The words you are searching are inside this book. To get more targeted content, please make full-text search by clicking here.
Discover the best professional documents and content resources in AnyFlip Document Base.
Search
Published by thomas.pleiner, 2021-05-29 14:11:59

THE SPHERE

THE SPHERE

At last the final piece of
The Sphere has been low-
ered into place by crane
in Battery Park on March
9th, 2002. The Sphere was
placed in its temporary
home in battery park in
time for the 6-month an-
niversary of the September
11th attacks.

199

The Sphere is shown here in its new home in Battery Park. For almost 16 years,
tens of thousands of people would come to see the symbol of strength and
resilience. Damaged but miraculously not destroyed, the sculpture was instantly
recognizable.
200

The Sphere is pictured in Battery Park in 2012. In the foreground is an eternal 201
flame, lit by New York City Mayor Michael Bloomberg, during a ceremony on
September 11th, 2002, the first anniversary of the attacks. Petitions had begun to
move The Sphere back to the World Trade Center site, but nothing had taken off,
and Mayor Bloomberg wanted to leave it in Battery Park.

Fritz Koenig is pictured with The
Sphere in Battery Park. Koenig
was involved in the recovery of
The Sphere and visited the site
many times. After 15 years, due to
the efforts of Michael Burke, who
lost his brother Billy, an FDNY Fire
Captain, on 9/11, The Sphere was
destined to finally return to the
World Trade Center Site. Sadly,
Koenig passed away on February
22, 2017, before The Sphere was
moved to its final resting place.

202

In the quiet night hours of August 16th, 2017, The Sphere was once again dis- 203
mantled and taken by truck, this time the few blocks north to the World Trade
Center Site. The main piece of The Sphere is pictured here on a truck on Liberty
Street, on the southern edge of the 9/11 Memorial Plaza. It was hoisted by crane
to Liberty Park, an elevated plaza just south of Liberty Street, overlooking the
new World Trade Center.

The Sphere was unveiled in a
Dedication Ceremony on Septem-
ber 6th, 2017. Now in its final
home, The Sphere draws more vis-
itors than ever to the Park, where
tourists and passersby can reflect
on 9/11 and after. Also in Liberty
Park is the St. Nicholas Church, a
small Greek Orthodox Church that
was destroyed by the collapse of
the twin towers on 9/11. The new
church, pictured behind The Sphe-
re, is hoping to open on the 20th
anniversary of the attacks

204

Photo © Oschowy (Public domain) 205

A 16-year long journey finally complete. From Fritz Koenig’s shed in Germany, to The
World Trade Center, to Hangar 17, to Battery Park, and then finally to Liberty Park,
The Sphere has had quite a journey. A symbol of hope, strength, and resilience, The
Sphere now Overlooks the 9/11 Memorial and Museum, and sits a mere few hundred
yards from its original spot. For years to come, The Sphere will serve as a reminder to
thousands who see it and will remind us to never forget.

Zach Janisch – Bergung und Rückkehr

Deutsche Texte

The Sphere auf dem Platz des »World The Sphere zwei Wochen nach den Angrif- The Sphere wurde nahezu intakt geborgen
Trade Centers«, auch »Ground Zero« ge- fen. Überreste des Nordturms des »World und gerettet. Das Bild zeigt sie vorbereitet
nannt, an einem Nachmittag wenige Tage Trade Centers« sind im Hintergrund sicht- für den Abtransport auf der Seite liegend.
nach den Angriffen des 11. September. bar. The Sphere wurde als Orientierungs- Gut erkennbar der aus Stahlträgern gebil-
Um die Kugel herum Rettungskräfte, die punkt für Rettungs- und Bergungskräfte dete achteckige Sockel, der dazu diente,
unter dem Trümmern immer noch nach genutzt, da die Trümmereinschläge den dass sich die Kugel in 30 Minuten einmal
Überlebenden suchen. Bereich vollkommen unkenntlich hinter- um sich selbst drehte.
lassen hatten.

Das Bild zeigt The Sphere noch am ursprünglichen Standort in »Ground Zero«. Die
7,5 Meter hohe Skulptur war unter das Straßenniveau gesunken, da die gesamte
»Austin J. Tobin Plaza« in das darunterliegende Einkaufszentrum eingebrochen war.
An einem der Lichtmasten, die früher die Plaza nachts beleuchteten, wurde eine
amerikanische Flagge aufgehängt. Darüber ist noch ein zerfetztes Banner erkennbar,
auf dem für die Woche des 11.September Live-Musik auf der Plaza angekündigt war.

