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Von Kapstadt nach Stellenbosch, weiter entlang der Gardenroute und der Route 6

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Published by otto.petrovic, 2023-04-30 03:53:56

Südafrika März 2023

Von Kapstadt nach Stellenbosch, weiter entlang der Gardenroute und der Route 6

IN DIE VIELFALT WEIRD 1 WEIRD Not: Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic In die Vielfalt des südafrikanischen Lebens In die Vielfalt


Vielfalt Ubuntu Ubuntu ist eine Lebensphilosophie in den afrikanischen Subsahara-Ländern. Sie rührt vom Wissen her, dass jeder Mensch einem größeren Ganzen angehört. Ein Mensch mit Ubuntu ist offen und zugänglich für andere, fühlt sich durch andere bestätigt und nicht bedroht. Gegensätze Die weißen Holländer bekämpfen ab 1652 die schwarzen Einheimischen, dann die Briten die Holländer. Beide einigen sich auf eine Rassentrennung und sperren die Schwarzen in Townships. Erfahren Von Kapstadt aus an die Universität Stellenbosch. Eine abenteuerliche Fahrt im Nachtbus zum Indischen Ozean. Rauf in die Berge und entlang der Route 62 bei Gegensturm zum südlichsten Punkt Afrikas. Die wundersame Heilung vom Totalschaden und weiter an das Kap der Guten Hoffnung. Kapstadt Das historische Stadtzentrum ist von zahlreichen holländischen und britischen Bauten geprägt. Aber auch von ganzen Stadtteilen, aus denen die Einheimischen vertrieben wurden, um sie in Townships einzusperren. Harte Kost für mich ist der Stadtbezirk V&A Waterfront von Einheimischen „Disneyland“ genannt. Gebaut nur für Touristen und Superreiche. Township Langa – in die Slums von Kapstadt Monatelanges Vorbereiten um Zoo-Tourismus zu vermeiden. Chippa und Uwara zeigen mir die verschiedenen Vierteln und machen mich mit Bewohnern bekannt. Bei einem Naturheiler und einem Bischof finde ich Nachtquartiere. Aus dem Tagebuch Notizen vom Hinflug am 14. bis zur Rückkehr am 27. März 2023.


4 WEIRD IN DIE VIELFALT Ubuntu ist eine Lebensphilosophie in den afrikanischen Subsahara-Ländern. Desmond Tutu: „Ein Mensch mit Ubuntu ist offen und zugänglich für andere, fühlt sich durch sie bestätigt und nicht bedroht, weiß um die Fähigkeiten und Güte anderer. Wer Ubuntu besitzt hat eine ausgeprägte Selbstsicherheit, die vom Wissen herrührt, dass er oder sie einem größeren Ganzen angehört.“ Ubuntu Menschlichkeit und Gemeinsinn: „Ich bin, weil wir sind.“


IN DIE VIELFALT WEIRD 5 Im Township Langa bei Kapstadt.


6 WEIRD IN DIE VIELFALT Ich ersuche die Kellnerin das Essen für den Nachbartisch bei mir abzustellen und sich zu setzen. Damit ich sie für meine Kinder fotografieren kann. Am Weg nach Stellenbosch.


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8 WEIRD IN DIE VIELFALT Totalschaden am südlichsten Punkt Afrikas Am Cape Agulhas bricht mein Schaltwerk, das Rad hat Totalschaden. Mein Nachtquartier liegt 60 Kilometer im Norden, zu weit zum Gehen, da es bald finster ist. Wo ich heute etwas zu essen und einen Schlafplatz bekomme, ist unklar. Das Fortsetzen der Tour scheint unmöglich. Ich frage zwei Einheimische nach dem Weg zur nächsten Tankstelle und trage das Rad bis dort hin. Thando der Tankwart hat einen Freund, der mich führen kann. Er ruft ihn mit meinem Handy an, seines und die seiner Freunde haben keine Airtime mehr. Er fahre gleich her. Kaya hält sein Versprechen und kommt bereits nach zwei Stunden mit dem Auto seiner Frau. Er sei ein Mann Gottes, war Fernfahrer, aber tagelang ohne seine vier Kinder – darunter litt er zu sehr. Er fand keine andere Arbeit, wurde Drogensüchtig, begann schließlich mit Crystal Meth zu handeln. Darauf stehen 25 Jahre Gefängnis. Gott half ihm von den Drogen loszukommen. Jetzt hilft er bei der Tankstelle aus und wurde ein Mann Gottes. Reich will er nicht werden, aber wenn seine Kinder, seine Frau jeden Tag etwas zu essen haben, ist er glücklich. Vielleicht kann er seiner Tochter auch einmal das so sehr ersehnte Kinderfahrrad kaufen. Zwei, drei Jahre wird er noch dafür arbeiten müssen. Wenn ich am nächsten Tag ein Auto nach Kapstadt benötige, hat er einen Freund, der mich gern führt. Er sei auch ein Mann Gottes und absolut vertrauenswürdig. Ich danke ihm tausendmal, er hat mir eine sehr schwierige Nacht erspart, bringt mich jetzt sogar zum geplanten Nachtquartier. Kurz bevor wir es erreichen, ersuche ich ihn, noch zu einem Geldautomaten zu fahren. Dass Kaya mir am nächsten Tag nochmals schreiben wird, um sich zu erkundigen wie es mir geht und ob alles in Ordnung ist, wusste ich noch nicht.


