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Published by vancik.beg, 2024-01-17 01:40:54

Baumeister - Dezember 2023

Baumeister - Dezember 2023

BAU MEISTER Dezember 23 120. JAHRGANG Das ArchitekturMagazin B12 D 17,50 € A,L 19,95 € CH 24,90 SFR 4 194673 017505 12 Zum Dahinfließen. Wohnen in Backstein


Baumeister B5 / 2018 curated by Baumeister B6 / 2023 curated by David Adjaye UNStudio Baumeister B6 / 2019 curated by Reinier de Graaf / OMA Baumeister B7 / 2020 curated by Winy Maas / MVRDV Baumeister B6 / 2021 curated by Snøhetta Baumeister B6 / 2022 curated by Sauerbruch Hutton SHOP.GEORG-MEDIA.DE


COVERFOTO: „FROM THE KNEES OF MY NOSE TO THE BELLY OF MY TOES“ – ALEX CHINNECK. PHOTOGRAPHY BY STEPHEN O‘FLAHERTY Was für ein Jahr. 2023 hat uns mit so einigem konfrontiert. Weltpolitisch, aber auch architektonisch. In diesen höchst bewegten Zeiten freue ich mich besonders, mit der vorliegenden BAUMEISTER-Ausgabe das Jahr mit Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, abschließen zu dürfen. Die Redaktion und ich waren stets auf der Suche nach den spannendsten Projekten und Geschichten, die wirklich relevant für unsere Branche sind. Dabei schlitterten wir allesamt in die Auswirkungen einer Baukrise, die von so vielen weiteren Herausforderungen flankiert wird, und versuchen, so nehme ich es zumindest wahr, möglichst positiv gestimmt, Wege aus dieser Bedrängnis zu finden. Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts, die sich auf das vergangene Quartal beziehen, lassen weitere Hoffnungsschimmer zu. Resilienz ist dieser Tage das Zauberwort. Die zahlreichen komplexen Entwicklungen werden uns sicherlich auch 2024 nicht in Frieden lassen, und so liegt es doch Tag für Tag an jedem von uns, seinen bescheidenen Teil zu einer positiven und nachhaltigen Zukunft beizutragen, nicht wahr? Nun zu dieser Ausgabe. Wer den BAUMEISTER kennt, weiß, wie sehr wir gemauerte Projekte schätzen und wie sehr uns Ziegel – und vor allem die gute alte Wand – am Herzen liegen. In diesem Heft fokussieren wir uns auf gemauerte Architektur, die vorzugsweise am Wasser liegt. Wenn man über gemauerte Projekte spricht, spricht man sehr schnell vom Bestand. Auch in diesem Heft blicken wir auf Lösungen, die den Abriss alter Bestandsgebäude verhinderten und Mauerwerk zu neuem Glanz verhelfen. Denn: Bestand erhalten ist doch immer noch die nachhaltigste aller Optionen. So pickten wir uns einige spannende deutsche und europäische Projekte heraus, die überraschend bodenständig und dadurch besonders frisch daherkommen. Wie kommen die Projekte bei Ihnen an? Apropos bodenständig – ein wenig Bodenständigkeit täte insbesondere gerade der Signa Real Estate gut. Sie ist wegen des Baustopps des Hamburger Elbtowers in die Schlagzeilen der Republik geraten. Der Elbtower wurde von Chipperfield Architects entworfen und leidet aktuell unter der finanziellen Schieflage der Signa-Holding, welche dem österreichischen Milliardär René Benko gehört. Der Norden Deutschlands hat, abseits der Hamburger HafenCity, aber natürlich noch viel mehr zu bieten als große Signature-Projekte. Vor allem im Hinblick auf gemauerte Architektur am Wasser kann man hier wahre Schätze finden. Diese Schatzsuchermentalität haben wir für diese Ausgabe ganz besonders für uns gepachtet. Auch wenn die Januarausgabe 2024 ihren offiziellen Erscheinungstermin noch Ende Dezember 2023 hat, möchte ich an dieser Stelle die Chance nutzen und Ihnen frohe Weihnachten sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen. Besonders in diesen geopolitisch schwierigen Zeiten wünsche ich Ihnen erholsame und friedliche Feiertage im Kreise Ihrer Liebsten. Familie und Freunde sind für viele von uns doch ein Bestandteil von Beständigkeit im Leben, oder? Ich glaube, dass uns allen ab und an etwas Beständigkeit guttut. Diese Beständigkeit kann ich Ihnen insofern versprechen, als wir mit dem BAUMEISTER natürlich auch im kommenden Jahr, Krisen hin oder her, jeden Tag an Ihrer Seite stehen. Ich freue mich über Feedback, Verbesserungsvorschläge und natürlich auch Lob. Schreiben Sie mir gerne. B12 Editorial Herzlichst, Tobias Hager [email protected] @baumeister_architekturmagazin


B12 Wohnen in Backstein FOTOS VON LINKS: JOHAN DEHLIN; ZIEGEL-ZENTRUM; FSB Gelungene Nachverdichtung. Der Wohnhof im Londoner Stadtteil Clapham bietet fast klösterliche Stille abseits der Hauptstraße.


