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Published by ste_froddy, 2017-06-17 05:14:41

Auschwitz 2016

AUSCHWITZ
27. OKTOBER - 1. NOVEMBER 2016




INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT 1 EINLEITUNG 2 BILDUNGSREISE NACH AUSCHWITZ 3
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII. Danksagung 27
Stammlager Auschwitz I 5 Die IJBS und Herr Sobol 10 Auschwitz II-Birkenau 13 Krakau und Heimreise 17 Feedbacks 18 Präsentation der Schüler am 16. Dezember 2016 26




VORWORT
Diese Reise nach Auschwitz hat den Schülerinnen und Schülern erlaubt sich mit eigenen Augen von den Grausamkeiten des II. Weltkrieges zu überzeugen und somit zu erkennen, wozu Menschen fähig sein können. Die erlebten, emotionsgeladenen Momente führten ihnen vor Augen, was der Wahnsinn einer einzelnen Person angerichtet hat und wie er schlussendlich zum Tod unzähliger Menschen geführt hat. Diese Lager sind ein klarer Beweis dafür, dass Millionen Menschen unter unwürdigen Bedingungen gelebt haben und ein schreckliches Ende fanden.
Die vorliegende Zusammenfassung beinhaltet die Eindrücke der Schülerinnen und Schüler nach der bewegenden Besichtigung der Konzentrations- und Vernichtungslager in Auschwitz. Im Anschluss an diese emotionale Grenzerfahrung entsprach es dem Wunsch einiger Schüler ihre Erlebnisse niederzuschreiben, um sie mit anderen zu teilen.
Lassen Sie Ihre Gedanken von diesen besonderen Eindrücken leiten und vergessen Sie am Ende nicht, dass, mit Hinblick auf unser aller Zukunft, « tout Homme est maître de sa destinée », denn « l’avenir, c’est ce que vous en ferez vous-même ». (Paul Sobol)
Stéphanie Duchaine
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EINLEITUNG
Paul Sobol, Zeitzeuge von Auschwitz, wiederholte diesen kleinen Satz immer wieder, als er versuchte auf die Fragen seines Publikums zu antworten.
Was soll man über Auschwitz sagen? Über seine eigenen Erfahrungen? Wie Herr Sobol sich auszudrücken pflegte: Die Dinge sind, wie sie sind, „voyez-vous“, ich erzähle euch, was ich erlebt habe.
Fragen, wie man sich gefühlt hat, was man dabei gedacht hat, sind nachvollziehbar, aber was erwidert man darauf? Wie erklärt man jemandem Gefühle, die er oder sie bei aller Empathie einfach nicht verstehen kann?
Was soll man über Auschwitz schreiben?
Als er gefragt wurde, ein Buch über seine Erinnerungen zu schreiben, erklärte Herr Sobol etwas hilflos, dass er doch kein Schriftsteller sei. Aber alles, worum man ihn bat, war an seinen Erinnerungen Teil haben zu können. Also schrieb er; seine Erfahrungen, sein Leben.
Er erzählte uns seine Geschichte, so wie er sie schon Hunderten anderen erzählt hatte. Es ist und bleibt jedes Mal dasselbe, aber die Vergangenheit kann man genauso wenig ausschmücken, wie man sie verändern kann. Über siebzig Jahre liegen zwischen jener Vergangenheit und heute, aber Paul Sobol ließ sie für alle die dort ihres Lebens beraubt wurden, für sich selbst und für uns, die zweite Generation, an demselben Ort wiederauferstehen, wo sie entstanden ist.
„Que voulez-vous que je dise ? “
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BILDUNGSREISE NACH AUSCHWITZ
Oświęcim wäre heute eine kleine, international unbedeutende Stadt im Süden Polens, wäre im Mai/Juli 1940 nicht das Stammlager als erster der drei Lagerbereiche des KZs Auschwitz errichtet worden. 1,5 Millionen Menschen fanden in den viereinhalb folgenden Jahren dort den Tod.
In der Menschheitsgeschichte haben zahl- und namenlose Grausamkeiten stattgefunden, heute besteht an ihnen kaum mehr internationales Interesse. Die Krater, die all die Kriege im menschlichen Bewusstsein hinterlassen haben müssten, wären mittlerweile unüberwindbar. Doch seit jeher wird die Betroffenheit an einem Krieg, und sei er noch so unerbittlich gewesen, mit der ersten Generation die ihn erlebt hat meist auch wieder begraben. Die Enkel, nicht selten auch schon die Kinder, haben bereits keinen Bezug mehr dazu. Das Leben geht weiter. Ohne dabei einem Argument den Vorzug geben zu wollen, ist es einerseits nun mal der Lauf des Lebens, dass ein Volk nicht ewig in Gedenken an einen Krieg verweilen kann. Irgendwann muss es auch wieder der Zukunft entgegentreten. Andererseits mag es allerdings ein Grund sein, warum die Geschichte des Krieges sich immer wieder wiederholen kann.
Im Gegensatz zu den vielen Kriegen der früheren Jahrhunderte, ist der Zweite Weltkrieg, siebzig Jahre danach, ein immer noch viel behandeltes Thema. Die unfassbare Zahl der Opfer, die er gefordert hat, ist kein Einzelfall in der Geschichte des Krieges und Mordens. Allerdings führen sie unserer europäischen Wohlstandsgesellschaft mit kalter Schärfe vor Augen, dass Gräueltaten sich nicht immer tausende Kilometer weit entfernt auf anderen Kontinenten abspielen, während wir unter einer schützenden Kuppel leben. In unserer Gegend braucht man, jedenfalls heute noch, von nirgendwo aus länger als eine Stunde zu fahren, um jemanden zu finden, der seine eigenen Erfahrungen im letzten Krieg gemacht hat. Und dennoch ergreifen die wenigsten von uns die bald vergangene Chance, an ihren Erinnerungen Teil zu haben. Wie lange noch? Fünf, zehn Jahre? Danach gibt es niemanden mehr, der in Theresienstadt, Dachau oder Auschwitz einen Teil seines Lebens verbracht hat. Meine eigenen Großeltern konnte ich nicht mehr fragen, weshalb es mir mit der Zeit umso wichtiger wurde irgendwann jemandem zuhören zu können, in dessen Gesicht ich die Erinnerung an das, was geschehen ist, sehen könne.
Der Organisation „Témoins de la 2e Génération“ und den Zeitzeugen, mit denen sie zusammenarbeitet, verdanken zahlreiche Schüler, Professoren und Privatpersonen prägende Erfahrungen in ihrem Leben. Jedes Jahr bekommen rund 120 luxemburgische Schüler die für sie in diesem Rahmen einmalige Gelegenheit, Auschwitz kennen und verstehen zu lernen.
