Wege zu finden, wie man die riesigen Dimensionen der Türme menschlicher 99
gestalten konnte. Nachdem er 1966 die Idee eines aus Reflexionsbecken be-
stehenden Grabens verworfen und stattdessen eine große Brunnenanlage mit
niedriger Bepflanzung und Skulpturenschmuck als Herzstück der Plaza konzi-
piert hatte, war es nötig, Künstler zu finden, die ihm bei der Umsetzung seiner
architektonischen Vision helfen konnten, menschlich dimensionierte Elemente
in die weite, gepflasterte Anlage einzufügen, aus der die 110 Stockwerke bzw.
400 Meter hohen metallischen »Skulpturen« herauswachsen sollten.
Der Auftrag der Port Authority zur Anfertigung einer Brunnenskulptur stand
somit in unmittelbarem Zusammenhang mit Yamasakis zweitem Entwurf für
die Plaza des World Trade Centers aus dem Jahre 1966. Schon 1967 erhielt
Fritz Koenig die Nachricht, man habe ihn ausgewählt, um eine Brunnenskulp-
tur für die World Trade Center Plaza zu entwerfen.18 Diesem ersten bedeuten-
den Auftrag zeitgenössischer Skulptur für die Plaza des World Trade Centers
sollten weitere folgen. Zwei Jahre später, das heißt 1969, begann Austin To-
bin, der Geschäftsführer der Port Authority, sein ehrgeiziges »Percent-for-Art«-
Programm für das World Trade Center, das ein Prozent der Gesamtbaukosten
für die Ausstattung mit Kunstwerken und die Einrichtung eines »Artist-in-
Residence«-Programms vorsah. Die genauen Umstände, die zur Vergabe des
ersten Auftrags an Fritz Koenig führten, sind unklar, doch scheinen sie auf
Minoru Yamasakis Bekanntschaft mit dem New Yorker Galeristen George W.
Staempfli zurück zu gehen, der 1961 Fritz Koenigs erste Einzelausstellung in
New York organisiert hatte.19 Wahrscheinlich entstand die Bekanntschaft Ya-
masakis mit Staempfli zunächst, weil beide den japanischen Bildhauer Ma-
sayuki Nagare schätzten. Yamasaki hatte ihn während einer seiner Japanrei-
Abb. 7 - Sk 346 Augenvotiv I, 1965 Abb. 8 - Sk 408 Augenvotiv II, 1967
100
sen in den 1950er Jahren kennengelernt und nach New York eingeladen, um
mit ihm zusammen zu arbeiten. Staempfli lernte Nagares Arbeiten seinerseits
über Gordon Washburn, den Leiter des Carnegie Institute kennen, der Nagare
mit seinem Werk Meeresfeder (1960) auf die Pittsburgh International Exhi-
bition von 1961 eingeladen hatte.20 Staempfli begann wenige Jahre später
ebenfalls damit, Nagare in seiner New Yorker Galerie auszustellen.21 Und auch
Yamasaki gab eine aus drei Skulpturen bestehende Gruppe mit dem Titel Zu-
sammenkunft (1965) bei Nagare in Auftrag, die für einen kleinen Park vor dem
Gebäude der Northwestern National Life lnsurance Company in Minneapolis
bestimmt war.22
Vielleicht lernte Yamasaki Fritz Koenigs Arbeiten schon 1963/64 durch des- 101
sen zweite Einzelausstellung in Staempflis Galerie in New York kennen. Oder
aber zur Zeit seiner dritten Ausstellung Ende 1966.23 Kurz nach Ende letzterer
Ausstellung meldete sich Yamasaki auf Staempflis Empfehlung hin bei Koenig
mit der Bitte, den Vorentwurf für eine großen Brunnenskulptur für das Gelän-
de des World Trade Centers vorzulegen (Abb. 4, Seite 94).24 1967 wurde für
Koenig zu einem in mehrerer Hinsicht bedeutenden Jahr, denn zwei seiner
Werke, eine kleine Version des für Dachau bestimmten Großes Kreuz VI (Abb.
5, Seite 96) und eine Karyatidensäule, wurden bei der Weltausstellung 1967 in
Montreal im Deutschen Pavillon gezeigt. Im selben Jahr wurde auch sein mo-
numentales Bronzeportal am Würzburger Kiliansdom installiert.25 Die Arbeit
an der Brunnenskulptur für New York begann mit einem ersten, etwa 50 cm
großen Modell (Kleine Kugelkaryatide I, 1967), in dem die Grundidee einer Ku-
gelkaryatide bereits als Basiskonzept enthalten war.26 Eine Reihe von Modellen
in kleinem Maßstab (Kleine Kugelkaryatide II-IV, 1967, Sk 409-412) und Zeich-
Abb. 9 - Sk 358 Karyatide II, 1965
102
nungen (Kugelkaryatide N.Y., 1967, Hz 938-962) dokumentieren Koenigs Suche 103
nach einem endgültigen formalen Konzept für die Kugelkaryatide im Verlauf
des Jahres 1967 (Abb. 6, Seite 98).27 Sie gipfelten in der Schaffung einer sech-
sten und definitiven Version des Entwurfs und in einem Präsentationsmodell
im Maßstab 1:12 (Kleine Kugelkaryatide V, N.Y., 1968), das 1968 in New York
begutachtet wurde und Koenig den offiziellen Auftrag der Port Authority für die
Version der Skulptur im großen Maßstab einbrachte.28
Koenigs Kugel: Entwurf und Entstehungsprozess
Konzipiert als eine entschieden figurative und dennoch abstrakte Komposition
scheint sich Koenigs Entwurf für den Brunnen der World Trade Center Plaza
ganz natürlich aus Ideen entwickelt zu haben, mit denen er sich seit den frü-
hen 1960er Jahren und vor allem seit 1963 in einer Anzahl von Skulpturen
in kleinem und größerem Maßstab auseinandergesetzt hatte. In seinen soge-
nannten Votiven kombinierte er erstmals figürliche mit räumlichen Motiven,
ein Prozess, der oft zum Verschmelzen von organischen und geometrischen
Formen führte und manchmal in einem vollkommenen Aufgehen von figürli-
chen in abstrakten Kompositionen mündete.29 1965 wurde Koenig durch ein
Gesundheitsproblem mit seinen Augen zu Experimenten mit dem Motiv ei-
nes einzelnen menschlichen Auges inspiriert, das er in größere geometrische
Kompositionen integrierte. Während sein Augenvotiv I (1965) (Sk 346; Abb.
7, Seite 100) noch an ein menschliches Auge erinnert, wie man es in früh-
christlichen Votivtäfelchen finden kann, gibt das spätere Augenvotiv II (1967)
(Sk 408; Abb. 8, Seite 100 ) solche figürlichen Bezüge vollkommen zugunsten
eines abstrakteren geometrischen Ansatzes auf, bei dem Kugelund Würfelform
in einem neuen dynamischen Ganzen verschmelzen. In beiden letztgenannten
104 Abb. 10 - Lee Lowrie, Atlas, 1937.
Arbeiten ist die so entstandene Form vom Boden abgehoben, was mit Hilfe
eines kurzen Stiels oder zylindrischen Schafts geschieht, der die Körperlichkeit
und erdgebundene Präsenz der Skulptur ebenso unterstreicht wie negiert.30
Koenig erkundete das Potential dieser materiellen und formalen Ambivalenz
in zwei weiteren eng miteinander verbundenen Skulpturentypen, die in jenen
Jahren entstanden, nämlich in einigen seiner Karyatiden und Kreuze.31 Koe-
nigs Entwurf für Karyatide II (1965) (Sk 358; Abb. 9, Seite 102 ) scheint zum
Beispiel auf einigen seiner früheren Votive aufzubauen, in denen der Akt des
Schulterns und Tragens einer Last eine zentrale Rolle im Entwurf der Skulptur
einnimmt. Ein kurzer und schlanker Schaft hebt auch das für Dachau geschaf-
fene Große Kreuz VI (1966/67) (Sk 378) minimal über den Boden und den
Sockel hinaus und unterstreicht so das Gewicht und die zermalmende Kraft
des Kreuzes. Gleichzeitig wird die kubische Form durch eine abstrahierte Re-
ferenz an eine menschliche Figur von innen heraus zum Bersten gebracht. In
Große Säulenkaryatide R (1966/68) (Sk 386) und Großes Kreuz V (1966/68) (Sk
376) werden die tragenden Elemente andererseits in die Höhe verlängert und so
selbst zu wichtigen Teilen der Skulptur. Das mühelose Heben und Tragen wird so-
mit ebenso zum Thema wie das Standhalten angesichts einer erdrückenden Last.