Ein Bergungsarbeiter neben der Kugel, an Am 9. März 2002 wurden die demon- Der Sockel der Sphere wurde während der Montage am 9. März 2002 auf die neue speziell
die Plattform gelehnt, auf der sie früher tierten Stücke der Kugel mit einem Tief- angefertigte Stahlrahmenbasis abgesenkt. Die neue Basis drehte sich nicht, diente jedoch
zentriert war. Dahintaer erkennbar Ein- lader zur Südspitze Manhattans zurück- als Fixierung, um die Skulptur vertikal zu stabilisieren. Die Sphere wurde weder repariert
kaufsmeile und B1-Ebene, was zeigt, wie gebracht. Fritz Koenig traf sich dort mit noch renoviert, sondern verbeult und beschädigt belassen, um das wahre Ausmaß der
weit die Skulptur eingesunken war. Sie Arbeitern und half, das beschädigte und Zerstörung zu zeigen.
wurde dann mit einem Kran aus den Trüm- komplizierte »Puzzle« wieder zusammen-
mern herausgezogen, zerlegt, und zusam- zusetzen. Einige Teile mussten zurechtge-
men mit vielen anderen Artefakten, die von bogen und geringfügig verformt werden,
der WTC-Site gerettet worden waren, in damit sie wieder zusammenpassten.
den Hangar 17 des Flughafens J. F. Kenne-
dy, verbracht, wo sie Monate lang lagerte.

206

Die Sphere in ihrem neuen Zuhause im
»Battery Park«. Fast 16 Jahre lang konn-
ten hier Zehntausende Menschen das
Symbol für Stärke und Widerstandskraft
sehen. Beschädigt, aber auf wundersame
Weise nicht zerstört, war die Sphere sofort
wiederzuerkennen.

Endlich wurde das letzte Stück der Kugel im Die Sphere 2012 im »Battery Park«. Im Fritz Koenig bei der Kugel im »Battery
»Battery Park« am 9. März 2002 von einem Vordergrund ist eine »Ewige Flamme«, Park«. Koenig war an der Wiederherstel-
Kran an seinen Platz gesetzt. Pünktlich zur zu sehen, entzündet von New Yorker Bür- lung der Sphere beteiligt und besuchte
sechsmonatigen Wiederkehr der Angriffe germeister Michael Bloomberg während den neuen Standort viele Male. Nach 15
vom 09. September stand damit die Sphere einer Zeremonie am 11. September 2002, Jahren kehrte dank der erfolgreichen Be-
an ihrem vorübergehenden Zuhause. dem ersten Jahrestag der Angriffe. Eine mühungen von Michael Burke (der seinen
Petition mit dem Ziel, die Skulptur zurück Bruder Billy, einen Feuerwehrhauptmann
zum »World Trade Center« zu versetzen der New Yorker Feuerwehr, am 11. Sep-
verlief ergebnislos. Bürgermeister Bloom- tember verloren hatte) die Sphere schließ-
berg wünschte, dass sie im »Battery lich wieder in das Areal des »World Trade
Park« bliebe. Centers« zurück. Leider erlebte Koenig die
Versetzung an ihren endgültigen Standort
nicht. Er war am 22. Februar 2017 ver-
storben.