Ideen Fragen Lösungen 5 M E H R Z U M T H E M A L E S E N S I E A S NU F U E R E R W E B S I T E . BAU MEISTER. D E RUBRIKEN 2 8 SONDERFÜHRUNG 5 6 UNTERWEGS 7 0 BAUMEISTER.DE 100 REFERENZ 109 IMPRESSUM + VORSCHAU 110 PORTFOLIO: BAD 114 KOLUMNE Passend zu unserer Novemberausgabe und der Reise mit dem Orient Express finden Sie umfangreiche Gastronomie-Projekte in den ausgewählten Städten des Hefts wie Bars, Restaurants und Bäckereien auf: www.baumeister.de/tags/gastronomie 90 Branchenfeature: Zukunftsfähige Traditionsbaustoffe 94 Wandbaustoffe 102 Türen und Tore 84 Unendliche Möglichkeiten ? Kleiner Überblick zu den Sichtmauerwerksverbänden 18 Siedlung „Rietzoom“ in Rotterdam 30 Wohnen und Arbeiten am Zollhafen Mainz 40 Siedlung „Apart Together“ in Heemskerk 48 Weserhöfe in Bremen 58 Wohnhof in London 72 Quartier Heidestraße „Core“ in Berlin


prämiert am Wasser Ziegelbau Unsere Beispiele im Heft sind jeweils mit einem Icon ausgestattet, das die Projekte dem Wohnen am Wasser zuordnet oder als prämierte Wohnbauten ausweist.


Zum Jahresabschluss widmen wir uns dem Thema „Wohnen in Backstein“ und Projekten, die in jüngster Zeit mit Ziegeln errichtet worden sind. Dabei nehmen wir vor allem das Wohnen am Wasser in den Blick, bei dem Backsteinsichtmauerwerk seit jeher Tradition ist. Den Auftakt unserer Backsteinschau aber bildet ein künstlerisch-handwerkliches Kleinod.


Schicht um Schicht. Die Mauern der Kapelle bestehen aus recycelten Kirchenbibern, die vom Dach der alten Ruhpoldinger Pfarrkirche stammen.


Einführung 9 WEITER AUF SEITE 16 Klein, dunkel, konzentriert, bescheiden steht die neue Kapelle im Schatten des weiß strahlenden Diözesanmuseums auf dem Domberg in Freising. Die Kapelle wurde zur Eröffnung vom Erzbischof gesegnet, aber ist als Andachtsraum zugleich begehbare Skulptur der New Yorker Bildnerin Kiki Smith. Starke weibliche Positionen zeitgenössischer Kunst auf den Domberg zu bringen und in einen Dialog mit der unvergleichlichen Sammlung sakraler Kunst treten zu lassen, ist das erklärte Programm Christoph Kürzeders, Direktor des Diözesanmuseums. Nach Berlinde de Bruyckeres Erzengel im Lichthof des Museums wird nun „The Chapel of Mary‘s Mantle“ von Kiki Smith zur bleibenden Installation. Den Standort auf der westlichen Kante des Plateaus hat sich die Künstlerin selbst gewählt. Der Blick hinunter zur Freisinger Altstadt und hinüber nach Weihenstephan war ihr wichtig. Besonders aber die Ausrichtung zur untergehenden Sonne. Denn anknüpfend an eine frühere Arbeit wollte sie eine Glasmalerei zum wesentlichen Teil ihres Sanktuariums machen. Doch welche Form sollte die Kapelle bekommen? Kiki Smith gibt zu, von Architektur wenig zu verAus alten Dachziegeln haben Brückner & Brückner neben dem Diözesanmuseum auf dem Domberg in Freising eine Kapelle für die New Yorker Künstlerin Kiki Smith geschaffen. Text: Ira Mazzoni Fotos: Thomas Dashuber


10 Einführung


Mit großem handwerklichen Geschick wurde der streng geometrische Entwurf von Brückner & Brückner umgesetzt.


Einführung 13 1 Schnitt A 2 Schnitt B 3 Dachaufsicht 4 Grundriss 5 Nordwestansicht Gebäudehülle Kapelle 1 2 3 5 Linke Seite: Das Tuch der Schutzmantelmadonna und die Glasmalerei im ovalen Fenster stammen von Kiki Smith. 4


14 Einführung Vergoldete Heiliggeisttaube auf dem First und ihre Entsprechung im Inneren der Kapelle FOTO LINKS: DIÖZESANMUSEUM FREISING