Für den Auftrag aus New York entschloss sich Koenig, eine ähnliche und doch 105
in mancher Hinsicht deutlich andere Richtung einzuschlagen. Obwohl seine
Aufgabe in nichts anderem bestand, als eine Brunnenanlage für die Plaza des
World Trade Centers zu schaffen, weigerte sich Koenig, mit Yamasakis gigan-
tisch aufstrebender Architektur in direkte Konkurrenz zu treten. So wählte er
als Brunnenskulptur keine Säulenkaryatide mit nach oben weisender Dynamik,
106 Abb. 11 - Ganslberg, Atelier mit Gipsmodell
sondern eine niedrigere, rotierende Kugelkaryatide als bewussten Gegenpol
zur wolkenkratzenden Masse der nahegelegenen Turm-Quader.32
Die Tatsache, dass Koenig seine Skulptur nicht nur als Kugel, sondern als Ku- 107
gelkaryatide konzipierte, ist in diesem Zusammenhang durchaus bedenkens-
wert, denn er unterstrich so die Ambivalenz, die der tragenden und lastenden
Qualität der Skulptur innewohnt. Koenigs Kugel wird so zum merkwürdigen
Zwilling des Atlas (Abb. 10, Seite 104) von Lee Lawrie und Rene Chambellan
für das Rockefeller Center, der ebenso selbstsicher wie geduldig die schwere
Last des Himmelsgewölbes auf seinen Schultern trägt.33
Koenig hatte offenbar schon früh erkannt, dass sein Grundkonzept einer Kugel
weitgehend alternativlos war, wie er später in einem Interview von 1974 mit
Dagmar Damek betonte.34 Was er jedoch noch ausarbeiten musste, war die
formale Artikulation und innere Ordnung jener Kugel. Mit der stark polierten
oberen Rundung, die an eine Schädelkalotte oder einen Helm erinnert, und
der Einbringung eines ebenfalls stark polierten einzelnen »Zyklopenauges«
als weiteres zentrales Motiv erinnert Koenigs Kugel besonders an die früheren
Augenvotive, ohne jedoch explizit figürliche Bezüge auf einen menschlichen
Kopf zu betonen. Schon 1974 legte Kurt Martin nahe, dass die Kugelform der
Skulptur und ihre Anspielung auf einen Schädel mit starrendem »Zyklopenau-
ge« ein Gefühl von Angst, Tod und Zerstörung erweckt.35 Peter-Klaus Schuster
ging 1988 noch weiter und meinte: »Blickt man diesem zur Faust geballten
Polyphem vielmehr ins Angesicht, so ist es auch wieder die Physiognomie des
Todes, die einem hier im Geschäftszentrum des Welthandels begegnet«.36 Man
kann die Skulptur allerdings auch ganz im Gegensatz dazu als lebensbejahend
interpretieren. Besonders die Art und Weise, wie die Kugel sich vom Boden ab-
108 Abb. 12 - Sk 416 Ganslberg, Atelier mit fertiger Großer Kugelkaryatide, N.Y.,
hebt, mag an einen keimenden Samen erinnern, der aus der Erde hervorbricht
und so gleichzeitig die Stärke des schwachen Keimlings als auch die Schwere
der ihm eigenen Last sichtbar macht.37
In verschiedenen Interviews erinnerte sich Koenig später an den Auftrag und
die anfänglichen Reaktionen seiner Auftraggeber: »Yamasaki meinte immer,
ich solle die Skulptur größer und noch größer machen, damit sie zu seinem
Entwurf passte, aber ich wollte lieber einen Kontrast dazu. So entwarf ich die
Kugel, von der einige Leute meinten, sie erinnere an einen Kopf mit Helm. Da
habe ich gelacht und zu Yamasaki gesagt, ›Der Helm ist da, weil mein Kopf
nicht von den Türmen erschlagen werden soll, wenn sie einstürzen‹. Das war
natürlich nur Spaß, aber wer weiß schon, warum ich das gesagt habe?«.38 In
einer früheren Konversation mit Dagmar Damek erinnerte sich Koenig auch
daran, dass er sich in dieser Situation wie David im Kampf gegen Goliath ge-
fühlt habe: »Allerdings, damit möchte ich nicht behaupten, dass ich irgendwel-
che Chancen hab' gegen diesen Goliath. Wenn, dann sind es Überlebenschan-
cen«. Er gab auch zu, dass Angst und die Sorge darum, wie er sich in dieser
Arena behaupten könne, seine Entscheidungen durchaus mitbestimmt habe,
insbesondere da er als Bildhauer ja nur über sehr beschränkte Mittel verfüge,
sich in dieser Welt zu bewegen.39
Die überwältigenden Dimensionen der zukünftigen Twin Towers waren eine 109
formidable Herausforderung für Koenig, der das Gefühl hatte, seine ästhe-
tischen und formalen Entscheidungen für die Kugel seien zum Teil aus der
Notwendigkeit heraus geboren, sich auf seinen Auftritt in der New Yorker
Arena vorzubereiten und die Dimensionen von Ganslberg in und gegen die
von Manhattan zu verteidigen.40 Vielleicht war es gerade Koenigs hartnäcki-
110 Abb. 13 - Ganslberg, Abtransport der Skulptur
ges Insistieren auf der Verteidigung eines menschlichen Maßstabs und einer
menschlichen Dimension – der »GanslbergDimension«, wie er sie nannte –,
die Yamasaki ursprünglich auf Koenigs Werke aufmerksam gemacht hatte,
denn die Verteidigung des menschlichen Maßes in der Architektur war auch
eines der zentralen Anliegen in Yamasakis eigener Architekturphilosophie. Ge-
rade dieses Anliegen war allerdings in den Jahren zwischen 1964 und 1966 in
Bedrohung geraten, als der anfängliche Entwurf für die Plaza zugunsten eines
strengeren, auf das direkte Erleben der gigantischen Türme gerichteten Fokus
aufgegeben wurde.41
Für Koenig und Ganslberg brachte das World Trade Center Projekt seine eige- 111
nen beträchtlichen Veränderungen mit sich, insbesondere was die Maßstäbe
betraf. Ein neues, scheunenähnliches Atelier musste gleich neben dem Wohn-
haus des Künstlers gebaut werden, damit er dort am Gipsmodell im Maßstab
1:1 arbeiten konnte, eine Arbeit, für die kein anderer schon existierender Raum
genügend Platz bot (Abb. 11 u.12, Seiten 106,108).42 Koenigs Arbeit begann
während des Winters 1968/69 unter Mithilfe des Tiroler Bildhauers Josef Plan-
kensteiner und mit tatkräftiger Unterstützung von Koenigs langjährigem Assi-
stenten Hugo Jahn. Etwa um jene Zeit wurde auch das hydraulische System des
Brunnens entwickelt, doch nicht in Ganslberg, sondern am Institut für Hydrolo-
gie und Flussgebietsmanagement der Technischen Hochschule München. Des-
sen Ingenieure erfanden ein System, das es der Kugel erlaubte, sich innerhalb
von 30 Minuten einmal um ihre eigene Achse zu drehen, während pro Sekunde
600 Liter Wasser nach oben gegen ihre runde Basis gepresst wurden, um so
rundherum eine Wasserwelle zu bilden, die dann nach außen hin über einen
breiten Tisch aus schwarzem Granit mit 25 Metern Durchmesser abfloss. Am
112 Abb. 14 - Transport durch New York
Brunnenrand konnte das Wasser von den Besuchern berührt werden, bevor es
in einem Bronzegitter verschwand und wieder zur Mitte hin abgeleitet wurde.
