen
V (ventricle)
= (r.) Kammer (Detektion/ des SM auf Im-
A (atrium)
= (r.)Vorhof Sensing) pulswahrnehm.)

D (double) V (ventricle) T = getriggert P = program- P (pacing)
= (r.) Vorhof +
(r.) Kammer = (r.) Kammer (Impulsabgabe mierbar (ein- = Antitachykarde

S (single nach Wahrneh- fach/zweifach) Stimulation
chamber) =
eine Kammer A (atrium) I = inhibitiert M = multipro- S (shock)

= (r.)Vorhof (keine Impulse, grammierbar = Kardioversion/

wenn Wahrneh- Defibrillation

mung)

D (double) D (double) C = Communica- D (double)

= (r.) Vorhof + =Vorhof getrig- tion (Telemetrie) = P + S (s.o.)

(r.) Kammer gert und Kam-

mer inhibiert

0 (none) 0 (none) 0 (none) 0 (none)

= diese Funktion = diese Funktion = diese Funktion = diese Funktion

nicht vorhanden nicht vorhanden; nicht vorhanden nicht vorhanden

asynchrone Sti-

mulation

S (single R (reverse) R (rate modula- Multisite-Pacing

chamber) = = Funktionsum- tion/rate respon- bei Pat. mit schwe-

eine Kammer kehrung; Stimu- se) = Frequenz- rer Herzinsuffizienz

lation reagiert adaptation (be- (z. B. dritte Elektro-

eher auf Tachy- lastungsabhängi- de im Sinus coro-

arrhythmie als ge Frequenzer- narius zur syn-

auf Bradyar- höhung) chronen Stimula-

rhythmie tion von rechter u.

linker Kammer)

EKG-Diagnostik In der Praxis: Angabe 4. Buchstabe und 5. Buchstabe nur bei Bedarf

Beispiele für die Anwendung des Schrittmacher-Codes
AAI • Der SM stimuliert den Vorhof

• Der SM nimmt herzeigene Erregungen im Vorhof wahr
• Hemmung der SM-Stimulation bei Wahrnehmung von Vorhoferregung
• Der relativ seltene AAI-SM wird bei isolierten Störungen des Sinus

knotens und bei Long-QT-Syndromen eingesetzt.
VVI • Der SM gibt Impulse in der Kammer ab.

• Der SM nimmt herzeigene Impulse in der Kammer wahr.
• Der SM-Impuls wird unterdrückt, wenn eine ausreichende herzeigene

Impulsgebung in der Kammer vorhanden ist.
DDD • Der SM gibt Impulse sowohl im Vorhof als auch in der Kammer ab.

• Der SM nimmt die Impulse des Herzens in Vorhof und Kammer wahr.
• Die Impulsgebung des SM in der Kammer wird durch die herzeigene Vor-

hoferregung angesteuert (Triggerung), bei herzeigenen Kammerimpulsen
wird die Kammerstimulation des SM unterdrückt (Inhibition).

4.8 · Herzschrittmacher / ICD 149 4

Herzschrittmachertypen

Interner Schrittmacher
Der SM ist meistens unter dem (rechten) Schlüsselbein des Patienten unter die
Haut gesetzt, ein Kabel führt über die obere Hohlvene in das rechte Herz und ist
dort verankert; es leitet die elektrischen Impulse direkt zum Herzmuskel – das SM-
Gerät ist vorprogrammiert und arbeitet selbstständig; ein Kardiologe überprüft
halbjährlich oder jährlich mit einem Programmiergerät den SM und kann neue
Programmierungen vornehmen.

Externer Schrittmacher
Das SM-Gerät befindet sich außerhalb des Körpers; externe SM kommen überbrü-
ckend und notfallmedizinisch zum Einsatz: entweder wird die Stimulationssonde
wie eine Magensonde über die Speiseröhre eingeführt, sodass die Spitze hinter
dem Herzen liegt (transösophageales Pacing); oder die Sonde wird über eine grö-
ßere (meist zentrale) Vene bis zum Herzen vorgeschoben (transvenöses Pacing);
oder es werden Elektroden wie zur Defibrillation anterior-posterior auf dem Brust-
korb des Patienten aufgeklebt, über die der Stromimpuls abgegeben wird
(transkutanes Pacing). Das transkutane Pacing bietet sich notfallmäßig im Ret-
tungsdienst an, weil es schnell, sicher und unsteril angewendet werden kann. Zu
bedenken ist, dass das transkutane Pacing relativ große Energien benötigt, die zu
starken Muskelzuckungen und bei wachem Patienten zu Schmerzen führen kön-
nen, sodass eine Analgesie und ggf. Sedierung notwendig wird.

Demand-Schrittmacher
Der SM erkennt, ob das Patientenherz ausreichend eigene elektrische Impulse
abgibt und stimuliert nur, wenn das Herz aussetzt (wenn das Herz arbeitet, ist der
SM unterdrückt = inhibiert). Der Schrittmacherimpuls kann auch vom Herzen
getriggert, d. h. angefordert werden (z. B. immer, wenn der Vorhof des Patienten
schlägt, löst der Schrittmacher zum richtigen Zeitpunkt eine Kammeraktion aus).

Sonderfall: frequenzadaptiver Schrittmacher
Wenn das Herz bei höherer Belastung nicht mit einer Zunahme der Herzfrequenz
reagiert (chronotrope Inkompetenz), können verschiedene Sensoren dem SM
eine höhere Belastung melden, z. B. Sensoren für Beschleunigung (Bewegung des
Pat.), Thoraximpedanz (Atmung) und QT-Zeit (Indikator für Herzbelastung).
Starrfrequenter Schrittmacher (Permanentschrittmacher): der SM stimuliert kon-
tinuierlich ohne Pause mit voreingestellter Frequenz; dies ist bei den meisten
Notfallschrittmachern der Fall (V00-Modus). Manche Patientenschrittmacher kön-
nen durch Magnetauflage über dem SM-Aggregat auf starrfrequente Stimulation
umgeschaltet werden (s. S. 151).

EKG-Diagnostik 150 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten I

Merke: Vorhandene oder nicht-vorhandene SM-Impulse sagen alleine nichts über
eine ordnungsgemäße Funktion von SM und Patientenherz aus. Es muss stets
eine Beurteilung des klinischen Zustandes des Patienten erfolgen und im EKG der
Zusammenhang von SM-Impulsen mit herzeigenen Aktionen festgestellt werden.

Beeinflussung des SM durch Notfälle oder RD-Personal
1. Fehlen der „diagnostischen und kompensatorischen Tachykardie“: Bei
vielen Notfällen gilt die Tachykardie als charakteristisches (Früh-) Warnzeichen in
der Notfalldiagnostik (z. B. Schock, Lungenembolie). Bei SM-Patienten kann die-
ses Warnzeichen oft nicht ausgebildet werden! Da die Tachykardie bei Notfällen
häufig notwendig ist, um ein ausreichendes Herzzeitvolumen aufrecht zu erhal-
ten, kann der Kreislauf bei SM-Patienten deutlich früher dekompensieren!

2. Beeinflussung des SM durch SM-unabhängige Notfälle: Notfälle mit erhöhter
Atemfrequenz und/oder starken Muskelzuckungen (z. B. Hyperventilations-
syndrom, Krampfanfall) können bei frequenzadaptiven SM zu unangemessenen
Tachykardien führen oder bei inhibitierten SM die Stimulation unterdrücken
(Oversensing s. S. 153), sodass eine extreme Bradykardie oder ein Herzkreislauf-
Stillstand resultieren kann.

3. Die EKG-Interpretation kann bei SM-Patienten erschwert oder unmöglich
sein (z. B. Herzinfarkt, Herzkreislauf-Stillstand); so gibt es hochspezifische Zei-
chen für einen Herzinfarkt im SM-EKG (z. B. Stimulus-qR-Zeichen, Cabrera-Zei-
chen), deren Beurteilung bleibt jedoch dem Spezialisten vorbehalten. Gelingt es,
herzeigene Aktionen mit regulärer Erregungsausbreitung ohne SM-Stimulation
im EKG zu dokumentieren, so ist prinzipiell eine Herzinfarkt-Diagnostik möglich.

4. Bei schweren (Thorax-)Traumata oder externen Stromeinwirkungen (z. B.
Defibrillation) kann es zu Beschädigung des SM-Systems kommen (z. B. Sonden-
dislokation mit folgender Bradykardie oder Herzkreislaufstillstand).

5. Vergiftungen oder (Notfall-) Medikamente können die Reizschwelle des Her-
zens erhöhen, sodass es zu ineffektiver SM-Stimulation kommt (Exit-Block, s. S.
152)

Merke: An eine SM-Fehlfunktion ist stets zu denken, wenn ein SM-Patient Symp-
tome wie Schwindel, Synkope, Leistungsschwäche, Herzstolpern oder Herzrasen
zeigt (SM-Kontrolle!). Aber auch an SM-unabhängige Notfälle denken.

Allgemeine Maßnahmen
• Bei allen Notfällen bei SM-Patienten immer den mitgeführten SM-Ausweis einse-

hen (passt die beobachtete Stimulation zur Voreinstellung laut Ausweis?)
• Bei Verdacht auf SM-Fehlfunktion: möglichst immer eine Klinik anfahren, in

der ein passendes Programmiergerät für den SM des Patienten verfügbar ist
(Überprüfung und ggf. Neueinstellung). Der SM-Typ ist im SM-Ausweis
vermerkt; vor Transport die Kliniken z. B. über die Leitstelle abfragen lassen.

4.8 · Herzschrittmacher / ICD 151 4

Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten II

Allgemeine Maßnahmen (Fortsetzung)
• Defibrillation, Kardioversion und externen SM-Therapie bei SM-Patienten

und ICD-Trägern (s. S. 157 ff.): Elektrodenposition initial immer anterior-poste-
rior, um eine Beschädigung des Aggregats und einen verbrennungsinduzierten
Herzmuskelschaden zu vermeiden sowie eine effektive Stromleistung zu ge-
währleisten (nach mehreren erfolglosen Versuchen anterior-anterior erwägen).
• Eine Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie) ist bei SM-Patien-
ten i. d. R. nicht möglich (durch starkes Magnetfeld Betriebsartänderung, evtl.
Induktion von elektrischem Strom mit starker lokaler Hitzebildung, evtl. Disloka-
tion bei ferromagnetischer Wirkung); der Beeinflussungsradius kann bis zu
15 m um das Gerät herum betragen! Auch an Begleitpersonen mit SM denken!

Therapeutische Magnetauflage
Die Auflage eines speziellen SM-Magnets (Ring- oder Stabmagnet) auf die Haut
über dem SM-Aggregat führt bei den meisten SM zur Umschaltung vom Demand-
Modus (Impuls nur bei Bedarf) auf festfrequente Impulsgebung (V00/D00, mit
einer vorprogrammierten, meist erhöhten Frequenz, z. B. 100/min). Bei Entfernen
des Magneten oder nach einem bestimmten Zeitintervall schaltet der SM zurück.
Die Magnetauflage über ICD schaltet die Tachykardieerkennungsfunktion ab.
Entsprechende Magnete sollten auf notarztbesetzten Rettungsmitteln vorgehal-
ten werden (Vorsicht: von magnetischen Datenträgern fernhalten!) Wenige ältere
SM reagieren bei Magnetauflage mit einer Steigerung der Stimulationsenergie, die
evtl. stufenweise wieder abfällt = Reizschwellentest). Manchmal wird die Magnet-
funktion durch den Kardiologen bei der Programmierung abgeschaltet. Bei Ver-
dacht auf Batterieerschöpfung keine Magnetauflage, da ein SM-Totalausfall
provoziert werden kann. Der Verdacht auf eine Batterieerschöpfung wird erhärtet,
wenn der SM-Patient mehrere halbjährliche oder jährliche Kontrollen ausgelassen
hat. Umgekehrt ist bei regelmäßigen SM-Kontrollen eine unbemerkte Batterieer-
schöpfung sehr unwahrscheinlich. Weitere Komplikationen der Magnetauflage:
kompetitives Pacing (SM-Syndrom s. S. 155), evtl. Umprogrammierung des SM
bei Magnetauflage in Gegenwart von starken Funksignalen (Radiosender, Teleme-
trie u.a.). Ansonsten gilt vereinfachend bei SM-Fehlfunktionen: zunächst Magnet-
auflage versuchen (einfach, schnell, risikoarm), bei Erfolg belassen und fixieren,
bei Misserfolg entfernen und andere Verfahren erwägen (z. B. externer SM).