16 Einführung stehen. Sie dachte einfach an eine „Box“. Dies überzeugte aber die Museumsleitung nicht. So kamen Brückner & Brückner Architekten ins Spiel, die das Diözesanmuseum umgebaut, nach allen Seiten dem Licht geöffnet und zu dem gemacht haben, was es heute, ein Jahr nach der Wiedereröffnung, ist: ein Magnet auch für Menschen, die weite Blicke schätzen. Gebrauchte Steine Die Baustellen auf dem Domberg brachten die Architekten auf die Idee, die Kapelle aus alten Dachziegeln aufmauern zu lassen. Schließlich transferierte die Gemeinde von St. Georg in Ruhpolding ihre teils schadhaften, über 50 Jahre alten Kirchenbiber. Es fand sich auch ein im Gewölbebau versierter Handwerker, der sich traute, erstmals mit diesem Material zu bauen. Entstanden ist ein stark reliefiertes, dreischaliges Mauerwerk, das außen in vier Metern Höhe nahtlos in ein Kreuzdach übergeht und innen schon bodennah zu einem Kreuzrippengewölbe ansetzt, das sich in sechs Meter Höhe schließt. Die Biber sind dabei so verlegt, dass immer die glatten Kanten nach außen stehen. Eine ausgleichende Ziegelschicht ist um wenige Zentimeter nach innen versetzt. So können die Trasszementmörtelfugen klein gehalten werden. Durch die Vor- und Rücksprünge entsteht ein schönes Lichtund Schattenspiel auf den changierenden, teilweise angebrochenen Ziegeln. Alle Wände innen und außen scheinen leicht in Bewegung. Innen umso mehr, als beidseits Nischen für kleine ovale Bänke gemauert werden mussten und in der Westwand eine Nische für Kerzen sowie hoch oben das Fensteroval. Das Fugenbild echot die Nischenform in seitliche Bewegung. Die nur 16 Quadratmeter messende Kapelle bietet einen Raum des Bei-sich-Seins. Licht fällt durch das 2,10 Meter hohe Fenster, auf dessen mundgeblasenem Flachglas Kiki Smith in den Werkstätten der Mayer‘schen Hofkunstanstalt in blassestem Blau einen sanften Vollmond gemalt hat. Dem Fenster gegenüber hat die Künstlerin den vergoldeten Aluminiumguss einer Heiliggeisttaube anbringen lassen. Die Plastik reflektiert das Tageslicht weich zurück auf die Westwand, wo im Halbdunkel das Jacquard-Tuch „Mary’s Mantle“ an einem Haken hängt, als hätte die Schutzmantelmadonna es gerade dort abgelegt. Kunst und Baukunst Die Kapelle ist durch ihre einmalige Ziegelarchitektur ein berührend inniger, bescheidener Ort geworden. „Capella“ hat übrigens die ursprüngliche Bedeutung von „kleiner Mantel, Kapuzenmantel“. Und so vereinen sich Bau und Installation zu einer Gesamtheit. Das Rippengewölbe „faltet“ sich ähnlich wie der nach einer Grafik von Kiki Smith gewebte Marienmantel am Wandhaken. Es bildet einen halbdunklen oder sanfthellen Bergeraum um die Eintretenden. Dem Team von Brückner und Brückner ist in Abstimmung mit Kiki Smith und in Zusammenarbeit mit dem Gewölbebauer Alois Huber ein Kleinod handwerklicher Baukunst geglückt. Die in Nürnberg geborene und in New Jersey aufgewachsene Künstlerin Kiki Smith hat ein vielfältiges Werk geschaffen, darunter Skulpturen, Malerei, Zeichnungen, Kupferdrucke und Collagen, Fotografien und Tapisserien. Eine ihrer jüngsten Arbeiten, die begehbare Raumskulptur „Mary’s Mantle“ auf dem Domberg Freising, ist der Schutzmantelmadonna gewidmet. Kiki Smith FOTO: DIÖZESANMUSEUM FREISING/THOMAS DASHUBER


Siedlung in Rotterdam Wohnen und Arbeiten in Mainz Siedlung in Heemskerk Weserhöfe in Bremen Wohnhof in London Quartier Heidestraße in Berlin SEITE 3 0 SEITE 1 8 SEITE 4 8 SEITE 7 2 SEITE 4 0 SEITE 5 8


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Ideen 19 Wie hierzulande fehlen auch in den Niederlanden vor allem flexibel gestaltete Wohneinheiten. Die Siedlung „Rietzoom“ in den Rotterdamer Poldern verfügt allerdings nicht nur über eine Variationsbreite an Wohnungszuschnitten, sondern dazu kommen unterschiedliche Farbnuancen und Mauerwerksverbände für eine informellere, abwechslungsreiche Erscheinung. Architekten: Orange Architects Text: Klaus Englert Fotos: Sebastian van Damme 1 Der Name Rietzoom der Siedlung bedeutet so viel wie Schilfrand oder Schilfsaum. Das Ensemble besteht aus zwei Mehrfamilienhäusern (im Foto links) und mehreren Reihenhäusern. am Wasser Ziegelbau


20 Ideen 2


2 Siedlungstypologie mit Variationen: Mal sind zwei, drei oder fünf Reihenhäuser zusammengefasst. 3 Lageplan 3


22 4 Abwechslungsreich: Fassadenspiel mit Fensterformaten und verschiedenfarbigen Klinkern 5 Die Architekten suchten lange nach geeigneten Ziegeln und entschieden sich schließlich für handgefertigte Backsteine, die bei verschiedenen Temperaturen gebrannt werden, um unterschiedliche Farbtöne für bestimmte Fassadenteile oder Mauerwerksverbände zu erzielen. 4 5