Als das Gipsmodell in Ganslberg fertiggestellt war, wurde es in 67 Teile zer- 113
schnitten und in die Gießerei Hans Mayr in München gebracht, wo die einzel-
nen Elemente sodann mit Hilfe des Sandgussverfahrens in Bronze gegossen
wurden. Die Einzelteile wurden danach wieder nach Ganslberg transportiert,
wo sie im Atelier des Künstlers zur Probe zu einem kompletten Ganzen zu-
sammengesetzt wurden. Erst dann zerteilte man die Skulptur erneut in sechs
Segmente, um sie mit einem Tieflader nach Bremen transportieren zu können
(Abb. 13, Seite 110), wo sie unter Aufsicht von Hans Mayr wieder zusam-
mengebaut, in eine enorme Holzkiste verpackt und schließlich nach New York
verschifft wurde.43 Hier kam sie Anfang des Jahres 1972 an (Abb. 14, Seite 112),
um später auf Yamasakis World Trade Center Plaza aufgestellt zu werden. Bei
der Einweihungsfeier des World Trade Centers am 4. April 1973 wurde die
Große Kugelkaryatide N.Y. von Austin Tobin und Guy Tozzoli als ein Symbol des
Weltfriedens durch Handel gefeiert, wonach sie für beinahe drei Jahrzehnte
an ihrem Standort verharrte und sich beständig um ihre eigene Achse drehte,
bis die Twin Towers an jenem schicksalsträchtigen Morgen des 11. Septem-
ber 2001 um sie herum einzustürzen begannen.44 Es war nicht der letzte Tag
im Leben von Fritz Koenigs vielleicht bekanntestem »Kind«, sondern der An-
fang eines neuen Kapitels in seiner Biografie, das sich abzuzeichnen begann,
als unter dem Schutt der Twin Towers ein stark beschädigtes, doch aufrecht
stehendes Werk zutage trat, das schnell zur Ikone menschlicher Hoffnung in
Zeiten unsäglichen Leids und zum Symbol des Widerstands gegen den Terror
werden sollte. (Abb. Seite 82)
114
ANMERKUNGEN 115
1 Fritz Koenig, Brunnenanlage mit Kugelkaryatide, N.Y., 1967/71 (Sk 416), siehe Dietrich Clarenbach und Peter An-
selm Riedl, Fritz Koenig. Skulpturen. Werkverzeichnis. München 2003, S. 16, 296.
2 Nachdem sie aus den Trümmern der Twin Towers ausgegraben worden war, wurde The Sphere zur nahegelegenen
Battery transportiert und dort am 11. März 2002 an der Nordecke des Geländes aufgestellt. Aufgrund eines Be-
schlusses, den der Aufsichtsrat der Port Authority of New York and New Jersey am 21. Juli 2016 einstimmig gefasst
hatte, wurde sie kurz vor dem 11. September 2017 in den Liberty Park gebracht und dort zwei Monate später ent-
hüllt. Die Geschicke der Skulptur und die Kontroversen um die Frage, ob sie 2012 aus der Battery entfernt werden
sollte, sowie um ihre Versetzung im Jahr 2017 sind in einer Reihe von Artikeln von David W. Dunlap dokumentiert,
die zwischen 2004 und 2016 in The New York Times erschienen. Siehe David W. Dunlap, »BLOCKS: In a Space This
Sacred, Every Square Foot Counts«, in: The New York Times, 29. April 2004; David W. Dunlap, »CITY ROOM: A
Round Symbol of Resilience Rolls Out of Public View«, in: The New York Times, 4. Mai 2012; David W. Dunlap, »A
Sphere That Has Taken a Year to Roll Nowhere«, in: The New York Times, 23. Mai 2013; David W. Dunlap, »Enduring
Sphere Sculpture to Return to World Trade Center Site«, in: The New York Times, 21. Juli 2016. Siehe auch: Sharon
Otterman, »Battered and Scarred, Sphere Returns to 9/11 Site«, in: The New York Times, 29. November 2017.
3 Schon kurz nachdem sie in die Battery verbracht worden war, wurde Koenigs Kugel zum »Interim Memorial« für
jene, die bei dem Anschlag vom 11. September 2001 ihr Leben verloren hatten. Mit einer ewigen Flamme, die ganz
in der Nähe installiert war, wurde die Skulptur zur »Ikone der Hoffnung« und zum Symbol für den »unzerstörbaren
Willen« einer ganzen Nation, wie es eine Gedenktafel ausdrückte. Ob der Denkmalcharakter der Skulptur an ih-
rem neuen Standort im Liberty Park erhalten bleibt, wird sich zeigen müssen. Die neue Nähe zum 9/11 Memorial
und zum St. Nicholas National Shrine wird sie wahrscheinlich noch besser als Überlebende der Terrorattacken
und als Symbol der Widerstandsfähigkeit erfahrbar machen, vor allem für jene Generationen, denen ihr Status als
provisorisches »Interim Memorial« an der Battery weniger bekannt ist.
4 Siehe Dunlap, »Enduring Sphere«, 21. Juli 2016.
5 Fritz Koenig nannte die Skulptur in Interviews nach dem Anschlag vom 11. September häufig sein »Kind«. Siehe
z. B. William H. Honan, »A Sculptor's Child ls No Longer Glittering«, in: The New York Times, 24. Oktober 2001.
6 Zur Geschichte des Projektes des World Trade Centers siehe Anthony Robins, The World Trade Center. Classics
of American Architecture, Englewood 1987. Eine Monografie zu Minoru Yamasakis Werk mit einer relevanten
Diskussion seines World-Trade-Center-Projekts ist Dale Allen Gyure, Minoru Yamasaki: Humanist Architecture for a
Modernist World. New Haven und London 2017, S. 190-216. Da die Archive der Port Authority am 11. September
2001 zerstört wurden, ist eine volle Dokumentation der Skulpturen-Aufträge für die Plaza nur zum Teil möglich,
und deren Geschichte muss aus verschiedenen Quellen zusammengesetzt werden.
7 Gyure, Yamasaki, S. 199-208.
8 Robins, World Trade Center, S. 37-38.
9 Robins, World Trade Center, S. 38.
10 Gyure, Yamasaki, S. 206-208; Robins, World Trade Center, S. 36-39.
11 Unter den Skulpturen, die schließlich auf der Plaza aufgestellt wurden, waren Arbeiten der amerikanischen Bild-
hauer James Rosati (1911-1988) und Alexander Calder (1898-1976) sowie des japanischen Künstlers Masayuki
Nagare (*1923). Alle drei Skulpturen, nämlich Calders Bent Propeller (1970), Rosatis ldeogram (1972) und Nagares
Cloud Fortress (1972) wurden beim Anschlag vom 11. September oder bei den darauf folgenden Aufräumarbeiten
zerstört.