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Aufgrund eines kleinen Bewerbungsschreibens (bedingt durch die leider begrenzte und sehr kleine Teilnehmerzahl von zehn Leuten) konnten dieses Jahr zehn 2e Schüler des LGL, begleitet von Frau Duchaine und Frau Santos, daran teilnehmen:
v.l.n.r. Ugur Eroglu, Felix Boever, Jessica Bastian, Lynn Hoffeld, Nathalie Boon, Fernando Martins Da Mota, Celina Thommes, Felix Engel, Lynn Mohr, William Fontaine
Als ich von dieser Gelegenheit erfuhr, war ich von Anfang an fest entschlossen alles mir Mögliche zu tun, um mitgehen zu können. Ich dachte daran, wie eigenartig es war, dass sich heute zahllose Menschen um eine Reise bemühen, die vor siebzig Jahren den Tod bedeutet hat. Ich dachte daran, wie mir jemand, der bereits dort gewesen war, erzählt hatte, wie sehr es an die Substanz ging. Ich fragte mich, ob ich weinen würde. Aber ich zweifelte nicht eine Sekunde lang daran, dass ich dorthin wollte. Die Busreise, die wir am späten Abend des 27. Oktobers antraten, ließ genug Zeit, um sich Gedanken zu machen. Die kalte Nacht, trüber Tag und immer wechselnde Landschaften zogen am Busfenster vorbei, während wir in unseren Sitzen kauerten, schliefen, uns die Zeit vertrieben und uns fragten, was uns wohl erwarten würde.
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I. STAMMLAGER AUSCHWITZ I
Am Morgen des 29. Oktobers hatten wir unsere über zwölfstündige Busfahrt hinter uns und bereits die erste Nacht in der internationalen Jugendbegegnungsstätte verbracht. Als ich aufstand, rang ich ein wenig mit dem Gedanken. Unsere erste Nacht in Auschwitz. Es ist eigenartig, mit diesem Namen nicht nur die Lager in Verbindung zu setzen, sondern auch die kleine Stadt, die wie jede andere ihren Alltag lebt, mit Post und Bank, Straßen und Wohnblocks, Restaurants und Cafés.
Als ich im Bus in Richtung Stammlager saß, wurde mir klar, dass ich nicht wusste, wie nahe wir dem Lager eigentlich waren. Daher war es umso erschreckender, wie selbstverständlich plötzlich imposante Backsteinmauern und Stacheldraht auftauchten, als wäre es nichts Besonderes. Wir fuhren auf einen gewöhnlichen Parkplatz, versammelten uns in einem geräumigen Innenhof und warteten. Rechts standen die Mauern eines Backsteingebäudes, von dem niemand so recht wusste, wozu es gehört hatte, vor uns die Kamine der Küche in Reih und Glied. Die Sonne schien zwischen ihnen hindurch und fiel auf uns, auf die kleine, grüne Wiese zu unserer Linken und auf die herbstlichen Bäume. Stellen Sie sich einen kühlen aber freundlichen Herbstmorgen vor. In Auschwitz. Wie kann die Sonne dort wärmen, wo man sich Kälte und Tod erwartet? Es fiel schwerer als erwartet, auf den Fotos zu lächeln.
Erst auf den zweiten Blick, hinter der Wiese, am anderen Ende des Hofes, fiel mir der Eingang auf. Ich konnte es nicht fassen. Ich kannte diesen Eingang. Aus allen erdenklichen Perspektiven. Die Schranke. Den Schriftzug. „ARBEIT MACHT FREI“. Ich konnte den Blick nicht mehr davon abwenden. Da hinten, hinter der grün leuchtenden Wiese, lag im Schatten der Blocks der berüchtigte Eingang, so unauffällig, dass ich ihn nicht einmal gesehen hatte.
Als wir einige Minuten später über den unebenen Weg auf ihn zugingen, musste ich mir unwillkürlich vorstellen, wie ein hungergeschwächter, entkräfteter Mann über einen der herausstehenden Steine stolperte.
Ich nahm einen etwas tieferen Atemzug, bevor ich unter dem Schriftzug hindurch ins Lager trat.
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„Those who do not remember the past are condemned to repeat it. “
Mit diesem Zitat von George Santayana empfing uns der Eingang des ersten Gebäudes.
Durch das gesamte Lager begleitete uns eine Ausstellung an Fotografien, Dokumenten und von Nazis zusammengerafften Habseligkeiten der Häftlinge.
Im Gegensatz zu den Fotos der Nazis, geschossen um ihre Machtdemonstration festzuhalten, waren auch solche dabei, die hastig im Verborgenen von Deportierten gemacht wurden, um der Nachwelt einen Beweis dieses Grauens zu erhalten. Eine Aufnahme, so groß, dass man das Gefühl hatte, diesen Menschen gegenüberzustehen, lenkte meinen Blick auf eine alte Frau und ein kleines Mädchen, in dessen Blick sich ein Ernst befand, den man nicht bei einer Vierjährigen finden sollte. Ich dachte an die Menschen, die ich liebe, meine Großmutter, meine kleine Kusine.
In den Fluren einer der Blocks hingen reihenweise
Porträts der Gefangenen, kurz nach ihrer Ankunft
gemacht, die meisten Menschen bereits geschoren
und in gestreifter Kluft. Ich versuchte mir so viele
Gesichter wie möglich anzusehen und einzuprägen.
Misstrauen, Angst, Ausdruckslosigkeit und
manchmal sogar ein schwer zu interpretierendes
Lächeln. Unter den Gesichtern standen Name,
Nummer und wie lange sie im Lager überlebt hatten;
länger als maximal drei Monate schaffte es kaum
einer. Diesen Menschen in die Augen zu sehen
vertiefte den Ernst, den ich verspürte seit ich den
Eingang zum ersten Mal erblickt hatte noch
zusätzlich. Auf Augenhöhe blickte mir eine junge
Frau entgegen, deren Ausdruck eine Mischung aus
Angst, Trotz und Todesgewissheit war. Es gibt
keine Worte, die ich ihr in den Mund legen könnte, ich kann sie kaum treffend beschreiben. Sie hatte ihren Kopf etwas zurückgeneigt, man könnte sagen, das Kinn ein wenig trotzig erhoben, aber gleichzeitig erkannte ich siebzig Jahre später noch die Tränen in ihrem Augenwinkel. Ihr Name war Annia, Nummer 15674. Sie hatte nicht überlebt. Während ich weiterging wiederholte ich ihren Namen und ihre Nummer immer wieder, immer wieder, als wäre sie nicht endgültig tot, solange sich jemand an sie erinnert. Einige der letzten Fotos zeigten Skelette, nur noch mit Haut überzogen, und einem Kopf in dem Augen saßen, die als einzige glauben ließen, dass diese Körper noch lebten.