Ideen 23 Zwischen dem Wohnbauprojekt „Rietzoom“ von Orange Architects in Rotterdam und Marlies Rohmers „Apart Together“ in Heemskerk (siehe Seite 40) fallen einige interessante Gemeinsamkeiten auf: Die Lage in einer eher ländlichen Gegend, die variierende Klinkerbauweise, die Staffelgeschosse, die Flachdächer, die Zusammenführung der Wohnhäuser in drei Ensembles. Beide Projekte – das eine in den Rotterdamer Poldern zwischen Innenstadt und Flughafen, das andere im Amsterdamer Vorort – bedienen die in den Niederlanden niemals abgeebbte Vorliebe für Klinkerarchitektur. Sie zeugen vom nachhaltig lebhaften Interesse, die Einsatzmöglichkeiten des Klinkers in seinen unterschiedlichsten Formen und Farben zu testen. Man könnte noch eine weitere Gemeinsamkeit anführen. Jeroen Schipper, einer der Partner bei Orange Architects, meint, dass zahlreiche Senioren ihre Stadtwohnungen verkaufen, um hernach in ruhige, ländliche Wohngegenden zu ziehen. Das ist offensichtlich auch bei der Siedlung Rietzoom der Fall, die von alten Baumbeständen, Wiesen und Entwässerungskanälen umgeben ist. Die Wahl einer gewissen provinziellen Abgeschiedenheit macht also beide Projekte aus. Allerdings entschieden sich Orange Architects für eine Siedlungstypologie, die mehr auf Variation setzt: Inmitten eines Rings von Kanälen und entlang der Tinbergenlaan platzierten sie auf beiden Seiten unterschiedliche Ensembles aus zwei, drei und fünf Wohnhäusern. Die Gestaltung der Fassaden folgt zwar den gleichen Charakteristika, doch prima vista soll – wie Schipper betont – der informelle Eindruck überwiegen: „etwas informeller, expressiver und extravaganter“. Markante Vor- und Rücksprünge Insgesamt vermitteln die zwei Mehrfamilienhäuser mit 17 Apartments und die 18 Reihenhäuser – verglichen mit den Wohnbauten Apart Together in Heemskerk – einen urbaneren Charakter, zudem haben die einen Häuser drei, die anderen vier Geschosse. Zusammen mit den recht unterschiedlichen Staffelgeschossen lässt sich tatsächlich von einem größeren Maß an Informalität sprechen. Und doch kommt diese Informalität auch in der Rietzoom-Siedlung nicht ohne Regelmäßigkeit daher. Wie eingesetzte Bilderrahmen treten die Erkerfenster aus der Fassade hervor und betonen den Kontrast zur Lochfassade. Immer wieder tauchen die Ecktürme mit ums Eck gezogenen Fensteröffnungen auf, desgleichen Loggien, Balkone, geschosshohe Fenster und die klar gestalteten Hauseingänge aus Holz. Um die Fassaden möglichst variabel oder „informell“ gestalten zu können, verschoben die Architekten die tragenden Wände zwischen die einzelnen Häuser der jeweiligen Ensembles. Das mag ein konstruktiver Trick sein, er ist aber die Grundlage für größere Gestaltungsfreiheit, die dem Erscheinungsbild von Rietzoom mit seinen markanten Vor- und Rücksprüngen zugutekommt. Aus handgefertigten Ziegeln Schließlich bleibt, als taktiles und visuelles Merkmal, der Umgang mit dem Mauerwerksverband. Das bedeutet, Form und Farbigkeit der Klinker spielen auch für Orange Architects eine große Rolle. Deswegen suchten die Rotterdamer lange nach dem geeigneten Produktionsort. Man fand ihn in einer alten Fabrik im Zentrum der Niederlande. Hier war es noch möglich, handgefertigte Ziegel zu erhalten, die bei verschiedenen Temperaturen gebrannt werden, um unterschiedliche Farbtöne für bestimmte Fassadenteile oder Mauerwerksverbände zu erzielen. Das erinnert natürlich an Mecanoos großartige freistehende Mauer im erweiterten Freilichtmuseum von Arnheim, ein skulpturales Farbkunstwerk. Doch den Rotterdamer Architekten geht es eher darum, die Variationsbreite in den Farbnuancen aufzuzeigen. Sie wollen demonstrieren, wie der Wechsel von geriffelten zu glatten Verbänden sowie das Changieren von Farbnuancen den Fassadeneindruck lebendiger macht. Beispielsweise wählten sie für die beiden, im rechten Winkel zueinander platzierten Häuser der Zweiergruppe, die sich jeweils durch ein Attikageschoss auszeichnen, einen leuchtenden Rotton beziehungsweise ein sehr mattes Rot. Das schafft Kontraste, die sich gut in die umgebende Parklandschaft einpassen. In den Niederlanden fehlen eine Million Wohnhäuser: Eigentumswohnungen, Mietwohnungen, geförderte Wohnungen, Seniorenresidenzen. Vor allem – wie hierzulande – flexibel gestaltete Wohneinheiten für Gruppen mit geänderten Nutzungsinteressen. Auch an diese Gruppen dürften Orange Architects gedacht haben.


6 + 8 Geräumige Terrasse und Eingangsbereich in einem der Mehrfamilienhäuser 7 Die benötigten Autostellplätze konnten unter der begrünten Böschung versteckt werden. 6 7 8


Ideen 25


26 Erdgeschoss 1. ObergeschossM 1:250 Reihenhäuser Fassadenansicht und Vertikalschnitt Mehrfamilienhaus CA.M 1:50


Ideen 27 B A U H E R R : Dura Vermeer Bouw Zuid West A R C H I T E K T E N : Orange Architects, Rotterdam S T A D T P L A N U N G : Stadt Rotterdam TRAGWERKSP L A N U N G : Kaskon BRANDSCHUTZ/ B A U P H Y S I K : S&W Consultancy, Vlissingen F E R T I G S T E L L U N G : 2021 S T A N D O R T : Park 16Hoven, Rotterdam 1. Obergeschoss Ansicht und Querschnitt Erdgeschoss M 1:750 M 1:400 Mehrfamilienhäuser


