Kragstuhl-Museum
Wer ganz tief in die Materie
tauchen will: Am Firmensitz
in Lauenförde unterhält der
Hersteller TECTA ein eigenes
Kragstuhl-Museum. Die um-
fassende Dokumentation – wie
der „hinterbeinlose Stuhl“ das
Licht der Designwelt erblickte
und sich dann zum federnden
Freischwinger wandelte.
www.kragstuhlmuseum.de
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MART STAM MARCEL BREUER MART STAM EILEEN GRAY EILEEN GRAY
CLASSICON –
THONET (1926) THONET (1929/30) THONET – S 43 (1931) CLASSICON – NON CONFORMIST
Ab 1925 experimentierte Mart Diese Entwürfe sind die am Karg, schön – der Überklassiker (1926)
Stam mit Gasleitungsrohren, die meisten produzierten Stahlrohr- unter den Freischwingern ent- BONAPARTE (1935) Eileen Gray kommen-
er mit Flanschen verband, und Klassiker. Ihre wichtigsten Merk- stand überraschend lange nach Ein Polstersessel, massiv, aus- tierte ihr Werk ganz
entwickelte daraus erstmals in male: die konstruktive Form Stams Erstentwurf der Bauweise ladend – im Zusammenspiel pragmatisch selbst: „Eine
der Möbelgeschichte das Prinzip und die ästhetische Verbindung von 1926. Der S 43 wurde erst- mit einer Stahlrohrkonstruk- Armlehne wurde wegge-
frei kragender Stühle, die nicht von Stahlrohr, Holz und Rohr- mals 1931 präsentiert – in tion. Diese Kombination aus lassen, um dem Körper
mehr auf vier Beinen ruhten. Da- geflecht. Der Entwurf fällt in maximalem Minimalismus mit Leichtigkeit und Bequemlich- mehr Bewegungsfreiheit
mit war ein Konstruktionsprinzip Breuers fruchtbare Berliner Jahre Formholzschalen für Sitz und keit wurde von Eileen Gray zu lassen und ihm zu
geschaffen, das im Zusammen- 1928 bis 1931, in denen er sich, Rücken. Thonet baut das Modell ursprünglich als Salonmöbel erlauben, sich nach vor-
hang mit der durch Bauhaus am Bauhaus ausgeschieden, als seit über 75 Jahren. In diesem konzipiert. Die Schöpferin fand ne zu beugen oder sich
und moderne Architekturtheorie Architekt wie als Innenarchitekt Jahr in einer Sonder-Edition an- ihr Stück jedoch so angenehm, uneingeschränkt auf die
geforderten formalen Zurückhal- selbstständig machte, eine Reihe lässlich 90 Jahre Bauhaus, unter dass sie es jahrzehntelang als andere Seite zu drehen.“
tung zu einem wichtigen Bau- Interieurs realisierte und zahl- der Flagge „Classics in Colour“ Schreibtischsessel in ihrer Pa-
stein in der Geschichte des mo- reiche Möbel entwarf. – von „tomato red“ bis „chocolate riser Wohnung an der Rue
dernen Möbeldesigns wurde. brown“. Bonaparte verwendete.
Marcel Breuers entscheidende Geburtsimpulse wurden von den zu schaffen und die Rechtsfrage gerade auch im Hinblick auf das
zeitgenössischen Gerichten weitgehend ignoriert – sein Anteil an Verhältnis zu den Bauhausmeistern befriedigend zu lösen. Es wur-
der Urheberschaft der Bauform ist jedoch unter Kunsthistorikern den anscheinend für jeden Einzelfall und jeden Meister separat
unbestritten groß. Wer noch eine Schicht tiefer ansetzt – bei den Vereinbarungen getroffen oder nicht getroffen. Deshalb verbietet
multiplizierenden Möbel-Herstellern –, der steht in einem Wald sich auch eine schematische Betrachtung, die alle Angehörigen
von Urteilen. Aus unterschiedlichen Zeiten und mitunter sogar nur des Bauhauses in gleicher Weise behandelt. Insbesondere kann
exemplarisch gültig für gegrenzte Regionen dieser Erde. Jahrzehn- aus der bisherigen Rechtsprechung nicht der Grundsatz abgelei-
telang prozessierten Firmen um Lizenzen und Nachbaurechte. Was tet werden, dass alle von Bauhausangehörigen erstellten Produkte
vor allem für Verwirrung beim Konsumenten sorgte, der auf der immatieralgüterrechtlich dem Bauhaus zuzuordnen seien.“
Suche nach „dem Original“ war. Ein Lehrstück für Design-Schutz:
Wie man es nicht machen sollte. Wer an die Wurzeln des Kon- Rückkehr zum Anfang – und der Versuch eines Fazits: Wer alle Fak-
fliktes geht, entdeckt, dass aller Konflikt durch die unterschiedli- ten zusammenfügt, muss eine seltsam intensive, kreative Spreng-
chen Charaktere der Schöpfer begann. In seiner Forschungsarbeit kraft spüren – und sie auf die Zeit schieben. Inklusive aller Wirren.
„Das Bauhaus und die Verwertungsrechte“ konstatiert Sebastian Denn rund 90 Jahre später ist es ein zutiefst subjektives Unterfan-
Neurauter, dass gerade Marcel Breuer „zwar am laufenden Band gen, ein modernes, fabrikneues „Original“ unter den Stahlrohr-
geniale Formgestaltungen hervorbrachte, sich in rechtlichen Klassikern zu finden. Zu viele Billigheimer haben den Markt und
Dingen aber zu naiv verhielt“. Währenddessen Stam für gewiefte das Vertrauen in die Konstruktion verdorben. Wer die guten Her-
Möbelhersteller eine rechtliche Lücke gelassen habe, „durch die steller herausfiltern will, sei, auch auf die Gefahr hin, dass es banal
Nichtanmeldung seiner ersten Freischwingermodelle“. Das Ober- klingt, daran erinnert: Die wirklich wertvolle Re-Edition eines Klas-
landesgericht Düsseldorf holte 2002 zur großen Schelte aus: „Zu sikers entstammt einer etablierten, hochwertigen Handfertigung –
bedenken ist aber, dass es dem Bauhaus bis in seine Spätphase und muss ihren Preis haben. Ist das Angebot so günstig, dass man
offensichtlich nie gelungen ist, effiziente Produktionsbedingungen es nicht glauben kann – sollte man es auch nicht glauben.
INTERVIEW // Thorsten Muck
46 47 pure: Herr Muck, Sie lösen als neuer Geschäftsführer Peter Thonet ab,
ein Mitglied der Gründerfamilie, sozusagen einen „echten Thonet“. Ist das
Lebendige Tradition: Was mehr Belastung oder Chance?
einst bei Thonet erfunden Thorsten Muck: Das Besondere an der Situation ist eigentlich
wurde, wird immer noch in das Unternehmen selbst. Die Marke Thonet, die schon fast 200
bester handwerklicher Tra- Jahre alt ist – und natürlich gehört dazu auch die Familie. Wenn
dition im heimischen Werk jetzt mit Peter Thonet die fünfte Generation in den Ruhestand
in Frankenberg gefertigt. gegangen ist, dann ist das sicher ein besonderer Moment. Für mich
So entstehen Werte „made persönlich ist es aber auch eine große Freude, für diese Ikone der
Möbelgeschichte arbeiten zu dürfen.
in Germany“.
Was macht den besonderen Reiz eines Unternehmens mit einer so langen
Tradition aus? Und schränkt das Ihren Handlungsspielraum nicht ein,
weil Sie mit Rücksicht auf den historischen Kontext vieles von dem nicht
wagen können, was ein junges Unternehmen vielleicht völlig unbeschwert
riskiert?
Ich finde Grenzen besonders spannend, da sie einen dazu anhalten,
mehr nachzudenken als bei beliebig herrschendem Freiraum. Diese
Limitierung ist hier sicherlich größer als an anderen Stellen, da wir
uns genau überlegen müssen, wer wir eigentlich sind und welche
Schritte demnach zu uns passen.
Was ist Thonet?
Wir verstehen uns als Kulturträger. Aus dem, was wir in der
Bugholz- und Bauhaus-Zeit geleistet haben, sind kulturelle Beiträge
geworden, die ganze Design-Epochen bestimmten. Das gilt es zu
bewahren – und gleichzeitig behutsam weiterzuentwickeln. Insofern
befinden wir uns gerade in einer Phase der Selbstreflexion: Was ist
eigentlich unsere DNA? Das müssen wir verdichten, als Fundament
annehmen und uns von da aus nach vorne bewegen.
Wir erleben eine Renaissance des Stahlrohr-Möbels und zugleich eine
Neuinterpretation. Welche neuen Ideen bringen Sie in den Klassiker?
Wir bewegen uns da zwischen zwei Polen. Zum einen blicken
wir zurück an den Anfang, indem wir zum Beispiel bei den
Stahlrohrgestellen wieder die Farben aufgegriffen haben, die den
Beginn der Bauhaus-Zeit markieren. Die Gestelle waren nämlich
„Am Anfang war der Wunsch nach neuen
Formen“
WACHABLÖSUNG AN DER SPITZE DES TRADITIONSUNTERNEHMENS: Der neue CEO Thorsten
Muck über die spezielle Herausforderung von Thonet, archetypische Formen des guten Sitzens
und alte Klassiker mit neuen Funktionen
FRAGEN AN THORSTEN MUCK
zunächst farbig, dann vernickelt und erst danach verchromt. Mit technologischen Innovationen nur gekommen sind, weil sie die
der Lackierung sind wir also wieder am Anfang angekommen, Formensprache gefordert hat. Am Anfang war der Wunsch nach
wobei wir nicht nur Farben aus der Bauhauszeit aufgegriffen haben, neuen Formen – erst dann kam die Technologie.
sondern auch zeitgenössische.
Viele denken ja, es war umgekehrt ...
Welche sind die Original-Bauhausfarben? ... wenn wir in Innovationen und Materialien denken, müssen wir
Das Weiß, das Schwarz und das Tomatenrot. Das Senfgelb oder uns deshalb zunächst fragen, wie die neue Form sein soll, damit
die Grautöne sind hingegen von unserem Designteam ausgesucht wir wissen, ob und welche neuen Technologien wir überhaupt
und mit einer Trendscoutin abgestimmt, damit wir noch sicherer benötigen.
wurden in unserer Entscheidung.
Fehlen damit der Möbelbranche nicht Innovationen als Motor der
Was macht den Reiz und die Unvergänglichkeit der Stahlrohrmöbel aus? Weiterentwicklung?
Ich glaube, dass es archetypische Formen des guten Sitzens sind. Wir beschäftigen uns mit neuen Kunststoffen, anderen Formen
Und alles, was archetypisch ist, kann man kaum verunstalten. des Verarbeitens, der Metallbearbeitung, um zu sehen, welche
Die klassischen Formen sind so gut, dass sie uns ungeheure Möglichkeiten uns das bietet. Oft kommen wir dennoch mit der
gestalterische Spielräume bieten. Wir können mit Mustern, Gewissheit zurück, dass die vorhandenen Formen bereits so gut
mit Ornamenten oder Materialien spielen, ohne die Form zu sind, dass sich jede Veränderung erübrigt.
verletzten. Das ist wirklich beeindruckend. Je länger wir uns damit
auseinandergesetzt haben, desto bewusster wurde uns das. Was dürfen wir von Thonet in den kommenden Jahren erwarten?
Wir besinnen uns behutsam auf uns selbst und entwickeln uns
Sie sprachen von zwei Polen. Wohin geht also die entgegengesetzte von da aus weiter. Wir werden uns aber auch verjüngen und
Richtung der Weiterentwicklung? Designklassiker für andere Anwendungsbereiche öffnen. Und Sie
Wir nehmen alte Entwürfe, zum Beispiel das Sideboardprogramm werden auch ganz neue Entwürfe von uns sehen ...
von Marcel Breuer, die Garderoben oder den Sekretär, und
interpretieren sie neu, indem wir etwa diese Klassiker mit Thorsten Muck (46) // Der gebürtige Iserlohner startete seine
Funktionen anreichern, die wir heute brauchen. Wie man den Karriere nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften in
Sekretär beispielsweise mit einem Kabelmanagement-System Bochum wieder in der Heimat beim Armaturen-Spezialisten
kombiniert – darüber musste man sich in den 20er Jahren des Grohe. Nach mehreren Stationen bei Grohe wechselte Muck
vergangenen Jahrhunderts noch keine Gedanken machen. 2004 als Geschäftsführer in die Lichtbranche, der er auch bis
ins letzte Jahr hinein treu blieb – zuletzt als Geschäftsführer von
Die Thonet-Produktentwicklung war auch das Ergebnis neuer Erco. Seit September 2013 leitet er als CEO Thonet, wo er zu-
Möglichkeiten in der Materialbearbeitung – erst der Möglichkeit, vor schon im Beirat tätig war. Zu den Hobbys des zweifachen
Holz zu biegen, dann Stahlrohr. Mit diesen Innovationen hat Thonet Familienvaters zählen neben seinem Beruf Squash, Golf und
Designgeschichte geschrieben. Was ist davon noch da, gibt es diesen Snowboarding.
technologischen Vorsprung noch?
Beide Technologien sind bei uns noch vorhanden, sowohl das
Holz- wie das Stahlbiegen. Wichtig zu wissen ist auch, dass diese
MENSCHEN // Designer Peter Maly
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01
Möbel als Teamplayer
PETER MALY BLICKT ÜBER DEN TELLERRAND HINAUS. Noch bevor der Hamburger Desig-
ner und Innenarchitekt seine ersten Möbel entwarf, inszenierte er für die Zeitschrift „Schöner
Wohnen“ ganze Wohnwelten vor der Kamera. Später wurde er nicht nur erster Artdirector der
deutschen Einrichtungsbranche. Er entwarf auch Möbel, Leuchten und Objekte als räumliche
Teamplayer, die die Zeit überstehen.
/ 01
IN EINER SERIE STELLT PURE DIE WICHTIGSTEN
HAKAMA / 2012
ZEITGENÖSSISCHEN DESIGNER VOR Die Entwicklung dieses
Esstisches für Conde House
Peter fiel mit der Atomkatastrophe
Maly von Fukushima zusammen.
Warum der Entwurf dennoch in
Produktion ging, erklärt Peter
Maly: „Indem der Tisch so
kraftvoll wie ein Samurai steht,
sollte er den Überlebenswillen
der Japaner ausdrücken.“
DESIGN Von Norman Kietzmann
/
Die meisten Designer entwerfen Solitäre. Sie wissen, worauf es
N A C H H A LT I G K E I T bei der Produktentwicklung auf technischer, handwerklicher und
stilistischer Ebene ankommt. Doch der Blick auf die Gesamtheit
des Interieurs gehört eher zur Ausnahme. Für Peter Maly liegt
Die Möbel von Peter Maly sind keine do- genau darin der Schlüssel zu seiner Arbeit. Lange bevor der stu-
mestizierten Egomanen. Sie sind Teamplayer, dierte Innenarchitekt seine ersten Möbel entwarf, konstruierte er
die sich dem Modischen entziehen und zu- ganzheitliche Wohnwelten. Zugegebenermaßen waren es keine re-
sammen mit anderen Dingen eine stim- alen Räume. Es waren idealisierte Räume auf Zeit, in denen er die
mige Einheit bilden. Mit ihren zeitlosen, Qualitäten des Wohnens wie in einem Forschungslabor ergründen
konnte.
archaischen Formen sind viele seiner
Arbeiten zu Klassikern geworden Szenenwechsel nach Böhmen: In der Stadt Trautenau betrieb die
und werden bis heute produ- Familie Maly bis in die Vierzigerjahre ein Schneideratelier mit Dut-
ziert. zenden von Gesellen. Der junge Peter Maly, Jahrgang 1936, ver-
brachte viel Zeit in der Werkstatt und war vor allem vom spielend
leichten Zuschnitt der großen Stoffbahnen fasziniert. Ob bewusst
oder unbewusst: Er bekam ein Gespür für Stofflichkeit und Materi-
alität und entwickelte eine Intuition fürs Machen. Nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs wurde die Familie vertrieben und landete
in der hessischen Provinz. Dass die Flüchtlinge im Ort als Fremde
behandelt wurden, nahm Peter Maly auf seine Weise und vertiefte
sich ins Zeichnen und Malen. „Im Wald baute ich geheime Hütten –
Sehnsüchte nach einem eigenen Zuhause“, gab er später in ei-
nem Interview mit Josef Kremerskothen zu Protokoll, dem früheren
Chefredakteur der Zeitschrift „Schöner Wohnen“.
MENSCHEN // Designer Peter Maly
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Nachdem er eine Tischlerlehre absolviert und anschließend in Det- ler Tecta, der heute vor allem für seine Reeditionen von Bauhaus-
mold Innenarchitektur studiert hatte, bewarb sich Peter Maly 1960 Klassikern bekannt ist. Im Jahr 1967 indes standen die Zeichen
bei der Hamburger Wohnzeitschrift. „Ein Freund von mir hatte eine ganz auf Pop. Und so brachten die Kleinschränke und Tische der
Anzeige gesehen, in der sie einen Innenarchitekten suchten. Ich Kollektion „Serie 1“ eine kräftige Portion Farbe in die deutschen
hatte auch meine theoretische Abschlussarbeit zum Thema Wohn- Wohnzimmer – ein Thema, mit dem sich Peter Maly mit der von
50 51 zeitsc hriften g eschrieb en. Das passte also gut.“ Danach ging alles ihm entwickelten Farbskala für „Schöner Wohnen“ zur selben Zeit
ganz schnell. Er wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und ebenso intensiv auseinandersetzte.
auf Anhieb eingestellt – seinem zeichnerischen Talent sei Dank.
„Ihre perspektivischen Darstellungen können wir ja drucken!“, lau- Dass aus seinen Designerambitionen tatsächlich mehr wurde, ver-
tete das Urteil der Redaktion. Und so begann der frischgebackene dankt er den Schwesterunternehmen interlübke und COR. Über 40
Innenarchitekt seinen Werdegang als Illustrator. Jahre währt die Zusammenarbeit, die zunächst mit der Gestaltung
von Ausstellungen und Messeständen begann. Maly war zu dieser
Heft für Heft dachte er sich neue Wohnthemen aus und setzte die- Zeit noch Redakteur und entwickelte quasi nebenbei die Idee zu
se zeichnerisch um. „Peter Maly‘s Skizzenbuch“ hieß die Rubrik, einem Sessel. Als er COR-Chef Helmut Lübke die Skizzen zeigte,
die über mehrere Jahre erschien und eine eigene Ästhetik ins Heft sagte dieser sofort zu. „Ich war selbst überrascht, wie einfach das
brachte. „Die ganze Doppelseite war gezeichnet. Aber es lagen im- ging“, erinnert sich Peter Maly, dessen Entwurf 1969 unter dem
mer Bleistifte, Buntstifte oder Radiergummi auf dem Blatt. Die ha- Namen „Trinom“ in Produktion genommen wurde. Nach zehn Jah-
ben wir einfach mitfotografiert.“ Der Charme der Darstellung lag ren bei „Schöner Wohnen“ fällte er eine Entscheidung: Er hängte
im leicht Unfertigen. So als hätte man jemandem beim Arbeiten seinen Posten an den Nagel – wenngleich er der Zeitschrift als frei-
über die Schulter geschaut. Rund drei Millionen Leser verfolgten er Mitarbeiter verbunden blieb – und gründete 1970 sein eigenes
Malys monatliche Wohntipps, die stets praxisnahe Lösungen auf- Studio für Design und Innenarchitektur in Hamburg.
zeigten. „Noch heute sprechen mich die Leute drauf an. Aber ich
habe dann irgendwann aufgehört, weil es zu einer regelrechten Seine Erfahrungen beim Inszenieren von Wohnwelten konnte er
Belastung wurde, jeden Monat etwas Neues zum selben Thema nicht nur unmittelbar übertragen. Sie standen anfangs sogar weit
abzuliefern“, begründet Peter Maly seinen Richtungswechsel. vor dem Design, als er für die Unternehmen interlübke, COR und
Tecta primär die Funktion eines Artdirectors erfüllte. Peter Maly
Das Thema, dem er sich fortan umso intensiver widmen sollte, inszenierte die Fotoaufnahmen für Anzeigen und Kataloge, plante
war die fotografische Inszenierung vor der Kamera. Im Fotostudio Messestände und Ausstellungen und griff in die Sortimente der
wurden ganze Wohnungen im Maßstab 1:1 aufgebaut, wofür den Unternehmen ein, indem er die Arbeit anderer Designer koordi-
Redakteuren eine Mannschaft von Handwerkern, Malern und Ku- nierte und Farben und Materialien aufeinander abstimmte. „Ein
lissenbauern zur Seite stand. Für Peter Maly war es eine Spielwiese Produkt muss sich in eine Vielzahl von anderen Elementen ein-
ganz nach seinem Geschmack. „Ich habe unglaublich viel gelernt. ordnen können. Wenn es ein zu starkes Eigenleben hat, kann es
Denn anders als in der Praxis konnten wir immer korrigieren. Wenn kaum mit anderen Dingen zusammen funktionieren. Auch darf der
die Decke zu hoch war, hängten wir sie einfach etwas tiefer. Wenn Mensch nie zur Staffage werden“, bringt Peter Maly seinen An-
die Wandfarbe doch etwas zu dunkel erschien, wurde noch einmal spruch auf den Punkt.
drübergestrichen. Normalerweise entscheidet immer der Kunde,
was gemacht werden darf und was nicht. Doch hier gab es keinen Erst Mitte der Achtzigerjahre, nachdem der für COR entwickelte
Kunden. Ich konnte machen, was ich wollte“, erinnert sich Maly mit Sessel „Zyklus“ (1983) ein internationaler Erfolg wurde, rückte die
leuchtenden Augen. Möbelgestaltung in den Vordergrund. Es folgten Entwürfe wie der
Schrank „Facades“ (1987) für Christine Kröncke, der Stuhl „737“
In dieser Zeit intensivierte sich sein Kontakt zur Industrie. Schließ- (1994) für Thonet oder der Sessel „Wave“ (2003) für Tonon. Den-
lich wurden die inszenierten Wohnwelten mit realen Produkten noch ließ es sich Peter Maly nicht nehmen, seine Entwürfe stets
möbliert. Das erste Unternehmen, für das Peter Maly in die Rolle fotografisch und innenarchitektonisch in Szene zu setzen. „Das
des Gestalters schlüpfte, war der niedersächsische Möbelherstel- räumliche Denken, das Architektur-Denken und das Möbel-Denken
02
ZYKLUS / 1984
Kurvig: Der Sessel „Zyklus“ wird seit
30 Jahren von COR produziert und
gilt als Ikone des deutschen 80er-
Jahre-Designs. Als Vorlage diente ein
Puppensessel, den Peter Maly für
seine Tochter angefertigt hatte.
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CIRRUS / 1992
Wandelbar: Die Rückenlehne des
Sofas „Cirrus“ von COR lässt sich
im Winkel von 90 Grad zur Seite
schwenken. Für einen dynamischen
Auftritt sorgt die gewölbte Sitzfläche.
04
TISCH M70 / 1976
Geometrisch: Der Tisch „M70“ von
Tecta wird von schwarz lackierten
Eisengestellen getragen, die einem
großen Vorbild Peter Malys Referenz
erweisen: dem Wiener-Werkstätte-
Vorreiter Josef Hoffmann (1870-1956).
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KAMINBESTECK / 1997
Puristisch: Einen Schürhaken, eine
Schaufel und eine Holzzange umfasst
das Kaminbesteck aus Edelstahl
von Conmoto. Für eine angenehme
Haptik sorgen Griffe aus echtem
Leder.
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WAVE / 2003
Schwungvoll: Der organisch
geformte Sessel von Tonon kann
als Einzelmöbel frei im Raum
stehen oder zu einer unendlich
verlängerbaren Anbaubank
aneinandergereiht werden.
07
MALY BETT / 1983
Schwebend: Das „Maly-Bett“ von
Ligne Roset ist ein Klassiker, der
bis heute produziert wird. Markant
sind die umlaufenden Ablageflächen
aus Holz mit angebauten
Schwenktabletts.
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CONCENT / 2012
Zeitlos: Ein kraftvoller Rahmen
verleiht dem Klavier „Concent“
von Sauter Tiefe und Struktur.
Die darin eingefasste Front tritt
09 ohne Schnörkel und Details in den
Hintergrund.
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LINES / 2008
Kontrastvoll: Das Bücherregal von
Ligne Roset verfügt über einen
breiten, quadratischen Rahmen,
der Ruhe und Strenge vermittelt.
Als Gegenpol wirken die sich
überkreuzenden und aus dem Lot
geratenen Ablagen.
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MENOS / 1996
Kubisch: Das Kommoden- und
Containerprogramm von Behr
zeigt mit seinen quadratischen
Schubfächern klare Bezüge zum
Minimalismus traditioneller
japanischer Wohnhäuser.