Schrittmachertotalausfall
Der SM stimuliert trotz unzureichender Herzfunktion gar nicht. Ursachen:
• schweres Trauma des SM-Systems
• externe Stromeinwirkung auf das SM-System (z. B. Defibrillation, Stromunfall)
• Batterieerschöpfung (bei regelmäßiger SM-Kontrolle unwahrscheinlich, da Bat-

terie geprüft wird und der SM zunächst auf eine energiesparende Betriebsart wie
A00, V00 oder D00 umschaltet ; wichtigste Frage: Hat der Pat. einen oder mehrere
Kontrolltermine verpasst?!)
Fortsetzung s. nächste Seite

EKG-Diagnostik 152 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten III
Schrittmachertotalausfall (Fortsetzung)

EKG: Es tritt i. d. R. die ursprüngliche Herzrhythmusstörung auf, die zur SM-
Implantation geführt hat, im Extremfall eine schwere Bradykardie bis Asystolie.
Überbrückende Maßnahmen NA: Therapie des patienteneigenen Herzrhythmus.
I. d. R. überbrückend externer SM mit ausreichend hoher Stimulationsenergie und
schnellstmögliche Wiederherstellung der Funktion des implantierten SM (Klinik).

Exit-Block
Ausgang von SM-Impulsen blockiert; ineffektive Stimulation: Die elektrisch leiten-
de Verbindung zwischen SM und Herzmuskel ist gestört. Ursachen: Elektroden-
dislokation (häufigste Ursache: die Elektrodenspitze verliert ihre feste Veranke-
rung im Herzmuskel); Kabelbruch; falsch eingestellte SM-Schwelle; Reizschwellener-
höhung des Herzmuskels (z. B. frischer Herzinfarkt, Medikamente)
Oft geht ein Entrance-Block (s. rechte Seite) dem Exit-Block voraus.

EKG: SM-Impulse (Spikes) im EKG sichtbar, die jedoch nicht jedesmal vom Herz-
muskel beantwortet werden. Im schlimmsten Fall neben unbeantworteten SM-
Spikes unabhängiger, bradykarder Kammereigenrhythmus oder Asystolie.
Überbrückende Maßnahmen im RD (Notarzt): Eine Magnetauflage kann ver-
sucht werden (selten wirksam). Ansonsten Therapie des patienteneigenen Herz-
rhythmus. I. d. R. überbrückend externer SM mit ausreichend hoher Stimulations-
energie und schnellstmögliche Wiederherstellung der Funktion des implantierten
SM (Klinik).

Entrance-Block
(Eingang von herzeigenen Impulsen blockiert)
1. Ein Demand-SM erkennt die herzeigenen Impulse nicht mehr: Sensing-Defekt,
Undersensing, Wahrnehmungsstörung (Sonde disloziert; elektrische Abschir-
mung der Sondenspitze - meist Entzündung um die Sondenspitze in den ersten
Wochen nach Implantation, seltener durch spätere Fibrosierung oder Störsignale)

4.8 · Herzschrittmacher / ICD 153 4

Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten IV

Entrance-Block (Fortsetzung)
2. Der SM hat wegen Batterieerschöpfung auf einen Strom sparenden festfrequen-
ten Modus umgeschaltet (A00, V00 oder D00).

EKG: Der SM stimuliert – trotz evtl. vorhandener Herzaktionen – unabhängig mit
starrer Frequenz (ein VVI-SM wird zum V00, ein AAI zum A00, ein DDD zum DVI
oder DAI oder D00) - Ausfall der Inhibition. Evtl. kann ein SM-Impuls in die
vulnerable Phase fallen und Kammerflimmern auslösen . Therapieziel: ausschließ-
lich SM-geführter Herzrhythmus.

Überbrückende Maßnahmen Notarzt: Bei Verdacht auf Batterieerschöpfung keine
Magnetauflage, da durch die energetische Beanspruchung ein Totalausfall mit
Reanimationspflichtigkeit provoziert werden kann! Transport in die Klinik unter
CPR-Bereitschaft, ggf. überbrückend externer SM mit ausreichend hoher
Stimulationsenergie und schnellstmögliche Wiederherstellung der Funktion des
implantierten SM (Klinik).
Bei Verdacht auf Sensing-Defekt:
1. Magnetauflage (Ziel: SM-Frequenz über Eigenfrequenz des Patienten)
2. Medikamentöse Senkung der Herzfrequenz unter die programmierte SM-Fre-

quenz (z. B. Betablocker)
(SM übernimmt dann in beiden Fällen die alleinige Führung)

Oversensing (SM-Überempfindlichkeit)
Störsignale wie Muskelkontraktionen, Vibrationen (RTW-Fahrt) oder elektroma-
gnetische Impulse (z. B. transkutane elektrische Nervenstimulation = TENS) wer-
den vom SM als (inhibitierende oder triggernde) Herzaktionen wahrgenommen.
Evtl. durch Elektrodenisolationsdefekt oder niedrig programmierte Wahrnneh-
mungsschwelle des SM bedingt/verstärkt.

Im EKG sind häufig die Störsignale erkennbar.
a) Bei Inhibition: trotz Bradykardie/Asystolie keine SM-Stimulation; Synkope (häu-
fig entfällt dadurch das Störsignal und der Patient erwacht, bis er bei erneuter
Störung wieder kollabiert), evtl. Störsignale erkennbar, Anamnese!
b) Bei Triggerung: SM-vermittelte Tachykardie (s. nächste Seite)

EKG-Diagnostik 154 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten V
Oversensing (Fortsetzung)

Überbrückende Maßnahmen Notarzt:
1. Beseitigung der Störquelle oder Patienten aus dem Störbereich bringen.
Wenn erfolglos:
2. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starr-
frequente Stimulation - meist erfolgreich).
Wenn erfolglos:
3. Therapie des patienteneigenen Herzrhythmus (s. S. 141)

Schrittmacher-Tachykardie endless-loop (ELT)
Es findet nach Kammerstimulation und -erregung eine retrograde Vorhoferregung
mit erneuter Detektion an der Vorhofelektrode statt (bei einem getriggerten SM
älterer Bauart). Nach einem programmierten AV-Intervall erfolgt sofort wieder in
eine Kammerstimulation. ELT können wie PMT zu Hypotonie, Schwindel, Angina
pectoris und Synkopen führen.

EKG: Schnelle ventrikuläre Stimulation mit konstanter Frequenz.

Überbrückende Maßnahmen Notarzt:
1. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starr-
frequente Stimulation - meist erfolgreich).
Wenn erfolglos:
2. Vagale Manöver (s. S. 56), ggf. medikamentöse Blockierung der (retrograden)
AV-Überleitung (z. B. Adenosin, Betablocker, Digitalis, Verapamil)
3. Von einer externen Kardioversion ist wegen der Gefahr einer Schrittmacher-
Beschädigung dringend abzuraten (i. d. R. präklinisch nicht notwendig).

Schrittmachervermittelte Tachykardie (PMT)
Eine tachykarde Vorhofarrhythmie führt bei älteren DDD-SM zu erhöhter ventriku-
lärer Stimulationsfrequenz (bis eingestellte Grenze). Es können bedrohliche Ta-
chykardien mit Hypotonie, Schwindel, Angina pectoris und Synkopen entstehen.

EKG: Tachykarde SM-Spikes gefolgt von QRS-Komplexen.

4.8 · Herzschrittmacher / ICD 155 4

Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten VI

Schrittmachervermittelte Tachykardie (Fortsetzung)

Überbrückende Maßnahmen Notarzt:
1. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starr-
frequente Stimulation - meist erfolgreich).
Wenn erfolglos:
2. Medikamentöse Senkung der Vorhoffrequenz oder Rhythmuskonversion (z. B.
Betablocker, Digitalis, Verapamil)
3. Ultima Ratio: externe Kardioversion (anterior-posterior!) unter Heparinisierung

AV-Crosstalk
Die ventrikuläre Sonde nimmt die stimulierte Vorhofaktion fälschlich als Kammer-
stimulation wahr und wird inhibitiert. Kammer-Bradykardie/-Asystolie!

EKG: Nur Vorhofstimulation gefolgt von P-Wellen; keine Kammeraktionen (kann
intermittierend auftreten).

Überbrückende Maßnahmen Notarzt:
1. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starr-
frequente Stimulation - meist erfolgreich).
Wenn erfolglos:
2. Therapie des patienteneigenen Herzrhythmus (s. S. 141)

Schrittmacher-Syndrom
Fehlende Koordination zwischen erhaltenem Sinusrhythmus und VVI-SM (retrogra-
de Erregungsleitung von Kammer auf Vorhof): konkurrierende Rhythmen, hin
und wieder oder regelmäßig gleichzeitige Vorhof- und Kammerschrittmacher-
systole: Kontraktion der Vorhöfe gegen die geschlossenen Vorhof-Kammer-Klap-
pen; Folge: atrialer Barorezeptorreflex: Herzklopfen, Schwindel, Angst, evtl. Blut-
druckabfall, Synkope

EKG: Konkurrierender SM- und Sinusrhythmus; P-Wellen „laufen in den QRS-
Komplex hinein“ oder sind evtl. retrograd im Bereich der ST-Strecke erkennbar.

156 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten VII

Schrittmacher-Syndrom (Fortsetzung)
Überbrückende Maßnahmen Notarzt:
1. Medikamentöse Anhebung der Eigenfrequenz des Patienten, um die ventrikulä-
re Stimulation zu unterdrücken (z. B. Atropin).
Wenn erfolglos:
2. Magnetauflage, um die SM-Frequenz deutlich über die Eigenfrequenz des Pati-
enten zu heben und ein ausreichendes Herzzeitvolumen zu erhalten
3. Ultima Ratio: Medikamentöse Absenkung der Eigenfrequenz unter die SM-Fre-
quenz (Vorsicht: Kardiodepression!)

Elektromagnetische Störung von außen
(z. B. durch beabsichtigte Magnetauflage oder versehentlicher Aufenthalt in ei-
nem Magnetfeld, z. B. Diebstahlsperren in Kaufhäusern)

SM sind unter bestimmten Umständen in ihrer Funktion durch (starke) elektroma-
gnetische Felder beeinflussbar. I. d. R. werden SM dabei „nur“ auf eine feste Fre-
quenz umgeschaltet (Verlust der Demandfunktion), was der Patient meist nicht
spürt. Nur extrem selten kommt es zu lebensbedrohlichen Situationen, wenn
mehrere ungünstige Einflüsse zusammentreffen.

EKG: Es treten EKG-Bilder wie bei einem festfrequenten SM, wie bei einem En-
trance-Block oder wie bei einem Oversensing auf.

Maßnahmen
1. Wenn möglich und erforderlich: Störquelle beseitigen bzw. den Patienten aus
dem Magnetfeld bringen (meist erfolgreich).
2. Bei Entrance-Block oder Oversensing s. auch dort beschriebene Maßnahmen.

EKG-Diagnostik

4.8 · Herzschrittmacher / ICD 157 4

Implantierter Defibrillator

(A)ICD steht für (automatischer) implantierter Cardioverter/
Defibrillator
Bestimmte Patienten mit hohem Risiko für plötzlich auftretendes Kammerflimmern
und/oder gefährliche Kammertachykardien (z. B. Zustand nach erfolgreicher Re-
animation bei Kreislaufstillstand durch Kammerflimmern, auch asymptomatische
– meist junge – Patienten mit Brugada-Syndrom oder angeborenem Long-QT-
Syndrom) werden prophylaktisch mit einem implantierten Defibrillator versorgt,
der ständig die Herzfunktion des Patienten überwacht und gefährliche Herzrhyth-
musstörungen mit einem vorprogrammierten Elektroschock beendet
(Defibrillation/Kardioversion). Da der Elektroschock extrem schnell nach Einset-
zen der Herzrhythmusstörung erfolgt, ist er fast immer erfolgreich.
ICD sind meist eine Kombination von SM mit einer antitachykarden SM-Funktion
durch Kardioversion bzw. Defibrillation bei Kammerflimmern und -tachykardie.
Bei Kammertachykardien erfolgt häufig nicht eine einzelne Elektrostimulation,
sondern es wird eine so genannte antitachykarde Überstimulation (Overdrive-
Pacing) angewendet (eine Serie von Stimulationen mit hoher Frequenz, z. B. 200/
min). Auch bei Patienten mit wiederholt auftretenden Tachykardien, die weder
durch Medikamente noch durch antiarrhythmische Operationen oder Katheter-
ablation (= Koagulieren rhythmusinduzierenden Herzmuskelgewebes mittels ei-
nes eingeführten Herzkatheters) behandelbar sind, werden ICD eingesetzt.

EKG-Beispiel

Nach erfolgloser Überstimulation mit 7 Burst-Stimuli wird die Kammertachykardie
durch eine automatische intrakardiale De.brillation mit 20 J beendet. Im anschlie-
ßenden Sinusrhythmus ist eine QT-Verlängerung nachweisbar.

Charakteristik
Im EKG-Bild ist erkennbar, wie der ICD bei einem Kammerflimmern automatisch
einen Elektroschock abgibt und sich danach ein regelmäßiger Herzrhythmus mit
schmalen Kammerkomplexen einstellt (erfolgreiche Defibrillation). Selbst bei Kam-
merflimmern ist der Patient i. d. R. noch nicht bewusstlos, wenn der ICD defibrilliert,
sodass der Patient die Elektroschocks des ICD meist als schmerzhaft empfindet.
Da das Ereignis selten vorhersehbar ist, wird es meistens nicht in einem Monitor-
EKG des RD erfasst (Aufzeichnung mit Ereignisrekorder des Pat. mgl., s. nächste
Seite). Die ständige Überwachung des ICD bei normalem EKG-Rhythmus kann man
im EKG nicht erkennen. Bei Defibrillation/Kardioversion empfindet der Pat. häufig
einen kurzzen Schmerz. Je nach Herzrhythmusstörung können auch Schwindel
oder Synkopen auftreten; bei Fehlfunktion Herz-Kreislaufstillstand möglich.