In den ruhigen Nachtstunden des 16. Au- Die Sphere wurde am 6. September 2017 in einer Weihezeremonie enthüllt. An ihrem end- Endlich ist eine 16-jährige Reise abge-
gust 2017 wurde die Sphere erneut zer- gültigen Standort zieht sie mehr Besucher als je zuvor in den Park, in dem Touristen und schlossen. Von Fritz Koenigs Werkhalle in
legt und per LKW zu ihrem neuen Stand- Passanten über »9/11« und das »Danach« nachdenken können. Im »Liberty Park« befindet Deutschland zum »World Trade Center«,
ort, wenige Blocks nördlich des »World sich auch die »St. Nicholas-Kirche«, eine kleine griechisch-orthodoxe Kirche, die durch den zum Hangar 17, zum »Battery Park«, und
Trade Centers«, transportiert. Hier ist das Einsturz der Zwillingstürme am 11. September zerstört wurde. Man hofft, die neue Kirche, schließlich zum »Liberty Park«, hatte die
Hauptstück der Kugel auf einem Tieflader die hinter der Sphere zu erkennen ist, am 20. Jahrestag der Angriffe öffnen zu können. Sphere eine bemerkenswerte Reise. Ein
auf der Liberty Street, am südlichen Rand Symbol für Hoffnung, Stärke und Wider-
der »9/11 Memorial Plaza« zu sehen. standskraft überblickt jetzt, nur wenige
Dann wurde die Sphere von einem Kran hundert Meter von seinem ursprüngli-
zum »Liberty Park« bewegt, einem erhöh- chen Platz entfernt, das »9/11 Memorial
ten Platz, südlich der Liberty Street, mit and Museum« Künftig wird die Sphere
Blick auf das neue »World Trade Center«. Tausenden zur Erinnerung dienen, nie zu
vergessen.
207

208

Teresa Scavetta Stecher – What does The Sphere mean to you? 209

210

»What does The Sphere mean to you?«

Teresa Scavetta Stecher

Im Jahr 2001 lebte ich in Toronto, Kanada, nur eine Flugstunde von New York
City entfernt. Siebzehn Jahre zuvor war ich zum ersten Mal direkt vor The Sphere
gestanden. Nach ihrer Bergung und einer kurzen Zwischenstation im Hangar 17
am JFK Airport stand die beschädigte, aber umso mehr beeindruckende Skulptur
16 Jahre lang im Battery Park in New York. All diese Jahre hindurch setzte sich
die Initiative »Save The Sphere« unter der Führung von Michael Burke mit vielen
Unterstützern aus betroffenen Familien unermüdlich dafür ein, dass The Sphere
wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückkommt.

Leider wurde Fritz Koenigs Entwurf dazu nicht realisiert und The Sphere am
16. August 2017 im Liberty Park, der direkt an die »9/11 Memorial Site« an-
grenzt, neu aufgestellt. Dies nahmen mein Mann Michael Stecher und ich zum
Anlass, um direkt vor Ort Besucher und Passanten zu befragen, welche persön-
liche Bedeutung The Sphere als sichtbare Erinnerung an die Ereignisse vom 11.
September für sie habe. Zu diesem Zweck hatten wir vom Skulpturenmuseum
in Landshut vorbereitete Karten mitgebracht, bedruckt mit einer Abbildung der
Kugelkaryatide und der Frage: »What does The Sphere mean to you?«

Viele Personen aus allen Teilen der USA und Europas haben uns ihre ganz per-
sönliche Interpretation von The Sphere als Mahnmal aufgeschrieben. Sie geben
Zeugnis von der Wandlung der Kugelkaryatide von einem Kunstwerk zu einem
Mahnmal von Weltgeltung.

211

212

Marilyn Masaryk und Roberta Kahran, Augenzeuginnen von 9/11, schrieben:
»Sie ist der einzige intakte Teil des Word Trade Centers, der noch übrig ist. Sie
ist ramponiert und verletzt, aber wir auch. Für alle, die an diesem Tag hier wa-
ren, ist sie ein Stück Geschichte und eine Mahnung, die wir niemals vergessen
sollten.« Für Michael Burke, Bruder des Feuerwehrchefs William Burke, der viele
Menschen aus den Twin Towers rettete und dabei sein eigenes Leben verlor, ist
The Sphere ein Symbol der »Wahrheit«.

Beschädigt und unvollständig, wie wir alle. Das ist die Schönheit des Menschen, 213
symbolisiert in dieser Sphere – Hoffnung, Schönheit und Beständigkeit.

214

Nichts kann die Freiheit besiegen! 215

216

Dieses wunderschöne Denkmal, das nach der Attacke vom 11. September hier- 217
her gebracht wurde, repräsentiert mehr als alles andere die Bedeutung von
»RESILIENZ«, einen Ausblick auf Hoffnung für jeden von UNS...und eine Mah-
nung, sich immer daran zu erinnern....

