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Kompendium der Pharmakologie [Eckhard Beubler, 2006. BookZZ.Org]

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Kompendium der Pharmakologie [Eckhard Beubler, 2006. BookZZ.Org]

Kompendium der Pharmakologie [Eckhard Beubler, 2006. BookZZ.Org]

Eckhard Beubler
Kompendium der Pharmakologie

Gebräuchliche Arzneimittel
in der Praxis

SpringerWienNewYork

Univ.-Prof. Mag. pharm. Dr. Eckhard Beubler

Institut für experimentelle und klinische Pharmakologie
Medizinische Universität Graz, Universitätsplatz 4, A-8010 Graz
e-Mail: [email protected]

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bezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kenn-
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daher von jedermann benutzt werden dürfen.

© 2006 Springer-Verlag/Wien Printed in Austria
SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von
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Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorg-
fältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Insbesondere Angaben über
Dosierungsanweisungen und Applikationsformen müssen vom jeweiligen An-
wender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit
überprüft werden. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt
dieses Werkes ist ausgeschlossen.

Layout: vermed, Fortbildung in der Medizin G.m.b.H., Petrifelderstraße 11a,
A-8042 Graz, Tel: 0316/4260 82, Fax: 0316/4260 71, E-mail: [email protected]

Umschlagbild: Getty Images/Stone/Assorted multi-colored pills,
close up/Rene Sheret
Druck: Grasl Druck & Neue Medien, 2540 Bad Vöslau, Österreich
Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF
SPIN: 11414896

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 3-211-25535-4 SpringerWienNewYork

ISBN 978-3-211-25535-3 SpringerWienNewYork

Vorwort V

In diesem Buch wird versucht, das mittlerweile riesige Fachgebiet der
Pharmakologie auf die für die sichere Anwendung wesentlichen Fakten zu
komprimieren. Jedem Kapitel sind die gängigsten Arzneimittel tabellenförmig,
auf einen Blick erfassbar, vorangestellt und in Fußnoten sind Beispiele von
Handelsnamen für Österreich, Schweiz und Deutschland angeführt. Nach
knapper Schilderung des Wirkungsmechanismus eines Arzneimittels, den der
Leser, je nach Wissensstand, aufnehmen oder überspringen kann, werden die
Wirkungen, wichtige Applikationsformen, die Nebenwirkungen, die Kombina-
tionsmöglichkeiten sowie die Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln,
die Verwendbarkeit in Schwangerschaft und Stillzeit und wichtige Gegen-
anzeigen so kurz wie möglich besprochen. Die Pathophysiologie der bespro-
chenen Erkrankungen wird nur so weit erklärt, dass die Angriffspunkte des
Arzneimittels verständlich werden.

Auf Dosierungsvorschriften wird meist verzichtet da diese oft sehr komplexen
Angaben den Rahmen dieses Buches sprengen könnten. Verzichtet wird
auch weitgehend auf chemische Gruppenbezeichnungen, da diese für den
Nicht-Fachmann keine elementar wichtige Information enthalten.

Arzneimittel, die ausschließlich dem hochqualifizierten Spezialisten zur
Anwendung vorbehalten sind, werden nicht besprochen. Dazu gehören z.B.
Arzneimittel für die Behandlung von Tumorerkrankungen, HIV, Hepatitis C
und von komplizierten Hormon- und Stoffwechselstörungen.

Dieses Buch wurde als stringentes Kompendium konzipiert und kann daher
kein umfassendes Lehrbuch ersetzen. Es soll Ärzten und Studierende der
Medizin einen schnellen Überblick ermöglichen, aber auch medizinisches
Pflegepersonal im stationären oder extramuralen Bereich sowie interessierte
Laien können durch diese Lektüre ihr Wissen über eine moderne und sichere
Arzneitherapie verbessern.

Meinem Mitarbeiter Hans Hosbein möchte ich für wertvolle Korrekturarbeiten
und Frau Irmgard Russa für die Herstellung des Manuskripts herzlichst
danken.

Eckhard Beubler Graz, September 2005

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

I n h a l t s v e r z e i c h n i s – A l l g e m e i n e r Te i l VII

ALLGEMEINER TEIL 3
3
Pharmakodynamik 3
Prinzipien der Arzneimittelwirkungen 4
Wirkungsmechanismen 6
Rezeptoren 7
Dosis-Wirkungs-Beziehungen
Agonisten und Antagonisten 9
11
Pharmakokinetik 11
Resorption 11
Verteilung
Elimination 13
13
Nebenwirkungen (Unerwünschte Arzneimittelwirkungen) 14
Unerwünschte Wirkungen bei therapeutischer Dosierung 15
Unerwünschte Wirkungen bei Überdosierung
Formen der Nebenwirkungen 16
17
Arzneimittelwechselwirkungen 17
Pharmakodynamische Interaktionen
Pharmakokinetische Interaktionen 20

Pharmakologische Wirkungen für den Einzelnen 21

Der Placeboeffekt 22
23
Arzneiformen 24
Flüssige Arzneiformen 25
Feste Arzneiformen 27
Halbfeste Arzneiformen
Spezielle Arzneiformen

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

VIII I n h a l t s v e r z e i c h n i s e – S p e z i e l l e r Te i l

SPEZIELLER TEIL

Das Vegetative Nervensystem 31
Histamin und Serotonin 39
Blut 45
45
Blutstillung und Thrombose 53
Anämien 55
Bluthochdruck 59
Durchblutungsstörungen 63
Herzinsuffizienz 67
Koronare Herzkrankheit 71
Herzrhythmusstörungen 75
Atemwege 76
Asthma Bronchiale 81
Husten 83
Verdauungstrakt 83
Säurebedingte Erkrankungen 86
Funktionelle Erkrankungen 91
Niere 95
Stoffwechselerkrankungen 95
Diabetes 101
Fettstoffwechselstörungen 105
Gicht 107
Psychopharmaka 107
Neuroleptika 112
Antidepressiva 116
Tranquillantien und Schlafmittel 120
Psychostimulantien

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

I n h a l t s v e r z e i c h n i s – S p e z i e l l e r Te i l IX

Analgetika 121
Nicht-Opioid Analgetika 121
Mittelstarke Opioide 129
Starke Opioide 130
Sehr starke Opioide 132
Antirheumatika 134
137
Lokalanästhetika 139
Narkosemittel 139
141
Injektionsnarkotika 142
Inhalationsnarkotika 143
Starke Opioide 145
Muskelrelaxantien 149
Antiparkinson-Mittel 155
Antiepileptika 155
Hormonelles System 158
Schilddrüse 160
Nebenschilddrüse 163
Nebennierenrindenhormone 169
Sexualhormone 169
Antiinfektive Arzneimittel 184
Antibiotika 186
Virustatika 189
Antimykotika 191
Wurmmittel 195
Malaria 199
Immunmodulatoren 199
Anhang 200
Anhang 1: Weiterführende Literatur
Anhang 2: Sachverzeichnis

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Pharmakodynamik 3

PHARMAKODYNAMIK

Die Pharmakodynamik ist die Lehre der Wirkungen von Arzneimitteln
auf den Organismus:

Wie kommt ein pharmakologischer Effekt zustande?

Prinzipien der ein bestimmtes Arzneimittel in verschie-
Arzneimittelwirkungen denen Organen bzw. Organsystemen vor-
handen sind, muss bei den meisten
Zweck: Arzneimittel (Pharmaka) sind Arzneimitteln mit unerwünschten Wir-
Stoffe und deren Zubereitungen, die kungen gerechnet werden. Auf der an-
deren Seite lässt die Kenntnis des
x Krankheiten heilen, lindern oder Angriffspunktes eines Arzneimittels
verhüten, eine gewisse Palette an Nebenwirkun-
gen von vornherein erwarten.
x körpereigene Wirkstoffe ersetzen,
x Krankheitserreger oder körperfrem- Der Nutzen eines Arzneimittels (er-
wünschte Wirkung) muss die „Kosten“
de Stoffe beseitigen, (unerwünschte Wirkungen) deutlich
x Funktionen des Körpers und der überwiegen.

Psyche beeinflussen sollen oder Wirkmechanismen
x zur Diagnostik verwendet werden.
Arzneimittel können
Wirkorte: Arzneimittel sind Stoffe,
die (mit wenigen Ausnahmen) auf Ziel- x einen körpereigenen Stoff ersetzen
proteine wirken. Solche sind: und am selben Wirkort wie dieser
(Rezeptor) angreifen (z.B. Insulin,
x Enzyme tEa2m-Soylm1,pdaitrheikktoemPiamraestyikmapwatiehiSkaol-bu-
x Transportproteine mimetika wie Pilocarpin, Opiate wie
x Ionenkanäle Morphin),
x Rezeptoren
x als Vorstufe eines körpereigenen
Der gewünschte Angriffsort soll vom Stoffes verabreicht werden und durch
Arzneimittel möglichst spezifisch er- Umwandlung im Körper aktiviert
kannt und beeinflusst werden. In der werden (z.B. L-Dopa, das zu
Praxis ist das sehr selten der Fall. Daraus Dopamin decarboxyliert wird),
ergibt sich, dass Arzneimittel meist er-
wünschte Wirkungen und unerwünsch-
te Wirkungen (Nebenwirkungen) ver-
mitteln. Da Zielproteine (Rezeptoren) für

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie 1 A: Sultanol; CH: Bronchovent; D: Sultanol

4 Pharmakodynamik

x die Wirkung eines körpereigenen sches AMP) und Arzneimittel B (Theo-
Stoffes am Rezeptor hemmen (z.B. phyllin) dessen Abbau hemmen. Zum
E-Blocker wie Propranolol1, Angio- anderen muss damit gerechnet werden,
tensinantagonisten wie Losartan2, dass ein und derselbe Wirkstoff an ver-
schiedenen Zielproteinen (Rezeptoren)
Parasympatholytika wie Atropin), seine Wirkung entfaltet. So kann ein
x den Abbau eines körpereigenen und derselbe Wirkstoff, Chlorprothixen12,
Muscarin-, Histamin- und Serotonin-Re-
Stoffes hemmen (z.B. Cholinestera- zeptoren sowie Natrium-Kanäle blockie-
se-Inhibitoren wie Neostigmin3; ren. Die Kenntnis dieser Eigenschaften
lässt voraussehen, dass der Wirkstoff
MAO oder COMT-Hemmer wie Mundtrockenheit und Müdigkeit verur-
Moclobemid4 bzw. Entacapon5, sacht sowie appetitanregend und lokal-
anästhetisch wirksam ist. Es ist also
Phosphodiesterasehemmer wie durchaus von praktischem Interesse,
Sildenafil6), den genauen Wirkungsmechanismus
x die Inaktivierung körpereigener eines Arzneimittels zu kennen um Wir-
Stoffe hemmen (z.B. Serotonin- kung, Nebenwirkung und Kombinations-
möglichkeit mit anderen Arzneimitteln
Rückaufnahme-Inhibitoren wie besser abzuschätzen. Aus diesem
Fluoxetin7), Grund wird in der Folge noch etwas
x die Synthese eines körpereigenen genauer auf die Angriffspunkte der
Stoffes hemmen (z.B. Cyclooxyge- Arzneimittel (Rezeptoren) eingegangen.
nase-Hemmer wie Acetylsalicylsäure8
Rezeptoren
hemmen die Bildung von Prosta-
Um eine Wirkung hervorzurufen,
glandinen, ACE-Hemmer wie Capto- braucht der Arzneistoff im Organismus
pril9 hemmen die Bildung von einen Reaktionspartner (Rezeptor). Der
Arzneistoff bindet sich zunächst an den
Angiotensin II), Rezeptor, führt dann eine Struktur-
x die Aktivität eines Enzyms hemmen änderung und in der Folge eine Funk-
tionsänderung (Aktivierung bzw. Hem-
(z.B. Protonenpumpenhemmer wie mung) herbei und bewirkt so einen
Omeprazol10 hemmen die Säure- Effekt (z.B. Muskelkontraktion, Gefäß-
erweiterung, Hemmung der Säuresekre-
sekretion im Magen) und tion im Magen, Glykogenolyse). Hier
x die Aktivität eines Enzyms stimulie- sollen die wichtigsten Rezeptortypen

ren (z.B. NO-Donatoren wie Molsi-
domin11 stimulieren die Guanylat-

cyclase).

Die meisten Arzneimittel lassen sich

unter einem der genannten Wirkungs-

mechanismen einordnen. Durch Kombi-

nation von zwei Wirkstoffen kann es

möglich sein, die gewünschte Wirkung

zu verstärken, z. B. könnte Arzneimittel A

(z.B. Salbutamol) die Synthese eines kör-

pereigenen Stoffes stimulieren (cycli-

1 A, CH: Inderal; D: Dociton 8 A, CH, D: Aspirin
2 A, CH: Cosaar; D: Lorzaar 9 A, CH, D: Lopirin
3 A, CH: Prostigmin; D: Neostigmin 10 A: Losec; CH, D: Omeprazol
4 A, CH, D: Aurorix 11 A: Molsidolat, CH: Molsidomin-Mepha
5 A, CH: Comtan; D: Comtess
6 A,CH,D: Viagra D: Molsidomin
7 A, CH: Fluctine; D: Fluctin 12 A, CH, D: Truxal

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Pharmakodynamik 5

kurz besprochen werden, im speziellen x NMDA-Rezeptor (Glutamatrezeptor
Teil wird nur noch auf diese verwiesen. für Schmerzvermittlung)