MENSCHEN // Designer Peter Maly
11
52 53 für die Notstandsgebiete umgestellt werden müsse. Für den Tisch
bedeutete das dennoch kein Aus. „Sie wollten zeigten, dass Japa-
sind immer verzahnt gewesen. Ich konnte dadurch genau die In ner in jedem Jahrhundert eine solche Katastrophe erlebt und sie
szenierung umsetzen, die zu einem Möbelstück gehörte und die immer bewältigt haben. Indem der Tisch so kraftvoll wie ein Samu-
ich vielleicht schon in meinem Kopf hatte, als ich es entwarf.“ rai steht, soll er diesen Überlebenswillen ausdrücken“, erläutert
Auch mit Ligne Roset ist er lange verbunden. Den Auftakt seiner Peter Maly, der selbst im Alter von 77 Jahren noch nicht ans Auf-
Arbeit für diesen Möbelhersteller markierte das puristisch-klare hören denkt.
„Maly-Bett“ (1983), das ebenfalls zu einem Klassiker wurde und
mit einer kurzen Unterbrechung bis heute produziert wird. Mit 2009 ging er mit Birgit Hoffmann und Christoph Kahleyss eine
den Messeständen, die der Hamburger seit über 20 Jahren für das Partnerschaft ein, die bis 2013 bestand. Heute führen die bei-
französische Unternehmen entwirft, tritt er in die Fußstapfen eines den Gestalter ein eigenes Büro in Hamburg, während Maly sein
seiner großen Vorbilder: „Der Stand ist aufgebaut wie ein Haus von Pensum auf wenige ausgesuchte Projekte beschränkt. „Zwei von
Mies van der Rohe. Die offenen Räume werden nur von Wandschei- meinen Mitarbeitern sind jetzt Professoren. Sie laden mich immer
ben strukturiert und erzeugen logische Durchläufe“, sagt Peter ein. Dann kommt der Oldtimer und erzählt aus früheren Zeiten“,
Maly. In gewisser Weise schließt sich damit ein Kreis. Schließlich scherzt der Meister, der Gestaltung auch in seinem eigenen räum-
fand auch der berühmte Bauhäusler die Inspiration für sein flie- lichen Umfeld großschreibt. Als er 2006 seinen Wohnsitz mitsamt
ßendes Raumverständnis in jenem Land, das Peter Maly bereits Büro von Hamburg ins beschauliche Aumühle an den Rande des
als Student in den Bann zog: Japan. Sachsenwaldes verlagerte, schuf er sich dort ein Refugium inmit-
ten der Natur. Umgeben von hohen Bäumen, ließ er einen gro-
„Als ich zum ersten Mal in Japan war, bin ich richtig aufgegangen. ßen Teich im Stil japanischer Gärten anlegen – ergänzt durch ein
Dort findet man diese Einfachheit, Ruhe und Ausgeglichenheit, Saunahaus in bester Bauhaus-Manier.
nach der wir gestrebt haben.“ Entwürfe wie das Kommodensystem
„Menos“ (1996) für Behr oder das Schranksystem „Quadrat“ (1980- In den Innenräumen des Wohnhauses gehen Stühle von Marcel
2005) für Christine Kroncke zeigen mit ihren quadratischen Schub- Breuer und Mies van der Rohe, der berühmte „Lounge Chair“ von
kästen und Fächern deutliche Einflüsse aus dem Land der aufge- Charles und Ray Eames, Ingo Maurers „Zettel‘z“-Leuchte und viele
henden Sonne. 2006 begann der Designer eine Kooperation mit weitere Klassiker eine Liaison mit Malys eigenen Entwürfen ein.
dem Möbelhersteller Conde House, die zugleich eine Rückkehr zu „Ich habe das Konzept, dass alles, was ich in mein Haus stelle,
seinen Wurzeln als Tischler einläutete. Für das Unternehmen mit weiß sein muss“, erklärt er. Das Ergebnis ist keine bunt gewürfelte
Expertise in der Verarbeitung von Nussbaum und Eiche entwickel- Sammlung von Designstücken, sondern ein zusammenhängendes
te er die umfangreiche Möbelkollektion „Tosei“ (2006-2007). An der Ganzes. „Es gibt so viele knallige Räume, in denen man beinahe
Schnittstelle von Ost und West bewegt sich der „Tosei Esstisch“ untergeht. Dafür bin ich zu sehr Innenarchitekt – und harmonie-
(2007), dessen aus einem Baumstamm gearbeitete Platte von fili- süchtig“, sagt Peter Maly mit einem Lächeln. Seine Stärke liegt
granen Stäben aus Edelstahl getragen wird. Mit ihrem markanten genau an dieser Stelle: Indem er sich dem Wohnen über das Schaf-
Wechselschritt wirken die Stäbe wie ein Schulterschluss zwischen fen von Bildern näherte, entwickelte er ein Gefühl fürs Ganze. Die
Bauhaus-Moderne und abstrahiertem Bambuswald. Möbel, die er später entwarf, sind keine domestizierten Egomanen.
Sie sind vielmehr Teamplayer, die mit anderen Dingen eine Einheit
Deutlich massiver und kräftiger erscheint der Esstisch „Hakama“ bilden und die Zeit auf diese Weise spielend überdauern können.
(2012), dessen Entwicklung mit der Atomkatastrophe von Fukushi-
ma zusammenfiel. In einem Telefonat erklärte Conde-House-Chef
Minoru Nagahara, dass die Produktion nun auf einfachste Stühle
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TENSION / 2011 SPLIT / 2012 TOSAI EASY CHAIR / 2007
Eingekeilt: Die Konstruktiv: Die Harmonisch: Der Sessel
leicht nach außen ineinandergefügten von Conde House verfügt
abgespreizten Beine des Tisch- und über eine sich konisch
Fußplatten des Stuhlprogramms von öffnende Rückenlehne.
Tisch- und Sitzbank- Conde House erwecken Hergestellt wird diese
Programms von den Eindruck, als wären in nur einem Stück
Conmoto werden sie gespalten. Je nach durch handwerklich
mithilfe eines massiven Perspektive wechseln anspruchsvolles Verleimen
Teakholzstegs die Möbel somit ihre dünner Holzschichten.
zusammengehalten. Erscheinung.
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TOSAI DINING / 2007 CHALLENGE CHAIR / Praktisch: Die kleine
Filigran: Mit ihrem 2013 Kommode von Conde
Wechselschritt wirken Durchkomponiert: House kann mithilfe einer
die Füße des Tisches Der Sessel von Conde weiß lackierten Schublade
von Conde House wie House kombiniert ein oder einer vollflächigen
ein Schulterschluss filigran gearbeitetes Tür geöffnet werden. Die
zwischen Bauhaus- Massivholzgestell obere Ablage wurde mit
Moderne und mit einer aufwändig einem Stromanschluss
abstrahiertem gepolsterten Sitzschale. für Telefone und andere
Bambuswald. Ergänzt wird das Möbel Geräte ausgestattet.
um eine passende
Ottomane.
INTERVIEW // Peter Maly
2006 verlagerte Peter Maly
seinen Wohnsitz mitsamt
Büro von Hamburg nach
Aumühle an den Rande
des Sachsenwaldes. In den
Innenräumen der 1904
erbauten Villa treffen
Designklassiker auf Malys
eigene Entwürfe.
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17 18 pure: Herr Maly, auf den großen Einrichtungsmessen stehen zeitlose
Formen momentan besonders hoch im Kurs. Ist das Bewusstsein für
TOSAI ORGANIC SHAPE HAKO BOXES / 2012 Nachhaltigkeit tatsächlich in der Möbelbranche angekommen?
Ausgeglichen: Holz und Geheimnisvoll: Die Maly: Das wird nur nach außen getragen. In Wirklichkeit kümmert
Edelstahl bilden die kleinen Massivholz-Kästen sich kein Mensch darum. Ich rede zwar auch immer gerne darüber.
verbindenden Elemente von Conde House sind Aber ich habe das inzwischen eingestellt, weil ich merke, dass es
der „Tosai“ Kollektion eine Hommage an die gar nicht mehr glaubwürdig ist. Der Lebensrhythmus der Produkte
von Conde House. Die japanische Kultur des ist ja so rasant. In den Achtzigern noch betrug ihre Lebensdauer
organisch geformte Verpackens. In Deckel und gut zehn Jahre. Heute werden sie schon nach zwei, drei Jahren
Tischplatte wird von Boden, die passgenau wieder nach hinten gedrängt. Als Designer kann man das kaum
sieben überkreuzten ineinandergleiten, wurde ein noch beeinflussen. Man kann lediglich die Formen so gestalten,
Metallstangen stilisiertes Geschenkband dass sie auf lange Sicht geplant sind und keine Eintagsfliegen
ausbalanciert. eingeschnitten. bleiben. Aber der Markt hält sich nicht daran. Kaum ist ein Produkt
da, wird es schon wieder durch eine Neuheit ersetzt. Die Wirtschaft
braucht ununterbrochen neue Anreize. Ich bedauere, dass alles
so schnelllebig geworden ist.
Rentiert sich denn die Beschleunigung des Marktes?
Das ist es ja: Die Firmen machen damit nicht mehr Umsatz. Es
bleibt trotzdem auf einem Level. Es wird nur sehr viel investiert in
„Keine Eintagsfliegen“
PETER MALY IST EIN RATIONALIST MIT EMOTIONALEM GESPÜR. 1970 gründete der studierte
Innenarchitekt sein Hamburger Büro und entwirft seither langlebige Produkte für Unternehmen
wie COR, interlübke, Ligne Roset, Tecta oder Conde House. Ein Gespräch über rasende Möbel,
erfühlte Formen und kreatives Funkeln
FRAGEN AN PETER MALY
die Entwicklung der neuen Produkte. Das schlägt sich dann in den Produkt seinen Charakter. Und den kann ich am besten auf Papier
Preisen nieder, weil die Produkte nur in relativ kleinen Stückzahlen entwickeln. Ich arbeite immer auf Transparentblöcken. Erst eine
gebaut werden und nur für kurze Zeit am Markt sind. Die Skizze. Dann ein Blatt drüber. Die Umrisse verändern und hier noch
Entwicklung muss sich schließlich amortisieren. Ganz abgesehen einmal schauen: Könnte der Fuß vielleicht dreieckig werden? Mal
von der wirtschaftlichen Seite: Man verkauft den Leuten etwas gucken, wie das aussieht. Nein, das passt nicht, also doch lieber
vermeintlich Gutes und nimmt es zwei Jahre später vom Markt. rund. Dieser Prozess ist sehr intensiv. Da sieht und hört man nichts
Das widerspricht sich doch. mehr um sich herum, weil man so auf das Blatt konzentriert ist. In
zwei, drei Tagen kann auf diesem Wege aus einer ersten Idee ein
Ein Entwurf, der seit 1983 produziert wird, ist Ihr Sessel „Zyklus“ für Produktentwurf entstehen.
COR. Was hat diesen Entwurf zum Klassiker gemacht?
Ich glaube, weil er damals so anders war. Die Form ist strengste Sie haben Schränke, Sitzmöbel, Leuchten, Kamine, aber auch Pianos
Geometrie und dennoch sehr organisch. Das ist ein merkwürdiger entworfen. Welches Möbelstück stellt denn aus Ihrer Sicht die größte
Widerspruch. Aber gut, der Kreis ist dem Körper schon näher als Herausforderung dar?
das Quadrat [lacht]. Auch für COR war dieses Möbel ein großer Die Königsaufgabe ist sicherlich der Stuhl, weil er von allen Seiten
Schritt. Das Unternehmen produzierte zu dieser Zeit hauptsächlich gut aussehen muss. Bei anderen Möbeln muss das nicht immer
Vollpolstermöbel. Und dann kam plötzlich so ein filigranes Gerät sein. Schränke haben oft eine Zuckerseite, während der Rücken zur
mit einer Stahlrohrstruktur auf Rollen daher. Später, in den 90er Wand steht. Ein Stuhl dagegen steht frei im Raum, fast wie eine
Jahren, entwarf ich eine ganze Serie an Stahlrohrmöbeln für COR, Skulptur. Er muss jedoch auch statisch gut konstruiert sein, wofür
die man aufgrund ihrer klaren Formensprache auch heute noch man das Material richtig gut beherrschen muss. Ein Stuhl ist für
gut sehen kann. Das sind fünf Produkte, von denen aber bis auf mich immer noch eine reizvolle Aufgabe, obwohl ich schon so viele
den „Circo“-Sessel keines mehr auf dem Markt ist. Aber es gibt entworfen habe. Das müssten schon über vierzig sein: in Holz, in
Erwägungen, sie wieder aufzulegen. Stahl, in Leder, gepolstert oder gegurtet. Nur Kunststoffstühle habe
ich keine gemacht. Ich habe zwar mal den Auftrag bekommen, einen
Nach Ihrem Innenarchitektur-Studium haben Sie in den Sechzigerjahren Plastikstuhl aus einem Stück zu entwickeln, einen sogenannten
als Redakteur für die Zeitschrift „Schöner Wohnen“ gearbeitet und 1970 Monobloc. Der ist allerdings nie realisiert worden. Das fand ich
Ihr eigenes Büro für Design und Innenarchitektur in Hamburg gegründet. dann aber auch nicht wirklich schlimm.
Was macht gute Gestaltung für Sie aus?
Es muss etwas funkeln. Ich bin zwar ein großer Verfechter der Warum nicht?
Funktionalität und lasse mich auch gerne als Funktionalist Weil mir Holz eigentlich viel mehr liegt. Holz ist zurzeit wieder
bezeichnen. Aber ich bin es auch nicht wirklich. Ich bin auch mein liebster Werkstoff. Es verlangt nach Erfahrung und Wissen
irrational [lacht]. Ich glaube, dass ich oft etwas emotional um seine speziellen Eigenschaften. Auch muss die Struktur eines
entworfen und erst im Anschluss überprüft habe, ob es konstruktiv Stuhles sorgfältig konstruiert sein. Dass mir das nicht schwerfällt,
auch stimmt. Die Form bekommt dann eine letzte Korrektur in hängt sicher auch damit zusammen, dass irgendwo in mir noch ein
eine Richtung, bei der ich sagen kann: Das ist logisch und nicht Tischler steckt. Ich habe ja eine richtige Tischlerlehre vor meinem
willkürlich. Aber ohne Emotionalität im Entwurfsstadium braucht Studium gemacht. Aus dieser Zeit kenne ich noch den speziellen
man gar nicht erst anzufangen. Geruch jeder Holzart, wenn sie verarbeitet wird. Auch weiß ich, wie
schön sich eine gut gearbeitete Holzoberfläche anfasst. Mit dem
Wie gehen Sie beim Gestalten vor? japanischen Unternehmen Conde House habe ich einen Hersteller
Ich beginne mit der äußeren Form. Danach gehe ich in die Tiefe gefunden, der mit mir die Liebe zum Holz und zu dessen perfekter
und entwickle sorgfältig die Details, denn erst die geben einem Verarbeitung teilt.
UNTERNEHMEN // OLIGO
DESIGN
/
N A C H H A LT I G K E I T
Energieeffizientes LED-Licht stellt nicht
nur technologisch hohe Anforderungen
an die Leuchten-Hersteller, sondern auch
gestalterisch, weil sich Leuchte und
Leuchtmittel nahezu verschmelzen
lassen. OLIGO überrascht auch
dabei mit ebenso innovativen
wie außergewöhnlichen
Lösungen.
Licht mit Charakter
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OLIGO STEHT SEIT ÜBER 25 JAHREN FÜR INNOVATIVE LEUCHTEN UND LICHTSYSTEME
MADE IN GERMANY. Mit neuem Besitzer, neuer Führung und technologischem „Rücken-
wind“ erfindet sich das Traditionsunternehmen gerade neu – und bleibt sich gleichzeitig
doch treu
Von Klaus-Peter Bredschneider
Was ist Tradition ? Während sich bei so manchem traditionsrei-
chen Namen die Ursprünge bis an die Wurzeln der Industrialisie-
rung zurückverfolgen lassen, ist das Unternehmen OLIGO gerade
mal ein gutes Vierteljahrhundert alt. Besser jung. 1987 als Famili-
enunternehmen unter dem Motto „feel the light“ gegründet, später
erfolgreich verkauft, heute wieder in Privatbesitz. Kein Geringerer
als Hasso Plattner, Mitgründer des Software-Unternehmens SAP,
übernahm 2012 den mittelständischen Leuchtenhersteller aus
dem rheinischen Hennef bei Bonn und verschmolz ihn mit der
ebenso in seinem Besitz befindlichen Uwe Braun GmbH. Mit dem
Vorhaben, die Geschäftsaktivitäten unter einem einheitlichen Mar-
kenbild fortzusetzen, blieb die OLIGO Lichttechnik GmbH nament-
lich unverändert.
OLIGO ist somit seit dem Einstieg nicht mehr ein klassischer Leuch-
tenhersteller, sondern eine Dachmarke für innovative Lichttechnik,
unter der zwei zuvor unabhängige Firmen vereinigt wurden: die für
hochwertige System- und Wohnraumleuchten bekannte OLIGO
Lichttechnik GmbH aus Hennef und die auf Kontrollsysteme für
Oberflächenmessungen spezialisierte Uwe Braun GmbH aus dem
brandenburgischen Lenzen, die seitdem als „OLIGO Surface Con-
trols“ agiert. Beide Unternehmensbereiche gelten als Premiuman-
bieter auf ihrem Gebiet. So zählt OLIGO Surface Controls weltweit
zu den führenden Spezialisten für hochpräzise Farb- und Oberflä-
chenmessungen, wie sie vor allem in der Automobilindustrie zur
Endkontrolle der Lackqualität eingesetzt werden. Kontrollsysteme,
die auf Lichttechnologien basieren – spätestens an dieser Stelle
schließt sich der Kreis zu den hundertfünfzig Kollegen in Hennef,
die ebenso intensiv an dem Übergang zur LED-Beleuchtung und
deren intelligenter Einbindung in aktuelle Lichtlösungen arbeiten.
In der verstärkten Kombination von Licht- und Steuerungstech-
UNTERNEHMEN // OLIGO
58 59
Licht mit System: Schienen
systeme haben bei OLIGO von
Anbeginn an eine wesentliche
Rolle gespielt, bieten sie doch
auch da maximale Flexibilität
bei der Ausleuchtung, wo
kein direkter Stromanschluss
vorhanden ist.
Moderner Klassiker: Formal
weckt die neue Glance Erinne-
rungen an einen klassischen
Lampenschirm, technisch
steckt sie voller Innovati-
onen – vom LED-Licht über
die Funktionsvielfalt bis zur
Farbauswahl.
nik werden Möglichkeiten und Synergien ausgelotet, innovative
Produkte gemeinsam zu entwickeln und zu vermarkten. Die Kos-
tenvorteile dieser Arbeitsteilung tragen wiederum dazu bei, dass
OLIGO weiter ausschließlich in Deutschland produzieren kann –
trotz verlockender Kostenvorteile ausländischer Produktions
standorte. „Wir haben für die nächsten Jahre ehrgeizige Ziele for-
muliert“, lässt Geschäftsführer Thomas Mänecke keine Zweifel,
„und verknüpfen diese eng mit der Leistungsbereitschaft und fach-
lichen Qualität unserer Mitarbeiter in Deutschland.“
Das alles geschieht unter der Regie des Geschäftsführers, der in
den Produktionsstandorten Hennef und Lenzen ebenso seine
Ziele verfolgt wie in der Hauptverwaltung in Potsdam – dort, wo
die Fäden in malerischer Lage am Ufer des Griebnitzsees zusam-
menlaufen. Hier ist auch ein großer Showroom entstanden, den
Vielfalt mit Charakter: Un-
verwechselbares und zugleich
zeitloses Leuchten-Design –
höhenverstellbare LED-Pendel-
leuchte Lisgo Short, darunter
Pendelleuchte Decent mit
Berührungsdimmer, Steh-
leuchte A little Bit (Mitte),
Lichtobjekt Bel-Air (rechts).
Architekten, Planer und Händler aus der ganzen Welt besuchen der spielerisch-raffinierten Höhenverstellbarkeit des Klassikers
können, um sich die vielfältigen Möglichkeiten moderner Leuch- „Pull-it“ bis zur nahezu magischen, weil berührungslosen Gesten-
ten und Lichtsysteme vorführen zu lassen. Produziert wird aber steuerung der LED-Pendelleuchte „Cheek“ oder der stufenlosen
nach wie vor am Stammsitz in Hennef, wo die Mitarbeiter jede Touchdimmung der neuen „Lisgo Sky“-Familie. Die Entwickler-
einzelne Leuchte mit sichtbarer Hingabe montieren. Anschließend teams sind kontinuierlich damit beschäftigt, neue Technologien
werden sämtliche Produkte einer Qualitätskontrolle unterzogen, und innovative Bedienkonzepte zu integrieren. Der Fokus liegt
bevor man sie auf ihren Weg zum Händler bzw. in die internatio- dabei auf energieeffizienten und nachhaltigen Beleuchtungslösun-
nalen Absatzmärkte schickt. Zur Wahrung dieser Qualität verfolgt gen sowie auf der Integration intelligenter LED-Anwendungen in
OLIGO die freiwillige Produktzertifizierung sowohl nach ENEC das Produktportfolio.
wie nach GS. Das ENEC-Zeichen steht für die Produktkonformität
mit den europäischen Normen und wird durch eine unabhängige Mit der Leuchtenfamilie „Glance“ ist OLIGO aktuell erneut ein gro-
und neutrale Zertifizierungsstelle erteilt. Das Siegel GS steht für ßer Wurf gelungen. Formal greift die mit modernster LED-Technik
Geprüfte Sicherheit und dokumentiert, dass die Produkte den gel- bestückte Leuchte mit ihrem kreisrunden Aluminiumkopf die Sil-
tenden sicherheitstechnischen Anforderungen entsprechen. Beide houette eines klassischen Lampenschirms auf und schlägt damit
Prüfzeichen werden in regelmäßigen Abständen durch die Zerti- spielerisch die Brücke zwischen klassischer Eleganz und zukunfts-
fizierungsstellen kontrolliert. OLIGO unterzieht somit sämtliche weisender Technik. Beeindruckend auch die Funktionsvielfalt der
Produkte strengsten Qualitätskontrollen. Eine industrielle Manu- in sieben Farben als Steh-, Tisch- und Pendelleuchte angebotenen
faktur und „Made in Germany“ im besten Sinne. Familie: Die geschwungenen Varianten sowie die Pendelleuch-
te sind mit einer Gestensteuerung für berührungslose und damit
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass sich für OLIGO besonders komfortable Bedienung ausgestattet. Bei den geraden
zwar völlig neue Perspektiven aufgetan haben – dass Anspruch Steh- und Tischleuchten ist der Zugschalter nicht nur verspieltes
und Unternehmensphilosophie aber unangetastet geblieben sind: Designelement und traditionelle Reminiszenz, sondern auch funk-
Mit viel Liebe bis ins kleinste Detail Produkte mit ebenso unver- tionales Steuerelement, über das sich die Leuchte ein- und aus-
wechselbarer wie zeitloser Formensprache zu schaffen. Hier lebt schalten sowie stufenlos dimmen lässt. Der schwenkbare Leuch-
das Firmenmotto „feel the light“ weiter und bleibt auch zukünftig tenkopf kann vollständig von der eigentlichen Basis abgenommen
Richtschnur und Anspruch bei allen Entwicklungen. Typisch für und um 180° gedreht wieder aufgesteckt werden. Das ergibt nicht
die Leuchten aus Hennef war von Beginn an die Verschmelzung nur ein anderes Erscheinungsbild – sondern auch eine ganz neue
von Technologie und leicht handhabbarer Funktionalität – von Lichtwirkung. Die beiden LED-Module lassen sich im Sinne der
UNTERNEHMEN // OLIGO
Qualitätsanspruch:
Sämtliche Leuchten werden
am Stammsitz in Hennef
entwickelt und produziert.
Im Bild unten die Trinity
mit ihren drei unabhängig
voneinander schalt-, dimm-
und drehbaren Segmenten.