Die Bundeskunsthalle in Bonn hat sich einen Rückblick auf die Postmoderne vorgenommen – und wie! Die Ausstellung „Alles auf einmal: Die Postmoderne, 1967–1992“ ist ein intensiver Parcours, der vor lauter Modellen, Musikvideos, Fotografien, Zeitschriften, Zitaten, Möbeln, Mode-Entwürfen, Installationen und Kunstwerken aus allen Nähten platzt. Eine Palme von Hans Hollein, flimmernde Fernseher, poppigbunte Möbel von Memphis, Gaetano Pesce oder dem unvermeidlichen Ettore Sottsass. Immer mehr, noch mehr: Lampe und Lehnstuhl von Archizoom, das Konzeptauto Karin, das Trevor Fiore für Citroën entwickelte, eine Nachbildung der Fassade des „Guild House“ von Venturi/ScottBrown und eine Fassade von der Strada Novissima auf der 1980er-Architekturbiennale Venedig. Und bevor man Luft holen kann: ein hinreißendes Fotoshooting mit 1980er-Jahre-Modeln im schrillen Kunstlicht vor Stirlings Stuttgarter Staatsgalerie und und und … Der Kopf schwirrt. Die Postmoderne war exzentrisch, überkandidelt, extrem individualistisch, bunt, irgendwie zuckrig, schrill – tja, und selbstverliebt? Der britische Architekt Nigel Coates, selbst ein überzeugter Postmoderner, hat für die Ausstellung ein Bühnenbild entworfen, das all diese Vorurteile nicht nur bestätigt, sondern sogar noch verstärkt. „Die Postmoderne“, schreibt Coates, sei „vielleicht ein Zustand, der, wie eine Stadt, alle konkurrierenden Phänomene des modernen Lebens manifestiert“. Entsprechend inszeniert er die Ausstellung als Stadtkulisse mit Skylines, Straßen, Fassaden, Werbetafeln. Objekte stehen auf bunten Podesten. Zebrastreifen auf dem Boden täuschen einen geschützten Übergang vor, den es jedoch nirgends gibt. Überall in der Ausstellungshalle prasselt alles gleichzeitig von allen Seiten auf uns ein. Orientierung gibt es kaum und wenn, dann bleibt sie kryptisch. Man kann sich nur treiben lassen, sich den Reizen aus allen Richtungen ganz hingeben – oder flüchten. Aber wer rausgeht, verpasst das alles: das Modell von Charles Moores „Piazza d’Italia“, Gordon Matta-Clarks Hauszersägung „Split“, Musikvideos von Madonna, Roxy Music und Eurythmics, Blasen von Coop Himmelb(l)au, Walter Pichler, SITE, Peter Eisenman und hinter jeder Ecke wieder Sottsass. Auch der 300-Seiten-starke, vergnüglich zu lesende Katalog sei zur weiteren Vertiefung empfohlen. Am Ende ist man erschöpft und gleichermaßen froh, zwar dabei gewesen, aber wieder draußen zu sein. Erleichtert begrüßt man die reizarme Bonner Außenwelt, und auch Peichls Bundeskunsthalle erscheint nun, im Rückspiegel, als doch recht rationales Bauwerk. Vermisst haben wir nur John Outram, Leon Krier und vielleicht noch Queen, die mit ihrer Mischung aus Rock und Oper doch auch sehr postmodern waren. Die hätten den passenden Refrain geliefert: „I want it all. I want it all. I want it all. And I want it now!“ Unbedingt hingehen. 28 Sonderführung Alles auf einmal: Die Postmoderne, 1967–1992 in der Bundeskunsthalle Bonn Text Florian Heilmeyer Sehenswert: die Bonner Überdosis Postmoderne. Mit dabei das Mendini-Sofa von 1990 und das Citroën-Modell Karin (1980) FOTO OBEN: COLLECTION GRONINGER MUSEUM; UNTEN: FONDS DE DOTATION PEUGEOT POUR LA MEMOIRE DE L‘HISTOIRE INDUSTRIELLE 29.9. bis 28.1. 2024


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Ideen 31 Das Gelände für fünf Baufelder am Mainzer Hafenbecken wird zusätzlich von schmalen Grachten durchzogen. Auf einem der Felder ist nun eine gelungene Mischung aus Wohnen und Arbeiten entstanden: ein fünfgeschossiger Gewerbebau, dazu drei- und viergeschossige Wohnbauten, die in ihrem Ziegelkleid sowohl Bezug auf frühere Industriebauten des Zollhafens als auch auf niederländische Kanalhäuser nehmen. Architekten: Meck Architekten Text: Katharina Matzig Fotos: Florian Holzherr An rheinischen Grachten 1 Sorgfältige Klinkerdetails: Auf Lücke gesetzt, ermöglichen die Backsteine die Belüftung von Nebenräumen im Gewerbebau direkt am Kanal. am Wasser Ziegelbau


2 Nach dem Vorbild schmaler, niederländischer Grachtenhäuser sind die Fassaden der fünf „Townhouses“ auf der Geländenordseite vertikal gegliedert. 3 Lichtes Grau umhüllt den L-förmigen Gewerbebau unten in der Bildmitte. In Beige-Rot wurden die dreiund viergeschossigen Wohnbauten gemauert. 2 3


Ideen 33


34 4 Die Grundrisse sind durchgesteckt, da sich aus Lärmschutzgründen zu einer Seite die Fenster nicht öffnen lassen. Die oberen, loftartigen Wohnungen werden sogar ausschließlich über eine Atriumterrasse belüftet. 5 Im Westen und Osten rücken die Wohnbauten von den flankierenden Grachten ab, um den insgesamt 45 Apartments im Erdgeschoss privaten Grünraum zu bieten. Links: Die öffentliche Terrasse. Der Gewerbebau stößt direkt an die Kanäle. 4 5