Rezeptorarten Beispiele für Arzneimittelwirkungen:

x Ligand-gesteuerte Ionenkanäle x Hemmung der Muskelkontraktion
x G-Protein-gekoppelte Rezeptoren durch d-Tubocurarin
x Rezeptoren mit Enzymaktivität
x Proteinsynthese regulierende x Benzodiazepinwirkung durch
Öffnung des Chloridkanals
Rezeptoren
x Antiemetische Wirkung der
Ligand-gesteuerte Serotonin 5-HT3-Rezeptorantagonisten
Ionenkanäle
x Analgetische Wirkung des NMDA-
Struktur: Diese Rezeptoren bestehen Rezeptorantagonisten Ketamin
aus mehreren (oft fünf) Proteinunter-
einheiten, die einen Kanal durch die G-Protein-gekoppelte
Zellwand bilden. Die Aktivierung des Rezeptoren
Rezeptors ändert den Öffnungszustand
des Ionenkanals und führt durch Ände- Dieser Rezeptor liegt ebenfalls in der
rung der Ionenströme zu einer Zustands- Zellmembran. Außen an der Zelle ist die
änderung der beeinflussten Zelle. Bindungsstelle für das Arzneimittel
bzw. den körpereigenen Stoff, inner-
Ein Beispiel ist der nikotinische Acetyl- halb der Zelle wird dann das G-Protein
cholinrezeptor der motorischen End- (Guanylnucleotid-bindendes Protein –
platte. Wird Acetylcholin an zwei der während der Aktivierung wird Guanosin-
fünf Protein-Untereinheiten gebunden, diphosphat (GDP) gegen Guanosin-
strömt blitzartig Natrium ein und es triphosphat (GTP) ausgetauscht) akti-
kommt zur Kontraktion. Sofort löst sich viert, das in mehreren, genau bekann-
Acetylcholin wieder von seiner Bin- ten Schritten letztlich das Effektorpro-
dungsstelle, wird von einer Esterase tein zu seiner Reaktion veranlasst. Ein
gespalten und der Muskel relaxiert. Der Beispiel wäre der E-Adrenozeptor; das
ganze Prozess läuft in wenigen Milli- Effektorprotein dieses Rezeptors ist die
sekunden ab. Bewegungen der Skelett- Adenylatzyklase, die die Bildung von
muskulatur können auf diese Weise zyklischem AMP katalysiert. Über den
sehr rasch ablaufen (man denke an E-Adrenozeptor kann z.B. Adrenalin die
Klavierspielen). Glykogenspaltung fördern und so als
„Stresshormon“ die Bereitstellung von
Beispiele für ligandgesteuerte Zucker aus dem Glykogenspeicher
Ionenkanäle: bewirken.

x Nikotinischer Acetylcholinrezeptor Beispiele für Liganden an G-Protein-
der motorischen Endplatte gekoppelten Rezeptoren:

x Serotonin 5-HT3-Rezeptor in der x Acetylcholin (muscarinische
Area Postrema (Erbrechen) Rezeptoren)

x GABA-A-Rezeptor mit Chloridionen- x Noradrenalin, Adrenalin
kanal, Bindungsstelle für Benzodia- Salbutamol
zepine
x Dopamin
x Histamin

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

6 Pharmakodynamik

x Morphin Proteinsynthese-
x Prostaglandine regulierende Rezeptoren
x Leukotriene u.a.
Diese Rezeptoren finden sich im Zell-
Zum Unterschied von Reaktionen am inneren im Zytosol; verbinden sich die
ligandengesteuerten Ionenkanal laufen Wirkstoffe mit diesen Rezeptoren, so
die G-Protein-Rezeptor vermittelten Re- können diese Ligand/Rezeptorkomplexe
aktionen wesentlich langsamer ab. die Gentranskription modulieren und so
die Proteinsynthese verändern.
Beispiele für Arzneimittel-
wirkungen an G-Protein- Beispiele sind Rezeptoren für:
Rezeptoren:
x Glucocorticoide
x Bronchienerweiterung mit E2- x Mineralocorticoide
Sympathomimetika wie Salbuta- x Androgene
mol x Gestagene
x Östrogene
x Gefäßkontrahierende Wirkung von x Trijodthyronin
D1-Sympathomimetika wie x Eicosanoide
Oxymetazolin
Dosis-Wirkungs-
x Senkung des Augeninnendrucks Beziehungen
durch Stimulierung muscarinischer
Acetylcholinrezeptoren mit Pilocarpin Zwischen der Menge eines verab-
etc. reichten Arzneistoffes (Dosis) und der
erreichten Wirkung besteht ein enger
Intrazelluläre Botenstoffe die, Zusammenhang. Werden beide Größen,
durch G-Protein-Rezeptoren also die Dosis und die Wirkung, in ein
aktiviert werden: Diagramm eingetragen, so erhält man
eine Dosis-Wirkungs-Kurve (Abbildung 1).
x Adenylatzyklase/zyklisches AMP
x Phospholipase C/Inositoltriphos-

phat/Diacylglycerol
x Phospholipase A: Arachidonsäure

und Prostaglandine
x Ionenkanäle wie Kalium- und

Kalziumkanäle

Rezeptoren mit Abb. 1: Dosis-Wirkungs-Kurve
Enzymaktivität
(ED50: Effektive Dosis für 50% eines
Auch diese Rezeptoren sind mem- Kollektivs)
branständig, an der Außenseite greift
die aktivierende Substanz (z.B. Insulin)
an und an der Innenseite der Zelle wird
ein Enzym aktiviert.

Beispiele sind Rezeptoren für:

x Insulin
x Wachstumshormone

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Pharmakodynamik 7

Drei Größen sind für eine Dosis-Wir- Therapeutische Breite
kungs-Kurve von Bedeutung:
(Abbildung 2)
x Lage
x Steilheit Eine Dosiswirkungskurve kann man
x Maximaler Effekt für den gewünschten Effekt eines
Arzneimittels und für den tödlichen
Lage Effekt eines Arzneimittels erstellen. Je
größer der Abstand dieser beiden Kur-
Wird in der Dosiswirkungskurve die ven ist, desto größer ist die therapeuti-
Wirkung auf der Ordinate und die Dosis sche Breite, d.h. desto sicherer ist die
auf der Abszisse eingetragen, so wird Substanz.
ein Wirkstoff eine Dosiswirkungskurve in
einem niedrigen und ein anderer Wirk-
stoff eine Dosiswirkungskurve in einem
höheren Dosisbereich erzeugen. Die im
niedrigen Dosisbereich liegende Substanz
ist stärker wirksam als die im höheren
Dosisbereich. Aus der Lage kann man
also die Wirkungsstärke einer Substanz
erkennen.

Steilheit Abb. 2: Therapeutische Breite

Aus der Steilheit einer Dosiswirkungs- ED50: effektive Dosis für 50% eines Kollektivs
kurve lässt sich erkennen, welche Wir- LD50: letale Dosis für 50% eines Kollektivs
kungsänderung bei einer Dosisände-
rung erreicht wird. Für Arzneimittel Agonisten und
wünscht man sich Dosiswirkungskurven Antagonisten
die flach sind, d.h. kleine Dosisänderun-
gen bewirken kaum Wirkungsänderun- Agonisten: Agonisten sind Substan-
gen. Arzneimittel mit steilen Dosis- zen die sich mit dem Rezeptor verbin-
wirkungskurven sind gefährlich, da klei- den und eine Aktivierung auslösen.
ne Dosisänderungen schon zu drasti- Agonisten haben eine hohe Affinität
schen Wirkungsänderungen führen kön- zum Rezeptor und lösen einen Effekt
nen. aus (intrinsic activity).

Maximale Wirkung Antagonisten: Sogenannte kompe-
(„intrinsic activity“) titive Antagonisten verbinden sich rever-
sibel mit dem Rezeptor, lösen aber
Die „intrinsic activity“ wird durch die keine Aktivierung aus. Kompetitive
Größe des Maximaleffektes angezeigt. Antagonisten haben also ebenfalls eine
Dieser kann auch bei gleichem Angriffs- hohe Affinität, aber keine Wirkung
punkt für verschiedene Substanzen unter-
schiedlich sein.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

8 Pharmakodynamik

Abb. 3: Kompetitiver
Antagonismus.
In Gegenwart eines
Antagonisten sind
höhere Dosen
(Konzentrationen)
des Agonisten not-
wendig, um die
gleiche Wirkung zu
erzeugen.

0: Agonist allein

1: Agonist plus Antagonist,

2: Agonist plus Antagonist

in dreifacher Dosis)

(fehlende intrinsic activity). Antago- einer Art Mittelstellung, Substanzen die
nisten blockieren dementsprechend, je als partielle Agonisten oder auch parti-
nach Dosis, einen Teil der Rezeptoren, elle Antagonisten bezeichnet werden.
die dann von den Agonisten nicht akti-
viert werden können. Die Dosis- Neben dem kompetitiven Antagonis-
Wirkungs-Kurve wird nach rechts ver- mus gibt es noch:
schoben (Abbildung 3).
x Nicht kompetitiven Antagonismus
Sonderformen x Funktionellen Antagonismus
x Chemischen Antagonismus
Außer reinen Agonisten und reinen
Antagonisten gibt es Substanzen mit Diese Formen sollen hier nicht näher
erläutert werden.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Pharmakokinetik 9

PHARMAKOKINETIK

Die Pharmakokinetik beschreibt, was der Organismus mit einem
Arzneimittel macht. Genauer betrachtet befasst sich die

Pharmakokinetik mit Konzentrationsänderungen von Arzneimitteln
im Organismus in Abhängigkeit von der Zeit.

Die wichtigsten Vorgänge Abb. 4: Zeitliche Änderung der Arznei-
in der Pharmakokinetik sind: mittelkonzentration im Blut

x Resorption Abb. 5: Berechnung des Blutspiegel-
x Verteilung maximums und der Zeit des
x Biotransformation (Metabolismus) maximalen Blutspiegels
x Ausscheidung

Vor der Besprechung dieser vier Pro-
zesse sollen einige wichtige Ausdrücke
aus der Pharmakokinetik definiert wer-
den.

Blutspiegel: Der Blutspiegel eines
Arzneimittels beschreibt die zeitliche
Änderung der Konzentration dieses
Arzneimittels im Blut (Abbildung 4).
Eine Blutspiegelkurve erhält man durch
Auftragen der Konzentrationen eines
Arzneimittels im Blut zu verschiedenen
Zeiten. Aus dem Blutspiegel lässt sich
die Resorptionsgeschwindigkeit, das
Blutspiegelmaximum (Cmax), die Zeit des
maximalen Blutspiegels (tmax) (Abbil-
dung 5) und die Ausscheidungsge-
schwindigkeit (Halbwertszeit) berech-
nen.

Halbwertszeit (Eliminationshalbwerts-
zeit, terminale Halbwertszeit, t/2 E): Die
Halbwertszeit eines Arzneimittels im
Blut ist die Zeit, in der die Konzentration

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

10 Pharmakokinetik

im Blut auf die Hälfte des vorher bei gleicher Dosis einen in Form und
gemessenen Wertes absinkt. Die Halb- Höhe annähernd identischen Blutspiegel-
wertszeit ist nicht identisch mit der verlauf ergeben und dementsprechend
Wirkungsdauer, da Arzneimittel sehr gleiche AUCs aufweisen. Zur genauen
rasch aus dem Blut verschwinden kön- Beurteilung werden noch Cmax und tmax
nen, aber noch lange am Rezeptor ihre herangezogen.
Wirkung entfalten. Z.B. ist Acetyl-
salicylsäure nur wenige Minuten im Blut Verteilungsvolumen: Das Verteilungs-
nachweisbar, die Halbwertszeit beträgt volumen eines Arzneistoffes ist eine fik-
etwa 8 Minuten, die analgetische und tive Größe. Sie gibt an, auf welches
entzündungshemmende Wirkung hält Volumen eine bestimmte Dosis eines
jedoch etwa 4 Stunden an. Arzneistoffes sich verteilt hätte, wenn
der Körper ein homogenes Medium
Fläche unter der Blutspiegelkurve wäre. Ist das Verteilungsvolumen größer
(engl.: area under the curve, AUC): Die als das Körpervolumen, weist dieser
Fläche unter der Blutspiegelkurve, die Umstand darauf hin, dass sich der Arznei-
rechnerisch oder graphisch ermittelt wer- stoff in bestimmten Strukturen des
den kann, ist eine wichtige Größe zum Körpers (Fett) anreichert. Viele Arznei-
Vergleich der Resorption eines Arznei- stoffe haben ein Verteilungsvolumen
stoffes aus verschiedenen Arzneiformen größer als das Körpervolumen. Angege-
bzw. Produkten. Die Fläche unter der ben wird das Verteilungsvolumen in
Blutspiegelkurve gilt als Maß für die Liter pro kg Körpergewicht.
Arzneistoffmenge, die im systemischen
Kreislauf verfügbar ist. Die Gesamt- First pass effect: Der first pass effect
fläche unter der Kurve, vom Zeitpunkt ist ein Maß für die Menge an Arznei-
der Applikation bis zur völligen Elimina- stoff, die nach Resorption aus dem
tion des Stoffes aus dem Kreislauf- Magen-Darm-Trakt bei der ersten Leber-
system, wird mit dem Symbol AUC0-f passage metabolisiert wird. Dieser
oder kurz AUC bezeichnet (Abbildung 5). Vorgang wird auch als präsystemische
Elimination bezeichnet. Bei Arznei-
Bioverfügbarkeit: Die Bioverfügbar- mitteln mit grossem first pass effect ist
keit (bioavailability) bezeichnet den die Dosisfindung für einem bestimmten
Anteil eines verabreichten Arzeimittels, Patienten schwieriger als bei Arznei-
der im allgemeinen Kreislauf erscheint. mitteln mit einem geringen first pass
Die Bioverfügbarkeit wird in Prozent effect.
angegeben und ist nach intravenöser
Gabe definitionsgemäß 100%. Nach Plasmaproteinbindung: Arznei-
jeder anderen Applikationsart z.B. nach mittel sind in unterschiedlichem Aus-
oraler Gabe ist die Bioverfügbarkeit maß an Plasmaproteine gebunden.
gleich groß oder meist kleiner als nach Neben der Transportfunktion stellt die
intravenöser Gabe. Zur Ermittlung der Eiweißbindung auch eine Art Depot-
Bioverfügbarkeit werden die Flächen wirkung dar. Bei den Dosierungsan-
unter den Blutspiegelkurven (AUCs) ver- gaben der einzelnen Arzneimittel ist die
glichen. Plasmaeiweißbindung bereits berück-
sichtigt. Werden Arzneimittel mit hoher
Bioäquivalenz: Zwei Arzneimittel gel- Plasmaeiweißbindung kombiniert, kön-
ten dann als bioäquivalent, wenn sie nen sie sich gegenseitig vom Plasma-

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Pharmakokinetik 11

eiweiß verdrängen. Eine praktische Be- gen. Der Prozess der Verteilung ist bei
deutung kommt diesem Umstand je- der vorgeschriebenen Dosierung jedes
doch nicht zu, da sich sehr rasch ein Arzneimittels berücksichtigt.
Gleichgewicht einstellt.