EKG-Diagnostik 158 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Notfälle bei ICD-Patienten I

Zustand nach korrekter ICD-Auslösung
Wird der Notarzt, z. B. von Augenzeugen, wegen einer (korrekten) ICD-Auslösung
gerufen, ist nicht unbedingt ein Klinik-Transport nötig, sofern
• der Patient bei Eintreffen des RD stabil/asymptomatisch ist,
• evtl. frühere, erfolgreiche Defibrillationen bekannt sind und
• der Patient keinen Transport wünscht (i. d. R. ist der Patient gut aufgeklärt)

In diesem Fall sollte aber in jedem Fall der ICD-Pass eingesehen werden und mög-
lichst mit dem betreuenden kardiologischen Zentrum Rücksprache gehalten wer-
den (i. d. R. Notfallrufnummer im ICD-Pass). Ggf. den Patient nach vereinbarten
Absprachen für den Fall einer erfolgreichen Defibrillation fragen.

Notfall: Gehäufte ICD-Defibrillationen

Kommt es zu gehäuften ICD-Defibrillationen (z. B. > 1/15 min; > 4/1 h; > 7/24 h),
ist ein aktuelles Herzproblem mit entsprechenden Herzrhythmusstörungen des
Patienten in Betracht zu ziehen! Eine andere Erklärung sind inadäquate Elektro-
schocks durch Fehlfunktionen (z.B. Fehlinterpretation von Störimpulsen, s. näch-
ste Seite).

Maßnahmen:
• Monitoring, Basismaßnahmen
• Untersuchung (Ursachensuche), Standardtherapie
• ggf. Analgosedierung (Angst und Schmerz durch weitere Defibrillationen)
• ggf. Therapie der Ursache (Infarkt, Herzinsuffizienz, ventrikuläre Herzrhythmus-

störungen, Volumenmangel usw.)
• Klinikeinweisung

Bei anhaltenden antitachykarden Stimulationen
Evtl. Anlegen externer Defibrillationselektroden und Stilllegen des ICD durch
Magnetauflage (um einer vorzeitigen Batterieerschöpfung vorzubeugen). Bei den
meisten ICD führt die Auflage eines speziellen, medizinischen SM-Magneten
(Stab- oder Ringmagnet, Feldstärke um 5–10 mT) auf die Haut über dem ICD-
Aggregat zu einer Abschaltung der Antitachykardie- und Defibrillationsfunktion
und das Entfernen des Magneten bewirkt die Reaktivierung (Fixieren des Magne-
ten auf der Haut, wenn längere Stilllegung erwünscht). Bei wenigen älteren ICD
führt die Magnetauflage über etwa 30 s zu einer dauerhaften Deaktivierung (puls-
synchroner Piepton bei Auf lage, Dauerpiepton bei erfolgter Deaktivierung), sodass
der Magnet anschließend entfernt werden kann; die Reaktivierung muss entweder
durch erneute Magnetauflage oder mittels Programmiergerät in der Klinik erfol-
gen.

4.8 · Herzschrittmacher / ICD 159 4

Notfälle bei ICD-Patienten II

Ereignisrekorder

Viele ICD-Patienten (und übrigens auch bestimmte andere Patienten, z. B. zur
Synkopenabklärung, wenn ein Langzeit-EKG erfolglos war) erhalten einen Ereig-
nisrekorder (Loop Recorder, LR) der ein Oberflächen-EKG ableiten kann oder be-
kommen einen Ereignisrekorder implantiert (Implanted Loop Recorder, ILR) un-
ter die Haut gesetzt, der mit einem externen Aktivierungsgerät gestartet werden
muss. Der Patient aktiviert den LR/ILR mit Knopfdruck, wenn er Beschwerden hat,
sodass in der Klinik eine genaue Analyse der Arrhythmien zu diesem Zeitpunkt
vorgenommen werden kann. Der LR speichert bei Aktivierung z.T. auch das EKG
von mehr als 30 min vor Aktivierung ab. Wenn bei Eintreffen des RD noch keine
Aktivierung vorgenommen wurde (z. B. Vergessen oder Bewusstlosigkeit des Pat.),
sollte das RD-Personal dies nachholen.

Notfall: Geräteversagen/ICD-Fehlfunktion

a) Der ICD gibt unangemessen Elektroschocks ab, z. B. bei physiologischer supra-
ventrikulärer Tachykardie infolge von Fieber, Volumenmangel oder durch externe
Störimpulse, die dem ICD Kammerflimmern/Tachykardien vortäuschen
b) Der ICD reagiert nicht oder nicht erfolgreich auf eine bedrohliche Herzrhyth-
musstörung (z. B. wegen Kammertachykardie unterhalb der programmierten
Wahrnehmungsschwelle, Sondendislokation oder Batterieerschöpfung)

Maßnahmen:
• Basischeck, Basismaßnahmen (es besteht keine Gefahr für Helfer durch Elektro-
schocks des ICD, auch wenn evtl. ein leichtes Hautkribbeln bei ICD-Schockaus-

lösung empfunden wird)
• Untersuchung (Ursachensuche), Standardtherapie
• Therapie von Herzrhythmusstörungen (insbesondere wiederkehrende Kammer-

tachykardien) bei symptomatischen Patienten; ggf. Therapie der Ursache (z. B.
Ausgleich eines Volumenmangels)
• ggf. medikamentöse Frequenzsenkung unter die Wahrnehmungsschwelle des
ICD (z. B. Betablocker, Amiodaron)
• ggf. bei erfolglosen oder unangemessenen Elektroschocks den ICD durch Auf-
lage eines SM-Magneten deaktivieren (s. vorangehende Seite) und bei den
üblichen Indikationen (z. B. Kammerflimmern) eine externe Defibrillation bzw.
Kardioversion mit den Standardenergiedosen durchführen.

160 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

12-Kanal-EKG I

Zur Differenzialdiagnose der Herzrhythmusstörungen (z. B. Herz-Kreislaufstill-
stand, Bradykardien, Tachykardien) reichen in der Regel die Standardableitungen
I, II und III nach Einthoven (evtl. nur Monitor) aus. Selbst der Lagetyp kann grob
abgeschätzt werden.
Um im EKG Zeichen für Herzinfarkt, Myokardhypertrophien, spezielle Leitungs-
störungen (z. B. Schenkelblöcke) und Wirkung von Medikamenten bzw. Giften
wahrnehmen zu können, benötigt man
1. zusätzliche Ableitungen (aVR - aVF, V1 - V6, ggf. auch V7 - V9, DAI etc.)
2. gute Auflösung bei hoher Vorschubgeschwindigkeit (Beachte: EKG-Filter)
3. Störungsfreiheit (Stromquellen, korrekte Ableitungstechnik etc.)
Da die hier angesprochenen Zeichen primär als Formveränderungen merkbar
werden, ist die Kenntnis der normalen EKG-Kurvenformen notwendig; als Bei-
spiel einzelne EKG-Zyklen in den wichtigsten Ableitungen eines Patienten mit
normalem Lagetyp:

I aVR V1 V4 V7

II aVL V2 V5 V8

III aVF V3 V6 V9

EKG-Diagnostik Da die Form des EKG-Zyklus z. T. von der Musterableitung II abweicht, sind bei der
Benennung der QRS-Komplexe folgende Regeln zu beachten:
1. Jeder nach oben gerichtete Ausschlag heißt R.
2. Treten mehrere positive Ausschläge auf, so heißt der erste R und der zweite R.
3. Der erste negative Ausschlag nach einer P-Welle heißt Q.
4. Jeder negative Ausschlag nach einem R heißt S.
5. Kleine Ausschläge (< 0,5 mV) werden mit kleinem, große mit großem Buchsta-

ben bezeichnet.
6. Ein nur negativer Ausschlag wird als QS-Komplex bezeichnet.

Beispiel für die Anwendung der Regeln in verschiedenen Zyklen:

1R 2R 3 r R’ 4r 5

P TP T PT PT P T

qs qs SQ QS

4.9 · 12-Kanal-EKG 4161

12-Kanal-EKG II

Anhand der folgenden Beispiele werden Möglichkeiten der EKG-Diagnostik über
die Rhythmusanalyse hinaus aufgezeigt. Zur korrekten Interpretation (Beachte:
Differenzialdiagnosen! - Fehldeutungen möglich) sind umfangreiche und spezi-
elle Kenntnisse erforderlich.

1. Infarktzeichen s. folgende Seiten
• Die Infarkt-Zeichen sind in den Ableitungen nach Einthoven (I, II, III) und bei

schlechter Auflösung der EKG-Monitore oft nicht nachweisbar.
• Schenkelblöcke und Herzschrittmacher können eine EKG-Infarktdiagnostik

erschweren bis unmöglich machen (vgl. S. 150).

2. Blockbilder
Durch eine Leitungsverzögerung in einem oder beiden Tawara-Schenkeln (z. B.
durch Hypoxie) werden die Kammern nicht synchron erregt, sodass es zu einer
Verbreiterung des QRS-Komplexes kommt (> 0,12s). Ferner können zwei R-Zak-
ken auftreten, bei Rechtsschenkel-Block (RSB) typischerweise in V1 und V2
(rechtspräkordial), bei Linksschenkel-Block (LSB) typischerweise in V5 und V6
(linkspräkordial). Der linke Schenkel, der sich in einen anterioren und einen
posterioren Faszikel teilt, kann auch nur teilweise in seiner Funktion gestört sein
(sogenannter Hemiblock). Bildbeispiele:

RSB V1 RSB V2 LSB V5 LSB V6

3. Hypertrophie-Zeichen/Belastungszeichen
Hypertrophie äußert sich in einer Verstärkung des entsprechenden EKG-Ausschla-
ges, z. T. mit Formveränderungen (vor allem V1). Vereinfachte Übersicht ver-
schiedener Hypertrophie-Zeichen:
Vorhof, rechts: Biphasische P-Welle in V1 und / oder V2

mit initialer Überhöhung (P dextroatriale):
Außerdem: P in II, III und aVF > 0,25 mV
Vorhof, links: Biphasische P-Welle in V1 und / oder V2
mit terminaler Überhohung (P sinistroatriale):
P in I, II und aVF breit und doppelgipflig
Kammer, rechts: Große R-Zacke in V1.
Kammer, links: tiefe S-Zacke in V1, hohe R-Zacke in V5
Bei kombinierten Hypertrophien sind die entsprechenden Zeichen ebenfalls kom-
biniert.

162 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Myokardinfarkt-EKG I

Das 12-Kanal-EKG stellt beim Myokardinfarkt (s. S. 214 ff.) ein wichtiges diagno-
stisches Mittel schon während der rettungsdienstlichen Versorgung dar; es er-
möglicht einen für den Patienten u. U. lebensrettenden Zeitgewinn durch
• zielgerichtetes Vorgehen von RA und NA,
• Auswahl einer geeigneten Klinik (im Idealfall: Herzkatheterlabor),
• präzise Vorinformation der Klinik: Transportzeit für Vorbereitungen nutzen;

Verkürzung des Zeitintervalles bis zur PTCA bzw. Lyse (➯ anzustrebende door-
to-needle-time < 20 min!),
• Indikationsstellung zur präklinschen Lyse, s. S. 214 ff.!
Die drei wichtigsten Zeichen für hypoxische Prozesse am Herzmuskel sind:
• Veränderung der T-Welle (negatives/überhöhtes „Erstickungs-T“) ➯ Ischämie
• Veränderung der ST-Strecke (Hebung) ➯ Läsion (ggf. frischer Infarkt)
• Veränderung der Q-Zacke (Verbreiterung und Vertiefung) ➯ Infarkt
Die Zeichen bilden sich in den Ableitungen aus, in der die positive Elektro-
de der betroffenen Herzregion am nächsten liegt (bei umgekehrter Polung:
Spiegelbild, z. B. statt ST-Hebung ➯ ST-Senkung); dadurch wird der Infarkt
unter Kenntnis der Herz-Anatomie bereits im EKG grob lokalisierbar:

Herzwand Bereich Regel-Versorgung EKG-Ableitung

Vorderwand Spitze; A. coronaria sinistra, (V3),V4,V5,(V6)

anteroapikal R. interventricularis ant. I, aVL

Vorderwand Scheidewand; A. coronaria sinistra, (V1), V2, V3
anteroseptal / R. interventricularis ant.
supraapikal

EKG-Diagnostik Seitenwand lateral A. coronaria sinistra, (V4), V5, V6,
R. circumflexus I, (II), (III), aVL

Hinterwand inferolateral A. coronaria dextra / V4, V5, (V6),
A. coronaria sinistra, (II), (III), (aVF)
R. circumflexus

Hinterwand posteroinferior/ A. coronaria dextra, II, III, aVF,

diaphragmal R. interventricularis post. (V3), (V4)

Hinterwand posterior/ A. coronaria sinistra, (III), aVF
Spiegel: V1 - V3
posterobasal R. circumflexus

Hinterwand posterolateral A. coronaria sinistra, V4, V5, V6
R. circumflexus II, III, aVF

Beim Vorderwand-Infarkt finden sich auch gelegentlich ST-Senkungen in II, III
und aVF. ST-Senkungen können auch Hinweis auf Myokardischämien sein.