Ideen 35 „So gruben sich denn auf dem kaum gewonnenen Gelände die Fundamente ein, und allmählich stiegen monumentale Gebäude aus dem Boden, wo vor Kurzem noch das Wasser des Rheins seine Wellen getrieben.“ Die Festschrift anlässlich der Einweihung des Zollhafens am 5. Juni 1887 entspricht in ihrem Pathos dessen Größe von zwölf Hektar Wasser- und 15 Hektar Landfläche. Verantwortlich für die monumentalen Gebäude sowie die Verlegung des alten Hafens – schon die Römer trieben von Mainz aus Handel – war Eduard Kreyßig: Weitsichtig verdoppelte er damals das Stadtgebiet und ermöglichte neue Bau- und Industrieflächen durch die Verengung und Vertiefung des Rheins. Dass Malcolm P. McLean vom US-amerikanischen Newark Mitte der 1950er-Jahre Container auf Reisen schickte und das Transportwesen und Hafenanlagen auf der ganzen Welt revolutionierte, konnte der Mainzer Stadtbaumeister nicht ahnen. Glück im Unglück: Als der Schiffsverkehr an ein neues Container-Terminal im Industriehafen auf die Ingelheimer Aue verlegt wurde, entstand auf dem innerstädtischen Zollhafengebiet Platz für insgesamt etwa 2.500 Einwohner und geschätzte 4.000 Arbeitsplätze. Neuanfang im Mainzer Hafen 2004 wurde ein Workshopverfahren durchgeführt, es mündete in ein Kooperatives Gutachterverfahren und in einen Rahmenplan. Der Umbau des von Eduard Kreyßig geplanten Kesselhauses zur Kunsthalle durch Zamp Kelp Neo.Studio setzte 2008 den Impuls, 2013 begann die Bebauung des südlichen Areals. 2017 gewann das Münchner Büro Meck Architekten, das nach dem Tod von Andreas Meck 2019 von Axel Frühauf allein weitergeführt wird, den Wettbewerb für den Kaufmannshof, die sogenannte Hafeninsel V. Investoren-Euphemismus ist das ausnahmsweise nicht: Das Gelände wird nicht nur vom alten Hafenbecken gesäumt und hat Blick auf den Rhein, Latz und Partner gewannen zudem mit dem Vorschlag, acht Meter breite Grachten zwischen den insgesamt fünf Baufeldern anzulegen: Das artifizielle Ökosystem ermöglicht heute Wohnen und Arbeiten allseits umgeben von Wasser. 2022 wurde das am westlichen Ende des Hafenbeckens liegende, nach Nordosten geöffnete Geviert fertiggestellt. Monumental sind die Gebäude, die aus dem Boden stiegen, allerdings nur im ursprünglichen Sinn des Wortes „Monument“, als „große bildhauerische Arbeit“. Dabei ging es Axel Frühauf und seinem Team vor allem um komfortable und praktikable Grundrisse. Schließlich erforderte die Nähe zu einem der größten Arbeitgeber der Stadt, der Schott AG, besonders hohe Schallschutzmaßnahmen. Ein Lärmschutzgutachten legte den Grundstein für die leichte Verdrehung der einzelnen Baukörper, die im Westen und Osten von den flankierenden Grachten abrücken, um die insgesamt 45 Wohnungen im Erdgeschoss mit privatem Grünraum zu versorgen, während der L-förmige Gewerbebau direkt an die Kanäle stößt. Eine Brücke verbindet mit der Tiefgarage und dem Innenhof, von dem aus sämtliche Räume erschlossen werden. Der gewünschten Flexibilität – im Durchschnitt sind die Wohnungen 74 Quadratmeter groß – tut die dem Lärmschutz geschuldete Organisation jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil: Die Tragstruktur und die Installationsführung ermöglichen die unkomplizierte Versetzung der Leichtbauwände, lediglich die Küchen und Bäder sind fix. Selbst bei den fünf Townhouses, die am sogenannten Loop, der öffentlichen Hafenpromenade, platziert wurden, ist die Raumnutzung variabel. Je nach Bedarf reicht der kompakte Wohn-, Koch- und Essraum im Erdgeschoss. Wer mehr Platz wünscht und zur Verfügung hat, wohnt im ersten Obergeschoss. Sämtliche Räume, auch die der Wohnungen, wurden mit Stäbchenparkett aus Eiche ausgestattet. Grachtenhäuser in Ziegel Die Verwendung von Klinkern liegt nahe in einem ehemaligen Hafengebiet. Überaus sorgfältig detaillierten die Architekten die Vollsteinfassaden: Auf Lücke gesetzt, ermöglichen sie die Belüftung, und sie betonen die dunkel gerahmten, teils zu Loggien eingerückten Fenster als Rollschichten hochkant. Lichtes Grau umhüllt den fünfgeschossigen Gewerbebau, beige-rot wurden die drei- und viergeschossigen Wohnbauten gemauert, deren Fassaden nach dem Vorbild niederländischer Grachtenhäuser vertikal gegliedert sind. Die Häuser, so Axel Frühauf, wirken, als hätten sie zwei Kleider an, ein graues und darüber das rotbeige. Durchbrochen wird das elegante Gewand von schmalen Notüberläufen, die Gebäude kommen ohne außenliegende Entwässerung aus. Denn beim hohen Anspruch an die Gestaltung waren sich Architekten, Bauherrschaft und Stadt einig: Von Beginn bis Ende der Planungs- und Baumaßnahmen diskutierte und kontrollierte ein Qualitätsrat die Vorschläge und Entscheidungen. Und damit ist Mainz anderen Städten, die Hafengelände transformieren und Wohn- und Lebensraum am Wasser entwickeln, Schiffslängen voraus.