Resorption Elimination

Unter Resorption versteht man die Unter Elimination versteht man alle
Aufnahme eines Arzneistoffes vom Ort Vorgänge, die zur Entfernung eines
der Applikation in das Kreislaufsystem. Arzneistoffs aus dem Organismus bei-
Die wichtigsten Resorptionsorte sind tragen.
die Haut, das Muskelgewebe (bei intra-
muskulärer Applikation), der Atmungs- Die Elimination beinhaltet sowohl
trakt (bei Inhalation), die Mundschleim- den Abbau (Metabolismus) als auch alle
haut (bei sublingualer Applikation) und Arten von Ausscheidung. Unter Meta-
der Magen-Darm-Trakt (bei oraler Appli- bolismus eines Arzneistoffes versteht
kation). man seine biochemische Umwandlung
im Organismus in meist unwirksame,
Die Geschwindigkeit der Resorption wasserlösliche Verbindungen. In Einzel-
ist nur bei einer akuten Arzneitherapie fällen kann durch den Metabolismus
von Bedeutung. Z. B. wünscht man sich aus dem verabreichten Arzneistoff der
bei einem Kopfschmerzanfall eine rasche Wirkstoff entstehen (Bioaktivierung).
Resorption des Arzneimittels zur Schmerz- Die Ausscheidung eines Arzneistoffes
befreiung. Bei der chronischen Arznei- erfolgt in der Regel über die Nieren in
therapie ist die Geschwindigkeit der den Harn, weniger häufig über die
Resorption bedeutungslos. Für die Wirk- Galle, den Darm, die Haut oder die
samkeit einer chronischen Arzneithera- Lungen.
pie ist nur die Dosis und das Dosis-
intervall ausschlaggebend. Renale Elimination

Verteilung Das wichtigste Ausscheidungsorgan
für Arzneistoffe und deren Metaboliten
Nach erfolgter Resorption wird ein ist die Niere. Arzneistoffe mit hoher
Arzneimittel rasch mit dem Blut im ge- Wasserlöslichkeit können unverändert
samten Körper verteilt. Nach seinen ausgeschieden werden, andere müssen
physikochemischen Eigenschaften wird vorher durch Metabolisierung wasser-
sich ein Stoff entweder in Lipidstruk- löslich gemacht werden.
turen oder in wässrigen Körperräumen
verteilen. Bei hoher Lipidlöslichkeit Hepatische Elimination
eines Stoffes wird sich dieser im Gehirn oder Metabolismus
anreichern. Stoffe mit niedriger Lipid-,
aber hoher Wasserlöslichkeit können Unter Metabolismus oder Biotransfor-
nicht ins Zentralnervensystem gelan- mation versteht man alle biochemischen
Veränderungen, denen einen Stoff im
Körper unterworfen ist. Der Metabolis-
mus der Arzneistoffe erfolgt hauptsäch-
lich in der Leber und in der Darm-

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

12 Pharmakokinetik

schleimhaut. Man unterscheidet zwei jenes (fiktive) Volumen der Kreislauf-
Haupttypen metabolischer Reaktionen: flüssigkeit in Millilitern, welches in der
Zeiteinheit (pro Minute) durch die Funk-
Nicht-synthetische Reaktionen tion aller Ausscheidungsorgane von
(Phase I): Diese umfassen Oxidation, einem Arzneistoff befreit wird. Sie
Reduktion, Hydrolyse, Desaminierung umfasst also die renale und hepatische
und Dealkylierung. Dabei werden Hy- Elimination, sowie alle anderen Aus-
droxyl-, Amin-, Sulfhydryl- oder Car- scheidungswege wie auch die Abnahme
boxylgruppen eingeführt oder durch an aktivem Wirkstoff durch Biotransfor-
Abspaltung freigelegt. mation. Aus der totalen Clearance und
der renalen Clearance, einem Maß für
Synthetische Reaktionen (Phase die über die Niere ausgeschiedene
II): Dabei werden Arzneistoffe oder Arzneistoffmenge, lässt sich der first
Phase I-Metabolite mit körpereigenen pass effect eines Arzneimittels berech-
Stoffen wie Glucuronsäure, Schwefel- nen.
säure, Glycin- oder Essigsäure verbun-
den (konjugiert) und es entstehen was- Werden Arzneimittel entsprechend
serlösliche Verbindungen wie Ester, der Empfehlung des Herstellers verab-
Amide oder Glucuronide. In den mei- reicht, ist in Dosis und Dosisintervall die
sten Fällen werden Arzneistoffe durch Clearance berücksichtigt und daher für
diese Reaktionen unwirksam und aus- den Therapeuten bedeutungslos. Wer-
scheidungsfähig gemacht; die hepati- den Arzneimittel miteinander kombi-
sche Elimination kann daher als Ent- niert kann ein Arzneimittel die Clearan-
giftung bezeichnet werden. ce des anderen Arzneimittels beeinflus-
sen und der Therapeut muss durch
Clearance Dosiserhöhung oder Dosiserniedrigung
des betroffenen Arzneimittels auf die
Ein Maß für die Ausscheidung eines veränderte Situation eingehen (­ Arznei-
Arzneistoffes aus dem Organismus ist mittelwechselwirkungen auf Seite 16).
die totale Clearance: Sie bezeichnet

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Nebenwirkungen 13

NEBENWIRKUNGEN
(unerwünschte

Arzneimittelwirkungen)

Unter Nebenwirkungen versteht man Unerwünschte
unerwünschte Arzneimittelwirkungen Wirkungen bei
(UAW). Die meisten Arzneimittel verur- therapeutischer
sachen neben der gewünschten Wir- Dosierung
kung auch Nebenwirkungen und eine
Abschätzung des Verhältnisses zwi- Spezifische Nebenwirkungen sind über
schen Nutzen und Nebenwirkungsrisiko den Wirkungsmechanismus des Arznei-
ist vor jeder Arzneitherapie unbedingt mittels erklärbar, dosisabhängig und
erforderlich. Wie die gewünschte Haupt- treten ab einer gewissen Dosis bei
wirkung eines Arzneimittels unterliegen jedem behandelten Menschen auf. Z.B.
auch die Nebenwirkungen einer biolo- Betablocker, die zur Blutdrucksenkung
gischen Streuung und sind für den ein- eingenommen werden, blockieren auch
zelnen selten vorhersehbar. Für die E-Rezeptoren in den Bronchien und
Risikoabschätzung ist daher die Häufig- führen zur Erhöhung des Atemwegs-
keit einer bestimmten Nebenwirkung widerstandes; sie blockieren auch E-
von großer Bedeutung. Bei neueren Rezeptoren im Stoffwechsel und ver-
Arzneimitteln wird diese Häufigkeit in mindern so sie Glykogenolyse. Diese
der Fachinformation angegeben. Beson- unerwünschten Wirkungen sind also be-
dere Vorsicht ist bei Schwangeren und sonders bei Asthmapatienten bzw. bei
in der Stillzeit geboten, wobei hier Diabetikern zu beachten.
Arzneimittel nicht generell abzulehnen
sind. Mitunter ist eine vernünftige Zu den spezifischen Nebenwirkungen
Therapie einer Schwangeren oder einer von Arzneimitteln gehören auch irrever-
Stillenden besser für das Kind als die sible Schädigungen von Organen wie
unbehandelte Krankheit. z.B. eine Nierenschädigung durch Lang-
zeiteinnahme von nicht-steroidalen Anti-
Nebenwirkungen kann man rheumatika oder irreversible Dyskinesien
einteilen in: durch Langzeiteinnahme von Neurolep-
tika.
x Unerwünschte Wirkungen bei
therapeutischer Dosierung Spezifisch sind auch sekundäre Neben-

x Unerwünschte Wirkungen bei
Überdosierung

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

14 Nebenwirkungen

wirkungen wie Durchfälle aufgrund der Benzodiazepinen, aber auch bei bana-
Zerstörung der Darmflora bei einer len Schmerzmitteln und bei Abführ-
Antibiotikatherapie. mitteln beobachtet, wobei letztere die
einzige Arzneimittelgruppe ist, die
Allergische Reaktionen keine zentralen Wirkungen aufweist und
zu Abhängigkeit führt.
Dazu gehören in erster Linie Anti-
körper-vermittelte Überempfindlichkeits- Unerwünschte
reaktionen aufgrund einer bei einem Wirkungen bei
früheren Kontakt mit dem Arzneimittel Überdosierung
erfolgten Antikörperbildung (IgE-Anti-
körper), Überempfindlichkeitsreaktio- Arzneimittel mit steilen Dosiswirkungs-
nen und pseudoallergische Reaktionen. kurven können leicht überdosiert wer-
den und führen dann zu schweren
Schwangerschaft Nebenwirkungen. Zu Überdosierungen
und Stillzeit kann es auch kommen, wenn während
der Einnahme von Arzneimitteln, die
In der Schwangerschaft und während über die Niere ausgeschieden werden,
der Stillzeit müssen Arzneimittelneben- durch Zunahme der Niereninsuffizienz
wirkungen ganz besonders beachtet diese Ausscheidung behindert ist. Eine
werden. Hier sollte man sich nicht auf weitere Ursache für Überdosierungen
das Gedächtnis verlassen, sondern ein- kann sein, dass andere Arzneimittel den
schlägige Bücher zu Rate ziehen um die Abbau des ersten Arzneimittels hem-
optimale Therapie herauszufinden. In men und damit seine Bioverfügbarkeit
Einzelfällen ist keine Therapie sicherlich erhöhen (­ Arzneimittelwechselwirkun-
schlechter als eine gezielte Therapie mit gen auf Seite 16). Beispiele für häufige
einem relativ nebenwirkungsarmen Nebenwirkungen aufgrund von Über-
Arzneimittel. dosierungen sind Erbrechen bei Herzgly-
kosid-Überdosis, Hypoglykämie bei Insu-
Abhängigkeit linüberdosierung, Bradykardie bei Über-
dosierung eines Lokalanästhetikums
Eine Reihe von Arzneimitteln mit zen- und verstärkte Blutungsneigung bei
tral nervösen Wirkungen kann zu einer Überdosis von Antikoagulantien.
Abhängigkeit führen, d.h. der Patient
besteht nach einer gewissen Zeit auf Auf Nebenwirkungen in Folge von
einer Fortführung der Therapie. Hier ist Überdosierungen wird bei den einzel-
nicht die physische Abhängigkeit ge- nen Arzneimittelgruppen eingegangen
meint, die sich bei Arzneimitteln wie werden.
Opiaten, Antidepressiva oder Glukokor-
tikoiden nach einiger Zeit einstellt und
die durch Ausschleichen der Dosis um-
gangen werden kann. Gemeint ist ein
Zustand der physischen und psychi-
schen Abhängigkeit, d.h. der Patient ist
trotz fehlender objektiver Notwendig-
keit nicht bereit, die Zufuhr des Arznei-
mittels zu unterbrechen. Derartige Ab-
hängigkeit wird besonders häufig bei

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Nebenwirkungen 15

Formen der
Nebenwirkungen

x Nebenwirkungen können mit der
therapeutisch erwünschten Wirkung
verknüpft sein: z.B. Blutungen unter
Antikoagulantien

x Nebenwirkungen können unabhän-
gig von der erwünschten Wirkung
auftreten: z.B. Leberschaden mit
Paracetamol1

x Nebenwirkungen können bei
normaler Dosierung auftreten:
z.B. Agranulozytose mit Metamizol2

x Nebenwirkungen können unabhän-
gig von der Hauptwirkung sein,
z.B. atropinartige Nebenwirkungen
mit Antidepressiva, Nierenschäden
mit NSAR, Thrombophlebitis mit
Piritramid3. Auch immunologische
Reaktionen sind unabhängig von
der Hauptwirkung

1 A: Mexalen; CH: Panadol; D: Benuron
2 A, CH, D: Novalgin
3 A: Dipidolor; CH: –; D: Dipidolor

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

16 Arzneimittelwechselwirkungen

ARZNEIMITTEL-
WECHSELWIRKUNGEN

Es gibt sehr viele und verschiedene Arzneimittelwechselwirkungen.
Wichtigste Regel: Im Zweifelsfall nachschlagen.

Wechselwirkungen können nicht nur den. Besondere Vorsicht ist geboten bei
zwischen mehreren Arzneimitteln, son- Arzneimitteln mit steilen Dosiswirkungs-
dern auch zwischen Arzneimitteln und kurven, bei denen eine geringfügige Kon-
Nahrungsbestandteilen (z.B. Grapefruit- zentrationsänderung bereits zu drasti-
saft, Alkohol) oder mit freiverkäuflichen schen Wirkungsänderungen führen kann
pflanzlichen Mitteln (Johanniskraut) auf- und bei Arzneimitteln mit geringer the-
treten. Die Verabreichung des Arznei- rapeutischer Breite, bei denen eine
mittels A kann die Wirkung des Arznei- geringfügige Konzentrationserhöhung
mittels B auf zwei Arten beeinflussen: bereits dramatische Nebenwirkungen
nach sich ziehen kann.
x Arzneimittel A beeinflusst den
pharmakologischen Effekt von Viele Patienten, vor allem die älteren,
Arzneimittel B ohne dessen Konzen- leiden an vielen Krankheiten gleichzei-
tration im Gewebe zu verändern tig und werden daher ständig mit
(pharmakodynamische Interaktion) einem oder mehreren Arzneimitteln
gegen diese chronischen Erkrankungen
x Arzneimittel A verändert die gleichzeitig behandelt. Dazu kommt,
Konzentration von Arzneimittel B dass akute Krankheitszustände (z.B.
am Wirkungsort (pharmakokineti- Infektionen oder Myokardinfarkte) mit
sche Interaktion) weiteren zusätzlichen Arzneimitteln be-
handelt werden müssen. Wenngleich es
Eine dritte Möglichkeit ist die soge- manchmal zwingend ist, mehrere Arznei-
nannte pharmazeutische Interaktion mittel gleichzeitig zu verabreichen,
oder Inkompatibilität, eine chemische muss die daraus folgende Problematik
Reaktion vor Applikation, beispielsweise im Auge behalten werden. Mehrere
in einer Infusion. Arzneimittel bedingen:

Die möglichen Wechselwirkungen x Zunahme der Nebenwirkungen
sind heute unüberschaubar, doch sind x Zunahme der Wechselwirkungen
die Abbauwege bzw. die involvierten x Zunahme funktioneller Störungen
Enzyme für viele Arzneimittel bekannt x Abnahme der Patienten-Compliance
und können deshalb berücksichtigt wer-

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Arzneimittelwechselwirkungen 17

Pharmakodynamische Pharmakokinetische
Interaktionen Interaktionen

Pharmakodynamische Wechselwirkun- Alle vier Prozesse, die die pharmako-
gen sind dann zu erwarten, wenn zwei kinetischen Eigenschaften eines Arznei-
oder mehrere Arzneistoffe an einem mittels betreffen, können durch andere
Rezeptor oder Erfolgsorgan synergistisch Arzneimittel beeinflusst werden:
oder antagonistisch wirken. Solche
Situationen lassen sich am Besten an x Resorption
Beispielen plausibel erklären: x Verteilung
x Metabolismus
x Betablocker antagonisieren den x Ausscheidung
bronchienerweiternden Effekt von
Betasympathomimetika. Betablocker Wechselwirkungen
verstärken die blutdrucksenkende bei der Resorption
Wirkung von Nitraten durch
Hemmung einer Reflextachykardie Die Resorption von Arzneistoffen wird
verhindert durch Substanzen die die
x Betablocker plus Kalziumantago- Magenentleerung hemmen wie Atropin
nisten führen zu Bradykardie bzw. oder Opiate und wird gesteigert durch
zu einem AV-Block solche, die die Magenentleerung för-
dern, wie z.B. Metoclopramid.
x Herzglykoside werden durch
Saluretika in ihrer Wirkung verstärkt Eine Erhöhung des pH-Wertes im Ma-
(Hypokaliämie) gneitniddinu1rc) hodHe2r-RPerzoetpotnoer-nApnutmagpoennishteemn m(Rea-r
(Omeprazol2, Pantoprazol3) kann zu ei-
x Cumarin (Phenprocoumon), ein ner Veränderung der Resorption ande-
Blutgerinnungshemmer, kann mit rer Arzneimittel führen.
Acetylsalicylsäure (ein Plättchen-
aggregrationhemmer) zu schweren Die Salze zwei- oder dreiwertiger Me-
Blutungen führen talle können mit anderen Arzneimitteln
schlecht resorbierbare Komplexe bilden.
x NSAR plus ACE-Inhibitoren führen Eine positive Wechselwirkung wäre die
zu einer Einschränkung der Nieren- Verhinderung der Resorption eines
funktion Lokalanästhetikums aus dem relevanten
Gewebsgebiet durch Gefäßverengung
x Patienten, die mit ACE-Hemmern mittels Adrenalin-Zusatz.
und Diuretika wegen Hochdruck
und Herzinsuffizienz gut eingestellt
sind, können nach NSAR aufgrund
der Einschränkung der Nierentätig-
keit durch diese Arzneimittel kardial
dekompensieren

x Opiate plus Benzodiazepine können
in Kombination zu schwerer Atem-
depression führen, usw.