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gewünschten Lichtcharakteristik separat schalten, wodurch die Formen- und Funktionsvielfalt, die dem Anwender zahllose Gestal-
Glance als Up-, als Downlight oder als Raumlicht fungieren kann. tungsmöglichkeiten zwischen direkter und indirekter Beleuchtung
Im sogenannten Sleep-tight-Modus dimmt die Leuchte automa- bietet. Eine Memory-Funktion sorgt anschließend dafür, dass die
tisch herunter und schaltet sich nach zwei Minuten vollständig aus. zuletzt eingestellte Helligkeitsverteilung abgespeichert und abruf-
bar bleibt. Oder die „Decent Max“. Die von Architekten und Licht-
Viel Innovation, viel Individualität und damit gleichzeitig ein neu- planern mit viel Zustimmung aufgenommene hochwertige Pendel-
es Produkt in bester „feel the light“-Tradition – die „Glance“ macht leuchte in Form eines eleganten Diskus verzaubert trotz niedriger
erneut deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit exakt zusammen- Bauhöhe mit weit überdurchschnittlicher Lichtleistung. Anhand
kommen können. Gestalterisch lässt sich OLIGO nicht so leicht einer ausgeklügelten Prismentechnik verwandelt sich die auf ei-
kategorisieren. Zumindest passt das Design nicht in herkömmli- gener Elektronikentwicklung basierende LED-Anordnung in eine
che Schubladen; dazu sind die Produkte im Spektrum zwischen gelungene Lichtkomposition anmutsvoller Sonnenwinde. Hervor-
der technisch-kompakten Eleganz eines „Ridge“ LED-Strahlers mit ragend integrierbar in offene Küchen, elegante Empfangsbereiche
eindrucksvoll eloxiertem Schliffbild und der „Bel-Air“ mit ihren oder über den ausladenden Esstisch beim Abendessen mit Gäs-
organischen „Diskusscheiben“ zu vielfältig. Letztere sind blendfrei ten. Das Ganze erneut durch komfortables, berührungsloses Dim-
gewölbte Metallscheiben, in Handarbeit gefertigt und mit einer men für den Nutzer abgerundet.
Beschichtung versehen, die an Blattgold bzw. Blattsilber erinnert.
Wie ein Lichtkunstobjekt zieht die modular aufgebaute Bel-Air die Vom Design Zentrum Nordrhein-Westfalen wurden OLIGO Leuch-
Aufmerksamkeit auf sich, fügt sich dennoch gleichermaßen harmo- ten regelmäßig mit dem red dot award, vom Industrie Forum De-
nisch in moderne wie traditionelle Architektur ein. sign Hannover mehrfach mit dem IF Design Award ausgezeichnet.
Zweimal wurde der Titel „Leuchte des Jahres“ in den vergangenen
Vielleicht wird man dem Designanspruch von OLIGO am besten zehn Jahren an das Entwicklungsteam in Hennef vergeben. OLIGO
gerecht, wenn man ihn als charaktervoll beschreibt. Typisch für Leuchten wurden bereits mehrfach für den Designpreis der Bun-
OLIGO sind nämlich die unverwechselbaren Leuchten-Designs, desrepublik Deutschland nominiert oder auch mit dem „Ehren-
die Andersartigkeit, die häufig den Unterschied ausmacht – ger- preis Produktdesign“ des Landes Nordrhein-Westfalen geadelt.
ne auch mit einem gewissen Überraschungseffekt. Der Kopf der Viel Ehre also für ein Unternehmen, das erst seit gut 25 Jahren für
Trinity, auf den ersten Blick eine unauffällige, flache, horizontale innovative Leuchten und Lichtsysteme steht. Das sich dabei stets
Scheibe, setzt sich zum Beispiel aus drei unabhängig voneinander treu geblieben ist und jetzt mit frischem technologischem Rücken-
schalt-, dimm- und vor allem drehbaren Segmenten zusammen. wind durchstartet.
Dadurch erreicht die Leuchte eine ungeahnt dreidimensionale
Qualitätskontrolle: Führende Automo-
bilhersteller wie der Volkswagenkonzern
setzen weltweit auf die Oberflächenkon-
trolle von Surface Controls. Von Skoda
über Audi und Porsche bis zu Bugatti
passieren täglich Hunderte Fahrzeuge
die Endkontrolle in den Lichttunneln
und Audit-Prüfplätzen aus Lenzen –
kundenspezifische Lösungen, die in den
Fertigungslinien bei namhaften in- und
ausländischen Kunden in Betrieb sind.
SURFACE CONTROLS
LICHT IM TUNNEL
Unter der gemeinsamen Marke OLIGO lenkt Geschäftsführer Thomas Mänecke
von seinem Potsdamer Büro zwei Geschäftsbereiche, die auf den ersten Blick
nur wenig verbindet: den für Privathaushalte und gehobene Gewerbeobjekte
spezialisierten Leuchten- und Lichtsystemhersteller aus dem rheinischen
Hennef sowie die auf spitzentechnologische Produktionsunternehmen
ausgerichtete „Surface Controls“ im brandenburgischen Lenzen, einen
der weltweit führenden Hersteller und Anbieter für hochpräzise Farb- und
Oberflächenkontrollsysteme. Solche visuellen Kontrollsysteme sind dort un
verzichtbar, wo es auf höchste Oberflächen- und Farbtonqualität ankommt –
speziell in der Automobilindustrie, für die das Fachpersonal am Standort nahe
der Elbe bis zu 150 Meter lange Lichttunnelanlagen entwirft, produziert und
beim Kunden in Betrieb nimmt. Über ein patentiertes Streiflichtverfahren wird
dabei Licht gezielt auf Metall- und Lackoberflächen projiziert, so dass – neben
der visuellen Kontrolle der Werksarbeiter – auf Fehleranalyse fokussierte
optische Systeme umgehend etwaige Makel erkennen – ob winzigste
Einschlüsse, minimale Unebenheiten, ungleichmäßig aufgetragener Lack oder
partielle, kaum wahrnehmbare Differenzen in der Farbabstimmung. Hier wird
der gemeinsame Anspruch der insgesamt 200 Mitarbeiter bei OLIGO deutlich:
höchste Qualität an Lichttechnik und deren Anwendung vor Ort.
INTERVIEW // Thomas Mänecke
62 63
pure: Herr Mänecke, unter dem Dach der OLIGO Lichttechnik GmbH
sind Sie als Geschäftsführer für den Leuchtenbereich in Hennef ebenso
zuständig wie für den auf Oberflächen-Kontrollsysteme spezialisierten
Bereich Surface Controls. Wie können die zwei Geschäftsbereiche
voneinander profitieren?
Mänecke: Bei Surface Controls haben wir durch die stetige
Qualität unserer Produktlösungen und Mitarbeiter über
viele Jahre international ein hohes Renommee bei unseren
Kunden erarbeitet. Auf allen Kontinenten sind Lichtanlagen
von uns im Betrieb, speziell in der Automobilindustrie.
Chrysler, GM, Ford, Daimler, BMW sowie die Marken im VW-
Konzern sind namhafte Partner, die wir weltweit begleiten.
Daneben gehören Industrieunternehmen wie Bosch-Siemens-
Haushaltsgeräte oder führende Stahlhersteller wie AcelorMittal
dazu. Von der Großserie bis zur Manufaktur sind unsere Lösungen
heute fester Bestandteil der Qualitätskontrolle, auch jeder Bugatti
wird in unserem Lichttunnel begutachtet. Diese Erfahrungen und
Geschäftsbeziehungen im Ausland werden wir für die Überlegungen
in Hennef zunehmend berücksichtigen, hier sehe ich noch großes
Potenzial für die Marke OLIGO. Im Gegenzug sind der Kenntnis
stand der Elektronikentwicklung und der LED-Einsatz der Kollegen
in Hennef wichtige Hinweisgeber für die Weiterentwicklungen in
Lenzen. Wie haben es in beiden Unternehmensbereichen mit sehr
anspruchsvoller Licht- und Digitaltechnik zu tun, können also stark
voneinander profitieren.
Während andere Marken Designer mit klangvollen Namen beschäftigen,
stehen bei Ihnen die Designer dezent im Hintergrund?
Wir beschäftigen nicht klangvolle Namen mit dem Ziel, das
auf die Marke abfärben zu lassen. Insofern sind wir auch keine
Designermarke. Die Verbindung gestalterischen Fortschritts
mit dem heutigen Lebensumfeld kann eine Produktform alleine
nicht mehr ausreichend beantworten, uns interessieren vorrangig
lichttechnische Lösungen für die persönliche Kreationsfähigkeit.
Anders ausgedrückt „Vorsprung durch formvollendete Technik.“
Eine Aufgabe, in die sich alle mit Leidenschaft einbringen.
Bei externen Designern setzen wir daher ebenfalls ein hohes
technisches Verständnis und die Vorstellung, wie wir mit Licht
„Jeder Bugatti
muss bei uns einmal durch“
OLIGO GESCHÄFTSFÜHRER THOMAS MÄNECKE über neue Synergien im eigenen Haus, nach-
haltige Produktion in Deutschland, Designer mit klangvollen Namen und die Leuchtenrevolution,
die von der LED ausgeht
FRAGEN AN THOMAS MÄNECKE
leben möchten, voraus. Wenn die Funktionsmöglichkeiten dem gen – das geht also nicht wie am Fließband von Station zu
Design unserer Produkte die individuelle Ausstrahlung verleihen, Station. In den Teams werden wiederum einzelne Arbeitsschritte
haben wir gemeinsam gute Arbeit geleistet – das verstehen wir bei selbst organisiert, so dass jenseits der Bauanleitung stets ein
OLIGO unter „feel the light“. individueller Spielraum bleibt. Wir arbeiten vernetzt in Prozessen
und zunehmend mittels modernster IT-Systeme untereinander,
Welchen Anspruch verbinden Sie mit Ihrem Leuchtendesign? ohne eigenständiges Handeln zu unterdrücken. Hinzu kommt
Das Design muss funktional sein und zugleich Freude machen. das aktive Beisteuern von Lösungen dank enger Partnerschaften
Zumeist legen wir den Schwerpunkt auf eine dezente und mit Lieferanten aus dem nationalen Umfeld. Vielfach in Form
geradlinige Gestaltung, entwerfen aber mit demselben Anspruch kurzfristiger Erörterungen zu Themenfeldern, die gemeinsam zu
genauso elegant geschwungene Formen. Insgesamt vereint unsere neuen Lösungen führen. Wir suchen die anspruchsvollsten, nicht
Leuchten das Streben nach kleinstmöglichen Dimensionen, die günstigsten. Ich setze nicht auf reine Befehlsempfänger, die
was bereits in der frühen Entwurfsphase Fachabteilungen und wir zweifelsohne in anderen Regionen dieser Welt beschäftigen
Teams fordert. Unser gemeinsames Zielfoto: geringe Baugrößen, könnten. Gerade die Eigenständigkeit und die individuellen
hervorragende Oberfläche und die Möglichkeit, ein qualitatives Qualitäten des Mitarbeiters im Team legitimieren für mich jeden
Lichtbild spielerisch für sich zu erleben. Letzteres haben wir Tag den Wirtschaftsstandort Deutschland.
gerade in den vergangenen Monaten mit umfänglichem Einsatz
und Investitionen sichtbar weiterentwickeln können. Warum sind OLIGO Leuchten nachhaltig?
Nachhaltig heißt Wirkung über den Moment hinaus erzielen. Das
Welche Veränderungen haben sich durch den neuen Inhaber, Herrn ist für uns und unsere weltweiten Kunden ein sehr zentraler Punkt.
Prof. Plattner, für OLIGO insgesamt ergeben? Neben diesem inspirativen Anspruch kommt der über mehrere
Grundlegend der Anspruch, sich nie mit dem Gegebenen Zertifizierungs- und Prüfungsverfahren verbriefte und verbindliche
zufriedenzugeben. Mit ihm und unserem Aufsichtsrat genießen Qualitätsanspruch als formeller Beleg hinzu. Unsere Leuchten sind
wir ein hochprofessionelles Umfeld, das viele Freiheiten einräumt, durch die hochwertige Material- und Komponentenauswahl extrem
aber auch klare Vorstellungen signalisiert. Bestimmend ist, den haltbar. Das Ergebnis aus Design und Technik ist weniger modisch,
Anspruch an Innovation inhaltlich noch stärker unter Beweis zu sondern vielmehr langlebig. Wir schauen dabei sehr genau auf
stellen und durch Wachstum zu bestätigen. Wir verfolgen unsere eine preiswerte Produktpolitik, das bedeutet ein angemessener
wirtschaftlichen Vorgaben und finanzieren sämtliche Leistungen Preis für einen hohen qualitativen Wert. Das anhaltende Bestreben
ausschließlich mit eigenen Mitteln. Viele Zwischenziele wurden unserer Mitarbeiter ist es, dass unsere Kunden, ob Privatperson,
seit dem Firmenzusammenschluss planmäßig erreicht und Fachhändler, Gewerbetreibender oder Industriekonzern, mit dem
zurückliegende Themenstellungen aktiv bearbeitet. Das aktuelle Erwerb eines OLIGO Produktes eine feststehende Aussage
Geschäftsjahr wird erneut weitere Weichenstellungen beinhalten, erfahren: „Vertrauen gerechtfertigt“.
die OLIGO in beiden Geschäftsbereichen gezielt und konstant
weiter nach vorne bringen wird. Ich verantworte seit zwei Jahren Welchen Einfluss nimmt die LED-Technik auf das Lampendesign?
eine viel umfassende Aufgabe mit unablässigem Engagement und LEDs und OLEDs heben die gültigen Einteilungen von Leuchte
aus Leidenschaft und Faszination für das Thema Licht – es gilt, und Leuchtmittel auf und ermöglichen weltweit neue interessante
dem Anspruch gerecht zu werden. Möglichkeiten – im Design, in der digitalen Verständigung sowie
in der Gestaltung der Funktionsvielfalt. Dennoch muss auch der
Sie produzieren ausschließlich hierzulande. Was wiegt die Kostennachteile Blick zurück erlaubt sein. Die Einbindung bewährter Attribute oder
gegenüber Billiglohnländern auf und spricht für den Produktionsstandort klassischer Formen als Anstoß künftiger Innovationen werden
Deutschland? die Produktvorstellungen und Entwicklungsarbeiten bei OLIGO
Wir haben an beiden Standorten und für beide Geschäftsfelder weiterhin begleiten. Ich denke, unsere neue GLANCE gibt da
spezialisierte Mitarbeiter, die unsere Produkte komplett ferti bereits einen guten Vorgeschmack.
WIRTSCHAFT // Sportartikelhersteller
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Ein Marathon,
kein Sprint
KRITISCHE AUGEN ÜBERALL: Die Sportartikelhersteller stehen unter besonderer
Beobachtung – und unversehens am öffentlichen Pranger. Denn zu leicht und zu
schnell urteilen wir zu ungerecht
DESIGN Anders sein – schafft Aufmerk-
/ samkeit: adidas präsentiert aktuell
den ersten gestrickten Fußball-
N A C H H A LT I G K E I T schuh der Welt. Was wie ein Mar-
ketinggag aussieht, hat nachhal-
tiges Potenzial. Das Spezialgewebe
Wo kommen die T-Shirts her? Sind die Schuhe soll nicht nur Passgenauigkeit und
korrekt gefertigt? Die Sportartikelbranche hat ge- Komfort verleihen – auch kann
lernt, mit Skandalen und Angriffen zu leben. Die gute das einteilige Obermaterial ohne
Botschaft: Ihre Nachhaltigkeitsberichte erscheinen jeglichen Materialverlust herge-
im gleichen Printprodukt wie die Geschäftsberichte: stellt werden. Für adidas steigt der
Dollarzeichen und ethische Werte scheinen vereint. „primeknit“ zum nachhaltigsten
Geradezu vorbildlich bei den beiden großen deut- Fußballschuh im Katalog auf.
schen Herstellern – adidas und Puma. Die auf in-
dividuelle Art immensen Aufwand betreiben
und jeden Lieferweg, jedes Produkt hin-
terfragen. Kleine Schritte, lange
Wege.
Von Andreas Günther
Eine Zwickmühle. Die sich jüngst auf der ISPO nicht besser in
Szene hätte setzen können. Die linken Messehallen waren den
klassischen Sportartikelherstellern vorbehalten – während sich auf
der gegenüberliegenden Front die mode-affinen Marken tummel-
ten. Mit lauten Bässen, Beats und Jugend-Feeling. Eine Branche,
die zwischen Mode und den praktischen Sportansprüchen des
Kerngeschäfts liegt. Und sich in allen Zwischenwelten inszenieren
muss. Der Faktor Nachhaltigkeit wächst zwar im Bewusstsein der
Konsumenten. Doch wirkliche Kaufentscheidungen lassen sich
daraus nicht erzwingen. Eher im Umkehrschluss: Eine Marke, ein
Produkt darf nicht „böse“ sein. Weshalb die Hersteller nichts mehr
fürchten als eine mögliche Bloßstellung – den medialen Pranger.
An den erst vor wenigen Wochen adidas gestellt wurde. Ein mo-
discher T-Shirt-Entwurf für die nahende Fußballweltmeisterschaft
erregte die Gemüter. Vornehmlich der Brasilianer. Die sich so nicht
dargestellt sehen wollten. Die Süddeutsche Zeitung nutzte die
Chance zum Spott: „Vielleicht liegt es ja nur daran, dass irgend-
jemand in Herzogenaurach in der Adidas-Zentrale des Englischen
nicht restlos mächtig war. Fränkisch und englisch, das geht zuwei-
len klanglich und vom Vokabular her nicht so richtig zusammen,
wie man früher bei Lothar Matthäus hören konnte.“ Interessant ist
die Botschaft zwischen den Zeilen: Die Süddeutsche greift adidas
genau dort an, wo der Konzern tatsächlich verletzlich scheint: Ein
Imperium – mit Sitz in der fränkischen Provinz. Das kann nicht gut
gehen. Was natürlich Unsinn ist. Aber zu schön in ein Klischee
passt. Die Kurzfassung: adidas hatte auf dem kritisierten T-Shirt
eine fesche Brasilianerin im Minimal-Bikini gezeigt – neben dem
Slogan „Looking to score“. Was im Fußball für „Ich will Tore schie-
ßen“ steht, aber umgangssprachlich und vor allem neben der Biki-
ni-Schönheit auch anzügliche Projektionen erzwingt. Das zentrale
brasilianische Fremdenverkehrsamt fühlte sich zu einer Stellung-
nahme verpflichtet und wies „die Kommerzialisierung von Pro-
dukten vehement zurück, die das Bild von Brasilien mit sexuellen
Aufrufen verbindet“. Selbst die Staatspräsidentin Dilma Rousseff
echauffierte sich via Twitter: „Brasilien empfängt gerne Touristen
WIRTSCHAFT // Sportartikelhersteller
66 67 Jedem seinen eignen Super-
helden: Während Puma auf
den schnellsten Mann der Welt,
Usain Bolt, setzt, fährt adidas
den Fußballkünstler Lionel
Messi auf und den Popstern
Justin Bieber (unten). Trenn-
wände zwischen Sport, Mode
und Lebensgefühl sind nicht
gewollt. Der höchste Ausdruck
des Markenimages: eigene Stores
und Themenwelten.
zur WM, ist aber auch bereit, gegen Sextourismus vorzugehen.“ adidas langkettige Perfluorkarbone (PFCs) – mit der Aussicht,
Das hat Schmerzen bereitet – vornehmlich in Herzogenaurach. Es bis 2020 alle gefährlichen Chemikalien eliminiert zu haben.
ist das Paradebeispiel für die Kritikanfälligkeit von Großkonzernen. Kritiker wittern da sofort die Grenzen der ethischen Botschaft:
Das T-Shirt war nie dazu bestimmt, von Sportlern auf dem Rasen Welcher Filter wird im Detail angesetzt, wie hart sind die Grenz
getragen zu werden. Ein reiner Mode-Artikel. Hätte ihn irgendein werte – und wer überwacht die Maßstäbe angesichts eines globa-
kleines Berliner Hinterzimmer-Mode-Label entworfen – der Auf- len Marktes? Die bekannten Argumente, die leider auch das Poten-
schrei wäre ausgeblieben. Doch adidas steht unter Beobachtung. zial vom Totschlagargumenten haben. Jeder Funke eines ethischen
Zugespitzt: adidas ist nicht nur Botschafter einer Marke, sondern Ehrgeizes lässt sich damit löschen. Wer kritisch sein will, schaue
auch Gesandter deutscher Korrektheit. Eben die Zwickmühle: Man einmal in die Nachhaltigkeitsberichte anderer global agierender
muss cool sein und zugleich auf Linie mit dem höchsten Werte Unternehmen. In der Regel werden hier Erfolge aufgereiht – wie
kanon. Die Chancen, diesen Kampf um Marktanteile und Image zu Trophäen an den Wänden von Großwildjägern. adidas sucht dage-
verlieren, sind hoch. Die Medien sind ungerecht, der Konsument gen fast die leisen Töne: „Wir sind uns zudem darüber im Klaren,
ist ungerecht, wir sind ungerecht. dass es Situationen gibt, in denen es als einzelnes Unternehmen
Dabei ist das ethische Grundgerüst gerade bei adidas vorbildlich. schwieriger ist, Veränderungen herbeizuführen.“ Aufgelistet werden
Überlegen sogar im Vergleich mit den meisten Konkurrenten. Das nicht die finalen Lösungen, sondern die Schritte – beispielsweise
offizielle Statement sagt viel über die Chancen-Risiken-Verteilung gegen Kinderarbeit in der Baumwollindustrie von Usbekistan. Im
aus: „Wir setzen uns seit vielen Jahren für eine nachhaltige Unter- Sinne eines scheinbar effektiven Krisenmanagements hätten an-
nehmensführung ein und wissen, dies ist ein Marathon und kein dere Konzerne schlichtweg die Beziehungen gekappt – die Karawa-
Sprint. Wir müssen gut vorbereitet sein und das richtige Tempo ne wäre weitergezogen zum nächsten Sub-Unternehmer, wodurch
vorgeben, damit uns weder Antrieb noch Ausdauer ausgehen, um sich aber an den Produktionsbedingungen in Usbekistan nichts
das Ziel zu erreichen. Am wichtigsten ist jedoch Durchhaltever- verändert hätte. adidas agiert hier nicht in heldenhafter Robin-
mögen: Wir müssen Rückschläge und Schwierigkeiten überwinden Hood-Manier, doch es wird Druck zur Veränderung ausgeübt. An
und die Ziellinie immer vor Augen haben.“ der Spitze sogar politischer Druck: „Wir haben uns schriftlich an
Die Bekenntnisse lesen sich – naturbedingt – vage. Die faktische das Auswärtige Amt in Deutschland gewendet mit der Bitte, die
Umsetzung dafür erstaunlich konkret. Die vage Seite: „Für den usbekische Regierung aufzufordern, die Praktiken, die eindeutig
adidas Konzern bedeutet dies, umweltfreundliche Produkte zu gegen das internationale Recht verstoßen, aufzugeben, und konst-
entwickeln sowie die Umweltauswirkungen unserer internen Ab- ruktiv mit der ILO an Verbesserungsmaßnahmen zu arbeiten.“ Die
läufe und in unserer Beschaffungskette zu reduzieren.“ Die kon- International Labour Organization ist eine Einrichtung der Verein-
krete Seite: Seit 1989 duldet adidas in seiner Beschaffungskette ten Nationen und Träger des Friedensnobelpreises. Nahezu alle
keinerlei Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) mehr. Im Jahr Staaten des Erdballs gehören zu den Mitgliedern. Nur acht ließen
2000 schaffte adidas Polyvinylchloride (PVC) in seinen wichtigsten sich nicht zu einem Beitritt bewegen – eine eher inhomogene Ge-
Produktkategorien ab. 2004 zählte adidas zu den Mitbegründern meinschaft, darunter auch Monaco und Nordkorea.
der Better Cotton Initiative – und schloss verbotene Substanzen
in der Baumwoll-Lieferkette aus. 2006 folgte ein ähnliches Dekret Wie hält es der andere deutsche Sportriese? Puma begegnet dem
für die Lederverarbeitung. Im vergangenen Jahr 2013 verbannte Trend ähnlich, aber doch auf eigne Art: Natürlich hat das Unter-
Anders sein – schafft Mode:
adidas hat den japanischen
Kult-Modeschöpfer Yohji
Yamamoto um einen Fußball-
schuh gebeten. Herausgekom-
men ist ein Raubtierpärchen –
in limitierter 2000er-Auflage.
Yamamotos Kommentar: „Ich
hoffe, die Inspiration durch
den Schuh wirkt harmonisie-
rend auf die Spieler und gibt
ihnen zusätzliches Selbst-
vertrauen, sich ohne Scheu
auszudrücken.“
nehmen ebenfalls seismografische Sensibilitäten entwickelt, um Was die Geschwister-Konzerne vereint: Die gleichen Fertigungswe-
mögliche Angriffspunkte auszumachen. Zugleich sucht es die Ziel- ge und damit oft auch gleiche Kritikpunkte. Nach offiziellen State-
gruppe im Modesektor. Vielleicht sogar noch stärker als der große ments lässt adidas beispielsweise in über 1.000 Fabriken in mehr
Konkurrent im gleichen Ort. Hintergrund: Puma wie adidas sind als 60 Ländern fertigen. Nicht jede Fabrik hält sich an Spielregeln.
