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Von Kapstadt nach Stellenbosch, weiter entlang der Gardenroute und der Route 6

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Published by otto.petrovic, 2023-04-30 03:53:56

Südafrika März 2023

Von Kapstadt nach Stellenbosch, weiter entlang der Gardenroute und der Route 6

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52 WEIRD IN DIE VIELFALT Am Strand des Surferparadieses Muizenberg an der False Bay bei Kapstadt


IN DIE VIELFALT WEIRD 53 Knapp vor meiner Ankunft startet Südafrika Marinemanöver mit China und Russland. Erst dann wurde es vielen Einheimischen bewusst, dass ihr Land eine Marine besitzt. Die Kampfschiffe wurden gleich nach Ende der Apartheid von den USA und Deutschland geliefert. Die Korruptionsprozesse laufen noch heute.


54 WEIRD IN DIE VIELFALT Kann es noch immer nicht glauben, dass ich jetzt am Strand von Muizenberg die Surfer beobachte und einen Double Espresso trinke. Nach dem Totalschaden von gestern.


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56 WEIRD IN DIE VIELFALT Boulders Beach ist mein letztes Quartier in der False Bay. Mitten in der Pinguinkolonie. Erst im Jahr 1983 wurde ein Pärchen entdeckt. Bis zum Jahr 2005 hat sich die Kolonie der afrikanischen Pinguine stark vergrößert, seither geht sie durch Umweltzerstörung wieder deutlich zurück. Die Jackass Pinguine sind mittlerweile als besonders gefährdete Art eingestuft.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 61 Mehr Sturm als sonst Im Morgengrauen breche in von meinem letzten Quartier auf der Tour in Boulders Beach zum Kap der Guten Hoffnung auf. Schon bei seiner Entdeckung des südwestlichsten Punkts Afrikas durch Bartolomeu Dias im Jahr 1488 war es wegen seiner Stürme gefürchtet. Noch heute umfahren es Segelschiffe weiträumig, um nicht an die Felsen gedrückt zu werden. Auch, um den dutzenden Schiffswracks auszuweichen. Als ich in das Gebiet des Capes einfahre, frage ich den diensthabenden Offizier, ob es hier immer so viel Sturm gebe: ‚„Nein, heute ist besonders viel“. Auch deswegen treffe ich bis auf einen Strauß niemanden. Ein Fahren ist oftmals kaum mehr möglich, ein Absteigen auch nicht.


Der Chapman's Peak Drive ist eine der atemberaubendsten Küstenstraßen der Welt. Zwischen 1915 und 1922 wurde die Straße in den 500 Millionen alten Fels hineingesprengt. Seit 45 Jahren findet hier jährlich im März die Cape Town Cycle Tour statt. Beim weltgrößten Radrennen starten diesmal 35.000 Teilnehmer. Ich wunderte mich bei meiner Ankunft über die vielen Radtaschen am Flughafen.


Kapstadt war die erste Stadtgründung in der Kolonialzeit. Das historische Stadtzentrum ist von zahlreichen holländischen und britischen Bauten geprägt. Aber auch von ganzen Stadtteilen, aus denen die Einheimischen vertrieben wurden, um sie in Township einzusperren. Harte Kost für mich ist der Stadtbezirk V&A Waterfront von Einheimischen „Disneyland“ genannt. Gebaut von einem saudischen Konsortium nur für Touristen und Superreiche. Kapstadt


Start-up Center an der V&A Waterfront


Im Stadtbezirk V&A Waterfront, Kapstadt's Touristenattraktion Nr. 1, ist alles anders als auf meiner bisherigen Reise. In diesem Disneyland begegne ich nur Touristen, Ferraris und Luxusboutiquen. Es könnte wohl über all sein. Von Ubuntu ist keine Spur. Das erlebe ich erst wieder an den Tagen darauf im Township Langa und seinen Slums.


68 WEIRD IN DIE VIELFALT Das Zeitz Museum of Contemporary Art Africa gilt als das weltweit größte Museum afrikanischer Gegenwartskunst. Es ist in einen ehemaligen 57 Meter hohen Getreidesilo aus dem Jahr 1921 hinein gebaut und wurde 2017 eröffnet.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 75 Die St. Georges Cathedral und die Nurl Islam Moscheen liegen nahe beieinander. In der Kathedrale sind die sterblichen Überreste von Desmond Tutu beigesetzt. Die Moscheen in Bo-Kaap sind die Gotteshäuser der Kapmalaien.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 79 Bo-Kapp ist das historische Zentrum der Kapmalaien, die ihre Herkunft auf muslimische, südasiatische Sklaven und Kontraktarbeiter zur Zeit der niederländischen Kolonialherrschaft zurückführen. Sie besiedelten das Viertel im 18. Jahrhundert, nachdem sie aus der Sklaverei freigelassen wurden. Heute ist es auch bekannt für seine bunten Häuser.


80 WEIRD IN DIE VIELFALT “Die Zuteilung eines Menschen zu einer Rasse erfolgt oft willkürlich. Japaner werden Weiße ‚ehrenhalber‘. Die Konsequenzen für das Leben sind gravierend.