4.10 · EKG bei Myokardinfarkt 163 4
Myokardinfarkt-EKG II

Frühstadium mit Erstickungs-T Stadium I (akutes Stadium) mit
Charakteristik: im Frühstadium fin- ST-Hebung
det man ein großes, positives, spit- Charakteristik: Hebung der
zes, deutlich überhöhtes T, bezeich- ST-Strecke bei akutem (frischem)
net als Erstickungs-T (Zeichen für den Herzinfarkt (> 0,1 mV in Extremitäten-
Sauerstoffmangel am Herzmuskel). bzw. > 0,2 mV in Brustwandab-
leitungen; jeweils in mind. zwei be-
nachbarten Ableitungen)

Stadium II (Folgestadium) mit Stadium III (Endstadium) mit
ST-Hebung, großem Q und spitz- isoelektrischer ST-Strecke und
negativem T großem Q (T anfangs negativ)
Charakteristik: weiterhin Hebung der Charakteristik: isoelektrische
ST-Strecke (evtl. Rückbildung), tiefe ST-Strecke (keine Hebung mehr),
Q-Zacke (breiter als 0,04 s /höher als R-Zacke wieder normal groß, patho-
1/4 der R-Zacke, nicht in aVR !), spitz- logische Q-Zacke (großes Q), (gele-
negatives T, normalerweise 2 - 3 Wo- gentlich noch negatives T, meist aber
chen nach dem Herzinfarkt (Achtung: wieder normal positiv), ab 3.- 5. Mo-
bei ST-Hebung über einen Zeitraum nat nach dem Ereignis, Zeichen für
von mehr als 6 Wochen an ein Aneu- Infarktnarbe (Narbenstadium)
rysma denken !)

Cave: Bei den meisten der herkömmlichen EKG-Geräte zur Notfallableitung
mit Dreipolkabel (nicht 12-Kanal-EKG) werden die EKG-Kurven durch spezi-
elle Filter optimiert; diese vorgeschalteten EKG-Filter können unter ande-
rem die ST-Strecken verändern. Eine Infarktdiagnostik ist mit diesen Gerä-
ten daher nicht möglich (bzw. nicht verwertbar), es sei denn, dass über
Veränderung dieser Filter ein sogenannter „diagnostischer Modus“ akti-
viert werden kann. Bedienungsanleitung beachten!

164 Kapitel 4 · EKG-Diagnostik

Lagetypen des Herzens / elektrische Herzachse

Cabrera-Kreis
-90°

-150° ÜLT -30° aVL
aVR
LT
ÜRT ±0° I

+120° LT
III
RT ST IT +30° -aVR
+60° II
+90°
aVF

Bedeutung der Lagetypen des Herzens - elektrische Herzachse

Lagetyp Einthoven-Ableitung Mögliche Ursachen

Überdrehter Linkstyp I > II und größter Ausschlag KHK, Herzklappen-
(ÜLT)
in II negativ veränderungen mit

Linksherzhyper-

trophie

Linkstyp I > II (wenn größter Linksherzbelastung
(LT) Ausschlag in II negativ (z. B. Hypertonus),
⇒ überdrehter Linkstyp) Adipositas, Alter > 45
Jahre

EKG-Diagnostik Indifferenztyp (IT) II > I > III normal

Steiltyp II > III > I normal bei Jugendl.,
(ST) (bei Älteren, bei
denen mit Linkstyp
gerechnet wird, evtl.
Hinweis auf Rechts-
herzbelastung)

Rechtstyp III > II (wenn in I keine normal bei Kindern,
(RT) R-Zacke ⇒ überdrehter Erw.: Cor pulmonale,
Rechtstyp) Rechtsherzbelastung

Überdrehter Rechtstyp III > II und in I immer pathologisch;
Rechtsherzhyper-
(ÜRT) keine R-Zacke trophie bei Herzfehler,
Adipositas,
Cor pulmonale,
Lungenembolie

Sagittaltyp SI-SII-SIII-Typ Rechtsherzbe-
SI-QIII-Typ lastung; Jugendliche

Kapitelübersicht 5165
Herz-Kreislaufstillstand

5.1 Algorithmus Basic Life Support (BLS) ....................... 166

5.2 Algorithmus Advanced Life Support (ALS) ................ 167

5.3 Erläuterungen zum BLS-Algorithmus ........................ 168

5.4 Erläuterungen zum ALS-Algorithmus ........................ 170

5.5 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) ........................ 174
Kardiopulmonale Reanimation allgemein ... 174
Defibrillation ................................................... 177
Medikamente ................................................. 180
Postreanimationsphase ................................ 181
Alternative Reanimationsverfahren ............. 183

5.6 Ethische Aspekte ......................................................... 184

Zur EKG-Differenzialdiagnose des Herz-Kreislaufstillstandes s. S. 124 ff.
Zur Reanimation bei Kindern s. S. 329 ff.

Aussagen zur CPR in diesem Werk stützen sich überwiegend auf folgende Quellen:

ILCOR: International Consensus on CPR and ECC Science
ERC: with treatment recommendations;
Resuscitation 67 (2005) 1.e1 – 1.e30 und 157 – 341

European Resuscitation Council
Guidelines for Resuscitation 2005;
Resuscitation 67 (2005) (Suppl. 1) S1 – S189

Die aktuellen Empfehlungen zur Wiederbelebung sind abrufbar unter
www.erc.edu

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Herz-Kreislaufstillstand 168 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Erläuterungen zum Algorithmus Basismaßnahmen (BLS) I

Ansprechbarkeit
1. Laut fragen: „Geht es Ihnen gut?“/„Sind Sie in Ordnung?“
2. Den Betroffenen vorsichtig an den Schultern rütteln.

Atemwege freimachen
Kopf überstrecken, ggf. Esmarch-Handgriff

Atemkontrolle - „normale Atmung“? (max. 10 s)
• Sehen (Thoraxbewegungen?)
• Hören (Atemgeräusche am Mund des Betroffenen?)
• Fühlen (Luftbewegung an der Wange des Helfers?)

Laien beginnen nach Feststellung der Bewusstlosigkeit und fehlender norma-
ler Atmung mit der Reanimation. Professionelle Helfer dürfen parallel zur Atem-
kontrolle ergänzend eine Karotispulskontrolle durchführen. Dies darf den Be-
ginn der Reanimation aber nicht verzögern! Das maximale Zeitfenster für die
Kontrolle von Atmung und Kreislauf zusammen darf 10 s nicht überschreiten!

Notrufzeitpunkt
Die meisten Erwachsenen, die bewusstlos sind und keine „normale Atmung“
aufweisen, haben ein Herzproblem mit Kammerflimmern. Die Prognose für
diese Patienten hängt von der sofortigen Rettungsdienst-Alarmierung ab:
sofortiger Notruf = „call first“.
Bei Kindern (eher Atemproblem) sollen zuerst 5 Beatmungen und dann ggf.
für 1 min weitere lebensrettende Maßnahmen (Thoraxkompressionen und
Beatmung s. u.) durchgeführt werden, bevor der Notruf abgesetzt wird = „call
fast“. Das Gleiche gilt beim Erwachsenen für „Ertrinken“ (5 Beatmungen,
anschließend 1 min. Wiederbelebung, dann Notruf). Allerdings soll dies nur
Helfern beigebracht werden, die speziell für die Rettung Ertrinkender ausge-
bildet werden. Trauma und Vergiftungen sind im Gegensatz zu
Ertrinkungsunfällen für den Laien schwer zu erkennen und sollen deshalb
nach dem Standardvorgehen („call first“) behandelt werden.

CPR (kardiopulmonale Reanimation)
Direkt nach Feststellen „keine normalen Atmung“/ kein Karotispuls (bzw. nach
Rückkehr vom Notruf) werden 30 Thoraxkompressionen durchgeführt (ohne
vorherige Beatmung, da initial noch genug Sauerstoff in der Lunge ist).

Technik der Thoraxkompressionen
• An der Seite des Betroffenen knien
• Druckpunkt: „Setze einen Handballen auf den Mittelpunkt des Brustkorbes
des Patienten“ (neue, einfachere und schneller umsetzbare Regelung für
Laien und Fachpersonal). Ziel: Druckpunkt auf unterer Sternumhälfte.
• Den Ballen der zweiten Hand auf den Rücken der ersten Hand setzen.
• Die Finger beider Hände sind zu verschränken. Es soll beachtet werden, dass
Druck weder auf die Rippen, noch auf den Oberbauch oder das untere
Brustbeinende ausgeübt wird.

5.3 · Erläuterungen BLS 5169

Erläuterungen zum Algorithmus Basismaßnahmen (BLS) II

• Schultern und durchgedrückte Arme des Helfers sollten eine gerade, senk-
rechte Linie zum Boden bzw. zum Brustkorb des Patienten bilden.

• Sternum bei jeder Thoraxkompression unbedingt 4–5 cm tief eindrücken.
• Nach jeder Kompression ist der Druck vom Brustkorb zu nehmen (komplette

Entlastung), ohne jedoch den Kontakt zwischen Hand und Brustwand zu lösen.
• Frequenz der Thoraxkompressionen: 100/min (bei Unterbrechungen, z. B.

durch Beatmung, werden weniger als 100 Kompressionen pro Minute
erreicht, auch wenn die Kompressionsfrequenz korrekt bei 100/min liegt.
• Kompression und Entlastung sollen gleich lang dauern.
• Unterbrechungen der Thoraxkompressionen auf ein Minimum reduzieren!
• Es soll keine Karotis- oder Femoralispulskontrolle zur Effektivitätsbeurteilung
durchgeführt werden.

Beatmungen
Nach 30 Thoraxkompressionen werden 2 Beatmungen durchgeführt:
• Mund-zu-Mund-Beatmung (Laie, bzw. wenn keine Hilfsmittel verfügbar sind);
Mund-zu-Nase-Beatmung kann in speziellen Fällen als Alternative erwogen
werden (schwere Mundverletzung, Mundöffnung erschwert, Beatmung im
Wasser, Schwierigkeit ausreichender Abdichtung bei der Mund-zu-Mund-
Beatmung); ggf. Mund-zu-Tracheostoma-Beatmung.
Wegen Gefahr der Hyperventilation für den Helfer wird kein tiefes Einatmen
(früher vor jeder Beatmung) mehr empfohlen!
• Die Beatmung mit Maske und Beatmungsbeutel setzt Erfahrung und
Training voraus und wird für Ersthelfer nur in einem besonderen Umfeld
(z.B. Zyanid- oder Organophosphat-Vergiftung) empfohlen. Für das
medizinische Fachpersonal ist die Beatmung mit Maske und Beutel
nach wie vor Mittel der Wahl.
• Atemhub über 1 Sekunde abgeben; Ziel: Heben des Brustkorbs
• Wenn die erste Beatmung nicht gelingt, also kein normales Heben des
Brustkorbes bewirkt, ist vor der zweiten Beatmung eine Mundraumkontrolle
durchzuführen und jegliche Verlegung zu beseitigen. Wenn die zweite
Beatmung ebenfalls nicht gelingt wird kein dritter Beatmungsversuch
unternommen! Ohne Zeitverzug werden nach der zweiten Beatmung (bzw.
nach dem zweiten Beatmungsversuch) in jedem Fall erneut 30 Thorax-
kompressionen durchgeführt. Bei Atemwegsverlegung s. S. 204 f.

Verhältnis Thoraxkompressionen zu Beatmung
Thoraxkompressionen und Beatmungen erfolgen, bis der Atemweg gesichert
ist, immer im Verhältnis 30 : 2. Unter den verschiedenen an tierexperimentellen
und mathematischen Modellen getesteten Verhältnissen scheint 30 : 2 den
besten Kompromiss zwischen Blutfluss und Sauerstoffangebot darzustellen.
Wenn mehr als ein Helfer zur Verfügung stehen, sollte der reanimierende Hel
fer alle 1 bis 2 min – möglichst ohne Verzögerung oder Unterbrechung der
Maßnahmen ausgewechselt werden, um Erschöpfung und damit Effektivitäts-
verlust der Thoraxkompressionen vorzubeugen. Helferwechsel alle 2 min!

Herz-Kreislaufstillstand 170 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Erläuterungen zum ALS-Algorithmus II

Auch im ALS-Algorithmus haben einfache lebensrettende Maßnahmen und
Defibrillation Priorität. Es sind frühestmöglich und möglichst ununterbrochen
Thoraxkompressionen und Beatmungen (Verhältnis 30 : 2) durchzuführen, bis
ein Defibrillator angelegt ist. Dann und nach jeweils 2 Minuten CPR wird die CPR
so kurz wie möglich für die Herzrhythmusanalyse und ggf. einen Elektroschock
unterbrochen. Nur für die Basismaßnahmen (Thoraxkompresionen/Beatmung)
und Defibrillation ist eine Steigerung von Überlebensraten und Lebensqualität
unzweifelhaft nachgewiesen. Maßnahmen zur Atemwegssicherung und phar-
makologische Strategien konnten derartige Effekte bislang nicht aufzeigen.
Daher müssen sich alle anderen Maßnahmen diesem Rahmenschema aus effek-
tiver kontinuierlicher CPR, frühestmöglicher Rhythmusanalyse und Defibrillation
bei VF/pulsloser VT unterordnen.