Produkte zweier Brüder. In der Waschküche der Mutter experimen- Weshalb Menschenrechtsorganisationen nicht müde werden, die
tierten Rudolf und Adolf Dassler auf der Suche nach dem perfek- Missstände anzuprangern – vornehmlich zeitgleich zu den Aktio-
ten Turnschuh. Beide waren sie hochbegabt – auf unterschiedliche närsversammlungen der Sport-Mode-Multis. Was Medienaufmerk-
Weise, der eine kaufmännisch, der andere handwerklich. Man ging samkeit sichert. So berichtet die Nürnberger Zeitung als „Hausme-
schließlich getrennte Wege. Rudolf Dassler gründete 1948 Puma, dium“ nahe Herzogenaurach gern auch aus dem kritisch-globalen
Adolf, genannt „Adi“, stellte 1949 die Marke adidas vor. Jeweiliger Umfeld der Unternehmen. Ganz schlimm stand beispielsweise
Firmensitz ist bis heute das Städtchen Herzogenaurach im mittel- adidas im Fokus, als eine christliche Initiative die Produktions-
fränkischen Landkreis Erlangen-Höchstadt. bedingungen einer Zulieferfirma in El Salvador anprangerte. Dort
Größer und erfolgreicher hat sich adidas aufgestellt: mit 46.000 müssten 1.500 Mitarbeiter 60 Stunden pro Woche bei Temperatu-
Mitarbeitern weltweit und beispielsweise dem Aufkauf des einsti- ren von 37 Grad Celsius im Akkord schuften. Kritische Mitarbeiter,
gen Konkurrenten Reebok. Puma hingegen kommt „nur“ auf 11.000 vornehmlich Frauen, würden entlassen. Ein System mit Kamera
Mitarbeiter – und wurde 2007 vom französischen Konzern Pinault- überwachung und Hungerlöhnen stünde in hartem Kontrast zu
Printemps Redoute „freundlich“ übernommen. Aktuell im Sommer den wirtschaftlichen und sportlichen Glanztaten der Sportartikel-
2013 wurde der Norweger Bjørn Gulden zum neuen CEO berufen. hersteller. In der Zuspitzung wurde laut Nürnberger Zeitung von
Die wirtschaftliche Situation von Puma scheint kritisch zu sein – Seiten der Grünen eine Anfrage für den Bundestag vorbereitet:
Fachmedien berichten aktuell von „tiefroten“ Zahlen im vierten Wie fair denn die Sportbekleidung sei, mit der die Soldaten der
Quartal. Wohingegen adidas seine Gewinnprognose bekräftigt. Bundeswehr ausgerüstet werden? Dazu ein markantes Rechen-
Der Geschäftsplan „Route 2015“ sieht Brancheninsidern zufolge beispiel der Kritiker: Wenn adidas oder Puma ein T-Shirt für rund
eine operative Marge in Höhe von elf Prozent vor – bei einem 25 Dollar verkaufen, würde eine Arbeiterin in El Salvador davon
Umsatz von 17 Milliarden Euro. nur wenige US-Cent erhalten. Ein Jahr später reisten Bundestags-
WIRTSCHAFT // Sportartikelhersteller
Schöner Name, schlaue Form:
2010 führte Puma als Ersatz für
den Schuhkarton die „Clever Little
Bag“ ein. Ein Verpackungssystem,
68 69 das Lag erhaltung und Kunden-
wünsche vereint – eine Kombi aus
Container und Tragetasche.
Zudem stellt Puma in seinen
Stores „Bring Me Back“-Contai-
ner auf. Offen für alle Hersteller,
prädestiniert für die hauseigene
Cradle-to-Cradle-Serie.
abgeordnete gleich mehrerer Parteien nach El Salvador, um sich werfen. Das gelebte Cradle-to-Cradle-Prinzip. Die Botschaft wird
von der Situation vor Ort zu überzeugen. Mit positiven Eindrücken aktuell erweitert – in drei Subbotschaften: Das „Bring Me Back“-
im Gepäck kehrte man heim: Die deutschen Sportartikelhersteller Programm „sammelt alle alten Kleider und Schuhe, die Ihr nicht
hätten klare Verbesserungen in der Fabrik durchgesetzt. Obwohl mehr haben wollt (wir nehmen sogar Artikel an, die nicht von
ein Grundproblem bleibt: Für kleine Löhne entstehen Produkte, Puma sind).Werft einfach alles in den PUMA Bring Back Bin. Und
die sich die Arbeiter vor Ort selbst nicht leisten können – ein an- fühlt euch dabei so richtig gut.“
dauernder Strom von Waren, Arbeit und niedrigem Lohn hält ein Um die Messbarkeit dieses Richtig-gut-Gefühls ist es eher schlecht
Prinzip am Laufen. Obwohl die Sportartikelhersteller nicht müde bestellt. Klar in Zahlen lässt sich aber eine andere Vorbild-Funkti-
werden, zu bezeugen, dass man deutlich mehr bezahle als den on von Puma fassen – vielleicht sogar noch wichtiger und durch-
rechtlich festgeschriebenen Mindestlohn – in tendenziell armen schlagender: Die Mehrheit aller Puma-Schuhe wird in „Clever Little
Ländern. Wieder eine Zwickmühle. Nicht nur für den Sportartikel- Bags“ verkauft – einem Mix aus Pappschuber mit schützender Ta-
hersteller – sondern auch für den Konsumenten. sche, praktisch integriert. Auch die textile Kollektion will Puma in
Die OTTO Group stellte vor wenigen Wochen eine Studie vor: Erst- Taschen aus Biomaisstärke verstauen. 65 Prozent Papier werden
mals seit Beginn der Erhebung im Jahr 2007 kauft mehr als die so im Vergleich zum Standard-Schuhkarton eingespart. Hochge-
Hälfte der Deutschen häufig Produkte, die ethisch korrekt herge- rechnet, verspricht Puma durch weitere Verpackungskonzepte eine
stellt sind – 56 Prozent. Daraus jetzt aber den Umkehrschluss zu Einsparung von 5.400 Tonnen Kartonage weltweit, gefolgt von
ziehen, wäre naiv: Der Konsument ist per se kein Good-Will-Inves- weiteren 40 Tonnen Polyethylen.
tor. Mode- und Nutzwert sind noch immer die höchsten Lockstof- Ein Fazit? Schwierig. Weil pauschal auf eine Branche einzuprügeln
fe. Produkte, die den Flair des ökologisch oder ethisch Korrekten ebenso falsch wäre wie auf wortreiche Ethikversprechen zu bau-
haben, wirken leicht zu bieder – Hersteller schmücken damit ihr en. Man ist zum Gutsein verdammt. Doch die Ansätze sind vielver-
Image, Kunden aber eher selten Füße oder Körper. Doch die Sen- sprechend und schlau. Man hat gelernt, ist sensibilisiert. Wobei
sibilität legt zu: Der Verbraucher gerade in der Sport- und Mode- ungebrochen kritisch die Lieferwege hinterfragt werden müssen.
Welt kauft keine Produkte, die unter ethisch kritischen Vorzeichen Klar, ein Sportartikelhersteller, der sich der globalen Fertigung ent-
entstanden sind. hält, wird seine Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Zum Schluss geht
Abermals eine Zwickmühle. Oder besser: ein Spagat. Und ein kon- aller Zwang vom Kunden aus. Auch für ihn (uns) gilt aber der
kretes Beispiel: Im Oktober 2012 rechnete Puma seinen Fans vor, schöne Satz aus dem adidas Nachhaltigkeitsstatement: „Dies ist
was ein Sportschuh oder ein T-Shirt die Umwelt kosten. Eine öko- ein Marathon und kein Sprint.“
logische Gewinn-und-Verlust-Rechnung, die die Umweltauswir-
kungen von nachhaltigeren und konventionellen Produkten über BRANDS FOR GOOD
Produktions- und Lebenszyklen hinweg in Euro und Cent erfasste
und verglich. Drastische Zahlen. So müssen 31 Müllwagen vorfah- Soziale Projekte auf einer Wellenlänge: Mit „Brands for Good“ und
ren, um die Abfälle von 100.000 Paaren herkömmlicher Sneaker zu „GreenroomVoice“ etabliert sich eine Sub-Strömung in der Branche
entsorgen. Allesamt Abfallstoffe, die während der Produktion und der Sportartikelhersteller. Die ISPO hat dem Trend jüngst eine eigene
im Laufe des Schuhgebrauchs entstehen, also bevor die Sneakers Ausstellungsfläche gewidmet – die ISPO Inspire. Firmen wie Arc’teryx,
von ihren Besitzern weggeworfen und in Deponien oder Verbren- Billabong, Indiana, O‘Neill, Patagonia, The North Face oder Volcom
nungsanlagen entsorgt werden. Puma lernte aus den Zahlen und setzen Mitarbeiter ehrenamtlich ein, verteilen Produkte kostenfrei
stellte die Sonderserie „InCycle Baskets“ vor. Während sich die oder unterstützen entsprechende Projekte. Das vielleicht spannendste
Umweltkosten des herkömmlichen Sneakers auf 4,29 Euro pro Vorzeigeprojekt: „Waves for change“ – große Hersteller filtern ihre Lager
Paar belaufen, betragen die Kosten für die Umweltauswirkungen und geben dabei Neopren-Anzüge und Surfboards frei, die nicht mehr für
des biologisch abbaubaren PUMA InCycle Baskets nur 2,95 Euro. die aktuelle Kollektion bestimmt sind. Die Produkte erreichen die Non-
Ein Gewinn von 31 Prozent. Der sich zusammensetzt aus verbes- Profit-Organisation Isiqalo, die in Südafrika benachteiligte, diskriminierte
serten Produktionswegen bei Treibhausgasemissionen, Wasserver- Jugendliche betreut und über die Faszination des Wind-Surfings wieder
brauch und nicht zuletzt dem Vorteil, dass das neue Schuhmodell in die Gesellschaft zurückholt. Anerkannt und unterstützt auch von der
komplett kompostierbar ist. Nach gleichem Konzept legte Puma renommierten Laureus World Sports Academy – die jährlich die Superstar-
auch ein T-Shirt auf, das ebenfalls die Umweltkosten um 31 Pro- Sportler der Welt auszeichnet.
zent senkte. Alles formschön verpackt inklusive der passgenauen
Anleitung, wie der Endkunde auch bei der Pflege seinen persön-
lichen ökologischen Fußabdruck verringern könnte. Und mit dem
Ratschlag, die durchschnittliche Waschtemperatur von 44 auf 30
Grad Celsius zu senken. Wenn sich der Lebenszyklus tatsächlich
dem Ende nähert, kann König Kunde sein Puma-Produkt im Puma-
Store selbst entsorgen – einfach in den „Bring Me Back“-Behälter
INTERVIEW // Vincent Stanley
„Es ist Zeit,
uns von diesem
Fantasiebild zu trennen“
Vincent Stanley, Neffe des Firmengründers Yvon Chouinard und
DIRECTOR PATAGONIA PHILOSOPHY, über verantwortungs
volle Entscheidungen, ethische Standards und Zuversicht
FRAGEN AN VINCENT STANLEY
pure: Das Idealbild eines verantwortungsbewussten Unternehmens – Die hohen ethischen Standards von Patagonia sind ein Zeichen des
70 71 ist di e Sporta rtikelindu strie hier für wirklich der richtige Biotop? Mit Unternehmensgründers Yvon Chouinard. Wie stark, wie verinnerlicht ist
diese ethische Haltung – in einer von Veränderung und Börsenumsätzen
ihren Tendenzen zu billigen Produktionsbedingungen und flüchtigen geprägten Welt?
Modetrends? Da wir ein privates Unternehmen sind, können wir oft gewagtere,
Stanley: Viele der führenden Outdoorsport-Unternehmen innovativere Schritte machen als ein Unternehmen, das öffentlich
produzieren ihre Kleidung mit hohen Standards in den besten, rechenschaftspflichtig ist. Aber man darf zwei Dinge nicht ver
verantwortungsbewussten Fabriken der Welt. Wir sprechen für gessen: Es gibt viel mehr private Firmen als Aktiengesellschaften.
unser eigenes Unternehmen, wenn wir sagen, dass wir langlebige Und sobald Unternehmen wie unseres eine Handlungsweise
Produkte herstellen. Eine nachhaltige Produktion bedeutet, vorzeigen, die sich als erfolgreich und geschäftstüchtig erweist,
Produkte herzustellen, die seltener ersetzt werden müssen. Dies können Firmen in öffentlichem Besitz mit Zuversicht folgen. Wir
wird beim Design, bei Silhouetten und Farben berücksichtigt. nannten bereits die Sustainable Apparel Coalition. Obwohl wir
uns im Geschäft endlich höheren ethischen Standards widmen
Ist Ihre perfekte Methode für andere Sportartikelhersteller imitierbar? müssen, sind sie keine zwingende Nebenleistung für viele
Unsere Herstellungsmethoden sind nicht perfekt! Aber Methoden, Umweltverbesserungen. Geringerer Energie- und Wasserverbrauch,
Kleidung auf eine sozialere und umweltbewusstere Weise zu weniger Abfälle, Geldeinsparungen – obwohl Unternehmen
produzieren, sind für alle Hersteller von Outdoorbekleidung manchmal die Investitionsrendite neu kalibrieren müssen, um
zugänglich – sogar für alle Bekleidungshersteller im Allgemeinen. diese Zahlen zu erkennen. In der gewerblichen Bauindustrie wird
Das spiegelt sich in der Arbeit der Sustainable Apparel Coalition dasselbe mit den LEED-Standards gemacht.
wider. Diese Koalition erstellt nun Basisberechnungen des
Energie- und Wasserverbrauchs, der Treibhausgasemissionen Die Ethik – der „Feelgood Factor“ sozusagen – für wen ist sie wichtiger:
und der Abfälle, die in Tausenden von Fabriken anfallen, und für den Verbraucher oder für die Menschen innerhalb des Unternehmens?
arbeitet an der Entwicklung von Methoden, um spezielle Prozesse Sie ist allen wichtig, die sich der Herausforderungen bewusst sind,
und Stoffe auszuwerten. Sie vertritt jene Unternehmen, die vor denen wir als Menschen auf diesem Planeten stehen.
zusammengenommen über ein Drittel der auf der Welt verkauften
Bekleidungs- und Schuhwaren produzieren. Lange bevor andere sportaffine Unternehmen sich auf den Wert
„Nachhaltigkeit“ beriefen, lebte die Marke Patagonia das Ide-
Wo liegt der Unterschied zwischen dem Image und der Kernphilosophie al bereits vor. Es begann mit Unzufriedenheit: Yvon Chouinard,
eines verantwortungsbewussten Unternehmens? Im Normalfall und ein junger Amerikaner frankokanadischer Abstammung, fand
speziell in Ihrem Unternehmen? Ende der 50er Jahre, dass die verfügbaren Kletterhaken seinen
Wir behaupten weder ein nachhaltiges noch ein perfektes Ansprüchen nicht genügten. Also beschaffte er sich einen alten
Unternehmen zu sein. Es ist Zeit, uns von diesem Fantasiebild zu Amboss und schmiedete sich seine Kletterhaken selbst – aus
trennen. Wir glauben, dass kein Hersteller vollständig nachhaltig Stahl, den er von alten Mähdrescherschneiden recycelte. Auch
arbeiten kann. Wir alle entnehmen der Natur mehr, als wir verkündete Chouinard früh das „clean climbing“ – das „sau-
ersetzen können. Aber auch wenn wir nicht nachhaltig sein bere Klettern“, bei dem man keine Spuren hinterlässt. Seine
können, sind wir in der Lage, verantwortungsbewusst zu handeln. Marke Patagonia wurde nach verwandten Werten geschaffen –
Das bedeutet, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, ein und soll auch in 100 Jahren noch so nachhaltig wie möglich
gründliches Wissen zu besitzen über das, was wir im Namen un agieren. Die Transparenz der Herstellungswege ist umfassend,
seres Unternehmens in unserer gesamten Lieferkette tun, uns ebenso das soziale Engagement: Seit 1985 hat Patagonia
kontinuierlich zu verbessern und dort, wo wir gelernt haben, uns zu 55 Millionen US-Dollar für Umweltgruppen gespendet.
verbessern, unser Wissen mit anderen zu teilen.
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Hornlautsprecher von Avantgarde Acoustic sind ein Erstens ist ein mächtiges sphärisches Kugelwellenhorn
Geschenk für Ihre Ohren. Die bionische Hornlautspre- verbaut, das wesentlich präziser auf Musiksignale re-
chertechnologie, die sich an der trichterartigen Physis agiert. Zweitens berechnet ein superschneller FPGA
des menschlichen Ohrs orientiert, gilt als die reinste Prozessor einen linealglatten Frequenzgang mit per-
und natürlichste Form der Schallverstärkung. Mit der fektem Zeitverhalten. Und natürlich zählen die sechs
Zero 1 gibt es dieses Traumprinzip jetzt auch als kabel- eingebauten High End Verstärker mit insgesamt 1.000
loses Plug & Play System. Ans Stromnetz anschließen, Watt Leistung zum Besten, was es heute gibt. Kommen
mit WLAN verbinden und im Smartphone auf PLAY wir zur schlechten Nachricht: Einmal einschalten und
drücken. Das ist alles! Gegenüber normalen Wireless Sie sind süchtig! Aber gerade das macht die Zero 1 so
Boxen hat die Zero1 drei entscheidende Vorteile: unvergleichlich anders.
Heft 12/2013
Preis-/Leistungsverhältnis: “ÜBERRAGEND”
2014 2014
ZERO 1
bybAyvAavnatngtgaarrddee AAccoouusstitcic
WIRTSCHAFT // Bundespreis Ecodesign
DER
BUNDESPREIS
ECODESIGN 2014
Der Bundespreis Ecodesign 2014 wird in vier Kategorien vergeben: Pro-
dukt, Service, Konzept und Nachwuchs. Es können Projekte aus sämtlichen
Unternehmensbranchen und Designsparten eingereicht werden – vom klas-
sischen Industrie-, Produkt- oder Modedesign über das Grafik- und Kommu-
nikationsdesign bis hin zum Interaction- oder Service-Design. Innovative Lö-
sungen aus den Bereichen Mobilität, nachhaltiges Bauen und Wohnen sowie
Urban Design sind ebenfalls gefragt. Darüber hinaus sind auch Projekte, die
den Fokus auf eine technische Innovation richten, ausdrücklich erwünscht.
Wichtig ist, dass das eingereichte Produkt auf dem deutschen Markt er-
hältlich ist bzw. sich als Service oder Konzept an diesen richtet. Unter
dieser Prämisse sind auch internationale Unternehmen als Wettbe-
werbsteilnehmer zugelassen.
Bewerbungen sind bis zum 14. April 2014 möglich.
Alle notwendigen Informationen finden Sie unter
www.bundespreis-ecodesign.de
72 73
Es werde grün!
VIEL MEHR ALS NUR EIN WEITERER DESIGN-AWARD: Der Bundespreis Ecodesign bewertet
erstmals die Umweltverträglichkeit von Produkten genauso hoch wie ihre Designqualität. pure,
Medienpartner des seit 2012 vom Bundesumweltministerium (BMUB) sowie vom Umweltbun-
desamt in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Design Zentrum Berlin (IDZ) vergebenen
Awards, stellt die aktuellen Preisträger vor und spricht mit Veranstalterin Cornelia Horsch
Gutes Design ist bekanntlich viel mehr als Form und Farbe. Das Von Klaus-Peter Bredschneider
Design entscheidet über Nutzbarkeit, Langlebigkeit und nicht zu-
letzt Umweltverträglichkeit, es ist also eng mit dem Wesen eines trem breit aus, weil der Bundespreis Ecodesign auf die üblichen
Produktes verknüpft. Gutes Design basiert auf langlebigen Materi- Produktkategorien verzichtet. In der Kategorie „Service“ können
alien und umweltverträglicher Produktion – je länger ein Produkt Dienstleistungen und Systemlösungen eingereicht werden, die
hält, desto besser für die Umwelt. Und wenn es sich am Ende sei- einen erkennbaren Beitrag zur Umweltentlastung leisten; die zu-
nes Lebenszyklus wiederverwerten lässt, ist das mehr als nur ein grunde liegenden Prozesse sollten zugänglich und nutzerfreund-
weiterer ökologischer Pluspunkt. All das hat sich der Bundespreis lich gestaltet sein. Schließlich werden in der Wettbewerbskategorie
Ecodesign auf die Fahne geschrieben: Er macht nicht an der äuße- „Konzept“ zukunftsweisende Konzepte, Studien und Modellprojek-
ren Hülle halt, sondern begibt sich auf die Suche nach dem Wesen te eingefordert, die sowohl aus Design- als auch aus Umweltsicht
von Produkten, Dienstleistungen und Konzepten. einen hohen Innovationsgrad aufweisen.
Ein wesentliches Merkmal ist der Verzicht auf die weitverbreitete
Die Auszeichnung erfolgt in den vier Kategorien Produkt, Service, Inflationierung von Kategorien und Preisen, der Bundespreis Eco-
Konzept und Nachwuchs. Für den Nachwuchspreis können sich design zeichnet nämlich nur maximal 15 Preisträger aus. Und wenn
Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen bewerben, die unabhängige Experten-Jury zu dem Ergebnis kommt, dass nicht
sofern der Studienabschluss nicht länger als drei Jahre zurück- ausreichend viele Kandidaten den Preis wirklich verdient haben,
liegt. In der Wettbewerbskategorie „Produkt“ können Produkte aus dann wird auch dieses Limit nicht ausgeschöpft – so aktuell ge-
allen Branchen und Designsparten eingereicht werden, die auf schehen mit lediglich zwölf Preisträgern. Ein durchaus gestrenger
dem deutschen Markt erhältlich sind, das Spektrum fällt hier ex- und ernsthafter Award also, der ganz nach vorne gerichtet ist und
Innovationen fordert. Produkte, Dienstleistungen oder Konzepte,
die ihrer Zeit voraus sind.
PREISTRÄGER KATEGORIE PRODUKT Metro-Plattform Inspiro // Siemens AG
bionic fire // Attika Feuer AG JURYSTATEMENT: „Verminderter Material
einsatz, reduzierter Energieverbrauch und
JURYSTATEMENT: „Der Kaminofen gute Recyclingfähigkeit zeichnen die Metro-
bionic fire ist ein großer Schritt in die Plattform aus. Der besondere Mehrwert wird
richtige Richtung. Die Werte für Emissi- durch den gesteigerten Fahrgastkomfort
onen und Wirkungsgrad sind hervorra- generiert. Die öffentlichen Verkehrsmittel
gend, die Feuerungstechnik innovativ, die erfahren eine Aufwertung, was den Umstieg
Bedienung einfach. Das Gerät ist leicht vom Individualverkehr zum öffentlichen
zu reparieren und insgesamt langlebig. Nahverkehr fördert.“
Ein absolut preiswürdiges Produkt.“
Hilti TE-YX // Hilti AG Handgefertigte Upcycling-Teppiche // Second Life
Rugs Ute Ketelhake
JURYSTATEMENT: „Lebensdauer
und Produktnutzen sind Grundlage JURYSTATEMENT: „Ein gut durchgedachtes Upcycling-
des innovativen Herstellungspro- Produktionskonzept, das Produktionsabfälle aus bereits
zesses der Hilti TE-YX. Zusätzlich gesponnener und gefärbter Schurwolle aus kontrolliert
wurde der Materialeinsatz um 30 % biologischer Tierhaltung ästhetisch gelungen in von Hand
verringert und das Gewicht drastisch gefertigten Teppichunikaten verwertet. Wertvolle Roh-
reduziert. Eine einzigartige Funk- stoffreste werden so innovativ zu einem anspruchsvollen
tions- und Leistungsgarantie, über Produkt weiterverarbeitet.“
die der Bohrer kostenlos ersetzt wird,
komplettieren den Produktlebens ZAwheel – Elektromobilität der Zukunft //
zyklus.“ Ziehl-Abegg SE
LifeCycle Tower – intelligente Lösung JURYSTATEMENT: „Mich beeindruckt nicht nur
für nachhaltigen Städtebau // Cree die Finesse des Antriebes – ein Elektroantrieb ohne
GmbH Getriebe und Differential, der in der Mitte des Rades
sitzt, die Bremsenergie zurückspeist und dadurch die
JURYSTATEMENT: „Der LifeCycle Effizienz im Vergleich zu einem Verbrennungsmotor
Tower ist eine Konstruktions- und erheblich steigert. Überzeugend ist zudem, dass der
Bauweise für Gebäude bis zu 30 Antrieb problemlos in bestehende Busse eingesetzt
Stockwerken. Das Holz-Hybrid-Bau- werden kann – das eröffnet neue Möglichkeiten der
system wird weitestgehend industriell Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.“
vorgefertigt und besteht überwiegend
aus dem nachhaltigen Werkstoff Holz. PYUA – Ecorrect Outerwear // Sportsman‘s Delight
Beton wird nur partiell eingesetzt. GmbH
Das Ergebnis dieser innovativen
Konstruktionsweise bedeutet eine JURYSTATEMENT: „Eine konsequent umwelt-
Halbierung der eingesetzten Ressour- bewusste und intelligente Produktentwicklung –
cen und bis zu 90 % CO²-Einsparung. besonders hervorzuheben sind die fluorcarbonfreie
Fantastisch!“ Ausrüstung, Nutzung von Recyclingfasern und Re-
cyclingfähigkeit mitsamt Rücknahmesystem. Stilbe-
PREISTRÄGER KATEGORIE KONZEPT wusst, funktional ausgereift, stark in der Farbgebung
und mit Kultstatus unter Kennern. Die Macher kennen
Revolver // Personal Wind Turbine frog design ihr Produkt und ihre Produktionskette und machen so
Europe GmbH glaubhaftes, innovatives Ecodesign vor. Respekt!“
JURYSTATEMENT: „Energetische Autarkie ist PREISTRÄGER KATEGORIE NACHWUCHS
ein aktueller Anspruch an alle Lebensbereiche.
