DAS MAGAZIN FÜR WIRTSCHAFT / DESIGN / NACHHALTIGKEIT
03
MAI-AUG
2012
Wohnen
im Garten
ARCHITEKTUR ///// Bauen mit Glas MENSCHEN IN PURE //// Dieter Rams DESIGNER // Michael Weiss AUTOBAUER
GELD //// Lohnen sich Öko-Aktien? ///// Anne Farken MATERIAL-EXPERTIN //////// Wolf Lüdge ÖKO-MODE-HERSTELLER
LICHT / Die schönsten LED-Leuchten Alina Schürfeld MODE-DESIGNERIN //////// Edmund Englich DESIGNER ////////////
/////////// Bastian M. von Arnim KREATIVDIREKTOR /////// Johann Lafer KOCH
Karl Schweisfurth ÖKO-FLEISCH-PIONIER /////////////////////////////////////////////////////
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Zitiert aus: tv14 10/2005, Guter Rat 5/2005
©2008 Bose Corporation. Alle Rechte vorbehalten. Das unverwechselbare Design des WAVE® Music System
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EDITORIAL
Autofahren will neu gelernt sein
Hybrid – übrigens nicht zu verwechseln mit lässt sich trefflich der Übergang in die Elek-
Hybris, was inzwischen aber gelegentlich tromobilität proben. Bestes Beispiel ist der
schon schwerfällt – hat sich zu einem Mode- neue E-Klasse-Hybrid, mit dem Mercedes
wort hochgeschaukelt, fast zu einer Zauber- erstmals auf eine Kombination aus Diesel-
formel des technischen Fortschritts. Hybrid und Elektromotor setzt und so eine Luxus-
steht für die Kombination von Eigenschaf- limousine der Oberklasse mit dem Spatzen-
ten, Materialien oder Technologien. Und durst eines Kleinwagens auf die Räder stellt
für den Mehrwert, der daraus resultiert: Aus (Bericht und Interview ab Seite 84).
eins und eins wird plötzlich drei.
„Warum nicht gleich so?“, möchte man fra-
Beispiel Hybrid-Auto. Wenn unterschiedli- gen. Die Antwort fällt verblüffend nüchtern
che Antriebstechnologien zusammenwirken, aus: Weil die zusätzliche Effizienz, die mit
in der Regel Verbrennungs- und Elektromo- der aufwendigen und entsprechend teuren
tor, kommt in der Summe ein besonders Hybrid-Lösung einhergeht, bislang mit „kon-
umweltverträgliches, weil sparsameres Fahr- ventionellen“ Methoden möglich war. Opti-
zeug heraus. Die höhere Effizienz resultiert mierte Verbrennung und Downsizing konn-
dabei vor allem aus der Tatsache, dass kine- ten den Spritverbrauch in der Vergangenheit
tische Bremsenergie nicht länger verpufft, in ähnlicher Größenordnung, aber mit deut-
sondern gespeichert wird und anschließend lich geringerem Aufwand reduzieren.
zur Verfügung steht, um den Verbrennungs-
motor zu entlasten. Die beiden dazupas- Und was kommt jetzt? Die Antwort fällt viel-
senden Begriffe gehen modernen Automo- leicht noch überraschender aus: Jetzt ist der
bilisten inzwischen flott über die Lippen: Fahrer dran! Weil sich der Spritverbrauch
Rekuperieren und Segeln. über den Fahrstil nachhaltiger steuern lässt
als über jeden Hybrid, ziehen im nächsten
Dass sich der Hybridantrieb im Auto jetzt Schritt elektronische Systeme ins Auto ein,
doch noch durchzusetzen scheint, hat meh- die uns zeigen, wie man richtig und umwelt-
rere Ursachen: Der mediale und öffentliche bewusst fährt. Kaum zu glauben, aber wahr:
Druck lässt den Autoherstellern keine ande- Ausgerechnet der Sportwagenbauer Por-
re Wahl, die Sparpotenziale beim Verbren- sche will damit voranfahren (Seite 82). Das
nungsmotor sind weitgehend ausgereizt – Auto ist eben auch nicht mehr das, was es
und mit dem Hybrid als Brückentechnologie einmal war.
Klaus-Peter Bredschneider // Herausgeber
INHALT // 03|12
MEDIENPARTNERist Der Garten wird jetzt neu Hauptsache, viel und bil- „Buntes Glas zerstört den
möbliert – zum Beispiel lig? Unser Fleischkonsum Hass“ stand auf einem
des mit Fedro, dem Stuhl ist enorm – die Folgen Glaspavillon, der 1914 zur
Deutschen Nachhaltigkeitspreises ohne Beine. Das organisch sind bekannt, werden Ausstellung des Deutschen
geformte Sitzmöbel der jedoch gerne ignoriert, Werkbunds errichtet wur-
italienischen Designerin weil für viele nur der Preis de. Glas war und ist
Lorenza Bozzoli für Dedon zählt. Dabei muss der Programm – für Archi-
ist leicht zu transportieren qualitätsbewusste Fleisch- tekten wie für Künstler –
und bietet dennoch den Genießer letztlich gar oder für Mosaizisten, die
Sitzkomfort eines klas- nicht mehr ausgeben. es Stück für Stück aus
sischen Schaukelstuhls. farbiger Vielfalt wählen.
38 OUTDOOR 88 FLEISCH 32 GLASKUNST
67
Wissen
10 WERKSTOFFE: DIE QUAL DER WAHL
Die Fülle an innovativen Materialien
macht es schwer, das bestgeeignete zu
finden. Orientierung geben Werkstoff-
experten und Materialbibliotheken.
Design
20 LEUCHTEN
Wir haben die zehn wichtigsten, weil
innovativsten Leuchten der diesjäh-
rigen Light + Building ermittelt.
38 OUTDOOR-MÖBEL
Der Garten wird zur neuen Spielwiese
der Designer. Die schönsten Möbel
und Leuchten stellen wir Ihnen vor.
44 DIE ENKEL DES FAUSTKEILS
Werkzeuge waren die ersten von Men-
schenhand geschaffenen Produkte.
Über die Jahrtausende wurden aus
dem Faustkeil hochkomplexe Geräte.
52 FERNSEHGERÄTE: DER PREIS IST HEISS
Mit technischen Innovationen und
frischem Design kämpft Loewe gegen
den Preisverfall in der Fernsehgeräte-
Branche
56 DIE GROSSEN DESIGNER: DIETER
RAMS
Von seinen genialen Ideen
profitiert auch Apple.
Schneewittchensarg? „Vor dem ersten Tragen Der Boxster 981. Es kann Die Bespannung des
Viele denken da noch an waschen!“ Dieser Hinweis nur einen geben. Schnell, „Slow Chair“ von Ronan
die Radio-Plattenspieler- in manch modischem scharf, anders. Aber und Erwan Bouroullec für
Kombi SK 4 für Braun – Schnäppchen spricht durchaus auch umwelt- Vitra ist ein 3-D-Gestrick,
eines seiner genial Bände. Die Massen- kompatibel: Start-Stopp, nicht viel größer als ein
designten Produkte, Textilproduktion ist eine Rekuperation, Segel- Kinderpullover, aber ex-
die (nicht nur) in den düstere Welt voller Gifte Modus, 30 Kilo leichter. trem dehnbar. Die Fülle an
Nachkriegsjahren unser und Ausbeutung. Aber Fazit: Verbrauchswerte innovativen Werkstoffen
Lebensgefühl neu de- es gibt Alternativen. um acht Liter – bei wächst und wächst. Mate-
finierten. Auch zeitlose bis zu 315 PS Leistung! rialbibliotheken beraten
Sitzmöbel entwarf er. Designer bei der Wahl.
56 DIETER RAMS 74 ECO FASHION 80 PORSCHE 10 TITEL/MATERIALIEN
Mode 73 DEUTSCHER NACHHALTIGKEITSPREIS 85 MICHAEL M. WEISS
74 ECO FASHION In diesem Jahr werden erstmals auch Der Projektleiter bei Mercedes
Kommunen ausgezeichnet, die mehr über die Perspektiven der
Ökologische Mode erfährt jenseits Lebensqualität für Bürger schaffen Hybridtechnologie
von Strickpullover und Jutekleid einen
enormen Aufschwung. Menschen 94 KARL SCHWEISFURTH
Food 19 ANNE FARKEN Der Öko-Pionier über Lebens-Mittel
88 UND EWIG LOCKT DAS FLEISCH ... Die Material-Expertin bei Mobilität
BMW Group DesignworksUSA
Nicht nur Tier- und Umweltschutz ver- über innovative Werkstoffe 80 PORSCHE BOXSTER 981
langen, dass wir uns von Fleischessern
zu Fleischgenießern entwickeln. 48 STEPHAN NIEHAUS Rausch ohne Reue.
Umweltkompatibel.
Architektur Der Chefdesigner bei Hilti über
intuitive Werkzeugbedienung 84 SEGELN OHNE WIND
28 GLASBAU, GLASKUNST IM BAU: Als
Baustoff und Gestaltungsmittel lässt 50 DIRK SCHUMANN Mercedes kombiniert jetzt Diesel und
Glas – außen wie innen – Beeindru- Hybrid zum sparsamsten Oberklasse-
ckendes entstehen. Der Industriedesigner über die Auto der Welt.
Inflation des Begriffs „Design“
Wirtschaft 86 DAS HYBRID-BIKE IST DA!
55 EDMUND ENGLICH
64 LOHNEN SICH ÖKO-AKTIEN? Fahrräder mit zusätzlichem
Der Bereichsleiter Design bei Loewe Elektromotor bieten mehr Spaß
Wer in Aktien investiert, kann über die wahre Funktion des Fern- und Aktionsradius.
attraktive Gewinne erzielen – wenn sehers
er die richtigen Papiere erwischt. Bei Reise-Special
Unternehmen aus Öko-Branchen ist 62 DIETER RAMS
das besonders schwierig. 99 STEIERMARK
Der Gestalter über Design als
68 „GRÜNE“ DAX-UNTERNEHMEN Denkübung und Wohnen mit Eine Musterregion nachhaltig
Margarinekisten erfahren
Zahlreiche Konzerne treiben Umwelt-
und Sozialprojekte voran – doch wie 72 BASTIAN MENESES VON ARNIM Rubriken
weit ist es mit der Ethik-Offensive
tatsächlich her? Der Kreativdirektor von DBB über 05 EDITORIAL
Ehrlichkeit in der Werbung 08 DESIGN-VISION
70 EISBERGE IM KÜHLSCHRANK 147 VORSCHAU // IMPRESSUM
78 WOLF LÜDGE
Eine Kreativ-Agentur hat für einen
Hausgeräte-Hersteller eine Kampagne Der Geschäftsführer von hessnatur
entworfen, die den Klimawandel über den Ökotrend in der Mode
im wahrsten Sinne des Wortes
vor Augen führt.
DESIGN-VISION
89
ZU VIEL EIS FÜR DIE WAHREN EISBERGE // Bilder von Eisbergen sind zu Symbolen geworden – stehen sie
doch für die Erwärmung unserer Erde, für das stete Abschmelzen der Gletscher an den Polen, für den Klimawandel und
für die Bedrohung, die davon für uns alle ausgeht. Die Aufnahme auf dieser Seite zeigt allerdings nicht vom Klimatod
bedrohte Eismassen an Nord- oder Südpol – sondern Vereisungen im Inneren eines nicht abgetauten Kühlschranks.
Sie zeigt nicht bedrohtes Eis, sondern Eis, das uns bedroht. Was es mit dieser Aufnahme und weiteren auf sich hat,
erfahren Sie auf Seite 70.
WISSEN // Neue Werkstoffe ` Innovatives Design ist eng verbunden mit der Entwicklung neuer Materialien. Und die wiederum stellen den
Gestalter vor neue Herausforderungen – vom Einsatz nachwachsender Rohstoffe über die Einbeziehung von
DESIGN / NACHHALTIGKEIT Leichtbauelementen bis hin zur Verwendung sortenreiner Werkstoffe, die die Recyclingfähigkeit enorm erhö-
hen. Eine überraschende Erkenntnis dabei: Natürliche Werkstoffe sind nicht unbedingt besser für die Umwelt
10 11
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„BlingCrete“: Die Eine Auswahl, die die
Verbindung von Ideen sprudeln lässt:
Licht und Beton – Blick in die Bibliothek
eine preisgekrönte von „raumPROBE“
Innovation, entwickelt
von Heike Klussmann
und Thorsten Klooster
Die Qual der Wahl
Aufgeschäumtes Aluminium, samtiger Beton, transluzentes Holz ... Die unendliche Fülle an
spannenden Materialien macht es schwer, das bestgeeignete zu finden. ORIENTIERUNG IM
DSCHUNGEL GEBEN WERKSTOFFEXPERTEN UND MATERIALBIBLIOTHEKEN
Manchmal, sagt Karsten Bleymehl, brauche es gar nichts von Sandra Makowski
Brandneues. Da genüge zum Beispiel schon der Hinweis auf eine
eigentlich bereits seit Langem eingeführte Technik, um einen den dafür geeigneten Werkstoff finden. „In der Bibliothek mit ihren
Klienten glücklich zu machen: Wie bitte? Keramik lasse sich verschiedenartigen Materialien kommt man schnell auf Ideen",
spritzgießen? Und dieses Verfahren könne man mit etwas Geschick erklärt Bleymehl. „Im Material-Consulting gehen wir dann über zur
auch auf das eigene Produkt übertragen? Tiefenbohrung.“ Mit einer 360°-Recherche für den breiten Überblick.
Mit spezifischen Lösungsansätzen. Mit konkreten Ratschlägen zur
Dass sich seine Kunden bei der Beratung erstaunt, ja freudig Umsetzung einer Idee. Mit hilfreichen Tipps zu Vorkommen und
überrascht zeigen, erlebt Bleymehl, Leiter der Abteilung Material Verfügbarkeit des gewählten Rohstoffs.
Research im Kölner Standort von „Material ConneXion“,
immer wieder. Durchstreift man die Gänge dieser weltweit Ein Objekt zu gestalten, dessen Oberflächen-Glanzgrad genau
ansässigen Materialbibliothek, wähnt man sich angesichts vieler dem Kundenwunsch entspricht, dessen Härte genauso stimmt wie
extravaganter Exponate eher in einer Kunstausstellung als in einer seine Ökobilanz, ist für Designer und Unternehmen schon allein
Werkstoffsammlung. In satten Farben, mit raffinierten Musterungen, angesichts der überwältigenden Fülle verfügbarer Kunststoffe –
verschiedensten Oberflächenbeschaffenheiten und Glanzgraden von Duroplasten über Elastomere bis hin zu elektrisch leitenden
hängen sie hier an den Wänden: Proben von Materialien, die am Polymeren – eine enorme Herausforderung.
laufenden Meter produziert werden können. Nur was industriell
herstellbar ist, findet Eingang in diese Bibliothek. Neuere, bessere, Orientierung in diesem Dschungel geben Werkstoffexperten und
speziellere Werkstoffe. Für Möbeloberflächen, Automobilcockpits, eben Materialbibliotheken wie die Kölner „Material ConneXion“,
Konsumgüter oder Verpackungen. Innovationen, die so aussehen, eine der weltweit acht Niederlassungen des Unternehmens. „In
als hätte der Set-Designer für „Blade Runner“ noch eine Science- unserer Bibliothek stehen die gleichen Exponate wie in New
Fiction-Raffinesse mehr ausgesponnen, aber auch einfach nur York, Peking oder Mailand“, berichtet Karsten Bleymehl. Rund
leichtere, günstigere, umweltfreundlichere Alternativen zu dem, 6.500 Proben innovativer Produkte beherbergen die Regale der
was man bereits kennt. asiatischen, amerikanischen und europäischen Sammlungen.
Und jeden Monat kommen rund 40 weitere hinzu. Biegsame
Allmonatlich entscheidet eine Jury im New Yorker Head- Bodenbeläge, die aussehen wie Beton. Leichtbauplatten aus
quarter, welche neue Keramiksorte, welches innovative Glas, Schilfrohrkolben. Kohlenstoffnegativer, also den CO2-Ausstoß
welches Hightech-Material interessant genug ist, um aufge- verringernder Zement.
nommen zu werden. Hier zahlen nicht Hersteller für den Aus-
stellungsplatz, sondern recherchierende Anwender für die In Bibliotheken wie der „Material ConneXion“ in Köln, dem
Materialfindung. Unternehmen bewerben sich mit Produktproben, Materialarchiv im schweizerischen Winterthur oder den
Rechercheure spüren neue Werkstoffe auf. Ansprechende Textilien, Sammlungen von „matériO“ in Paris, Prag, Barcelona und
elegante Verpackungselemente, futuristische Folien. Antwerpen fahnden Entwickler nach geeigneten Werkstoffen
zur Realisierung einer bestimmten Idee. Nach Oberflächen,
Wer heute als Architekt ein Haus plant oder als Produktdesigner deren Haptik unverwechselbar ist, deren Anmutung genau zum
eine Form gestaltet, muss viel über die Eigenschaften der Gesamteindruck passt, deren Färbung exakt den gewünschten
Grundstoffe seiner Entwürfe wissen. Etwa über die Biegefestigkeit Sattheitsgrad aufweist und deren Glanzstärke perfekt erscheint.
bestimmter Holzarten, die UV-Beständigkeit diverser Kunststoffe. „Man springt da oft von Ast zu Ast“, erklärt Bleymehl, der sich
Schließlich müssen Gestalter außer der Form eines Produkts auch schon in seiner Diplomarbeit auf neue Materialien spezialisiert
hat. Vorstellungen des Kunden, Vorschläge der Spezialisten,
ein spontaner Impuls beim Betrachten eines Exponats. Und
WISSEN // Neue Werkstoffe so kommt man beim gemeinsamen Gang durch die Bibliothek
12 13 oder während des Beratungsgesprächs plötzlich auf die Lösung.