IN DIE VIELFALT WEIRD 9 Das Unmögliche wird war Ansa und Andre warten bereits in ihrem Haus in Bredasdorp auf mich, wundern sich über meine späte Ankunft und begrüßen mich besonders herzlich. „This gentleman helped me so much today“ sind meine ersten Worte. Dann erkläre ich, was geschah und wie sehr ich Kaya zum Dank verpflichtet bin. Dann verabschiede ich mich von meinem Helfer in dieser doch sehr heiklen Situation und gebe ihm für das Rad seiner Tochter das notwendige Geld. Ich muss meine ganze Überredungskunst einsetzen, damit er es nimmt und vergesse dafür die Hälfte meines Gepäcks in seinem Auto. Er bringt es mir nach wenigen Minuten zurück. Ansa gibt mir einen riesen Tiegel mit Handpasta zum Reinigen meiner ölverschmierten Hände und Beine. Sie fahren beide morgen nach Stellenbosch, wo sie studierten. Ob ich mitkommen möchte? Stellenbosch – dort holte ich doch vor am Beginn der Tour in einer gut sortierten Radwerkstatt den Karton für die Nachtfahrt mit dem Bus. Natürlich, gerne! Im Morgengrauen starten wir und es entwickelt sich ein hochinteressantes Gespräch über die politische, ökonomische und soziale Lage Südafrikas. Ansa stammt aus Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika und ihr Vater exportiert Avocados. Andre ist Agraringenieur und in Bredasdorp geboren. Die Verabschiedung ist besonders herzlich, niemals dachte ich, mit dem kaputten Rennrad schon am nächsten Morgen in eine Fachwerkstätte zu kommen. Sie sollten den Schaden – fast – beheben können und ich werde in wenigen Stunden am Strand von Somerset West frühstücken. Gestern noch undenkbar. Ansa schreibt mir noch zweimal, ob alles in Ordnung ist und ich noch Hilfe benötige.


10 WEIRD IN DIE VIELFALT “Er sprach von einem Reisenden, der die Weiten eines Landes durchquert. Sobald er in ein Dorf oder eine Stadt kommt, muss er nicht nach Essen fragen, sondern ihm wird einfach so Essen angeboten, genauso wie ein Schlafplatz und andere Dinge, die er braucht. Nelson Mandela über Ubuntu


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12 WEIRD IN DIE VIELFALT Die weißen Holländer bekämpfen ab 1652 die schwarzen Einheimischen, dann die Briten die Holländer. Beide einigen sich auf eine Rassentrennung und sperren die Schwarzen in Townships. 1994 wird Nelson Mandela Präsident, an der Rassentrennung hat sich seither nicht viel geändert.