Nachdem Solarzellen in Textilien oder Rucksäcke Integrated Urban Morphologies // Florian Krampe,
eingearbeitet wurden und so für mobile Menschen Christopher Voss
Ladeoptionen für ihre elektronischen Geräte be-
reitstellen, nimmt sich das Projekt Revolver – Per- JURYSTATEMENT: „Bei dem Projekt Integrated Ur-
sonal Wind Turbine der Stromerzeugung durch ban Morphologies handelt es sich um ein Entwurfs
Windkraft für unterwegs an. Die Windturbine programm, mit dem unter Berücksichtigung der
als Mitnahmeobjekt für Traveller oder Outdoor- jeweiligen Klimabedingungen und der Lage eines
Aktivisten wird durch den Einsatz der Darrieus Grundstücks die bestmögliche Anordnung, Form,
Turbine, die mit einer Leistung von 35 Watt im Ausrichtung, Strukturierung und Ausstattung des Ge-
Verhältnis zur Baugröße äußerst effizient zu sein bäudes ermittelt werden kann. So reduziert sich der
scheint, eine Energieerzeugungsalternative für Energiebedarf sowohl im Bau als auch im späteren
naturverbundene Menschen, die dennoch auf ihre Betrieb des Gebäudes. Ein hervorragendes Tool!“
Zivilisationstools nicht verzichten wollen und ei-
nen hohen Anspruch an Design haben.“
PREISTRÄGER KATEGORIE SERVICE Pumpipumpe – ein analoges Sharing-System // METEOR
Collectif Sabine Hirsig, Ivan Mele, Lisa Ochsenbein
SOLARKIOSK // SOLARKIOSK
GmbH JURYSTATEMENT: „In Zeiten, in denen alles online geteilt
werden kann, hat das Meteor Collectif eine pfiffige Idee für
JURYSTATEMENT: „Der Solarkiosk das analoge Teilen entwickelt: Nachbarn können Dinge, die
überzeugt als Gesamtkonzept und sie nicht so oft brauchen, einfach gemeinsam nutzen. Toll il-
in der gestalterischen Umsetzung. lustriert, kinderleicht in der Anwendung – was will man mehr!“
Über eine solarenergie-basierte
Stromversorgung ermöglicht er STARTKLAR // Esther Bätschmann
der lokalen Bevölkerung Zugang zu
Energie. Darüber hinaus bietet er JURYSTATEMENT: „Die Kollektion zeichnet
eine Geschäftsgrundlage für klei- sich durch eine gelungene Gestaltung aus, sie
ne, lokale Unternehmen und dient ist sehr stilsicher und authentisch. Die verwen-
als sozialer Treffpunkt.“ deten Materialien und Hilfsmittel sind aus Um-
weltsicht vorteilhaft und auch die Einhaltung
sozialer Standards wurde im Blick behalten.“
INTERVIEW // Cornelia Horsch
Seit 2008 leitet Cornelia Horsch das Internationale Design Zen-
trum Berlin (IDZ), das sich zum Ziel gesetzt hat, den Mehrwert
von Design als wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und öko-
logischen Faktor zu profilieren. Vor zwei Jahren wurde das IDZ
vom Bundesumweltministerium und vom Umweltbundesamt
mit der Organisation und Durchführung des Bundespreises
Ecodesign beauftragt, der erstmals gutes Design auf der Basis
ökologischer Kriterien auszeichnet. Cornelia Horsch, der die
Leitung des Projektes obliegt, studierte Design in Basel, Straß-
burg und Berlin. Nach ihrem Diplom an der Universität der
Künste in Berlin 1997 arbeitete die Produkt- und Kommuni-
kationsdesignerin freiberuflich in den Bereichen Konzeption,
Visuelle Kommunikation und Informationsgestaltung sowie
als Dozentin für Gestaltung. Bei designtransfer, einer Galerie
und Transferstelle der Universität der Künste Berlin, war sie von
2004 bis 2007 für Projektmanagement und Öffentlichkeitsarbeit
verantwortlich, bevor sie 2008 die Leitung des IDZ übernahm.
74 75 Design zu fördern. Das sollte ein Designpreis auch heute noch
leisten, an dieser Voraussetzung hat sich nichts geändert. Wenn
pure: Design-Awards gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Welche man allerdings mit einem neuen Preis kommt – so wie wir mit
Gefahren birgt diese Inflationierung? dem Bundespreis Ecodesign –, reicht es nicht mehr aus, einfach
Horsch: Es entsteht dadurch eine Sättigung, die wiederum eine nur Design als „Gute Form“ auszuzeichnen. Dann muss man tiefer
gewisse Orientierungslosigkeit zur Folge hat – welcher Award ist greifende, zum Beispiel ökologische Qualitäten mit einbeziehen.
wirklich aussagekräftig und welcher weniger? Beim Konsumenten
kommen aber offensichtlich Aufkleber gut an, auf denen Design Das ist dann auch der wesentliche Unterschied zu vorhandenen Awards?
draufsteht. Dank enger Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium
Weil es kaum noch Fachberatung im Handel gibt, weil die Produkte in und dem Umweltbundesamt verfügen wir über Möglichkeiten in der
ihren technischen Eigenschaften immer austauschbarer werden und das Materialbeurteilung, die andere einfach nicht haben. Allein über
Design als Unterscheidungsmerkmal bemüht werden muss? das Umweltbundesamt stehen uns rund 40 Experten zur Verfügung,
Die Unternehmen haben verstanden, dass das Design zu einem die sämtliche Einreichungen unter ökologischen Gesichtspunkten
immer wichtigeren Differenzierungsmerkmal geworden ist. Heute betrachten und bewerten. Dieses erste Feedback ist ein
kauft man über das Design ein Image, und deshalb gibt es ein unschätzbarer und auch unbezahlbarer Vorteil. Einreichungen, die
wachsendes Interesse, Markenimages über Awards zu festigen, die grundlegende ökologische Kriterien nicht erfüllen, werden über
dadurch zu einem Marktpositionierungsinstrument geworden sind. diese Vorauswahl aussortiert. Das ist ein wesentlicher Unterschied
Was aber herzlich wenig mit der Ausgangsidee zu tun hat? zu anderen Awards, die einfach nur das Design auszeichnen – auch
Am Anfang wurden Designpreise von Designzentren wie dem weil sie zu einer belastbaren ökologischen Betrachtung gar nicht
Rat für Formgebung entwickelt, um gutes Design auszuzeichnen in der Lage sind. Es ist diese Ernsthaftigkeit, die den Bundespreis
und bei Industrie wie Verbrauchern das Bewusstsein für gutes Ecodesign von allen anderen unterscheidet.
Vernachlässigen Sie dabei nicht den Designaspekt?
Nein, beides ist wichtig. Gutes Design ja – aber bitte in Verbindung
mit ökologischer Verantwortung. Schließlich kann das Design auch
maßgeblich zum Erfolg umweltverträglicher Produkte beitragen.
Deshalb ist die Kombination aus Ökologie und Design für uns
entscheidend. Wir wollen dazu beitragen, dass sich entsprechende
Produkte erfolgreich am Markt etablieren.
Bereits bei der Einreichung erwarten Sie von den Unternehmen eine
argumentative ökologische Begründung. Was bezwecken Sie damit?
Bei uns ist die Bewerbung etwas anstrengender für die Unter
nehmen, weil sie nicht einfach vorgefertigte Produktbeschreibun
gen abliefern können. Sie müssen formulieren, wo genau die
besonderen gestalterischen und ökologischen Qualitäten ihrer
Einreichung liegen. Es geht darum, Differenzierungsmerkmale
herauszustellen – was kann das Produkt besser als andere, welche
Umweltentlastung bringt es, wodurch hebt es sich aus der Masse
vergleichbarer Angebote heraus? So machen wir bereits bei
der Bewerbung deutlich, dass Design und ökologische Qualität
gleichwertig nebeneinanderstehen.
„Es ist die Ernsthaftigkeit, die uns
unterscheidet“
DER BUNDESPREIS ECODESIGN zeichnet erstmals Design auf der Basis ökologischer Kriterien
aus. Leiterin Cornelia Horsch über Design als Differenzierungsmerkmal, Awards als Marketing-
instrumente und ökologisches Design als Alleinstellungsmerkmal
FRAGEN AN CORNELIA HORSCH
Sie verzichten außerdem auf die sonst für Awards typischen Produkt ressen ist ein großer Trumpf. Deshalb sind wir auch sehr glücklich,
kategorien ... dass der Preis für weitere fünf Jahre finanziell gesichert ist.
Unter Marketinggesichtspunkten sind Produktkategorien nach
vollziehbar, wir haben uns dennoch dagegen entschieden und Wer die erste Hürde genommen hat und von den Experten des
fassen z. B. unter der Kategorie „Produkt“ wirklich alles zusammen, Umweltbundesamtes für ökologisch tauglich befunden wurde, kommt in die
was am Markt erhältlich ist – von Mode bis Spiel, von Auto bis engere Auswahl der Jury. Wie hat man sich die Jurysitzung vorzustellen?
Küche. Nach unserer Erfahrung wirken Produktkategorien ein Alle Produkte, welche die Vorbegutachtung überstanden haben,
engend. Wo wollen Sie denn zum Beispiel einen Solarkiosk werden hier bei uns im Flughafen Tempelhof aufgebaut und von
einordnen? Das ist mobile Architektur, aber auch ein soziales der interdisziplinären Jury unter die Lupe genommen. Darin ist
Designprojekt und gleichzeitig eine systemisch gedachte Dienst das Öko-Institut ebenso vertreten wie das Umweltministerium,
leistung. Zu eng am bestehenden Marktangebot abgefasste wir haben Werner Aisslinger als Produktdesigner dabei und
Kategorien schließen unter Umständen viele hochinteressante Erik Spiekermann als Kommunikationsdesigner. Experten für
oder auch gerade die visionären Projekte aus. Aber diese wollen Nachhaltigkeit sind ebenso vertreten wie Mode- und Architektur-
wir genauso erreichen. Schließlich wurde der Preis ja nicht Spezialisten. Ich nehme an der Jurysitzung nur als Moderatorin teil,
primär als Marketinginstrument aufgesetzt, sondern als höchste aber die Diskussionen sind wirklich extrem spannend und lehrreich.
Auszeichnung für Innovationen und zukunftsweisende Leistungen Im ersten Durchgang wird nominiert, im zweiten ausgezeichnet.
im ökologischen Design.
Noch ist die Zahl der Awards limitiert. Soll es dabei bleiben?
Es soll aber auch geworben werden mit Ihrer Auszeichnung? Das Bundesumweltministerium hat die Zahl auf maximal
Natürlich ist der Bundespreis auch ein Marketinginstrument, 15 Preisträger limitiert. Diese Limitierung soll die Exzellenz
schließlich wollen Unternehmen ja nicht nur Gutes tun, sondern des Preises unterstreichen und zugleich verhindern, dass die
auch darüber reden. Dabei hilft der Preis, dafür ist das Logo da, Nominierungen abgewertet werden, die ja auch schon eine
das übrigens ohne zusätzliche Kosten für die Produktwerbung auf beachtliche Auszeichnung bedeuten. Letztes Jahr hatten wir
allen Märkten weltweit eingesetzt werden darf. übrigens zwölf Preisträger, während es im Jahr davor noch 14
waren. Und wenn die Jury in diesem Jahr nur acht Einreichungen
Welchen Bestand soll der Bundespreis Ecodesign haben, wie lange dürfen für preiswürdig finden sollte, wäre das auch in Ordnung. Da
die Unternehmen damit werben? reden wir der Jury überhaupt nicht rein.
Die Dauer der Logonutzung ist nicht eingeschränkt, das wird sich
von selbst ergeben – schließlich ist ja anhand der Jahreszahl im Worauf sind Sie besonders stolz und welche Ziele verfolgen Sie für die
Logo ersichtlich, wann der Preis vergeben wurde. Ich gehe davon Zukunft?
aus, dass Projekte, die wir dieses Jahr auszeichnen können, in zwei Es ist uns erfreulicherweise gelungen, kleine Lösungen zu fördern,
bis drei Jahren von besseren Konkurrenten überholt werden. Das die für ein Umdenken stehen – gleichzeitig aber auch etablierte
genau ist es ja, was der Preis erreichen möchte: neue Entwicklungen Produkte mit entsprechender Marktdurchdringung auszuzeichnen.
und stetige Verbesserungen auf dem Feld des ökologischen Unter den Einreichern finden wir verstärkt große Unternehmen,
Designs voranzutreiben. gleichzeitig haben wir jedoch auch zahlreiche Einreichungen von
Studierenden mit oftmals hoch spannenden Ansätzen. Ich wünsche
Der Bundespreis Ecodesign wird von der Bundesregierung finanziell mir, dass der Preis auch weiterhin in diesem Spannungsfeld im
unterstützt. Könnte man ihn nicht wirtschaftlich betreiben? mer deutlicher die Speerspitze des Fortschritts im ökologischen
Nicht in der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit, wie sie der Preis Design zeigt. Es bleibt unser Ziel, jedes Jahr die besten Vorreiter zu
derzeit hat. Allein schon die Expertisen des Umweltbundesamtes erreichen und auszuzeichnen.
zur ökologischen Qualität der Einreichungen wären nicht bezahlbar.
Die Unabhängigkeit dieser Auszeichnung von wirtschaftlichen Inte
ESSAY // von Prof. Dr. Jutta Geldermann
Prof. Dr. Jutta Geldermann, Inhaberin des Lehrstuhls für
Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftswissenschaft
lichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen,
studierte Diplom-Wirtschaftsingenieurwesen und Betriebs
pädagogik an der Universität Karlsruhe sowie Umweltwis
senschaften und Business Administration am Trinity College
Dublin und promovierte am Deutsch-Französischen Institut
für Umweltforschung der Universität Karlsruhe über die multi
kriterielle Bewertung von Umweltschutzmaßnahmen in der
Eisen- und Stahlindustrie. Ihre Forschungsschwerpunkte
sind die Mehrzielentscheidungsunterstützung sowie die An
wendung von Methoden der Operations Research zur kosten
effizienten, umweltorientierten Ausgestaltung von Produktions-
und Logistiksystemen. Prof. Geldermann ist u. a. Dekanin der
Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät sowie Sprecherin des
DFG-Graduiertenkollegs „Ressourceneffizienz in Unterneh
mensnetzwerken – Methoden zur betrieblichen und überbe
trieblichen Planung für die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe“.
76 77 Zielen. Doch eine simultane Verwirklichung all dieser Ziele
kann zu Widersprüchen und Zielkonflikten führen. Das Dilemma
Zahlreiche Programme und Initiativen von Ministerien, Verbänden zeigt sich schon bei scheinbar einfachen Aufgaben wie der
und auch der Europäischen Union oder der Vereinten Nationen Maschinenbelegungsplanung: Sollen alle Aufträge auf den
(UNEP: United Nations Environment Programme, und UNIDO Maschinen möglichst schnell bearbeitet werden oder will man
United Nations Industrial Development Organisation) zielen die Anzahl der Verspätungen oder aber die maximale Verspätung
heute auf die Steigerung der Ressourceneffizienz. Ansprechende eines Auftrags minimieren? Denn je nach Zielsetzung ergeben
Internetseiten zeigen in anschaulichen Beispielen die Verbindungen sich andere Bearbeitungsreihenfolgen und unterschiedliche
zur Kreislaufwirtschaft, zur Nachhaltigkeit im Allgemeinen und betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Und der Rechenaufwand für
zum nachhaltigen Konsum im Besonderen auf. Worin besteht aber solche Zuordnungsprobleme steigt exponentiell – wie im Märchen
nun die Neuigkeit der Ressourceneffizienz? vom Reiskorn und dem Schachbrett.
Die EU hat die „Roadmap to a Resource Efficient Europe“ Da tut sich nun am Horizont die Vision der Ressourceneffizienz auf
herausgegeben, deren deutsche Übersetzung sich etwas nüchterner und gestaltet sich laut „Roadmap to a Resource Efficient Europe“
liest: „Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa” – das weckt verheißungsvoll: „Bis 2050 ist die Wirtschaft der Europäischen
andere Assoziationen, man denkt sogleich an Verzögerungen im Union auf eine Weise gewachsen, die die Ressourcenknappheit
Betriebsablauf, an Einschränkungen. Recherchieren wir zunächst und die Grenzen des Planeten respektiert, und trägt so zu einer
den Begriff Ressourceneffizienz in den Wirtschaftswissenschaften: weltweiten wirtschaftlichen Umgestaltung bei. Unsere Wirtschaft
Ganz allgemein bezeichnen Ressourcen die Mittel, die in die ist wettbewerbsfähig und integrativ und bietet einen hohen
Produktion von Gütern und Dienstleistungen eingehen, also die Lebensstandard bei deutlich geringerer Umweltbelastung. Alle
sogenannten Produktionsfaktoren Werkstoffe, Betriebsmittel Ressourcen werden nachhaltig bewirtschaftet, von Rohstoffen bis
und menschliche Arbeit. Effizienz ist ein Beurteilungskriterium, hin zu Energie, Wasser, Luft, Land und Böden. Die Etappenziele
ob eine Maßnahme ein vorgegebenes Ziel unter Wahrung des des Klimaschutzes wurden erreicht, während die Biodiversität
Wirtschaftlichkeitsprinzips erreicht. Nach diesem Prinzip (auch und die Ökosystemleistungen, die sie unterstützt, geschützt und
ökonomisches Prinzip genannt) muss ein bestimmter Output mit wertbestimmt werden und im Wesentlichen wiederhergestellt sind.“
dem geringstmöglichen Input oder aber mit einem gegebenen Input
der größtmögliche Output erzielt werden. Das ist seit Generationen Visionen sollte man aber mit der gebotenen Skepsis begegnen.
Gegenstand jeder Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, und Fragen wir also betriebswirtschaftlich nüchtern: Können alle
ein vernunftgemäßer Umgang mit den zur Verfügung stehenden diese Ziele zugleich erreicht werden? Wenn schon vergleichsweise
Mitteln sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Denn wer kleine Planungsprobleme wie eine effiziente Maschinenbelegung
nachhaltig und verantwortungsvoll mit Energieträgern, Rohstoffen aufgrund widersprüchlicher Ziele zu unlösbaren Rechenaufgaben
und Nutzflächen umgeht, kann Ziele mit weniger Mitteln erreichen. werden, wie soll dann erst eine weltweite wirtschaftliche Um
Doch welche Ziele sollen überhaupt erreicht werden? Meist gestaltung gelingen?
werden Minimierung der Produktionskosten, Verbesserung der
Produktivität, Verkürzung von Durchlauf- oder Produktionszeiten Schauen wir uns beispielsweise die Produktion nachwachsender
oder Erhöhung der Ausbringungsmenge genannt, aber auch die Rohstoffe an, die in den letzten Jahren erheblich ausgedehnt wurde.
Steigerung des Qualitätsniveaus und der Zuverlässigkeit sowie die Während die Anbaufläche für die stoffliche Nutzung praktisch
Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder des Umweltschutzes konstant blieb, ist die Ausweitung aufgrund der Fördersituation
zählen zu den bekannten und wichtigen betriebswirtschaftlichen in Deutschland vor allem auf Energiepflanzen zurückzuführen, die
direkt energetisch genutzt werden. Grundsätzlich stellt sich jedoch
die Frage, ob für nachwachsende Rohstoffe nicht sinnvollerweise
eine verstärkte Kaskadennutzung angestrebt werden sollte, also
eine Maximierung der stofflichen, einschließlich einer chemischen
(Mehrfach-)Nutzung desselben Rohstoffs, bevor sich spätestens
am Lebenszyklusende eine energetische Nutzung anschließt.
Vorsicht vor der Rolle rückwärts
ALTE PRINZIPIEN WERDEN NEU ENTDECKT – wie die Rückkehr zu nachwachsenden Rohstoffen.
Doch Vorsicht vor der Rolle rückwärts: Wir planen mit kleinen Datensätzen von begrenzter Aus-
sagekraft. Planungsmethoden müssen erforscht und in ihrer Komplexität verstanden werden.
Auch nachhaltiger Konsum will geübt sein.
ESSAY | VON PROF. DR. JUTTA GELDERMANN
Holz beispielsweise ist ein nachwachsender Rohstoff, der in der falsch sein – weil sie schlicht auf einem Messfehler basieren
holzverarbeitenden sowie in der Papier- und Zellstoffindustrie (Beispiel Spinat). Auch nachhaltiger Konsum will geübt werden.
genutzt wird. Neue Einsatzmöglichkeiten von Holzbestandteilen Wobei sich freilich die Interessensschwerpunkte der Schwellen-
werden derzeit für Lignocellulose, ein Gemenge aus Cellulose und und Entwicklungsländer stark von denen der Industrieländer
Lignin, untersucht. Auch aus Miscanthus sinensis, Getreidestroh, unterscheiden. Denn wer hungert, dessen Gedanken kreisen nicht
Schilf, Gras oder aus Reststoffen wie Papierabfällen lässt sich um eine fein abgestimmte Nährstoffzusammenstellung.
Lignocellulose gewinnen. Neben dem schon etablierten Einsatz Bei aller Forschungseuphorie in Sachen Nachhaltigkeit sollte
als Faser im Baustoffbereich erforscht man aktuell sogenannte man zudem die Gefahr des Trudelns der global vernetzten
Lignocellulose-Bioraffinerien zur Herstellung von Kraftstoffen Wertschöpfungsketten nicht außer Acht lassen. Man darf nicht
und Plattform-Chemikalien. Dabei handelt es sich um sogenannte vergessen: Erst die chemische Industrie bereitete dem Hunger
Kuppelproduktionsprozesse, bei denen mehrere Erzeugnisse in den heutigen Industrieländern ein Ende. Und die große
gleichzeitig entstehen. Hungersnot in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts wurde vor allem
durch gravierende Fehler in der Rohstofflogistik verursacht.
Durch die Verbindung des Material- und des Energiesektors
sowie durch technologische Möglichkeiten der Realisierung einer Eine nachhaltige Industriegesellschaft kann sich keine Rolle
Kaskadennutzung bieten sich faszinierende neue Optionen zur rückwärts in agrarische Gesellschaften mit all ihrer Plackerei
effizienteren Verwendung nachwachsender Rohstoffe und zur und drohenden Hungersnöten erlauben. Bei der Produktion mit
Optimierung der Flächennutzung. Aber wer soll, wer kann das nachwachsenden Rohstoffen in Wertschöpfungsnetzen sind
umsetzen? vielfältige Unwägbarkeiten ins Kalkül zu ziehen. Planungs
Gefordert sind hier vor allem die Ausbilder des akademischen unsicherheiten betreffen etwa die Mengen und Qualitäten der
und wissenschaftlichen Nachwuchses. Neue Studiengänge teilweise nur saisonal verfügbaren Rohstoffe sowie deren häufig
versuchen, fachübergreifendes, trans- oder interdisziplinäres nur bedingte Lagerungsfähigkeit. Darüber hinaus sind bei der
Wissen zu vermitteln – in ausgewogenen ECTS-Häppchen. Doch betrieblichen Planung spezifische Risiken und Störfaktoren zu
kann das gelingen? Schließlich vermag man ja erst dann über berücksichtigten wie Ernteausfall durch Schädlingsbefall, Stürme,
den berühmten Tellerrand hinauszuschauen, wenn einem das Spätfröste, Dürre oder Brände. Als weiterer wirtschaftlicher
nächstliegende Terrain und dessen Grenzen bekannt sind. Um bei Unsicherheitsfaktor kommt im Bereich der erneuerbaren Energien
diesem Bild zu bleiben: Man muss erst die heimischen Gerichte die besondere steuerliche Berücksichtigung hinzu, die die
kennenlernen und wissen, welche Nährstoffe aus Kartoffeln, strategische Produktionsplanung stark beeinflusst. Und ferner ist
Nudeln, Reis oder Gemüse kommen und wie viel tierisches und zu untersuchen, welche Auswirkungen sich durch den effizienteren
pflanzliches Eiweiß für eine ausgewogene Ernährung notwendig Einsatz erneuerbarer Rohstoffe für deren Lieferanten sowie für
sind und den Kreislauf gut erhalten. Vom theoretischen Wissen Handel und Verbraucher ergeben können.
bis zur praktischen Anwendung liegt dann meist noch ein weiter
Weg. Beispiel Uni-Mensa: Die längsten Schlangen bilden sich bei Hier zeigt sich erneut, wie schwierig es ist, dynamische
Schniposa (Schnitzel, Pommes, Salat) – wobei der Salat auch gerne Entwicklungen zu erfassen. Doch auch abrupte Änderungen
mal weggelassen wird. Erst nach etlichen eigenen Erfahrungen von Verbrauchsmustern oder Sprünge in der technologischen
lernt man vielleicht die Vorzüge von Slow Food schätzen, Entwicklung sind bei der langfristigen Planung zumindest in
experimentiert mit Ungewohntem, ernährt sich nach dem Motto Szenarien miteinzubeziehen. Um sich der Vision der „Roadmap
„essen, was man beschützen will“ und unterstützt so bewusst to a Resource Efficient Europe“ zu nähern, muss die Komplexität
sinnvolles Bewirtschaften und das Vermeiden von Raubbau. der betrieblichen und überbetrieblichen Wertschöpfungsketten
zunächst verstanden werden. Daher ist die Entwicklung geeigneter
Ähnlich wie mit der Herausbildung des individuellen Planungsmethoden unerlässlich. Letzten Endes können nur
Ernährungsverhaltens ist es mit der Entwicklung von indus ein fächerübergreifender Austausch und eine interdisziplinäre
triellen Sektoren: Das Zusammenwirken muss erlernt, erfahren Zusammenarbeit dazu führen, dass die Komplexität in ihrem
werden. Aufgezwungenes schmeckt nicht. Und selbst mühsam vollen Umfang erfasst und verstanden und dadurch das Ziel der
erarbeitete wissenschaftliche Erkenntnisse können manchmal Ressourceneffizienz erreicht werden kann.