Etwa darauf, dass für das Design eines Turnschuhs genau jenes
Material das richtige ist, das von seinen Entwicklern eigentlich für
die Automobilindustrie ersonnen wurde. „Dann muss man sich
nur noch trauen, es auszuprobieren", sagt der 36-Jährige, der seit
sieben Jahren im Unternehmen arbeitet.
Fachleute wie Bleymehl verschaffen ihren Kunden einen Über-
blick über die Fülle an Werkstoffen, machen Vorschläge, schließen
Ungeeignetes aus. Ihr Wissen ist gefragt, denn auch die Forschungs-
und Entwicklungsabteilung eines globalen Automobilkonzerns
braucht für zündende Ideen zur Cockpit-Gestaltung oft noch
spezielle Informationen – und der Sportschuhhersteller sucht
neben innovativen, einzigartigen Textilien, mit denen er sich
von der Konkurrenz absetzen kann, auch Materalien, die es ihm
erlauben, bei der Verpackung seiner Produkte neue Wege zu
gehen. So ersetzte beispielsweise ein großer Turnschuhproduzent
aufgrund der Ratschläge der Materialexperten seine Pappkartons
durch eine kleine Taschenkonstruktion – und vermeidet auf diese
Weise 10.000 Tonnen Kohlenstoffemissionen pro Jahr. Dass man
mit einer solchen Innovation jährlich auch 65 % Karton und
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Der gestrickte Bezug Massivholz, durch Die Designerin Elisa
des „Slow Chair“ raffinierte Einschnitte Strozyk entwickelte ihr
von Vitra ist nicht fast wie ein Textil wunderbares Material
viel größer als ein verformbar: „dukta“ selbst, schuf eine
Kinderpullover – aber interpretiert den Verbindung von edlem
extrem dehnbar natürlichen Werkstoff Furnier und Stoff:
völlig neu „Wooden Textiles“
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damit herstellungstechnisch gesehen den Energiebedarf einer Deutschland gilt im Werkstoffbereich als gut aufgestellt.
europäischen Kleinstadt sowie 1 Million Liter Wasser einspart, Institutionen wie die Max-Planck-Gesellschaften oder die
wäre ohne Beratung wahrscheinlich niemandem aufgefallen. Fraunhofer-Institute liefern hochspezialisierte Erkenntnisse zu so
Zu nahe liegt es, den vertrauten braunen Karton automatisch als ziemlich jedem Segment der verfügbaren Materialien. In einem
umweltfreundlich einzuordnen. Land, in dem der Maschinenbau zu den führenden Industrie-
zweigen gehört, steht naturgemäß auch die Werkstoffkunde gut da.
Das zeigt, wie wichtig es ist, dass ein Designer – selbst wenn er nur Beispielsweise mit den Instituten für Materialwissenschaften an
kurzlebige Konsumgüter entwirft – die ökologischen Eigenschaften der Technischen Hochschule Aachen oder an der TU Darmstadt.
der von ihm verwendeten Werkstoffe kennt. Denn Auftraggeber,
die einzig und allein an einem attraktiven, technisch ausgereiften „Auch durch die Chemieindustrie hat Deutschland im
Material interessiert sind und das Thema Umweltverträglichkeit Werkstoffbereich die Nase relativ weit vorn", sagt Nicola
völlig außen vor lassen, sind selten geworden. Auch setzt sich Stattmann. Der Chemiegigant BASF etwa gebe Gestaltern mit der
die Erkenntnis durch, dass die simple Gleichung „natürlicher „designfabrik“ einen Überblick über die Eignung seiner Kunststoffe
Rohstoff = umweltfreundliches Produkt“ falsch ist. Man beginnt und Tipps für die Suche nach der passenden Kunststoffart – zum
zu hinterfragen: Macht es Sinn, einen Baum zu fällen, um ihn Beispiel für ein medizintechnisches Produkt. Welches Additiv wie
dann direkt zu Verpackungsmaterial zu verarbeiten anstatt im wirkt, welche Kunststoffe biologisch abbaubar sind, aus welchen
Sinne einer Kaskadennutzung zuerst zu einem Möbelstück? Ist ein Spinnpolymeren sich Sportkleidung herstellen lässt: All das
Eierkarton tatsächlich umweltfreundlicher als die Konkurrenz aus können Designer bei Herstellern erfragen. Manchmal ergibt das
Kunststoff? Wie sieht das „End of Life“-Szenario eines Produktes allerdings ein ziemlich langwieriges Puzzlespiel.
aus? Was nutzt der recycelte Werkstoff, wenn CO2-Bilanz und/
oder Wasserverbrauch das vermeintlich „grüne“ Produkt genauer „Zur Inspiration kann man natürlich auch einfach durch eine
betrachtet gar nicht mehr so grün erscheinen lassen? Umfassende Materialbibliothek gehen“, sagt die Designerin, die als Gast-
Ökobilanzen mit umfangreichen Zahlenwerken gehören daher professorin unter anderem an der Bauhaus-Universität Weimar
längst zur Produktplanung. Und zum Alltag von Kreativen. und an der Kunsthochschule Kassel lehrte. „Aber wenn man für
ein Produkt recherchiert, muss man schon genau wissen, wonach
„Das Thema Ökologie ist inzwischen tief verankert", meint auch die man sucht.“ Wie will der Kunde das Material verarbeiten? Welche
Produktdesignerin Nicola Stattmann, seit Jahren spezialisiert auf Stückzahlen sind geplant? Geht es eher um eine handwerkliche
den Bereich Material. „Unternehmen wissen heutzutage, dass sie oder um eine industrielle Produktion? Oft helfe die Orientierung
Ressourcen einsparen müssen.“ Die Verwendung nachwachsender an einem Referenzprodukt, etwa an einem anderen Stuhl, der aus
Rohstoffe, Planungen mit Leichtbauelementen, die Wahl sorten- einem ähnlichen Material gestaltet ist wie das, was man sucht.
reiner Werkstoffe, die die Recyclingfähigkeit enorm erhöhen – „Sonst versinkt man.“ In einer für den Laien unüberschaubaren
all das sei längst in den Köpfen der Industrievertreter und der Vielfalt an Möglichkeiten – wenngleich Sammlungen eine erste
Verbraucher angekommen. „Vor zehn, fünfzehn Jahren war das noch Orientierung bieten.
nicht so“, behauptet sie und nennt ein Beispiel für diesen Wandel:
Während man früher ausschließlich Glasfasern verwendete, um Eine hervorragende Materiallösung für ein innovatives Produkt
die Festigkeit eines Materials zu erhöhen, ersetzt man sie heute – muss nicht unbedingt in einem innovativen Werkstoff bestehen.
wenn es passt – durch Holz- oder Flachsfasern. „Ein Material muss funktional begründet sein“, sagt die Gestalterin,
die seit Jahren immer wieder in den Jurys von Designwettbewerben
Stattmann hat sich früh auf die Werkstoffe konzentriert, aus denen sitzt, wie dem „Innovationspreis Thüringen“ oder jetzt dem
Produkte gestaltet – und mitunter revolutioniert – werden. Wer „Bundespreis Ecodesign“. Oft sind es, wie sie aus Erfahrung weiß,
erinnert sich nicht an besonders beeindruckende Oberflächen, uralte Zutaten, die, neu verarbeitet und kombiniert, bisher nicht
an kleine Veränderungen, die aus einem Alltagsgegenstand bekannte Lösungen ermöglichen. So lassen sich Form, Funktion
plötzlich ein Designobjekt gemacht haben? Etwa an die sattweiß und Eigenschaften eines Produktes neu definieren. Es entstehen
glänzende Oberfläche, mit der Apple den Laptop vom mausgrauen Fahrräder aus Bambus oder Turnschuhe wie das Modell „Flyknit“
Gebrauchsgegenstand in ein Hipster-Accessoire verwandelte. von „Nike", produziert mit einem 3-D-Strickverfahren, bei dem
Fachleute wie Nicola Stattmann müssen freilich auch Details Ösen, Polster, atmungsaktive Zonen und Verstärkungen in einem
kennen, sich im Werkstoffdschungel zurechtfinden. „Man lernt Schritt realisiert und integriert werden. Oder der Sessel „Slow
im Studium schon eine ganze Menge über Materialien“, berichtet Chair“ von Vitra. Er besteht ausschließlich aus einem filigranen
sie. Während früher häufig allein das Konzept das große Thema Rahmen und einem 3-D-Gestrick, das Sitz-und Rückenfläche aus-
gewesen sei, habe heute die Sensibilität für den Werkstoff, bildet. Minimaler Materialeinsatz, ohne Schaumstoff und andere
der die Form möglich und die Oberfläche schön werden lässt, Polstermaterialien, ergibt hier maximalen Komfort.
enorm zugenommen. Dennoch: Auch Stattmann, die Objekte aus „Sehr spannend sind zum Beispiel technische Textilien“, findet
thermisch verpresstem Naturfaserkomposit ebenso gestaltet wie Nicola Stattmann. „Man könnte heutzutage hochkomplexe
klassische Kochtöpfe, die Ausstellungen kuratiert, Vorlesungen Bauteile mit integrierten elektrischen Schaltungen, Antennen,
hält und bereits mehrere Sachbücher über Materialien verfasst Sensoren, sogar Displays aus Textilien gestalten.“ Auch Holz
hat, kommt nicht umhin, sich immer wieder neu einzuarbeiten. biete ganz neue Möglichkeiten, etwa durch die Verbindung mit
„An Kunststoffe“, sagt sie, „muss man sich zum Beispiel schon Stoff, durch den Einsatz von Leichtbaulösungen, durch neue
sehr herantasten.“ Sich einlesen in neueste Ergebnisse, sich mit Frästechniken. Eine komplexe Welt, für die man sich aus den
Herstellern absprechen, das gehört für sie zum Alltag. angrenzenden Bereichen Fachwissen an Bord holen muss. Man
WISSEN // Neue Werkstoffe
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müsse mit den Produktmanagern aus dem Haus genauso reden mehreren Werkstoffen realisierbar sind, haben Planer oft die Qual
und nachdenken wie mit Ingenieuren, mit den Zulieferern und mit der Wahl – und können sich inspirieren lassen von transluzenten
den Werkzeugbauern. „Gute Materiallösungen lassen sich nur im Bodenbelägen, von hölzernen Schallschutzplatten in knallbunten
Team entwickeln.“ Farben, von bestickten Textilien, von welligen Verbundwerkstoffen
Die Welt der Materialien wächst und wächst – und mitunter aus Holz und Acryl.
bringen einzelne, in den Medien omnipräsente Trends auch
absurde Auswüchse fernab von sinnvollem Materialeinsatz hervor: „Die Ausstellung lässt die Ideen natürlich nur so sprudeln“,
„Kürzlich sah ich einen Toilettenpapierhalter, beklebt mit einer erzählt der 38-jährige Innenarchitekt. Immer wieder gibt es
Folie im Carbon-Look mit tiefschwarzem Webmuster.“ Materialien, die selbst Experten sprachlos machen. Innovationen,
die die Bauwelt verändern, ohne dass man ihren Markennamen
Die Beratungsbranche hat auf die immer größer werdende kennt. Aufgeschäumtes Aluminium, samtiger Beton, Steine mit
Werkstoff-Welt längst reagiert. Mit international tätigen nachleuchtender Oberfläche. „Wir wollen nicht besonders viele
Unternehmen, die – wie Material ConneXion – ihren Fokus auf Werkstoffe, wir wollen das Besondere“, sagt Bäuerle, der schon
innovative Werkstoffe richten. Aber auch mit Materialbibliotheken, während des Studiums mit seiner Sammlung begann. Weil er
die sich auf regionale Kunden konzentrieren, wie etwa die erlebt, wie das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Werkstoffen
Stuttgarter „raumPROBE“. Dort können Bauherren auf gut kontinuierlich wächst, wie Studenten mit einem selbst entwickelten
500 Quadratmetern mehrere zehntausend Materialmuster Material ihre erste Firma gründen, Handwerksfirmen an innovativen
mit Auge und Hand begutachten „Wir bieten hier eine Art Werkstoffen tüfteln und Anwender – etwa im Messebau oder in der
Architektenstreichelzoo“, sagt Hannes Bäuerle, einer der Gründer Architektur – den Austausch mit der Industrie suchen, fordert er,
des Unternehmens. Da viele technische Anforderungen mit Materialien als eigene Gestaltungsdisziplin zu begreifen.
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„Bling Crete“ spielt Der israelische Hauchdünn, waschbar,
mit den Möglichkeiten Designer Tzuri Gueta aktiv leuchtend.
von Beton. Ein entwickelte das Eine Probe bei
magnetischer Material für seine „Material ConneXion“,
Richtungsanzeiger – Schmuck- und verwendbar für
auch ästhetisch Modekollektion selbst: Feuerwehrwesten
wegweisend eine Verbindung von und Joggerkleidung
Silikon und Textil
Der zunehmenden Bedeutung des Themas Werkstoffe trägt seit einen Fahrradgriff aus Kork, einem von Natur aus antibakteriellen
2003 auch die von der Messe Frankfurt und dem „Rat für pflanzlichen Werkstoff mit erstklassigen Dämpfungseigenschaften.
Formgebung“ ausgerichtete Fachausstellung „Material Vision“ Klug eingesetzte Materialien eröffnen, das weiß Kupetz aus
Rechnung, in deren Rahmen jährlich die Auszeichnung „Design Plus“ Erfahrung, enorme Möglichkeiten – gerade dann, wenn eine gute
vergeben wird – eine Wertschätzung für gleichermaßen originelle Gestaltung längst gefunden ist. „Arbeitet man beispielsweise mit
wie nützliche Ideen. Etwa für den zu 100 % aus nachwachsenden einem leichteren Material, entsteht eine ganz neue Anmutung.“
Rohstoffen und Mineralien bestehenden Bio-Werkstoff „Proganic“, Schon immer, so Kupetz, sei der Innovationsgedanke im Design eng
der sich wie ein Kunststoff verarbeiten lässt und bis zu 100 Grad mit der Entwicklung von Materialien verbunden gewesen. Beispiele
Celsius hitzebeständig ist. Oder für Paperflex, eine zu über 50 % dafür sind die Schichtholzschalen des „Eames Lounge Chair“,
aus Papier bestehende Tube. der die natürliche Maserung von Holz mit einer gebogenen Form
verbindet. Oder die Bugholz-Stühle, die Michael Thonet Mitte des
„Der Wettbewerb Design Plus ist sehr anwendungsorientiert“, 19. Jahrhunderts entwickelte, indem er eine damals neue Technik,
erklärt Andrej Kupetz, Hauptgeschäftsführer des „Rates für massives Holz unter Wasserdampf zu biegen, perfektionierte.
Formgebung“. „Wir zeichnen auch bekannte Materialien aus, wenn „Auf der Ebene der Form ist heute vieles ausgereizt. Materialien
sie in neuen Kontexten zur Anwendung kommen.“ Zum Beispiel haben gegenüber anderen Gestaltungselementen, wie Produkt-
Orientierung bieten Bibliotheken wie „Material
ConneXion“, „raumPROBE“ oder das „Material-
Archiv“. Ambitionierte Gestalter bei „BMW
DesignworksUSA“ arbeiten mit innovativen Materialien
details und Farbgebung, an Bedeutung gewonnen.“ Während die Kupetz. Die meisten der neu entstandenen Produkte seien aus
Materialwissenschaft in den 1980er Jahren für Designer auf Holz, ökologischer Sicht besser als ihre Vorläufer – zum Beispiel dank
Kunststoffe und Keramik begrenzt gewesen sei, diversifiziere sich der Verwendung leichterer Materialien. Angesichts steigender
die Welt der Werkstoffe mittlerweile immer stärker. Wer heute Kraftstoffpreise lohne sich etwa die Gewichtsreduktion von Autos.
Design studiere, lerne eben auch vieles über neue formgebende Dennoch bleibe bei vielen Leichtgewichten ein schwerwiegender
Verfahren wie 3-D-Printing – und über die dafür geeigneten Nachteil. Der Wert eines Produkts lasse sich kaum vermitteln,
Werkstoffe. wenn es zu leicht in der Hand liege. Handele es sich nicht gerade
„Was Materialien und Technik angeht, ist das Spektrum heute um ein Objekt aus dem Trendmaterial Carbon, habe es ein ähnlich
viel größer“, sagt der Industriedesigner, der zu den Mitgliedern schwieriges Image wie das Aluminiumgeld der DDR. „Da entstehen
des „European Design Leadership Board“ und zum Hochschulrat dann Akzeptanzprobleme.“
der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach gehört. „Die Entscheidend für gelungenes Design ist nicht die Verwendung
Design-Studenten werden oft selbst zu Materialforschern, die eines Modematerials. Nicht die Innovation um der Innovation
sich intensiv mit einem Werkstoff auseinandersetzen und sehr viel willen. Sondern deren gewitzter Einsatz. So finden sich unter
experimentieren.“ Und dabei immer stärker auch den Umweltschutz den Preisträgern von „Design Plus“ auch weniger Materialien,
im Auge haben. „Es gibt heutzutage eigentlich kaum noch einen die bei der NASA ersonnen wurden, als handfeste Produkte wie
Designer, der nicht weiß, wie eine Ökobilanz erstellt wird“, sagt ein Waschtisch aus Beton, Glasveredelungen aus dem Mainzer
WISSEN // Neue Werkstoffe
16 17 09
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Unternehmen Schott, feuerfeste Unterwäsche aus der Schweiz, Materialeigenschaften vor. Dann ist das natürlich eine sehr
die aus Einjahrespflanzen gewonnene, gegenüber herkömmlichen knifflige Aufgabe.“ Andere Kunden wiederum streifen auf der Suche
Platten deutlich leichtere Werkstoffplatte BalanceBoard von dem nach einer Inspiration durch die Bibliothek, haben noch keinerlei
Holzwerkstoffhersteller Pfleiderer. Oder lichtreflektierender Beton, Lösungsvorstellung. „Die erwarten von uns ein Wunder.“ Derzeit
der durch raffinierte Rasterung enorme Gestaltungsmöglichkeiten hat matériO etwa 8.000 Materialien von rund 4.500 Herstellern in
bietet und auch den iF material design award in Gold bekam. der Sammlung.