IN DIE VIELFALT WEIRD 13 Gegensätze


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20 WEIRD IN DIE VIELFALT Erreichen der Südspitze Afrikas Am 23. März 2023 erreiche ich mit dem Rennrad bei Starkwind das Kap der Guten Hoffnung. Der Portugiese Bartolomeu Diaz schafft dies bereits 1488. Die niederländische Vereinigte Ostindien Kompanie beauftragt im Jahr 1652 Jan van Riebeeck mit der Gründung eines Versorgungspostens am Kap, um Handelsschiffe am Weg nach Ostindien mit Trinkwasser und Nahrung zu versorgen. Auch ein Hospital wird zur Versorgung der wegen Vitaminmangels oftmals an Skorbut erkrankten Schiffsbesatzungen errichtet. Die niederländische Regierung verbietet die Kolonialisierung der Region und ist um ein gutes Auskommen mit der einheimischen Bevölkerung bemüht. Wiege der Menschheit Vier Millionen Jahre vor Diaz und Riebeeck lebt bereits ein früher Vorfahre des Menschen, der Australopithecus africanus, im heutigen Südafrika. Zehntausende Jahre bevor ich die Kapregion bereise, siedeln dort die San und Khoikhoi, später abwertend als Hottentotten und Buschmänner bezeichnet. Sie sind Südafrikas indigene Bevölkerung. Heute leben sie in traditioneller Form nur mehr vereinzelt in Wüstengegenden. Am Ende der Reise wohne ich einige Tage im Township Langa. Die meisten Bewohner sind Xhosa. Sie kommen um das Jahr 1000 aus nördlicheren Regionen mit anderen Bantu Stämmen nach Südafrika und stellen gemeinsam mit den Zulu heute den Hauptteil der schwarzen Bevölkerung. Auch Chippa, mein Guide im Township Langa, ist Xhosa. Die Invasion beginnt Bereits im Jahr 1657 errichten Angestellte des Versorgungspostens gemeinsam mit holländischen Calvinisten und norddeutschen Siedlern die erste Kolonie und betreiben Getreideanbau und Viehzucht. Bald kommen französische Hugenotten aus dem Piemont hinzu und beginnen den Weinbau in Stellenbosch und Franschhoek. Die weißen Siedler bezeichnen sich als „Afrikaaner“ und Buren, zu deutsch „Bauern“. Sie vertreiben die einheimischen Khoikhoi im Kampf um Land, Vieh und Wasserquellen aufgrund ihrer überlegenen Waffentechnik immer mehr in unfruchtbare Gegenden. Obwohl es die Vereinigte Ostindien Kompanie in Amsterdam untersagt, werden die Einheimischen zu abhängigen Arbeitern, Viehhirten und schließlich zu Sklaven gemacht. Zusätzlich dezimiert die von Europa eingeschleppte Pockenepidemie die ansässige Bevölkerung stark. Gleichzeitig werden aus Indonesien, Indien, Madagaskar und Mosambik Sklaven verschleppt. Ihr Status unterscheidet sich von amerikanischen Sklaven etwas dadurch, dass sie nicht grundlos getötet werden dürfen. Die Lebensgefährtin meines Gastgebers George ist eine ihrer Nachfahren, später als Kapmalaien bezeichnet. Im Jahr 1806 zwingen die ebenfalls im Indienhandel engagierten Briten mit 6.700 Kämpfern die Holländer zur Übergabe der Kapkolonie. Bald beginnt die Christianisierung und riesige Gold- und Diamantenvorkommen werden entdeckt. Niederländer und Briten führen Krieg Die Abschaffung der Sklaverei im Britischen Empire entzieht 1834 den Buren ihre Existenzgrundlage. Um der britischen Gesetzgebung zu entkommen, wandern sie ins Hinterland, besiegen die dort ansässigen Zulu und gründen zwei Burenrepubliken. Als 1886 das größte Goldvorkommen der Welt entdeckt wird, ziehen immer mehr britische Goldgräber in die Burenrepubliken. Bald entsteht Johannesburg, wird größte Stadt Südafrikas und 50.000 Schwarze müssen in der Diamantenförderung arbeiten. Die Spannungen zwischen Briten und Buren führen schließlich zu den beiden Burenkriegen, die 1902 mit der Umwandlung der Burenrepubliken in britische Kolonien enden. Andre, er führt mich Der Weg in die Zerrissenheit