Bergeweise Geschirr, Schuhe, Bürsten und leere Zyklon-B Büchsen zeugten von den Menschen und den Taten im Stammlager. Vor einem Modell der Gaskammeranlage führte unsere Reiseführerin uns mit leiser, trauriger Stimme vor Augen, wie Männer, Frauen und Kinder zu
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Hunderten nackt und verängstigt von den Nazis in die Kammern gedrängt wurden. Das Licht wurde gelöscht, die Luken öffneten sich und von oben herab fielen Kristalle, die bei Körpertemperatur zu Gas werden.
Wenn das Häftlingssonderkommando die Tür öffnete, um die Leichen zu den Öfen zu zerren, boten sich ihnen Bilder unfassbarer Grausamkeit. Nicht umsonst weigerten sich die Soldaten, diese Aufgabe selbst zu übernehmen.
Als ich vor einer Vitrine mit teils zwei Meter hohen Haufen von Menschenhaar stand, erfuhr ich, dass ein großer Teil davon den Leichen der vergasten Frauen abgeschoren worden war. Dieses Bild und die Masse an aufgeschichtetem Material, wobei es sich doch nicht um Holz oder Stein, sondern um einen Teil jener Menschen handelte, ließen mich zum ersten Mal in meinem Leben dieses Grauen wahrhaftig begreifen. Mir war auch schon vorher bewusst gewesen, dass Fernsehdokumentationen, Bilder und Bücher kein Vergleich dazu sein konnten. Aber in jenem Augenblick erst, da ich dieses Gefühl des Entsetzens selbst verspürte, verstand ich es tatsächlich.
Auschwitz ist nicht ein einziges, großes traumatisches Erlebnis, sondern es sind einzelne Augenblicke, die tiefe Eindrücke hinterlassen. Wir gingen an einem kleinen Hof vorbei, als uns erzählt wurde, dass an dieser Stelle der allmorgendliche Aufruf stattfand. Wer es nicht schaffte, stundenlang regungslos in der Kälte stehen zu bleiben, wurde exekutiert. Wir passierten zwei Holzpfähle, die eine eiserne Schiene trugen und sich als Galgen entpuppten. Wir schritten den breiten Weg zwischen den Blocks entlang und konnten uns nie sicher sein, ob nicht genau an dieser Stelle jemand erschossen wurde, weil er einfach nur zu schwach war.
Die Backsteingebäude bergen auf jedem noch so belanglos scheinenden Meter ein Stück dunkle Geschichte. Seien es die strohbelegten Schlafräume, in denen man morgens immer wieder neben Leichen aufwachte, die beengenden unterirdischen Gefängniszellen, oder Dr. Mengeles
Räumlichkeiten. Die Kinder, die bei ihrer Ankunft der Gaskammer entkamen, erwartete in den Händen des engelhaft erscheinenden, behandschuhten Mengele oft ein noch grausameres Schicksal. Vor allem Zwillinge. Ein Künstler hatte die Geister der Kinder Auschwitz‘ auf bewegende Weise festgehalten: Auf die weißgestrichenen Wände eines leeren Raums hatte er detailgetreu kleine Kindermalereien abgezeichnet: Soldaten, Panzer, Flüchtende, Tote auf Bahren, das Eingangstor von
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Birkenau und einen einsamen Vogel nahe des Fensters. Im Hintergrund liefen Originalaufnahmen von Kinderstimmen und -lachen.
Das zweite Zimmer empfing uns mit leiser hebräischer Musik, es war abgedunkelt und auf den Wänden flimmerten wechselnde Projektionen von Familienfotos, Aufnahmen vom Urlaub am Meer, Tanzveranstaltungen, Festessen, ein kleines Mädchen, das mit einer Blume in der Hand über ein Feld lief und lachend auf und ab hüpfte. Ich fühlte mich wie in einen Traum versetzt. Das war alles vor Auschwitz, vor dem zweiten Weltkrieg, als noch alles in Ordnung war.
Im nächsten Raum erwarteten uns in voller Lautstärke Hitlers Hetzreden und im Erdgeschoss desselben Gebäudes steht ein Buch mit den tausenden Namen der Opfer.
Der Ausgang des letzten Blocks führte zum
Flur hinaus, an einem Entkleidungsraum
vorbei, ein paar Treppen hinunter nach
draußen auf einen matschigen Innenhof.
Auf der rechten Seite war er von der
Außenmauer des Lagers begrenzt, vor der
eine Wand aus Stroh stand. Sie sollte das
Blut aufsaugen und verhindern, dass die
Kugeln in die Mauer schlagen. Die
Exekutionsmauer. In dem Augenblick, als
ich das begriff, hatte ich schlagartig das
Gefühl, meiner eigenen Exekution
entgegenzugehen. Ich fühlte selbst die ohnmächtige Angst, als wäre ich eine derer, denen nichts mehr blieb als dieser Gang, diese Stufen, zehn Meter matschigen Bodens und dann die Wand. Und dann nichts mehr. Das konnte es doch nicht gewesen sein. Ich sehnte mich nach nichts auf dieser Welt, als diesen Hof wieder verlassen zu können, dass ich nicht bereits zum letzten Mal gesehen hatte, was hinter jener Mauer lag. Ich wollte fliehen. Sie hatten fliehen wollen. Als ich zur Mauer trat, spürte ich nichts als Demut und Respekt. Ich wünschte mir von Herzen, den Menschen, die im Gegensatz zu mir tatsächlich nie wieder aus diesen Mauern herausgekommen waren, irgendwie meinen Respekt erweisen zu können und sie zu würdigen. Würde, weil es das ist, was ihnen als einziges geblieben war, nachdem man sie ihres Hab und Gutes beraubt hatte, ihrer Familie. Die Menschenwürde, die unantastbar sein sollte. Die Würde, die man ihnen als letztes genommen hatte, als man sie wie Vieh und doch noch weniger wert, geschoren, eingepfercht und nummeriert hatte.
Deswegen war es in diesem Augenblick mein größter Wunsch, meinen Teil dazu beizutragen, sie ihnen zurückzugeben. Und diese Ehre wurde mir zuteil, als ich ausgewählt wurde, einen der Blumenkränze bei der Gedenkzeremonie niederzulegen. Es bedeutete mir mehr, als ich es selbst je geglaubt hätte.