36 Ideen 7 Schmal wie ein Grachtenhaus: Wohnen im Townhouse 8 Teeküche mit Außenterrasse im obersten Geschoss des Gewerbebaus 7 8


38 Querschnitt M 1:500 Wandaufbau Wohnungsaußenwand Klinker-Vorsatzschale, Dünnformat, Läuferverband, Farbe braun-grau, 115 mm Fingerspalt 10 mm Mineralfaserdämmung 160 mm Stahlbetonwand 200 mm Gipsputz als Dünnlagenputz, Oberfläche geglättet 10 mm Anstrich Dispersionsfarbe B A U H E R R : CAMG Zollhafen HI IV V GmbH & Co. KG, Grünwald A R C H I T E K T E N : Meck Architekten GmbH, München www.meck-architekten.de M I T A R B E I T E R : Andreas Meck †, Axel Frühauf Friederike Henne, Sofie Langenscheidt, Frederik Moest, Verena Reich T R A G W E R K S P L A N E R : Grebner Ingenieure GmbH, Mainz B R A N D S C H U T Z : Petry & Horne Ingenieure, Mainz-Drais M 1:66 Fassadenschnitt Wohnbau


Ideen 39 Regelgeschoss 3. Obergeschoss Erdgeschoss M 1:1000 T G A : Planungsbüro HPS Matthias Hain, Mainz-Kastel F R E I R A U M P L A N U N G : Latz + Partner Landschaftsarchitektur Stadtplanung Architektur Partnerschaft mbB, Kranzberg W E T T B E W E R B : 2017, 1. Preis F E R T I G S T E L L U N G : 2022 ZIEGELHERSTELLER: Privatziegelei Hebrok S T A N D O R T : Wohnen und Arbeiten im Kaufmannshof am Zollhafen, An den Grachten 3 – 17, Mainz


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Ideen 41 Für sich und doch zusammen 1 Niedrige Umfassungsmauern grenzen die privaten Terrassen zum Landschaftspark ab. am Wasser Ziegelbau Die 24 Seniorenwohnungen in Heemskerk profitieren von der Nähe zur Nordsee und den ortstypischen Dünenformationen, vor allem aber von ihrer Lage in einem Landschaftspark. Der kubisch entwickelte Entwurf passt sich mit seinem ornamentalen, sandfarbenen Ziegelkleid homogen zwischen Strand und Grün ein. Architektin: Marlies Rohmer Text: Klaus Englert Fotos: Roos Aldershoff, Andreas Secci


2 Jeweils acht Hofhäuser bilden zusammen die drei überschaubaren Cluster. 3 Lageplan 4 Zu jedem Haus gehört etwas privates Grün neben der Haustür. 2 3


Ideen 43 4


44 Ideen 5 Die sandfarbenen Ziegel sind windmühlenflügelartig um eine grün glasierte Mitte angeordnet. 6 Die acht Patiohäuser umschließen einen gemeinsamen Hof. Geparkt wird zwischen neu angepflanzten Bäumen. 6


45 1 Blickbeziehung zum Park 2 Terrassen 3 Privates Grün 4 Parken 5 Gemeinsamer Hof 5 1 2 3 4 5