IN DIE VIELFALT WEIRD 21 bei meinem Raddefekt an der Südspitze Afrikas nach Stellenbosch, ist Agraringenieur und Nachfahre dieser Buren. Südafrika wird unabhängig 1909 werden die britischen Kolonien zusammengelegt und es kommt zur Gründung der Südafrikanischen Union als selbst regiertes Dominion im britischen Commonwealth. Sie kämpft im Ersten Weltkrieg auf der Seite Großbritanniens und erhält das ehemalige Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, als weitere Provinz. Ansa, die Frau von Andre, stammt aus Namibia. Heute ist ihr Vater ein großer Exporteur von Avocados. Das Verbrechen der Rassentrennung beginnt Gleich nach meiner Ankunft nehme ich meine Einladung an die Universität Stellenbosch war. An derselben Universität entwickelt in den 1930er Jahren Werner Eiselen die Umwandlung des Bildungssystems in Richtung der ‚getrennten Entwicklung‘. Schwarze erlernen kaum mehr die Grundrechnungsarten, da ihre spätere Aufgabe das Ausgraben von Kartoffeln mit bloßen Händen ist. Die Bildungsausgaben für einen Schwarzen werden auf 6,5% der Ausgaben für einen Weißen reduziert. Für ungebildete Weiße werden Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen, sie dürfen keine Schwarzen als Vorgesetzten haben. Ehen zwischen unterschiedlichen Rassen werden verboten, ebenso sexuelle Beziehungen von Weißen zu anderen Rassen. Schwarze werden in unfruchtbare Homelands deportiert und in Townships, die am Stadtrand nach dem Vorbild von Konzentrationslagern errichtet werden. Von dort können die Arbeitsplätze in Fabriken und am Hafen gerade noch erreicht werden. Oftmals dürfen in den Townships nur arbeitsfähige Männer ohne ihre Familien leben. Nicht-Weiße erhalten einen Pass, der festlegt, wohin es ihnen erlaubt ist, sich zu bewegen. Die Prügelstrafe wird zur üblichen Strafform für Schwarze. Die Apartheid wird überwunden, aber nicht wirklich Bereits im Jahr 1912 wird der African National Congress (ANC) gegründet. 1962 wird Nelson Mandela als Anführer des Freiheitskampfes der Schwarzen wegen Planung bewaffneten Kampfes zu lebenslanger Haft verurteilt und verlässt das Gefängnis erst wieder 1990. In dieser Zeit kommt es zu immer mehr Protesten und Aufständen, die mit immer größerer Brutalität niedergeschlagen werden. Auch die außenpolitische Isolation nimmt laufend zu, der Druck auf das Apartheidregime wird immer größer. Im April 1994 kommt es zur ersten allgemeinen Wahl, der ANC gewinnt überlegen, Nelson Mandela wird Präsident. Bei meiner langen Fahrt mit Ansa und Andre zur Werkstatt in Stellenbosch meint Andre auf meine Frage nach der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lage: „Es gibt keine einfache Lösung“. George erzählt mir viel von der Zeit während und nach der Apartheid. Alles aus der Sicht eines weißen Unternehmers und fügt hinzu: Wenn du meine Frau fragst, wird sie dir als Kapmalaiin wohl etwas ganz anderes sagen. Ich erleben in den Restaurants und Cafés in Stellenbosch nur Weiße, einige Stunden später im Nachtbus nur Schwarze. Viele meiner Gesprächspartner meinen, dass sich seit der Apartheid nichts geändert habe, außer, dass jetzt auch einige Schwarze Millionäre auf Kosten der Armen sind. In keinem Land der Welt ist der Unterschied zwischen Arm und Reich so gravierend wie in Südafrika. In Stellenbosch leben die sieben reichsten Südafrikaner, zehn Weiße besitzen ein Vermögen, das höher ist als die jährliche Wirtschaftsleistung des gesamten Landes. Vor der Apartheid hätten der Staat und seine Infrastruktur funktioniert, für die Weißen. Jetzt sei viel mangelhaft gewartet, der ANC hoch korrupt geworden. Es werden die jahrzehntelang benachteiligten Schwarzen bei Gründung von Firmen und Vergabe von öffentlichen Aufträgen bewusst bevorzugt behandelt. Es fehle ihnen aber oft an der notwendigen Ausbildung und es regiert der Nepotismus, die Freunderlwirtschaft. Das abrupte Umwandlung einer Ideologie, Apartheid, in eine andere, Demokratie, kann nicht gut gehen. Das meinte Karl Popper, der Großmeister des Neoliberalismus. Für mich ist bereits die tägliche zweistündige Stromabschaltung ungewohnt. Alle Ampeln bleiben finster, Lifte bleiben stehen, Restaurants haben geschlossen. Dafür laufen überall kraftstoffbetriebene Generatoren – bei jenen, die es sich leisten können.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 25 Von Kapstadt aus an die Universität Stellenbosch. Eine abenteuerliche Fahrt im Nachtbus zum Indischen Ozean. Rauf in die Berge und entlang der Route 62 bei Gegensturm zum südlichsten Punkt Afrikas. Die wundersame Heilung vom Totalschaden und weiter an das Kap der Guten Hoffnung. Zurück über eine der schönsten Küstenstraßen der Welt. Erfahren