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Niemand von uns brach in Tränen aus, aber genauso wenig blieb niemand von uns unbewegt von den Bildern und Eindrücken des Stammlagers. Ich kann nicht für die anderen sprechen, weil jeder Auschwitz anders erlebt. Jeder hat andere Augenblicke, die bei ihm im Gedächtnis bleiben. Oft weiß man vielleicht auch nicht so richtig, wie man sich fühlen soll. Paradebeispiel ist Lagerkommandant Rudolf Höß‘ Galgen am Rande des Stammlagers, nur für ihn aufgerichtet, als der jüdische Hanns Alexander ihn 1946 fasste. Ist es moralisch annehmbar oder verwerflich, dass man angesichts dieser Demonstration ausgleichender Gerechtigkeit Genugtuung empfindet? Darum macht man sich keine Gedanken, wenn man es sieht. Es ist eines von vielen Dingen, die geschehen sind, ob gut oder schlecht. Legt man die Hand an die Wand mit den Kratzspuren im Innern der Gaskammer, glaubt man den Geschehnissen nahe zu sein. Ist man auch. Aber selbst wenn man dort war, trennen einen siebzig Jahre Vergangenheit davon. Niemand von uns kann verstehen oder sich auch nur vorstellen, wie sich Paul Sobol, der Zeitzeuge, der uns zurück in sein Lager begleitet hat, die ersten Male und auch dieses Mal fühlen musste. Wie er sich jetzt fühlt. Wie er damit umgehen kann. Man muss sich auf Auschwitz einlassen, auf die Erinnerungen, die in jedem Stein sind und seit so vielen Jahren bei jedem Besucher neue Eindrücke hinterlassen. Natürlich kann man auch versuchen, nichts an sich ran zu lassen, vielleicht funktioniert es auch. Aber die Mauern, die stacheldrahtumzäunten Wachgänge und die Berge an Habseligkeiten und Haaren sind nichts, das man verdrängen oder leugnen kann.
Auschwitz ist nicht nur eine Erinnerung, eine Erzählung. Es steht dort in Polen, sichtbar für jeden, der sich dahin begibt und willens ist, es sich anzusehen.
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II. DIE IJBS UND HERR SOBOL
Die Organisation der „Témoins de la 2e Génération“ haben uns in Zusammenarbeit mit der Internationalen Jugendbegegnugsstätte und Herrn Paul Sobol (geb. 1926) auch außerhalb der Besuche der Lager ein interessantes Programm angeboten. Jeden Abend konnte man unter anderem an verschiedenen Workshops, Diskussionsrunden, Behandlung von Gedichten, Vorlesungen, Erklärungen über die Entwicklung des Antisemitismus oder an einem Filmatelier teilnehmen.
Dennoch waren sie nicht obligatorisch, so dass es einem offenstand, sich auch ein paar Stunden Zeit für sich zu nehmen.
Neben der Besichtigung der Lager waren die wichtigsten Stunden allerdings die, in denen uns Herr Sobol seine Geschichte erzählte. Er hat eine Autobiografie geschrieben und veröffentlicht und dennoch hätte ich lieber ein einziges Mal ihm zugehört, als hundertmal nur sein Buch lesen zu können. Ich denke, ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn das hier die einzige Möglichkeit für eine solche Erfahrung gewesen wäre und ich sie nicht ergriffen hätte. Deshalb kann ich nur jedem, der noch nicht davon profitieren konnte, ans Herz legen, nicht zu zögern und sein Möglichstes zu tun, um einen Menschen wie Herrn Sobol noch erleben zu können. Wenn er redet vergisst man eine Weile sich selbst Man versucht sich die Erinnerungen, die er wieder hervorruft, in Bildern vorzustellen. Die Eisbahn beispielsweise, die er als Junge am Wochenende besuchte und wo er zum ersten Mal seiner Nelly begegnete. Die Verhaftung am 13. Juni 1944, bedingt durch einen Verrat. Er erklärte uns in einfachen Worten, dass er jung war und ihn der Krieg bis zu dem Zeitpunkt kaum interessierte. Er wurde mit seinen Eltern, seiner Schwester und seinem Bruder erst nach Malines deportiert und war später im letzten Zug nach Auschwitz Birkenau. Dass er bei der Selektion in Birkenau von seiner Mutter losgerissen wurde und sie nach diesem Tag nie wiedersah, war eine der schlimmsten Erfahrungen für ihn. Aus seiner Familie entkam allein seine Schwester Betty dem Vernichtungslager lebend. Er selbst verdankte sein Überleben zu einem Teil seiner eigentlich optimistischen Grundeinstellung, sodass er nicht schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, sobald er angekommen war. Zum anderen, großen Teil allerdings, hatte er sehr, sehr großes Glück. Er konnte bei seiner Ankunft ein Foto seiner Geliebten in der geballten rechten Faust verstecken. Hätten die Nazis zu dem Augenblick nicht
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unter Zeitdruck gestanden, hätten sie strenger kontrolliert und es gefunden. Hätte er das Bild in der Linken gehalten, auf deren Seite das Tattoo seiner Nummer gestochen worden war, hätte man es entdeckt. Mit der Lüge, Schreinerlehrling zu sein, rettete er sich vor dem Gastod. Er riskierte aber bald darauf sein Leben, da er tatsächlich keine Ahnung von der Schreinerei hatte, sondern eher künstlerisch veranlagt ist. Die rettende Idee: er begann einen Holzkasten anzumalen. Da er nicht arbeitete, wurde man auf ihn aufmerksam und rief einen Wächter. Der Nazi zückte ohne Umschweife den Stock und hätte ihm den Schädel eingeschlagen können.
Sein Blick fiel allerdings auf den bemalten Kasten. Er errechnete sich, dass er mit dekorativen Schachteln mehr Geld herausschlagen konnte. „Weiter machen!“ Er wandte sich um und ging. Paul Sobol vergaß diesen Tag nie. Den Todesmarsch nach Gross-Rosen überlebte er nur, weil er durch zufällige Gegebenheiten größere Essensrationen bekommen hatte und demnach etwas stärker war. Im Vernichtungslager war nichts mehr mit Heldentum und Ehrenhaftigkeit. Man verschmähte keine ungleich größere Ration aus Solidarität mit den anderen. Entweder man überlebte, oder nicht.
Der letzte große Zufall, der Paul Sobols Leben rettete, spielte sich am 25. April 1945 ab, als er während eines Bombardements in Dachau flüchten konnte. Als französischer Kriegsgefangener getarnt, erwartete ihn die Befreiung durch die Amerikaner am ersten Mai. Zwei Jahre später heiratete er seine Nelly Vandepaer, deren Foto ihm die Kraft gab zu überleben. Das Bild trägt er heute noch bei sich.