Präkordialer Faustschlag
Nicht mehr explizit zu Beginn des Algorithmus; kann aber im Fall eines beobach-
teten Kollapses und gesichertem Herz-Kreislaufstillstand erwogen werden, wenn
kein Defibrillator unmittelbar verfügbar ist (einmal kräftig mit der Handkante
einer Faust aus etwa 20 cm Höhe auf die untere Sternumhälfte schlagen); ein
präkordialer Faustschlag kann eine VT in einen Sinusrhythmus konvertieren;
bei VF ist er dagegen selten erfolgreich (berichtete erfolgreiche Anwendungen
wurden alle innerhalb von 10 s nach Beginn VF erzielt). In Einzelfällen kann ein
präkordialer Faustschlag einen Herz-Kreislaufstillstand auslösen.

Zeitpunkt Rhythmusanalyse/Defibrillation
• Bessere Überlebensraten bei CPR vor Defibrillation (Wik et al, JAMA 2003)
• Auf jeden Fall CPR 30 : 2 bis Defibrillator angeschlossen und bereit
• Bei Eintreffzeiten > 5 min: CPR 30 : 2 für zwei Minuten (5 Zyklen) vor der ersten

Rhythmusanalyse/Defibrillation
• Im Rettungsdienst: keine Einzelfallentscheidung von Fall zu Fall, sondern

grundsätzliche Festlegung des Vorgehens (< 5 min Eintreffzeit: CPR bis Defi-
brillator fertig / > 5 min: volle 2 min CPR) einheitlich für den gesamten Einsatz-
bereich durch ärztlichen Leiter (basierend auf den typischen Eintreffzeiten).

Rhythmusanalyse/Defibrillation (s.a.S. 177!)
Im Falle von Kammerflimmern (VF) oder pulsloser Kammertachykardie (VT)
sofortige Defibrillation: 1 Schock (keine Serie von 3 Schocks mehr)

Energie erster Schock: 150 – 200 J biphasisch oder 360 J monophasisch
Energie weitere Schocks: 150 – 360 J biphasisch oder 360 J monophasisch

Nach dem Schock sofort mit Thoraxkompressionen fortfahren (keine Kon-
trolle von EKG, Puls, Atmung o. ä.): 2 min CPR (30 : 2). Dann erneute Rhythmus-
analyse (eine direkte Wiederkehr des Kreislaufes ist unwahrscheinlich und ent-
sprechende Kontrollen würden nur die Zeit ohne O2-Versorgung verlängern.)

5.4 · Erläuterungen ALS 5171

Erläuterungen zum ALS-Algorithmus II

Ergibt die Rhythmusanalyse eine pulslose elektrische Aktivität (PEA) oder
Asystolie, dann ist keine Defibrillation indiziert. Sofort mit CPR (30 : 2) fort-
fahren. Nach 2 min erneute Rhythmusanalyse.

Cross-Check/feines Kammerflimmern
Um Unterbrechungen der Basisreanimation zu vermeiden, ist die früher ver-
langte Verifikation der Asystolie (Suche von feinem Kammerflimmern) durch
Cross-Check und Amplitudenkontrolle abgeschafft worden: feines, schwer zu
erkennendes Kammerflimmern hat sich als kaum defibrillierbar erwiesen. Fort-
gesetzte CPR kann Amplitude und Frequenz des Kammerflimmerns verbessern
und die Defibrillationswahrscheinlichkeit erhöhen. Feines Kammerflimmern zu
„übersehen“, schadet also nicht.

Zweiter Durchlauf/Weitere Durchläufe des ALS-Algorithmus
Nach jeweils 2 Minuten CPR (30 : 2) kurze Prüfung des EKG-Rhythmus:

a) VF/VT: Defibrillationsversuch mit einem Schock:
b) Asystolie oder keine Rhythmusänderung im Vergleich zur letzten

Rhythmusanalyse: sofort CPR (keine Pulskontrolle)
c) Organisierter Rhythmus: Puls? (kein Puls/Unsicherheit: sofort CPR!)

Treten während der CPR Lebenszeichen auf (normale Atmung, Husten, Bewe-
gungen): Rhythmusanalyse und Pulskontrolle. Ansonsten soll die CPR nicht
unterbrochen werden.

Vorgehen für initial bestehende und anhaltende VF/VT
1. Rhythmus-Analyse (ergibt VF/VT)
1. Defibrillationsversuch (150 – 200 J biph. oder 360 J monoph.)
2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen venösen Zugang legen
2. Rhythmus-Analyse (weiter VF/VT)
2. Defibrillationsversuch (150 – 360 J biph. oder 360 J monoph.)
2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen Adrenalin vorbereiten
3. Rhythmus-Analyse
wenn VF/VT: Adrenalingabe (direkt vor oder nach dem 3. Schock)
3. Defibrillationsversuch (150 – 360 J biph. oder 360 J monoph.)
2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen Amiodaron vorbereiten
4. Rhythmus-Analyse
wenn VF/VT: 300 mg Amiodaron i. v. (direkt vor oder nach 4. Schock)
4. Defibrillationsversuch (150 – 360 J biph. oder 360 J monoph.)

Kommentar siehe nächste Seite!

172 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Erläuterungen zum ALS-Algorithmus III

Kommentar VF/VT
Das ERC propagiert eine Analyse-Medikament-Schock-CPR-Analyse-Sequenz,
wobei die Unterbrechung der CPR für Analyse, Medikamentengabe und Schock
so kurz wie möglich zu halten ist. Sinn dieser Reihenfolge ist die Kreislauf-
verteilung (und Wirkung) des Medikamentes in der CPR-Phase nach dem Schock.
Insofern wäre auch eine Medikamentengabe direkt nach Defibrillation denkbar,
da eine Medikamentengabe zwischen Analyse und Schock zu Problemen führen
kann: Konflikt zwischen Schockabgabe und Medikamentenapplikation -
Sicherheitsprobleme oder Verlängerung der CPR-Pause.

Vorgehen initial bestehende und anhaltende Asystolie/PEA
1. Rhythmus-Analyse (ergibt Asystolie/PEA)
2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen:
• Venösen Zugang sichern und Adrenalingabe (1 mg i. v.)
• Wenn auf dem Monitor (unter CPR!) weiter Aystolie: Ableitung prüfen!
• Atropingabe bei Asystolie oder PEA < 60/min: (3 mg einmalig i. v.)
• Atemwegssicherung
2. Rhythmus-Analyse (weiter Asystolie/PEA)
2 Minuten CPR (30 : 2)
wenn noch nicht geschehen: während dessen Atemwegssicherung
3. Rhythmus-Analyse (weiter Asystolie/PEA)
2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen 2. Adrenalingabe (1 mg i. v.)
4. Rhythmus-Analyse (weiter Asystolie/PEA)
2 Minuten CPR (30 : 2)

Sonderfall: Kammerasystolie mit P-Wellen
Wenn bei der Rhythmuskontrolle eine Asystolie festgestellt wird, in der P-
Wellen vorkommen, ist der Einsatz eines externen Herzschrittmachers erfolg-
versprechend und indiziert; nicht hingegen bei reiner Asystolie.

Herz-Kreislaufstillstand Potenziell reversible Ursachen

Für einige Ursachen des Herz-Kreislaufstillstands gibt es kausale Therapie-
ansätze, die in bestimmten Fällen evtl. die einzige Chance auf Rettung des
Patienten darstellen. Daher sind diese Ursachen während jeder Reanimation
frühestmöglich zu bedenken und systematisch auszuschließen. Dabei geht es
vorrangig um eine gedankliche Abwägung von Wahrscheinlichkeiten und Risi-
kofaktoren (Situation, Umgebung, Vorerkrankungen, Anamnese, Unter-
suchungsbefunde):

• Hypoxie • Thorax - Spannungspneumothorax
• Hypovolämie • Tamponade - Herzbeutel
• Hypo-/Hyperkaliämie • Toxine (Vergiftungen)
• Hypothermie • Thromboembolie (koronar oder pulmonal)

5.4 · Erläuterungen ALS 5173

Erläuterungen zum ALS-Algorithmus IV

Reihenfolge und Prioritäten
Die verschiedenen Reanimationsmaßnahmen unterscheiden sich in ihrem
Einfluss auf die Prognose – sie sind daher folgendermaßen anzuordnen:

Maßnahmen mit hoher (übergeordneter) Priorität:
1 a) Effektive ununterbrochene Thoraxkompressionen,

(mit Beatmung im Verhältnis 30 : 2; Beatmung mit Sauerstoffzufuhr)
1 b) Effektive Defibrillation, wenn indiziert

Maßnahmen mit niedriger (nachrangiger) Priorität:
2. Erkennen und Behandlung reversibler Ursachen (s. vorherige Seite)
3. Venenzugang und Adrenalingabe (möglichst i. v.)
4. Atemwegssicherung (wichtigstes Ziel der Atemwegssicherung:

ununterbrochene Thoraxkompressionen ohne Pause zur Beatmung; die
Durchführung der Atemwegssicherung selbst darf die Thorax-
kompressionen aber nur für einzelne Sekunden unterbrechen)
5. Weitere Medikamente (erwäge: Amiodaron, Atropin, Magnesium)

Medikamentengabe - Applikationswege
• Venöser Zugang: Ein bereits liegender zentralvenöser Zugang ist einem
periphervenösen Zugang zur Medikamentengabe unter Reanimation vorzu-
ziehen (höhere Plasmaspiegelmaxima und schnelleres Erreichen der Ziel-
organe). Die Anlage eines zentralvenösen Katheters unter Reanimations-
bedingungen ist aber nicht empfohlen (Komplikationen, erforderliche CPR-
Pause)! Die periphere Venenpunktion ist schneller, einfacher und sicherer.
Nach Medikamentengabe über einen periphervenösen Zugang soll jeweils
mit mindestens 20 ml Infusion nachgespült und die Extremität für
10 – 20 s hochgehalten werden (schnellere Einschwemmung).

• Intraossärer Zugang: Wenn sich die Anlage eines periphervenösen Zu-
ganges schwierig oder unmöglich gestaltet, ist – auch bei Erwachsenen –
ein intraossärer Zugang als Alternative zu erwägen. Dabei sind geeignete
Intraossärnadeln zu verwenden, keinesfalls Venenverweilkanülen.

• Tracheale Applikation: Die tracheale Medikamentenapplikation
(Adrenalin) ist nach den Leitlinien 2005 der intravenösen und intraossären
Verabreichung nachgeordnet und ist nur indiziert, wenn letztere nicht
möglich sind. Hintergrund sind nicht vorhersehbare Plasmaspiegel nach
endotrachealer Gabe. Inwieweit der Notarzt bei bereits liegendem Tubus
(endotracheale Applikationsoption, aber noch kein i.v.-Zugang) diesen zur
Medikamentengabe nutzt oder erst eine verzögerte i.v.-Gabe durchführt,
liegt in seinem Ermessen. Es soll die 3-fache Dosis der i. v.-Medikation appli-
ziert werden. Für Adrenalin ist die Gabe von 3 mg ad 10 ml empfohlen. Bei der
Verdünnung ist Aqua einer NaCl-Lösung vorzuziehen (bessere Resorption).

Herz-Kreislaufstillstand 174 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Herz-Kreislaufstillstand / Kardiopulmonale Reanimation I

Wiederbelebbarkeit verschiedener Organe
(Widerstandsfähigkeit gegen Sauerstoffmangel = Hypoxietoleranz):
• I. d. R. dauerhafte Schädigung des Gehirns bei einem HKS über mehr als 5 - 8

min. Diese Zeitspanne kann durch Auskühlung, Barbituratvergiftung u. a. m.
verlängert sein (verminderter Sauerstoffverbrauch im Gewebe). Bei Überschrei-
ten dieser Zeitspanne wird das Überleben bzw. die Lebensqualität limitiert.
• Das Herzmuskelgewebe erholt sich meist nach einer fehlenden Sauerstoffver-
sorgung über 20 - 25 min nicht mehr.