Neue Stoffe findet ihr Team oft auf Messen, und zwar nicht nur
Innovationen, die teilweise bahnbrechend sind, deren Marken- auf naheliegenden Veranstaltungen wie Möbelausstellungen.
namen man aber nicht unbedingt kennt. Und deren Neuartigkeit „Eine Landwirtschaftsmesse kann eine wahre Goldgrube sein“,
sich nicht in Nanotechnologie zeigt. Dennoch, es gibt sie auch, sagt Ternaux. Denn bestimmte technische Lösungen, mit denen
die wirklich verblüffenden Materialien. „Aufblasbares Holz“, sagt man beispielsweise Kühe auf der Weide halten kann, können
Elodie Ternaux, wenn man sie nach Dingen fragt, die sie auch nach von Architekten zweckentfremdet werden. Vorteile wie Stabilität
jahrelanger Erfahrung als Materialsammlerin noch erstaunen. „Das oder Flexibilität lassen sich mit der richtigen Idee übertragen –
ist vielleicht nicht unbedingt nützlich, aber interessant.“ Ternaux zu einem günstigen Preis. Die Technologie hinter einem Material
ist studierte Designerin und Ingenieurin. Für das internationale müsse stimmen, sagt die studierte Ingenieurin. „Doch ein Material
Unternehmen „matériO“ sucht sie nach Materialien – und nach muss immer auch sexy sein, um gesehen zu werden. Wenn es nicht
geeigneten Anwendungen für Entdeckungen. gut aussieht, erreicht man die Profis aus der Kreativbranche nicht.“
„Manche unserer Klienten haben schon eine sehr spezifische Für eine Anwendung ein gutes Material finden ist so ziemlich
Idee und legen uns eine lange Liste mit den gewünschten das Gegenteil zu einer Materialschlacht. Es geht nicht um das
09 10 11 12
Glasbausteine der Der Mineralwerkstoff Schallabsorbierend Edle Raumteiler
besonderen Art: „Fred „Pral“ ist vollständig – und schön. Geformt mit Wabenstrukturen,
& Fred“ ermöglichen durchgefärbt und durch präzise entwickelt von
wunderschöne lässt sich unter Wasserstrahlschnitte: Nimbus. Trennt
Lichteffekte. Und Wärmeeinfluss „Wave“ schont die Räume nicht nur,
gerasterte bewegte verformen – ein Ohren, gefällt den sondern gestaltet
Bilder, die über die effektvolles Augen sie auch
Module blitzen Gestaltungselement
Allerneueste, das Allerspektakulärste, sondern um die pass- so den entscheidenden Vorsprung bringen. „Wenn ein Hersteller
genaue Lösung für das betreffende Produkt. Der promovierte beispielsweise den richtigen Werkstoff für eine Kaffeemaschine
Materialwissenschaftler Dr.-Ing. Christoph Konetschny bietet sucht, möchte er sich auch auf eine gewisse ‚Markterfahrung‘ des
seinen Klienten deshalb keine Material-Bibliothek im her- Materials verlassen können.“
kömmlichen Sinn an, sondern unterstützt sie durch maß- Interessant findet der Berater die neuen Herausforderungen
geschneiderte Beratung. „Manchmal bringen Kunden eine im Kontext von Ressourcenschonung, Materialeffizienz und
umfassende Anforderungsmatrix mit“ berichtet er. Andere Nachhaltigkeit. „Hier besteht ein großer Informationsbedarf und
hingegen hätten nicht viel mehr als ein paar Schlagworte im die Nachfrage ist branchenübergreifend sehr hoch.”
Kopf. „Wir diskutieren das dann Face to Face“, sagt der Gründer
von „materialsgate“, zu dessen Kunden multinationale Konzerne Das A&O beim Winterthurer „Materialarchiv“ sind sorgfältig
ebenso zählen wie kleine Designerbüros. Mit seinem technischen aufgearbeitete Informationen. „Mit gewohnt schweizerischem
Hintergrund ist er gewappnet – selbst dann, wenn die Chefs der Perfektionismus“, so die „Architonic“, habe man dort das
Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen Angebot aufbereitet. Mit umfassendem „Materialbeschrieb“
bestens in das jeweilige Thema eingearbeitet sind und sehr in allen Datensätzen (derzeit sind es 838), mit Details zu den
spezifische Vorstellungen haben. „Ich arbeite seit 12 Jahren in hygrischen Eigenschaften, zu den verfügbaren Farbtönen,
diesem Bereich, dadurch bekomme ich von vielen Unternehmen zu Anwendungsbeispielen. Mit Plattengrößen, Bezugs-
Neuigkeiten direkt mit.“ quellen, physikalischen Eigenschaften. Hier stehen brandneue
Selbst ganz spezielle Ansprüche kann er erfüllen. „Ein Material Materialien neben uralten und natürlichen Werkstoffen.
hat sehr, sehr viele Eigenschaften“, sagt der Experte, der auch „Wir sind unabhängig“, sagt Markus Rigert, einer der Initiatoren
zur Jury der „Materialica Design Awards“ gehört, „da kommt man des Materialarchivs im Gewerbemuseum, „daher sortieren wir
mit einer simplen Katalogisierung nicht weiter.“ Sein Ordnungssinn etwa Plexiglas auch nicht unter dem Handelsnamen ein, sondern
hilft ihm. Und wenn etwa ein Kunde für eine Möbeloberfläche als Polymethylmethacrylat.“
plötzlich doch eine andere Haptik möchte, als sie der vor-
geschlagene Werkstoff aufweist? Dann findet Konetschny Im Materialarchiv dieses Museums finden sich fröhlich gemus-
rasch Alternativen – denn er weiß immer, wo er suchen muss. terte „Murrinen“ aus bunten Glasstäben. Raffiniertes Über-
Unter anderem nutzt er seine über die Jahre gewachsene Datenbank fangglas. Natürliche Farbstoffe. Details über Maulbeerseide.
mit rund 8.000 Kontakten zu internationalen Werkstoff- und Literaturhinweise zu Standardwerken über Baumwolle. Angaben
Oberflächenspezialisten. Anfragen zu neuartigen Beschichtungen zur Rohdichte von Apfelbaumbrettern oder zur Druckfestigkeit
in der Medizintechnik lassen sich damit ebensogut bearbeiten von Thuja-Holz. Zur Entflammbarkeit von Seegrasfasern, zur
wie Recherchen zu innovativen Neuerungen in der Beleuchtungs- Witterungsbeständigkeit von Schilf. Natürliche Werkstoffe wie
technik oder zu aktuellen Leichbauthemen in den Bereichen Federkielborsten aus Gänsefedern zählen ebenso zur Sammlung
Automotive, Verpackung, Sport und Gepäck. wie der hochwertige Kunststoff Ebonit oder eine Platte aus
„rezyklierten“, also recycelten Mobiltelefonen. Oder „Shredded
Obgleich Konetschny Neuentwicklungen stets im Blick hat, hält Wellies“, Matten aus geschredderten Gummistiefeln. „Das Interesse
er sie nicht immer für die beste Lösung. „Manchmal ist ein an Materialien ist sicher gewachsen“, meint Rigert. Anfang der
angeblich neues Material ja nur dadurch entstanden, dass bei 1980er etwa seien dekorative Oberflächen, eingearbeitete
einem Kunststoffgewebe eine andere Fadenstärke oder ein Ornamente unter Gestaltern noch nachgerade „tabuisiert“ gewesen.
anderer Farbton verwendet wurde“, erklärt er und weist auf die in Designer hätten sich damals auf nüchterne und funktionale
dieser Hinsicht großen Unterschiede zwischen den sogenannten Formgebung konzentriert. Das sei heute anders.
Funktionswerkstoffen und den Konstruktionswerkstoffen hin. Für das Archiv suchen spezialisierte Erfassungsgruppen nach
Graphen, CNTs, Energiespeichermaterialien oder auch OLEDs immer mehr Sorten von Materialgruppen – und für Ausstellungen
nennt er als aktuelle Beispiele für wirkliche Neuerungen im wirbt das Museum Designer an, die zeigen, was man aus einem
Bereich der Funktionswerkstoffe. innovativen Material machen kann. Etwa aus „dukta", einem
Entscheidend ist aus seiner Sicht jedoch, dass das Eigenschafts- raffiniert eingesägten Massivholz, das durch die Einschnitte
profil eines Werkstoffes die Anforderungen des Kundenprojektes beweglich wird – fast wie ein textiles Gewebe. Und so zauberhafte
in vollem Umfang trifft. Ein neues Material ist, wie er weiß, Designs ermöglicht.
nicht unbedingt das bessere. Seiner Erfahrung nach überzeugen Oft sind es aber nicht allein neue Materialien, die revolutionäre
oft bereits bekannte Materialien, die nur noch nicht in den Neuentwicklungen ermöglichen, sondern die Methoden der
betreffenden Bereichen eingesetzt wurden – Materialtransfer kann Verarbeitung. „Wir haben im Gewerbemuseum ein 500 Jahre
MENSCHEN // Interview Anne Farken
altes Kettenhemd“, erzählt Rigert, „und direkt daneben ein Rigerts persönlichen Lieblingsmaterialien gehören heute selten
lasergesintertes Modell.“ Das neue Kettengewebe sieht genau gewordene Kunststoffarten wie Ebonit, Galalith oder Kopal.
so aus wie das alte, fühlt sich auch genau so an, wurde aber im „Immer wieder sind es auch alte und hochwertige Werkstoffe,
Lasersinterverfahren aus einem Polyamidpulver generiert. „Man die mich persönlich begeistern – zum Beispiel ein japanischer
muss sich das als Gegenstück zu einer Computertomographie Mehrlagenstahl“, erzählt er. Mehrere hundert Schichten wurden
vorstellen, die Objekte werden Schicht für Schicht aufgebaut.“ früher zu einem Samurai-Schwert zusammengeschmiedet, heute
profitieren Köche von den harten Messern aus Suminagashistahl.
Besonders spektakuläre Innovationen entstehen, wie Rigert erklärt, Auch Zufallsbesucher bleiben, wie Rigert beobachtet hat, hier
von jeher aus neuen Impulsen durch technischen Fortschritt – immer besonders lange hängen. Und tragen im Gästebuch ein,
heutzutage etwa durch immer raffiniertere computergestützte dass sie eigentlich nur kurz vorbeischauen wollten, dann doch
Fertigungsmöglichkeiten. Immer wieder, sagt er, fänden sich den ganzen Tag geblieben sind und sieben Stunden lang die
Optimierungen – getrieben auch dadurch, dass Unternehmen nach Schubladen durchstöbert haben ...
nachhaltigen Rohstoffen suchten.
BILDNACHWEISE
18 19 Rigert selbst hat Innenarchitektur und Produktgestaltung studiert,
ist ausgebildeter Werklehrer – das eidgenössische Äquivalent S. 10: 01 (BlingCrete) Foto: Roman Polster // 02 (Materialbibliothek) Foto: raumPROBE
zum Kunstlehrer. Doch sein Sinn für Materialien hängt auch mit S. 12: 03 (Slow Chair) © Vitra (www.vitra.com), Design: Ronan und Erwan Bouroullec. Foto:
persönlicher Begeisterung zusammen. „In meiner Kindheit war ich
mal in der Völklinger Hütte. Dieses Eisenwerk fand ich ungemein Nicole Bachmann // 04 (dukta) Foto: dukta // 05 (Wooden Textiles) Sebastian Neeb
faszinierend.“ Das Gewerbemuseum initiierte zusammen mit der S. 14: 06 (BlingCrete: Magnetic Patterning) Klussmann, H., & Klooster, T. & Winkler, © (2010).
Zürcher Hochschule der Künste, dem Departement für Technik
und Architektur der Hochschule Luzern und dem Sitterwerk die BlingCrete / Magnetic positioning of concrete – wayfinding [computer simulation] //
Sammlung der Materialien. „Hier wird viel experimentiert, dadurch 07 Tzuri Gueta // 08 Material ConneXion // Bilderfolge S. 14/15: Material ConneXion,
kommt es immer wieder zu neuen Lösungsansätzen. Und wenn raumPROBE, Gewerbemuseum Winterthur (Foto: Michael Lio), BMW DesignworksUSA
etwas misslingt, führt das oft wiederum zu neuen Ideen.“ S. 16: 09 Foto: Studio Fred & Fred // 10 Foto: Abet GmbH // 11 u. 12 Fotos: Nimbus Group
S. 18: 13 Messe Frankfurt GmbH/„Material Vision“ // 14 Messe Frankfurt/„Material Vision“,
Foto: Johannes Roloff
Beherbergt die Wintherthurer Sammlung auch Publikums-
magneten? Ein Material, das derart spektakulär ist, dass sich alle
Besucher darauf stürzen? „Nein. Jeder unserer Besucher hat andere
Interessen, findet ein anderes Exponat besonders faszinierend",
sagt Markus Rigert. So etwas wie eine „Mona Lisa“ unter den
Materialen gebe es nicht.
Im Gegensatz zu Unternehmen wie der „Material ConneXion“ ist
das Materialarchiv nicht nur auf neue Werkstoffe fokussiert. Zu
13
13 14
Der Wettbewerb „Rapid Racer“, entstanden
„Design Plus“ im 3-D-Drucker, prämiert
prämiert exzellente bei der „Material
Materialanwendungen, Vision“, entwickelt von
wie diesen Fahrradgriff der Hochschule für
aus Kork (von Ergon) angewandte Wissenschaft
und Kunst (HAWK)
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„Materialien sind nie per se nachhaltig“
ERSTKLASSIGES DESIGN HAT IMMER AUCH MIT DEN GEWÄHLTEN MA-
TERIALIEN ZU TUN. Wer etwa Autos leichter und Flugzeuge schöner ge-
stalten will, muss viel wissen über moderne Werkstoffe. Ein Gespräch mit
der Expertin Anne Farken von BMW Group DesignworksUSA
INTERVIEW | ANNE FARKEN
pure: Ihr Unternehmen hat zahlreiche Auszeichnungen für gutes Design pure: Wie behalten Sie den Überblick über neue Werkstoffe?
gewonnen, für Züge ebenso wie für Flugzeug-Interieurs oder Röntgengeräte. Farken: Das läuft bei DesignworksUSA über viele Kanäle. Unser
Wie wichtig sind Materialien für erfolgreiches Design? neues Studio in Shanghai etwa ist eine wichtige Quelle für
Farken: Das Material und die dazu gehörigen Verarbeitungs- neues Wissen. Die industrieübergreifenden Projekte, die wir in
technologien sind ein integraler Bestandteil bei der Planung unterschiedlichen Branchen umsetzen, liefern kontinuierlich neue
eines Produkts. Für uns bei DesignworksUSA sind Materialien und Erkenntnisse. Die Studios in Europa, Asien und Amerika stehen
besonders nachhaltige Materialien vor allem ein Innovationsthema. immer im Austausch. Als Tochterfirma der BMW Group haben
Sie sind wichtig zur Inspiration, die Auswahl eines Werkstoffs wir Kontakt zu deren Materialexperten, das unterscheidet uns
ist oft grundlegend für das Konzept. Wir müssen heute bei der von anderen Designbüros. Außerdem besuchen wir weltweit
Gestaltung eines Produkts viel mehr Aspekte bedenken als früher, Fachkonferenzen. Materialbibliotheken sind auch eine wichtige
etwa soziale oder ökologische Kriterien. Da macht es natürlich Quelle für uns, besonders in der ersten Phase eines Projektes.
einen enormen Unterschied, mit welchem Material man arbeitet. Unverzichtbar ist unser Netzwerk. Nur so wird man von
Früher war die Materialberatung gegenüber dem Design der Form Materialherstellern über Neuerungen informiert, bekommt
eher nachgeschaltet. Wir sind dazu übergegangen, das von Anfang Rückmeldungen von Wissenschaftlern.
an gleichwertig zu behandeln.
pure: Wie langfristig muss man denken, wenn man mit neuen Materialien
pure: Wie findet man ein im ökologischen Sinn gutes Material? erfolgreich sein will?
Farken: Materialien sind nie per se gut oder schlecht, auch nie Farken: Das ist ganz unterschiedlich. Aktuell arbeiten wir etwa an
per se nachhaltig. Die einfache Gleichung, wonach ein natürlicher einem Projekt, bei dem ein Kunststoff komplett durch ein
Werkstoff immer besser ist, gilt leider nicht mehr. Hinzu kommen Rezyklat substituiert wird, wodurch sich die CO2-Bilanz erheblich
auch Faktoren wie regionale Verfügbarkeit oder kurze Transport- verbessert. Das spart Rohstoffe und Kosten. Aber DesignworksUSA
wege. Entscheidend ist, um welche Produktkategorie es geht. Ein beschäftigt sich auch mit der Frage, wie Mobilität in 20 oder 30
Leichtbaumaterial wie Carbon etwa ist relativ energieaufwendig Jahren aussehen wird. Wir stehen mit Wissenschaftlern in Kontakt,
in der Herstellung, aber sein geringes Gewicht und die technische da geht es um Material- und Technologie-Neuentwicklungen, deren
Performance können helfen, in der Nutzungsphase eines Autos Einsatz zurzeit noch viel zu teuer wäre. Aber man muss jetzt
Energie einzusparen und die CO2-Bilanz zu verbessern. überlegen, mit welchen Technologien oder Werkstoffen man
später Erfolg haben könnte. Oft muss man jahrelang mit dem
pure: Das heißt, Bio ist nicht immer besser? Materialproduzenten an einer Weiterentwicklung tüfteln – etwa um
Farken: Nein, man muss die Details bedenken. Naturmaterialien bei einem technisch hochwertigen Material auch die ästhetischen
haben nicht unbedingt eine bessere Ökobilanz als synthetische Werte zu verbessern.