Was wie eine klischeehafte, hollywoodreife Geschichte mit Happy End klingt, ist Realität und keineswegs eine schöne. Nur durch eben solche unglaublichen Zufälle konnte man überleben. Und der ganze glückliche Ausgang riskierte Jahre später doch noch ein schlechtes Ende zu nehmen. Als sein Unternehmen pleite war, er Geldprobleme und zahllose andere Sorgen hatte, hätte er sich beinahe das Leben genommen. Im letzten Augenblick erst kam er zur Besinnung. Er hatte nicht die Hölle überlebt, um seinem Leben, dessen Wert er mehr als viele anderen kennen müsste, ein Ende zu setzen. Wieder einmal fing er bei null an, rappelte sich auf und arbeitete sich hoch. Herr Sobol gestand uns, dass er vierzig Jahre lang kein Wort über Auschwitz verloren hatte. Zu niemandem, nicht einmal seinen Kindern. Daher hatte er auch absolut keine Absicht, als Zeitzeuge wieder zurückzukehren. Dennoch konnte er überredet werden. Anfangs äußerte er sich nur selten, doch mit der Zeit öffnete er sich der zweiten Generation immer mehr. Er erkannte, wie wichtig es ist, dass die Erinnerung nicht verloren geht. Zuerst waren die Reise zurück und die Diskussionsrunden mit den Jugendlichen wie eine Pilgerfahrt für ihn, später immer mehr wie eine Therapie. Heute ist es für ihn beinahe selbstverständlich. Auch wenn das ein oder andere Kapitel selbst jetzt noch verschlossen bleibt, erzählt er uns einfach nur sein Leben, nicht mehr und nicht weniger, weshalb er seine Zuhörer auch bittet nicht zu klatschen. („Je ne suis pas une vedette!“, wie er schmunzelnd erklärte.)
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Das Wichtigste sei, das Unmögliche zu tun, um zu verhindern, dass so etwas wie Auschwitz jemals wieder stattfinden könne. Er glaubt nicht, dass genau dasselbe noch einmal passieren wird, hofft es jedenfalls nicht. Unsere moderne Zeit sei gekennzeichnet von „chance, inquiétude et possibilité“.
Grundlegend ist wohl, dass wir unsere Chancen nicht vertun und unsere Möglichkeiten nutzen. Verunsicherung ist normal, jedoch ist sie viel kleiner, wenn man von hinten abgestützt ist und nach vorne Richtlinien hat. Vielleicht kann man sie also überwinden, wenn man die Vergangenheit kennenlernt und für die Zukunft daraus lernt.
« Il faut faire l’impossibilité pour que jamais ça ne se reproduise. »
(Paul Sobol)
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III. AUSCHWITZ II-BIRKENAU
Der Bus hatte die Stadt verlassen und fuhr auf einer relativ geraden Straßen an flachen Feldern und Wiesen vorbei. Kilometerweit keine Gebäude und ich wusste nicht, wann wir ankommen würden. Soweit ich verstanden hatte, sollten wir Herrn Sobol an einem gewissen Punkt absetzen. Irgendwann hielten wir also an, unser Zeitzeuge stieg aus, der Bus wendete. Vor mir ragte der Eingang von Auschwitz Birkenau auf. Ich hatte nicht bemerkt, dass wir die ganze Zeit genau auf gerader Linie dem Lager entgegengefahren waren und jetzt plötzlich stand der braune Wachturm vor mir. Ich war komplett überrumpelt. Es konnte nicht sein, ich bekam es nicht auf die Reihe. Wir waren da. Hier. Birkenau. Als wäre es ein ganz gewöhnlicher Ort. Der Bus fuhr einige hundert Meter zurück auf einen Parkplatz und wieder einmal konnte ich nicht mehr die Augen von dem Eingang wenden, der so völlig unvorbereitet aufgetaucht war. Es war schlimmer als beim Stammlager. Hiervor hatte ich größere Angst. Die Schienen, die harte Symmetrie des Torgebäudes. Wir stiegen die Treppen hinauf in den Hauptaufsichtsturm. Bei jedem Treppenabsatz stellte ich mir einen wackligen Tisch vor, an dem rauchende, uniformierte Nazis Karten spielten. Der gesamte Aussichtsraum ist mit Fenstern bestückt, man kann problemlos bis weit in alle Richtungen sehen. Vor uns erstreckte sich ein kilometerlanger Friedhof. Kamine und Ruinen, alles was von den gesprengten Baracken übriggeblieben war, lagen wie zerfallene Grabsteine zerstreut auf der stacheldrahtumzäunten Ebene.
Paul Sobol stand dort, wo er sich vor siebzig Jahren wahrscheinlich nicht im Traum hätte vorstellen können. Dort, von wo aus deutsche Soldaten mit Argusaugen das Exterminationslager Auschwitz- Birkenau beobachtet hatten. Seinen Erklärungen folgend erkannte man von hier oben
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die Einteilung des Lagers in die Bereiche der Frauen, Kinder, Männer, Zigeuner und so weiter. Hinter dem freien Feld beginnt ein
Birkenwald. Birkenau.
Die vorderen Baracken wurden für Hollywood rekonstruiert. Dünne Holzwände und ein Heizschacht, der nie gebraucht wurde, weil es kein Brennmaterial gab, dienten kaum als Schutz gegen die tödliche Kälte im Winter. Im Sommer allerdings war es so brütend heiß und stickig, dass es nicht auszuhalten war. Hunderte Menschen einzigen Baracke auf mehrstöckigen
einer
schliefen
Bretterkonstruktionen, die ihnen als Bett dienten. Da es verboten war, während der Nacht das Bett zu verlassen und sei es nur um zur Latrine zu gehen, schliefen die Stärksten oben. Wer ganz unten lag, hatte sowieso nicht mehr für lange.
zusammengepfercht in
Die Nazis wussten ganz genau, wie sie die Häftlinge gegen sich selbst ausspielen konnten. Mit Belohnungen, Bestrafungen, Beförderung und Extrarationen schufen sie eine animalische Hierarchie, die auf reinem Überleben des Stärkeren basierte und genau deswegen so gut griff. Bei den Frauen war es nicht anders als bei den Männern. Auch Kinder waren immer wieder von Nutzen. Sie hatten ihre eigene Baracke, Betten aus Brettern und steinernen Trennwänden. Als ich zwischen den stallähnlichen Einteilungen der Kinderbaracke umherging, kam ich erneut nicht umhin, an meine kleinen Kusinen zu denken und sie mir hier vorzustellen. So viele schreiende Kinder, große Geschwister, die das Weinen und die Fragen der Kleinen unterdrücken mussten, weil niemand mehr einen Laut von sich geben durfte, sobald das Licht gelöscht worden war. Als wir an den Kinderlatrinen
vorbeikamen, erzählte man uns von einigen, die sich in den mit Exkrementen gefüllten Löchern vor den regelmäßigen Ausmusterungen versteckten. Ziel der Auserwählten war wohl meist die Gaskammer oder Mengeles Praxis.