Verlauf des typischen Herz-Kreislaufstillstandes
1. Kammerflimmern - Aussetzen der Herztätigkeit ➯ sofortige Pulslosigkeit
2. Nach 10 - 20 Sekunden: Bewusstlosigkeit, evtl. Muskeltonusverlust
3. Nach 30 - 60 Sekunden: Atemstillstand (wenn nicht die Ursache) bzw.

terminale Schnappatmung. Generalisierte Krämpfe möglich
4. Nach 60 - 90 Sekunden: Weite, lichtstarre, evtl. entrundete Pupillen

Hinweis: Die Erweiterung bzw. Lichtstarre als Folge eines HKS ist behutsam zu
deuten. Sie tritt oft erst Minuten danach auf, kann aber auch generell fehlen
oder aus anderen Gründen (Medikamente wie Adrenalin, Augenerkrankungen
u. a.) vorhanden sein. Bei effektiver Herstellung eines Minimalkreislaufes durch
CPR können sich Pupillenweite und Lichtreaktion wieder verbessern, dies ist
jedoch nicht obligat. Auch eine langsame Rückentwicklung im KH möglich.
Bis zum Eintreten des Hirntodes (Absterben der Gehirnzellen durch Sauerstoff-
mangel) oder sogenannter sicherer Todeszeichen bezeichnet man diesen Zustand
als klinischen Tod. Dieser ist u. U. reversibel.

Kontraindikationen für die CPR
• Erforderlicher Eigenschutz ist nicht gewährleistet
• Lebenszeichen/Karotispuls ist bei ausreichender Frequenz gut tastbar
• Verletzungen des Patienten, die mit dem Leben nicht mehr vereinbar sind (z. B.

Dekapitation)
• Sichere Todeszeichen (Totenstarre, Verwesung usw.)

Unterlassung/Abbruch von Reanimationsmaßnahmen
Die Unterlassung bzw. der Abbruch von Reanimationsmaßnahmen kann durch
den Arzt - und nur durch diesen - weiterhin erwogen werden
• nach ausreichend langen, ordnungsgemäß durchgeführten aber erfolglosen

Reanimationsbemühungen (30 min; kein Kammerflimmern, bzw. keine VT zu
diesem Zeitpunkt)
• bei bekanntem unheilbarem Grundleiden im Endstadium
• bei Hirntod (Feststellung in der Klinik)

5.5 · Kardiopulmonale Reanimation 175 5

Kardiopulmonale Reanimation II

Unterlassung/Abbruch von Reanimationsmaßnahmen (Fortsetzung)
Hierzu können keine allgemein verbindlichen Richtlinien gegeben werden!
In die Entscheidung der Unterlassung von Reanimationsmaßnahmen können
auch die folgenden Punkte einfließen:

• Dauer des Hypoxieintervalles
Laienhilfe/BLS? Lange Anfahrtsdauer? Aber: Kollapszeitpunkt muss Zeitpunkt
des Herz-Kreislaufstillstandes bedeuten!! Evtl. war noch einige Zeit ein
(Minimal-) Kreislauf vorhanden.

• Initialer Herzrhythmus bei Eintreffen des Rettungsdienstes
VF hat eine bessere Prognose als Asystolie oder EMD.

• In bestimmten Situationen sind längere Reanimationszeiten notwendig
(z. B. bei Hypothermie), ggf. ist eine erfolgreiche Therapie in der Klinik möglich
(dann unverzüglicher Transport unter Reanimationsbedingungen und mit
Voranmeldung z. B. bei Schwangeren im letzten Trimenon).

• Zu ethischen und juristischen Überlegungen vgl. S. 184.

Mögliche Komplikationen der CPR
a) durch Thoraxkompressionen
Brustbein- und Rippenfrakturen, Pneumo- und Hämatothorax, Leber- und
Milzverletzungen, Schädigung der abdominellen Hohlorgane und Lungen
b) Schädigungen durch andere CPR-Maßnahmen
z.B. durch Venenpunktion (Paravasat, unerkannte arterielle
Vasokonstriktorinjektion), Medikamentengabe (s. jeweils Nebenwirkungen
und Toxizität), Intubation (s. S. 45 ff.), Defibrillation (s. S. 177 ff.)

Prognoseabschätzung bei Reanimation

A. Rahmenbedingungen
• Laienhilfe (effektive Laienhilfe verbessert die Prognose entscheidend)
• Rettungskette und Rettungsdienstsystem (z. B. Frühdefibrillation ➯ bessere

Langzeitaussicht; beste Prognose beim beobachteten HKS)
• Reanimationsdauer ≠ ➯ Langzeitüberlebensrate Ø (Ausnahme Hypothermie!)

B. Patientenbezogene Faktoren
• Grund- und Begleiterkrankungen (schlechte Prognosen z.B. für Patienten

mit chronischen Lungenerkrankungen und schlechtem Allgemeinzustand)
• Notfallgeschehen

• Schlechte Prognose für Polytraumatisierte (Überlebensrate < 1 %)
• Bessere Prognose bei Kammerflimmern als bei Asystolie (initialer Rhythmus)

Herz-Kreislaufstillstand 176 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Kardiopulmonale Reanimation III

Wirkung der Thoraxkompressionen

• Kardialer Kompressions-Mechanismus
“Auspressen” des Blutes aus den Herzkammern, vor allem durch die indirekt
auf das Herz wirkenden thorakalen Druckverhältnisse, wobei die Ventilebene
(Herzklappen) die Flussrichtung des Blutes bestimmt (die frühere Vorstellung
des Auspressens zwischen Brustbein (Sternum) und Wirbelsäule = direkt-
kardialer Kompressions-Mechanismus ist wie der Begriff “Herzdruckmassage”
überholt).

• Thorakaler Pump-Mechanismus
Dabei wird während des Druckanstieges im Thorax (sauerstoffreiches) Blut
aus den Lungenvenen durch das linke Herz in die Richtung der peripheren
Gefäße gedrückt. (d. h. Lunge = Pumpkammer; Herz = Durchflussorgan,
welches wegen des Ventilmechanismus diesen Vorgang allenfalls unterstützt.)
Während der Entlastungsphase füllen sich die Lungengefäße wieder.

Unterstützung der Thoraxkompressionen mit Hilfsmitteln:
Versuche, die Thoraxkompressionen z. B. mit Schockhosen (MAST = military/
medical anti-schock trousers), direkter abdomineller Kompression oder
aortaler Ballon-Gegenpulsation zu verbessern, zeigten zwar während der
Reanimation z. B. höhere Perfusionsdrücke, jedoch konnte bisher noch keine
Erhöhung der Überlebensrate nachgewiesen werden. Zur ACD-Technik s.u.

Einflussfaktoren auf die Thoraxkompressionen
• Störungen im Herz-Thorax-Bereich können eine Auswirkung auf den

Wirkungsgrad der Thoraxkompressionen haben, z.B.
Spannungspneumothorax (Störung der thorakalen Druckverhältnisse). Dies
macht den Aufbau eines Minimalkreislaufes nicht unmöglich, kann ihn jedoch
stark einschränken. ➯ ggf. Ursachenbehebung (z. B. Punktion eines
Spannungspneumothorax).
• Druck-Saug-Pumpe (ACD = active compression - decompression)
Ziel der ACD-CPR ist es, auch die Dekompression (über die elastischen Kräfte
des Brustkorbes hinaus) aktiv auszuführen und so den venösen Rückstrom
(und damit auch Auswurfvolumen und Durchblutung) zu erhöhen. Untersu-
chungen mit derartigen Thorax-Saugglocken (z.B. Cardio-Pump®) haben dies
bestätigt. Nachdem in mehreren Studien keine Steigerung der Überlebens-
raten durch ACD-CPR erreicht wurde, konnte in Paris die Langzeitüberlebens-
rate (1 Jahr) signifikant gesteigert (verdoppelt) werden. Die aktuelle
Metaanalyse aller Studien zeigt jedoch keine Steigerung der Überlebensraten
mit ACD-CPR im Vergleich zu Standard-CPR. Ein möglicher Einflussfaktor
scheint ein gutes Training der Methode zu sein. Abgesehen von Hautschäden
ist die Komplikationsrate bei ACD-CPR nicht höher als bei Standard-CPR.

5.5 · Kardiopulmonale Reanimation 177 5

Kardiopulmonale Reanimation - Defibrillation I

Indikation: Kammerflimmern (VF) und pulslose ventrikuläre Tachykardie.

Wirkung
Zeitgleiche Erregung (Depolarisation) der unkoordiniert flimmernden Myokard-
zellen). Folge ist die gemeinsame Erregungsrückbildung (Repolarisation) aller
Zellen und damit die Möglichkeit, dass nun die Zellen wieder unter Führung des
Sinusknotens regelmäßig erregt werden können.

Defibrillations-Energie (s.S. 170)
Bei biphasischen Geräten Herstellerangaben beachten! Ist die optimale
Defibrillationsenergie für das jeweils benutzte biphasische Gerät nicht vom
Hersteller angegeben bzw. dem Anwender nicht bekannt gilt:
Erster Schock: 200 J. Zweiter und weitere Schocks: mindestens 200 J

Einflüsse auf den Defibrillationserfolg
• Zunehmende Dauer des Kammerflimmerns ➯ Defibrillationserfolg Ø.
• Stromwiderstand (Impedanz) des Thorax (unerwünschte Erhöhung, z. B.

durch fehlendes Elektrodengel, Thorax in Inspirationsstellung - daher auf
ausreichenden Anpressdruck der Paddles achten)
• Stromenergie und Kurvenform (monophasisch - biphasisch)
• Medikamente und Elektrolytverhältnisse

Sauerstoff und Defibrillation
Bei Defibrillationsversuchen kann es zu kleinen Funken kommen. Bei sauerstoff-
angereicherter Atmosphäre können sonst kaum brennbare Materialien Feuer
fangen und Verbrennungen bei Helfern und Patient verursachen: laufende
Sauerstoffquellen (Masken, Nasensonde) vor Defibrillation mindestens 1 Me-
ter vom Brustkorb des Patienten entfernen

Elektrodenposition

Standard (anterior-apikal/„anterior-anterior“)
• rechte Elektrode („Sternum“): rechts neben Sternum, unterhalb der

Clavicula
• linke Elektrode („Apex“): mittlere Axillarlinie auf Höhe der EKG-Elektrode V6

Alternativen
• biaxillär (links Standard; rechts spiegelbildlich rechte Brustwand)
• apikal-posterior (links Standard; rechts obere Rückenregion rechts oder links)
• anterior-posterior (linke Elektrode vor dem linken Herzen, rechte Elektrode un-

terhalb der linken Scapula)

Herz-Kreislaufstillstand 178 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Kardiopulmonale Reanimation - Defibrillation II

Kein körperfremdes Material zwischen Paddles und Herz!
• transdermale Medikamentensysteme entfernen (z. B. Nitropflaster)
• schnelle Rasur der Elektrodenposition, wenn nötig
• Mindestens 10 cm Abstand zu Aggregaten von permanenten Herzschrittma-

chern (SM) oder automatischen implantierten Defibrillatoren (AICD) halten
(meist unterhalb einer Clavicula). Dafür ggf. eine der Alternativ-Elektroden
positionen wählen (s. vorherige Seite).

Durchführung
1. EKG-Defibrillatoren-Einheit einschalten.
2. Elektrodengel auf die Paddles oder auf die Elektrodenposition auftragen.
3. Paddles anlegen; Anpressdruck ca. 10 kg !
4. Rhythmus-Diagnose (Indikation stellen: VF/ pVT).
5. Energie einstellen. Aufladen. Schreiber ein.
6. Sicherheitsabstand zum Patienten! Auf Sicherheitsabstand der Umstehenden

achten (Rundumblick). Defibrillation ankündigen (Warnung) u. auslösen.

Defi-Klebeelektroden (Pads) oder Hand-Paddles?
Grundsätzlich sind beide Formen akzeptable Alternativen. Defi-Klebeelektroden
sind etwas schneller in der Anwendung und bieten dem Anwender höhere Sicher-
heit (Abstand). Sie sind daher die bevorzugte Alternative.

Leitmedium für Hand-Paddles verwenden
Gel-Pads (selbsthaftende Auflage auf Wasserbasis) empfohlen (Verschmiertes
Leitgel aus der Tube kann zwischen den Paddles Gelbrücken bilden, die zu gefähr-
lichen Spannungsbögen und ineffektiver Defibrillation führen können.)

Schäden durch die Defibrillation
• Die Zellen des Herzmuskels können durch die Defibrillation geschädigt werden.

Folge sind z. B. anschließende Herz-Rhythmus-Störungen, ST-Strecken-Verän-
derungen und fehlende elektrische Aktivität der erregungsbildenden Zellen. Die
Schädigung der Herzmuskelzellen durch die Defibrillation ist u. a. abhängig von
der Energie (Energie ≠ ➯ Schäden ≠) und von der verwendeten Stromkurven
form (biphasische Kurven - geringere Schäden)
• Verbrennung der Haut (zu wenig Elektrodengel)
• Schäden an Dritten (z. B. bei Nässe; Umstehende mit Patientenkontakt)

Geräte zur Defibrillation
Man unterscheidet entspr. ihrer Funktion verschiedene Typen von Defibrillatoren:
• Manuelle Defibrillatoren: Rhythmusdiagnose, Aktivierung des Ladevorganges

und Schockauslösung durch den Anwender.
• Ähnlich wie z.B. beim Autofahren (Entwicklung von ABS statt Stotterbremse)

gibt es auch hier automatische Systeme, die die Anwendung der Geräte verein-

5.5 · Kardiopulmonale Reanimation 179 5

Kardiopulmonale Reanimation - Defibrillation III

fachen sollen - sogenannte automatische Defibrillatoren. Untersuchungen aus
den USA zeigen, dass Rettungsdienstpersonal mit automatischen Defibrillatoren
schneller und zuverlässiger (weniger Fehlentscheidungen bei der Indikations-
stellung - höhere Sensitivität und Spezifität) defibrilliert. Es werden halbauto-
matische (Rhythmusdiagnose und Aktivierung des Ladevorgangs durch das
Gerät; Schockauslösung durch den Anwender) und vollautomatische
Defibrillatoren (Rhythmusdiagnose, Aktivierung des Ladevorganges und
Schockauslösung durch das Gerät) unterschieden.