Materialien. Die Stoffvielfalt moderner Produkte, die durch
die Globalisierung verlängerten Transportwege und die Arbeits- pure: Glauben Sie, dass das Bewusstsein für Materialien zunehmen wird?
bedingungen der Hersteller lassen kein schnelles Urteil zu. Für die Farken: Das Thema wird mit Sicherheit an Bedeutung gewinnen,
Kollegen bei unserer Mutterfirma gilt etwa, dass man nur dann schon aus wirtschaftlichen Gründen. Eine schärfere Gesetzgebung,
Biopolymere verwendet, wenn sie nicht in Konkurrenz mit der die Verknappung der Ressourcen und die damit einhergehende
Nahrungsmittelkette treten. Über Biopolymere gibt es bisher wenig Erhöhung der Rohstoffkosten – etwa für Öl, Baumwolle oder
verlässliche, das heißt transparente Daten. Solche Biokunststoffe Metalle der Seltenen Erden: All das hat einen enormen Einfluss auf
sind nicht unbedingt ökologischer als herkömmliche Kunststoffe. die Produktentwicklung. Die Unternehmen müssen sich bewegen
Man muss sich das Einsatzgebiet und die Anforderungen sehr und längerfristige Rohstoffstrategien entwickeln, um auf die
genau anschauen. veränderten Rahmenbedingungen vorbereitet zu sein.
pure: Wie viel müssen Designer über Materialien wissen? ` Anne Farken arbeitete u. a. bei „Material ConneXion“, bevor
Farken: Man muss glücklicherweise kein Physiker oder Chemiker sie 2009 zur Design- und Kreativberatung DesignworksUSA
sein. Aber man muss sich in die Materialien reindenken können, das wechselte. Bei dem Tochterunternehmen der BMW Group ist
heißt ihre chemische Zusammensetzung und die physikalischen sie für den Bereich Sustainability Design zuständig. Das interna-
Eigenschaften verstehen, um daraus Möglichkeiten zu entwickeln. tional agierende Unternehmen hat innerhalb der BMW Group
Und wissen, wie man gewisse Eigenschaften bei einem Produkt die Aufgabe, die Designteams der Mutterfirma zu inspirieren
einsetzen kann. Als Designer müssen wir zwischen den Klienten und herauszufordern. Diesem Auftrag kommt es nach, indem es
und den Materialfachleuten vermitteln, die Fachkenntnisse ver- Designprojekte in einer Vielzahl von Industrien umsetzt. Mit
schiedener Bereiche integrieren, Kompetenzen vernetzen. Yachten, Flugzeugen oder Zügen, zum Beispiel für Siemens,
gewinnt die Kreativberatung immer wieder Auszeichnungen –
auch dank innovativer Materialien und Technologien.
DESIGN // LED-Leuchten ` Mit der LED setzt sich im Wohnbereich eine Technologie durch, die jetzt auch in puncto Lichtqualität überzeugt
und nicht nur durch Energieeffizienz und Langlebigkeit. Nachhaltigkeit ist aber gerade bei Leuchten nicht nur
DESIGN / NACHHALTIGKEIT eine Frage des Leuchtmittels, sondern auch der Verarbeitungsqualität, der Materialien, des Designs
Effizienz, Energie, Design,
Licht –
die 10 wichtigsten neuen Leuchten
20 21
Alle zwei Jahre treffen sich die führenden Leuchten-Hersteller auf der bedeutendsten
Lichtmesse der Welt und präsentieren dem staunenden Publikum ihre neuesten Krea-
tionen. WIR HABEN DIE INTERESSANTESTEN, WEIL INNOVATIVSTEN MODELLE DER
DIESJÄHRIGEN LIGHT + BUILDING FÜR SIE ERMITTELT
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02
Wie erwartet stand die Light + Building in Frankfurt ganz im Zei- von Katja Neumann
chen der LED. 2.351 Aussteller aus 50 Ländern – immerhin ein
Plus von sieben Prozent – sowie 196.000 Besucher trafen sich zur ter nutzen inzwischen die geringe Größe der LED, um völlig neue
weltgrößten Messe für Licht und Gebäudetechnik und diskutierten Beleuchtungsformen zu kreieren. Aber auch in der positiv ge-
über die leuchtende Zukunft. Das Fazit: An der LED führt kein Weg stimmten Lichtbranche beherrschen trotz der großen technischen
mehr vorbei, ob im Wohnbereich oder in der Architekturbeleuch- Fortschritte nach wie vor die Themen Energieeffizienz und Nach-
tung. Denn die kleine Leuchtdiode, die besonders energieeffizient haltigkeit die Diskussion. Der nächste Schritt in Richtung energie-
und langlebig ist, hat in den vergangenen zwei Jahren erneut enor- effiziente Leuchtmittel der Zukunft dürfte die Weiterentwicklung
me Entwicklungssprünge gemacht. So besitzen LED inzwischen der OLED (organische Leuchtdioden) sein, die es zum Beispiel
eine Qualität, die mit dem kalten Licht oder den blinkenden Farb- ermöglichen werden, sogar Wände, Textilien oder Möbel aus sich
explosionen, die beim Stichwort LED noch immer vor dem Auge heraus leuchten zu lassen. Auch in Frankfurt waren bereits einige
vieler erscheinen, nichts mehr gemein hat. Selbst Hersteller, die OLED-Leuchten zu sehen, in diesem Bereich besteht aber zweifel-
vor zwei Jahren noch zurückhaltend reagiert hatten, weil der da- los noch Entwicklungsbedarf. Sollten sich die OLED allerdings so
malige Qualitätsstand der LED ihren Ansprüchen an Lichtqualität rasant entwickeln wie die LED, dürfte schon die Light + Building
nicht genügte, präsentierten nun ausgereifte LED-Lösungen auf 2014 ganz im Zeichen der organischen Leuchtdioden stehen.
höchstem Niveau.
Doch nicht nur bei der Lichtqualität, sondern auch beim Design Bis dahin aber zeigen wir Ihnen an dieser Stelle erst einmal die
der Leuchten gibt es zahlreiche Innovationen, denn viele Gestal- spannendsten Innovationen der Light + Building 2012 – von
Touch- und Gestensteuerung über faszinierende Design-Ideen bis
hin zu beeindruckenden Nachhaltigkeitskonzepten.
DESIGN // LED-Leuchten
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22 23 IN-EI EPHEMERIS
Nachhaltigkeit, Flexibilität, Design, Material und innovative Technik Wie aus einer einzigen LED-Lichtquelle das Maximum an Licht
kombinieren der italienische Hersteller Artemide und der japanische herauszuholen ist, zeigt der italienische Hersteller Artemide mit
Modedesigner Issey Miyake zu einem außergewöhnlichen Produkt. der ungewöhnlichen Leuchte „Ephemeris“: Durch die geschickte
Konzeption und Technologie der Leuchte gehen auf ein Projekt von Kombination von optischen Phänomenen und ausgewählten
Issey Miyake und seinem Forschungs- und Entwicklungsteam Reality Materialien ist es möglich, mit einer lediglich 70 Watt starken LED
Lab zurück, bei dem mit Hilfe eines auf 3-D-Geometrie basierenden einen ganzen Raum zu erhellen. Ausgehend von einer Studie zur
Mathematikprogramms Kleidungsstücke kreiert wurden. Die Fort- Optimierung von Lichtströmen gestalteten die Designerinnen
setzung dieses Prozesses findet nun Gestalt in „IN-EI“(Japanisch für Carlotta de Bevilacqua und Laura Pessoni eine Leuchte, deren
„Schattierung“). Kern des Projekts ist ein vollständig aus recycelten raffinierte Innenkonstruktion das Licht durch Spiegelung, Brechung
Materialien (PET-Flaschen) hergestelltes Gewebe. Dank einer neu- und Streuung verstärkt. Das Innenleben dieser Leuchte, das sich in
artigen Technik lassen sich bei der Produktion Energiebedarf und einem wahlweise weißen oder schwarzen Gehäuse aus geblasenem
CO2-Emissionen erheblich senken. Das Gewebe besitzt interessante Glas verbirgt, besteht aus wenig lichtabsorbierendem Methacrylat und
Eigenschaften hinsichtlich der Lichtstreuung. Es wirkt optisch fast recyceltem Aluminium mit besonders guten Reflexionseigenschaften.
wie Papier, ist jedoch so stabil, dass es keinen zusätzlichen Rahmen Nach zahllosen „Umwegen“ fällt das Licht schließlich direkt sowie
benötigt. Die mit effizienter, langlebiger LED-Technologie ausge- seitwärts durch die Öffnungen in den Raum – und erhellt ihn.
stattete Leuchtenkollektion umfasst Steh-, Tisch- und Pendel- www.artemide.com
leuchten, bei denen die harmonische Wechselwirkung von Licht und
Schatten auf mathematischen 2-D- oder 3-D-Grundsätzen basiert. ` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 2 // NACHHALTIGKEIT: 1
Bei Bedarf werden die Leuchten einfach auseinandergefaltet, die
ursprüngliche Form kann aber jederzeit wiederhergestellt werden. 04
www.artemide.com
STUDIO
` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 1 // NACHHALTIGKEIT: 1
Die neue Leuchtenfamilie von Tobias Grau besticht durch modernes,
03 zeitloses Design und große Flexibilität. Die „Studio“-Familie basiert
auf einem LED-Strahler, der für Aufputz, Einbau und Euroschiene
CHEEK MIT GESTENSTEUERUNG geeignet ist. In einer Gruppe von vier kombinierten Strahlern dient
„Studio“ als Wand-, Decken- oder Pendelleuchte und damit als
Die intuitive Steuerung von Leuchten per Berührung setzt sich immer elegante Designerleuchte für den Wohnbereich. Die standardmäßig
mehr durch. Noch einen Schritt weiter geht der Hersteller Oligo, der in die Modelle integrierte, breit strahlende Linse lässt sich mit einem
nun mehrere Leuchtenmodelle – darunter auch die Pendelleuchte einfachen Handgriff austauschen und je nach Lichtbedarf durch eine
„Cheek“ – mit einer Gestensteuerung ausstattete. Der Benutzer muss Medium- oder Spotlinse ersetzen. Ein intelligentes, formschönes
somit weder Schalter noch die Leuchte selbst berühren, es genügt Konzept, bei dem ein Strahler in vielen Varianten zum Einsatz
eine Handbewegung. Ein in die Leuchte integrierter Sensor erfasst kommt und damit fast alle Beleuchtungswünsche erfüllen kann.
alle Handbewegungen in einem Radius von etwa zehn Zentimetern. www.tobias-grau.com
Durch das Wischen mit der Hand unterhalb der Leuchte wird
diese ein- und ausgeschaltet, lässt man die Hand verweilen, wird ` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 2 // NACHHALTIGKEIT: 2
die Helligkeit entsprechend verstärkt oder heruntergedimmt.
Ausgestattet mit langlebigen LED soll sogar das Steuermodul laut
Herstellerangaben keinem Verschleiß unterliegen.
www.oligo.de
` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 3 // NACHHALTIGKEIT: 2
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FONCKEL ONE
Das erste Modell des jungen niederländischen Labels Fonckel vereint
energieeffiziente LED-Technologie, Funktionalität und intuitive
Bedienung in einer formschönen Tischleuchte. Quasi interaktiv
lässt sich die Leuchte über Berührung des Kunststoffgehäuses
steuern. Beim Streichen folgt das Licht dem Finger, zum Verbreitern
des Lichtstrahls legt man Daumen und Zeigefinger nebeneinander
und macht eine öffnende Bewegung, so als würde man das
Licht „auseinanderziehen“. Die Lichtintensität lässt sich über
Drehbewegungen einstellen – im Uhrzeigersinn wird es heller, gegen
den Uhrzeigersinn gedimmt. Zum An- und Ausschalten streicht
man der Leuchte einmal liebevoll über den Rücken. Ein neuartiges
Konzept, bei dem der Benutzer spielerisch mit der Leuchte
interagiert – und am liebsten gar nicht mehr damit aufhören möchte.
www.fonckel.com
` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 1 // NACHHALTIGKEIT: 2
DESIGN // LED-Leuchten
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CSYS
Sechs Jahre lang tüftelte der englische Designer Jake Dyson –
übrigens nicht zu verwechseln mit James Dyson, dem Staubsauger-
Revolutionär – daran, die Lebensdauer der LED zu optimieren.
Diese hat zwar mit einer durchschnittlichen Brenndauer von etwa
50.000 Stunden an sich bereits ein langes Leben, Dyson war das
jedoch nicht genug. Nun präsentiert er „CSYS“, eine Tischleuchte,
die nicht nur durch ihr Design mit Industriecharme besticht,
sondern auch durch ausgefeilte Technik. Mit Hilfe eines zusätzlichen
Rohrs im Inneren des stabförmigen Leuchtenkopfes gelang ihm eine
verbesserte Wärmeableitung, wodurch das Leuchtmittel geschont
wird und damit länger hält. Mindestens 37 Jahre lang kann man es,
wie Jake Dyson versichert, Tag und Nacht brennen lassen, bevor es
erlischt. Kaum vorstellbar – und ob es stimmt, werden wir in etwa
37 Jahren wissen. Bis dahin darf man sich an der Wartungsfreiheit
und der enormen Funktionsvielfalt der Leuchte erfreuen: Der
gerade Leuchtenkopf lässt sich an der Halterung fast völlig frei in
Ausrichtung und Höhe positionieren und passt sich flexibel den
unterschiedlichsten Anforderungen an.
www.jakedyson.com
` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 1 // NACHHALTIGKEIT: 1
08 WISSENSWERTES NR. 1
07 ›Thema Qualität
D & D (DONNA UND DONALD) Keine Ahnung, wie
lange unsere Möbel
Die LED-Pendelleuchte des Münchner Designers Ben Wirth ist halten. Uns gibt es ja
indirektes Stimmungslicht und Spotlight in einem. Möglich macht erst seit 58 Jahren.
dies ein ausgeklügeltes Gleichgewicht zwischen dem schwarzen
Leuchtenstab aus Aluminium und dem waagerecht schwebenden, Gemessen an der Evolutionsgeschichte sind 58 Jahre
runden Teller aus satiniertem Glas. Verbunden über Kupferseile sind ein Klacks. Gemessen an einem durchschnittlichen
beide Elemente stufenlos verstellbar, sie verändern ihre Positionen Sofa-Leben eine Ewigkeit. Damit unsere Polstermöbel
gegenläufig durch einen Zug an dem Leuchtenstab. Schwebt der lange Freude bereiten, fertigen wir sie mit so viel Sorg-
Teller unterhalb des Stabs, reflektiert und streut er das Licht diffus falt, dass es in der Regel Jahrzehnte dauert, bis mal ein
in den Raum, befindet er sich auf gleicher Höhe oder oberhalb des Sitzpolster erneuert werden muss.
Stabs, wird das Licht der LED zum gerichteten Spotlight.
www.benwirth.de Das ist nicht nur schön für die Besitzer, sondern
Foto: S. Naumann auch vorbildlich in Sachen Nachhaltigkeit (ein Begriff,
mit dem vor 58 Jahren übrigens nur wenige etwas
` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 2 // NACHHALTIGKEIT: 2 anfangen konnten).
08 Erst neulich hatten wir einen COR Sessel von 1972
in unserer Servicewerkstatt. Nach der Restaurierung
U-TURN war er wie neu. Und auch wenn wir keine Ahnung
haben, wann wir ihn wiedersehen: Von Qualität verste-
Der junge Designer Michel Charlot kreierte für den schweizerischen hen wir was.
Leuchten-Hersteller Belux gleich eine ganze LED-Spotfamilie, DA SITZT ALLES.
bestehend aus Lese-, Pendel-, Steh-, Wand-, Decken- und
Universalleuchten. Kernstück des Entwurfs ist ein handtellergroßer Noch mehr über die COR Qualität erfahren Sie unter
Leuchtenkopf aus Aluminium-Druckguss. In dessen Zentrum www.cor.de/innere-werte
befindet sich eine magnetische Vertiefung, die auf einen Fuß mit
einer Metallkugel gesetzt wird. Diese patentierte Kugelverbindung
ermöglicht eine leichte Bewegung des Leuchtenkopfes, er kann
auf verschiedene Arten positioniert und sogar einfach umgedreht
werden, sodass das Licht wahlweise nach oben oder unten abstrahlt.
Steuern lässt sich die Leuchte über Berührung des Randes am
runden Leuchtenkopf: Sie lässt sich dimmen, mit einem kurzen Dreh
wird der Abstrahlwinkel verstellt und sogar der Weißton des Lichts
kann von Kaltweiß bis Warmweiß geregelt werden. Durch die enorme
Flexibilität dieses Konzepts – ein LED-Leuchtenkopf ist magnetisch
mit unterschiedlichen Trägern verbunden – und das robuste Design
eignet sich „U-Turn“ sowohl für den Wohnraum als auch für den
Objektbereich.
www.belux.ch
` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 2 // NACHHALTIGKEIT: 2
DESIGN // LED-Leuchten
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09 OCCHIO: RAUMSTRAHLER PIÚ 10 FLAMA
Als Zukunftskonzept 2013 präsentiert Axel Meise mit seinem Label Von der Kerze zur LED – nicht weniger als die Evolution des Lichts
Occhio die Weiterentwicklung der Più-Strahlerserie: Ab Frühsommer vereint der spanische Designer Martin Guixé in der kleinen Leuchte
2012 sind auch Wandstrahler, Boden-, Steh- und Pendelleuchten „Flama“ für den italienischen Hersteller Danese. Sie besteht aus nur
mit der zum Patent angemeldeten 3-D-Kinematik, die eine freie drei Elementen: einer Aluminiumschale, einem LED-Modul und
Ausrichtung des Lichts erlaubt, und „Next Generation“-Power-LED einem Standfuß. Alle Bestandteile sind magnetisch miteinander
verfügbar. Die LED der neuesten Generation bieten Leistungen verbunden, sie lassen sich einfach trennen und nach Belieben neu
von 26 bis 40 Watt – was in etwa der Lichtleistung einer 200- zusammensetzen. Das LED-Modul kann per Magnet frei in dem
Watt-Halogenlampe entspricht – bei minimaler Wärmeentwicklung. Aluminium-Reflektor positioniert werden. Und im Fuß der Leuchte
Typisch für Occhio ist das modulare Prinzip: Über verschiedene verbirgt sich schließlich das evolutionäre Geheimnis: Er ist hohl
Optiken und Farbfilter kann man das Licht auch bei den Più-Modellen und lässt sich damit auch als Kerzenständer nutzen. Sollte die LED
flexibel den eigenen Bedürfnissen anpassen, die Wechselbarkeit der also in ferner Zukunft einmal verglühen und wird nicht durch eine
LED sorgt außerdem dafür, dass die Leuchten sogar mit zukünftigen neue ersetzt, so bleibt „Flama“ trotzdem bestehen – in Form eines
LED-Generationen ausgestattet werden können. Optional bietet der Kerzenhalters. Nachhaltigkeit mal anders gedacht.