12 Minoru Yamasaki, A Life in Architecture. New York und Tokyo 1979, S. 114-115.
13 Yamasaki, A Life in Architecture, S. 115.
14 Vgl. Robins, World Trade Center, S. 55: »Die Plaza des Trade Centers und die Besucherzeile müssen mit dem Rocke-
feller Center verglichen werden, denn es gibt keine weiteren Orte wie sie in der City, und außerdem ist das Trade
Center so untrennbar mit dem davor entstandenen Rockefeller Center verbunden«.
15 Zum Rockefeller Center und seiner »Sunken Plaza«, siehe allgemein Carol H. Krinsky, Rockefeller Center. New York 1978.
16 Yamasaki, A Life in Architecture, S. 114.
17 Zitiert nach Robins, S. 26-27, basierend auf World Trade Center: Evaluation of Architectural Firms. New York 1962,
Buch II, S. 87-88.
18 Zum »Percent-for-art«-Programm für das World Trade Center, siehe Saul Wenegrat, »September 11. Art Loss:
Public Art for the World Trade Center«, in: IFAR Journal Vol. 4, Nr. 4 / Vol. 5, Nr. 1 (2001/2), S. 9-12.
19 Siehe Fritz Koenig: Recent Sculpture. Ausstellungskat. mit einer Einleitung von Kurt Martin, Staempfli Gallery, New
York, 31. Januar - 25. Februar 1961. New York 1961.
20 Siehe Masayuki Nagare, Masayuki Nagare: The Life of a Samurai Artist. New York 1994, S. 279-280, mit einer
Passage aus einem von Kazuyo Yamashita mit Staempfli geführten Interview.
21 Siehe Masayuki Nagare: Recent Sculpture. Ausstellungskat. Staempfli Gallery, New York, 5. - 23. November 1963.
New York 1963. Zwei weitere Einzelausstellungen folgten 1966 und 1968. Siehe Gordon B. Washburn, Recent
Sculpture of Masayuki Nagare. Ausstellungskat. Staempfli Gallery, New York, 9. November - 4. Dezember 1965.
New York 1965. Masayuki Nagare. Ausstellungskat. mit einer Einleitung von George W. Staempfli, Staempfli Gal-
lery, New York, 4. Mai - 8. Juni 1968. New York 1968.
22 Zum Gebäude der Northwestern National Life lnsurance Company, siehe Gyure, Yamasaki, S. 127-129, mit Bezug
auf Nagares Arbeiten, S. 129; Yamasaki, A Life in Architecture, S. 87 - 92. Zu Zusammenkunft (1965), siehe Nagare,
The Life of a Samurai Artist, S. 310.
23 Siehe Fritz Koenig: Recent Sculpture. Ausstellungskat. Staempfli Gallery, New York, 17. Dezember 1963 - 11. Januar
1964. New York 1963; Fritz Koenig, Ausstellungskat. Staempfli Gallery, New York, 29. November - 17. Dezember
1966. New York, 1966.
24 Siehe Dietrich Clarenbach, »Fritz Koenig: Leben und Werk«, in: Peter-Klaus Schuster (Hrsg.), Fritz Koenig : Skulp-
tur und Zeichnung. München 1988, S. 9-35, hier 19; Kurt Martin, »Die Kugelkaryatide, New York von Prof. Fritz
Koenig«, in: Fritz Koenig. Ausstellungskat., Staatsgalerie Moderner Kunst, München, 30. März - 19. Mai 1974.
München 1974, S. 105-108.
25 Zu einer zusammenfassenden Beschreibung von Fritz Koenigs Leben und Werk bis 1988 siehe Dietrich Clarenbach,
»Fritz Koenig - Leben und Werk«, in: Schuster (Hrsg.), Fritz Koenig: Skulptur und Zeichnung, S. 9-35, hier 17-19.
26 Für eine detaillierte Beschreibung von Koenigs Arbeitsprozess an der Kugelkaryatide, siehe Martin, »Die Kugelka-
ryatide«, S. 107-108.
27 Clarenbach/Riedl, Fritz Koenig. Skulpturen, S. 295-296; Dietrich Clarenbach, Fritz Koenig. Handzeichnungen. Werk-
verzeichnis, S. 269-270.
28 Siehe Martin, »Die Kugelkaryatide«, S. 107. Koenig erinnerte sich später: »Die Port Authority musste meinen
Entwurf offiziell genehmigen, aber in Wirklichkeit gab mir Minoru Yamasaki den Auftrag«. Zitiert nach Honan, »A
Sculptor's Child«, New York Times, 24. Oktober 2001.
29 Für eine Beurteilung von Koenigs kreativem Ansatz und formaler Entwicklung in jenen Jahren siehe Clarenbach/
Riedl, Fritz Koenig. Skulpturen, S. 14-17.
30 Clarenbach/Riedl, Fritz Koenig. Skulpturen, S. 292-294, Sk 346; Sk 408.
116
31 Clarenbach/Riedl, Fritz Koenig. Skulpturen, S. 292-294; Peter Klaus Schuster, »Die Grammatik der Formen. Zur
Sprache der Skulpturen von Fritz Koenig«, in: Schuster (Hrsg.), Fritz Koenig. Skulptur und Zeichnung, S. 37-50, hier
insbesondere S. 42-47.
32 Zu den Umständen des Auftrags, siehe Martin, »Die Kugelkaryatide«, S. 107; Fritz Koenig und seine Welt. Film von
Dagmar Damek, Bayerischer Rundfunk, 1974.
33 Atlas wurde 1937 vor dem Eingang des Rockefeller Centers in der Fifth Avenue installiert. Siehe Christine Roussel,
The Art of Rockefeller Center. New York und London 2006, S. 230-240.
34 Damek, Fritz Koenig und seine Welt, 1974: DD: Hatten Sie Alternativvorschläge? FK: Nein, hatte ich keine. Ich hab
natürlich 'ne Menge durchgekaut und durchgewalkt, in der Werkstatt, aber als ich die Kugel hatte, hatte ich keine
Alternative mehr [ ... ].
35 Martin, »Die Kugelkaryatide«, S. 107.
36 Schuster, »Die Grammatik der Formen«, S. 45.
37 Martin, »Die Kugelkaryatide«, S. 107.
38 Siehe Honan, »A Sculptor's Child«, New York Times, 24. Oktober 2001.
39 Damek, Fritz Koenig und seine Welt. DD: Warum sind Sie so sicher, ausgerechnet eine Kugel mitten in den Wolken-
kratzern? FK: Da befind ich mich in einer David-Goliath-Situation. Allerdings möchte ich nicht behaupten, dass ich
irgendwelche Chancen hab' gegen diesen Goliath. Wenn, dann sind es Überlebenschancen. DD: Also hat Angst
diese Lösung mit provoziert. FK: Ja, ja, ja! Eine sehr große Angst hat mitbestimmt, glaub ich. Wie kann ich mich
jetzt da nur behaupten, dass ich da nicht einfach geschluckt werde. Meine Mittel als Bildhauer sind doch sehr
beschränkt, wenn man in so eine Arena tritt.
40 Damek, Fritz Koenig und seine Welt. FK: Wissen Sie, wenn man von Ganslberg aus hier, von diesem kleinen Kaff
da, sich da drüben jetzt behaupten soll, es ist furchtbar schwer, das lebendig zu halten in diesem Riesenraum,
dann muss ich sagen, hab ich mich vielleicht angezogen für den Auftritt in der Arena in New York. DD: Was war
New York? Eine völlig neue Dimension? FK: Naa, diese Dimension ist Ganslberg.... Es ist keine New Yorker Dimen-
sion, sondern es ist die Ganslberger Dimension in New York.