1 A: Zantac; CH, D: Zantic
2 A: Losec; CH: Omed; D: Omep
3 A, CH: Zurcal; D: Pantozol

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

18 Arzneimittelwechselwirkungen

Wechselwirkungen Folge ist eine Abnahme der Konzen-
bei der Verteilung tration am Wirkungsort (Abbildung 6).
Die zweite Möglichkeit ist eine Hem-
Wechselwirkungen bei der Verteilung mung der abbauenden Enzyme, was in
treten hauptsächlich auf der Ebene der der Regel zu einer Erhöhung der Kon-
Plasmaproteinbindung auf. Arzneimittel zentration des Arzneistoffs am Wirkungs-
können sich gegenseitig aus dieser ort nach sich zieht.
Bindung verdrängen und so den Blut-
spiegel an freien Arzneistoffen des ver- Beispiele für Arzneimittel, die
drängten Arzneimittels erhöhen. Diese die Aktivität von Leberenzymen
Wechselwirkungen sind praktisch nicht induzieren, sind:
besonders relevant, da sich letztlich
bald wieder ein Gleichgewicht einstellt. x Barbiturate
x Phenytoin
Wechselwirkungen beim x Rifampicin
Arzneimittelmetabolismus x Carbamazepin
x Griseofulvin
Die Bedeutung derartiger Wechsel- x Johanniskraut
wirkungen haben in der letzten Zeit x Omeprazol
durch genaue Kenntnisse der am x (sowie Alkohol und Rauchen)
Arzneimittelabbau beteiligten Leber-
enzyme, besonders der großen Familie In der Folge kommt es zu einer Wir-
der Cytochrom P450-Isoenzyme, extrem kungsabschwächung von oralen Anti-
zugenommen. Zwei Prozesse spielen in konzeptiva, Glucocorticoiden, Cyclospo-
diesem Zusammenhang eine bedeuten- rinen, Theophyllin, Digoxin, Diclofenac,
de Rolle: Arzneimittel können die In- Losartan, Midazolam und vieler anderer
duktion von Leberenzymen bewirken Arzneimittel.
und in der Folge den Abbau der von
diesen Leberenzymen vornehmlich ab- Die Folgen können unter Umständen
gebauten Arzneimittel verstärken. Die dramatisch sein, wenn wichtige Arznei-
mittel wie Antiepileptika (Phenytoin),
Abb. 6: Einfluss eines zweiten Arzneimittels intraoperative Sedierungsmittel (Mida-
zolam) oder Narkotika (wie Halothan
oder Enfluran) nicht wirksam sind.
Auch der beschleunigte Abbau von
Paracetamol zum hepatotoxischen Meta-
boliten N-Acetyl-p-Benzochinonimin
durch Alkohol kann eine schwere Ver-
giftung zur Folge haben.

Beispiele für Arzneimittel, die meta-
bolisierende Enzyme hemmen sind:

x Allopurinol
x Cimetidin
x Ciprofloxacin
x Erythromycin
x Glucocorticoide
x Omeprazol und v.a.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Arzneimittelwechselwirkungen 19

Die Folge sind erhöhte Blutspiegel von schleust und es kann zu schwerer
Substanzen wie Theophyllin, tricycli- Atemdepression kommen. Wird durch
schen Antidepressiva, Antiepileptika, se- Rifampicin das P-Glykoprotein in der
lektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibi- Darmschleimhaut induziert, wird Digo-
toren (SSRI) und v.a. mehr. xin vermehrt über den Darm ausge-
schieden und seine Bioverfügbarkeit
Wechselwirkungen bei dadurch reduziert. Diese zwei Beispiele
der renalen Elimination sollen darlegen, dass Arzneimittelinter-
aktionen auch auf dem Gebiet des Mem-
Bei einer Veränderung der Nieren- brantransports stattfinden können und
leistung im Alter respektive durch diese Möglichkeit zunehmend Beach-
Arzneimittel wird die Ausscheidung tung erfordert.
zahlreicher Arzneimittel beeinflusst. So
muss z.B. bei zunehmender Nieren- Praktische
insuffizienz das über die Niere ausge- Schlussfolgerungen
schiedene Digoxin durch Digitoxin er-
setzt werden, um Vergiftungen zu ver- Ältere Patienten können aufgrund
meiden. Furosemid und Thiaziddiureti- ihrer Multimorbidität den Arzt zu einer
ka erhöhen die Reabsorption von Polypragmasie (Gabe vieler Arzneimittel
Lithium, sodass mit einem Anstieg des für einen Patienten) mit kaum vorher-
Lithium-Plasmaspiegels zu rechnen ist. sagbaren Interaktionen veranlassen.
Nicht-steroidale Antiphlogistika wie Wege aus dem Dilemma sind:
Diclofenac oder Indomethacin führen
ebenfalls zu einer Abnahme der renalen x Ein genaues schriftliches Therapie-
Clearance des Lithiums und zu einem schema auch bei mehreren behan-
Anstieg der Plasmakonzentration. NSAR delnden Ärzten
vermindern auch die renale Clearance
von Methotrexat und hemmen die ent- x Laufende Überprüfung, ob die eine
wässernde Wirkung von Diuretika, um oder andere Therapie nicht unter-
nur einige Beispiele zu nennen. brochen oder abgesetzt werden
könnte
Wechselwirkungen beim
Arzneimitteltransport x Erfragen und Auflistung zusätzlicher
Selbstmedikationen
In den Zellmembranen wurden Pro-
teine identifiziert, die Arzneistoffe nicht x Arzneimittel die zur Kupierung von
metabolisieren, aber transportieren. Nebenwirkungen verwendet werden,
Diese Proteine, der bekannteste Ver- auf ein Minimum reduzieren
treter davon ist das P-Glykoprotein, las-
sen sich ähnlich wie das Cytochrom x Funktionskontrollen wie Gangana-
P450-System hemmen oder induzieren. lyse und Mobilitätsscreening und
Wird z.B. in der Blut-Hirn-Schranke das Beachtung kognitiver Störungen
P-Glykoprotein durch Chinidin gehemmt,
wird Loperamid, ohne dass sein Blut- Oft kann es durchaus besser sein, zu-
spiegel steigt, vermehrt ins ZNS einge- gunsten einer verbesserten Lebensquali-
tät auf die eine oder andere „Evidenced
based medicine“-Therapie zu verzich-
ten.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

20 Pharmakologische Wirkungen für den Einzelnen

PHARMAKOLOGISCHE
WIRKUNGEN FÜR
DEN EINZELNEN

Arzneimittel werden verabreicht, um beispielsweise 33 PatientInnen 5 Jahre
Krankheiten zu lindern, zu heilen oder lang täglich mit einem modernen Statin
zu verhüten. Der Wunsch nach Wirkung behandeln, um einen tödlichen oder nicht-
eines Arzneimittels veranlasst den Arzt tödlichen Herzinfarkt zu verhindern. Es
zur Verordnung und den Patienten zur gibt noch eine zweite Zahl, die hier
vorschriftsmäßigen Einnahme. An die- betrachtet werden muss, das ist die
ser Stelle taucht bereits die erste Hürde „number needed to harm“ (NNH).
auf. Laut WHO sinkt die Compliance der NNH sagt aus, wie viele Patienten be-
Arzneimitteleinnahme ab drei Arznei- handelt werden müssen, um bei einem
mitteln pro Patient rapide ab. Nicht ein- eine schwere Nebenwirkung zu erzeu-
genommene Arzneimittel verursachen gen. Auch diese Zahlen wird der Patient
zwar Kosten, haben aber keine Wirkung nicht von seinem Arzt erfahren. Ein-
und natürlich keine Nebenwirkungen. faches Beispiel Aspirin: Die NNT, um bei
Wird ein Arzneimittel verordnet und ein- sonst gesunden Menschen ein throm-
genommen, erwartet der Patient also boembolisches Ereignis zu verhindern
eine Wirkung. Kein Arzt wird ihn auf- liegt bei etwa 2.000. Die NNH einer
klären über die statistische Wahrschein- schweren gastrointestinalen Blutung
lichkeit, mit der eine Wirkung zu erwar- liegt bei 100. Das Ergebnis muss so
ten ist. Wir kennen den Begriff „num- interpretiert werden, dass nur bei Risiko-
ber needed to treat“ (NNT). Die Zahl patienten die prophylaktische Einnahme
sagt aus, wie viele Patienten mit einem von Aspirin gerechtfertigt ist. Die Praxis
Arzneimittel behandelt werden müssen, zeigt das Gegenteil.
um bei einem eine Wirkung zu erzeugen.
Die Ergebnisse in diesem Zusammen- Ein weiteres Phänomen macht die phar-
hang sind ernüchternd: So muss man makologische Wirksamkeit noch undurch-
sichtiger: Der Placeboeffekt.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Der Placeboeffekt 21

DER PLACEBOEFFEKT

In einer jüngsten Studie wurde ge- muss dann nicht angestellt werden, wenn
zeigt, dass die Placeboheilungsrate in der Arzt es versteht, den Patienten gut
einem Kollektiv von Migränepatienten zu betreuen und ihm glaubhaft zu
30% beträgt. Bei 43% hatte Aspirin machen, dass mit dem Arzneimittel
eine Wirkung, bei 43% ein neues Trip- seine Beschwerden gelindert werden
tan. Zieht man die Placebo-Wirkung können. Macht er das aus irgendwel-
von der Aspirin- bzw. Triptan-Wirkung chen Gründen nicht, verzichtet er zu-
ab, bleibt für jede der beiden Substan- mindest teilweise auf den Placeboanteil
zen eine pharmakologische Wirkungs- des Arzneimittels. Die Wahrscheinlich-
wahrscheinlichkeit von 13%. Die Place- keit einer Wirkung sinkt. Eine pharma-
bowirkung stellt demnach einen ge- kologische Wirkung für den Einzelnen
wichtigen Anteil vieler Arzneimittelwir- ist also nicht vorhersehbar. Die Chance
kungen dar. einer pharmakologischen Wirkung beim
Einzelnen lässt sich aber durch intensi-
Nach neuesten Untersuchungen bewirkt ve medizinische Betreuung, Zuwendung
ein Placebo bis jetzt noch unbekannte und Motivation über Ausnutzung des
aber nachweisbare biologische Verän- Placeboanteils verbessern.
derungen. Die oben angeführte Rechnung

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

22 Arzneiformen

ARZNEIFORMEN

Die Aufgabe der pharmazeutischen Die meisten Arzneiformen sind für
Technologie (Galenik) ist es, wirksame verschiedene Applikationsarten geeig-
Substanzen so zu Arzneiformen zu verar- net. Die Tabelle 1 zeigt die wichtigsten
beiten, dass sie dem Organismus zuge- Arzneiformen und ihre Hauptanwen-
führt werden können und in geeigneten dungen.
Konzentrationen den Wirkort erreichen.

Tab. 1: Arzneiformen und ihre Anwendung

I. Flüssige Arzneiformen peroral, äußerlich
Lösungen peroral, äußerlich
Emulsionen peroral, äußerlich
Suspensionen peroral, äußerlich
Sirupe peroral, äußerlich
Wässrige Pflanzenextrakte peroral, äußerlich
Tinkturen
peroral
II. Feste Arzneiformen äußerlich
Pulver peroral
Puder peroral, akute Therapie
Granulate peroral, chronische Therapie
Tabletten peroral, akute oder chronische Therapie
Dragees peroral, akute oder chronische Therapie
Filmtabletten
Kapseln äußerlich, lokale Wirkung
äußerlich, lokale Wirkung
III. Halbfeste Arzneiformen rektal, lokale oder systemische Wirkung
Salben vaginal, lokale Wirkung
Pasten
Suppositorien lokale Wirkung
Globuli i.v., s.c. u.a.
Inhalation, lokale Wirkung
IV. Spezielle Arzneiformen peroral, chronische Therapie
Augenarzneien (Ophthalmika) durch die Haut, chronische Therapie
Parenteralia (Ampullen)
Aerosole, Sprays
Retard-Formen
Therapeutische Systeme (Pflaster)