Hersteller die Più-Serie auch mit berührungsloser Steuerung an. Mit www.danesemilano.com
der erweiterten Più-Serie hat Occhio erstmals ein durchgängiges und
universelles Leuchtensystem für den ganzen Raum im Programm. ` DAS PURE-URTEIL: DESIGN: 2 // NACHHALTIGKEIT: 2
www.occhio.de
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ARCHITEKTUR // Bauen mit Glas
Transzendenz durch
Transparenz
GLAS IST KEIN MATERIAL, SONDERN EINE GEISTESHALTUNG. Die Moderne nutzte es
zur vollständigen Entmaterialisierung, zur Auflösung ihrer Bauten in Licht. Aber erst
die Hypermoderne korrigiert die exaltierten Entwürfe der klassischen Moderne, bringt
Ökologie und Ästhetik in Balance. EINE GESCHICHTE DER GLASARCHITEKTUR IN DREI-
EINHALB STATIONEN
28 29
DESIGN / NACHHALTIGKEIT
` Sie sind sprichwörtlich: die Glaspaläste der Moderne. Dabei verwandeln sich verglaste Hochhäuser jeden Sommer
in Gewächshäuser und müssen aufwendig gekühlt werden. Inzwischen lassen sich Wärmeeintrag und Transparenz
aber steuern, schaltbare Gläser schotten die mehrschalige Fassade gegen zu viel Sonne ab. Fast müsste man sagen:
Es gibt kein schlechtes Glas, nur schlechte Konstruktionen. „Crystal Palace“ hieß Joseph Paxtons Londoner Ausstel-
lungshalle von 1851, Bruno Tauts Glaspavillon von 1914 wurde zum Vexierspiegel fortschrittlichster Technologien,
doch erst aktuelle Entwürfe – etwa die von Werner Sobek – verbinden Nachhaltigkeit und optische Sensation
von Dr. Oliver Herwig
LONDON, 1851. Crystal Palace, Glaspalast, hieß gänzlich unbescheiden
das zentrale Gebäude für die erste Weltausstellung, in dem das briti-
sche Empire seine überlegenen Waren präsentierte. Errichtet aus Fer-
tigteilen, Gusseisen und Glas, wuchs die 600 Meter lange Halle in we-
niger als einem halben Jahr. Sir Joseph Paxton (1801-1865), Gärtner und
Architekt, schuf damit ein Treibhaus der Moderne, das die Avantgarde
des 20. Jahrhunderts erst möglich machte. Nach dem Vorbild der goti-
schen Baumeister mit ihren himmelstrebenden Kathedralen und But-
zenscheibenfenstern hatte er – wenngleich in diesem Fall aus profanem
Gewinnstreben – die Weiheformel schlechthin eingesetzt: Transzendenz
durch Transparenz. Das bot nur Glas, jene uralte, noch immer faszinie-
rende Mischung aus Quarzsand, Soda, Pottasche und kohlensaurem
Anderthalb Jahrhunderte Kalk. Paxtons Konstruktion fand Nachahmer in Paris und München.
liegen zwischen Paxtons Neue, scheinbar schwerelose Konstruktionen wurden möglich. Waren
„Crystal Palace“ und Glas- es zunächst Markt- und Warenhäuser, so schuf die Glasarchitektur der
bauten wie dem Apple Store frühen Moderne mit Bibliotheken und Bahnhöfen die Ikonen ihrer Zeit.
in Pudong Shanghai. Geän-
dert hat sich alles – und doch Glas in der Moderne ist kein Material, sondern eine Geisteshaltung. Mit
überraschend wenig. Bereits industriell gefertigten Stoffen – Gusseisen und Glas – ließ Paxton die
der britische Architekt setzte auf Repräsentation ausgelegten Schöpfungen des 19. Jahrhunderts hin-
nämlich seinerzeit auf modu- ter sich. Sein „Crystal Palace“ strahlte von selbst, und sogar der Klassi-
lare Bauweise. Massengefer- ker Gottfried Semper schwärmte irritiert vom „glasbedeckten Vacuum“
tigte Stützen aus Gusseisen der gewaltigen Konstruktion. Glas entwickelte eine eigene Ästhetik,
und das moderne Industrie- eine eigene Formsprache. Es ging um gebaute Leichtigkeit, um greif-
material Glas erlaubten es, bare Immaterialität, ein faszinierendes Paradoxon. Paxton folgte eine
das riesige, 1851 anlässlich ganze Phalanx von Glasfanatikern, allen voran Bruno Taut. Als Stadt-
der ersten Weltausstellung baumeister von Magdeburg und Schöpfer der Waldsiedlung in Berlin-
im Londoner Hyde Park er- Zehlendorf bewies Taut, dass er die soziale Frage des 20. Jahrhunderts
richtete Gebäude in wenigen nicht durch sterile Massenwohnungsbauten, sondern durch ambitio-
Monaten auf- und wieder nierte Architektur lösen wollte. Sein eigentliches Engagement aber galt
abzubauen dem Glasbau: Insgeheim errichtete er Gebirge aus Glas und krönte im
1920 erschienen Buch „Alpine Architektur“ Berge durch kristalline Bau-
werke. Angeregt von seinem Dichterfreund Paul Scheerbart und dessen
Publikation „Glasarchitektur“ (1914) überführte er Architektur in einen
anderen Aggregatzustand, von der Realität in die zeichnerische Fiktion.
Die Bildfolge zeigt Bergspitzen mit mineralisierten Gipfelbauten, hinter
denen eine flammende Sonne steht. Architektur scheint zu schweben.
ARCHITEKTUR // Bauen mit Glas Tauts Entkörperlichung des Gebauten setzte auf optische Überwäl-
30 31 tigung. An der Grenze zur Imagination wuchs schließlich ein realer
Bau: Der Glaspavillon der Kölner Werkbundausstellung von 1914,
Glas ist das Mittel eingeweiht wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
der Wahl – ob bei der
Air-China-Zentrale in KÖLN, 1914. „Buntes Glas zerstört den Hass“: Prophetisch prangte
Chengdu (KSP Jürgen dieser Spruch auf dem Stützring des Pavillons. Architekt Bruno
Engel Architekten) oder Taut hatte diesen Showroom der Glasindustrie erst kurz vor der
bei dem Einfamilienhaus Eröffnung der Werkbundschau in Rekordzeit errichtet. Etwas ab-
D10 (Werner Sobek) seits von den restlichen Messebauten, dafür exponiert zwischen
den Kassen und dem Bahnhof der Ausstellungsbahn, avancierte
der exotische Kuppelbau zum heimlichen Wahrzeichen der Schau.
Verputztes Mauerwerk an der Basis ließ die ultraleichte Kuppel mit
ihrem stählernen Netzwerk förmlich aus dem Boden wachsen. Von
außen ahnte man das Innere mehr, als dass man es sah. Zum Ein-
gang führten Stufen wie in einen Tempel, das Innere inszenierte
Taut als Raumerlebnis: Prismatische Glasflächen schraubten sich
nach oben zu einer Kuppel, die sich bei Nacht in ein Glasprisma
verwandelte. Elektrisches Licht illuminierte den Versuchsbau mit
1000 Watt. Besucher und Architekturkritiker waren überwältigt.
Taut komponierte zum Bewegungsmuster der Besucher einen Zau-
bergarten aus Lichtreflexen, Wasserfällen und Kaskaden, ließ die
Neugierigen in den Kuppelsaal aufsteigen und gegenläufig wieder
absteigen in eine Grotte, wobei sie gleichsam durch Schichten aus
Glas diffundierten wie Photonen.
Glas war Programm. „Bei einem Gebäude dieser Art muss es darauf
ankommen, die tragende Konstruktion nicht nur der Gesamtform
möglichst leicht zu gestalten“, erklärte Taut im Bauprospekt von
1914. Mit der kristallinen Struktur des Flechtwerkgewölbes wollte
er den Geist gotischer Kathedralen einfangen, ihr Licht, ihre erha-
bene Größe und das sakrale Erlebnis des Raums. Draußen verkün-
dete derweil die Glasindustrie durch prosaische Werbebotschaften
aus der Feder des Industriedichters Scheerbart: „Das Glas bringt
uns die neue Zeit, Backsteinkultur tut uns nur leid.“ Und so war es
auch. Nicht allein die Architektengruppe „Die gläserne Kette“ mit
Größen wie Taut, Gropius, Scharoun und Poelzig machte sich da-
ran, die Architektur des 20. Jahrhunderts entscheidend zu prägen,
Glas war nicht mehr wegzudenken aus den Straßen der Großstädte
und den Villen der Avantgardisten.
Glasarchitektur zeigt im Zeitraffer die Ikonen der Avantgarde, ihr
verbindendes Thema: Wie lassen sich Baumassen entmaterialisie-
ren? Der Stoff, aus dem Architektenträume sind, glänzt verführeri-
scher denn je. Heute denkt man bei Glas vor allem an Hochhäuser,
an doppelschalige Fassaden, die dafür sorgen sollen, dass sich
die Türme im Sommer nicht in Gewächshäuser verwandeln und
im Winter zu beheizen sind. Als Mike Davis seinen Klassiker der
Stadtsoziologie „City of Quartz“ nannte, hatte er weniger die Tech-
nologie im Blick als vielmehr die Kälte und Härte amerikanischer
Hochhausfassaden. Sie sind die Kathedralen von heute. Ihr Zauber
liegt in der Wandelbarkeit der Glasfassaden – mit überraschenden
Nebeneffekten. Glas ist durchsichtig, aber nicht unsichtbar. Es ver-
spricht Transparenz, verwandelt sich aber in eine dunkle Masse,
sobald das Innere dunkler ist als die Umgebung.
STUTTGART, 1999. Den Location-Scouts sollte man gratulieren.
Mindestens ein Tatort spielte bereits hier, in diesem gläsernen Ar-
chitekturkrimi hoch über Stuttgart, diesem fein gestrickten, bis ins
letzte Detail konstruierten Stück Minimalismus: Auch ein Dutzend
Jahre nach seiner Fertigstellung wirkt Werner Sobeks Kubus avant- MATERIALKUNDE: GLAS
gardistisch, nicht von dieser Welt. Haus Römerstraße, nach sei-
ner Anschrift verkürzt R 128 genannt, entstand als emissionsfreies Wer den verschwenderischen Einsatz von Glas in der Gegenwarts-
Nullenergiehaus, als Wohnmaschine, die nichts mehr zu tun hat architektur sieht, vergisst gerne, dass dieses Material – vor allem
mit Mies van der Rohes schwebendem Farnsworth House (1946- wenn Architekten es reinweiß wünschen – immer noch teuer ist.
1950) oder den „Case Study“-Häusern der Nachkriegszeit. Effizient Bis zum 17. Jahrhundert waren seine Formate beschränkt. Damals
wie ein Getriebe, wurde das Gebäude von seinem Ende her ge- walzte man Flachglas auf Formate von 1,20 Meter auf zwei Meter
dacht. Alles ist modular aufgebaut, problemlos zerleg- und recy- aus. Erst die Floatglasherstellung revolutionierte ab 1966 die Pro-
celbar. Eine Dreifachverglasung mit Edelgasfüllung legt sich wie duktion und löste Guss- oder Blasverfahren vollständig ab. Dabei
eine Haut um etwas Stahl. Sobald die Sonne scheint, absorbieren machten sich Ingenieure die Physik zu eigen: Die 1.100 Grad heiße,
wasserdurchflossene Deckenelemente die Wärmestrahlung und teigig-flüssige Glasschmelze schwimmt wie ein Korken auf einem
befördern sie in einen Wärmespeicher, den das Haus im Winter Bad aus flüssigem Zinn. Allein die Oberflächenspannung der Ma-
anzapft. Mehr Heizung braucht es nicht. terialien sorgt dafür, dass sich glatte Oberflächen ausbilden. Das
kontinuierliche Glasband wird in einem anschließenden Kühlofen
Sobek entwarf ein begehbares Manifest, eine Hymne auf das Weni- von immer noch fast 600 Grad weiter herabgekühlt und schließlich
ger im Meer des Gebauten. Das Haus lässt sich am besten beschrei- auf Standardmaße von sechs Meter auf 3,21 Meter geschnitten.
ben, wenn man aufzählt, was es nicht hat oder worauf es bewusst
verzichtet: Es kennt weder Putz noch Estrich und vermeidet schwer SICHERHEITSGLAS
zu entsorgende Werkstoffverbunde. Es kommt ohne Schalter, Tür- ` Erhitzen und rasch abkühlen. Das ist das Geheimnis hinter
griffe und Armaturen aus, da seine Hausintelligenz auf Stimmen
und berührungslose Sensoren ausgelegt wurde. Auch „fest gemau- dem sogenannten Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG). Sobald
ert“ trifft das Ganze nicht mehr, sieht man von der Stahlbeton- die rund 600 Grad heiße Glasmasse abgeschreckt worden ist,
bodenplatte ab. Alles ist flexibel und reversibel. R 128 verkörpert wird das Material bruchsicher. Ein weiterer Vorteil: ESG zersplit-
die Apotheose der privaten Glasarchitektur. Einen Endpunkt. Alles tert nicht wie normales Glas, sondern zerbröselt regelrecht in
ist Glas, und ohne Glas nichts. Doch Sobek baut weiter. D 10 heißt stumpfe Krümel. Einen Schritt weiter geht Verbundsicherheits-
eine jüngere Schöpfung, die sich deutlicher auf große Vorbilder glas (VSG). Folien binden die einzelnen Glasschichten auch
der klassischen Moderne bezieht. Was hat sich zwischen R 128 und nach einem Unfall.
D 10 technologisch (Schwerpunkt: Glas) getan? Professor Sobek
antwortet ebenso präzise, wie er baut: „Die mit exzellenten U- und SCHALTBARE SONNENSCHUTZVERGLASUNG
g-Werten erhältlichen Glasformate sind jetzt deutlich größer als vor ` Eben noch transparent, plötzlich undurchsichtig auf Knopf-
zwölf Jahren. Darüber hinaus bietet der Markt jetzt sehr schmale
Abstandshalter an, deren Verklebung mit dem Glas zudem keinen druck: Geht so etwas überhaupt? Es geht. Schaltbare Sonnen-
weiteren UV-Schutz, also weder eine Bedruckung im Randbereich schutzverglasungen ändern ihre Lichttransmission, sobald
noch ein Abdeckprofil, benötigt. Schließlich hat die Technologie Strom fließt. Sie schirmen damit nicht nur vor neugierigen Bli-
der Schiebefenster bzw. -türen große Fortschritte gemacht.“ cken ab, indem die Scheibe opak wird, sondern dienen auch als
Sonnenschutz bei Bürogebäuden. Die bis zu zwei Meter hohen
Schwebende Transparenz: Das machte zu einem nicht geringen Scheiben lassen sich auf Knopfdruck stufenweise einfärben.
Teil die Attraktivität, den Reiz der Häuser von Mies oder Johnson Das „Econtrol-Glas“ arbeitet mit nanostrukturierter Folie und
aus. Sie kannten weder Vakuumglas noch schaltbare Gläser (sie- einer Oxidbeschichtung auf der Innenseite der Gläser, sodass
he Materialkunde im Anschluss) noch filigrane Profile. Das holte eine bläulich Färbung entsteht. Die Lichttransmission lässt sich
Sobek eben nach. Da stellt sich die Frage, ob der Stuttgarter die zwischen 15 und 50 Prozent einstellen – bei uneingeschränkter
klassische Moderne gleichsam generalüberholte? „Ich habe sie Durchsicht.
weiterentwickelt“, meint der zweifach Promovierte. „Es war mir
wichtig, beispielsweise die Prinzipien der fließenden, lichtdurch- EControl-Glas GmbH & Co. KG // Otto-Erbert-Str. 8 // D-08527 Plauen //
fluteten Räume oder des Ineinandergreifens von Außen und Innen Deutschland // Tel.: +49 (0)37 41 / 148 20-0 // Fax: +49 (0)37 41 / 148
mit avancierten Konstruktionsmethoden im Sinne eines emissi- 20-150 // [email protected] // www.econtrol-glas.de //
onsfreien, recycelbaren und Energie produzierenden Bauens zu-
sammen zu bringen.“ Und dann sagt er etwas, woran viele Kritiker SELBSTREINIGENDES GLAS
der Moderne bis heute zweifeln: „Ziel dabei ist für mich immer der ` Den Lotuseffekt kennt jeder. Doch was steckt dahinter? Wasser
Versuch der Produktion von Wohlfühlsphären, von Heimat.“
und Schmutz perlen dank spezieller Beschichtungen von Glas-
Glas = Moderne: An dieser simplen Gleichung hat sich in mehr als oberflächen ab. In den Achtzigerjahren experimentierte man im
150 Jahren nichts verändert. Noch immer drängt es die Menschen Innenbereich vor allem mit wasserabweisenden (hydrophoben)
zum Licht, noch immer suchen wir Transzendenz durch Transpa- Oberflächen. Heute steht die Kombination aus Hydrophilie und
renz. Und offenbar sind die Grenzen nicht erreicht, wenn man die Photokatalyse im Vordergrund – und zwar außen. Hydrophilie
Apple Verkaufsläden sieht, die Fortschritt durch völlige Transpa- senkt die Oberflächenspannung, ein Wasserfilm bildet sich.
renz zu erreichen suchen – in einer Air-Architecture. Glas ist Bau- Photokatalyse hingegen nutzt UV-Strahlen, um organische Sub-
stoff und Metaphysik in einem, bis hin zur gläsernen Treppe, die stanzen zu zersetzen.
nur begehen sollte, wer über eine gewisse Trittsicherheit verfügt.