IN DIE VIELFALT WEIRD 27 George Über das Portal ‚Homestay‘ fi nde ich ein Zimmer bei George. Mein Staunen ist groß, als einige Tage vor der Abreise mein WhatsApp klingelt und George mich anruft . Ob all es in Ordnung sei und beste Wünsche für die Reise. In perfektem Wienerisch. Er kommt 1964 im Anschluss an die HTL als Techniker nach Südafrika, lebt zunächst in Johannesburg und gründet schon nach einigen Jahren seine eigene Firma. 1967 erleidet er beim Fußball turnier einen off enen Beinbruch, die Wunde wird am Groote Schuur Hospital schlecht gereinigt, nach einigen Tagen muss ihm das Bein abgenommen werden. Im selben Jahr führt genau dort Christiaan Barnard die erste Herztransplantation durch. George spielt noch Jahrzehnte leidenschaft lich Beachtennis. Heute mit 78 Jahren widmet er sich ganz seiner Firma. Ich lerne von ihm sehr viel über die Zeit der Apartheid und den folgenden Transformationsprozess. Immer mit dem Hinweis, das sei aber nur seine Sicht. Auch während meiner Tour schreibt er mir, ob all es in Ordnung sei. Schon ein gutes Gefühl, eine Homebase zu haben.


28 WEIRD IN DIE VIELFALT Start mit einer Hitzeschlacht Noch voll im Wintermodus starte ich am Tag nach der Ankunft von Kapstadt nach Franschhoek und zurück nach Stellenbosch. Die meiste Zeit hat es über 35 Grad, nur am Anstieg bei Franschhoek über 40. Ich trinke und esse in den acht Stunden viel zu wenig, die Krämpfe fahren voll ein. Am Rückweg finde ich am Straßenrand einen Stand, der Wasser und Salz samt kleinen Säckchen zum mitnehmen hat. Die Ausfahrt aus Kapstadt führt mich zunächst durch das alte Industriegebiet Woodstock und vorbei am Bahnhof. Ein authentischer Auftakt für den ersten Tag. Dann erreiche ich die Weinbaugebiete um Stellenbosch und Franschhoek, dem „Franzoseneck“. Als ich wieder nach Stellenbosch zurückkomme, ist die Freude groß, Helmut an der Universität zu treffen. Mit einer Hitzeschlacht habe ich wirklich nicht gerechnet. Das lange Gespräch beim Abendessen mit der Kellnerin aus Simbabwe gibt mir erste Einblicke in die vielfältigen Schicksale und Lebensformen in Südafrika.


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30 WEIRD IN DIE VIELFALT Ohne Frühstück gestartet, um das Tageslicht zu nutzen. Jetzt das erste in Südafrika – großartig. Heiß ist es bereits, richtig heiß wird es am Franschhoek Pass.


IN DIE VIELFALT WEIRD 31 Die Einladung an die Universität Stellenbosch im Rahmen eines großen Forschungsprojekts freut mich ganz besonders. Auch durch die Vielfalt der Partner, etwa aus Kolumbien, Thailand, USA und Australien.