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Für neu angekommene Deportierte war der
wohl entscheidendste Punkt die ursprüngliche
sogenannte Judenrampe. Später wurde die
Endstation fünfhundert Meter ins Lagerinnere
verlegt. Die Schienen dazu legten die
Häftlinge natürlich selbst. Die Schiebetüren
der Viehwaggons wurden aufgerissen und ein
Schwall von Menschen stürzte heraus.
Lebende und Tote. Deutsche Soldaten schrien.
„Schnell! Schnell!“ „Du nach Links! Du,
rechts! Rechts!“ Familien wurden
auseinandergerissen, Kinder aus den Händen
ihrer Mütter gezerrt, Großeltern in der
Hoffnung auf ärztliche Versorgung mit allen
Mitteln zu Wagen mit dem Roten Kreuz
geschleust. Die Wagen fuhren zu den
Gaskammern. Links oder rechts konnte über
Leben und Tod entscheiden. Oft aber nur über
den Zeitpunkt des Todes: in den nächsten Minuten oder in den nächsten, wenigen Monaten.
Ein kaum befestigter Weg führte von der Selektion fort, durch eine hoch umzäunte Schneise zwischen zwei Teilen des Lagers hindurch bis auf die andere Seite, ein Fußweg von ungefähr einem Kilometer in Richtung Gaskammer. Mittlerweile musste den noch ahnungslosen Menschen der fremde Geruch, der über dem ganzen Land lag, in die Nase gestiegen sein. Der Staub, der über allem lag und der ständig aufsteigende Rauch etwas weiter hinten im Wald. Je näher man den Bäumen kommt, desto größer erstreckt sich das Lager hinter einem. Stacheldrahtzaun an Stacheldrahtzaun, Kamin an Kamin, Grabmal an Grabmal. Ein kurzes Stück hinter der Grenze zwischen baumloser Ebene und Wald steht eine Tafel mit einer schwarzweißen Fotografie welche zahllose Kinder und Frauen zeigt, die sich hier, an dieser Stelle im Wald verteilt hatten und auf weitere Anweisungen warteten. Sie saßen, standen, blickten in die Kamera oder weg. Vorne stand wie ein kleiner Engel in einem hellen Röckchen wieder ein kleines Mädchen. Ich konnte nicht mehr lächeln, nicht über Belanglosigkeiten reden. Ich fragte mich, was es war, das ich in diesem Augenblick tief in mir drin verspürte. Im Stammlager war es Betroffenheit, Entsetzen, Grauen. Mittlerweile hatte es sich verändert. Als ich dieses Bild sah, fand ich die Antwort. Dumpfer Hass. Es war kein offener Zorn, der einen schreien, toben und weinen gelassen hätte, sondern so stark und ernsthaft, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich hasste nicht die Deutschen, ich hasste die unmenschlichen Männer und Frauen, die tausende Unschuldige mit ruhiger Grausamkeit quälten und langsam sterben ließen. Ihre Habseligkeiten und kleinen Reichtümer an sich rissen, selbst die Haare vom Kopf, und die unbrauchbaren Körper vergasten, verbrannten, verscharrten und aufeinanderhäuften. Die Lagerkommandanten die mit ihrer Familie in einer fein säuberlichen Villa wohnten und Frau und Tochter einen Kuss gaben, bevor sie das Haus verließen, um „jüdische Huren und Hunde“ zu beseitigen. Ich kann nicht sagen, welchen Abscheu ich bei den Bildern der aufgeschichteten, vor sich hin qualmenden
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Körper und den Ruinen der gesprengten Krematorien empfand. Dass man noch heute den verbrannten Geruch der Ziegel riecht, ist tatsächlich keine Einbildung. Genauso wenig wie der schwarze Weiher. Der Boden um das kleine Gewässer ist dunkel, das Wasser trüb und aschgrau. Bevor wir vom äußersten Ende des Lagers zurück zum Eingang gingen, führte uns unsere Reiseführerin durch das Gebäude, in dem sich die Deportierten entkleideten, geschoren und nicht selten absichtlich bei offenem Fenster mitten im polnischen Winter stundenlang warten gelassen wurden, bevor man sie duschen und ihnen ihre Häftlingskluft zukommen ließ. Im letzten Raum hingen hunderte von persönlichen Fotos.
Nach der zweiten Gedenkfeier, bei der jeder eine Rose am Denkmal niederlegte, traten wir schließlich den Rückweg zum „Tor des Todes“ an.
Birkenau ist schwer in Worte zu fassen. Es ist in allen Hinsichten eine andere Dimension als das Stammlager. Schon alleine die Ausmaße sind schwer zu erfassen, ganz davon zu schweigen, dass es ursprünglich Pläne gab, das Lager noch einmal um dieselbe Fläche zu erweitern. Dann noch zu versuchen, sich die Menschen vorzustellen, Ahnungslose, Gepeinigte, Abgestumpfte, ist nicht mehr
möglich. Eine ganze Ebene voll von wandelnden Toten, die alle noch vor nicht allzu langer Zeit ein gewöhnliches Familien- und Arbeitsleben hatten und nun kaum mehr Menschen waren.
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IV. KRAKAU UND HEIMREISE
Nach Auschwitz wieder in den Alltag zurückzukehren ist nicht ganz selbstverständlich.
Die Besichtigung Krakaus, dessen Altstadt Teil der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes ist, führte uns durch die letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte zurück in die Gegenwart. Der imposante Wawel Schlossberg an der Weichsel, die beeindruckende Marienkirche auf dem Hauptplatz und das frühere jüdische Ghetto Kazimierz mit einer international bekannten Synagoge und Oskar Schindlers Fabrik, zeugen von Krakaus Geschichte und den zahlreichen Gesichtern der Stadt.
Neben dem kulturellen Teil gab uns die kleine Tour allerdings auch noch einmal die Gelegenheit gemeinsam über unsere Eindrücke der letzten Tage zu reden und die Heimreise am Abend des 31. Oktobers nach einem etwas lockereren Abschluss anzutreten.
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V. FEEDBACKS
Nach der Rückkehr befasste sich jeder noch ein wenig mit seinen Eindrücken und Erfahrungen und schickte sein Feedback an Frau Duchaine. Die Texte, die dabei entstanden sind, spiegeln die Gedankengänge jedes Einzelnen zu Auschwitz wider.