ARCHITEKTUR // Glaskunst
Fließendes Licht
und gestaute Zeit
SEIT 165 JAHREN IST DIE MAYER’SCHE HOFKUNSTANSTALT am
Münchner Stiglmaierplatz der Ort, an dem Glas, Kunst und Architektur
zusammenfließen
32 33
von Dr. Oliver Herwig Oben: Tadashi Sato:
Glasmosaik, im Entste-
Ihr Blick geht nach oben, zur Decke, wo ein großer Spiegel hängt. Dann hen. Hawaii State Capi-
greift Maria Weber in die Schachtel mit zitronengelben Steinen, fischt tal. 90 m² Außenmosaik
einen heraus, kaum fingernagelgroß, und drückt ihn in die Glaszement-
masse. Unter ihren Händen wächst ein energetischer Schweif. Karminrote, (Werkstattfoto)
zitronengelbe und orange Punkte, locker auf hellblauem Grund verteilt.
Stein an Stein auf einem Straminnetz aus Glasfasern. Wie ein überdimen- Rechts: Juan Carlos
sionales Puzzle. Wieder geht ihr prüfender Blick nach oben. Ja, es passt. Macias: Glasmosaik, im
Eine ganze Phalanx aus Spiegeln läuft über dem meterlangen Werktisch Entstehen. Irving Park
zur gegenüberliegenden Wand. Mit ihrer Hilfe kontrollieren die zwei Mosa-
izisten Maria Weber und Florence Mesner (Namen von der Redaktion ge- Station, Chicago, IL.
ändert) die Gesamtwirkung des langgezogenen Glasmosaiks. 50 Meter, für CTA and Department of
die US-Army gestaltet von der amerikanischen Künstlerin Heidi Lippman. Cultural Affairs - Public
Erst aus einiger Entfernung betrachtet fügen sich Tausende von Steinen zu
einer sphärischen Welle, die sich in Abständen verjüngt und wieder auffal- Art. (Werkstattfoto)
tet, dem Doppler-Effekt nachgeahmt.
Die beiden Mosaizisten arbeiten in einer lichtdurchfluteten Werkstatt,
im Stehen, einander gegenüber. Manchmal setzt sich Maria Weber auf ei-
nen hölzernen Kasten wie auf einen improvisierten Barhocker. Bürodreh-
stuhl? Den brauche sie nicht. Sie arbeitet hier schon lange: 25 Jahre in der
Mayer’schen Hofkunstanstalt am Münchner Stiglmaierplatz.
Auf dem Tisch befinden sich wenige Kartons mit Glasmosaiken, aus denen
sie immer wieder passende Steine zieht. Ganz locker. 3.000 weitere Farb-
töne warten in nummerierten Kästen im dunklen Flur hinter der Werkstatt.
Alles handbeschriftet und historisch gewachsen. Sie haben eine eigene
Ordnung. Nummer 475 ist gerade Rot. Wenn die Schachtel aus ist, steht
475 womöglich für Gelb. An der Werkstattwand sieht man eine Art Muster-
farbskala. Ein Regenbogen. Auf der Rückseite stehen die aktuellen Num-
mern, die auf den Kästen im Gang wieder auftauchen.
Jedes Mosaik ist sichtbar gewordene Zeit. In rund 25 Stunden wächst ein
Quadratmeter einfacher Küchenfußboden, bis zu 120 Stunden verschlin-
gen Bilder von Eric Fischl. Und auch es wenn für Uneingeweihte nach Straf-
arbeit aussieht: Wie sich die Mosaizisten über ihre Werkbank beugen und
Stein für Stein zu einem Ganzen fügen, hat es doch etwas Kontemplatives.
ARCHITEKTUR // Glaskunst
34 35
Robert Wilson: 100 m
lange Glassteinwand. Detail
„Mary“ (Vollglassteine
20/20/8 cm, eingebrannte
Glasschmelzfarben,
besondere Laminiertechnik);
Stillwell Terminal Station,
Coney Island, NY;
MTA Arts for Transit
(Foto: Michael Falco)
Sie erschaffen Kunstwerke. Es gibt zwar Vorlagen, die hochvergrö- Million Quadratmeter Glasmalereien entstanden hier seit 1870
ßert und auf dem Werkstatttisch ausgebreitet werden. Doch wann für 10.000 Kirchen in aller Welt. Allein in den USA und Kanada
sie welchen Stein auswählen und wie sie ihn einfügen, bleibt den sind 3.800 Gotteshäuser verzeichnet, voller „historischer Fenster“
Mosaizisten selbst überlassen. So entsteht das Kunstwerk immer im berühmten Mayer‘schen Stil des 19. Jahrhunderts, mit weichen
neu. Maria Weber und Florence Mesner hauchen zweidimensio- Formen, lieblichen Gesichtern und aufgeladen mit Historie. Von
nalen Arbeiten Leben ein, betreiben ein Spiel von Texturen und Joseph Gabriel Mayer als Bildhaueratelier und „Kunstanstalt für
Möglichkeiten. kirchliche Arbeiten“ gegründet, wuchs das Unternehmen zu einem
führenden Anbieter für Glasmalerei und Mosaike. Mayer‘sche Kir-
40 Angestellte hat die Mayer’sche Hofkunstanstalt am Stiglmaier- chenkunst ging in die ganze Welt. 1867 wurde bereits ein „Kisten-
platz, Mosaizisten, Glasmaler, Restauratoren und Glasliebhaber, fest“ anlässlich der 10.000sten Sendung mit Statuen und Altären
wie man sonst kaum mehr findet. Sie alle verbindet eine Überzeu- innerhalb von 20 Jahren gefeiert. In den Jahren danach nahm der
gung: Die Mayer’sche Hofkunstanstalt als den Ort fortzuführen, an Handel mit Kirchenfenstern dramatisch zu – Stücke, die heute
dem seit 165 Jahren Kunst und Architektur zusammenwachsen. wieder aufwendig restauriert werden müssen und erneut in den
Ihr Medium ist Glas, zerbrechlich und doch dauerhaft. Opak und Werkstätten der Traditionsfirma am Stiglmaierplatz landen. Wie
durchsichtig. Strahlend und manchmal ganz stumpf. Rund eine ein Findling steht die Mayer’sche Hofkunstanstalt an der Seidl-
Links: Einblicke in die
Glasmalereiwerkstatt
Oben rechts: Alyson
Shotz: Glastrennwände in
den Stockwerken 4-8 und
11-21 (Spiegelstrukturen
mit schwarzen Schmelz-
farben, VSG);
Memorial Sloan-Kettering
Cancer Center (MSKCC),
NYC; Architekt SOM und
ZGF (Foto: Mike Moran)
straße, ein gegliederter Bau. Daneben wirkt die Umgebung wie der Anlage deutlich – und ihre Chuzpe. Jedes Format lässt sich hier
ein stadtplanerischer Unfall, Bürobauten belagern den Stiglmaier- zeigen und dank verschiedener Vorhänge eins zu eins darstellen.
platz. Hier haben ganze Jahrzehnte ihre Vorstellungen von moder- Eine Bühne. Hier werden seit Generationen Auftraggeber gebannt
ner Architektur entsorgt. Häuser mit glitzernden, teilverspiegelten von hinterleuchteter Kunst.
Fassaden, Fensterbändern oder strengeren Lochfassaden stehen
zusammen wie Schaulustige nach einem großen Crash. Bleiben Noch immer hat sakrale Kunst einen hohen Stellenwert im Haus,
dürfte davon das Wenigste, gewachsen scheint so gut wie nichts. doch inzwischen bilden Künstler die Hauptzielgruppe. Arbeiten für
In der Mayer’schen Hofkunstanstalt hingegen regiert Geschichte. öffentliche Orte, Kunst am Bau und Objekte für Privathäuser. Die
Schwerer. Greifbarer. Die Haustür fällt mit Nachdruck ins Schloss. Kunden, vor allem die aus dem Nahen Osten, sind immer wieder
Die Treppe zum Empfang im zweiten Stock knarrt und die Wanduhr erstaunt über die langen Wartezeiten. Glaskunst verlangt Geduld.
der Restauratorenwerkstatt hallt durch den Raum. Die Scheichs legen viel Geld auf den Tisch und erwarten, dass es
sofort geschieht. Das geht aber gar nicht. Glaskunst ist ein langsa-
Natürlich hat auch hier die Moderne Einzug gehalten. Modernes mes Geschäft, eines mit eigenen Rhythmen. Wochenlang bleiben
Floatglas wird seit 20 Jahren entwickelt, teils massive Blöcke, de- Künstler im Haus. Oben, in eigenen Appartements. Kiki Smith etwa
ren einzelne Schichten miteinander verbacken, sodass ein wun- ist regelmäßig zu Gast. Manchmal bleibt sie 14 Tage am Stück, reist
derbarer Tiefeneffekt entsteht. Schichten von Farbe hinter einem wieder zurück in die Staaten und kehrt mit neuen Entwürfen zurück
milchigen Mantel. Rund 500 Tonnen davon wurden bislang alleine an den Stiglmaierplatz. Immer wieder, bis es passt. Bis die Entwür-
in die USA verschickt. Hinter dem historischen Bau entstand dafür fe überführt sind in Kunst. Auf einem Leuchttisch wartet ein Adler
eine gläserne Werkstatt aus der Hand von Betz Architekten. Ein im Abflug auf das letzte Finish. Jeder Strich ist zu erkennen, jede
gigantischer Luftbefeuchter bläst Feuchtigkeit in die Halle, auf den Nuance. Mit der keramischen Schmelzfarbe lässt sich arbeiten wie
Tischen liegen Arbeiten von Art Spiegelman, überdimensionale mit Tusche: Könner tragen sie mit der Feder auf, lasieren und aqua-
Comic-Strips. Vier Mitarbeiter kleben Stellen ab und schablonie- rellieren, ritzen mit einem Stichel Farbflächen auf und schaffen so
ren. Alles entsteht in Handarbeit. Erst nach dem Brennen, wenn Negativbilder. Wie Kaltnadelradierungen wirken ihre Arbeiten, zu-
sich Farbschichten und Trägermaterial vollends verbunden haben, gleich filigran und kraftvoll. Hart und weich in einem. Sobald sie
kommen die leuchtenden Töne so richtig zur Geltung. Farbe sei der gebrannt sind, werden sie praktisch unzerstörbar, leuchten bis zum
Ort, an dem Bewusstsein und Universum zusammenträfen, erklärte Jüngsten Gericht, wenn das Glas zuvor nicht bricht.
Paul Cézanne an der Schwelle zur Moderne. In den Werkstätten
der Familie Mayer glaubt man verstehen zu können, was der Fran- Und wieder blicken die beiden Mosaizisten Maria Weber und Flo-
zose damit meinte. Licht und Farbe, Substanz und Entmateriali- rence Mesner nach oben. Sie suchen Abstand zum Detail. Ein
sierung: Von dieser großen Sehnsucht sprechen Kirchengläser seit Kontrollblick, eine eingeübte Geste, die viel sagt über das Arbeits-
dem Mittelalter. Über zweieinhalb Geschosse reicht die gläserne verständnis der Mayer’schen Hofkunstanstalt, wo ein Schild die
Präsentationswand im Altbau. Über sieben Meter Helligkeit. Von „werten Mitarbeiter“ höflich darauf hinweist, das Sofa neben dem
der verglasten Loge auf halber Höhe aus werden die Dimensionen Glasarbeitsplatz nicht als Materiallager zu missbrauchen.
ARCHITEKTUR // Glaskunst
Rechts: Hofansicht der
Werkstätten der Mayer‘schen
Hofkunstanstalt
Unten: Doug und Mike Starn:
„See It Split, See It Change“.
75 m lange Wände. 5-la-
gige Glasschmelztechnik und
Steinmosaik. New South Ferry
Subway Station, NY. MTA
Arts for Transit. (Fotos: Doug
and Mike Starn)
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BUCHTIPP
GLASARCHITEKTUR
` Es gibt eben doch Verbindungen zwischen Hoch- und Satzbau.
„Wir leben zumeist in geschlossenen Räumen. Diese bilden das
Milieu, aus dem unsre Kultur herauswächst. Unsre Kultur ist ge-
wissermaßen ein Produkt unsrer Architektur. Wollen wir unsre Kul-
tur auf ein höheres Niveau bringen, so sind wir wohl oder übel
gezwungen, unsre Architektur umzuwandeln“, forderte der Dich-
ter Paul Scheerbart im Mai 1914. Und er fand Gehör, weil es ihm
gelang, Baumaterialien Flügel zu verleihen. In „Glasarchitektur“
erschuf Scheerbart eine gläserne Umwelt, ein begehbares Kunst-
werk – und die Herzen der Architekten flogen ihm zu. Besonders
mit Bruno Taut entwickelte sich eine produktive Verbindung, die
1914 im Pavillon der Glasindustrie gipfelte. Gleich ob als konventi-
onelles Buch oder als Kindle-Download: Es fällt schwer, diese klei-
ne, im Mai 1914 erschienene Schrift nicht zu lieben.
Paul Scheerbart: Glasarchitektur. tredition. ISBN: 3842493061
Architektur
Ikone 01
griechisch ikóna: Bilder,
die eine Kultur prägen.
PAD
design CARLOTTA DE BEVILACQUA
DER BEGINN EINER NEUEN
LED STRAHLER GENERATION
PAD ist eine neuartige Kombination
aus Design und Innovation. Seine
Größe und Lichtleistung definieren
einen zukunftsweisenden Standard
architektonischer Beleuchtung.
So gewährleistet das Design trotz
minimaler Maße einen maximalen
Tausch an Wärme, indem neuartige
LED Muster mittels eines Keramik-
substrats in direkten Thermokontakt
mit den wärmeableitenden Flächen
gebracht werden. Informationen:
http: // www.artemide.de /pad
DESIGN // Outdoor-Möbel ` Möbel für den Außenbereich sind keine halben Sachen, sondern durch besonders langlebige Materialien ge-
gen die Witterung gewappnet. In Gestalt von handgefertigtem Flechtwerk erfährt selbst Kunststoff eine nach-
DESIGN / NACHHALTIGKEIT haltige Veredelung
38 39
01
02
Wohnen im Grünen
DER GARTEN WIRD ZUR NEUEN SPIELWIESE DER DESIGNER: Ob Patricia Urquiola, Stefan
Diez, Matteo Thun oder Ernesto Gismondi – sie alle entwerfen inzwischen langlebige Outdoor-
Produkte, die den Wohnraum auf nachhaltige Weise ins Freie erweitern. EIN KLEINER ÜBER-
BLICK ÜBER DIE SCHÖNSTEN UND WICHTIGSTEN MÖBEL UND LEUCHTEN FÜR TERRASSE
UND GARTEN
01 02 von Norman Kietzmann
IBISCUS / 2010 CANASTA / 2008 Das Wohnen ist von seltsam phlegmatischer Natur. Nur mit reichlich Mühe
Interkulturelles Sitzen: Mit „Canasta“ heißt auf Spa- lässt es sich aus seinen angestammten Bahnen lenken, um neue, unbekannte
seinem Sessel „Ibiscus“ für nisch „Korb“: Die gleich- Territorien zu erkunden. Eine Ausnahme bildet seit jeher der Garten, der schon
Moroso verband der sene- namige Gartenkollektion immer als willkommener Anlass diente, aus den häuslichen Konventionen –
galesische Designer Domi- von Patricia Urquiola für zumindest für einige wenige Stunden – auszubrechen. Dass die Sehnsucht ins
nique Pétot die grafischen B&B Italia interpretiert das Freie so alt ist wie das Wohnen selbst, liegt in der Natur der Sache. Schließlich
Muster seiner Heimat mit Geflecht klassischer Wiener wecken Mauern automatisch das Bedürfnis, auf die andere Seite zu gelangen.
den breiten Armlehnen eu- Kaffeehausstühle zu volu-
ropäischer Chester-Sessel minösen Sesseln und Sofas Komfort hieß der Gradmesser vergangener Tage, um den Unterschied zwischen
Drinnen und Draußen zu markieren. Doch wenn es nach den Möbelfirmen geht,
die derzeit mit vollem Tatendrang vom Wohnzimmer hinaus auf die Terrasse
und in den Garten steuern, bilden beide fortan eine fließende Einheit. Schluss
also mit den primitiven, weißen „Monobloc“-Kunststoffstühlen, die für wenige
Euro im Baumarkt erworben wurden. Der Garten wird mit äußerster Sorgfalt
domestiziert und zum gleichberechtigten Wohnraum aufgewertet. Ob geräu-
mige Sessel, Sofas, Teppiche, Leuchten oder Kamine: Gleich die gesamte
Wohnzimmereinrichtung wird hinaus ins Freie transferiert und erhält dort ihr
wetterfestes Pendant.