41 Minoru Yamasaki, »A Humanist Architecture for America and lts Relation to the Traditional Architecture of Japan«,
in: Zodiac 8 (1961), S. 141-145; Gyure, Yamasaki, S. 122-126.
42 Die Höhe der Brunnenskulptur wurde auf 7,60 Meter festgelegt, der Durchmesser der Kugel auf 5,20 Meter.
43 Martin, »Die Kugelkaryatide« S. 108; Damek, Fritz Koenig und seine Welt.
44 James Glanz und Eric Lipton, City in the Sky. New York 2003, S. 203.
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118
John Labriola/Gernot Häublein – Das letzte Foto der unversehrten Kugelkaryatide N. Y. 119
Das letzte Foto der unversehrten Kugelkaryatide N. Y.
Gernot Häublein
Um 8 Uhr 46 New Yorker Zeit rast ein Passagierflugzeug in den Nordturm des
World Trade Centers. Der Fotograf John Labriola, der an einer Besprechung im
71. Stock teilnimmt, erlebt das so:
… das Gebäude schwankte zuerst in eine Richtung, dann hin und her, bis es
schließlich zum Stillstand kam. … es fühlte sich an, als habe sich das Gebäude
zumindest um 1,50 bis 1,80 Meter in jede Richtung bewegt. … Wir vermuteten
von Anfang an, dass wir von einem Flugzeug getroffen worden waren.
Zur gleichen Zeit, aber 6 Stunden zeitverschoben, fuhr ich im Auto heimwärts
Richtung Landshut. Das Autoradio lief leise; kurz vor meinem Wohnort wurde
das Programm von einer Eilmeldung unterbrochen: »Passagierflugzeug fliegt ins
New Yorker World Trade Center – Unfall oder Anschlag?« Als ich zu Hause ins
Wohnzimmer stürzte, fand ich meine Frau vor dem laufenden Fernseher, auf dem
Bildschirm ein brennender und daneben ein unversehrter Turm des WTC. Der
Sprecher verwendete mehrfach die Begriffe »Flugzeug-Entführung« und »Ter-
ror-Angriff«.
Zu Fuß flüchtet John Labriola zusammen mit vielen anderen die Treppenhäuser
hinab, die Fahrstühle sind ausgefallen, im 81. Stock tobt laut Augenzeugen ein
Feuer. Dann erlebt der Fotograf einen erneuten Schock:
Als das zweite Flugzeug einschlug, spürten wir das körperlich, hatten aber kei-
ne Ahnung, was es war. Erst als jemand über seinen Pager Nachrichten bekam,
120 erfuhren wir, dass Flugzeuge beide Türme und das Pentagon getroffen hatten.
Plötzlich sahen meine Frau und ich auf dem Bildschirm, dass sich von rechts ein
Flugzeug dem WTC näherte und Sekunden später in den unbeschädigten Turm
krachte: erst eine riesige Staub- und Teilewolke, dann Feuer.
Als John Labriola und seine Mitflüchtenden endlich das Erdgeschoss erreichen,
hindern Rettungskräfte sie, auf den großen Innenhof hinauszurennen, wo Fritz
Koenigs Kugelkaryatide steht, die von den New Yorkern liebevoll The Sphere
genannt wird. Er schießt ein schnelles Foto durch die großen Glasfenster auf den
Platz hinaus:
The Sphere unmittelbar vor dem Einsturz der Twin Towers 121
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Überall draußen lagen Trümmer und zerbrochenes Glas. Der große Platz …
muss blockiert oder für uns zu gefährlich zum Überqueren gewesen sein …
Durch das Einkaufszentrum im Tiefgeschoss gelangt Labriola schließlich ins
Freie:
Ich war draußen! Im ganzen hatte der Abstieg etwa 60 Minuten ge-
dauert, bis ich ins Licht hinaustrat. … Es war total unwirklich. Ich
sah, wie jemand vom Nordturm herabfiel. Ich blickte nicht mehr hin-
auf. … Minuten später stürzte das erste Gebäude in sich zusammen.
… kurz darauf das zweite … Draußen herrschte ein wüstes Chaos …
Als meine Frau und ich wenige Jahre später zum ersten Mal New York besuch-
ten, fuhren wir auch zum Battery Park an der Südspitze Manhattans, wohin
die Port Authority die stark beschädigte Sphere im März 2002 verpflanzt hatte.
Lange saßen wir auf einer Bank und betrachteten die verletzte Skulptur: Trotz
des strahlenden Sonnentages wirkte sie auf uns wie ein riesiger Totenschädel.
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Jan Seidler Ramirez – Kunst, Kunstwerk und das Leben danach 125
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Kunst, Kunstwerk und das Leben danach:
Koenigs »Sphere« nach der Katastrophe des World Trade Centers 127
Ausstellungskatalog Florenz, 2018 – Fritz Koenig 1924 – 2017 Die Retrospektive
Jan Seidler Ramirez
Große Kugelkaryatide war der ursprüngliche Name, den der deutsche Künstler
Fritz Koenig der enormen Bronzeskulptur gab, die er für das Zentrum der 6,5
Hektar großen Anlage des World Trade Centers schuf. Dieser Titel schaffte es
jedoch nie in die Ausdrucksweise der Millionen von Büroangestellten, Pendlern,
Touristen, Kauflustigen und in Downtown New York Ansässigen, deren Leben
sich rund um das Kunstwerk abspielte. Es wurde von Beginn an The Sphere
oder liebenswert The Golden Globe genannt. Manchmal fand auch der Urheber
Einzug in Namen wie Koenig's Sphere oder The Koenig Sphere. In den Führern
wurde es meist mit Hinweis auf seine doppelte Funktion genannt: »Sphere«
oder »Plaza Fountain«, also Sphere oder Brunnen der Plaza. Beinahe dreißig
Jahre lang war es der verlässliche Bezugspunkt, fast schon Bauchnabel, des
ansonsten recht nüchternen Platzes im Zentrum des World Trade Centers. Die
Menschen aus den Twin Towers und den anderen nahegelegenen Gebäuden
benutzten The Sphere als Treffpunkt, besonders für Verabredungen zum Mittag-
essen oder einem Kaffee, wenn das Wetter es erlaubte. Anthony Gardner, mein
Kollege am National September 11 Memorial & Museum, der früher im Südturm
arbeitete, erzählt wehmütig von seinen mittäglichen Treffen unter Koenigs
Sphere mit seinem ältesten Bruder Harvey, der im Nordturm angestellt war.
Er erinnert sich noch genau, wie sie gemeinsam Sandwiches aßen, während
der Globe das Sonnenlicht reflektierte und so die »wunderbaren goldbraunen
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Augen« seines Bruders erleuchtete und intensivierte.1 Eine schöne und doch zu-
gleich schmerzliche Erinnerung, denn Harvey J. Gardner, 35 Jahre alt, war einer
der beinahe dreitausend Menschen, die an jenem unseligen Dienstag den 11.
September 2001 getötet wurden.