TECHNIK & INNOVATION // Holz-Novitäten DESIGN
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Der Werkstoff Holz trägt noch so viel von
der Lebendigkeit der Bäume in sich, aus
denen er stammt, dass er wie kaum ein an-
deres Material zu Kreativität anregt. Und die
Ideen für seine Verwendung und Gestaltung
scheinen nie zu versiegen. Im Gegenteil:
Neue Bearbeitungs- und Kombinations
möglichkeiten verstärken diesen
Ideenfluss jetzt sogar.
Überraschendes
aus dem Wald
EIN ALTER BEKANNTER, fast schon langweilig vertraut. Auf einmal begegnet er
uns in Bereichen, wo wir ihn nie vermutet hätten, geht spannende Liaisons ein,
präsentiert seine bewährten Fähigkeiten in ungewöhnlichen Outfits und zieht so
erneut unser Interesse auf sich: Holz
Von Sandra Makowski
Ein Teppich aus Furnier. Ein massiver Balken, durch raffinierte
Einschnitte so biegsam geworden, dass er sich wie ein Stoffband
verknoten lässt. Raffinierte Haute Couture. Flexibel formbarer
Schmuck. Brillengestelle, die – bis hin zu den feinen Scharnieren –
aus einem nachwachsenden Material bestehen ...
Holz, einer der lebendigsten und ansprechendsten Werkstoffe
überhaupt und vergleichsweise einfach zu bearbeiten, hat Ge-
stalter von jeher dazu anminiert, Schönes und Nützliches aus
ihm zu erschaffen. Innovative Verarbeitungstechnologien er-
weitern dieses höchst spannende Experimentierfeld nun in
immer neue Anwendungsbereiche hinein. Besonders faszinie-
rende Ergebnisse entstehen zum Beispiel durch mutige Kom-
binationen von Holz mit anderen Materialien – etwa Textilien.
Mit Verve stürzt sich die junge Designer-Generation weltweit
in diese technischen und gestalterischen Wagnisse.
„Mit etwas anderem als mit echtem Holz zu arbeiten, wäre für
mich nie in Frage gekommen“, sagt Elisa Strozyk. „Holz hat eine
besondere Haptik und vermittelt einfach ein ganz anderes Erleb-
nis.“ Die Gestalterin studierte an der Kunsthochschule Berlin-
Weißensee Textil- und Flächendesign und „Future Textile Design“
in London. „Bei diesem Studiengang in Großbritannien wurde das
Experimentieren mit verschiedenen Materialien sehr gefördert“,
Eine Idee, die Wellen schlägt:
Die Designerin Elisa Strozyk
verband zartes Furnier mit
Stoff – und schuf so „Wooden
Carpets“. Selten sind
geometrische Muster schöner
anzusehen – ein vielfach preis-
gekrönter Entwurf.
Zu beziehen bei Boewer.
(Foto: Axel Struwe)
TECHNIK & INNOVATION // Holz-Novitäten
80 81 02 03 01
04 05
01 Starker Rahmen, federleicht: Furnier-
Brillen von HERRLICHT
02 Ebenholz-Geometrie: Edle Clutch von
Tesler+Mendelovitch
03 Elastisch: Armreif von Gustav Reyes
04 Ästethisch und umweltfreundlich:
Surfboards aus Balsaholz von Kun_tiqi
05 Elegant: Modegestalterin Esther Per-
bandt experimentiert mit „Timberwave“
auch in Holz. (Foto: Birgit Kaulfuß)
erzählt sie. „Eine Kommilitonin hat sogar mit Beton gearbeitet.“ ten Bestandteilen aus hauchdünnem Holz. Und das israelische
Sie selbst hatte einen Teppich aus Hunderten kleiner Holzplätt- Designer-Duo Tesler+Mendelovitch formt edle Handtaschen, de-
chen im Sinn. Zahllose Muster probierte sie aus, in immer wie- ren geometrisch gemusterte, dreidimensionale Oberflächen sich
der anderen Abmessungen und Stärken. Sie testete verschiedene mit Leder oder Stoff nicht so realisieren ließen wie eben mit
Textilien, Klebstoffe, Hölzer. Und fand schließlich Kombinatio- Holz – das hier durch ein speziell entwickeltes Herstellungs
nen, die auch unter ständiger Beanspruchung nicht brüchig wur- verfahren zu einer Art von neuem Textil wird.
den. Ein lohnender Aufwand: Ihr „Wooden Carpet“ aus Mooreiche Furnier heißt das Stichwort. Diese 0,3 bis 6 mm zarten Holzblätter
oder Birnbaum sorgte international für Furore – denn nicht allein bringen die Schönheit und Eleganz von Holzmaserungen und -fär-
sein außergewöhnliches Material und sein extravagantes Mus- bungen besonders zur Geltung. Zudem sind sie erstaunlich robust
ter ziehen die Blicke auf sich, sondern auch seine überraschende und lassen sich gut verarbeiten. Schon bei den alten Ägyptern ein
Wandlungsfähigkeit: Flach ausgebreitet, erfüllt er seinen Zweck als begehrtes Dekorationsmittel und in moderner Zeit hauptsächlich
dekorativer Bodenbelag. Mit wenigen Handgriffen zusammen im Möbelbau und zur Veredelung von Autocockpits verwendet,
geschoben, wird er zur beliebig variablen Skulptur. halten sie nun Einzug in alle Bereiche der Designwelt.
Holz offenbart auch hier einen seinen größten Vorteile, der dem Zu der wachsenden Zahl von Gestaltern, die Furniere für exquisite
Laien angesichts wuchtiger Balken zunächst gar nicht in den Sinn Produkte nutzen, gehört auch Andreas Licht, der unter dem Label
kommen mag: sein vergleichsweise geringes Gewicht. Dies und „HERRLICHT“ Brillen in Handarbeit herstellt. Mit größter Sorgfalt
die Möglichkeit, es millimeterdünn zu schneiden, machen das aus Schicht für Schicht übereinandergelegtem Holzfurnier gefer-
Naturmaterial auch für feinste Verarbeitungszwecke interessant. tigte, wertig anmutende Einzelstücke – die sich obendrein durch
Selbst in Bereichen, wo man ihn auf Anhieb nicht vermuten wür- unvergleichlichen Tragekomfort auszeichnen.
de, kommt deshalb dem Werkstoff aus dem Wald eine „tragende“ „Huch, die ist aber leicht!“ Diesen überraschten Kommentar hört
Rolle als gestalterisches Element zu. So spielt etwa die Berliner der Meister fast immer, wenn sich Besucher in seiner kleinen Werk-
Modedesignerin Esther Perbandt bei ihren Entwürfen mit fes- statt im beschaulichen Städchen Erfurt probeweise eine Brille aus
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06 Genial: Balken, flexibel wie ein Stoffband – durch die
innovative Einschnitttechnik „dukta“. Der Hocker
aus dukta-Holz ist ein Prototyp von fries&zumbühl.
07 Graziös: Joseph Walshs „Enignum Shelf“
(Foto: Andrew Bradley, Joseph Walsh Studio)
08 Versteckt: Die Decke des Assembly Studios in
Melbourne birgt Kabel. (Foto: assemblepapers.com.au)
09 Marmoriert: Pernille Snedker Hansen von Snedker
Studio fertigt „Marbelous Wood“. (Foto: snedkerstudio)
Ahorn oder Raucheiche auf die Nase setzen. Die Gestelle seiner sel aus zart gebogener Birke, aus Weidenholz ein urwüchsiger Sitz
Modelle sind in etwa so stark wie die von Kunststoffbrillen – aber präsentieren sich dem interessierten Besucher. Man habe, so die
eben federleicht. Um vom ersten Prototyp bis zu solcher Vollen- Kuratorin, mit der Wahl der Objekte eine „postmoderne Nuance“
dung zu gelangen, musste Licht – der keine Schreinerausbildung des klassischen Rohstoffes zeigen wollen.
absolviert hat, in Sachen Holzbearbeitung also Autodidakt ist –
lange mit dem Werkstoff experimentieren. Inzwischen bestehen Aus Holz lassen sich auch maßgeschneiderte Sportgeräte fertigen.
sogar die Bügelscharniere der von ihm hergestellten Brillen aus Ski zum Beispiel. In Wasserski-Breite für Tiefschnee-Enthusiasten
dem nachwachsenden Material. Und die Etuis? Die sind natürlich oder als schnurgerade Zweimeterlatten für Traditionalisten. Fast
ebenfalls aus Holz – vom Walnussbaum. Dass er seine Idee um- immer besteht ihr Kern – zumindest im kritischen Bindungs-Be-
setzen konnte, verdankt der Erfurter Handarbeiter zum einen sei- reich, wo Schrauben festen Halt finden müssen – aus dem har-
nem Enthusiasmus, zum anderen aber auch der fachmännischen ten und zugleich flexiblen Holz der Esche. Und in jedem Fall sind
Unterstützung von ungeahnter Seite – von Modellbauern nämlich. sie perfekt abgestimmt auf den individuellen Fahrstil des Käufers.
„Die sind es gewohnt, nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum zu Verfechter des Prinzips „Do it yourself“ können – selbst wenn sie
arbeiten und nach ungewöhnlichen Lösungen für winzige Bauteile keinerlei Vorkenntnisse im Schreinern mitbringen – zum Beispiel
zu suchen.“ bei „Pepperblue“ in Bayern oder Österreich die Kunst des Skibaus
erlernen und sich ein Paar „Eigene“ anfertigen. „Unter der richti-
Dass beim Arbeiten mit Holz die Grenzen zwischen Kunst, Design gen Anleitung schaffen das auch Teilnehmer, die vorher allenfalls
und Handwerk zu fließen beginnen, zeigt die Ausstellung „Against in der Grundschule mit einer Laubsäge gearbeitet haben“, weiß
the Grain“, zu sehen in New York und in Florida. „Die Anziehungs- Geschäftsführer Andreas Mück aus Erfahrung.
kraft, die Holz auf Künstler ausübt, ist unendlich“, sagt Lowery Wer statt auf Schnee lieber auf Wasser surft, wird im Holz
Sims, Kuratorin dieser Ausstellung im „Museum of Arts and De- bereich ebenfalls fündig: Hölzerne Surfbretter sorgen nicht nur
sign“ (MAD) am Central Park. „Es ist extrem wandlungsfähig.“ Holz für einen edlen Retro-Stil beim Wellenreiten, sondern auch
könne Altes mit Neuem kombinieren. Beispielhaft ist hier die „Ikea für einen erstaunlich konkurrenzfähigen Auftrieb. Die Surf-
Daguerrotype“ – einer der Publikumsrenner im MAD: Das popu- boards von „Kun_tiqi“, die der aus Deutschland stammende
läre Möbel aus der Massenproduktion wird durch die Verbindung Stefan Weckert in Spanien von Hand produziert, bestehen aus
mit nostalgischen Bildern vollkommen verändert. Auch ein Schafs- federleichtem Balsaholz und erreichen eine exzellente Wasser
schädel aus poliertem Holz, ein Huhn aus Streichhölzern, ein Ses- lage. Sie sind außerdem langlebig – ein enormer ökologischer
TECHNIK & INNOVATION // Holz-Novitäten
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12 13
10
82 83 10 Eigenartig: Floris Wubbens „Tree Fungus Shelf“
11 (Foto: Studio Floris Wubben)
11 Urig: Erlenholz-Sitze (www.brentcomber.com)
12 Variabel: Sessel-Kombi von Behnisch Architekten
(Foto: Rolf Benz)
13 Vornehm: Mercedes-Cockpit mit Wurzelholz
14 Archaisch: „Wood“ von Morgen (Foto: morgen.org)
15 Selbstgemacht: Endprodukt eines Skibau-Kurses bei
Pepperblue (www.pepperblue.de)
16 Gut: Nachhaltige Eichenholzräder (Foto: BoughBikes)
Vorteil, wenn man bedenkt, dass ambitionierte Surfer mitun- fündig: Zur Resistenzklasse 1 – also zu den Hölzern, die härtesten
ter in jeder Saison ein neues Kunststoffboard bestellen. Eine Bedingungen standhalten – zählt zum Beispiel das Kernholz der
Neuheit, back to the roots: Schon in den 1930er Jahren surften Robinie, eines Laubbaums, dessen Holz sich als Stütze im Berg-
Hawaiianer auf Balsa-Boards. bau ebenso bewährt hat wie im Weinbau. Ohne irgendeine Impräg-
nierung trotzt es etwa als Skulptur, als Spielgerät oder als Blumen-
Baustoff: Ein weiteres wichtiges Stichwort, wenn von Holz die behälter über viele Jahre Nässe und anderen Umwelteinflüssen.
Rede ist. Viele unserer heimischen Holzarten weisen bereits in
unbehandeltem Zustand Eigenschaften eines Hightechmaterials Die Verwendungsbandbreite des Werkstoffs Holz ist wirklich
auf: Sie sind stabil genug, um als tragende Struktur mehrstöcki- enorm: Hier Brillen aus Tanganjika-Holz von „Gold & Wood“, die
ger Bauwerke zu dienen. Beständig genug, um über Jahrzehnte in sich auch auf den berühmten Nasen von Rockstars wie Anthony
Wasser zu stehen, ohne zu verrotten. Flexibel genug, um enorme Kiedis, dem Sänger der „Red Hot Chili Peppers“, oder von Schau-
Temperaturunterschiede auszuhalten. Zunehmende Ressourcen- spielern wie Antonio Banderas finden. Da von Holzkonstrukten
knappheit, die Diskussion über CO²-Emissionen sowie steigende getragene, fußballfeldgroße Flugzeughallen und Hochhäuser.
Preise für Stahl, Dämmstoffe und Beton machen in jüngster Zeit Einerseits dient dieser Werkstoff als Material für zeitlose Bugholz-
Holz als nachhaltigen Baustoff auch für großvolumige Gebäude möbel, andererseits ist er bis heute unverzichtbar in der Automo-
interessant. Nebenbei bemerkt: Die ältesten noch bestehenden bilindustrie.
Holzgebäude der Welt, Pagoden des buddhistischen Tempels Ho-
ryu-ji im japanischen Ikaruga, stammen aus dem späten siebten Ein Cockpit-Design zu kreieren, das dem Fahrer Attraktiveres bie-
Jahrhundert. tet als die Aussicht auf eine Masse aus schwarzem oder grauem
Natürlich muss man auch das für die jeweilige Anwendung ge- Kunststoff, bleibt für die Techniker wie für die Innenraum-Gestalter
eignete Holz wählen. Wer eine Alternative zu widerstandsfähigen eine knifflige Aufgabe. Schließlich herrschen in einem Auto beson-
Tropenhölzern wie Teak oder Afzelia sucht, wird auch in Europa dere Bedingungen. Jedes dort eingesetzte Material muss extremen
16 100%
Wasserkraft.
Temperaturen unbeschadet standhalten und trotz starker Sonnen Ökostrom aus
einstrahlung dauerhaft farbbeständig sein. Hinzu kommen – gera- der Heimat.
de was das Armaturenbrett anbelangt – Sicherheitsanforderungen,
mit denen sich etwa ein Möbeltischler nicht auseinanderzusetzen Die Herkunft Ihres Stroms ist
hat. Eine Leiste, die schön aussieht, bei einem Unfall aber split- uns wichtig. Wir gehen für Sie
tern und die Insassen verletzen könnte – undenkbar. „Daher ist ein verantwortungsvoll mit der
Zierteil nicht einfach ein simples Brett, sondern ein komplexer Umwelt um und liefern nach-
Aufbau von Trägermaterialien und Furnier“, erklärt Martin Bremer haltigen Ökostrom. Wechseln
von der Abteilung „Design Color & Trim“ bei Mercedes-Benz. Das Sie jetzt zu 100% deutsche
zieht hohen Aufwand nach sich – den die Kunden aber bis heu- Wasserkraft.
te zu zahlen bereit sind. „Materialien wie Metall, Holz und Leder
haben wir schon bei unserem ersten Fahrzeug im Jahr 1885 ein- www.naturenergieplus.de
gesetzt“, sagt Bremer. Und wenngleich Carbon und Aluminium im
Fahrzeug-Interieur mittlerweile eine bedeutende Rolle spielen:
„Bei einer Marke wie Mercedes-Benz ist Holz auch in Zukunft nicht
wegzudenken.“ Eine hölzerne Leiste vermittle, so Bremer, automo-
bile Tradition. Mit einer lebhafteren Maserung in dunklem Braun
bringe sie klassische Eleganz in einen Wagen, während etwa eine
Variante mit linearen Hölzern einen moderneren Look entstehen
lasse. „Solche Zierteile sind in der Lage, einem formal identischen
Interieur einen komplett anderen Charakter zu verleihen.“
Holz mag sich im normalen Zustand weder spritzgießen noch
schweißen lassen. Doch um einen Prototyp aus Holz herzustel-
len, braucht es kaum mehr als ein paar Werkzeuge – ein nicht zu
unterschätzender Vorteil, der auch bei der Feinjustierung des
fertigen Produkts zum Tragen kommt: Ein letzter Schliff, um ein
Schmuckstück noch schöner werden zu lassen – bei Kunststoffen
oder Edelmetallen undenkbar, bei Holz kein Problem
Zum Abschluss noch ein kühl-ökonomischer Blick auf das Ökosys-
tem, aus dem wir dieses wunderbare Material holen – den Wald:
Er bedeckt nahezu ein Drittel Deutschlands – und zählt zu unseren
produktivsten Herstellern: Umgerechnet wächst in deutschen Wäl-
dern in jeder Sekunde ein Holzwürfel mit einer Kantenlänge von
156 Zentimetern heran. Und: Der Wald gibt hierzulande 1,3 Millio-
nen Menschen Arbeit – vom Holzfäller bis zum Papiertechnologen.
So betrachtet ist er ökonomisch von größerer Bedeutung als die
Automobilindustrie oder der Maschinenbau.
Eigner eines nachhaltig bewirtschafteten Waldes befinden sich in
einer beneidenswerten Situation: Sie sind im Besitz eines Roh-
stoffs, der für unzählige Anwendungen attraktiv ist – und dessen
Quelle unablässig sprudelt.
INTERVIEW // Serge Lunin
„Ganz so einfach ist es nicht“
„DUKTA“ LÄSST SICH VERFORMEN, OHNE ZU BRECHEN. Duktiles Holz. Das Bugholz des
21. Jahrhunderts. SERGE LUNIN hat es gemeinsam mit dem Industriedesigner CHRISTIAN KUHN
entwickelt. Der Gestalter und Dozent über die Bedeutung von Geometrie und Tiefe bei Holz-
einschnitten und fantastische Schallabsorption
84 85
pure: Eine Säge, ein Stück Holz, ein Schnittmuster – ist das alles, was Wie entstand die Idee?
man benötigt, um aus einem Balken, der genauso gut ein tragendes Christian Kuhn besuchte an der „Zürcher Hochschule der Künste“
Element in einem Dachstuhl sein könnte, ein flexibles Material werden (ZHdK) einen meiner Kurse zum Thema „Gestalten mit Holz“.
zu lassen? Als angehender Industriedesigner wollte er sein handwerkliches
Serge Lunin: Ganz so einfach ist es nicht. Wir haben viele Monate Können vertiefen. Und er hatte eine Idee: Er wollte eine Liege aus
lang experimentiert, mit immer wieder anderen Hölzern. Die mehrfach gekrümmten Holzelementen bauen, die sich dem Körper
Geometrie und die Tiefe der Schnitte müssen exakt passen, damit anpassen, und dabei eben nicht mit Bugholz arbeiten, also mit
ein stabiles Stück Holz flexibel wird und eben nicht bricht. Ich bin Holz, das unter Wasserdampf gebogen wird. Wir haben dann nach
selbst ausgebildeter Bau- und Möbelschreiner, aber damit so etwas Alternativen gesucht. So entstand „dukta“. Und während wir zu
funktioniert, muss man wirklich auf jedes Detail achten. Wir haben Beginn noch eine Lamello-Handmaschine durch das Holz geführt
eng mit der Schreinerei Schneider in Pratteln zusammengearbei haben, arbeiten wir heute mit computergesteuerten Maschinen,
tet und im Rahmen eines 18-monatigen Forschungsprojekts der die präzise und vibrationsarm durchs Holz gleiten.
schweizerischen Förderagentur für Innovation, der „Kommission für
Technologie und Innovation“, auch mit der Berner Fachhochschule Braucht man dafür besonders stabile Holzarten?
kooperiert. Erst heute, nach sehr, sehr vielen Experimenten, Erstaunlicherweise ist es mit vielen verschiedenen Hölzern
können wir wirklich genau abschätzen, wann eine eingeschnittene machbar, auch mit Holzwerkstoffen wie OSB-Platten oder
Platte brechen würde. Dreischichtplatten. Natürlich reagiert jedes Holz anders und man
muss die Besonderheiten kennen. Doch die verschiedenen Arten
eröffnen auch viele Möglichkeiten. Lindenholz etwa sieht sehr
schön aus, aber auch eine Dreischichtplatte wirkt sehr hochwertig.
Sogar die aus groben Spänen bestehenden OSB-Platten mit ihrer
unruhigen Oberfläche eignen sich, wenn es zum Design passt. Das
Entscheidende an dem Material ist nicht das Holz, sondern die
Technik. Wir haben beispielsweise sehr lange experimentiert, um
ein ausrissfreies Einschneiden zu erreichen. Schließlich ist das
Festhalten des zunehmend flexibel werdenden Werkstoffes auf
der Maschine nicht einfach.
Ihre Platten haben eine nahezu textile Anmutung. Die Wellen, die sich so
ins Massivholz bringen lassen, wirken elegant und bieten durch die tiefen
Perforierungen interessante Kontraste. Für welche Einsatzzwecke eignet
sich nun so ein Werkstoff?
Die Technologie lässt sich eigentlich in sehr vielen Bereichen
anwenden. Der Werkstoff ist flexibel und doch bruchfest, außerdem
kann man ihn fräsen, zuschneiden und schleifen. Durch die vielen
Hey Papa, wir kaufen Bio-Gemüse
und regionale Produkte.
Nur warum wohnen wir noch
immer so ungesund?
FRAGEN AN SERGE LUNIN DURCH UND DURCH NACHHALTIG. MIT
DER WELTWEIT ERSTEN CRADLE-TO-
Einschnitte wirkt „dukta“ schallabsorbierend. Man erreicht da CRADLE ZERTIFIZIERTEN BIO-DÄMMUNG
fantastische Werte, und zwar in allen Frequenzbereichen, daher
ist die Technologie ideal für Trennwände im Büro oder für eine Jedes unserer höchst energieeffizienten Architektenhäuser ist ga-
Deckenverkleidung im Kino. Auch eine Außenanwendung ist rantiert gesund gebaut. Und gedämmt mit einem der besten Bio-
möglich, denn die Schnitte sind konisch gesetzt. So fließt das Dämmstoffe der Welt: unserer patentierten Holzspänedämmung.