32 WEIRD IN DIE VIELFALT “ We, the people of South Africa, Recognise the injustices of our past; Honour those who suffered for justice and freedom in our land; Respect those who have worked to build and develop our country; and Believe that South Africa belongs to all who live in it, united in our diversity. Präambel der Verfassung Südafrikas aus dem Jahr 1996, geschrieben in IsiZulu, IsiXhosa, Africaans, Englisch und weiteren sieben Bantusprachen. Ihr Text steht auf Stahltafeln vor dem Hauptgebäude der Universität Stellenbosch. Hier wurden 60 Jahre zuvor die Prinzipien der Rassentrennung entwickelt.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 35 Schmatzende Säuglinge und Differenzialgleichungen Bei der monatelangen Vorbereitung ist die Fahrt mit dem Nachtbus von Stellenbosch in den Süden zum Startort der Tour der größte Unsicherheitsfaktor. Gibt es einen Bus, was ist, wenn ich nicht hineinkomme, wird mein Rad mitgenommen? Schließlich verschiebe ich den Flug, um den Bus zu bekommen und reserviere das Ticket. Laut Beförderungsbedingungen und telefonischer Nachfrage benötige ich einen Radkarton. In Stellenbosch finden wir eine sehr gute Radwerkstätte, sie wird mir auch am Ende nochmals sehr helfen. Die letzten Tage war ich stets mit Weißen zusammen. Ob auf der Universität, im Café oder beim Essen. Jetzt bin ich der einzige Weiße im Bus. Neben mir sitzt eine wirklich dicke Mama mit ihrem Säugling. Dem geschmeckt es die ganze Nacht so gut, dass er durch schmatzt. Hinter mir schaut ein Fan am Handy Fußball, ohne Kopfhörer. Vor mir löst ein Mitreisender Differenzialgleichungen. Der Raucher in der letzten Reihe bemerkt bald, dass er nicht viele Freunde hat. Der zweite große Unsicherheitsfaktor: Ich komme um 4:00 Uhr in der Früh in Stormsrivier an. Und dann? Ist es eine einsame Haltestelle, irgendwo entlang der Fernstraße? Eigentlich wollte ich bei Dunkelheit stets im Quartier sein. Nach der Analyse von Satellitenbildern hoffe ich, dass die Tankstelle einen geöffneten Shop hat. Ich steige als einziger aus und mir fällt ein Stein vom Herzen, als tatsächlich ein Licht brennt. Die drei Stunden bis zum Morgengrauen nutze ich für den Zusammenbau des Rades und ein kleines Frühstück. Dann kommt der Regen, aber die Erleichterung, dass ich tatsächlich am Rad sitze, ist so groß, dass ich ihn genieße.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 37 Am ersten Tag radle ich entlang des Indischen Ozeans nach Wilderness. Ein großartiges Quartier direkt am Meer und zum ersten Mal lerne ich die vielfältige und wunderbare südafrikanische Küche kennen. Unterwegs treffe ich am Straßenrand einige Frauen mit Geldscheinen in der Hand, die auf Kunden warten. Irgendwann sind auch Männer dabei, die immer jünger werden.


38 WEIRD IN DIE VIELFALT Die Route 66 führt durch den ehemaligen Wilden Westen der USA, die Route 62 durch den noch immer naturbelassenen Süden des Western Capes. Ich finde ein Zimmer in Calitzdorp, in der Calitzdorp Straße in der Pension Calitzdorp. Auch Angela trägt diesen Namen und begrüßt mich gleich neben der kleinsten Bar auf der Route 62.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 41 Endlos lange Straßen und dann ab der Abzweigung zum Cape Agulhas, dem südlichsten Punkt Afrikas, wirklich starker Gegenwind, oft über 80 Kilometer pro Stunde. Die Fahrtgeschwindigkeit halbiert sich, da geht mir das Tageslicht aus. „Ich bin den Damen und Herren in den Tankstellen sehr dankbar. Immer wenn ich ausgehungert daherkomme und ‚please no meat‘ stammle, machen sie mir gleich den Feta Spinach Pie heiß.“ Video Sturm


IN DIE VIELFALT WEIRD 43 Am Nachmittag erreiche ich das Cape Agulhas. Schon ein beeindruckendes Gefühl, an der Südspitze Afrikas zu stehen. Gegenüber ist die Antarktis, bis dort hin nur Wasser.


Bei der Rückfahrt vom Cape Agulhas bricht mir das Schaltwerk und steht nach oben in die Speichen. Durch den starken Gegenwind fuhr ich zu lange eine falsche Übersetzung. Ich biege es zurück und schiebe zu einer Tankstelle. Dort lerne ich Ubuntu, die afrikanische Lebensphilosophie des gegenseitigen Helfens, kennen. Dass ich morgen wieder am Rad sitzen werde, ist unvorstellbar.


“Gestern am Abend wusste ich nicht, wie ich durch die Nacht komme und dachte, die Tour sei aus. Jetzt frühstücke ich am Strand von Somerset West. Aus dem Tagebuch, 22. März 2023


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50 WEIRD IN DIE VIELFALT Auf der Fahrt vom Badeort Somerset West zum Surferparadies Muizenberg durchquere ich das Township Khayelitsha. Mit 400.000 Bewohnern ist es eines der größten Südafrikas. Ja, mir ist mulmig.


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