46 Ideen Die nordholländische Kleinstadt Heemskerk liegt vor den Toren Amsterdams und in unmittelbarer Reichweite von Zaandam, das durch Wilfried van Windens kurios-postmodernes Häuserstapel-Hotel eine gewisse Berühmtheit erlangte. Zum Glück setzt sich Heemskerk wohltuend von derlei Kuriositäten ab – lieber betont man die Nähe zur Nordsee und den markanten Dünenformationen, gerne hebt man auch die städtischen Landschaftsparks hervor. In einem dieser bewaldeten Parks, inmitten von Heemskerk und angrenzend an die 1960er-JahreSiedlung „Die Die“, setzte die Amsterdamer Architektin Marlies Rohmer, die vornehmlich durch ihre „Floating Houses“ in Ijburg bekannt wurde, die Seniorenresidenz „Apart Together“. Aus der Nähe wird sofort deutlich, dass sich das dreiteilige Ensemble klar von den größeren Komplexen unterscheidet, die beispielsweise in den letzten Jahren von der Stadtverwaltung in Auftrag gegeben wurden. Rohmer versucht, dem von der Landschaft geprägten Wohnprojekt eine andere Richtung zu geben. Denn in Heemskerk ist der Eindruck einer dorfähnlichen Atmosphäre vorherrschend. Die Planungsvorgaben, die Apart Together auszeichnen, sind geschützter Wohnraum, größere Persönlichkeitssphäre für die Bewohner bei gleichzeitig gewährleistetem, nachbarschaftlichem Bezug. Eben wie der Name Apart Together sagt. Derartige Projekte werden durch die niederländische Regierung gefördert, weil zusehends der familiäre Zusammenhalt durch die soziale Mobilität der Familienangehörigen geschwächt wird und man gerne dieser Tendenz etwas entgegensetzen möchte. Abstand und Nähe Das Resultat lässt sich in Heemskerk besichtigen: Wohnen in überschaubaren Clustern auch für die Gruppe der über 75-Jährigen. Es versteht sich von selbst, dass es sich nicht um Wohnzellen handelt, die Gottfried Böhm noch vor fünfzig Jahren für die Seniorenresidenz in Düsseldorf-Garath errichtete, sondern um flexible Wohnräume für eine begüterte Klientel mit entsprechenden Ansprüchen. Wie hat Marlies Rohmer diese administrativen Vorgaben baulich umgesetzt? Die Lösung besteht in einer größtmöglich variablen Bauweise, die den persönlichen Lebensbereich respektiert, aber ebenso soziale Nähe garantiert. Außerdem wurde Wert auf den Mehrgenerationenaspekt gelegt, denn in unmittelbarer Nähe und inmitten des Landschaftsparks befindet sich der Komplex KJC Heliomare, ein großes Zentrum für Therapie, Rehabilitation und Sonderpädagogik für Kinder und Jugendliche. Die Geschosshöhe und Flachbauweise der Seniorenresidenzen sind dem angrenzenden Sozialzentrum angepasst, ebenso die Einbettung in bereits vorhandene Baumgruppen. Dabei entwickelte Rohmer die drei doppelgeschossigen Ensembles mit jeweils acht „Häusern“ wie miteinander verzahnte, aber dennoch unabhängige Siedlungseinheiten, mit eigener, zentraler Erschließung. Sie konnte einen Landschaftspfad nutzen, der Seniorenresidenz und Sozialzentrum nun zusammenführt. Diese unspektakuläre Einbettung in den Landschaftspark trägt viel zur besonderen Atmosphäre der Siedlung bei. Kubische Landschaft Für Marlies Rohmer stellte sich die grundlegende Frage: „Wie kann Architektur dazu beitragen, dass Senioren, die zur ständig wachsenden Gruppe der Über-75-Jährigen gehören, möglichst unabhängig bleiben können?“ Die architektonische Lösung liegt in zweigeschossigen Patiohäusern, markanten Vor- und Rücksprüngen sowie einer um vierzig Zentimeter erhöhten Terrasse mit vorgelagertem Garten. Der privateste Außenbereich ist der Innenhof, der zwischen die Wohnkuben platziert ist. Schließlich kommen noch die unterschiedlich hohen, begrünten Dachterrassen hinzu, deren Nutzung beispielsweise bei vorgelagertem Altan möglich ist. Einzig die obersten Dachterrassen sind ausschließlich für die Installation von Photovoltaikanlagen vorgesehen. Das bedeutet, für Rohmer sind gut gestaltete Außenräume nahezu gleichrangig mit den Innenräumen. Herausragendes Merkmal der Apart-TogetherSiedlung sind selbstverständlich Gestalt, Farbe und Materialität der jeweiligen Residenzen. Marlies Rohmer setzte auf die ornamentalen, taktilen und plastischen Klinkereigenschaften. Dabei wählte sie bräunliche, handgefertigte Ziegel aus der Produktion bei Nordhorn an der niederländischen Grenze. Die Entscheidung fiel auf einen Mauerwerksverband mit horizontal und vertikal vermauerten Läufern, um den ornamentalen Aspekt der Fassade zu verstärken. Klinkerfarbe, zusammen mit grünen Punktierungen der oberen und Sockelgeschosse, sowie grüne Markierung der Dachkanten erweisen sich als stimmiges Merkmal des landschaftsbezogenen Architekturkonzepts. Nicht zuletzt: Die Seniorenresidenz als skulptural geformte, kubische Landschaft mit den grünen Patios und Dachgärten passt sich geradezu homogen in Heemskerks Park ein.


47 Längsschnitte 1. Obergeschoss Erdgeschoss M 1:500 M 1:333 Nachbarschaftlicher Bezug + geschützte Privatsphäre BAUHERR: Gemeente Heemskerk/ Bouwbedrijf DeNijs ARCHITEKTEN: Marlies Rohmer Architecture & Urbanism Marlies Rohmer (Entwurf) M I T A R B E I T E R : Etienne de Mortier, Kilian Mol, Mariska van Eldonk, Jonathan de Veen, Edward O’Neill B A U U N T E R N E H M E N : Strackee F E R T I G S T E L L U N G : 2023 KLINKER: Deppe BacksteinKeramik GmbH S T A N D O R T : 24 Wohnungen nahe KJC Heliomare, de Velst 100 – 146, Heemskerk, Niederlande


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Ideen 49 Inzwischen selten geworden sind Projekte, die zentrumsnahes Wohnen und Arbeiten bieten. Die „Weser-Höfe“ gehören dazu und liegen zudem direkt am Fluss in einem ehemaligen Bremer Gewerbequartier. Gut 25 Prozent geförderter Wohnungsbau konnten untergebracht werden, der hinter der dicken, einheitlichen Ziegelhaut zumindest äußerlich für Wohnbedingungen sorgt, die keine sozialen Barrieren aufbauen. Architekten: Léonwohlhage Text: Cornelia Krause Fotos: Jan Bitter Dicht gepackt in bevorzugter Lage 1 Für die vielen kleinen Wohnungen in den Weserhöfen bieten die Loggien als geschütztes, grünes Zimmer eine komfortable Raumerweiterung. am Wasser Ziegelbau


2 Ein Wechsel aus Loggien und Balkonen sorgt mit Vor- und Rücksprüngen für eine lebendige Erscheinung des großen neuen Wohnblocks. 3 Nordwestliche Hofansicht mit Spielplatz 2 3


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