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Arzneiformen 23

Flüssige Arzneiformen hohe Grenzflächenspannung besteht,
werden Emulgatoren zugesetzt, die die
Lösungen (Solutiones) Grenzflächenspannung vermindern, die
Herstellung erleichtern und die Ent-
Lösungen sind Zubereitungen, die mischung verlangsamen.
einen oder mehrere Arzneistoffe in
Wasser, Ethylalkohol, fettem Öl oder Emulsionen können peroral oder
einem anderen geeigneten Lösungs- äußerlich Anwendung finden. Ölige
mittel gelöst enthalten. Verwendet wer- Flüssigkeiten lassen sich leichter in Form
den Lösungen einer Öl-in-Wasser Emulsion verabrei-
chen, lokal reizende wässrige Flüssig-
x zur äußerlichen Anwendung auf keiten werden besser in Form einer
Haut oder Schleimhaut Wasser-in-Öl Emulsion verabfolgt. Zur
äußerlichen Anwendung sind beide
x zur innerlichen Anwendung Emulsionstypen gebräuchlich.
(peroral, parenteral)
Suspensionen
x zur Weiterverarbeitung zu anderen (Suspensiones)
Arzneizubereitungen.
Suspensionen sind mehrphasige Syste-
Die Bereitung von Lösungen erfolgt me, deren innere Phase aus Feststoff-
meist auf der Waage, d.h. die Einzel- partikeln, und deren äußere Phase aus
bestandteile werden nach ihrem Ge- einer Flüssigkeit besteht. Der Feststoff-
wicht zugefügt. Verordnet werden Lö- anteil liegt zwischen 0,5% und 40%.
sungen zur peroralen Applikation trop- Die Stabilität von Suspensionen wird
fenweise bzw. löffelweise oder mittels verbessert durch Zugabe von Emulga-
Dosiergefäß. toren bzw. von Stoffen, die die Viskosi-
tät erhöhen und dadurch die Ent-
Zur besseren Haltbarkeit von Lösun- mischung verlangsamen. Die innerliche
gen sind Zusätze von Antioxidantien, Anwendung von Suspensionen dient
Konservierungsmitteln und die Aufbe- der Applikation großer Mengen unlösli-
wahrung in dunklen Flaschen üblich. cher Feststoffe (z.B. Tierkohle). Äußer-
Lösungen zur äußeren Applikation wer- lich anzuwendende Suspensionen wer-
den mit einem roten, solche zur innerli- den auch als Schüttelmixturen (Mixtura
chen Anwendung mit einem weißen agitanda) bezeichnet.
Etikett gekennzeichnet.
Sirupe (Sirupi)
Emulsionen (Emulsiones)
Sirupe sind wässrige, dickflüssige Arz-
Emulsionen sind disperse oder Mehr- neizubereitungen, die Rohrzucker
phasen-Systeme, die aus zwei nicht (Saccharose) in hoher Konzentration
oder nur begrenzt mischbaren Flüssig- (50-64%) enthalten, und zur peroralen
keiten bestehen. Grundsätzlich unter- Verwendung bestimmt sind. Als Kon-
scheidet man die zwei Typen servierungsmittel sind Benzoesäureester
vorgeschrieben. Sirupe können reine
x Öl-in-Wasser (äußere Phase ist Arzneistoffe oder Drogenauszüge ent-
Wasser, Beispiel Milch) und halten. Als Fruchtsirupe bezeichnet man

x Wasser-in-Öl (äußere Phase ist Öl
bzw. Fett, Beispiel Butter)

Da zwischen Wasser und Fett eine

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

24 Arzneiformen

solche, die aus Presssäften hergestellt Feste Arzneiformen
worden sind. Diese dienen meist der
Geschmacksverbesserung. Sirupe fin- Pulver (Pulveres)
den besonders in der Kinderheilkunde
Anwendung. Pulver sind Arzneistoffe oder Arznei-
zubereitungen zum inneren (peroralen)
Teegemische – oder äußeren Gebrauch, die unge-
Drogenausszüge (Species) mischt (einfache Pulver) oder gemischt
(gemischte Pulver) vorliegen. Wird mit
Teegemische (Species) sind Gemenge dem Wirkstoff allein das entsprechende
von zerkleinerten oder unzerkleinerten Gewicht nicht erreicht, werden Füll-
Pflanzenteilen. Je nach der Beschaffen- stoffe (Milchzucker, Stärke) zugesetzt.
heit der Droge und der Art der In-
haltsstoffe werden Auszüge auf ver- Puder (Pulveres adspergendi)
schiedene Art gewonnen:
Puder sind nicht abgeteilte Pulver
Wässrige Drogenauszüge zum äußerlichen Gebrauch. Sie sind
Arzneizubereitungen aus einem oder
x Mazerate: die Droge wird mit mehreren Arzneistoffen und entspre-
Wasser bei Raumtemperatur chendenden Hilfsstoffen zur Anwen-
extrahiert dung auf der Haut, der Schleimhaut
oder auf verletztem Gewebe. Puder sol-
x Infuse: die Droge wird mit heißem len entweder kühlen, trocknen, adsor-
Wasser übergossen und nach bieren, gleitfähig machen oder be-
kurzem Stehen abgeseiht stimmte Arzneistoffe lokal zur Wirkung
bringen (z.B. Antibiotika).
x Dekokte: die Droge wird mit
kaltem Wasser übergossen, zum Granulate
Kochen erhitzt und nach bestimm- (Pulveres granulate)
ter Zeit abgetrennt
Granulate sind grobkörnige Aggregate
Alkoholische Drogenauszüge von Pulvern und dienen zur peroralen
Verabreichung von großen Pulvermengen
x Tinkturen: die Droge wird mit (z.B. Kohlegranulat). Wie Pulver haben
Ethanol verschiedener Konzentra- Granulate als eigene Arzneiform nur eine
tionen extrahiert (z.B. Baldrian- geringe Bedeutung. Im Vordergrund
tinktur). steht ihre Verwendung als Zwischen-
produkt bei der Herstellung von Ta-
Zahlreiche Teegemische (Gallentee, bletten oder zur Füllung von Kapseln.
Nerventee, Hustentee) sind als Fertig-
arzneimittel auf dem Markt, die ange- Tabletten (Compressi)
gebenen Indikationen sind jedoch häu-
fig fragwürdig. Andererseits können Tabletten sind feste, einzeln dosierte
Tees sehr wirksame Substanzen mit Arzneiformen, die aus gepulverten oder
allen ihren Nachteilen enthalten (z.B. granulierten Arzneistoffen unter Zusatz
anthrachinonhältige Abführtees). von Hilfsstoffen durch Pressen herge-

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Arzneiformen 25

stellt werden. Tabletten können sehr Eine Sonderform des Dragees ist die
verschieden geformt sein, und einfache Filmtablette – eine Tablette, die mit nur
oder kreuzförmige Bruchrillen aufwei- einem, relativ dünnen, Film überzogen
sen. Je nach Verwendung werden bei ist. Diese Schicht aus verschiedenen
der Herstellung verschiedene Hilfsstoffe makromolekularen Verbindungen ver-
zugesetzt. Der rasche Zerfall im Magen- mittelt alle Vorteile eines Dragees und
Darm-Trakt wird durch Zusatz von gewährleistet eine rasche Wirkstoff-
„Sprengmitteln“ gewährleistet. Solche freisetzung wie bei Tabletten.
Tabletten dienen der akuten Therapie.
Bei Lutschtabletten oder Kautabletten Kapseln (Capsulae)
werden Zerfallsverzögerer eingesetzt.
Bei Brausetabletten werden CO2-Ent- Kapseln sind feste Arzneizubereitun-
wickler wie Natriumhydrogenkarbonat gen, deren Wirkstoffe in eine elastische
mit organischen Säuren zugesetzt. Aus Hülle eingeschlossen sind. Als Hüllma-
solchen Lösungen wird der Wirkstoff terial dienen Weichgelatine oder Hart-
besonders rasch aufgenommen. gelatine.

Dragees Vorteile der Gelatinekapseln:
(Compressi obducti)
x Geschmacksneutralität
Dragees sind mit mehreren (bis zu 70) x Genaue Dosierung
Schichten überzogene Tabletten, die un- x Optimale Wirkstofffreigabe
zerteilt einzunehmen sind. Zur Her- x Schonende Verarbeitung proble-
stellung werden die Drageekerne (klei-
ne Tabletten) in den rotierenden Dra- matischer Arzneistoffe
gierkessel eingebracht und in aufei- x Mögliche Verwendung magensaft-
nanderfolgenden Arbeitsgängen Zucker-
schichten, Glättemittel, Farben und resistenter Oberfläche
Poliermittel flüssig auf die Kerne aufge-
bracht. Mikrokapseln sind fein zerteilte, flüssi-
ge oder feste Arzneistoffe mit einem Man-
Vorteile der Dragees tel aus Gelatine, die zur Weiterverar-
gegenüber der Tablette: beitung zu anderen Arzneiformen dienen
x Ästhetisches Aussehen (Farbe) können. Bei entsprechender Auswahl des
x Leichte Einnahme (glatte Oberfläche) Hüllmaterials können mit dieser Methode
x Hohe mechanische Festigkeit Retardformen hergestellt werden.
x Genaue Dosierung
x Möglichkeit der gesteuerten Halbfeste Arzneiformen

Wirkstoff-Freigabe Salben (Unguenta)
x Mögliche Verwendung magensaft-
Salben sind zum äußerlichen Ge-
resistenter Überzüge brauch bestimmte Arzneizubereitun-
gen, die bei Zimmertemperatur eine
Nachteile der Dragees: streichbare Konsistenz besitzen. Sie die-
x Langsamerer Zerfall nach peroraler nen zum Schutz der Haut oder zur
Applikation von Arzneistoffen auf Haut
Einnahme und Schleimhäute.
x Teurere Herstellung

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

26 Arzneiformen

Hydrophobe Salben Amphiphile Salben

Hydrophobe (lipophile) Salben kön- Durch Zugabe sogenannter Komplex-
nen nur kleine Mengen Wasser aufneh- emulgatoren erreicht man gleicher-
men. Typische hydrophobe Salbengrund- maßen hydrophile und lipophile Eigen-
lagen sind Vaseline, Paraffin, flüssiges schaften einer Salbengrundlage. Durch
Paraffin, pflanzliche Öle oder tierische Zugabe von Fett lässt sich eine Wasser-
Fette, synthetische Fette, Wachse und in-Öl-Emulsion, durch Zugabe von
flüssige Polyalkylsiloxane. Diese Salben Wasser eine Öl-in-Wasser-Emulsion her-
decken die Haut feuchtigkeitsundurch- stellen. Diese Grundlagen (z.B. Deco-
lässig ab, bewirken eine Mazeration des derm-Basis) sind universell verwendbar,
Stratum corneum und ermöglichen da- da sich nach Belieben lipophile bzw.
durch eine Penetration von Arznei- hydrophile Arzneistoffe gut verarbeiten
stoffen auch in tiefere Hautschichten. lassen.
Eine Anwendung dieser Salben ist im
chronischen Stadium von Dermatosen Cremes
angezeigt.
Cremes sind mehrphasige Zubereitun-
Wasseraufnehmende Salben gen, die aus einer lipophilen und einer
wässrigen Phase bestehen. Sowohl
Diese Salben können größere Mengen Wasser-in-Öl als auch Öl-in-Wasser-
Wasser unter Emulsionsbildung aufneh- Emulsionen werden als Cremes bezeich-
men. Ihre Grundlagen sind diejenigen net. Wasser-in-Öl-Cremes haben ähnli-
der hydrophoben Salben, in welche che Eigenschaften wie hydrophobe
Wasser-in-Öl-Emulgatoren, wie Woll- Salben, Öl-in-Wasser-Cremes weisen
wachs, Wollwachsalkohole, Monoglyce- eine kühlende Wirkung auf und sind
ride u.a. eingearbeitet werden. Der An- gut abwaschbar.
wendungsbereich entspricht dem der
hydrophoben Salben. Gele

Hydrophile Salben Gele bestehen aus gelierten Flüssig-
keiten, die mit Hilfe geeigneter Quell-
Hydrophile Salben sind Zubereitun- mittel hergestellt werden. Hydropho-
gen, deren Grundlagen mit Wasser be Gele sind Zubereitungen aus flüssi-
mischbar sind. Diese Salbengrundlagen gem Paraffin und Polyethylen. Hydro-
bestehen üblicherweise aus einem phile Gele sind Zubereitungen aus
Gemisch von flüssigen und festen Poly- Wasser, Glycerol oder Propylenglykol, die
ethylenglykolen. Diese Salben sind nicht mit geeigneten Quellstoffen geliert
fettend und leicht von der Haut ab- werden (Traganth u.a.). Hydrophobe
waschbar. Die entquellenden Eigen- Gele werden wie hydrophobe Salben
schaften sowie die gute Freisetzung für eingesetzt, hydrophile Gele sind fett-
inkorporierte Wirkstoffe bedingen ihre freie, abwaschbare Grundlagen, die
Anwendung für antimykotische und durch Verdunstung von Wasser kühlend
antiseptische Dermatika. wirken.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Arzneiformen 27

Pasten Spezielle Arzneiformen

Pasten sind Salben mit einem großen Augenarzneien
Anteil an feindispergiertem Pulver. In (Ophthalmika)
der Regel beträgt dieser Anteil etwa 30-
50%. Harte Pasten (hoher Feststoffge- Die zur Anwendung am Auge be-
halt) wirken austrocknend, sekretbin- stimmten Arzneistoffe werden meist
dend und abdeckend, und eignen sich lokal appliziert. Die wichtigsten Dar-
vorzugsweise zur Behandlung fetter reichungsformen sind Augentropfen
Haut. Weiche Pasten wirken fettend und Augensalben. Wegen der großen
und abdeckend, und eignen sich beson- Empfindlichkeit des Auges werden von
ders für trockene Haut. diesen Arzneiformen besondere Verträg-
lichkeit und Reizlosigkeit, Keimfreiheit
Zäpfchen (Suppositorien) und hinreichende Stabilität verlangt.
Wässrige Augentropfen sollen mit der
Zäpfchen sind einzeldosierte Arznei- Tränenflüssigkeit isotonisch sein, einen
zubereitungen zur rektalen Anwen- pH-Wert zwischen 5,0 und 8,5 aufwei-
dung. Sie haben eine längliche, zuge- sen sowie keine partikulären Verun-
spitzte Form und wiegen meist 1-3g. reinigungen enthalten. Augentropfen
Sie dienen zur lokalen Behandlung der werden in Tropffläschchen (oft aus Kunst-
Schleimhäute des Rektums, oder zur stoff), Augensalben in kleinen Tuben
rektalen Absorption von Arzneistoffen. abgegeben. Sichere Keimfreiheit ist nur
mit Einzeldosis-Behältnissen (Kapseln,
Als Suppositorienmassen werden Ka- Kunststoffampullen) zu erreichen. Die
kaobutter, gehärtete Fette, Glycerol- Zugabe von Konservierungsmitteln (z.B.
Gelatine-Massen, Glycerol-Seifen-Gele Benzalkoniumchlorid) ist üblich.
und Polyethylenglykole verwendet. Die
fetten Grundlagen schmelzen bei Kör- Parenteralia
pertemperatur und sind besonders für
die lokale Behandlung der Rektum- Parenteralia sind sterile Zubereitun-
schleimhaut geeignet. Die wasserlösli- gen, die zur Injektion oder Implantation
chen Zäpfchengrundlagen eignen sich in den menschlichen Körper bestimmt
zur Applikation systemisch wirkender sind. Injektionen sind Zubereitungen
Arzneistoffe. Hergestellt werden Zäpf- zur Applikation kleiner Volumina als
chen durch Gießen oder Pressen mittels Lösung, Suspension oder Emulsion. Bei
geeigneter Formen. Infusionen werden Volumina, die grö-
ßer als 100 ml sind, infundiert. Lösun-
Globuli gen zur intravenösen Injektion oder In-
fusion sollen Blut-isoton sein, einen
Globuli (vaginalis) sind einzeln dosier- physiologischen pH-Wert aufweisen
te Arzneizubereitungen zur vaginalen und keine Pyrogene oder partikuläre
Anwendung. Sie sind meist kugelförmig Verunreinigungen enthalten. Abgege-
und bestehen aus den gleichen Grund- ben werden Injektionslösungen in Am-
lagen wie die Zäpfchen. Sie dienen pullen oder Durchstichflaschen, Infu-
hauptsächlich zur lokalen Behandlung. sionslösungen in Glas- oder Kunst-
stoffbehältern.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