Biphasische Defibrillation
Biphasische Defibrillation bedeutet, dass der Strom nach einem vorgegebenen
Zeitintervall die Richtung wechselt. In tierexperimentellen und klinischen Stu-
dien zeigten biphasische Stromkurven höhere Erfolgsraten und geringere
Herzmuskelschäden bei der Defibrillation. Zwei kontrollierte und randomisierte
Studien für die Anwedung im Rettungsdienst zeigten eine signifikant bessere
Effektivität biphasischer Stromkurven im Vergleich zur monophasischen
Defibrillation (ORCA-Studie, Mainz: 150 J bipasisch versus 200-200-360 J
monophasisch; Van Alem: 200-200-360 biphasisch versus 200-200-360 mono-
phasisch). Bei länger anhaltender VF/VT ist die Erfolgsrate biphasischer
Schocks höher als diejenige monophasischer; daher wird empfohlen –
wenn möglich – biphasisch zu defibrillieren. Da die Energien der bipasischen
Geräte nicht mehr einheitlich sind, sondern von Gerätetyp zu Gerätetyp variieren
(verschiedenes Energieoptimum der unterschiedlichen Kurven) empfehlen die
Leitlinien 2005, dass alle Hersteller biphasischer Geräte die anzuwendende
Energie deutlich sichtbar auf die Frontseite der Geräte aufdrucken.

Frühdefibrillationsprogramme
Bedingungen und Richtlinien für die Durchführung eines Frühdefibrillations-
programmes (halbautomatische Defibrillatoren, Ausbildung, Überprüfung usw.)
wurden von der Arbeitsgemeinschaft Frühdefibrillation Deutschland erarbei-
tet. Frühdefibrillation in diesem Sinne unterscheidet sich (auch juristisch) von
Frühdefibrillation im Rahmen der Notkompetenz.

Public Access Defibrillation (PAD)
Die PAD unterscheidet verschiedene Zielgruppen:
Level 1: Qualifizierte Laien (z.B. Polizei, Sicherheitskräfte, Flugbegleiter)

Ausbildung in BLS und AED (Level 1 = in Leitlinien empfohlen)
Level 2: Ersthelfer – Ausbildung in BLS UND AED
Level 3: Angehörige von Risikopatienten

Defibrillation im Rettungsdienst
Jeder „HealthcareProvider with a duty to perform CPR“ (= Rettungshelfer,
Rettungssanitäter, Rettungsassistent) muss ausgebildet, ausgestattet und au-
torisiert sein, die Defibrillation durchführen zu können (z.B. mit AED).

Herz-Kreislaufstillstand 180 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Kardiopulmonale Reanimation - Medikamente

Drugs (Medikamente) bei CPR

• Adrenalin [Medikamentenbeschreibung s. S. 483 f.]:
- Hauptmechanismus ist die α-sympathomimetisch bedingte periphere
Vasokonstriktion (Gefäßverengung) mit Steigerung des arteriellen Druckes.
Daraus resultiert eine Verbesserung der Koronar- und Zerebralperfusion.
Die beta-mimetischen Wirkungen wie z.B. positive Chronotropie sind eher
unerwünscht.
- Adrenalin wird bei allen Formen des HKS verwendet.
- Dosierung i.v.: 1 mg unverdünnt (mit 20 ml Infusionslösung nachspülen)
- Dosierung endotracheal: 3 mg ad 10 ml NaCl 0,9%
- Dosierung intraossär: wie 1 mg

• Amiodaron [Medikamentenbeschreibung s. S. 487 f.]: Amiodaron ist Anti-
arrhythmikum der Wahl bei therapieresistentem Kammerflimmern

• Atropin [Medikamentenbeschreibung s. S. 490]: Wirkung: Parasympatholyse
und damit Vagusblockade. Atropin kann bei Asystolie erwogen werden.

• Lidocain [Medikamentenbeschreibung s. S. 529]: Ein Nutzen von Lidocain bei
CPR ist nicht belegt. Gleichzeitig wird diskutiert, ob es die Defibrillationsschwelle
erhöht, also die erfolgreiche Therapie des Kammerflimmerns erschwert. Es gibt
derzeit keine Empfehlung für den Einsatz von Lidocain bei Reanimation.

• Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3) [Medikamentenbeschreibung s. S. 439]:
- Wirkung: Pufferung saurer Valenzen.
- Nebenwirkungen: CO2-Anstieg, intrazelluläre Azidose (paradoxe Azidose),
Myokarddepression (verminderte kardiale Reanimierbarkeit möglich), Hirn-
ödem (Zerstörung der Blut-Hirn-Schranke möglich), Alkalose.
- Während der Reanimation sollte es keine Verwendung mehr finden.
Nach erfolgreicher Reanimation kann NaHCO3 nach Blutgasanalyse gezielt
verabreicht werden (CO2-Elimination bei Spontanzirkulation und adäquater
Beatmung gegeben). Aussagen, dass bei metabolischer Azidose die Adrenalin-
wirkung fehle, sind nicht belegt.
- Spezielle Indikationen unter CPR:
Hyperkaliämie und Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva

• Vasopressin [Medikamentenbeschreibung s. S. 489]: Vasopressin ist ein
potenter Vasokonstriktor ohne die kritische rhythmogene Wirkung des
Adrenalins. Eine große, europäische, randomisierte Doppelblindstudie zeigte
allerdings keinen Benefit beim Überleben der Patienten im Vergleich zum
Adrenalin. Daher bleibt Adrenalin nach dem „Großvater-Prinzip“ weiterhin
Medikament der Wahl und Vasopressin wird derzeit nicht mehr empfohlen.

• Magnesium: [Medikamentenbeschreibung s. S. 531]: Die Magnesiumgabe
kann bei therapierefraktärem VF/VT in Kombination mit V.a. Hypomagnesiämie
erwogen werden.

5.5 · Kardiopulmonale Reanimation 181 5

Postreanimationsphase I

Kriterien / Zeichen erfolgreicher Reanimation
• Anstieg der endexspiratorischen Kohlendioxidkonzentration
• Wiederkehr von zentralen und ggf. peripheren Pulsen (und Blutdruck)
• Ggf. Anstieg der arteriellen Sauerstoffsättigung - sofern messbar
• Evtl. Wiederkehr von Reflexen (Würgen), Spontanatmung und Bewusstsein

Vorgehen nach erfolgreicher Reanimation

a. Erstmaßnahmen
• Wenn HF und RR ausreichend: Beenden der Thoraxkompressionen

Bis zur Wiederkehr der Spontanatmung: kontrollierte Beatmung (100% O2,
5 cm PEEP, physiologisches AZV und normale AF)
• Bei Wiederkehr der Spontanatmung: assistierte Beatmung (PEEP), ggf. Sedierung
und kontrollierte Beatmung
• Bei Husten / Würgen / Wiedererlangen des Bewusstseins:
da eine Extubation wegen der Gefahr einer Hypoxie mit erneutem HKS nicht in
Frage kommt: Analgosedierung (z. B. Fentanyl / Midazolam)

b. Diagnostik
• Engmaschige Kontrolle der Vitalparameter
• Sicherung / Überprüfung bisheriger Maßnahmen (z. B. Tubuskontrolle)
• 12-Kanal-EKG-Interpretation
• Hinweise auf Ursachen / Grunderkrankungen suchen; körperl. Untersuchung
• Geeignete Zielklinik (Herzkatheter?) auswählen und vorinformieren

c. Weitere Maßnahmen (individuell an der Situation orientiert)
• Behandlung relevanter Rhythmusstörungen
• Einstellung des RR (RRsyst > 80 mmHg): z. B. Katecholamine (Spritzenpumpe)
• Ggf. Ursache des HKS behandeln

d. Dokumentation und Übergabe in der Zielklinik
(Einheitliche Dokumentation nach Utstein-Style empfohlen)

• Zeitpunkte (Leitstelle, Tonbanddokumentation etc.):
- Kollaps (ggf. Schätzung nach Zeugenaussagen; beobachteter Kollaps ?)
- Notrufeingang
- Fahrzeugstatus (1. RTW / NA; Ausrücken, Ankunft beim Patienten)
- Beginn der Laienreanimation (wenn stattgefunden)
- Beginn der professionellen Reanimation
- 1. Defibrillation, Intubation, i.v.-Zugang, erste Adrenalingabe
- Wiedererlangen der Spontanzirkulation (ROSC - Restoration of Spontaneous
Circulation)

• Primärer EKG-Rhythmus bei Eintreffen des Rettungsdienstes
• Maßnahmen (Anzahl der Defibrillationen, Medikamente, Komplikationen)
• Verdachtsdiagnose mit Begründung

Herz-Kreislaufstillstand 182 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Postreanimationsphase II

Grundprinzipien
• Hypothermie (bewusstlose Patienten nach ROSC - s.u.)
• Hyperthermie vermeiden (Fieber senken)
• Normokapnie (keine Hyper- oder Hypoventilation)
• Normotonie
• Normoglykämie

Hypothermie
Bewusstlose erwachsene Patienten mit Spontankreislauf nach präklinischem Herz-
Kreislaufstillstand mit initialem Kammerflimmern sollen so schnell wie möglich
auf 32–34 °C Körpertemperatur gekühlt werden (ILCOR-Empfehlung seit 2003).
Diese moderate Hypothermie soll für (12 bis) 24 h aufrecht erhalten werden.

Mögliche Kühlungsverfahren
• Infusion von 4 °C kalter kristalloider Infusionslösung (30 ml/kg), die

Körpertemparatur fällt dabei regelhaft um etwa 1,5 °C ab.
• Kühlpackungen (an Hals, Leisten und in den Achselhöhlen), Kühldecken

Auch andere komatöse Patienten nach außerklinischem Herz-Kreislaufstillstand
können von dieser Strategie profitieren (Patienten mit Asystolie und PEA). Kälte-
zittern ggf. durch ausreichende Sedierung und ggf. durch Muskelrelaxierung
unterdrücken. Die spätere Wiedererwärmung sollte langsam erfolgen (0,25 –0,5
°C/h); dabei sind anschließende Hyperthermien zu vermeiden bzw. zu behandeln.

Der Wert dieses Vorgehens wurde in 2 unabhängigen randomisierten Multicenter-
Studien (trotz relativ kleiner Fallzahlen (273 und 77 Patienten) und nicht mögli-
cher Verblindung) signifikant und klinisch relevant belegt (unabhängige Lebens-
führung, Arbeitsfähigkeit und Mortalität). Verglichen mit anderen therapeutischen
Interventionen, zeigte die Kühlung sehr niedrige „numbers needed to treat“-
Zahlen (nur 6 bis 7 Patienten müssen im Durchschnitt behandelt werden, damit
der Effekt bei einem Patienten auftritt). Bei den gekühlten Patienten waren aber
Komplikationen wie Pneumonie, Blutungen und Sepsis häufiger.

Goldstandard (Reanimation)

Nach aktuellem Stand der Notfallmedizin sollte in einem funktionierenden
Rettungsdienstsystem (z.B. Frühdefibrillationsprogramm) bei beobachtetem
Kollaps und Kammerflimmern eine Überlebensrate (Krankenhausentlassung)
von mindestens 30% erreicht werden.

5.5 · Kardiopulmonale Reanimation 183 5

Alternative Reanimationsverfahren / spez. Medikamente

Impedanzventil
Synonyme: ITD=Impedance Treshold Device, ITV=Impedance Threshold Valve,
Reanimationsventil, ResQ-Pod™
Das Impedanzventil verbessert den venösen Rückstrom zum Thorax in der
Relaxationsphase bei externen Thoraxkompressionen (Standard-CPR) bzw. in der
Dekompressionsphase bei ACD-CPR (Cardiopump™). Das ITV blockiert in dieser
Phase der CPR den passiven inspiratorischen Gasfluss, welcher den für den venö-
sen Rückstrom förderlichen negativen intrathorakalen Druck ausgleichen würde.
Dadurch wird der intrathorakale Druck vermindert und – als Resultat – der venöse
Rückstrom und daraus resultierend der Blutfluss in den lebenswichtigen Organen
erhöht. Beatmung und Ausatmung sind jederzeit ungehindert möglich. In
mehreren randomiserten Studien an Reanimationspatienten im RD wurde eine
Verbesserung der 24 h-Überlebensraten gegenüber Standard-CPR festgestellt.
Das ITV ist in den AHA-Leitlinien als Methode der Wahl empfohlen (IIa).