DESIGN // Outdoor-Möbel
40 41 03
Die Aufrüstung des Gartens hat längst begonnen und sorgt für eine Und doch wünschte man sich dann neben den strengen Dedon-
Verlagerung bisher gezogener Frontlinien. Denn nicht nur der Be- Modellen eine Spur Exotik. Die spanische Designerin Patricia
sitz eines Gartens und der Grad seiner Pflege gelten fortan als Sta- Urquiola erkannte dieses Bedürfnis und stellte wieder romatisch
tussymbol, sondern auch seine Möblierung. Nachdem der Garten gestaltete Möbel mit ethnischen Anklängen in die Gärten. Statt
nun also nicht mehr als exotische Insel, sondern als Erweiterung aber lediglich Möbel aus dem Innenraum mit wetterfesten Materi-
des Wohnraums begriffen wird, darf man sich dort auch keinesfalls alien neu zu interpretieren, versuchte sie, typische gestalterische
mehr auf einem „Monobloc“ sehen lassen – das wäre ja fast so, als Besonderheiten des südostasiatischen Produktionsort mit einzu-
würde man mit einem rostigen Auto zum Staatsempfang im Wei- binden. So verfügt der Sessel „Crinoline“ (2008) für B&B Italia über
ßen Haus erscheinen oder in Jeans und Turnschuhen einem Dinner eine weit aufragende Rückenlehne, die sich schützend wie ein auf-
mit der Queen von England beiwohnen. geschnittener Kokon um ihren Besitzer schmiegt. Die organische
Form des Sessels kombinierte Urquiola mit floralen Flechtelemen-
Im Garten werden auch die Spielregeln des Wohnens neu ge- ten, die nicht autark in ihrem Mailänder Studio entstanden, son-
mischt. Schließlich dürfen sich auf dem Rasen nicht nur die Besit- dern gemeinsam mit Handwerkern vor Ort entwickelt wurden. Dass
zer, sondern ebenso die Möbel ein wenig locker machen und kön- auch der Schattenwurf zum Designkriterium werden kann, zeigte
nen, ganz im wortwörtlichen Sinne, aus ihrer Haut fahren. Größe sie mit ihrer Sessel-Kollektion „Tropicalia“ (2008) für Moroso.
lautet die Waffe, mit der den neuen Gartenmöbeln die Distinktion Die gegenseitige Überlagerung farbiger Kunststoffbänder erzeugt
gegenüber ihren häuslichen Verwandten gelingt. Das Geschehen einen leuchtenden Moiré-Effekt, der mit seinem differenzierten
beherrschen plötzlich voluminöse Sessel und Sofas, die nicht als Schattenwurf die stumpfen Oberflächen des „Monobloc“ endgültig
billige Wegwerfmöbel daherkommen, sondern über breite Polster vom Rasen verbannte.
und raffiniert geflochtene Oberflächen verfügen.
Die Idee, mit der Gestaltung von Möbeln einen kulturellen Aus-
Vorreiter dieser Entwicklung war der deutsche Möbelhersteller tausch anzustoßen, diente als Leitbild der 2009 von Moroso vorge-
Dedon, der ursprünglich gar kein Möbelhersteller war. Dessen stellten Kollektion „M‘Afrique“. Deren Konzept sah anfangs so aus:
Gründer, der einstige Fußballprofi Bobby Dekeyser, machte sich Bekannte Designer wie der Niederländer Tord Boontje, Patricia Ur-
1990 Gedanken, wie man die (sonnenlicht- und seeluftbeständi- quiola sowie das New Yorker Designbüro birsel + seck entwickel-
gen) Plastikschlaufen, die in der väterlichen Fabrik in Lüneburg ten mit Kunsthandwerkern in Senegal gemeinsam neue Garten-
als Griffe für Waschmittelverpackungen hergestellt wurden, auch möbel, die im Anschluss in einer eigens von Moroso gegründeten
noch in einer anderen Branche verwenden könnte. In Südostasien Werkstatt direkt vor Ort in Dakar produziert wurden. Mit den Ar-
kam ihm dann die Idee: von Hand geflochtene Möbel. Die Mach- beiten des senegalesischen Gestalters Dominique Pétot ging das
art der Tagliatelle-ähnlichen Schlaufen aus Papas Fabrik erlaubte Unternehmen 2010 den umgekehrten Weg und vertraute erstmals
eine kompakte Flechtart, die eben nicht an Ethnomöbel erinnerte, einem afrikanischen Designer die kreative Leitung des Projektes
sondern sich ideal für die Herstellung eleganter Sessel und Hocker an. Dessen Sessel „Ibiscus“ verband ein leuchtendes Rautenmus-
eignete. Das traditionelle Korb-Flechtwerk mit seiner schrullig- ter, das typisch ist für die Textilien der Region, mit voluminösen,
altmodischen Anmutung wurde auf diese Weise zu neuem Leben zur Seite gewellten Rücken- und Armlehnen. Diese greifen mit ih-
erweckt und binnen weniger Jahre zu einem Standard, dem fast rer Silhouette jene wuchtigen Polstermöbel auf, die einst von den
alle designaffinen Anbieter hochwertiger Gartenmöbel bis zum französischen Kolonialherren ins Land gebracht wurden und bis
heutigen Tag folgen. heute einen festen Teil der Sitzkultur in Senegal bilden.
03
TROPICALIA / 2008
Licht und Schattenspiel:
Der Gartensessel „Tropica-
lia“, den Patricia Urquiola
für Moroso entwarf, er-
zeugt durch die gegensei-
tige Überlagerung farbiger
Kunststoffbänder einen
leuchtenden Moiré-Effekt
04 05 04
SWINGREST / 2012 ZOFA / 2007
Kommunikatives Schwe- Mondäner Alleskönner: Das
ben: Das „Swingrest“ des Sofa aus der Sitzmöbelkol-
französischen Designers lektion „Zofa“ von Harry
Daniel Pouzet für Dedon und Camila für Dedon um-
ist eine Mischung aus Sofa, schließt die Polster mit
Bett und überdimensionaler einem breiten Flechtwerk,
Schaukel, die Platz für bis das ein filigraner Rahmen
zu sieben Personen bietet ausbalanciert
05
DESIGN // Outdoor-Möbel
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PERGOLAS / 2011 ORSON / 2012 BITTA / 2010 TRAVELMATE / 2008
Es geht auch ohne Son- Regiestuhl für den Gar- Voluminöses Sitzen: „Mei- Das Feuer fest im Griff:
nenschirm: Das Pergola- ten: Der Entwurf von ne Absicht war es, ein Der Kamin „Travelmate“
System von José A. Gan- Gordon Guillaumier für dichtes und zugleich at- von Studio Vertijet für
dia-Blasco für Gandia Roda verbirgt seinen mungsaktives Geflecht zu Conmoto kann wie ein
Blasco verfügt über einen Klappmechanismus aus schaffen, das an die Seil- Koffer getragen werden
Rahmen aus eloxierten Teakholz unter einem tex- geflechte von Booten erin- und vermeidet mit einer
Aluminiumprofilen mit tilen Bezug, der von den nert“, beschreibt Rodolfo doppelten Sicherheitsver-
seitlichen Rollos aus Syn- Armlehnen bis zum Boden Dordoni seine Outdoor- glasung Brandspuren auf
thetikstoff hinabreicht Kollektion für Ketta dem Rasen
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EDITION OVERSCALE SOLAR / 2011
IRREGOLARE / 2011 FLAMES OUTDOOR Sonnenfinsternis auf dem
Abwechslung am Boden: Im Garten kommt es Terrassenboden: Die Au-
Die in unterschiedlich durchaus auf die Größe ßenleuchte „Solar“, die
breiten Streifen verlegten an: Die elegante Kerzen- Jean-Marie Massaud für
Dielen für den Außen- serie von Jean-Marie Mas- Foscarini entwarf, kombi-
bereich, die Matteo Thun saud für B&B Italia wird niert einen halbkugelför-
für Parador entwarf, be- mit einer Höhe von einem migen Leuchtschirm mit
stechen durch ihre natür- Meter garantiert nicht auf einer blickdichten Ablage
liche Unregelmäßigkeit dem Rasen untergehen
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TROPEZ / 2012 14 FEDRO / 2012
Weiche Landung: Die Stuhl ohne Beine: Das
Gartenkollektion „Tropez“, organisch geformte Sitz-
die der Münchner De- möbel der italienischen
signer Stefan Diez für Designerin Lorenza Boz-
Gandia Blasco konzi- zoli für Dedon ist leicht zu
pierte, verfügt über pu- transportieren und verfügt
ristische Rahmen aus dennoch über den Sitz-
Aluminium, die hinter komfort eines klassischen
voluminösen Polstern bei- Schaukelstuhls
nahe verschwinden
Dass beim Ausflug in die Natur auf Komfort nicht verzichtet wer- golare“ (2011) nimmt der gebürtige Südtiroler nicht nur die Ober-
den muss, garantiert der Einsatz voluminöser Polster. Diese um- flächen des Holzes ins Visier, er erlaubt auch eine unregelmäßige
schloss der Münchner Designer Stefan Diez bei seiner Sitzmöbel- Verlegung unterschiedlich breiter Dielen. Bei ihm darf im Frei-
Kollektion „Tropez“ (2012) für Gandia Blasco mit puristischen en also auch das Parkett ein wenig aus althergebrachten Regeln
Rahmen aus Aluminium, die hinter den großformatigen Kissen ausbrechen.
beinahe verschwinden. Selbst die seitlichen Rahmen wurden mit
Textil bespannt, um den wohnlichen Charakter des Möbels zu Damit auch nach Anbruch der Dunkelheit auf der Terrasse und im
unterstreichen und blauen Flecken keine Chance zu geben. Garten nicht vorschnell das Licht ausgeht, steht eine respektable
Auswahl an Beleuchtungen für den Außenbereich bereit. Bei der
Eine wahre Insel des Rückzugs ersann der französische Designer Leuchte „Solar“ (2011), die der französische Designer Jean-Marie
Daniel Pouzet mit seinem „Nestrest“ (2011) für Dedon, einem Massaud für Foscarini entwarf, befindet sich die Lichtquelle in ei-
geflochtenen Kokon, der sich hängend oder stehend platzieren ner transluzenten Halbkugel. Deren blickdichte Oberseite dient als
lässt und Platz für drei bis vier Personen bietet. Mit dem auf der Diffusor, sodass „Solar“ auf dem Rasen den Anschein verbreitet,
Mailänder Möbelmesse Mitte April vorgestellten „Swingrest“ wird als fände eine Sonnenfinsternis statt.
das Konzept nun räumlich erweitert. Als weich gepolsterte Insel
schwebt dieses Nest über dem Boden und kann von bis zu sieben Eine Liaison aus raffinierter Technik und inszenierter Natürlichkeit
Personen als Hybrid aus kreisrundem Sofa und überdimensionaler gelang Ernesto Gismondi 2010 mit seiner Bodenleuchte „Granito“.
Schaukel genutzt werden. Der Gründer und Inhaber des Leuchtenherstellers Artemide ließ
in alle vier Seiten eines direkt auf dem Rasen platzierbaren Kubus
Die Domestizierung des Gartens treibt der spanische Outdoormö- aus Kortenstahl einen vertikalen Schlitz schneiden. Das Licht fällt
belhersteller Kettal mit dem von Patricia Urquiola entworfenen somit auf Höhe der Grashalme aus dem Inneren der Leuchte und
„Cottage“ auf die Spitze. Dieses Himmelbett im Stil eines miniatu- verwandelt am Abend den Rasen, indem es dessen Unebenheiten
risierten Hauses dient, inmitten des Gartens aufgestellt, als Ruhe- deutlich sichtbar werden lässt, in ein Relief. Schließlich soll die
zone mit solider Bodenhaftung. „Es ist ein charmanter Ort, um zu Wildnis ja nicht vollends abhandenkommen.
entspannen, zu meditieren, sich auszuruhen oder einfach die Zeit
bei einem guten Buch verstreichen zu lassen und dabei die Luft Wer sich in puncto Outdoor-Beleuchtung mehr Romantik wünscht,
und das Licht zu genießen“, erklärt Urquiola ihren Entwurf. Dessen muss nicht gleich eine gefährlich flammende Feuerstelle vor der
Spitzdach wurde mit locker gesetzten Holzleisten beplankt, die das Terrasse entzünden. Er kann stattdessen den wie einen Koffer trag-
Sonnenlicht bis auf die Matratze im Inneren dieses Gartenbetts baren Kamin „Travelmate“ aufstellen, den die Designer von Stu-
durchlassen. Verschiedene Dachauflagen schützen das „Cottage“ dio Vertijet aus Halle 2008 für Conmoto entworfen haben. Dann
vor Wind und Regen, während ein transparenter Vorhang auch bei flackert das gebändigte Feuer harmlos hinter gläsernen Scheiben
Sonnenwetter neugierigen Blicken die Sicht verwehrt. und der Garten bleibt vorbildlich rein – so wie es sich für eine gute
Stube eben gehört.
Einen passenden Übergang zwischen Innen- und Außenraum kon-
zipierte der Mailänder Gestalter Matteo Thun mit seinen Terras-
sendielen für Parador. Anstatt die unregelmäßige Oberfläche des
Holzes durch eine Profilierung zu bändigen, lässt er die Dielen
ganz natürlich auf die Terrasse hinaustreten. Mit der „Edition Irre-
DESIGN // Werkzeuge ` Werkzeuge werden beansprucht bis ins Extrem. Bei ihrer Gestaltung spielen nicht nur ergonomische Faktoren
eine entscheidende Rolle. Für einen Dauereinsatz über Jahrzehnte müssen sie auch mit einer robusten Verar-
DESIGN / NACHHALTIGKEIT beitung und einer langlebigen Formensprache gewappnet sein
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Die Enkel des Faustkeils
WERKZEUGE WAREN DIE ERSTEN VON MENSCHENHAND GESCHAFFENEN PRODUKTE. Über
die Jahrtausende wurden aus dem Faustkeil hochkomplexe Geräte. DURCHDACHTES, AN-
WENDUNGSORIENTIERTES DESIGN MACHT SIE ZU WEITESTGEHEND SELBSTERKLÄRENDEN
ARBEITSMITTELN, DEREN HANDHABUNG MAN RASCH BEHERRSCHT
Wo gehobelt wird, fallen nicht nur Späne. Mit ihren Klingen, Zacken von Norman Kietzmann
und pistolenartigen Griffen verwandeln Werkzeuge jede Baustelle
in eine paramilitärische Übungszone. Die formale Nähe von Werk- nach dem Material, aus dem sie jeweils gefertigt waren – Stein,
zeugen und Waffen ist kein Zufall, entspringen sie doch denselben Bronze oder Eisen – ganze Epochen benannt wurden.
Wurzeln. Den Auftakt machte vor rund zwei Millionen Jahren der
Faustkeil. Dieses erste vom Menschen entwickelte Werkzeug ließ Mit dem Übergang von der Stein- in die Bronzezeit verlor der
sich äußerst vielseitig verwenden: Mit ihm konnte geschnitten, ge- Faustkeil seine Bedeutung. Das steinerne Universalwerkzeug wich
hackt, geschabt oder geschlagen werden. An der Spitze eines Pfei- nun einer Vielzahl spezialisierter Produkte aus Metall – von der
les wurde es zur tödlichen Waffe, die selbst auf Distanz ihre Kraft Axt über das Messer und den Hammer bis hin zur Säge. Nicht nur
zu entfalten vermochte. Weil sie dem Menschen ermöglichten, sei- die Präzision der Werkzeuge selbst nahm weiter zu. Auch deren
ne körperlichen Fähigkeiten zu erweitern, wurden Werkzeuge zum Griffe wurden von Generation zu Generation verbessert, bis sie
Motor der Zivilisation. Sie spielten eine so zentrale Rolle, dass schließlich optimal in der Hand lagen. Dieser kontinuierliche Ent-
wicklungsprozess war entscheidend. Wurde doch zum Beispiel der
Griff einer Axt, der durchaus als Archetypus ergonomischer Perfek-
tion gelten kann, nicht etwa von einer einzelnen Person ersonnen. 01
Er ist vielmehr das Ergebnis einer kollektiven Erfahrung, die über FESTOOL
Jahrtausende gesammelt und weitergegeben wurde. Dübelfräse „DOMINO XL
Auch heutige Werkzeuge sind ihren historischen Vorgängern kei- 02
neswegs unähnlich. Gewiss, viele von ihnen werden längst nicht FESTOOL
mehr von Muskelkraft, sondern von Motoren in Bewegung ver- Getriebe-Exzenterschleifer „ROTEX RO 90 DX“
setzt. Doch die Dimensionen der Hand und die Physiognomie des
menschlichen Körpers sind noch immer die entscheidenden Para- Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo Handwerker ihre wenigen
meter, nach denen sie entworfen werden. Trotz ihres mitunter recht Werkzeuge zumeist eigenhändig anfertigten und deshalb genau
martialischen Aussehens sind Werkzeuge alles andere als technoi- wussten, wie diese zu handhaben waren, ist man in der heutigen
de Maschinen. Sie dienen als mechanische Verlängerung der Hand Arbeitswelt oft mit einer Vielzahl an komplexen Geräten konfron-
und verleihen der Person, die sie zu benutzen weiß, schier über- tiert, deren Bedienung man erst erlernen muss – aber das soll frei-
menschliche Kräfte. lich möglichst schnell gehen. „Niemand liest auf einer Baustelle
eine Bedienungsanleitung“, argumentiert Stephan Niehaus. Des-
Anders als Waffen brauchen Werkzeuge keine Tarnung. Im Gegen- halb kommt, wie er sagt, dem Design hier in erster Linie eine er-
teil: Sie tragen oft ein farbig-leuchtendes Gewand, durch das sie klärende Funktion zu. Im Idealfall macht es sowohl der Fachkraft
gleich ins Auge springen, statt sich hinter Camouflage zu verber- als auch dem ungelernten Arbeiter innerhalb weniger Sekunden
gen. „Das Design muss über die verschiedenen Kulturkreise hinaus verständlich, wie das betreffende Werkzeug zu halten ist, welche
klar zum Ausdruck bringen, was ein bestimmtes Gerät ist, was es Funktion seine verschiedenen Knöpfe und Schalter haben usw.