Als man Fritz Koenig in den 1960er Jahren fragte, ob er diesen bedeutenden
Auftrag annehmen wolle, stellte sich der Chefarchitekt des World Trade Cen-
ters, Minoru Yamasaki, ein Kunstwerk vor, in dem das Anliegen dieser neuen
vertikalen Hafenstadt symbolisiert werden sollte: die Förderung des Weltfrie-
dens durch modernen internationalen Handel. Ganz zur Zufriedenheit des Auf-
traggebers, der Port of New York Authority (deren Name später ausgeweitet
wurde zu Port Authority of New York and New Jersey, kurz PANYNJ), entsprach
die von Koenig gelieferte globusförmige Struktur diesem Anspruch. Und doch
lud der Humanismus, der Koenigs Arbeit innewohnt, den Betrachter auch ein,
zu bedenken, welche Anstrengungen die Menschheit unternimmt und welche
Verantwortung sie eingeht, um dieses abstrakte Versprechen umzusetzen. Von
der Gewichtigkeit und Subtilität dieser Idee findet man etwas in einer weiteren
vom Volksmund erfundenen Variante eines Titels für die Sphere: »A Head in
Expectation of a Burden« – ein Kopf wartet auf eine Last.
Als Koenigs Skulptur 1971 im World Trade Center enthüllt wurde, konnte nie- 129
mand voraussehen, welche Lasten sie im Zusammenhang mit der brutalen Zer-
störung der Anlage im Jahr 2001 noch zu tragen haben würde. Das Leben der
Sphere nach dem Anschlag, von ihrer Bergung aus den Ruinen von »Ground
Zero« über ihre darauf folgenden wechselnden Standorte bis hin zu ihrer letzt-
lichen, im November 2017 stattgefundenen dritten Aufstellung in einem neuen,
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erhöhten öffentlichen Park, von dem aus sie auf ihren ursprünglichen Standort
blickt, ist das Thema des vorliegenden Beitrags. Jede Phase dieser Reise fügte
Koenigs zur Ikone gewordenem Relikt neue Bedeutungen hinzu, und die Ge-
schichte, die so entstand, ist auch verbunden mit dem 9/11 Museum und der
dreieinhalb Hektar großen Gedenkstätte mit dem Titel Reflecting Absence, die
gleichzeitig das Dach des Museums ist. Die ein halbes Jahrhundert umfassende
Chronik von Koenigs Sphere, die im Museum beschrieben wird, ist zu einem
nicht unbedeutenden Teil den Beiträgen zu verdanken, die Fritz Koenig selbst
der Stiftungssammlung der Institution vermachte.
Der Verlust an Menschenleben, physischem Eigentum und nationaler Sicher- 131
heit durch den Anschlag vom 11. September war ebenso unkalkulierbar wie
unfassbar. In New York City wurden Tausende unter dem 1,8 Millionen Tonnen
schweren Haufen an zerquetschtem Stahl und glühendem Schutt vermisst, der
zuvor das World Trade Center gewesen war. In den darauf folgenden Tagen
hatte die Suche nach Überlebenden, das Bergen von Leichen und Leichenteilen,
die Suche nach Beweisen für die Kriminaltechnik und das Eindämmen der Feuer
und anderer gefährlicher Situationen Vorrang vor jeglichen Rettungsarbeiten
zugunsten der materiellen Bestandteile des Ortes. Davon war auch die Samm-
lung von öffentlichen Kunstwerken der PANYNJ betroffen, denn man nahm an,
sie seien unwiederbringlich beschädigt oder vollkommen vernichtet worden.
Innerhalb einiger Wochen zirkulierte dann ein Inventar dieser Verluste, und die
Versicherer bezifferten sie insgesamt auf einen Wert von über 10 Millionen
Dollar.2 Man bestätigte die Zerstörung von zwei bekannten in Innenräumen
befindlichen Kunstwerken, nämlich von Louise Nevelsons Sky Gate New York,
einem Holzrelief, und von einem riesigen Wandteppich aus Wolle und Hanf von
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Joan Miró. Im Außenbereich waren zwei 1974 auf der Plaza installierte abstrak-
te Skulpturen vernichtet worden, James Rosatis ldeogram und Masayuki Naga-
res Cloud Fortress. Von einem weiteren Werk – Alexander Calders WTC Stabile
aus rotem Stahl (das gleich nach seiner Ankunft im Jahr 1970 den Spitznamen
»Verdrehter Propeller« erhalten hatte) – waren nur noch unzählige verkohlte
Bruchstücke gefunden worden.3 Auch Elyn Zimmermans runder Granitbrunnen
zum Gedenken an den von Terroristen ausgeführten Bombenanschlag auf das
World Trade Center vom 26. Februar 1993, bei dem sechs Menschen starben
und rund tausend weitere verletzt wurden, war für immer verloren. Zurückbli-
ckend schien die ergreifende Inschrift auf Zimmermans Denkmal prophetisch:
»Dieser schreckliche Gewaltakt tötete unschuldige Menschen, verletzte Tausen-
de und machte uns alle zu Opfern«. Ein einziges Fragment des Brunnens, auf
dem man einen Teil des Namens eines der Opfer von 1993, John Di Giovanni,
entziffern konnte, tauchte später aus dem Schutt auf und befindet sich heute in
der Ausstellung des September 11 Memorial Museums. Koenigs Sphere entkam
der Liste der Opfer wie durch ein Wunder.
Die Katastrophe vom 11. September am World Trade Center produzierte zwei 133
kompakte Schuttlawinen, die einen über 20 Meter hohen Trümmerhaufen er-
gaben. Der Schutt bedeckte das gesamte sechseinhalb Hektar große Gelände
des World Trade Centers und auch weiter entfernt gelegene Häuserblöcke. Die
Hitze, die von »the Pile«, dem Haufen, ausging, war wie in einem Backofen. Die
Luft war beißend; Rauch und Aschepartikel machten sie zu einem Hexengebräu
aus Schadstoffen. Nur einige krumme Reste der Fassaden der Türme blieben
stehen. In diesem Leichenhaus erkundeten Rettungskräfte Wege und Orientie-
rungsmöglichkeiten. Die Moral wurde etwas besser, als man dabei einen gro-
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ßen, auffällig geformten »Ball« zwischen den kollabierten Türmen entdeckte, 135
der in einem Trümmermeer feststeckte. Bald bestätigte ein Erkundungsteam
die Sichtungen und erstattete der Port Authority Bericht. (Am 11. September
hatte die PANYNJ nicht nur ihre Zentrale verloren, sondern auch 84 Angestellte,
darunter den Executive Director, was die Trauer der Agentur noch verschlim-
merte.) Von dort wurde diese Auffindung an das Department of Design and
Construction der Stadt New York weitergeleitet, der Behörde, die den Auftrag
erhalten hatte, die Räumung der Trümmer am »Ground Zero« zu koordinieren.
Ende September hatte man geklärt, was mit der Sphere geschehen war: Koenigs
Skulptur war verbeult, zum Teil geköpft, doch im Wesentlichen intakt; sie hatte
das brutale Geschehen jenes Tages überstanden. Sie überlebte, als stiller Zeuge
der Gräueltaten, die um sie herum begangen worden waren. Doch unter dem
Druck, die Vermissten zu bergen und alles beiseite zu lassen, was diese Arbeit
verlangsamte, erhoben sich praktische Erwägungen. Würde die Entdeckung der
Sphere auch für ihren Schutz garantieren können?
Fritz Koenig, damals Ende siebzig, flog nach New York, um diese Frage für sich
selbst zu klären. Am 11. September hatte er zuhause in Ganslberg von der Ka-
tastrophe erfahren. Maria, seine Frau, unterbrach ihn bei der Arbeit im Atelier
und berichtete von den Nachrichten, die im Fernsehen nach und nach vom Ge-
schehen in Lower Manhattan berichteten. »Kaputt! Sie is kaputt!« rief sie.4 Aus
der Distanz war es schwierig, verlässliche Informationen über das Ausmaß der
Zerstörung zu erhalten. So flog Koenig viereinhalb Wochen nach dem Anschlag
in Begleitung seines Freundes, des Filmemachers Percy Adlon, nach New York.5
Eine Glocke der Trauer hing über der Stadt.