218

Für mich repräsentiert das Mahnmal Frieden, Ruhe, Gelassenheit – und das 219
inmitten dieser Unmenschlichkeit. Der Beweis ist, dass diese wunderbare Ku-
gel der schlimmen Katastrophe widerstanden hat. Das Leben geht weiter. Ich
liebe dieses Kunstwerk!

220

Es ist erstaunlich, vor diesem Werk zu stehen, das nach dieser schrecklichen 221
Tragödie nahezu intakt geblieben ist.

222

223

224

Die Sphere ist weit mehr als ein Kunstwerk. Es berührt mein Herz auf vielfältige 225
Weise. Viele Menschen, darunter auch mein Großvater, kamen mit dem Leben
davon, haben aber bis heute immer noch mit gesundheitlichen Problemen zu
kämpfen. Dieses Kunstwerk bedeutet so viel für Familien und Freunde, die ihre
Lieben verloren haben.

226

227

228

Sie steht für Hoffnung. Wenn dieses Metallobjekt 9/11 überleben konnte, gibt es 229
auch Hoffnung für die Menschheit.

230

Christoph Thoma – Der Koenig und ich – Alles auf Anfang 231

232

Der Koenig und ich – Alles auf Anfang 233

Christoph Thoma

Als Fritz Koenig den Auftrag für die Brunnenanlage auf der Plaza des World Trade
Centers in New York erhielt, 1967, war ich dreizehn Jahre alt. Mein Vater Hans
Thoma, auch Jahrgang 1924, war ein Schulkollege von FK und zeitlebens auf
nicht immer einfache Weise mit ihm befreundet. Meine Mutter Hildegard wieder-
um verstand sich gut mit Maria Koenig, seiner Frau. Und so spielte »der Koenig«
in meinem Elternhaus immer eine Rolle.
Könige kannte ich damals, als Kind, nur aus dem Märchen. Die unterschiedliche
Schreibweise von »König« und Koenig« war mir nicht bewusst. Und irgendwie
erwartete ich auch einen Mann mit Bart und Krone, als ich an der Hand meines
Vaters zum ersten Mal auf den Ganslberg kam. Ich verstand wenig von dem,
was mein Vater mit dem Herrn zu besprechen hatte, der hinter weißen Mauern in
einer Art Bergschloss wohnte, aber mich beeindruckten die Kugeln aus Bronze,
die Säulen aus Stein, all die ungewöhnliche Einrichtung zwischen den Bäumen
im Garten.
Ich weiß nicht mehr, ob ich noch dreizehn oder doch schon vierzehn Jahre alt war,
bei einem weiteren Besuch auf dem Ganslberg, aber ich kann mich noch sehr gut
daran erinnern, dass mein Vater und ich, dass wir also mit dem Mann, zu dem
auch meine Eltern zuhause immer nur augenzwinkernd »der König« sagten, eine
neu gebaute riesige Halle unten an der Grenze des Anwesens, am Fuße des
Ganslbergs, besichtigten. Und dass dort die Rede davon war, dass in diesem
Stadel, zwischen Maisfeldern und Wiesen, eine große Eisen-Kugel für Amerika
gebaut werden sollte.
»Wenn man hinausfährt nach Ganslberg, hinter Altdorf, hinter der Bahn, am Ende
der Straße, wo es einsam ist, da stößt man auf den Koenig. Er selbst weist Besu-
chern den Weg, mit seinen Kuben, mit seinen Kugeln. Vor einer riesigen stadelar-

Hz 942 | Kugelkaryatide N. Y., 1967 | Kohle | 44 x 63 cm | monographisch und datiert, unten rechts - F.K. 67

234

tigen Halle gleißt goldenes Metall. Koenigs Kunst als Blickfang über vereisten 235
Äckern, bezuckerten Bäumen. Elementares Menschsein in Metall modelliert,
von der Zeugung bis zum kümmerlichen Tod und den knöchernen Resten…
(»Brunnen, Blumen, Koenigs Kunst« aus »Hand am Puls – Lebensbilder einer
Stadt«, 1989).
Am meisten aber hat mich beeindruckt, dass der Hausherr, der Künstler, der Bild-
hauer, »der König« eben, vor dem ich einen Heidenrespekt hatte, sich plötzlich
mir zuwandte, sich zu mir herunterbeugte und mir erklärte, dass seine »Koenigs-
Kugel« nichts mit der Königs-Kugel aus dem Märchen »Der Froschkönig« zu tun
habe, sondern dass die Kugel aus Bronze, die er nun für einen bedeutenden Platz
unter den himmelhohen Wolkenkratzern der Weltstadt New York, weit über dem
Meer in den fernen Vereinigten Staaten, formen, gießen, anfertigen werde, ein
Symbol für die ganze Erdkugel sein soll. Und dass es um die Form des mensch-
lichen Kopfes geht, um den Menschen überhaupt, um seine Knochen und um
seinen Schädel.