Regenwasser ab und das Holz trocknet wieder. Dafür erhielten wir als erstes Hausbauunternehmen weltweit das
höchste Nachhaltigkeitssiegel Cradle-to-Cradle in Gold. Mehr
Dass ein gewellter Raumteiler, schön und markant eingeschnitten, besser Nachhaltigkeit bietet keiner.
aussieht als ein schnöder Lärmschutz im Büro, liegt auf der Hand. Doch
wo sehen Sie Möglichkeiten im Design? JNeatczthhwaelittiegrkleeistenenutdnedckmeenh:r
Bei der Ausstellung „wood loop – auf biegen und brechen“ im
Gewerbemuseum Winterthur wurde eindrücklich gezeigt, was wwwwww.b.abuafurfirtizt-zp.uch.de
möglich ist. Sitzmöbel aus dem Material sind technisch machbar,
das Gewicht des Sitzenden ist kein Problem. Das kann natürlich
sehr interessant sein, wenn man einen Hocker im flachen Zustand
verkaufen kann, der dann zu Hause mit wenigen Handgriffen
zusammengesteckt wird. In der Ausstellung gab es viele spannende
Anwendungsmöglichkeiten zu sehen. Die Textildesignerin Annette
Douglas hat beispielsweise einen Läufer entwickelt, der über
eine Treppe führt. Das Architekturbüro „Gramazio & Kohler“
hingegen verformte Balken zu einer an der Wand angeordneten
„Spannungsreihe“. Es ist schön, dass die Möglichkeiten von „dukta“
jetzt auch im Design erkannt werden. Doch auch bei kleineren
Dingen kann die Technologie passen – etwa um bewegliche Teile
in ein Holzspielzeug einzubauen.
Nach seiner Ausbildung zum Bau- und Möbelschreiner absol-
vierte Serge Lunin verschiedene Weiterbildungen. Seit 1990
unterrichtet er an der ZHdK im Bachelor Vermittlung von Kunst
und Design in den Bereichen Design, Materialexperimente
sowie im Funktionalen und Szenischen Gestalten. Seit 2006
arbeitet er zusammen mit dem Produktgestalter und ZHdK-
Absolventen Christian Kuhn am Projekt Dukta. 2011 gründeten
die beiden die Dukta GmbH, um die von ihnen gemeinsam ent-
wickelten Produkte auf den Markt zu bringen.
LEBENSART // Lebensmittel-Zusatzstoffe
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Ungeliebte DESIGN
Helfer /
N A C H H A LT I G K E I T
Ob Zusatzstoffe in der Lebensmittel
herstellung „technologisch notwendig“
sind, ist eine Frage der Produktions-
philosophie. Sie helfen, Lebensmittel
billiger zu machen. Ob Nahrung
vor allem billig sein soll, ist
eine Frage an uns Ver-
braucher.
Die Deutschen reagieren überaus sensibel, wenn auch nur der Hauch von „Chemie“ ihr Essen
trübt. Weshalb die Lebensmittelhersteller die unliebsamen, aber angeblich unverzichtbaren
Zusatzstoffe gänzlich von ihren Packungs-Etiketten verbannen möchten. EIN EIERLAUF
ZWISCHEN ZWÄNGEN, EU-NORMEN UND DEFINITIONSFRAGEN
Zugegeben, auch ich habe schon mal eine Fünf-Minuten-Terrine Von Dr. Thomas Hauer
verspeist. Und wenn ich keine Lust aufs Kochen habe, schiebe ich
mir ab und zu eine Tiefkühl-Lasagne oder ein Iglu-Schlemmerfilet 2500 in der EU zugelassenen Aromen gelten dem Gesetzgeber, bis
ins Rohr. Trotzdem beschleicht mich dabei regelmäßig ein schlech- auf 18 synthetische Ausnahmen, von vorneherein nicht als Zusatz-
tes Gewissen. Spätestens wenn ich in der Auflistung der Inhalts- stoffe, sondern als Zutat. Ein kleiner, jedoch nicht unbedeuten-
stoffe eine oder gleich mehrere E-Nummern entdecke. Denn wäh- der Unterschied, ist die Zulassungspraxis für Zusatzstoffe doch
rend man sich unter modifizierten Stärken, gehärteten Fetten und vergleichsweise streng. Anders als Zusatzstoffe und klassische
Aromenzusätzen zumindest ansatzweise noch etwas vorstellen Zutaten sind technische Hilfsstoffe, die dem Produkt wieder ent-
kann, wirken jene anonymen Nummern geradezu bedrohlich. zogen werden, also im Endprodukt (hoffentlich) nicht mehr oder
So gesehen war es keine gute Idee der Brüsseler Bürokraten, die allenfalls in nicht aktiver Form vorhanden sind, dagegen gar nicht
aktuell insgesamt 316 in der EU zugelassenen Lebensmittelzu- deklarationspflichtig. Alles klar? Nein? Kein Wunder.
satzstoffe ausgerechnet durch diese E-Nummern abzukürzen. Un- Um das Verwirrspiel komplett zu machen, müssen Zusatzstoffe, die
willkürlich muss ich dabei jedes Mal an das berüchtigte Pflanzen- bei der Herstellung von Zutaten verwendet werden, nach Weiter-
schutzmittel E605 denken, das in diversen Fernsehkrimis der 70er verarbeitung dieser Zutaten zu einem „neuen“ Produkt ebenfalls
und 80er zur todsicheren Beseitigung von Schwiegermüttern, Ehe- nicht deklariert werden. Ein Beispiel: Kauft man Instantkartoffelpü-
gatten oder sonstigen unliebsamen Personen eingesetzt wurde. ree, findet man auf dem Etikett mit einiger Sicherheit den Hinweis
„E450“ oder „Diphosphat“. Dieser Stoff verhindert die Grauverfär-
Natürlich hat E605 mit den in der Europäischen Union (und für bung der Kartoffeln bis zur Trocknung. Verwendet ein Hersteller
nichts anderes steht das E) zugelassenen Lebensmittelzusätzen von Fertigmahlzeiten die Kartoffelflocken dann aber zur Herstel-
nur so viel gemein wie Erdbeerjoghurt aus dem Discounter mit lung eines Pürees für ein Tiefkühlmenü, muss er diesen Zusatzstoff
frischen Früchten – nämlich nichts. Trotzdem sehen sich sogar die auf der Packung nicht mehr deklarieren. Ist – zumindest aus Sicht
Autoren des Wikipedia-Artikels über E-Nummern in der Pflicht, da- unserer Lebensmittelaufsicht – doch logisch. Denn im fertigen
rauf hinzuweisen, dass zwischen dem längst verbotenen Pestizid Püree erfüllt der Zusatzstoff ja nicht mehr seinen ursprünglichen
und seinen Namensvettern in der Dosensuppe selbstverständlich Zweck. Dass er aber trotzdem noch immer im Püree drinsteckt –
keinerlei Verbindung bestehe. Aber nicht nur wegen der Gefahr was soll’s, warum den Verbraucher unnötig belasten? Das gilt zum
falscher Assoziationen versuchen immer mehr Lebensmittelher- Beispiel auch für die appetitlich sonnenblumengelb eingefärbte
steller die unliebsamen, angeblich jedoch unverzichtbaren Helfer Margarine, die zu einem Kuchen weiterverarbeitet wird.
gänzlich von ihren Packungs-Etiketten zu verbannen, sondern auch Lose Ware, zum Beispiel die Brötchen beim Bäcker, ist von der
weil sie wissen, dass deutsche Konsumenten eine starke Aversion Kennzeichnungspflicht ohnehin ausgenommen. Zwar muss der
gegen „Chemie“ im Essen haben. So gaben Verbraucher in einer Bäcker auf Verlangen Auskunft geben können oder in irgendeiner
groß angelegten Umfrage aus dem Jahr 2008 an, der Verzicht auf Nische ein laminiertes Schildchen mit entsprechenden Hinweisen
alle Arten synthetischer Zusätze, inklusive Geschmacksverstärker, aufhängen, aber im Verkaufsalltag kommt es doch eher selten vor,
sei ihnen wichtiger als ein Biosiegel. dass jemand ernsthaft nachhakt. Wenn, dann müsste man ihm ehr-
Die lästigen E-Nummern lassen sich ja durchaus vermeiden, in- licherweise folgende Information liefern: „Unsere Brötchen enthal-
dem man die Sache klar beim Namen nennt – also zum Beispiel ten neben Wasser und Mehl auch E472e, denn das hilft uns, Mehl
Hirschhornsalz schreibt (statt E503) oder Karamell (statt E150a). zu sparen, und Sie bekommen trotzdem besonders große Prachtex-
Aber was ist mit Hexamethylentramin oder Butylhydroxyanisol? emplare, auch wenn die hauptsächlich aus Luft bestehen. Außer-
Was hat das in Hartkäse, Kaugummi oder Backmischungen zu su- dem geben wir eine gute Prise E300 bei, das verbessert die Back-
chen? Klingt das nicht fast noch schlimmer als E239 oder E320? eigenschaften. E412 und E450 sorgen für eine ansehnliche Krume
Diese Wortungetüme erinnern doch eher an den Chemiegrundkurs und halten Ihre Brötchen bis heute Abend frisch. Guten Appetit!“
an der Uni! Wollen wir das wirklich essen?
Nun, man kann, um zu „Clean Labels“ zu gelangen, wie diese „sau- Aber sind diese Zusatzstoffe nun wirklich bedenklich, ja gar gefähr-
beren Etiketten“ von der Industrie gerne euphemistisch genannt lich? Oder allesamt völlig harmlos, wie Industrie- und Agrarlobby,
werden, die unliebsamen Zusätze einfach auch durch Ingredien- AID oder das Verbraucherschutzministerium nicht müde werden zu
zien ersetzen, die die gewünschten Eigenschaften „von Natur aus“ betonen? Leider ist die Antwort auf diese Frage nicht so einfach.
mitbringen und deshalb nicht als Zusatzstoffe aufgeführt werden Schließlich ist zum Beispiel das im Brötchenrezept erwähnte E300
müssen oder sich als harmlose Zutat „tarnen“. nichts anderes als Ascorbinsäure, also schlicht Vitamin C. Tut uns
Zwar ist ein sattes Rot oder ein leuchtendes Grün, das ein Fer- das nicht sogar gut? Mutiert der Brötcheneinkauf dadurch nicht zur
tigprodukt der Beimischung von Rote-Bete- oder Spinatextrakt Erkältungsprophylaxe?
verdankt, mit synthetischen und allergieverdächtigen Azofarbstof- Definiert sind Lebensmittelzusatzstoffe vom Gesetzgeber jeden-
fen erzielten Färbungen sicher vorzuziehen. Dass mit Hilfe solcher falls ganz allgemein als Substanzen, die Lebensmitteln „absicht-
„natürlichen Zutaten“ aber eine Qualität oder Eigenschaft vorge- lich zugesetzt“ werden, um bestimmte „technologische Wirkungen“
täuscht wird, die das Produkt per se gar nicht mitbringt, lässt sich zu erzielen. Aha! Immerhin gilt: Zusatzstoffe müssen in der EU wie
trotzdem nicht wegdiskutieren. gesagt ausdrücklich zugelassen sein, andernfalls sind sie verboten.
Gleiches gilt für den mittlerweile auch in Bio- oder Reformhaus- „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ heißt das im Bürokratendeutsch.
produkten omnipräsenten, vom Konsumenten aber eben nicht als Außerdem sind viele Zusatzstoffe nur für bestimmte Lebensmittel
klassischer Geschmacksverstärker wahrgenommenen Hefeextrakt, beziehungsweise nur in begrenzter Menge zugelassen. Eingeteilt
der jede Menge freies Glutamat enthält. Übrigens: Die mehr als werden sie dabei grob nach Funktionsklassen – die Krux dabei:
Zahlreiche Substanzen erfüllen in unterschiedlichen Lebensmit-
teln oder Herstellungsprozessen ganz verschiedene Funktionen
LEBENSART // Lebensmittel-Zusatzstoffe
und werden deshalb gleich mehreren Klassen zugeordnet. Die notwendig“? Ja, es stimmt, in einer Wurstfabrik im industriellen
wichtigsten sind: Farbstoffe und Pigmente, Konservierungsmit- Maßstab lässt sich Wurst kaum ohne das seit Jahrzehnten umstrit-
tel, Antioxidantien, Verdickungsmittel und Stabilisatoren, Zucker tene Nitritpökelsalz (E249 und E250) herstellen. Kleine Fleisch-
austauschstoffe, Geschmacksverstärker, Füll- und Trennmittel, manufakturen wie die Herrmannsdorfer Landwerkstätten kommen
Überzugsmittel, Emulgatoren sowie Verdickungsmittel und Stabi- aber problemlos ohne diesen Zusatzstoff aus. Technologisch not-
lisatoren. Selbst Laien geben diese Oberbegriffe zumindest einen wendig wird der Stoff also nur aufgrund der absurden Produkti-
Hinweis darauf, welchem konkreten Zweck der Zusatzstoff dient. onsbedingungen unserer Lebensmittelindustrie. Die Wahrheit ist:
(Siehe auch unsere Auflistung unten.) Viele Zusatzstoffe machen die Produktion einfach weniger aufwen-
Um das Zulassungsverfahren zu bestehen, müssen all diese Sub dig und damit vor allem deutlich billiger. Und das ist es doch, was
stanzen – egal ob natürlichen Ursprungs oder aus der Retorte – für deutsche Konsumenten vor allem wollen: billig. So zumindest die
die Herstellung des entsprechenden Lebensmittels oder Produkts eherne Überzeugung der Nahrungsmittelindustrie und das Kon-
technisch notwendig und gesundheitlich unbedenklich sein und sumverhalten unserer Landsleute gibt ihnen trotz Bioboom noch
dürfen den Verbraucher nicht täuschen. Was zunächst relativ be- immer Recht.
ruhigend klingt, lässt in der Praxis aber jede Menge Spielraum für Aber was hat es mit der gesundheitlichen Unbedenklichkeit auf
Interpretationen, den die Lebensmittelkonzerne geschickt zu ihren sich? Ist es nicht wahr, dass seit Jahren immer wieder Zusatz-
Gunsten ausnutzen. Denn was heißt zum Beispiel „technologisch stoffe aus der E-Nummern Liste gestrichen werden, weil sich im
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DIE WICHTIGSTEN
LEBENSMITTELZUSATZSTOFFE
GESCHMACKSVERSTÄRKER UND AROMEN – sorgen für Ein- KONSERVIERUNGSSTOFFE – erhöhen die Haltbarkeit von Lebens-
heitsgeschmack von Markenware, kaschieren sensorische Fehler, täu- mitteln, indem sie die Vermehrung von Schimmel oder Bakterien hem-
schen Zutaten vor, die im Produkt nicht enthalten sind und stimulieren men. Eine Deklaration ist nicht erforderlich, wenn die Stoffe über kon-
den Verzehr. Sie kommen oft zum Einsatz, wenn minderwertige Rohstoffe servierte Zutaten ins Lebensmittel gelangen. Aufgrund öffentlicher Kritik
verwendet oder mit Verfahren gearbeitet wird, die den Eigengeschmack greift die Industrie heute vermehrt auf deklarationsfreie Verfahren oder
der Zutaten beeinträchtigen. Substanzen zurück.
ANTIOXIDANTIEN – erhöhen die Haltbarkeit von Lebensmitteln, SÄUERUNGSMITTEL UND SÄUREREGULATOREN – verleihen
indem sie chemische und enzymatische Zersetzungsprozesse (zum Bei- Lebensmitteln einen angenehm sauren Geschmack, haben aber auch
spiel das Ranzigwerden von Fetten) verhindern oder verzögern. konservierende Eigenschaften. Manche Säuerungsmittel wirken daneben
als Stabilisatoren, als Backtrieb- oder Geliermittel, wieder andere als
EMULGATOREN – machen normalerweise Unmischbares, zum Bei- Wirkungsverstärker von Antioxidantien oder Emulgatoren.
spiel Wasser und Fett, mischbar, stabilisieren Schäume und sind für die SÜSSSTOFFE UND ZUCKERAUSTAUSCHSTOFFE – künstlicher
Herstellung von Instantprodukten unverzichtbar. Sie erhöhen die me-
chanische Belastbarkeit von Teigen und erlauben die „Einstellung“ ge- Süßgeschmack senkt den Blutzuckerspiegel, ohne dass tatsächlich Zu-
schmacklicher Eigenschaften wie Sämigkeit, Schaumigkeit oder Cremig- cker zugeführt wird, deshalb stellt sich verstärktes Hungergefühl ein. Alle
keit. Außderdem helfen sie, Rohstoffe einzusparen, da sich mit ihrer Hilfe natürlichen und naturidentischen Süßstoffe sind daher in der Landwirt-
Wasser oder Luft zumischen lässt. schaft als Masthilfsmittel zur Appetitstimulation zugelassen.
ENZYME – ihre Einsatzmöglichkeiten sind kaum überschaubar, eine TRENN- UND ÜBERZUGSMITTEL – verhindern das Klebenbleiben
Deklaration findet praktisch nicht statt. Sie werden aus Schimmelpilzen an Formen, Fließbändern oder Backblechen. Sie schützen vor Verklum-
und Bakterienkulturen, den Drüsen von Schlachtvieh und gentechnisch pen und erhalten die Rieselfähigkeit. Andere dienen zum Wachsen von
veränderten Mikroorganismen gewonnen. Obst, sorgen für eine glänzende Oberfläche von Süßwaren oder schützen
vor Aromaverlusten, Austrocknung und Oxidation.
FARBSTOFFE – sind die Kosmetika der Lebensmittelbranche. Unan-
TRÄGERSTOFFE UND TRÄGERLÖSEMITTEL – erleichtern das
sehnliche Ware erhält durch sie ein appetitanregendes Aussehen und
täuscht eine bessere Qualität vor – zum Beispiel einen hohen Fruchtan- Einarbeiten von Zusatzstoffen, insbesondere von Enzymen und Aromen.
teil. Da künstliche Farbstoffe deklarationspflichtig sind, weicht die Indus- Lösungsmittel sind für Extraktionsprozesse, zum Beispiel die Gewinnung
trie im Zuge des sog. Clean Labelings auf färbende Gewürzextrakte aus. natürlicher Aromen, notwendig. Eine Deklaration ist nicht erforderlich.
FUNKTIONALE ADDITIVE – da Zusatzstoffe zunehmend ins Kreuz- VERDICKUNGSMITTEL – dienen zum Andicken und Gelieren, aber
feuer der Kritik geraten, sucht die Lebensmittelindustrie nach Alterna- auch zur Erzielung eines bestimmten „Mundgefühls“. Sie regulieren die
tiven, um der Kundschaft E-Nummern-freie Etiketten präsentieren zu Fließeigenschaften von Fertigsoßen, die Frischhaltung von Broten, ver-
können. Dazu werden Zusatzstoffe durch Lebensmittelbestandteile er- hindern das Absinken der Kakaoteilchen in Milchgetränken oder helfen,
setzt. So lässt sich beispielsweise ein Zusatz an Geschmacksverstärkern Wasser „schnittfest“ zu machen. Unverzichtbar für viele Lightprodukte.
geschickt als „Hefeextrakt“ verschleiern.
VITAMINE – sind bereits in Spuren hochwirksam. Aus diesem Grund
FÜLLSTOFFE – bilden das Rückgrat kalorienreduzierter Lightprodukte.
ist ein Mangel (außer an B12 und D) sehr unwahrscheinlich und eine
Sie täuschen unsere Sinne, indem sie im Mund Empfindungen von Zucker übertriebene Zufuhr sogar schädlich. Vitaminzusätze haben deshalb in
oder Fett hervorrufen, ohne Kalorien zu liefern. Diese Täuschung wird Lebensmitteln grundsätzlich nichts zu suchen.
vom Körper allerdings durchschaut und unter anderem durch Erhöhung
des Appetits ausgeglichen. Quelle: Deutsches Zusatzstoffmuseum, Hamburg
Nachhinein herausgestellt hat, dass sie vielleicht doch nicht so Ausgerechnet ein Hersteller von Tiefkühlfertiggerichten, die Bre-
harmlos sind? Was ist zum Beispiel mit den schon erwähnten Farb- merhavener Firma FRoSTA, beweist allerdings, dass es auch kom-
stoffen? Einige von ihnen – insbesondere E104, E110, E122 und plett ohne derartige Stoffe geht. 2003 hat das Unternehmen seine
E129 und der Konservierungsstoff Natriumbenzoat (E211) – stan- Produktion radikal umgestellt und FRoSTA ist seitdem der einzige
den mehrfach in Verdacht, die Symptome von ADHS bei Kindern TK-Kost-Hersteller der Republik, der konsequent auf alle Zusatz-
zu verschlimmern, wie das britische Medizinjournal „The Lancet“ stoffe verzichtet. Das war allerdings ein hartes Stück Arbeit, denn
berichtete, oder sogenannte Pseudoallergien auszulösen. Und es bedeutete, dass viele Basiszutaten der FRoSTA-Rezepturen
was das Täuschen des Verbrauchers angeht: Ist es nicht Sinn und komplett ersetzt werden mussten. Das heißt frisch gekochte Fonds
Zweck von zum Beispiel Glutamat (E620 - E625), ein echtes „Ge- statt gekörnter Brühe, eigene Gewürzmischungen komplett ohne
schmackserlebnis“ nur vorzutäuschen? (Von der Tatsache, dass es Geschmacksverstärker, frisch gepresster Knoblauch statt Granulat,
Fertigprodukten einen Einheitsgeschmack verleiht, einmal ganz Butter statt Margarine, frische Milchprodukte statt Milch- und Sah-
abgesehen.) ne-Pülverchen, ungebleichtes Mehl, Steinsalz ohne Rieselhilfen,
Auf dem Lebensmitteletikett findet man Zusatzstoffe jedenfalls traditionell gereifte Käse, selbst gemachte Nudeln und, und, und.
meist ganz am Ende der meist unleserlich klein gesetzten Zutaten- Werbewirksam bezeichnet die Firma dieses Komplettpaket als
liste, da sie ja oft nur in vergleichsweise sehr geringen Mengen im „FRoSTA Reinheitsgebot“. Dieser mutige Schritt brachte das Unter-
Endprodukt stecken und die Liste nach dem quantitativen Anteil nehmen damals fast an den Rand des Ruins, denn die nach seinem
der Zutat beziehungsweise des Zusatzstoffs im Endprodukt aufge- Reinheitsgebot hergestellten TK-Menüs kosten rund 20 Prozent
baut ist. Damit kann man übrigens auch leicht feststellen, dass mehr als konventionelle Ware und die besonders preissensiblen
in vielen Lebensmitteln, die mit Früchten, Nüssen oder sonstigen deutschen Verbraucher kehrten der Marke scharenweise den Rü-
hochwertigen Ingredienzien werben, absolut gesehen lediglich cken. Dennoch blieb Frosta seinem Konzept treu und es gelang,
geringe Mengen dieser Zutaten enthalten sind. das wirtschaftliche Ruder herumzureißen.
Neben der E-Nummer oder dem Klarnamen muss auch die oben
bereits erwähnte Stoffklasse angegeben werden beziehungsweise Heute stehen die Bremerhavener vergleichsweise gut da und wur-
der Zweck, dem der Stoff dient. Also zum Beispiel Backtriebmittel: den für ihr vorbildliches Engagement in Fragen der Transparenz
E500 oder Natriumhydrogencarbonat. Und genau hier beginnt das zuletzt 2012 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeich-
Dilemma. Kaum jemand wird trotz oben genannter Negativbei- net. Denn FRoSTA verzichtet nicht nur auf Zusatzstoffe – auch die
spiele bestreiten, dass Backpulver oder ein anderes Triebmittel er- Deklaration ist beispielhaft. Alle Zutaten werden auf dem Etikett
forderlich ist, um etwa einen saftigen, lockeren Marmorkuchen zu zu 100 Prozent aufgeschlüsselt und benannt. Auf gesetzlich zuläs-
backen. In diesem Fall ist also anders als beim Nitritpökelsalz klar sige Sammelbegriffe wie „Kräuter“ und „Gewürze“ wird verzichtet,
das Kriterium der Notwendigkeit erfüllt. Und wer würde sich dar- ebenso auf das Verschleiern von versteckten Zusätzen, die (siehe
über beschweren, dass eine Paella ihre intensiv gelbe Farbe dem Instant-Kartoffelpüree) laut Lebensmittelgesetz gar nicht auf der
Curcumin (E100) verdankt, das auch in der Curcuma-Wurzel steckt, Verpackung deklariert werden müssten.
die das „Naturprodukt“ Curry so schön färbt? Seit Jahrhunderten Außerdem informiert das Zutatenverzeichnis über die jeweiligen
verwenden Köche doch weltweit Farben, um Speisen appetitlicher Rohstoffe, zeigt also zum Beispiel auf, dass die für die FRoSTA-
aussehen zu lassen. Verbrauchertäuschung oder Tradition? Paella verwendeten Meeresfrüchte aus MSC-zertifiziertem Wild-
fang stammen, die Firma die verarbeiteten Erbsen selbst anbaut,
Das Problem ist: Unter dem Dach der E-Nummern sind zu viele der Meeresfrüchtefond nach traditionellem Rezept in Frankreich
unterschiedliche Stoffe zusammengefasst, die verlässlichen Infor- gekocht und nur Extra-Vergine-Olivenöl verwendet wird. Wem das
mationen über viele Substanzen sind zu dürftig, die Ergebnisse alles noch nicht reicht, der bekommt unter der Infonummer 01802 /
der wenigen ernst zu nehmenden Studien zu umstritten, um die 10 00 03 oder via E-Mail ausführlich Auskunft. Übrigens landen
Zusatzstoffe tatsächlich in Bausch und Bogen zu verdammen oder Anrufer nicht in irgendeinem anonymen Call Center, sondern di-
ihnen umgekehrt einen Persilschein ausstellen zu können. rekt in der Hamburger FRoSTA-Zentrale. Ein zuletzt im April 2013
Jeder findet im Internet ohne große Mühe wahre Horrorlisten über eingeführter Zutatentracker – ein alphanumerischer Code auf je-
angebliche Nebenwirkungen von Zusatzstoffen, so dass man sich der Packung – erlaubt den Konsumenten auch zu Hause am PC
fragt, warum jemand, der den fatalen Fehler begangen hat, eine ganz bequem ein lückenlose Überprüfung der Bestandteile der
Tütensuppe zu essen, überhaupt noch auf Erden wandelt. Dane- FRoSTA-Produkte. Und selbst in Sachen CO²-Footprint hat FRoSTA
ben gibt es aber freilich auch unverantwortliche Verharmlosungen Pionierarbeit geleistet: Zu jedem Fertiggericht finden Kunden auf
durch die bekannten Industriesprachrohre. der Homepage ein detailliertes Dossier.