Am 14. Oktober gelang es den beiden, Zugang zu der sogenannten »Frozen
Zone« zu erhalten. Der Künstler machte sich Sorgen; er war sich nicht sicher,
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ob die Expedition nicht auf eine Art privater Zeremonie der »Letzten Ölung« 137
für die Kugelkaryatide hinauslaufen würde , die er manchmal als sein »größtes
Kind« beschrieb. Er hatte ein Modell des Werkes im Westentaschenformat dabei
– gleichzeitig eine wortlose Dokumentation, wie die Skulptur einst ausgesehen
hatte, und ein sentimentaler Talisman.
Als sie auf die Terrasse eines nahegelegenen Wolkenkratzers geführt wurden,
von der aus man auf »Ground Zero« blickte, war Koenig erleichtert, als er seine
goldfarbene Kugel dort unten entdeckte. Sie sah in dem Gewirr aus ansonsten
nicht identifizierbarem Schutt ganz seltsam aus und erinnerte aus dieser Per-
spektive, einer Höhe von 48 Stockwerken, an die Miniatur eines Golfballs. Die
Gefahren aufgrund der Instabilität des Schutthaufens verhinderten, dass er The
Sphere direkt inspizieren konnte, doch man arrangierte für ihn die Möglichkeit,
ebenerdig etwas näher an sie heranzukommen. Dort nahm er alle Wunden in
sich auf, welche fallende Trümmer in das Werk geschlagen hatten. Es wies zahl-
reiche Dellen, Kerben und Scharten am Körper und große Löcher im Schädel
auf. Verwirrend war, dass es auch eine mit roter Farbe aufgesprühte Markie-
rung an der Außenseite aufwies. (Später wurde geklärt, dass die Rettungskräf-
te dieses Zeichen angebracht hatten, um anzuzeigen, dass das Objekt nach
menschlichen Resten durchsucht worden war.) Adlon verzeichnete mit seiner
Kamera, wie tief Koenig diese Tatsachen in sich aufnahm, in einer Mischung aus
Staunen über das Überleben seiner Skulptur, Sorge um ihren Zustand und ihre
Verletzlichkeit und Empathie für die Toten und Hinterbliebenen. Die Rettung
der Sphere war zwar machbar, schien jedoch in Anbetracht der Notwendigkeit,
die Bergungsarbeiten in dieser Nekropole zu beschleunigen, mehr als unwahr-
scheinlich. Diese Erkenntnis machte Koenig sehr betroffen, was man daran er-
kennen kann, dass er sein entstelltes Kunstwerk mit einer »grauenhaft bezau-
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bernden« Leiche verglich. Nachdem ihm ebenerdiger Zutritt zur Kugel gestattet
wurde und er Flammen im Inneren der Skulptur wahrnahm, hörte er einen der
Verantwortlichen sagen, dass die Kugel zerschnitten würde. »Das ist ihr Ende«
sagte er und fuhr heim nach Deutschland.
Was er zu jenem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass bereits ein Rettungsplan für 139
The Sphere in Betracht gezogen wurde. Als der anfängliche Schock nach dem
Anschlag langsam verging, begann eine kleine, von der PANYNJ zusammen-
gestellte Arbeitseinheit von Architekten und Kunstexperten, den Schutt nach
Resten des Eigentums und der Güter der Behörde zu durchkämmen und die
Funde zu identifizieren. Ihre Mission bestand darin, solche Überreste der Ge-
bäude möglichst abzutransportieren und in Gewahrsam zu nehmen, die später
den Forschern helfen könnten, die technische Konstruktion der Gebäude, ihren
Zusammensturz sowie ihre Demontage post mortem zu verstehen und nach-
zuvollziehen. Die Suche wurde dann auf andere Artefakte ausgeweitet, die für
den Ort und seine Kultur standen. Eines Tages, so dachte man, würde diese
Lagerstätte der Reste vielleicht eine Inspiration darstellen, sie für »zukünftige
Gedenkstätten und kulturelle Institutionen« zu nutzen.6
Mark Wagner, der damals für Voorsanger Architects arbeitete, wurde zum füh-
renden Objektesucher des Komitees und begann um den 21. September herum
am »Ground Zero«. Er verbrachte fast durchgehend einen ganzen Monat mit
der Suche auf »the Pile«.7 Er musste die Fundstücke unbedingt schnell bewer-
ten und auswählen, denn die Aufräumarbeiten gingen rasch voran und ließen
keine Zeit für eine ausführliche Analyse. Jedes Überbleibsel, das nicht markiert
wurde, ganz egal wie groß oder klein, brachte man so schnell wie möglich zum
Recyceln auf Schrottplätze oder zur Müllhalde Fresh Kills Landfill auf Staten Is-
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land, wo der Rest des Schuttes kriminaltechnisch untersucht und dann endgül-
tig entsorgt wurde. Wagners Arbeit auf dem Trümmerhaufen brachte früheste
Empfehlungen hervor, die mit Datum 29. September 2001 an die PANYNJ und
an das Department of Design and Construction gingen. Der von Saul Wenegrat,
einem ehemaligen Leiter des Programms für Kunst im öffentlichen Raum der
Port Authority gezeichnete »Zwischenbericht« des Teams nannte sechs Kandi-
daten, die sofortige Erhaltung verdienten. Darunter waren zwei massive, trauri-
ge Teile der Fassaden der Twin Towers, an denen man noch Yamasakis typische
»dreizackige« architektonische Formen erkennen konnte, sowie »the remains
of the WTC Bronze Fountain Sculpture by artist Fritz Koenig« (die Reste der
WTC Brunnenskulptur aus Bronze des Künstlers Fritz Koenig). Dass diese er-
halten bleiben sollten, war offensichtlich am Tag zuvor auch den Koordinatoren
der Räumarbeiten am Einsatzort mitgeteilt worden.8 Am 2. Oktober erhielt The
Sphere die Nummer »004« im Inventar der Objekte, die man für dieses neue
und erst im Entstehen begriffene World Trade Center Memorial-Archiv gekenn-
zeichnet hatte. Eine Anmerkung zum Zustand der Skulptur stellte noch fest,
dass die Oberseite stark beschädigt war.
Von Oktober bis November flossen verschiedene Ideen rund um The Sphere 141
zusammen und führten zu einer Reihe von Aktionen. Im Überleben der Skulp-
tur nahm Koenig den Beweis ihrer unbesiegbaren Kraft wahr. Dies war eine in
die Zukunft blickende Interpretation, die nach den Narben des Traumas bereits
eine Vorstellung von Hoffnung und Weitermachen sah, welche das Werk einer
am Boden zerstörten Nation bieten können würde. Für die Sammler des World
Trade Center Memorial-Archivs war The Sphere eine Ikone des Ortes und somit
vom Verschrotten ausgenommen. Um das Kunstwerk in seinem delikaten Zu-
stand zu schützen, musste es jedoch so schnell wie möglich aus der Gefahren-
zone des »Ground Zero« gebracht werden. Die Stadtverwaltung von New York
begann, The Sphere nun aus einer direkteren Notwendigkeit heraus zu betrach-
ten: Man wollte sie als ein Denkmal pro tempore aufstellen und den Opfern und
Überlebenden der Terrorattacke widmen. Gleichzeitig konnte dieses Denkmal
auch der Tapferkeit und Selbstlosigkeit der Ersthelfer und der Entschlossenheit
der Einsatzkräfte am »Ground Zero« Ehre erweisen. Nun war das Gebot, einen
geeigneten Standort zu finden.
Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und erfahrenen Branchenverbän-
den ermöglichte es, schnell einen Plan auszuarbeiten. Die Teile der Skulptur wur-
den dann unter Aufsicht der Port Authority auf Lastwagen zu ihrem nächsten
Zwischenstopp am JFK International Airport transportiert. Anfang November
wurde die zerlegte Sphere in Plastikplanen gehüllt und vor Hangar 17 zwischen-
gelagert, einer Werkstatt für Flugzeuge, welche die Tower Airlines kurz zuvor
freigegeben hatten. 2002 wurde der enorme Innenraum des Hangars dann in
ein Zwischenlager des World Trade Center Memorial-Archivs umgewandelt,
das nach und nach 2.500 von »Ground Zero« und dem Mülldepot Fresh Kills
Landfill geborgene Objekte beherbergte. Am 8. November besuchten Adlon und
Phillip Bruno, Kodirektor der Marlborough Gallery in Manhattan, das Lager am
JFK-Flughafen. Ein von der Port Authority angestellter Konservator befreite die
Skulptur auf der Rollbahn von der Plastikplane, damit die Besucher die Schäden
begutachten konnten. Adlon nahm diese Untersuchung auf, bei der man ent-
deckte, welch gespenstische Fracht sich in der Skulptur befand: verkohlte Ge-
schäftspapiere, ein Telefonbuch, ein kleiner Ventilator und das Fragment eines
142 Flugzeugsitzes.
Die Sphere verließ Hangar 17 schon zu bald wieder, um von dem professionellen
Pflegeprogramm für die Sammlung zu profitieren, das dort später eingerichtet
wurde. Eine Erinnerung daran, dass sie dort einige Zeit verbracht hatte, tauchte
jedoch Jahre später auf, als beim Katalogisieren des Projektes jemand mehrere
große Fetzen der metallenen »Kopfhaut« fand, die man aus dem Inneren der
Sphere geborgen hatte und die höchstwahrscheinlich von der beschädigten Ober-
seite stammten. Man hatte sie wohl beiseite gelegt, als man das Objekt für seine
erneute Zusammensetzung und den Transport zum Battery Park vorbereitete, dem
Standort seiner nächsten Inkarnation. Heute befindet sich eines dieser Fragmente
im September 11 Memorial Museum, als Beweis der enormen Kraft, mit der dem
World Trade Center am 11. September die Schäden zugefügt wurden.9
Verschiedene Meinungen und Stimmungen flossen in die Entscheidung ein, 143
Koenigs Sphere zu einem temporären Denkmal zu machen, das im Battery Park10
an Manhattans Südspitze stehen sollte. Das Timing für die Aufstellung, sechs Mo-
nate nach dem Anschlag, zeigte, wie die Stadt sich langsam von dem Schock
und der Belastung der Katastrophe vom 11. September befreite. Der Zugang zum
Gelände des World Trade Centers war weiterhin streng eingeschränkt. Dennoch
kam eine immer größer werdende Flut an Menschen nach Lower Manhattan, um
am Ort, an dem Tausende gestorben waren oder gelitten hatten, ihren Respekt
zu erweisen. Ende Herbst 2001 fehlte noch immer jede Spur der Überreste von
etwa 1.100 Opfern in den Trümmern des World Trade Centers. Ihre Angehörigen
brauchten einen diesem ungeplanten Friedhof nahe gelegenen sicheren Ort, wo
sie trauern und sich mit der Tatsache auseinandersetzen konnten, dass ihre Lieben
wohl tot waren. Und auch die Amerikaner sehnten sich danach, dem Klammer-
griff der Angst und Wut zu entkommen, mit denen das Geschehen sie gepackt
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hatte, und suchten nach Zeichen der Normalisierung, um in die Zukunft blicken
zu können.
Der weniger als einen Kilometer von »Ground Zero« gelegene Battery Park
entsprach den Kriterien für einen geeigneten Standort. Er hat schöne Gärten
und Grünanlagen, Promenaden und Blick auf das Wasser und kann mit den
öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreicht werden. Außerdem beherbergte er
bereits zahlreiche historische Sehenswürdigkeiten und Denkmäler, die von der
Vergangenheit New Yorks erzählten. Ein Plan mit Geldern zur Umsetzung nahm
mit unbürokratischer Rekordgeschwindigkeit Gestalt an und wurde den betrof-
fenen Parteien zur Genehmigung und Abzeichnung vorgelegt. Dieses Unterfan-
gen fiel in die Zuständigkeit der Lower Manhattan Development Corporation
(LMDC), die im November 2001 geschaffen worden war, um die 10 Milliarden
Dollar an Bundesgeldern verteilen zu helfen, die für diese Notsituation bereit-
gestellt waren. Die LMDC war zum Katalysator geworden, der den Wiederauf-
bau in Lower Manhattan stark beschleunigte; eine weitere Aufgabe der Behör-
de waren außerdem Initiativen, welche zu einer Verbesserung des psychischen
Befindens der Öffentlichkeit einen Beitrag leisten konnten. Am 11. März 2002,
dem Zeitpunkt, den man festgelegt hatte, um die nicht restaurierte Sphere im
Battery Park wieder auferstehen zu lassen, sollte die Einweihung stattfinden.
Anfang März wurde Fritz Koenig erneut nach New York eingeladen, um den 145
Transport und die erneute Zusammensetzung der Skulptur zu überwachen.
Diesmal erwies sich die kleine Maquette der Skulptur als unbezahlbare Hilfe
bei der Kommunikation über die Anatomie und Struktur des Werks mit den
englischsprachigen Ingenieuren und Stahlarbeitern, die für den schweren Globe
ein Fundament herstellen und dann seine Einzelteile wieder zusammenschwei-
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ßen sollten. Fünf Tage lang arbeiteten sie zusammen und fanden letztlich eine
Lösung, bei der die Deformationen und Narben der Skulptur respektiert wurden
und man doch eine adäquate Basis für die 25 Tonnen fand, die sie trotz der
Schäden immer noch wog. Adlon war wieder dabei und filmte Koenigs Umgang
und Arbeit mit dem Team.
Wie geplant wurde The Sphere exakt sechs Monate nach dem 11. Septem-
ber wieder eingeweiht. An der Feier nahmen Koenig, Angehörige der Opfer,
Überlebende, Vertreter aller Glaubensrichtungen und gewählte Amtsträger teil
und demonstrierten eine über die Parteien hinausgehende Zielsetzung und ge-
meinsame Trauer. Der Gouverneur von New York, George Pataki, beschrieb die
gerettete Kugelskulptur als ein Symbol, das dazu diene, »all jene Helden nie
zu vergessen, die am 11. September starben«. Andere sahen im Aussehen der
Sphere ein Zeichen nationaler Stärke, die auch dem härtesten Test standhält.
Als Koenig seine verwüstete Kugelkaryatide zum ersten Mal erblickte, zweifelte
er daran, dass ihre Versetzung an einen anderen Ort machbar und, darüber hin-
aus, aus künstlerischer Sicht wünschenswert sei. Doch seine Erlebnisse in New
York im Oktober und November hatten seine Meinung geändert. Er unterstützte
die Transformation von einer Skulptur zum Denkmal, die durch die neue Auf-
stellung im Battery Park möglich war. »Sie hat jetzt eine ganz andere Schönheit,
wie ich sie mir nie hätte vorstellen können. Sie hat ihr eigenes Leben – ganz
anders als das, das ich ihr gegeben habe«, meinte er.11
Am ersten Jahrestag des Anschlags wurde neben The Sphere eine ewige Flamme 147
entzündet. Eine Tafel benannte den Zweck, alle Opfer zu ehren, und schwor: »Ihr
Geist und ihr Opfer werden nie vergessen werden«. Bei einigen, wie den Aufsehern
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