Als die Große Kugelkaryatide 1971 auf der Plaza unter den Twin Towers des
World Trade Centers in Manhattan aufgestellt wurde, war ich noch Schüler, aber
meine Eltern hatten regelmäßig Kontakt mit Maria und Fritz Koenig, es gab
gegenseitige Besuche, und bei uns daheim stapelten sich Bücher und Zeitungs-
ausschnitte, die sich mit dem Bildhauer aus Landshut beschäftigten. Und mit
dem gewaltigen, symbolträchtigen Werk, das in Niederbayern für New York ge-
schaffen worden war.
Wenn die stolzen Kirchtürme und die getreppten Giebelhäuser Landshuts Skelett
sind, die Burg Trausnitz der Kopf, der Hofgarten ist das Herz. Er birgt die Seele die-
ser Stadt. Da ist an seinem Rande das »Skulpturenmuseum der Stadt Landshut«
mit den »Sammlungen Koenig« gut aufgehoben. Einer der bekanntesten Künstler
Deutschlands, das ist der zurückgezogen in Ganslberg bei Landshut lebende Pro-
fessor Fritz Koenig, der den 70. Geburtstag zum Anlass nahm, sein künstlerisches

236

Gesamtwerk, Sammlungen, Grundbesitz, Gebäude, Haus und Hof, in eine Stiftung 237
einzubringen, deren Alleinbegünstigte die Stadt Landshut und ihre Bürger sind.
(»Der Landshuter Hofgarten«, Charivari 6/1996).
Wie das wirklich gemeint war, mit der Form des Erdballs und gleichzeitig mit der
archaischen Urform des menschlichen Schädels, das wurde mir erst irgendwann
1975/76 ganz plötzlich klar, als ich Volontär der Passauer Neuen Presse war. Ich
berichtete über eine archäologische Ausgrabung bei Essenbach und durfte dabei
– in einem Grab aus der Bronzezeit – einen Totenschädel in die Hand nehmen.
Es gibt ein Schwarzweiß-Foto davon, das mich – einen langhaarigen jungen
Mann – in diesem Grab zeigt, auf den Knien, den knöchernen Schädel mit den
glotzenden Augen wie zur Zwiesprache in der Hand. Und ich weiß es bis heute,
dass mir genau in diesem Moment die Begegnung wieder einfiel, die ich fast zehn
Jahre zuvor auf dem Ganslberg mit Fritz Koenig hatte und dass er mir, dem Kind,
damals seine Skulptur für New York erklärt hatte, und was die Aussage seiner
»Kugel« sei. Und dass ich es nicht verstanden hatte.

In diesem erstaunlichen Komplex mit den Rekord-Skyscrapern – New York ist
800 Quadratkilometer groß – gibt es keinen Schlaf. Die Einheimischen wundern
sich darüber, dass der Schmelztiegel oder besser Schnellkochtopf New York noch
nicht explodiert ist. Man sucht ihn – den »Koenigs-Weg«! Alleine im World Trade
Center arbeiten 60 000 Menschen…Ein Denkmal ist von Landshut an die Wall-
street gerollt. Im Frühjahr 1967 erhielt der Bildhauer Fritz Koenig den Auftrag,
für das gigantische World Trade Center eine Brunnenanlage zu entwerfen. Eine
Aufgabe, die schwindlig machen musste…« (»Das eiserne Christkind – Winter-
geschichten«, Straubing 1998).
In der Folgezeit bemühte ich mich mehrfach um Interviews mit Fritz Koenig, zu-
nächst noch für die Passauer Neue Presse, dann für dpa und den Bayerischen
Rundfunk. Und ich erhielt auch immer »Audienz«. Das war nie ein Problem.
Fritz Koenig zeigte mir seine Werkstatt, die Stallungen mit den Araber-Pferden

238

und wir sprachen über verschiedene Aufträge für Mahnmale und Epitaphien. Wir 239
sprachen auch über die neue Autobahn A 92 von München nach Deggendorf,
die vor der Ausfahrt Altdorf das Koenig-Reich »zerstörerisch durchtrennte« und
FK großen Kummer bereitete.