28 Arzneiformen

Sprays, Aerosole Transdermale
therapeutische Systeme (TTS)
Sprays (Staub- und Nebelaerosole)
dienen zur lokalen Behandlung auf Transdermale therapeutische Systeme
Haut- und Schleimhaut und eignen sich sind Pflaster, die, auf die Haut aufge-
besonders zur Applikation von Flüssig- bracht, den Arzneistoff langsam abge-
keiten (Nebel) bzw. Pulvern (Stäuben) in ben, welcher durch die Haut diffundiert
den Respirationstrakt. In Abhängigkeit und so über lange Zeit zu einem wirk-
von der Partikelgröße kann man obere samen Blutspiegel führt. Wichtig für die
oder tiefere Atemwege erreichen. Sprays Anwendung ist die Information, ob ein
werden aus geeigneten Druckbehältern Pflaster teilbar ist (Matrix-Pflaster) oder
appliziert. Geeignete Vorrichtungen er- nicht (Reservoire-System).
lauben das Einatmen von Pulvern aus
Kapseln. Transvaginale Systeme

Retard-Formen Ein transvaginales System ist ein ela-
stischer Ring, der empfängnisverhüten-
Retard-Arzneiformen geben den de Hormone freisetzt. Er wird durch die
Arzneistoff mit dem Ziel einer verlän- Vagina vor den Uterus geschoben und
gerten therapeutischen Wirkung über dort für drei Wochen belassen. Für die
einen längeren Zeitraum ab und verrin- letzte Woche des Zyklus wird der Ring
gern dadurch die Einnahmefrequenz. entfernt.
Als perorale Retard-Arzneiformen wer-
den verwendet: Implantate

x Retard-Kapseln, die den Arzneistoff Empfängnisverhütende Hormone kön-
aus verschiedenen Mikrokapseln nen auch mittels kleiner, zündholzähnli-
unterschiedlich schnell freigeben cher Stäbchen unter die Haut implan-
tiert werden und sorgen für drei Jahre
x Retard-Tabletten, die aus einer für Empfängnisverhütung.
unverdaulichen Matrix (schwamm-
artiges Gerüst) bestehen, die den Intrauterinsysteme, die sogenannte
Arzneistoff verzögert freigibt, oder Hormonspirale, wird in den Uterus
die aus verschiedenen Granulaten implantiert und sorgt durch Freisetzung
gepresst sind, deren Zerfall nach empfängnisverhütender Hormone über
verschiedenen Zeiten eintritt 5 Jahre für sichere Antikonzeption.

Als parenterale Retard-Arzneiformen
werden verwendet:

x Wässrige Kristallsuspensionen
x Makromoleküle
x Ölige Injektionssuspensionen
x Implantate (Tabletten)

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Das vegetative Nervensystem 31

DAS VEGETATIVE
NERVENSYSTEM

Tab. 1: Wirkungen von Parasympathikus und Sympathikus
(Auswahl im Hinblick auf wichtige Arzneimittelwirkungen
und Nebenwirkungen)

Organ Parasympathikus Rezeptor Sympathikus Rezeptor

Herz hemmt1 M2 steigert2 E1
Herzqualitäten Herzqualitäten

Bronchien verengt3 M3 erweitert4 E2
Blutgefäße erweitert
M3 verengt5 D1

erweitert E2

Harnblase kontrahiert6 M3 erschlafft E2
Detrusor kontrahiert M3 kontrahiert5 D1
Sphinkter

Darm steigert M3 hemmt alle
Motilität Motilität

Speichelsekretion steigert6 M1, M3 vermindert D1

Beispiele für Arzneimittelwirkungen bzw. Nebenwirkungen
1 Atropin als Parasympatholytikum bewirkt Tachykardie
2 E-Blocker als Sympatholytika hemmen Herzqualitäten
3 Ipratropium als Parasympatholytikum erweitert Bronchien
4 Salbutamol als Sympathomimetikum erweitert Bronchien
5 D-Blocker (bei Prostatahyperplasie) führt zu Blutdruckabfall und Kopfschmerzen
6 Oxybutinin als Parasympatholytikum führt zu Verbesserung der Harnblasenkapazität

und zu Mundtrockenheit

Das Verständnis der Funktionen des nomes Nervensystem) steuert die
vegetativen Nervensystems ist von außer- Funktion von Organen, von Drüsen und
ordentlicher Wichtigkeit für das Ver- der glatten Muskulatur (z.B. in Blut-
ständnis sowohl vieler Arzneimittelwir- gefäßen). Es besteht aus dem parasym-
kungen, als auch vieler Nebenwirkun- pathischen und dem sympathischen Teil,
gen. die die Organe meist gegensinnig
beeinflussen. Der Parasympathikus ver-
Das vegetative Nervensystem (auto-

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

32 Das vegetative Nervensystem

langsamt beispielsweise den Herzschlag auf das 2. Neuron übertragen. Der
und verengt die Bronchien, der Sym- Rezeptor für Acetylcholin am 2. Neuron
pathikus beschleunigt den Herzschlag ist in beiden Ästen ein nikotinischer
und erweitert die Bronchien. Rezeptor (siehe Seite 33), Nikotin kann
also beide Äste des vegetativen Ner-
Die Steuerungs-Signale werden vom vensystems erregen. Acetylcholin ist im
Zentralnervensystem über das soge- parasympathischen System auch der
nannte 1. Neuron (präganglionäres Überträger zwischen 2. Neuron und
Neuron) zu einer Schaltstelle geleitet Erfolgsorgan. Der Rezeptor am Erfolgs-
(Ganglion) und bei Parasympathikus organ ist ein muskarinischer Rezeptor
und Sympathikus mittels Acetylcholin

Abb. 1

Parasympathomimetika: Sympathomimetika:

Direkte: Acetylcholin Noradrenalin (D1, D2, E1)
Indirekte: Pilocarpin1 Adrenalin6 (D1, D2, E1, E2)
Neostigmin2 Etilefrin7 (D1, E1)
Physostigmin3 Salbutamol8 (E2 > E1)

Parasympatholytika: Sympatholytika:
Prazosin9 (D1)
Atropin Propranolol10 (E1, E2)
Ipratropium4 Metoprolol11 (E1 > E2)
Trospium5

1 A, CH, D: Salagen 6 A, CH: EpiPen; D: Anapen
2 A, CH: Prostigmin; D: Neostig 7 A, CH, D: Effortil
3 A: Anticholium; CH: –; D: Anticholium 8 A: Sultanol; CH: Bronchovent; D: Sultanol
4 A, CH, D: Atrovent 9 A: Minipress; CH: –; D: Minipress
5 A: Spasmolyt; CH: Spasmo-Urgenin; D: Spasmex 10 A, CH: Inderal; D: Dociton

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Das vegetative Nervensystem 33

(M1-5) (siehe Abb. 1 und Tab. 1). Im Magensaftsekretion, Tränenflüssigkeit
sympathischen System ist die Überträ- etc.), zu Abnahme der Herzqualitäten
gersubstanz zwischen 2. Neuron und (M2-Wirkungen) und zu Tonuserhöhung
Erfolgsorgan Noradrenalin und der der glatten Muskulatur (M3-Wirkungen).
Rezeptor am Erfolgsorgan ein adrener- Ferner führt Acetylcholin über NO
ger Rezeptor (D1, D2, E1, E2) (siehe (Stickstoffmonoxyd)-Freisetzung aus dem
Abb. 1 und Tab. 1). Gefäßendothel zu einer vasodilatatori-
schen Wirkung.

Körpereigene Noradrenalin und Adrenalin
Überträgersubstanzen
im vegetativen Noradrenalin wird aus den Speicher-
Nervensystem granula (Varikositäten) des sympathi-
schen Nervenendes freigesetzt und wirkt
Acetylcholin lokal, Adrenalin stammt aus den Neben-
nierenmarkzellen und wirkt systemisch.
Acetylcholin erregt Rezeptoren vom Dementsprechend wird Noradrenalin
Nikotintyp und vom Muskarintyp. als Überträgerstoff und Adrenalin als
Hormon bezeichnet.
Der nikotinische Acetylcholinrezep-
tor ist ein ligandgesteuerter Ionenkanal Wirkungsmechanismus: Die adrener-
und ist der Rezeptor für die Impulsüber- gen Rezeptoren sind G-Protein gekop-
tragung an den intermediären Ganglien pelte Rezeptoren, die je nach Typ unter-
des parasympathischen und sympathi- schiedliche Wirkungen auslösen. Nor-
schen Systems. Einen weiteren nikotini- adrenalin stimuliert D1, D2 und E1-Re-
schen Acetylcholinrezeptor findet man zeptoren während Adrenalin D1, D2, E1
auf der motorischen Endplatte der und E2-Rezeptoren erregt. Die zel-
Skelettmuskulatur. Hier bewirkt Acetyl- lulären Mechanismen, die von den ein-
cholin eine Depolarisation und in der zelnen Rezeptoren aktiviert werden,
Folge eine Muskelkontraktion. sind unterschiedlich.

Der muskarinische Acetylcholinre- Wirkungen:
zeptor ist ein G-Protein gekoppelter Re- • D1 und D2-Rezeptorstimulierung
zeptor, der an der Impulsübertragung
vom zweiten Neuron auf das Erfolgs- führt zur Erregung der glatten
organ im parasympathischen System Muskulatur, in Blutgefäßen zu
beteiligt ist. Man kennt heute fünf ver- Konstriktion
schiedene Muskarinrezeptortypen (M1-5), • D2-Rezeptoren hemmen über prä-
für die Therapie hat diese Differen- synaptische Effekte die Noradrena-
zierung jedoch keine Bedeutung, da es linfreisetzung aus den Speicher-
keine spezifischen Agonisten oder granula
Antagonisten für die Subtypen gibt. • E1-Rezeptoren stimulieren die Herz-
Über Muskarinrezeptoren führt Acetyl- qualitäten
cholin zu Steigerung der Drüsensekre- • E2-Rezeptoren führen zu Erschlaffung
tion (Speicheldrüsen, Schweißdrüsen, der glatten Muskulatur in Bronchien
und Uterus
• (E3-Rezeptoren aktivieren den Fett-
stoffwechsel)

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

34 Das vegetative Nervensystem

Noradrenalin: Noradrenalin hat nur Pilocarpin
lokale Wirkungen. Die wichtigste davon
ist die Konstriktion von Blutgefäßen Pilocarpin ist das einzige direkte Para-
(D1) und die Stimulation der Herz- sympathomimetikum, das therapeu-
qualitäten (E1). tisch verwendet wird und zwar oral zur
Anregung der Speichelsekretion1 und in
Adrenalin: Adrenalin wirkt nach sei- Form einer lokalen Verabreichung am
ner Freisetzung systemisch, die Haupt- Auge zur Therapie des Glaukoms2.
wirkungen sind Stimulation der Herz- Pilocarpin verengt die Pupille; in Folge
qualitäten (E1 und E2), Erweiterung der der Erweiterung des Schlemmschen
Bronchien (E2) und im Stoffwechsel Kanals, also der Abflusswege für das
eine Steigerung des Glykogen- und Kammerwasser, sinkt der Augeninnen-
Fettabbaus (E3). Die Blutgefäße wer- druck.
den durch die konstriktorische Wirkung
der D1-Rezeptoren und die vasodilatie- Nebenwirkungen: Bei zu hoher Do-
rende Wirkung der E2-Rezeptoren unter sierung können Bradykardie, Blutdruck-
Adrenalin uneinheitlich beeinflusst. abfall, Bronchokonstriktion, Erbrechen
und Durchfall auftreten. Mit intravenö-
Arzneimittel mit ser Injektion von 0,5-1 mg Atropin las-
Wirkung auf das vege- sen sich die Nebenwirkungen beherr-
tative Nervensystem schen.

Substanzen, die einen muskarinischen Indirekte Para-
Rezeptor erregen, heißen Parasympatho- sympathomimetika
mimetika, solche die ihn blockieren,
Parasympatholytika. In Analogie erre- Indirekte Parasympathomimetika sind
gen Sympathomimetika einen adrener- Cholinesterase-Hemmstoffe und ver-
gen Rezeptor und von Sympatholytika mindern die Abbaugeschwindigkeit von
wird dieser blockiert. Acetylcholin.

Direkte Parasympatho- Neostigmin3 und
mimetika Pyridostigmin4

Parasympathomimetika sind Substan- Diese reversiblen Hemmstoffe der
zen, die den muskarinischen Acetyl- Acetylcholinesterase werden therapeu-
cholin-Rezeptor erregen. Muskarinische tisch bei atonischer Obstipation und bei
Rezeptoren sind G-Protein-gekoppelte Myasthenia gravis eingesetzt, ferner
Rezeptoren. Eine systemische Gabe von können sie zur Antagonisierung nicht
Acetylcholin würde Bradykardie, Blut- depolarisierender Muskelrelaxantien
druckabfall, Bronchokonstriktion, Er- von Typ Tubocurarin verwendet werden.
brechen und Durchfall hervorrufen. Als Nebenwirkungen sind die Wirkun-
gen des nicht abgebauten Acetylcholins
zu erwarten.

1 A, CH, D: Salagen 4 A, CH, D: Mestinon
2 A: Minims; CH: Spersacarpine; D: Pilocarpol E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie
3 A, CH: Prostigmin; D: Neostig

Das vegetative Nervensystem 35

Phosphorsäureester Wirkungsmechanismus: Atropin ist
ein kompetitiver Hemmer der Muskarin-
Phosphorsäureester wie Parathion rezeptoren.
und v.a. sind irreversible Hemmer der
Cholinesterase und finden daher keine Wirkungen: Atropin steigert die Herz-
therapeutische Verwendung. Bei der frequenz, vermindert den Tonus der
Verwendung als Insektizid kann es zu glatten Muskulatur im Magen-Darm-
Vergiftungen mit diesen Substanzen Kanal (Obstipation), erweitert die Bron-
kommen. Das Gegenmittel ist Atropin, chien, führt zu Mundtrockenheit und
um die Acetylcholinrezeptoren zu hemmt auch die Schweißsekretion, die
blockieren. Schleimsekretion in Nase, Rachen und
Bronchien, sowie die Bildung der Tränen-
Parasympatholytika flüssigkeit.