kann und worin seine Innovation liegt“, erklärt Stephan Niehaus,
Chefdesigner beim Liechtensteiner Werkzeughersteller Hilti. Werkzeuggestaltung ist also viel mehr als Formgebung. Sie nimmt
ihren Auftakt in einer präzisen Beschreibung der späteren Funkti-
on. Lange bevor die Designer mit dem Entwerfen beginnen, bege-
ben sich Ergonomie-Experten vor Ort und schauen den Arbeitern
über die Schulter. Auf der Basis von Gesprächsergebnissen oder
Videoaufzeichnungen analysieren sie dann im Detail den prakti-
schen Gebrauch von Werkzeugen und leiten daraus Verbesserungs-
möglichkeiten ab, die wiederum in konkrete Anweisungen an die
Designer einfließen: Wie lang oder breit ein Griff sein muss, auf
DESIGN // Werkzeuge
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03 09
ATLAS FESTOOL
Elektronik-Schrauber „Tensor ST Stichsäge „CARVEX PS 400“
04 10
METABO FESTOOL
Akku-Handkreissäge „KSA 18 LTX“ Akku-Bohrschrauber „CXS Li 1,5 Set“
05
METABO
Akku-Heckenschere „AHS 36 V“
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METABO
Elektronik-Schrauber „SE 4000“ und
Schrauber-Magazin „SM 5-55“
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BOSCH
Akku-Gartensäge „Keo“
für einhändiges Arbeiten
08
BOSCH
Akku-Bandsäge
„GCB 18V-LI Professional“
welcher Höhe er positioniert werden muss oder wie sich die Verlet- Auf der anderen Seite muss die Gestaltung Kraft, Dynamik und
zungsgefahr durch optimierte Handhabbarkeit vermindern lässt. Innovation zum Ausdruck bringen, um Vertrauen in die Zuverläs-
Auch regionale Unterschiede spielen beim Entwerfen einer Schlag- sigkeit und die Leistung eines Werkzeuges zu wecken. Und ja: Das
bohrmaschine oder eines Trennschleifers eine Rolle. Wird in Ame- Design muss auch begeistern können – genau wie die Hülle eines
rika beim Häuserbau vor allem mit Holz gearbeitet, kommt in Eu- Fahrzeuges. Dass diese Mischung aus Understatement und Verfüh-
ropa weit häufiger Beton zum Einsatz. „Das hat zur Folge, dass die rung bei den Produkten von Hilti gelungen ist, bestätigte die Jury
Werkzeuge unterschiedlich ausgelegt werden müssen hinsichtlich des „Red Dot Awards“ 2010: Sie wählte Stephan Niehaus und seine
ihrer Leistungsabstufungen und ihrer Getriebezusammensetzung, zwanzigköpfige Mannschaft zum Designteam des Jahres.
um in diesen sehr unterschiedlichen Anwendungen möglichst effi-
zient arbeiten zu können“, erklärt Stephan Niehaus. Vor allem kör- Freilich haben auch andere Werkzeughersteller die zentrale Bedeu-
perliche Größenunterschiede sind aus Sicht der Ergonomen von tung des Faktors Design erkannt. So entwickelte das deutsche Un-
Bedeutung. Zu berücksichtigen ist beispielsweise, dass etwa die ternehmen Metabo 2006 in Zusammenarbeit mit Porsche-Design
Hand eines Japaners von kleinerem Ausmaß ist als die eines Ka- den Multihammer „P‘7911“, der mit Hilfe eines puristisch gestalte-
nadiers. Ein Werkzeug, das auf dem Weltmarkt Erfolg haben soll, ten Aluminium-Handgriffs Profi-Qualitäten in den Heimwerkerbe-
muss so gestaltet sein, dass es Benutzer mit großen wie mit klei- reich transferiert. Anders als normalerweise üblich, wurde hier der
nen Händen gleichermaßen gut bedienen können. Griff an der Werkzeugoberseite angebracht, sodass die Maschine
unter der Hand des Anwenders eine stabile Position hat und da-
Vierzehn Monate bis sechs Jahre nimmt die Entwicklung eines durch leichter zu handhaben ist. Dieser Produktentwicklung ging
neuen Werkzeugs in Anspruch. Das Ziel: Nicht nur die Mechanik eine von Metabo in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage voraus, in
im Inneren soll für den dauerhaften Einsatz in Extremsituationen der jeweils 1.000 Personen in Deutschland, Frankreich, Großbri-
gewappnet sein. Auch die äußere Hülle muss der Abnutzung des tannien, Spanien und Tschechien befragt wurden. Das Ergebnis:
Materials standhalten und in ihrer Formensprache Beständigkeit Mehr als 70 Prozent bekannten, dass das Design beim Kauf eines
zeigen. „Unsere Produkte dürfen nicht schon nach zwei, drei Jah- Elektrowerkzeuges eine wichtige Rolle spiele und sie bereit wären,
ren veraltet aussehen, selbst wenn sie irgendwann Patina anset- für eine höhere Gestaltungsqualität auch einen höheren Preis zu
zen und zerkratzt und verdreckt auf der Baustelle liegen“, ist sich bezahlen.
Niehaus bewusst. Als einziger Hersteller bietet Hilti eine Garantie Auch der baden-württembergische Werkzeugentwickler Festool
von 30 Jahren auf Material- und Herstellungsfehler und übernimmt sorgt mit seiner Designstrategie für Aufsehen. Er wurde im Novem-
innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren ab Gerätekauf selbst ber 2011 bei der Verleihung des „Plus X Award“ als „Innovativste
Reparaturen an der Mechanik. Marke des Jahres“ ausgezeichnet. Der Innovationspreis für Produk-
„Das alles macht den Designprozess erst professionell und unter- te aus den Bereichen Technologie, Sport und Lifestyle, seit 2004
scheidet ihn vom Styling. Styling ist etwas, was in unserem Bereich in insgesamt 23 Kategorien verliehen, stellt Festool in eine Reihe
tödlich wäre. Wir versuchen immer, einen Mehrwert zu erzeugen“, mit Marken wie BMW, Kenwood oder Olympus. Werkzeuge, so die
definiert Stephan Niehaus den Anspruch, die beiden Gegensät- Botschaft, müssen sich in puncto Designqualität nicht vor Autos
ze unter einen Hut zu bringen. Auf der einen Seite dürfen, so der oder anderen Alltagsgegenständen verstecken. Im Gegenteil: Gera-
Chefdesigner, die Werkzeuge nicht modisch sein, um nicht schon de ihnen gelingt es häufig, Ergonomie, Benutzerfreundlichkeit und
nach wenigen Jahren als veraltet und damit als leistungsschwach coole Gestaltung vorbildlich in einer robusten Hülle zu vereinen –
oder womöglich gar als gefährdend wahrgenommen zu werden. weshalb sie auch einen Designpreis nach dem anderen absahnen.
MENSCHEN // Interview Stephan Niehaus
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HILTI
Bolzensetzgerät „DX 76 PTR“
12
HILTI
Meißelhammer „TE 805“
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HILTI
Diamant-Kernbohrsystem „DD 150-U“
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Mit Werkzeugen Geschichten erzählen
SEINE ENTWÜRFE SIND NICHT AUS PAPPE, SONDERN WOLLEN DURCH JEDE WAND UND
JEDES BRETT: Seit 2003 gibt Stephan Niehaus als Chefdesigner des Liechtensteiner Werkzeug-
herstellers Hilti Bohrmaschinen, Sägen usw. ihr markantes Aussehen und hat dabei immer im
Blick, wie wichtig gute Gestaltung gerade bei so vielseitig eingesetzten Geräten ist. Das über-
zeugte auch die Jury des Essener Red Dot Awards. Sie wählte Niehaus und seine Mannschaft
2010 zum „red dot: design team of the year“. DER 43-JÄHRIGE ÜBER INTUITIVE BEDIENUNG,
KAMERAS AUF DER BAUSTELLE UND DIE ENTSCHEIDENDEN SIEBEN SEKUNDEN
pure: Herr Niehaus, Sie arbeiten in einem Produktbereich, den viele wohl pure: Nach welchen Kriterien gehen Sie beim Entwurfsprozess vor?
kaum mit Design in Verbindung bringen würden. Warum spielt gute Niehaus: Das sind sehr unterschiedliche Aspekte. Natürlich hat das
Gestaltung auch bei Bohrmaschinen und Meißeln eine so entscheidende Design zum einen ganz klar den Auftrag, die Marke zum Ausdruck
Rolle? zu bringen und das Werkzeug eine Geschichte erzählen zu lassen
Niehaus: Design ist im Bereich der Werkzeuge schon lange ein im Sinne von „Ich bin das leistungsstärkste, kompakteste und
bedeutendes Thema. Denn unsere Kunden sind sehr designaffin, langlebigste Produkt am Markt“. Auf der anderen Seite soll das
auch wenn sie sich dessen mitunter gar nicht bewusst sind oder Design das Produkt rational erklären: Um was für ein Gerät handelt
es nicht immer zugeben wollen. Werkzeuge sind für sie wie Autos es sich? Wie wird es betätigt und worin liegt seine Innovation?
oder Möbel völlig alltägliche Dinge, mit denen sie jedoch sechs, All das muss über die verschiedenen Wahrnehmungskanäle – also
sieben, acht oder neun Stunden am Tag arbeiten. Von daher ist die über das, was ich von einem Produkt sehen, fühlen oder hören
Gestaltung solcher Arbeitsgeräte zweifellos ein ganz wesentlicher kann, wenn ich es in die Hand nehme und den Motor anlaufen
Punkt, um Werte zu erzeugen – auf der rationalen ebenso wie auf lasse – schon innerhalb der ersten sieben Sekunden zum Ausdruck
der emotionalen Seite. gebracht werden.
„Unsere Kunden sind sehr
designaffin, auch wenn sie
sich dessen mitunter gar
nicht bewusst sind oder
es nicht immer zugeben
wollen“, erklärt Hilti-
Chefdesigner Stephan
Niehaus
INTERVIEW | STEPHAN NIEHAUS
pure: Also geht es um ein intuitives Produktverständnis? pure: Wie entwickeln Sie die Griffe, damit sie in der Hand eines Japaners
Niehaus: Ja, absolut. Für unsere Zielgruppe, die sich aus genauso gut liegen wie in der eines Deutschen?
vielen unterschiedlichen Kulturkreisen und Berufszweigen Niehaus: Mit Ergonomie setzt sich eine eigene Abteilung in unserem
zusammensetzt, muss das Design die wichtigen Geräte- Haus auseinander. Die Grundvoraussetzung, um Griffe hinsichtlich
Informationen so aufbereiten, dass unsere Kunden sofort den ihrer Querschnitte, Länge, und Position zu beschreiben, ist auch
richtigen Schalter für die gewünschte Funktion auswählen. hier das genaue Wissen um den Arbeitseinsatz. Wenn mit einer
Niemand liest heute eine Bedienungsanleitung, die irgendwo im bestimmten Säge zum Beispiel primär auf Augenhöhe gearbeitet
Koffer mit beigelegt ist. Hinzu kommt, dass auf vielen Baustellen wird, müssen der Front- und der Haltegriff in einem anderen
qualifizierte Facharbeiter genauso wie ungelernte Hilfsarbeiter Winkelverhältnis zueinander stehen als bei einer vergleichbaren
tätig sind. Sie alle müssen mit denselben Geräten arbeiten, Säge mit derselben Motorleistung, die jedoch über den Boden
beherrschen aber häufig nicht dieselbe Sprache. Von daher ist es geführt wird. Aus diesen Anwendungsprinzipien leitet die
enorm wichtig, dass die Produkte intuitiv genutzt werden können. Ergonomieabteilung das Grundkonzept der Handhabung ab, das
wir dann im Design bis in die Details umsetzen. Die Unterschiede
pure: Woher wissen Sie, ob eine Form tatsächlich so verstanden wird, wie zwischen einem präferierten und einem nicht tolerierten Griff-
Sie es sich vorgestellt haben? umfang liegen dabei im Bereich von wenigen Millimetern – und
Niehaus: Indem wir die Kunden kennenlernen und ihnen zuhören. können beim Profi-Handwerker durchaus über den Erfolg eines
Wir haben im Direktvertrieb rund 200.000 Kundenkontakte pro Produktes entscheiden.
Tag auf den Baustellen. Die Ergebnisse aus diesen Kontakten
werden direkt an die Entwicklungsabteilung und zu uns ins pure: Dürfen Werkzeuge schön sein?
Design weitergeleitet. Auch beobachten wir die Kunden, indem Niehaus (lacht): Schönheit ist hier ein netter Nebeneffekt, steht
wir im Rahmen von Applikationsstudien auf der Baustelle eine aber ganz klar nicht im Fokus des Entwicklungsprozesses. Wenn
Videokamera mitlaufen lassen. Unsere Designer können somit Werkzeuge schön sein sollen, dann im Sinne ihrer Anwendung.
die tatsächlichen Verbesserungspotenziale analysieren. In einem Das könnte korrelieren mit Attributen wie kraftvoll, ausdauernd,
weiteren Schritt befragen wir die Kunden direkt und kommen so zu robust oder handlich – also mit dem, was unsere Klientel in einem
einer Gesamterkenntnis, die wir dann in das Design transferieren. solchen Produkt auch wiederfinden möchte. Wir selbst sprechen
Um herauszufinden, ob unsere Interpretation die richtige ist, gehen eher von haptischer Zuverlässigkeit oder visueller Dynamik, das
wir anschließend mit Prototypen und Funktionsmodellen erneut heißt von Dingen, die nicht als ästhetisch wahrgenommen werden,
zu unseren Kunden und befragen sie. sondern als ausdrucksstark und charaktervoll.
MENSCHEN // Interview Dirk Schumann
INTERVIEW | DIRK SCHUMANN
Der Designer muss Visionär sein
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DESIGN BESTIMMT UNSER LEBEN IN DER FORM VON GEGENSTÄNDEN, DIE WIR TÄGLICH
BENUTZEN – von der Zahnbürste bis zum Wasserglas, von der Heizungsregelung bis zum Sport-
gerät. Was zeichnet die Designer aus? Wie entsteht aus einer ersten Idee ein fertiges Produkt?
Der Designexperte Elmar Schüller im Gespräch mit dem Industriedesigner Dirk Schumann (im
Bild links) ÜBER DIE INFLATION DES DESIGNBEGRIFFS, SPAZIERGÄNGE IM WELTALL UND
WEGE ZU EINER NACHHALTIGEN GESTALTUNG
pure: Herr Schumann, der Begriff „Design“ ist derzeit in aller Informationsüberflutung kommen. Die Geräte müssen absolut
Munde. Können Sie sich als Industriedesigner überhaupt noch mit ihm ergonomisch und klar strukturiert sein. Auch sollten die Formen
identifizieren? und Materialien die Intelligenz eines Produktes transportieren.
Schumann: Das Wort „Design“ wird mittlerweile sehr inflationär
verwendet. Verbraucher verbinden mit ihm heute besondere pure: Wie geht das Entwerfen eines neuen Produktes vor sich?
Vorstellungen, die seine eigentliche Bedeutung leider zunehmend Schumann: Am Anfang steht immer ein gemeinsames Briefing,
verwässern. Gerade Industriedesign ist nicht so glamourös, wie bei dem Marketing, Engineering sowie Design die jeweiligen
es in den Medien oft erscheint. Es ist ein vielschichtiger Beruf, Zielsetzungen und Produktionsmöglichkeiten festlegen. Dann
der vor allem eine Dienstleistung für die Industrie darstellt, bei beginnt die eigentliche Arbeit mit dem Suchen und Finden von
der es nicht in erster Linie auf die schöne Form, sondern auf die Ideen, die sich oftmals auch aus anderen Industrie- und
Konzeption eines Produktes ankommt. Produktionsbereichen herleiten lassen. Der nächste Schritt liegt
in der Visualisierung dieser Ideen anhand von Skizzen, die durch
pure: Wie weit reicht der Wirkungskreis eines Designers? weitere Selektionsprozesse in ihrer Form konkretisiert werden.
Schumann: Der Designer arbeitet auf vielen Ebenen – bis in Darauf folgt die Visualisierung in fotorealistischen Darstellungen
die Psychologie hinein. Gegenüber dem Marketing und der am Computer und schließlich in dreidimensionalen Modellen. In
technischen Entwicklungsabteilung eines Unternehmens erfüllt der Phase des Modellbaus erfolgen oft wichtige Korrekturen, da
er eine vermittelnde Funktion. Er ist aber auch Erfinder, der neue unsere dreidimensionale Wahrnehmung wesentlich komplexer ist
Konstellationen aus Formen, Materialien und Funktionen knüpft, und Fehler leichter erkennt als die zweidimensionale Darstellung.
aus denen wieder neue Produkte entstehen. Vor allem jedoch muss Nach einer weiteren Korrekturphase erfolgt die Umsetzung des
er Visionär sein, damit er sich bereits am Anfang Dinge vorstellen Entwurfs in präzise Geometriedaten, die als Grundlage für das
kann, die schlussendlich in eine industrielle Fertigung münden Engineering dienen. In enger Abstimmung mit den Ingenieuren
sollen. entsteht dann das finale Produkt.
pure: Der Designer hat eine geniale Idee und entwirft dann einen Stuhl, pure: Design ist auch ein Spiegel unserer Kultur. Bei einem Film können
auf dem man nicht sitzen kann. Spaß beiseite: Welche Forderungen stellen wir anhand von Kleidung, Autos oder Interieurs feststellen, wann und
Sie an nachhaltige Gestaltung? in welchem Land er gedreht wurde. Wie geht der Industriedesigner mit
Schumann: Ich arbeite zum Beispiel in der Medizintechnik. modischen Strömungen um?
Hier kann die Gestaltung eines Operationsinstrumentes unter Schumann: Für mich muss gutes Design modern, aber nicht
Umständen über Leben mit entscheiden. Es darf zu keiner modisch sein. Die Geräte der Firma Stiebel Eltron, für die ich seit