Gute Gespräche mit Fritz Koenig – aber kein Interview!

Es waren immer gute Gespräche, ich bin immer bereichert nach Hause gefahren;
nur sobald ich den Stift zückte, um Antworten zu fixieren bzw. mitzuschreiben
oder gar das Mikrophon auspackte, um ein richtiges Radio-Interview zu führen,
war es mit der Redseligkeit des FK schlagartig vorbei. Das ging mit immer neuen
Begegnungen und Versuchen über Jahrzehnte so. Mit ein paar schlechten, »ge-
raubten O-Tönen« und einem folgenden Beitrag in »Ostbayern heute« dazwi-
schen, weil ich das Mikrophon einfach eingeschaltet auf den Tisch gelegt hatte.
Fritz Koenig ließ sich nicht festnageln, vielleicht hatte er sogar irgendwie Angst,
dachte ich manchmal, mit einer festgezurrten Aussage ausrechenbar zu werden.
Da war eine Unsicherheit, die er oft mit Grant zu überspielen versuchte.
»Die Verbindung Landshut-New York ist besonders eng, seit der Bildhauer Pro-
fessor Fritz Koenig im Frühjahr 1967 eine Brunnenanlage für das WTC entwarf.
Am Anfang stand ein 50 Zentimeter großes Modell, am Ende wurde am Gansl-
berg bei Landshut eine gewaltige Halle gebaut, um die fast acht Meter hohe
und über fünf Meter breite Plastik mitsamt dem Sockel aufzubauen. Und dann
ist ein Denkmal von Landshut an die Wallstreet gerollt. Inmitten der T-Träger
und rechten Winkel einer quadratierten Stadtlandschaft wurde eine runde Sache
installiert. Ein intensives, konzentriertes Symbol, das in der terroristischen Apo-
kalypse unterging, verloren und unwichtig erschien im Szenario des Grauens.«
(Landshuter Monatsprogramm, 12/2001)
Es ist immer eine Niederlage für einen jungen Reporter, wenn er zwar anregen-
de, spannende Stunden bei einem berühmten Menschen erlebt hat, aber dann

240

ohne Tondokumente, ohne Fotografien und ohne autorisierte Zitate nach Hause 241
kommt. Irgendwie hat FK meinen Frust dann schon gespürt, vielleicht auch ver-
standen. Denn er wusste ja um mein Interesse und um meine Wertschätzung.
Nur so kann ich mir heute erklären, dass er mich 1987, nach einem erneut quasi
gescheiterten Besuch auf dem Ganslberg, spät am Abend desselben Tages – ich
war schon auf dem Weg ins Bett – privat anrief und mir vorschlug, ich solle doch
gleich noch zum Ganslberg hinausfahren. Er sitze gerade mit Percy Adlon bei
einer Flasche Wein. Und das Gespräch wäre sicherlich interessant für mich.
Percy Adlon war damals gerade mit dem Kino-Knaller »Out of Rosenheim« in aller
Munde. Und nun sollte ein großer Film über den Ganslberg entstehen. Das wäre
für mich natürlich eine große Chance gewesen, an diesem Abend bzw. in dieser
Nacht mit den beiden Künstlern am Tisch zu sitzen. Persönlich eingeladen, von
Fritz Koenig. Heute tut es mir Leid, dass ich nicht hinausgefahren bin nach Altdorf
und nicht hinauf zum Ganslberg. Mit der Zahnbürste in der Hand, habe ich diese
ganz besondere Gelegenheit versäumt.

»Sport und Kultur prägen die Freizeit in Landshut. Das Skulpturenmuseum im
Hofberg ist ein Hort der Weltkunst; hier ist auch Professor Fritz Koenigs Modell
für die berühmte Brunnenanlage zu sehen, die einmal im Innenhof des World Tra-
de Centers in New York stand«. (Image-Broschüre der Stadt Landshut, »Zeit für
Landshut ... das Ereignis«, zum Jubiläum 800 Jahre Landshut, 2004).