Neben dem weitgehenden Verzicht auf alle Arten verarbeiteter Le-
bensmittel von Tütensuppe bis Toastbrot bleibt da nur noch der Aber das Unternehmen geht noch einen Schritt weiter und enga-
Griff zu Bio-Produkten. Laut EU-Bioverordnung sind für die Her- giert sich als wichtiger Sponsor und Mitinitiator des 2008 auf dem
stellung von Lebensmitteln, die das EU-Biosiegel tragen, nämlich Gelände des Hamburger Großmarktes eröffneten Zusatzstoffmuse-
nur knapp 50 der 316 zugelassenen Zusatzstoffe erlaubt und die ums. In der wie ein Supermarkt aufgebauten Ausstellung erfahren
umstrittensten sind da nicht mehr dabei. Ökologische Erzeuger- interessierte Besucher, warum es ohne diverse Zusätze viele Le-
verbände haben noch strengere Regeln. So gestattet Bioland sei- bensmittel gar nicht gäbe oder andere deutlich teurer wären, worin
nen Mitgliedsbetrieben nur 21, Demeter nur ein gutes Dutzend als nicht deklarierte Zusätze enthalten sein können, welche Tricks es
absolut unverzichtbar angesehene Zusatzstoffe – allesamt natürli- gibt, diese zu verschleiern, und welche Möglichkeiten, trotz allem
chen Ursprungs. auf derartige Zusätze zu verzichten.
INTERVIEW // Hinnerk Ehlers
Hinnerk Ehlers, Vorstand Marketing & Vertrieb Marke der
FRoSTA AG. Der gelernte Werbekaufmann und studierte Dipl.-
Kaufmann begann seine Laufbahn 1994 im Vertrieb bei Nestlé
Deutschland, bevor er im gleichen Unternehmen Brand-Mana-
ger für „NESCAFÉ“ wurde. 1999 folgte ein Wechsel zur Bei-
ersdorf AG, wo er im Marketing tätig war. 2002 ging Ehlers für
Beiersdorf als Expatriate für fast 7 Jahre nach Kanada. In Mon-
treal startete er zunächst als Marketing Manager, wurde dann
Marketing Direktor und später vom Vorstand in Hamburg zum
General Manager Beiersdorf Canada berufen. In dieser Zeit hat
Ehlers u.a. die Marke Nivea zum Erfolg geführt und konnte zu-
letzt das Beiersdorf Geschäft in Kanada nach Jahren der Sta-
gnation auf Wachstum trimmen. Im Juli 2009 wechselte Ehlers
zur FRoSTA AG und begann dort zunächst als Geschäftsführer
Deutschland und Österreich. Seit 1.1.2010 leitet er in seiner
Eigenschaft als Vorstand Marketing und Vertrieb das Marken-
geschäft der FRoSTA AG in Deutschland sowie im Ausland.
pure: Warum sind Ihre Konkurrenten im heiß umkämpften Tiefkühlmarkt gekommen wären. Er hat uns dabei geholfen, bei den Lieferanten
nicht ebenfalls auf diesen Zug aufgesprungen – schließlich reagieren unserer Zutaten ganz genau hinzuschauen und nachzufragen.
deutsche Verbraucher auf „Chemie im Essen“ angesichts zahlloser Denn viele Zusätze müssen ja gar nicht deklariert werden. Wenn
Skandale doch besonders empfindlich? Oder haben Sie im Gegensatz zu man sich als Hersteller nicht dafür interessiert, was in den Zutaten
90 91 Ihren Mitbewe rbern ein fach Glüc k, dass für FRoSTA Produkte sowieso drin ist, dann fällt schon mal einiges unter den Tisch. Im Laufe des
ohne großen Aufwand auf diese Zusätze verzichtet werden kann? Umstellungsprozesses haben wir zum Beispiel entschieden, keine
Hinnerk Ehlers: Auf die 316 zugelassenen „E-Nummern“ fertigen Gewürzmischungen mehr einzukaufen, da sich in diesen
zu verzichten, ist heutzutage gar nicht mehr so schwer. Die Industriemischungen immer wieder Dinge verstecken könnten, die
Zusatzstoffindustrie hat in den letzten Jahren auf die wachsende da nicht hineingehören. Stattdessen mischen wir nun sogar unser
Kritik an den E-Nummern reagiert und bietet nun Ersatzprodukte Curry aus sieben Einzelgewürzen selber zusammen. Auch dazu hat
an, die aus Zutaten wie zum Beispiel Milch gewonnen werden, uns vor zehn Jahren Udo Pollmer geraten.
den Herstellern aber die gleiche Funktionalität wie die in Verruf
geratenen Zusatzstoffe bieten. Auf der Zutatenliste können Es ist ja kein Geheimnis: In den ersten Jahren nach Einführung
diese „funktionalen Additive“ dann als harmlos klingende Zutat seines Reinheitsgebots geriet FRoSTA aufgrund des im Vergleich zu
wie zum Beispiel „Trockenmilcherzeugnis“ oder „Molkeneiweiß“ konventioneller Tiefkühlware circa 20 Prozent höheren Preises für seine
deklariert werden. Im Produkt übernehmen sie dagegen, wie früher Produkte ökonomisch in sehr schwieriges Fahrwasser – was gab Ihnen
die „E-Nummern“, die Aufgaben von Geschmacksverstärkern, damals die Zuversicht, trotz allem auf dem richtigen Weg zu sein?
Emulgatoren oder Konservierungsmitteln, ganz nach Bedarf des Die durchweg positiven Rückmeldungen von allen, die die neuen
Herstellers. Wir verzichten in unseren Produkten auch auf diese Produkte probiert hatten und fanden, dass sie nach der Umstellung
Zusatzstoffimitate sowie auf jegliche Aromatisierung, egal ob mit tatsächlich deutlich besser schmeckten als vorher. Der oft be
künstlichen oder natürlichen Aromen. Auch die Aromen gehören mängelte Einheitsgeschmack oder auch „Industriegeschmack“ war
nicht zu den E- Nummern. plötzlich verschwunden. Wir haben deshalb nie daran gezweifelt,
Dieser komplette Verzicht auf Zusätze aller Art ist nach unserem dass die Umstellung der richtige Weg war. Nur in der Umsetzung
Wissen nach wie vor einmalig in der Lebensmittelbranche, unterliefen uns einige Fehler, die wir aber korrigieren konnten.
zumindest für fertige Gerichte und Tiefkühlkost. Zum zweiten
Teil Ihrer Frage: Wir haben tatsächlich das Glück, dass die Sie verzichten nicht nur konsequent auf alle Lebensmittelzusatzstoffe,
Tiefkühlung einen vollständigen Verzicht auf Zusätze ermöglicht. sondern auch auf alle im Labor erzeugten Aromenzusätze, egal ob aus der
Farbe, Konsistenz und Geschmack der Zutaten werden durch die Retorte oder aus „natürlichen“ Rohstoffen erzeugt – wie schaffen Sie es,
Tiefkühlung in idealer Weise erhalten. Aber natürlich kann man dass Ihre Produkte dennoch auch glutamatbetäubte Gaumen überzeugen?
auch in unserer Branche durch das Verwenden von Zusätzen in Alle Aromazusätze führen dazu, dass man die einzelnen Zutaten
erheblichem Umfang Kosten sparen. nicht mehr richtig schmecken kann und viele Lebensmittel nicht
mehr so schmecken, wie die Natur sie gemacht hat. Verzichtet man
Sie haben sich im Rahmen der Produktionsumstellung unter anderem auf Aromatisierung und Geschmacksverstärkung, muss man eben
vom Lebensmittelchemiker Udo Pollmer beraten lassen. Für viele Ihrer Zutaten auswählen, die von Natur aus hervorragend schmecken.
Kollegen in der Branche und ebenso für zahlreiche Gesundheitsapostel Genau das haben wir getan. Tomaten sind ein gutes Bespiel:
sind sowohl der Mann wie seine industrie-, aber auch vollwertkritischen Eine Tomate kann langweilig und wässrig oder hocharomatisch
Thesen geradezu ein rotes Tuch. Warum haben Sie ausgerechnet ihn um und fruchtig schmecken, das weiß jeder, der schon einmal frische
Unterstützung gebeten? Tomaten gekauft hat. Sobald nicht mehr mit Aromen nachgeholfen
Weil Udo Pollmer sich wie kein anderer mit Lebens werden darf, muss man auch in einem Tiefkühlgericht die gut
mittelzusatzstoffen und deren Imitaten auskennt. Wir wollten uns schmeckenden Tomaten verwenden. In unserem Fall bedeutet das:
bei dieser Umstellung ganz bewusst vom schärfsten Kritiker der statt Gewächshaustomaten nur noch Freilandtomaten. Die sind
Lebensmittelindustrie beraten lassen. Er hat uns dann auch auf zwar etwas teurer, aber wir sind fest davon überzeugt, dass jeder
Dinge aufmerksam gemacht, auf die wir von alleine vielleicht nie den besseren Geschmack zu schätzen weiß.
„Wir haben nie daran gezweifelt“
FROSTA IST DIE EINZIGE DEUTSCHE TIEFKÜHLMARKE, DIE – BEREITS SEIT 2003 – BEI DER
HERSTELLUNG AUF ALLE AKTUELL 316 IN DER EU ZUGELASSENEN LEBENSMITTELZUSATZ-
STOFFE VERZICHTET. Das FRoSTA Reinheitsgebot ist strenger als die Vorgaben ökologischer
Erzeugerverbände. Hinnerk Ehlers, Vorstand Marketing & Vertrieb Marke der FRoSTA AG, über
lohnenden Aufwand, positives Feedback und ein eigenes Museum im Hamburger Großmarkt
FRAGEN AN HINNERK EHLERS
Trotz des Verzichts auf chemische Zusätze und Aromen findet man auf Gericht schneidet nicht schlechter ab als das selbstgekochte. Das
Ihren Verpackungen aber kein Bio-Siegel ... liegt zum Beispiel daran, dass unsere Rohwaren immer im Freiland
Nein, Bio ist ein anderer Ansatz. Bio setzt bei der Erzeugung der angebaut werden können, während das beim Selberkochen
Zutaten an, nicht bei deren Verarbeitung. Bio erlaubt – wenn auch verwendete Frischgemüse in den meisten Fällen aus beheizten
eingeschränkt – Zusätze, FRoSTA nicht. und beleuchteten Gewächshäusern stammt.
Den mit Abstand größten Einfluss auf den CO²-Fußabdruck eines
Auch im Hinblick auf das sensible Thema Lebensmittelkennzeichnung Produktes haben übrigens weder Verarbeitung noch Transport noch
zeigt sich FRoSTA durch die lückenlose Volldeklaration aller Lagerung, sondern die Zusammensetzung des Produktes: Produkte
Zutaten branchenunüblich offen. Seit einiger Zeit gibt es sogar einen mit Zutaten tierischen Ursprungs, insbesondere Rindfleisch und
„Zutatentracker“, das heißt einen kleinen Nummerncode auf jeder Milchprodukte, haben einen um ein Vielfaches höheren CO²-
Verpackung, mit dessen Hilfe sich Verbraucher online über die Herkunft Fußabdruck als vegetarische Gerichte oder solche mit Fisch. Den
und die Produktionsbedingungen der Zutaten informieren können. größten Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen,
Warum scheut Ihre Konkurrenz dieses hohe Maß an Transparenz – oder die durch unsere Produkte entstehen, leisten deshalb unsere
ist das einfach zu aufwendig? neuen vegetarischen Gerichte, die dazu führen, dass auch Nicht-
Es war tatsächlich ziemlich aufwendig, den Zutatentracker so zu Vegetarier gerne mal auf Fleisch verzichten. Wir werden den Anteil
programmieren, dass der Verbraucher über den Trackingcode auf vegetarischer Gerichte am Gesamtsortiment in den nächsten
der Verpackung die genauen Herkunftsländer sämtlicher Zutaten Jahren weiter ausbauen.
in einem bestimmten FRoSTA Beutel erfährt. Aber diesen Aufwand
war uns die Sache wert, weil wir wissen, wie wichtig es unseren Sie haben im Jahr 2012 für Ihr Engagement mit FRoSTA den Deutschen
Kunden ist, solche Informationen zu erhalten. Da wir immer direkt Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Sehen Sie diese Auszeichnung eher als
im Ursprungsland einkaufen und nicht über Händler, liegen uns Bestätigung oder als Ansporn, in Zukunft noch besser zu werden?
die Informationen ja vor. Sie an die Verbraucher weiterzugeben, ist Beides. Der Preis ist eine wichtige Bestätigung dafür, dass wir auf
für uns selbstverständlich. dem richtigen Weg sind. Aber natürlich gibt es noch viel zu tun
und diese Auszeichnung spornt uns enorm an. Wir wollen auch in
Schließlich hat FRoSTA als erster Lebensmittelhersteller in Deutschland Zukunft Deutschlands nachhaltigste Lebensmittelmarke sein.
auch den CO²-Fußabdruck sämtlicher Produkte ermitteln lassen. Auf
Ihrer Website findet man zu jedem Fertiggericht ein ausführliches Dossier. FRoSTA gibt sich augenscheinlich nicht mit der Rolle des Produzenten
CO²-Minimierung und Tiefkühlkost – das passt auf den ersten zufrieden. Das Unternehmen ist außerdem Mitinitiator des auf dem
Blick nicht so recht zusammen. Was sind denn die Ergebnisse der Gelände des Hamburger Großmarkts eingerichteten Deutschen
Untersuchung und wie konnten Sie Ihre Produktionsabläufe in Bezug Zusatzstoffmuseums, für das Sie sich auch persönlich engagieren. Wen
auf Treibhausgasemissionen optimieren? und was wollen Sie mit dieser Ausstellung erreichen?
Vor sechs Jahren haben wir an einem Pilotprojekt zur Berechnung Die Ausstellung richtet sich sowohl an Einzelbesucher als auch
der produktbezogenen CO²-Fußabdrücke teilgenommen, weil wir an Gruppen und Schulklassen. Es ist das einzige Museum in
genau diese Frage klären wollten: Wie viel CO² entsteht eigentlich Deutschland, wahrscheinlich sogar weltweit, das sich mit dem
über die komplette Produktionskette eines FRoSTA Gerichtes Thema Lebensmittelzusätze und -verarbeitung auseinandersetzt.
und wie groß ist dieser Wert im Vergleich zum Selberkochen des Neben einer Sammlung von Zusatzstoffen wird dargestellt, warum
gleichen Gerichtes aus frischen Zutaten? man in der Lebensmittelindustrie solche Stoffe verwendet, was
Im Rahmen des Pilotprojektes wurde zusammen mit dem damit erreicht werden soll und wie der Verbraucher die zahlreichen
Ökoinstitut Freiburg und dem Potsdam Institut für Zusätze auf der Zutatenliste erkennen kann oder auch nicht. Die
Klimafolgenforschung eine Methodik entwickelt, nach der wir Besucher sollen dazu angeregt werden, sich bewusst mit diesem
heute die CO²-Werte aller unserer Produkte berechnen und Themenbereich auseinanderzusetzen – und ihr Interesse ist groß.
veröffentlichen. Außerdem wurde der Vergleich zum Selberkochen Auch Journalisten informieren sich häufig hier, wenn sie zum
berechnet. Das Ergebnis hat uns selbst überrascht: Das FRoSTA Thema Zusatzstoffe recherchieren.
LEBENSART // Neues für Tafel und Küche
DESIGN
/
N A C H H A LT I G K E I T
Wirklich nachhaltig sind das von Oma
geerbte Porzellanservice, die alten Emaille-
Kochtöpfe oder die auf dem Flohmarkt auf-
gestöberte elektrische Kaffeemühle aus den
Sechzigern. Doch eine ganze Branche lebt
davon, dass der Mensch immer mehr und
immer wieder Neues haben will – auch
Dinge für den gedeckten Tisch oder
Utensilien und Kleinelektro
geräte für die Küche.
Sein und Schein
MAN MAG ES BEDAUERN ODER NICHT: ES REGIERT EINE KULTUR DES HABENWOLLENS –
Jahr für Jahr kommen Tausende von Produktneuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch
auf den Markt. Nicht alles muss man haben, vieles ist schön – und einiges sogar nachhaltig
92 93
Von Claudia Simone Hoff
Alle Jahre wieder schießt einem beim Durchstreifen von Messen
wie Ambiente, Maison & Objet oder Homi angesichts der dort ge-
ballten Neuheitenflut ein Gedanke durch den Kopf: Wer braucht
das alles und wer soll es kaufen? Doch scheint das Geschäft mit
dem Habenwollen zu funktionieren. Nicht nur wird der private
Konsum laut ifo Institut für Wirtschaftsforschung in Deutschland
dieses Jahr um 1,5 Prozent wachsen. Der deutsche Glas-, Porzel-
lan-, Keramik- und Besteck-Fachhandel (GPKB) vermeldet kon-
stante Umsätze im Vergleich zum Vorjahr. 34 Prozent davon ent
fallen auf den Bereich Küche/ Hausrat, gefolgt von 30 Prozent für
den Bereich Tisch.
Das Rad lässt sich jedoch auch in der Küche nicht neu erfinden.
Zwar gibt es hin und wieder technische Innovationen wie Haus-
haltsgeräte für die vernetzte Küche, doch der Großteil der Her-
01 steller macht mit neuen Formen, Materialkombinationen, Farben
und Dekoren auf sich aufmerksam. Die Konsummaschinerie muss
angekurbelt werden, kämpft die Branche doch mit stagnierenden
IN WELCHE RICHTUNG BEWEGT SICH DIE WELT DES GEDECKTEN TISCHES?
Ich denke, dass derzeit in unseren Gewohnheiten rund um das Essen eine wichtige Entwicklung stattfindet:
Tendenziell zeigt sich eine deutliche Rückbesinnung auf die Qualität, was entsprechende Produktionsverfahren bei
Lebensmitteln einschließt. Das betrifft sowohl Pflanzen als auch die Tierhaltung. Ich hoffe, dass sich diese neu ent-
deckte Wertschätzung für Qualität auch vermehrt in der Ausstattung und der Gestaltung der Tafel wiederfinden wird.
Michael Sieger, Geschäftsführer und Designer, Sieger Design
01
ROLITO „THE GUEST BY LLADRÓ
ATELIER“ FÜR LLADRÓ
Außerirdisch: „The Guest by Lladró Atelier“
heißt diese Kollektion des spanischen Por-
zellanherstellers Lladró. Gestaltet hat das
neue Objekt der Begierde der französische
Illustrator Rolito.
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SIEGER DESIGN „CA’ D’ORO“ FÜR
SIEGER BY FÜRSTENBERG
Sieger Design mag es üppig und mit einer
gewissen Noblesse. Das zeigt auch dieser
neue Entwurf für Sieger by Fürstenberg.
Das auffällige Schwarz-Weiß-Dekor von
„Ca‘ D‘Oro“ spielt mit geometrischen Ele-
02 menten. Pate stand hier mit seinen
Vierpässen der berühmte gleichnamige Pa-
lazzo am Ufer des Canal Grande in Venedig.
LEBENSART // Neues für Tafel und Küche
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94 95 WAS TUT IHR UNTERNEHMEN, UM AM MARKT ZU BESTEHEN?
Wir konzentrieren uns auf eine komfortable Nische: den Luxusmarkt. Wir optimieren unsere Produkte
fortlaufend auf die Bedürfnisse unserer Kunden und beschränken uns nicht mehr nur auf Trinkgläser. Ein
zweiter Aspekt ist unsere dynamische, auf die Marke und unser handwerkliches Können zugeschnittene
Produktpolitik. Die Hälfte unseres Umsatzes erzielen wir mittlerweile mit Produkten, die vor weniger
als fünf Jahren auf den Markt gebracht wurden. Der dritte Aspekt ist die internationale Diversifizierung
unseres Vertriebs. Und viertens gewährleisten wir mit der ausschließlichen Fertigung in Theresienthal
ein hohes Maß an Flexibilität und Schnelligkeit. Beides verschafft uns Wettbewerbsvorteile.
Max Frhr. von Schnurbein, Geschäftsführer/ Managing Partner, Kristallmanufaktur Theresienthal
Verkaufszahlen und der Herausforderung sich wandelnder Ver- Royal Copenhagen auf die Messe hat sich ein Trend verfestigt: Es
triebskanäle. Doch trotz der häufig beschworenen Krise: Die von scheint Potenzial vorhanden zu sein für ein Klientel, das hand-
der Messe Frankfurt in Auftrag gegebene Studie „Deutschland werklich gefertigte Produkte schätzt. Doch allein mit Klassikern
deckt den Tisch“ zu Essverhalten und Tischkultur zeigt, dass die lockt man keinen Käufer mehr ins Geschäft. Deshalb setzen nam-
Mehrheit der Deutschen zu Hause isst und dabei regelmäßig den hafte Manufakturen zunehmend auf Co-Branding-Strategien, wie
Tisch deckt. Insbesondere die höheren Einkommensschichten die Zusammenarbeit der Silber-Manufaktur Robbe & Berking mit
sind bereit, auch mal tiefer in die Tasche zu greifen, während je- BMW oder die Kooperation von Fürstenberg mit dem Accessoire-
der Deutsche pro Jahr durchschnittlich 141,60 Euro für Produkte Hersteller Roeckl zeigt. Eine ebenfalls beliebte Strategie ist die
des gedeckten Tischs und Haushaltsbedarf ausgibt. Der Fokus des Zusammenarbeit mit bekannten Designern: Georg Jensen stellte
Konsums liegt auf Porzellanservicen, doch auch Gläser, Tischtex- in Frankfurt eine skulptural anmutende Kollektion von Aldo Bakker
tilien und hochwertiges Besteck sind gefragt. Keine Überraschung als Prototypen vor, Theresienthals wunderbare Glasartefakte
ist, dass die Frau bestimmt, wo es in der Küche langgeht. Sie ist stammen aus der Feder von Christian Haas und Hermann August
deshalb neben einkommensstarken Schichten wie den Best Agern Weizenegger, Lladró liebt die verspielten Objekte von Jaime
Hauptzielgruppe der Hersteller. Kochen ist en vogue und in Zeiten, Hayon und Lalique vertraute Zaha Hadid eine Vasenkollektion an.
in denen Küche und Wohnzimmer zusammenrücken, wird gutes Und wenn es schon kein bekannter Designer ist, der das zuweilen
Design wichtiger – eine Chance für viele Hersteller. angestaubte Image aufpoliert, dann wenigstens ein zeitgemäßes
Dekor wie bei Fürstenberg (Auréole Colorée) oder Hutschenreuther
Das Gros der Unternehmen aber hat ein Problem: Nicht nur kämpft (Blaue Leidenschaft).
es gegen die Billigkonkurrenz aus Asien oder omnipräsente Filial-
ketten wie IKEA und Butler’s. Die Produkte werden sich technisch Während einerseits Manufakturen wie Fürstenberg, KPM oder Rob-
und gestalterisch immer ähnlicher oder ignorieren schlichtweg die be & Berking auf eine Fertigung made in Germany setzen, verlagern
veränderten Lebensgewohnheiten. Deshalb sind es vor allem die immer mehr europäische Hersteller ihre Produktion nach Asien.
wendigen Nischenhersteller, die den Markt aufmischen – mit gu- Nicht nur wird Arne Jacobsens legendäre Cylinda Line (Stelton)
tem Design, das zuweilen gepaart wird mit ambitioniertem Hand- inzwischen in China hergestellt. Selbst ein Traditionsunterneh-
werk. Das war auch auf der diesjährigen Ambiente zu sehen. Mit men wie Royal Copenhagen erschreckte auf der Ambiente mit dem
der Rückkehr von Manufakturen wie Lalique, Georg Jensen und auf der Verpackung einer neuen Osterschale prangenden Hinweis