Vertreter: Alle Arzneimittel, die parasympatho-
lytische (=anticholinerge) Nebenwirkun-
Atropin gen aufweisen (Neuroleptika, Antide-
n-Butylscopolamin1 pressiva u.v.a.) zeigen im Prinzip diese
Ipratropium2 Nebenwirkungen, die auch als atropin-
Oxybutynin3 artige Nebenwirkungen bezeichnet wer-
Tolterodin4 den.
Trospium5
Tiotropium6 Atropinvergiftung: Bei einer Über-
dosis von Atropin kommt es zur Rötung
Parasympatholytika verhindern die der Haut, Trockenheit des Mundes,
kontrahierende Wirkung von körperei- Akkomodationsstörungen, Tachykardie,
genem Acetylcholin auf die glatte Verwirrtheit und Halluzinationen. Der
Muskulatur und werden daher einge- Tod tritt durch eine zentrale Atem-
setzt zur Erweiterung der Bronchien, lähmung ein.
bei Darmspasmen und bei Kontraktio-
nen im Urogenitaltrakt. n-Butylscopolamin

Atropin n-Butylscopolamin ist eine quarternä-
re Ammoniumverbindung und geht
Atropin ist der Prototyp eines Para- daher nicht ins Zentralnervensystem. Es
sympatholytikums. Es blockiert alle wird hauptsächlich als Spasmolytikum
Muskarinrezeptoren unabhängig vom bei Krämpfen im Verdauungstrakt ver-
Subtyp. Therapeutisch wird Atropin wendet.
hauptsächlich als Antidot bei Vergiftun-
gen mit Cholinesterasehemmstoffen Wirkungsmechanismus: n-Butyl-
eingesetzt. scopolamin blockiert M3-Rezeptoren

Wirkung: Es besitzt eine krampflö-
sende Wirkung auf die glatte Musku-

1 A, CH, D: Buscopan 5 A: Spasmolyt; CH: Spasmo-Urgenin;
2 A, CH, D: Atrovent
3 A: Detrusan; CH: Ditropan; D: Oxybutanon D: Spasmex
4 A, CH, D: Detrusitol 6 A, CH, D: Spiriva

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

36 Das vegetative Nervensystem

latur des Magen-Darm-Trakts, der Gallen- Vertreter:
wege und des Urogenitalsystems.
D1-Agonisten, systemisch:
Nebenwirkungen: Im Vordergrund Etilefrin2
stehen anticholinerge Nebenwirkungen Norfenefrin3
wie Mundtrockenheit, Akkomodations-
störungen, Tachykardie, eventuell Harn- D1-Agonisten, lokal:
verhaltung, Schwindel und Blutdruck- Naphazolin4
abfall. Oxymetazolin5
Phenylephrin6
Wechselwirkungen: Die anticholi-
nerge Wirkung anderer Arzneimittel E1-E2-Agonisten:
wird verstärkt, ebenfalls die tachykarde Isoprenalin (keine therapeutische
Wirkung von E-Sympathomimetika. Verwendung)

Schwangerschaft und Stillzeit: n- E2-Agonisten:
Butylscopolamin ist in Schwangerschaft Salbutamol etc. (siehe Broncho-
und Stillzeit unbedenklich. dilatatoren)

Gegenanzeigen: Bei Glaukom, Pros- Adrenozeptoren sind G-Protein-gekop-
tatahyperplasie und Myasthenia gravis pelte Rezeptoren. Je nach der Rezeptor-
ist n-Butylscopolamin kontraindiziert. affinität werden diese Substanzen bei
verschiedenen Störungen eingesetzt.
Ipratropium1
D1-Rezeptoragonisten,
Ipratropiumbromid wird als Hemmer systemisch
der Bronchokonstriktion beim Kapitel
Atmung und als Hemmer einer Brady- Diese Substanzen werden zur Be-
kardie bei den Antiarrhythmika bespro- handlung hypotoner Blutdruckstörungen
chen. verwendet. Die wichtigsten Vertreter
sind Etilefrin und Norfenefrin. Der Unter-
Oxybutynin, Tolterodin, Trospium und schied liegt in der höheren Biover-
Tiotropium werden bei Dranginkonti- fügbarkeit von Etilefrin. Bei Norfenefrin
nenz der Harnblase angewendet. Ent- beträgt sie nur etwa 20-25%, die
sprechend ihrem Wirkungsmechanismus Wirkung ist entsprechend unsicher.
haben sie atropinartige Nebenwirkun-
gen. Nebenwirkungen: Bei höheren Dosen
können Herzklopfen, Unruhe, Schwitzen
Direkte Sympatho- oder pektanginöse Schmerzen auftreten.
mimetika
D1-Agonisten zur
Wirkungsmechanismus: Sympatho- lokalen Anwendung
mimetika sind Substanzen, die die D1,
D2, E1, E2 (E3) Rezeptoren erregen. Die wichtigsten Vertreter sind Napha-
zolin, Oxymetazolin und Phenylephrin.
Die Substanzen werden zur Abschwell-

1 A, CH, D: Atrovent 4 A: Privin; CH: Albalon; D: Privin
2 A, CH, D: Effortil 5 A, CH, D: Nasivin
3 A, CH, D: Novadral 6 A: Visadron; CH: Rexophtal; D: Visadron

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Das vegetative Nervensystem 37

ung der Schleimhäute bei Rhinitis bzw. setzt. Ephedrin wird wegen seiner
unspezifischer Konjunktivitis eingesetzt. gefäßverengenden und dadurch schleim-
hautabschwellenden Wirkung in Kom-
Nebenwirkungen: Bei Überdosie- bination mit anderen Substanzen bei
rung können diese Substanzen zu Erkältungskrankheiten bzw. bei Bron-
Harnretention und Kreislaufstörungen chitis eingesetzt.
führen. Wegen der zentral erregenden
Wirkung kann es zu Schlafstörungen Kokain wird wegen seiner loka-
und bei längerer Anwendung auch zu lanästhetischen Wirkung vereinzelt im
Abhängigkeiten kommen. Eine nur vor- Hals-, Nasen-, Ohrenbereich verwendet.
übergehende Anwendung wird emp-
fohlen. Sympatholytika

E1 und E2- Vertreter:
Rezeptoragonisten
Nicht selektive D-Adrenozeptor-
Vertreter mit diesen Eigenschaften antagonisten:
sind Isoprenalin und Orciprenalin, beide
Substanzen haben keine therapeutische Phenoxybenzamin (therapeutisch nicht
Bedeutung. verwendet)

E2-Rezeptoragonisten Phentolamin (therapeutisch nicht
verwendet)
Dazu gehören Substanzen wie Salbuta-
mol und andere Bronchodilatatoren. D1-selektive Antagonisten:
Diese Substanzen werden im Kapitel Prazosin1
„Atemwege“ ab Seite 75 besprochen. Doxazosin2
Terazosin3
Indirekte Sympatho-
mimetika D2-selektive Antagonisten:
Yohimbin (therapeutisch nicht
Indirekte Sympathomimetika sind verwendet)
Substanzen, die Noradrenalin aus den
Speichergranula der sympathischen D-Blocker zur
Nervenendigungen freisetzen oder sei- Blutdrucksenkung
ne Wiederaufnahme hemmen. Der Sym-
pathikustonus wird erhöht. Zu den indi- Die Blockade von sympathischen D1-
rekten Sympathomimetika gehören Am- Rezeptoren in der Gefäßmuskulatur
phetamin und seine Derivate, ferner führt zur Gefäßerweiterung. D1-Rezep-
Ephedrin und Kokain. toragonisten wie Doxazosin oder Ura-
pidil4 sind nicht mehr Mittel der Wahl
Amphetaminderivate (Methylphenidat) zur Behandlung von Bluthochdruck.
werden zur Behandlung des hyperkine-
tischen Syndroms bei Kindern einge- D-Blocker bei benigner
Prostatahyperplasie
1 A: Minipress; CH: –; D: Minipress
2 A: Prostadilat; CH: Cardura; D: Doxacor D1-Blocker können bei benigner Pros-
tatahyperplasie den Harnfluss steigern.

3 A: Vicard; CH: Hytrin; D: Flotrin
4 A, CH, D: Ebrantil

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

38 Das vegetative Nervensystem

Neben Terazosin und Doxazosin werden
auch Alfuzosin1 und Tamsulosin2 ver-
wendet.

Nebenwirkungen: Eine Blutdruck-
senkung tritt selten auf. Nebenwir-
kungen können sein Schwindel, ortho-
statische Hypotonie, Tachykardie, pek-
tanginöse Beschwerden und migränear-
tige Kopfschmerzen durch Gefäßer-
weiterung im Kopf.

Wechselwirkungen: Eine Kombina-
tion mit anderen gefäßerweiternden
Substanzen wie Kalziumantagonisten,
ACE-Hemmern und E-Blockern kann die
Nebenwirkungen verstärken.

E-Rezeptorantagonisten
bei Bluthochdruck

E-Rezeptorantagonisten (E-Blocker)
werden zur Therapie von Bluthochdruck
(siehe Kapitel „Bluthochdruck“, Seite
55) sowie zur Therapie tachykarder
Herzrhythmusstörungen (siehe Kapitel
„Herzrhythmusstörungen“, Seite 71)
verwendet. Diese Substanzen werden in
diesen Kapiteln erörtert.

1 A, CH: Xatral; D: Urion 2 A: Alna; CH: Pradif; D: Alna
E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Histamin und Serotonin 39

HISTAMIN UND SEROTONIN

HISTAMIN

Vorkommen: Histamin ist ein basi- synaptische Rezeptoren, deren Erre-
sches Amin und kommt in den meisten gung die Histaminfreisetzung hemmt
Geweben vor. Hohe Konzentrationen (Autorezeptoren).
findet man in der Lunge, der Haut und
im Gastrointestinaltrakt. Im Gewebe Funktionen
findet sich Histamin in Mastzellen und
basophilen Granulozyten. Die Magensäuresekretion wird über
H2-Rezeptoren durch Histamin stimu-
Freisetzung: Freigesetzt wird Hista- liert. Die Hemmung dieser Rezeptoren
min durch Gewebszerstörung (Verletzun- ist ein wichtiger therapeutischer Angriffs-
gen), durch IgE vermittelte allergische punkt, die Magensäure zu reduzieren.
Reaktionen sowie durch chemische
Substanzen, respektive Arzneimittel. Die glatte Muskulatur in den Bron-
Substanzen, die Histamin freisetzen chien und Bronchiolen, aber auch ande-
sind Bienengift und Wespengift, sowie re glatte Muskel wie die Darmmusku-
die Arzneimittel Morphin, Tubocoura- latur werden durch Histamin kontra-
rin, Chloroquin und jodhaltige Röntgen- hiert. Histamin ist einer der wichtigsten
kontrastmittel. Auslöser der gehemmten Atemfunktion
bei Bronchialasthma.
Freisetzungshemmung: Die Arznei-
mittel Cromoglicinsäure1, Nedocromil2, Blutgefäße werden von Histamin über
aber auch Betasympathomimetika wie H1-Rezeptoren erweitert und am Her-
Salbutamol3 können die Freisetzung von zen wird die Frequenz und das Auswurf-
Histamin hemmen (siehe Seiten 76-80). volumen über H2-Rezeptoren gestei-
gert. In der Haut (nach Injektion) führt
Rezeptoren: Wir kennen drei ver- Histamin zu Rötung über Gefäßerwei-
schiedene Histaminrezeptoren: H1-, H2- terung, zu Blasenbildung durch Erhö-
und H3-Rezeptoren, alles G-Protein ge- hung der Permeabilität und zu Juckreiz
koppelte Rezeptoren. Die H1-Rezepto- durch Stimulierung sensibler Nerven.
ren sind hauptsächlich für die allergi-
sche Reaktion verantwortlich und die Im Zentralnervensystem ist Histamin
H2-Rezeptoren für die Magensäure- ein wichtiger Neurotransmitter. Blocka-
sekretion. Die H3-Rezeptoren sind prä-

1 A: Intal; CH: Lomudal; D: Intal 3 A: Sultanol; CH: Bronchovent; D: Sultanol
2 A: Tilade; CH: Tilarin; D: Tilade

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

40 Histamin und Serotonin

de von H1-Rezeptoren im Zentralnerven- Vertreter der ersten Generation wie Di-
system führt zu Sedierung, einer Neben- phenhydramin oder Doxylamin werden
wirkung der H1-Rezeptorantagonisten. wegen der stark sedierenden Nebenwir-
kung auch als Schlafmittel eingesetzt.
Arzneimittel, die an Diphenhydramin und Meclozin finden
Histaminrezeptoren auch als Antiemetika Verwendung
wirken (siehe Seite 87). Die Antihistaminika
der zweiten Generation gelten als nicht-
Wirkungsmechanismus: H1-Anti- sedierende H1-Antihistaminika.
histaminika blockieren neben H1-Re-
zeptoren auch cholinerge Rezeptoren Nebenwirkungen können sein: Anti-
und besitzen eine lokalanästhetische cholinerge Nebenwirkungen wie Mund-
Wirkung. trockenheit und gastrointestinale Störun-
gen sowie unspezifische Nebenwirkun-
Wirkungen: H1-Antagonisten blockie- gen wie Kopfschmerz und Schwindel.
ren alle Wirkungen des Histamins wie
Urticaria, allergische Rhinitis, Bindehaut- Schwangerschaft und Stillzeit: H1-
entzündung, Juckreiz bei Insektenstichen Antihistaminika können in der Schwan-
und Reaktionen bei Arzneimittelallergien. gerschaft zur Behandlung allergischer
Erkrankungen eingesetzt werden. Für
die Stillzeit empfehlen sich Loratadin
und Cetirizin als Antiallergika.

Tab. 1: H1-Antihistaminika, wichtige Vertreter

1. Generation Diphenhydramin1

Meclozin2

Doxylamin3

Pheniramin4

Bamipin5

Dimetinden6

Ketotifen7

Emedastin8

2. Generation Cetirizin9
Fexofenadin10
Loratadin11
Levocabastin12
Desloratadin13

1 A: Calmaben; CH: Bedorma; D: Betadorm 7 A, CH, D: Zaditen-Produkte
2 A: Contravert; CH: Duremesan; D: Postafen 8 A, CH, D: Emadine Augentropfen
3 A: Wick; CH: Sanaleps; D: Gittalun 9 A, CH, D: Zyrtec
4 A, CH: Neo Citran; D: Conjunctival 10 A, CH, D: Telfast
11 A: Clarityn; CH: Claritine; D: Lisino
Augentropfen 12 A, CH: Livostin; D: Livocab
5 A, CH, D: Soventol-Produkte 13 A, CH, D: Aerius
6 A: Fenistil-Produkte; CH: –;

D: Fenistil-Produkte

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Histamin und Serotonin 41

H2-Antihistaminika Säureerkrankungen des Magens. Durch
die Einführung der Protonenpumpen-
H2-Antihistaminika wie Ranitidin1 hemmer haben sie heute weitgehend
oder Famotidin2 sind einsetzbar bei an Bedeutung verloren (siehe Seite 85).