Die Begegnungen, die guten und die gescheiterten Gespräche mit Fritz Koenig,
vor allem die Erklärungen Fritz Koenigs seinerzeit, bei meinem Besuch mit dem
Vater auf dem Ganslberg, als es The Sphere nur als Modell gab, all das mach-
te meinen Besuch in New York in den frühen Achtziger-Jahren so besonders, so
nachhaltig. Da fuhr ich mit den Fahrstühlen im WTC, ich erlebte den verrückten
Trubel Manhattans, sah die Freiheitsstatue und ich stand staunend vor der ge-
waltigen Brunnenanlage mit der Großen Kugelkaryatide. So riesig. So winzig. Wie

242

ein Schusser unter den Twin Towers. Und ich dachte an meine Vorstellung vom 243
»König« damals und wie der Künstler dem Kind die Geschichte von der Kugel zu
erklären versucht hatte.
1967 bekam der Bildhauer Fritz Koenig den spektakulären Auftrag, für das World
Trade Center in New York eine Brunnenanlage zu schaffen. Die Karyatide wurde
am Ganslberg bei Landshut in einer riesigen Halle gebaut. Gussteil für Gussteil
setzte Koenig die acht Meter hohe und fünf Meter breite Plastik zusammen: Eine
last- und schuldtragende Kugel, wie er mir bei einem Besuch mit den Eltern ge-
duldig erklärte. Menschliches Kleinsein in Metall gefasst, von der Zeugung bis
zum kümmerlichen Tod. – Das hab‘ ich nie vergessen. (»Mahnmale, Gebete, Epi-
taphien – Professor Fritz Koenig und die christliche Kunst« – BR, Religion und
Orientierung, 2018).
In der Folge hatte ich viele Gelegenheiten, meine Eindrücke zu Papier zu bringen,
über FK zu schreiben. Ob es die politische Auseinandersetzung um die Planun-
gen des »Skulpturenmuseum im Hofberg« waren oder Fritz Koenigs durchaus
kritische Aussagen zum Denkmalschutz in Landshut, es gab immer wieder Ge-
legenheit, sich als Journalist mit Fritz Koenig zu beschäftigen. So lange ich Fritz
Koenig kennen durfte, so kompliziert waren unsere (beruflichen) Begegnungen.
Unvergessen bleibt mir in diesem Zusammenhang die Eröffnung des »Skulpturen-
museums im Hofberg«. Ich war 1998 Korrespondent des Bayerischen Rundfunks
in Landshut und sollte mit Ü-Wagen im Mittagsmagazin »Ostbayern heute« live
vom Festakt berichten. Und es gab mehrere Aufrufe des Moderators.
Der Reporter vor Ort, also ich, schilderte die Situation und die Bedeutung des im
Berg versteckten Bauwerks, ich interviewte OB Josef Deimer und wandte mich
dann Fritz Koenig zu, um ein Gespräch mit ihm zu führen. So war es fix ver-
einbart! Doch der Meister drehte sich auf dem Absatz um, winkte ab und ging
strammen Schritts davon. Mein Kabel reichte nicht weit genug. Ich konnte ihm
nicht folgen und gab enttäuscht zurück ins Studio. Ich versuchte es noch zweimal
in dieser Stunde, aber alle meine Fragen blieben unbeantwortet.

244

Fritz Koenigs Kugelkaryatide, die bis zum Terrorangriff im September 2001 das 245
Herz der Plaza des World Trade Centers bildete, wurde ein identitätsstiftender Ort
für Bewohner und Besucher Manhattans. Im Sommer 2017, über fünfzehn Jahre
nach der Katastrophe von 9/11, ist die Skulptur auf das Gelände des früheren
World Trade Centers zurückgekehrt. Beschädigt, aber nicht zerstört! (»Mahnma-
le, Gebete, Epitaphien – Professor Fritz Koenig und die christliche Kunst« – BR,
Religion und Orientierung, 2018).