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82 WEIRD IN DIE VIELFALT Der District Six wurde vor allem von freigelassenen Sklaven, Händlern, Künstlern, Arbeitern und Immigranten bewohnt. 1968 ordnet die Regierung die Zwangsumsiedlung der Schwarzen und Coloureds an, der Bezirk wird vollständig geräumt, die Häuser abgerissen und bis 1982 werden 60.000 Menschen in Townships zwangsverfrachtet.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 85 Nelson Mandela sah Südafrika als ‚„Regenbogenstaat“. 80 % der Bevölkerung sind Schwarze, weniger als 8 Prozent Weiße. Zu den Coloureds zählen auch die ursprünglich in Südafrika lebenden Völker Khoikhoi und San.


86 WEIRD IN DIE VIELFALT Am Neighbourgoods Market in der Old Biscuit Mill im Herzen von Woodstock genieße ich großartiges Essen aus dem gesamten afrikanischen Kontinent.


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88 WEIRD IN DIE VIELFALT Strandpromenade in Sea Point, einige Minuten von meinem Quartier bei George entfernt.


IN DIE VIELFALT WEIRD 89 Strandpromenade in Sea Point, einige Minuten von meinem Quartier bei George entfernt.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 91 Monatelanges Vorbereiten, um ZooTourismus zu vermeiden. Chippa und Uwara zeigen mir die verschiedenen Viertel und machen mich mit Bewohnern bekannt. Bei einem Naturheiler und einem Bischof finde ich Nachtquartiere. Überall werde ich freundlich empfangen. Ja, alles ist anders, wenn man wirklich dort ist. Township Langa In die Slums von Kapstadt


xxxx Mein Uber-Taxi will nicht anhalten, es sei nicht ‚„safe“ hier. Dann schaffe ich es doch, den Fahrer zu überreden und treffe Chippa, mit dem ich monatelang alles vorbereitet habe. Sein Freund Uwara radelt mit mir durch die unterschiedlichen Viertel von Langa.


94 WEIRD IN DIE VIELFALT Verfrachtung der Schwarzen hinter den Zaun Es dauert ziemlich lange, bis ich ein Uber-Taxi finde, das mich zum vereinbarten Treffpunkt in Langa bringt. Ob ich wirklich dorthin wolle, fragt mich der Fahrer immer öfter, als wir uns annähern. Angekommen weigert er sich zunächst, stehenzubleiben. Es sei hier nicht ‚safe‘. Irgendwie kann ich ihn überreden, steige aus und werde gleich herzlich von Chippa begrüßt. Der Fahrer sei aus Simbabwe, kenne Langa nicht, deswegen das Gefühl der Unsicherheit. Langa wird ab 1927 als Wohngebiet ausschließlich für Schwarze geplant und ist das erste Township in der Kapprovinz. Es wird darauf geachtet, dass es gut einzuzäunen ist, um es unter Kontrolle halten zu können. Die ausgestellten Pässe legen fest, wohin sich die Einwohner bewegen dürfen. Die Proteste dagegen werden 1960 von der Polizei durch ein Massaker niedergeschlagen, das als Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas gilt. Heute leben hier 50.000 Menschen. Gleich daneben wurde ein riesiges Luxus-Golfressort gebaut, von Langa durch einen meterhohen Zaun getrennt. Zoo-Tourismus oder Schaffen von Arbeit Verschiedene Veranstalter bieten Touren in Bussen durch einige Straßen von Langa an. Oftmals wird auch ein Abstecher auf der Fahrt zum Flughafen gemacht, um noch schnell das Elend der Bewohner durch die Autoscheibe fotografieren zu können. Die Bewohner nennen das Zoo-Tourismus. Genau das will ich nicht. Monatelang bereite ich mich vor, möchte dort einige Tage verbringen, auch schlafen. Ich finde Chippa, er ist in Langa geboren und lebt dort. Sein Freund Uwara fährt mit mir durch unterschiedliche Viertel mit dem Rad und führt mich zu meinen Schlafquartieren. Der Kontakt zu den Bewohnern ist sehr eng. Ich habe das Gefühl, jeder kennt jeden. Ich sei willkommen, denn ich bringe Arbeit. Unterschiedliche Sozialstrukturen ohne Neid Ubuntu wird auch hier gelebt. Die Art der Wohnquartiere reicht von tausenden Blechhütten mit Toiletten auf der anderen Straßenseite, wir sprechen meist von Slums, über Wohnblöcke mit unendlich vielen Satellitenschüsseln, bis zu einigen wenigen Einfamilienhäusern. Eines sogar mit englischem Rasen. Die jeweils ganz andere Wohnform liegt oft gleich auf der benachbarten Straßenseite. Nein, Neid gäbe es nicht, meint Uwara. Alle fühlen sich zusammengehörig, oft sind die Bewohner von Häusern und Blechhütten miteinander verwandt, helfen und respektieren sich. Zum Arbeitsplatz wird mit weißen Kleinbussen gefahren. Ihre Haltestellen sind Drehscheiben, um einzukaufen, Leute zu treffen, sich auszutauschen. Die Das Township Langa Video Langa