SEROTONIN

Vorkommen: 90% des Gesamtkörper- rezeptoren 5, 6 und 7. Der Serotonin 5-
Serotonins ist in den sogenannten en- HT3-Rezeptor ist ein Ionenkanal, die
terochromaffinen Zellen der Darm- anderen Serotoninrezeptoren sind G-
schleimhaut gespeichert. Von dort Protein gekoppelte Rezeptoren.
gelangt Serotonin ins Blut, wo es sich in
den Thrombozyten anreichert. Im Funktionen
Nervensystem des Darmes und des
Zentralnervensystems ist Serotonin in Im Gastrointestinaltrakt stimuliert Se-
Nervenendigungen gespeichert, kann rotonin die Motilität. Über die Stimu-
von dort freigesetzt und dorthin wieder lierung von 5-HT3-Rezeptoren der Darm-
aufgenommen werden. wand kann es über afferente Nerven
zum Auslösen eines Brechreizes kom-
Freisetzung: Im Darm wird Seroto- men. So lässt sich die brechenerregen-
nin durch sympathische und parasym- de Wirkung von Cisplatin erklären.
pathische Nerven sowie intrinsische
Neurone des Darm-Nervensystems frei- Die glatte Muskulatur im Uterus und
gesetzt. Auch Toxine und Chemothera- im Bronchialbaum wird ebenfalls von
peutika wie Cisplatin können Serotonin Serotonin kontrahiert.
aus den enterochromaffinen Zellen frei-
setzen. Im Zentralnervensystem wirken In den Blutgefäßen bewirkt Serotonin
Amphetamin, eine zentral erregende über verschiedene Rezeptoren eine
Substanz, Fenfluramin, ehemals ein Vasokonstriktion. Auch bei der Entsteh-
Appetitzügler und MDMA (Ecstasy), ung der Migräne ist Serotonin beteiligt.
früher Appetitzügler, heute eine Disco- Moderne Migränetherapeutika, die Trip-
droge, auch auf die Serotoninfrei- tane, führen über Serotoninrezeptoren
setzung aus Neuronen. zu Gefäßverengung und damit zu
Schmerzstillung bei der Migräne.
Rezeptoren: Die bekanntesten Sero-
toninrezeptoren sind die 5-HT1-4 Rezep- Aus den Thrombozyten wird Sero-
toren, wobei der Serotonin 5-HT1- tonin durch Aktivierung mit ADP oder
Rezeptor 3 Subtypen und der Serotonin Thromboxan A2 freigesetzt.
5-HT2-Rezeptor 2 Subtypen aufweist.
Weniger bekannt sind die Serotonin- Im Zentralnervensystem ist Serotonin
an der Kontrolle der Emotion, des Schlaf-
1 A, CH: Zantac; D: Zantic
2 A: Ulcusan; CH: –; D: Fadul

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

42 Histamin und Serotonin

Wach-Rhythmus, des Blutdrucks, der Die wichtigen Arzneimittel in Tabelle 2
Körpertemperatur und des Appetits werden in den entsprechenden Kapiteln
beteiligt. Zahlreiche Antidepressiva er- abgehandelt. Im folgenden soll nur auf
höhen die Konzentration an Serotonin die Therapie der Migräne, die später
im synaptischen Spalt und beeinflussen nicht mehr vorkommt, eingegangen wer-
so die Stimmung. den.

Tab. 2: Arzneimittel die über Serotoninrezeptoren wirken

5-HT-Rezeptoragonisten

Triptane (5-HT1-Agonisten) Sumatriptan1
Naratriptan2
Rizatriptan3
Zolmitriptan4
Almotriptan5
Frovatriptan6
Eletriptan7

Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren: Buspiron8 (Anxiolytikum siehe Seite 118)
Urapidil9 (Antihypertensivum, über
präsynaptische 5-HT1A-Rezeptoren)

Trizyklische Antidepressiva (siehe Seite 112)
Selektive Serotonin Rückaufnahme-
Inhibitoren (SSRI) (siehe Seite 112)

Serotoninantagonisten: Atypische Neuroleptika (siehe Seite 110)

Serotonin 5-HT3-Antagonisten: Antiemetika (siehe Seite 87)

1 A, CH, D: Imigran 6 A: Eumitan; CH: –; D: Allegro
2 A: Antimigrin; CH, D: Naramig 7 A, CH, D: Relpax
3 A, CH, D: Maxalt 8 A, CH: Buspar; D: Bespar
4 A, CH: Zomig; D: AscoTop 9 A, CH, D: Ebrantil
5 A: Almogran; CH: –; D: Almogran

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Histamin und Serotonin 43

Therapie der Migräne Nebenwirkungen: Schmerzen, Krib-
beln, Hitze, Schweregefühl, Druck und
Die während einer Migräneattacke ab- Engegefühl im Brustraum und Hals kön-
laufenden Pathomechanismen sind noch nen vorübergehend auftreten. Andere
immer nicht restlos geklärt. Über die Akti- Symptome können Erröten, Schwindel,
vierung serotoninerger Neurone kommt Schwächegefühl, Müdigkeit und Be-
es zuerst zu Vasokonstriktion und zu nommenheit sein. Das Herz-Kreislauf-
einer perivaskulären Entzündung. In der System betreffen Hypotonie, Bradykar-
Folge kommt es zu Vasodilatation, die, Tachykardie, Herzklopfen, vorüber-
Prostaglandin- und Kininfreisetzung und gehender Blutdruckanstieg und unter
zur Erregung nozizeptiver Nervenendi- Umständen Herzarrhythmien. Selten
gungen, die in Schmerz resultiert. treten Übelkeit und Erbrechen, visuelle
Gleichzeitig kommt es zur Freisetzung Beeinträchtigung und geringfügige
von Neuropeptiden wie Substanz P, Veränderungen der Leberfunktion auf.
CGRP und VIP, die die perivaskuläre
Entzündung aufrechterhalten. Kombinationsmöglichkeit: Eine Kom-
bination mit Metoclopramid ist em-
Anfallstherapie pfehlenswert zur Magenentleerung.

Der akute Migräneanfall kann mit Nicht- Wechselwirkungen: Triptane sollen
Opioidanalgetika wie Acetylsalicylsäure nicht mit anderen gefäßverengenden
und Paracetamol (siehe Seite 121) be- Substanzen wie Ergotamin kombiniert
handelt werden. Da während eines werden. Bei einer Kombination mit
Migräneanfalles die Magenentleerung Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren
verzögert ist, ist es sinnvoll, Metoclo- (SSRI) kann es zu einem Serotonin-
pramid1 zur Motilitätssteigerung des Ma- syndrom kommen (siehe unten).
gens und damit zur Resorption der ein-
zunehmenden Analgetika, zu verabrei- Schwangerschaft und Stillzeit:
chen. Eine neue Behandlungsmethode Schwere Anfälle während der Schwan-
sind die Triptane. gerschaft können mit Sumatriptan be-
handelt werden und sind auch in der
Wirkungsmechanismus: Die Tripta- Stillzeit, wegen kurzzeitiger Behand-
ne sind Serotoninantagonisten und füh- lung, nicht gefährlich.
ren über 5-HT1D-Rezeptoren zu Vaso-
konstriktion, zu einer Hemmung der Gegenanzeigen: Gegenanzeigen sind
Freisetzung vasodilatatorisch wirkender ein überstandener Herzinfarkt, ischämi-
Neuropeptide und zu einer direkten sche Herzerkrankungen, koronare Vaso-
neuronalen Hemmung der nozizeptiven spasmen und andere periphere Gefäß-
Nervenendigungen. erkrankungen; auch Schlaganfallpa-
tienten sollen keine Triptane erhalten.
Wirkungen: Die Wirkung ist eine Eine gleichzeitige Gabe von MAO-
rasche Schmerzlinderung nach Aufnah- Hemmern ist kontraindiziert.
me eines Triptans.

1 A, CH, D: Paspertin
E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

44 Histamin und Serotonin

Das Serotoninsyndrom

Das Serotoninsyndrom, ein Zusammen-
treffen verschiedener und spezifischer
Symptome, wurde lange Zeit nicht er-
kannt. Es tritt als Nebenwirkung von
Arzneimitteln oder als Wechselwirkung
mehrerer Arzneimittel auf, die in irgend-
einer Weise Serotonin erhöhen.

Arzneimittel, die allein oder in Kombination ein Serotoninsyndrom
auslösen können:

x Selektive Serotonin-Rückauf- xAntiemetika (Serotonin-5-HT3-
nahme-Inhibitoren (SSRI) Rezeptorantagonisten)

x Trizyklische Antidepressiva (TCA) xMigränemittel (Triptane)
x Opiate (vor allem Tramadol) xHustenmittel (Dextromethorphan)
xMAO-Hemmer (Moclobemid) u.a.

Wichtige Symptome eines Serotoninsyndroms sind:

x Fieber xÜbelkeit
x Schüttelfrost xDurchfall
x Zittern xUnruhe
x Muskelzuckungen x Verwirrung
x Hyperreflexie xBlutdruckanstieg
x Klonische Krämpfe x EKG-Veränderung
x Agitiertheit xNierenschädigung
x Schweißausbruch xLeberschädigung

Therapie des
Serotoninsyndroms

Das Serotoninsyndrom dauert nur etwa
12-24 Stunden und kann am besten mit
Benzodiazepinen beherrscht werden.
Auch das atypische Neuroleptikum Olan-
zapin1 hat sich bewährt.

1 A, CH, D: Zyprexa

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

Blut 45

BLUT

Tab. 1: Arzneimittel für das Blut Niedermolekulares Heparin wie z.B.
Dalteparin1 oder
Injizierbare Antikoagulantien Enoxaparin2

Orale Antikoagulantien Phenprocoumon3
Fibrinolytika
Tenecteplase4
Thrombozytenaggregationshemmer Alteplase5

1 A, CH, D: Fragmin Acetylsalicylsäure
2 A: Lovenox; CH, D: Clexane Clopidogrel6
3 A, CH, D: Marcoumar
4 A, CH, D: Metalyse
5 A, CH, D: Actilyse
6 A, CH, D: Plavix

BLUTSTILLUNG (Hämostasis)
UND THROMBOSE

Blut besteht aus Blutplasma, zusam- ist ein pathologischer Zustand, der im
mengesetzt aus Blutserum und Fibrino- venösen Schenkel durch Koagulation
gen, und den Blutkörperchen mit den des Plasmas unter geringer Beteiligung
roten (Erythrozyten) und weißen Blut- der Blutplättchen und im arteriellen
körperchen (Leukozyten) sowie den Blut- Schenkel in Verbindung mit Athero-
plättchen (Thrombozyten). Für die Blut- sklerose und einem großen Anteil an
stillung verantwortlich sind das, mit Blutplättchen abläuft. Ein Thrombus
dem Fibrinogen in Verbindung stehen- kann mit dem Blut weggespült werden
de Blutgerinnungssystem und die und dann die Blutzufuhr zur Lunge
Blutplättchen. Blutgerinnung ist lebens- (Lungenembolie) oder die Herzkranz-
notwendig für den Verschluss beschä- gefäße (Herzinfarkt) verstopfen. In die-
digter Blutgefäße. Dabei spielen die ses Geschehen kann man mit Anti-
Plättchenaggregation und die Blutko- koagulantien bzw. mit Thrombozyten-
agulation zusammen. Eine Thrombose aggregationshemmern eingreifen.

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie

46 Blut

Antikoagulantien niertes Heparin aktiviert Antithrombin
III, welches in der Folge Thrombin und
Vertreter: Faktor Xa hemmt.

Injizierbare Antikoagulantien Wirkung: Unfraktioniertes Heparin
Unfraktioniertes Heparin1 weist eine stark antithrombotische und
Niedermolekulares Heparin antikoagulatorische Wirkung auf.
Heparinoide (topisch)2
Fondaparinux3 Dosierung: Je nach Indikation
Melagadran 5.000-20.000 I.E. alle 6-12 Stunden
Lepirudin4
Wirkungseintritt und -dauer: Die
Orale Antikoagulantien Wirkung tritt sehr rasch ein und hält, in
Phenprocoumon5 Abhängigkeit von der Dosis, 6-12 Stun-
Acenocoumarol6 den an.
Warfarin7
Ximelagadran8 Applikationsform: Durchstichflaschen
zur mehrmaligen Entnahme und intra-
Heparin venösen oder subkutanen Injektion.

Heparin ist ein körpereigenes Gemisch Unfraktionierte Heparine sind heute
aus verschiedenen Mucopolysacchariden. weitgehend von niedermolekularen He-
Es hemmt Blutgerinnungsfaktoren, so- parinen aus der Therapie verdrängt und
dass es nicht zur Thrombenbildung sollen daher nicht genauer besprochen
kommt. Der Mechanismus der Wirkung werden.
ist eine Antithrombin III Aktivierung und
in der Folge eine Hemmung von Throm- Niedermolekulare Heparine
bin. Unfraktioniertes Heparin bindet
sowohl an Antithrombin III als auch an Vertreter:
Thrombin, während niedermolekula-
res Heparin nur an Antithrombin III Certoparin9
bindet, das in der Folge direkt den Dalteparin10
Faktor Xa hemmt. Danaparoid11
Enoxaparin12
Unfraktioniertes Heparin1 Nadroparin13
Reviparin14
Wirkungsmechanismus: Unfraktio- Tinzaparin15

Wirkungsmechanismus: Niedermole-
kulare Heparine entfalten ihre Wirkung

1 A, CH, D: Heparin 9 A, CH: Sandoparin; D: Mono-Embolex
2 A, CH, D: Hirudoid 10 A, CH, D: Fragmin
3 A, CH, D: Arixtra 11 A, CH, D: Orgaran
4 A, CH, D: Refludan 12 A: Lovenox; CH, D: Clexane
5 A, CH, D: Marcoumar 13 A: Fraxiparin; CH: Fraxiparine; D: Fraxiparin
6 A, CH, D: Sintrom 14 A: Clivarin; CH: –; D: Clivarin
7 A: –; CH: –; D: Coumadin 15 A: Innohep; CH: –; D: Innohep
8 A, CH, D: Exanta

E. Beubler – Kompendium der Pharmakologie


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