Autopulse™ – Vest-CPR
Die Reanimation mit dem automatischen Gurtband (Autopulse™) ist die Nach-
folge der Vest-CPR (Westen-Reanimation). Die tierexperimentellen Untersuchun-
gen sind vielversprechend. Kleine Fallserien mit Patienten liegen vor. Größere rando-
misierte Untersuchungen stehen noch aus.

LUCAS (Lund University Cardiac Arrest System)
Lucas ist eine Kombination aus mechanischem, kolbenbetriebenen Reanimations-
gerät und der ACD-CPR (aktive Kompressions-Dekompressions-CPR). Es liegen
bislang nur wenige tierexperimentelle Daten und keine randomisierten Patienten-
untersuchungen zu LUCAS vor.

Vasopressin und Adrenalin
Eine Subgruppenanalyse der multizentrischen Vasopressinstudie zeigte signifi-
kant gesteigerte Überlebensraten für Patienten, die Vasopressin und
Adrenalin (bei > 2 Medikamentengaben) erhielten, verglichen mit denen, die nur
Adrenalin erhielten. Weitere Untersuchungen zu Dosis und Mischungsverhältnis
sind erforderlich.

Hochdosiertes Adrenalin
In multizentrischen, randomisierten Studien konnte keine signifikante Verbesse-
rung der Überlebensraten mit hochdosierter Adrenalingabe erzielt werden. Für die
Anwendung alternativer CPR-Verfahren (z. B. ACD) geben aktuelle Studien Hinwei-
se auf einen ungünstigen Einfluss auf die Überlebensraten. Die aktuellen Leitlinien
sehen generell keine hochdosierte Adrenalingabe vor.

Herz-Kreislaufstillstand 184 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Ethische Aspekte der Reanimation I

Die Leitlinien des ERC beschränken sich nicht nur auf die Wiedergabe evidenz-
basierter Therapieschemata (Algorithmen), sondern integrieren auch wichtige
Aspekte zu ethischen und moralischen Fragen bei der Reanimation.

Dieses Kapitel soll nicht nur Antworten und Tipps zu ethischen Aspekten ge-
ben, sondern auch bewusst Fragen aufwerfen, die eben nicht einfach mit einer
Handlungsanweisung beantwortet werden können. Die hier aufgezeigten Pro-
bleme werden nur bezüglich ihres ethischen Stellenwerts beleuchtet. Inwieweit
dies auch juristisch relevant ist, kann in manchem Fall eine andere Frage sein.

Zweifellos verdanken viele Patienten und Angehörige der Entwicklung der
Reanimation wertvolle gemeinsame Lebenszeit. Der Möglichkeit, einen
Patienten erfolgreich wiederzubeleben, sodass er später das Krankenhaus
wieder zu Fuß und bei klarem Verstand verlassen kann, steht aber auch die
Verlängerung des Leidens bzw. des Sterbeprozesses, entgegen. Im
schlimmsten Fall bleibt der Patient nach der Wiederbelebung apallisch.

Die ethischen Abwägungen im Zusammenhang mit Reanimationsmaßnahmen
werden durch individuelle, internationale wie lokale, kulturelle, religiöse, tradi-
tionelle, soziale sowie ökonomische und rechtliche Faktoren beeinflusst.

Allgemein anerkannte Grundprinzipien
• Nutzen (beneficience) für den Patienten durch die Behandlung bei ausge-

glichener Risiko-Nutzen-Analyse; so einfach das klingt: das Wohlergehen des
Patienten kann in unterschiedlichen Zielen bestehen, die gegeneinander
gerichtet seinkönnen:
- Erhaltung des Lebens/Wiederherstellung der Gesundheit
- Linderung des Leidens
• Nicht Schaden (non-maleficience): Keine sinnlosen oder schädigenden Maß-
nahmen durchführen (z. B. Reanimation bei sicheren Todeszeichen):
- Keine zusätzlichen Leiden und keine bloße Verlängerung des Leidens
• Gerechtigkeit: Der „Nutzen“ der Behandlung muss allen in der Gesellschaft
gleichermaßen zur Verfügung stehen. Problem der Ressourcenverteilung
(Behandlung aller Patienten nach gleichen Standards)

• Patientenautonomie: Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist

generell respektiert und auch in der „Deklaration von Helsinki“ (Menschen-
rechte) manifestiert. Eine entsprechende Willensäußerung des Patienten ist
jedoch beim Herz-Kreislaufstillstand nicht mehr möglich und auch in hinter-
legter Form oft nicht direkt feststellbar.

5.6 · Ethische Aspekte 5185

Ethische Aspekte der Reanimation II

Patientenverfügung /Patientenwille
Jede medizinische Behandlung muss den Willen des Patienten berücksich-
tigen. Dieser ist in einer Reanimationssituation schwierig zu ermitteln. Manche
Patienten haben ihren Willen und ihre Wünsche in einem Patiententestament
oder in einer Patientenverfügung hinterlegt. Die schriftliche Form ist dafür nicht
zwingend. Aus ethischer Sicht macht es keinen Unterschied, wie der Patient
seinen Willen zum Ausdruck bringt, sei es als Patientenverfügung, als Patienten-
testament oder auch mündlich (z.B. in der Wiedergabe durch Angehörige;
Gefahr der Beeinflussung durch eigene Ansichten, eigene Interessen und Fehl-
interpretationen der Angehörigen). Grundsätzlich muss hinterfragt werden, ob
die Verfügung noch aktuell ist. Die Einstellung des Patienten kann sich mit
Wechsel der Lebensumstände ändern; mit zunehmenden Erkrankungen wird
beispielsweise eine niedrigerere Lebensqualität vom Patienten als akzeptabel
eingestuft!
Entsprechende Willensäußerungen sind in einer akuten Notfallsituation oft nicht
direkt auffindbar oder beziehen sich oft auf andere Situationen (Maßnahmen
im Rahmen der Intensivtherapie) als auf die Frage, ob beispielsweise initial beim
plötzlichen Herztod ein Wiederbelebungsversuch unternommen werden soll.
Eine Verfügung, keine Reanimation durchzuführen, ist eher selten.

Aus diesen Gründen und weil es sich beim Herz-Kreislaufstillstand um ein
zeitkritisches Ereignis handelt, soll immer zuerst mit der Reanimation begon-
nen werden, um dann während der laufenden Reanimation alle wichtigen
Informationen für eine verantwortungsvolle Entscheidung (Fortführen oder
Abbruch der Reanimationsmaßnahmen) zu sammeln.

Helfer unterschätzen oft den Überlebenswillen (-wunsch) des Patienten!

Kein Reanimationsversuch/vorzeitiger Reanimationsabbruch
• Futility = Sinnlosigkeit = keine Aussicht auf eine Lebensverlängerung mit

akzeptabler Lebensqualität
• Sichere Todeszeichen
• Endstadium eines Multiorganversagens ohne behandelbare Ursache
• Andere Faktoren zur Vorhersage einer fehlenden Aussicht auf Reanimations-

erfolg sind im Individualfall nicht zuverlässig (z. B. Hypoxiezeit).
• Alter ist nur ein schwacher Vorhersagefaktor für das Outcome. Das höhere

Alter ist zwar mit einer zunehmenden Komorbidität (Begleiterkrankungen)
verbunden, welche die Prognose verschlechtern können, bei fehlenden
Begleiterkrankungen hat das Alter jedoch keinen Aussagewert.
• Vorliegende, valide Patientenverfügung (s. o.)

Herz-Kreislaufstillstand 186 Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand

Ethische Aspekte der Reanimation III

DNAR-Anweisung (do not attempt resuscitation)
(keinen Reanimationsversuch durchführen)
• Die DNAR-Anweisung ist keine Form der Willensäußerung des Patienten,

sondern der Ausdruck einer Therapieentscheidung, die – wenn möglich –
zusammen mit dem Patienten getroffen wurde.
• Es ist die Anweisung, dass kein Reanimationsversuch durchgeführt werden soll.
• Information von Patient, Angehörigen und an alle, die mit dem Patienten zu tun
haben (Schwestern, Ärzte usw.). Vermerk in den Patientenakten!
• Entscheidung zu einer DNAR obliegt dem leitenden Arzt nach Konsultation des
Patienten (z. B. bei KH-Aufnahme) und der Angehörigen.

Regelgerechter Abbruch von Reanimationsmaßnahmen
• Nach 20 min ununterbrochener Asystolie trotz vollständiger Reanimations-
maßnahmen und Fehlen behandelbarer Ursachen (Ausnahme z. B. Hypothermie)
• Bei persistierendem Kammerflimmern soll die Reanimation fortgeführt werden.
• Zwischenzeitliches Feststellen der Futility
• Faktoren, die die Entscheidung beeinflussen können: Krankengeschichte,

Prognose, Hypoxiezeit usw.
• Entscheidung obliegt dem Team-Leiter nach Rücksprache mit dem Team.

Entscheidungen von Nicht-Ärzten
Vorzeitiger Abbruch oder Verzicht auf Reanimationsmaßnahmen durch nicht-
ärztliches Fachpersonal:
• Vorliegen einer gültigen und anwendbaren Patientenverfügung, keine Reanima-

tion zu beginnen
• Kopfabtrennung, Durchtrennung des Oberkörpers, Leichenstarre, prolongierte

Verschüttung, Verkohlung, Totenflecken
Andere Faktoren (z. B. 20 min Asystolie) sind von den jeweiligen nationalen Vor-
gaben (ethisch, moralisch und rechtlich) abhängig.

Anwesenheit von Angehörigen bei der Reanimation
• Mittlerweile akzeptierte Praxis in Europa und von der Mehrzahl der Angehörigen

gewünscht (besonders bei Kindern). 90 % würden es – nachträglich befragt –
wieder wünschen. Die Angehörigen profitieren von ihrer Anwesenheit.
• Möglichst Briefing der Angehörigen; Betreuung durch ein Teammitglied
• Kompetentes und ruhiges Arbeiten vermitteln; Maßnahmen erklären
• Bei Tod des Patienten Angehörige zum Entfernen von Tubus und Kanülen (wenn
sie nicht für rechtsmedizinische Untersuchung in situ bleiben sollen) kurz nach
draußen bitten (Maßnahme erklären!)

Kapitelübersicht 6187
Bewusstseinsstörungen

6.1 Synkope ...................................................................... 188

Synkope ........................................................................ 188
Differenzialdiagnostisches Hilfsschema ....................... 190

6.2 Diabetes mellitus - Zuckerentgleisung ........................ 192

Hypoglykämie ............................................................... 192
Hyperglykämie ............................................................... 194

6.3 Krampfanfall / Epilepsie .............................................. 196

6.4 Schlaganfall (Apoplex) ............................................... 198

6.5 Stroke Unit .................................................................. 202

Bewusstseinsstörungen 188 Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen

Synkope

Definition
Unter Synkope versteht man eine plötzliche „Ohnmacht“; meist kurzdauernde
Bewusstseinsstörung mit oder ohne Hinstürzen (durch Blutverteilungsstörung).

Häufige Formen
• Vasovagale Synkope
Starke Emotionen (Blutsehen, Ekel, Schreck, Angst, Schmerz), Hitze oder
Kälte sowie eine akute Vagusreizung (Pleurapunktion, Kolik) können
innerhalb von Sekunden zu einem akuten Blutdruck- und Herzfrequenzab-
fall führen. Betroffen: i. d. R. junge Patienten und Frauen.
• Orthostatische Dysregulation
Unvermögen des Organismus, sofort und anhaltend durch Anpassen des
peripheren Gefäßwiderstandes (Blutgefäßtonus) auf eine Lageänderung
(z. B. Aufstehen) des Körpers so zu reagieren, dass ein Abfall des Blutdrucks
vermieden wird. Betroffen: vor allem Jugendliche in der Pubertät.
• Pressorische Synkope
Reizung der Druckrezeptoren mit reflektorischem Blutdruck- und
Herzfrequenzabfall bei Stuhl oder Harnpressen oder Valsalva-Pressversuch.
• Desweiteren ist stets an andere Auslöser einer Synkope und die damit
verbundenen Erkrankungen zu denken (Synkope als Warnzeichen!):
• Kardiale Synkope: Adams-Stokes-Anfall (AV-Block, Karotis-Sinus-
Syndrom, ventrikuläre Tachykardie und andere)
• Metabolische Synkope: Hypoglykämie, Hypokapnie bei Hyperventilations-
syndrom (Engstellung der Hirnarterien ➯ kurze Bewusstlosigkeit - s.
S. 208 f.)
• Zerebrale Synkope: Epilepsie, TIA, PRIND, Apoplex, intrakranielle Blutung,
Schädel-Hirn-Trauma.
• Vena-cava-Kompressionssyndrom s. Kapitel 10
• Hitzekollaps / Hitzeohnmacht s. S. Kapitel 13

Therapieprinzipien
Zur Behandlung der klassischen Formen der Synkope genügt meist eine Basis-
therapie mit Schocklage, Beruhigung und Aufklärung sowie Überwachung der
Vitalfunktionen. Trotzdem sollte - selbst bei zügiger Besserung - jeder Patient
sicherheitshalber ärztlich untersucht werden, um akut behandlungsbedürftige
Ursachen auszuschließen.


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