Jessica Bastian
Vom 27. Oktober bis zum 1. November hatten 10 Schüler aus dem LGL die Möglichkeit eine Studienfahrt nach Auschwitz anzutreten. Insgesamt nahmen 13 Schulen an dieser Reise teil und das Ganze wurde uns durch die Organisation „Témoins de la 2e Génération“ ermöglicht. Während meinem Aufenthalt in Polen ging es hauptsächlich um die Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus, dem Stammlager Auschwitz I und dem Vernichtungslager Auschwitz- Birkenau (Auschwitz II).
Obwohl ich schon einiges über Auschwitz in Büchern und Dokumentationen gesehen hatte, war die Wirklichkeit doch anders und emotional viel heftiger. Was mich persönlich besonders berührt und erschrocken hat, waren die buchstäblichen Berge an Brillen, Haaren, Schuhe und Töpfe, die in verschiedenen Räumen lagen. Wenn man bedenkt, dass dies nur einen kleinen Teil darstellt, wird einem die Grausamkeit von Auschwitz bewusst. Auch die unendlich vielen Porträtfotos der getöteten, unschuldigen Menschen, die an den Wänden hingen und die riesige Anzahl an Familienfotos, die man gefunden hat, erschütterten mich zutiefst.
Ein weiterer Schwerpunkt dieser Reise war, als wir die erste Gaskammer und das erste Krematorium, ein kleiner Nebenraum mit zwei Verbrennungsöfen, besichtigten. In diesem Moment überkommen einen Gefühle, die eigentlich kaum zu beschreiben sind...
Am darauffolgenden Tag besuchten wir das Vernichtungslager II, welches für sein markantes Eingangstor bekannt ist, durch das die Züge fuhren und somit für tausende Menschen das Ende und somit den Tod einläutete. Als wir dort ankamen, war ich sehr über die Größe dieses Lagers schockiert, die mir einfach unendlich vorkam und noch viel mehr Platz einnahm als das Stammlager. Eine Frau begleitete uns die zwei Tage und erklärte unserer Gruppe, was sich an diesem Ort zugetragen haben muss. Sich vorzustellen unter welchen unmenschlichen Bedingungen die Menschen in diesen Barracken gelebt haben, rührte mich mehrmals zu Tränen. Ich stellte mir mehrmals die Frage wie Menschen nur zu so etwas Schrecklichem fähig sind. Gut fand ich, dass wir zwei Mal an einer „Cérémonie de commémoration“ teilgenommen haben; im Stammlager bei der Todeswand (auch noch schwarze Wand genannt) und in Birkenau am internationalen Monument, wo jeder eine rote Rose niederlegte. Die Begegnung mit Herrn Paul Sobol, einem Überlebenden der „Fabrik des Todes“ von Auschwitz, war ebenfalls ein „Höhepunkt“ dieser Studienfahrt. Man lernt selten einen so besonderen und sympathischen Menschen kennen, der einem auf jede Frage antwortet und sich noch an kleinste Details erinnert. Er zog mich mit seinen Erlebnisberichten in seinen Bann und in diesen Momenten flossen bei mir und auch bei vielen anderen Schülern die Tränen.
Was mir noch gefallen hat, war die Möglichkeit an einigen Aktivitäten teilzunehmen, die von den „Témoins de la 2e Génération“ organisiert wurden. Ich besuchte die Gruppe „No Hate Speech“,
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beschäftigte mich mit dem Thema Antisemitismus und nahm an einer Vorlesung zu einem sehr interessanten Buch teil. Am letzten Tag besuchten wir noch die Stadt Krakau.
Ich kann einen Besuch im KZ Auschwitz jedem empfehlen, denn es berührt ein Thema, das jeden von uns etwas angeht und man sollte sich wirklich damit beschäftigen, damit sowas nie wieder passiert. Ich muss sagen, dass man für diesen Besuch starke Nerven haben muss. Jedoch muss ich zugeben, dass man nur so am besten lernt, was in der Vergangenheit geschehen ist. Ich bin wirklich froh, dass ich die Möglichkeit hatte diese Erfahrungen zu machen, denn dieses Erlebnis hat mich geprägt, verändert und ich werde noch oft daran denken. Deshalb möchte ich zum Schluss noch, der Organisation danken, dass ich die Möglichkeit hatte diese Fahrt anzutreten, sowie auch den beiden Lehrerinnen und neun Schülern, die mich in diesen Tagen begleitet und das Ganze mit mir erlebt haben.
Felix Boever
Il était environ dix heures du soir lorsque les deux bus se sont mis en route en direction de la Pologne. Nous étions à peu près un groupe de 120 élèves, professeurs et accompagnateurs. Un trajet de 17 heures à travers l'Allemagne et la Pologne nous attendait.
À 15 heures, on était enfin arrivés dans la petite ville d'Oświęcim («Auschwitz» en allemand) dans la voïvodie de Petite-Pologne, au sud du pays. Fatigués du trajet, mais contents de l'arrivée, nous avons été chaleureusement accueillis par l' IJBS, la «Internationale Jugendbegegnungsstätte». Celle-ci, qui a comme but de faire comprendre le nazisme et ses conséquences aux jeunes, était notre centre pédagogique et notre auberge de jeunesse pour les trois jours à Oświęcim.
En fin d'après-midi, M. Paul Sobol nous fût présenté, rescapé du camp de concentration et d'extermination d'Auschwitz, et nous a parlé de son passé.
Paul Sobol est né à Paris le 26 juin 1926. En 1936, la famille Sobol déménage à Bruxelles. Étant de confession juive, la famille Sobol se cache dès 1942 pour échapper à l'arrestation. Pendant cette période, Paul Sobol change de nom et s'appelle désormais Robert Sax. Le 13 juin 1943, la famille se fait arrêter par la Gestapo et est transférée au camp de regroupement à Malines. «Puisque la situation semblait mauvaise pour les Allemands (débarquement des Alliés en Normandie le 6 juin 1944), on ne croyait plus à notre déportation».
Pourtant, la famille Sobol fût déportée le 31 juillet 1944 avec le dernier convoi quittant Malines en direction Auschwitz-Birkenau. Paul Sobol était affecté à un commando de menuisier. Évacuant le camp d'Auschwitz-Birkenau le 17 janvier 1945 à cause de l’avancée des troupes de l'armée rouge, Paul Sobol participe à la marche de la mort. Les survivants furent parqués dans des wagons pour Dachau. Profitant d'un bombardement des alliés, Sobol s’est enfui et a trouvé refuge dans un village libéré par les Américains le premier mai.