Fritz Koenig war immer wieder ein Thema – er und sein Werk

Im neuen Jahrhundert berichtete ich oft über Fritz Koenig und sein Werk. Aber
ich ließ fortan alle Versuche bleiben, den Meister selbst zu interviewen. Das eine
oder andere kurze Gespräch mit ihm gab es noch, immer spannend, wenn er
seine Plastiken erklärte, immer interessant, wenn er abrupt das Thema wechselte,
immer Fragen aufwerfend – aber das Aufnahmegerät blieb in der Tasche.
Und es gab viele gute Gelegenheiten, im Skulpturenmuseum vorbeizuschauen,
wo ich in dessen engagierter Leiterin, Stefanje Weinmayr, immer eine zuvorkom-
mende, hochkompetente Ansprechpartnerin hatte. Ich erinnere mich an das von
ihr initiierte Kinder-Programm, ein wunderbares Thema für den »Heimatspiegel«
im Radio, oder an die Ausstellung früher Koenig-Zeichnungen mit dem Thema
»Landshuter Hochzeit 1475« und – unvergesslich eindrucksvoll – die Präsenta-
tion der FK-Papier-Faltarbeit Votiv N.Y. nach der Rettung der »Koenigs-Kugel«
aus Schutt und Asche am »Ground Zero«. Nur stecknadelkopfgroß die goldene
Kugel vor den schrundigen Falten eines unermesslich hohen tiefschwarzen Bergs.
Und für mein Halb-Stunden-Feature »Mahnmale, Gebete, Epitaphien« über Fritz
Koenig als den Schöpfer vor allem auch großartiger Werke christlicher Kunst, das
ich 2018 zum ersten Todestag des Meisters vom Ganslberg für den Bayerischen
Rundfunk verfasste, sprach ich u. a. mit Petra Articus, der Äbtissin von Kloster
Seligenthal, die Fritz Koenig »einen Suchenden« nannte, und »einen Freund«.

246

The Sphere, wie die Amerikaner die Koenigs-Kugel in Manhattan nennen, was 247
mit Himmelsgewölbe übersetzt werden kann, erinnert an den Schädel eines Men-
schen: Der Kunsthistoriker Professor Peter Steiner, früherer Leiter des Diözesan-
museums für Christliche Kunst in Freising, machte mich beim Lokaltermin in Se-
ligenthal bei einer Darstellung des Sehers Hiob auf einen kleinen Totenschädel
aufmerksam, in den winzig ein paar Worte eingraviert sind: »Herr lehre mich, dass
es ein Ende haben wird, mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss!«
Hiob, eine Figur des Alten Testaments, die sich fragt, warum es Gott zulässt, dass
guten Menschen Böses widerfährt. Wieder greift Koenig mit dem Mittel der Re-
duktion auf einen Schädel zurück. Augenhöhlen, Nasenlöcher. Winzig klein alles,
dieses Mal.
Als außergewöhnlich und einmalig ist der Umstand zu werten, dass die Zisterzi-
enserinnen im traditionsreichen Kloster Seligenthal zu Landshut sogar ihren Klau-
surbereich Koenigs Kunst geöffnet haben. Sie gewährten einem Bildhauer Einlass,
der gut zu leben wusste, dem nichts Menschliches fremd war, und den man wohl
nicht als fromm im klassischen Sinn bezeichnen kann. Fritz Koenig, der sich vor
allem nach dem Tod seiner Frau Maria immer mehr zurückzog, Verbindungen lös-
te, auch Freunde verprellte und als Gesprächspartner immer schwieriger wurde,
fand in der Äbtissin eine Zuhörerin! (»Mahnmale, Gebete, Epitaphien – Professor
Fritz Koenig und die christliche Kunst« – BR, Religion und Orientierung, 2018).

Die Intimität der ganz persönlichen Erinnerung

Seltsam und anrührend für mich: die Klassenkameraden Hans Thoma und Fritz
Koenig, streitbare Freunde zeitlebens, sind 2017 altersgleich kurz nacheinander
gestorben: mein Vater am 27. Januar und »der Koenig« am 22. Februar.
Ich bin kein Kunsthistoriker. Ich bin Journalist, Reporter. Und wenn ich mich als
gebürtiger Landshuter an Fritz Koenig erinnere, diesen so schwer mit sich selbst
ringenden, diesen gleichermaßen visionären wie uralten Votiven und archaischen

248


Click to View FlipBook Version