IN DIE VIELFALT WEIRD 95 Busfahrer wissen viel mehr als irgendeine Zeitung. Der Bahnhof ist verweist. Die Zuginfrastruktur wurde in ganz Südafrika in den letzten Jahrzehnten nicht mehr gewartet, vieles ist stillgelegt. Die Oberleitungen hängen herunter und zum Teil sind informelle Siedlungen auf den Gleisen gebaut. Es gibt einfach zu wenig Platz. George meint, auch wenn Bewohner von Blechhütten eine regelmäßige Arbeit finden, haben sie keine Chance auf eine Wohnung. Es gibt einfach keine. Schlafen im Township Uwara und ich fahren mit dem Rad in einen informellen Bereich, nur mit Blechhütten und Feldwegen. Wir kommen vorbei an einer Garage mit geöffneten Toren und vielen, für mich seltsam gekleideten Männern und Frauen. Dies sei eine Initiationszeremonie für Naturheiler, erklärt Uwara. Ja, mir ist schon mulmig zumute. Aber es ist wie auf einen hohen Berg zu gehen. Man kann sich nur für einen Führer entscheiden und ihm dann voll und ganz vertrauen. Alle begrüßen mich freundlich, die spielenden Kinder haben ihren Spaß, Betteln ist in Langa unbekannt. Das kenne ich auf der ganzen Welt nur in Touristenvierteln. Mit Uwaras Hilfe spreche ich mit ihnen, frage, ob ich Fotos machen darf. Ja, natürlich! Gleich zeige ich sie auf meiner Kamera den begeisternden Kindern, die immer mehr werden und ihre selbstgebauten Spielzeuge mitbringen. Dann gehen wir in die Hütte von Zola. Er öffnet, eine herzliche Begrüßung. Gleich zeigt er mir stolz seinen Fußboden. Dies seien Reste von Häusern, die er sanierte. Er arbeitet aber auch als Naturheiler, wir gehen in einen sehr kleinen Nebenraum, er erklärt mir die Funktion der dortigen Utensilien. Im ersten Stock befindet sich mein Bett. Für mich ist schon alles sehr ungewohnt. Strom gibt es seit einigen Jahren, Wasser keines. Das zweite Quartier ist bei Bischof Quangiso und seiner Frau. Vor seinem Haus findet gerade ein Fest statt. Die Leute lachen, essen und trinken. Uwara meint, sie haben hier ein Begräbnis gehabt und das jetzt sei die ‚Party of Tears‘. Bischof Quangiso erklärt mir die Eckpfeiler seiner African Mission Church. Sie wurde 1884 gegründet, er ist das siebente Oberhaupt. Sie vertrete die afrikanische Perspektive auf das Christentum, nicht die von Rom oder Byzanz. Seine Aufgabe ist es, sich um das Leben der Mitglieder seiner Gemeinde zu kümmern. Eine ganz diesseits orientierte Sozialarbeit. Genau das erfahre ich am nächsten Morgen auch in der Gospel-Messe. Beste Laune, viel Spaß beim gemeinsamen Singen. Alle freuen sich, einander zu treffen. Wo bleibt das Mitleid? Ja, meine Eindrücke sind wohl sehr einseitig positiv, dessen bin ich mir auch bewusst. Aber ebendiese anderen, auch vorhandenen Seiten des Lebens in Slums scheinen mir wichtig. Man kann soviel Positives entdecken, lernen, das man vor dem Fernsehgerät bei einer Doku über all das Elend nicht sieht. Schon gar nicht beim Wegschauen. Es gibt viele Arten der Armut und des Reichtums. Nicht nur die materielle Dimension. Oft werde ich gefragt, ob ich bei meinen Reisen kein Mitleid empfinde. Tatsächlich fällt es mir immer wieder schwer, keines zu verspüren. Aber erwartet wird das von den Betroffenen nie. Mitleid ist immer auch ein Bewerten, ein Herabsehen und Beurteilen. Ganz wichtig scheint mir hingegen Mitgefühl. Dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen, seine Lage, seine Empfindungen versuchen zu verstehen. Das eigene Ego abzulegen, nicht mit den eigenen Werten und Normen zu messen und zu beurteilen. Die ethnozentrische Brille daheim zu lassen. Vielleicht Bischof Quangiso 100  kg Bohnen und 100 kg Reis für seine Suppenküche zu schicken. Der gesamte tibetanische Buddhismus baut auf Mitgefühl auf. Der Dalai Lama wurde einmal gefragt, ob ihm etwas Leid tue. Er konnte die Frage nicht verstehen. In der tibetanischen Sprache gibt es kein Wort dafür.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 97 Nelson Mandela “Das Größte, was man erreichen kann, ist nicht, nie zu straucheln, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.


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IN DIE VIELFALT WEIRD 99 Auf der anderen Straßenseite beginnt das Luxus-Golfressort.


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