D'après moi, le voyage éducatif à Auschwitz - le 20ème voyage de l’a.s.b.l. Témoins de la 2e Génération sur le site - a été une grande réussite.
Avec impatience, j’ai attendu le départ, sûr et certain qu'on ne me décevrait pas. L'organisation a été très bonne, avec un mélange équilibré d'encadrement pédagogique et de temps libre.
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Les activités pédagogiques, organisées pour la première fois par l'équipe des accompagnateurs, contenaient des thèmes intéressants et importants de nos jours et de jadis.
Je suis très reconnaissant que l'a.s.b.l « Témoins de la 2e Génération » ait pu nous assurer la présence d'un témoin de l'époque, Paul Sobol. J'ai très apprécié le séjour à Cracovie, qui nous a permis à tous de nous libérer des pensées sombres du camp de concentration, sans les oublier de suite.
Je tiens à remercier l'association Témoins de la 2e Génération qui a pu réaliser ce voyage à l'aide des lycées participants. Surtout un grand merci aux professeurs et aux accompagnateurs pour cet encadrement professionnel et aimable. Sans oublier M. Sobol et les guides qui ont fait de leur mieux pour nous transmettre les événements d'autrefois.
Nathalie Boon
Die Besichtigung des Stamm- und Vernichtungslagers in Auschwitz war bedrückend aber auch lehrreich und brachte mich vor allem zum Nachdenken. Kein Geschichtskurs oder Dokumentarfilm kann das wiedergeben, was ich dort in Auschwitz gesehen habe. Am schockierendsten fand ich die persönlichen Spuren, die dort von den Gefangenen hinterlassen wurden wie beispielsweise die verzweifelten Kratzer an den Wänden der Gaskammern oder das endlose Meer aus abgeschnittenem Frauenhaar, das sich hinter einer Glasvitrine befand.
Ich bin aber auch froh darüber, dass ich die Chance hatte, neben Herrn Sobol und dem Erbgroßherzog Guillaume sowie seiner Frau Stéphanie an einem Esstisch zu sitzen und mich mit ihnen unterhalten zu können. Es ist bewundernswert, wieviel Lebensenergie Herr Sobol für seine beachtlichen 90 Jahre hat. Noch nie bin ich einem Menschen begegnet, der so viel Lebensoptimismus in sich trägt. Ich denke, dass ich für jeden spreche, wenn ich sage, dass uns seine Geschichte sehr berührt hat.
Ich bin auch der Organisation „Témoins de la 2e Génération“ dankbar, dass sie die ganze Reise organisiert haben. Die Aktivitäten, wie „NoHateSpeech“ oder die Vorlesung von Jay Schiltz‘ zum Buch „Aschengänger“ waren sehr interessant.
Insgesamt habe ich viel während der Reise gelernt und finde, dass jeder zumindest einmal im Leben Auschwitz gesehen haben sollte. Ich werde die Besichtigung und all das, was wir in den paar Tagen an Eindrücken gewonnen haben so schnell nicht vergessen.
Fernando Da Mota
D’Rees op Auschwitz war eng Rees, déi all méiglech Erwaardungen net nëmmen erfëllt, mee och iwwertraff huet.
Et huet alles schonn am Bus ugefaang, wou mir mat immens gudde Filmer op dat, wat duerno komm ass, virbereet gi sinn.
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Natierlech ass et net vergläichbar, well wéi mir duerno bis op der Plaz waren, hat mengen ech jidderee vun eis Momenter, wou de Schweess, trotz der kaler Loft an de niddregen Temperaturen, de Réck erofgelaf ass.
Wat mir erlieft hunn a Wierder ze faassen, ass eng Aufgab, mat där een sech ganz laang beschäftege kann ouni op en zefriddestellend Resultat ze kommen. D’Sprooch gëtt deenen onmënschlechen, dégradéierenden an onvirstellbare Konditioune mat hirem Vokabulär, egal wéi präzis en och maach sinn, einfach net gerecht.
Mir hate ganz gutt Guiden, déi eis vill gewisen an erkläert hunn an och een Zäitzeien, den Här Sobol, deen trotz sengem héijen Alter nach erstaunlech gutt a Form war, an eis mat senger Liewensgeschicht a virun allem mat dem Témoignage iwwert seng Zäit a säi Liewen oder besser sengem Iwwerliewen am KZ markéiert huet.
Genau aus deene Grënn kënne mir eis, esou ergeet et mol mir, dat ganzt zwar besser virstellen, awer begräifen a verstoen ass nach ëmmer net méiglech.
An dass dës Rees engem säi Liewen, an d’Aart a Weis wéi en alles am Liewe gesäit, verännert, stëmmt wierklech. All déi, déi d’Chance hunn an Zukunft kënne matzegoen, sollen se sech net entgoe loossen.
Felix Engel
-„Und? Wie war Auschwitz?“, durchlöcherten mich meine Familie, meine Freunde und Bekannte.
Nun mal ehrlich, was antwortet man auf solch eine Frage?
Toll?, Unterhaltsam?, Schön?, all diese Antworten erschienen mir eher unpassend. -„Interessant!“ , erwiderte ich nach kurzweiligem Nachdenken.
Interessant weshalb?
Ich bin in erster Linie eigentlich überrascht über mich selbst. Ich habe mich, entgegen der Erwartungen meiner Eltern, kaum verändert. Jedenfalls scheint es nach außen hin, als ob diese Reise keine besonders große Einwirkung auf meine Person gehabt hätte. Jedoch erwische ich mich von Zeit zu Zeit dabei, wie ich banale Situationen im Alltagsleben anders wahrnehme, als noch zum Beispiel zu Schuljahresbeginn. Während meine Freunde sich morgens in der Klasse lautstark darüber aufregen, dass sie im Bus stehen mussten da kein Platz mehr frei war (für 20 Minuten!?), muss ich beispielsweise an die Deportierten in den Zügen denken, die durch die eisige Winterskälte während mehreren Tagen in die Ungewissheit fuhren. Im Grunde sind es solche Momente, die mir zeigen, was der Sinn einer Besichtigung von Auschwitz eigentlich ist. Es ist nicht der Fall, dass man nun viel mehr über Auschwitz weiß als vorher, diese Fakten stehen eh in den Geschichtsbüchern.
Der elementare Unterschied liegt darin, dass man sich nun vorstellen kann was „Auschwitz“ einem persönlich bedeutet ...
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Man kann es kaum in Worte fassen, doch ich denke Auschwitz wirkt auf jeden individuell anders ein. Jeder hat seine eigenen Momente die ihn vielleicht besonders schockieren, treffen oder vielleicht sogar erfreuen. Ich habe diese Augenblicke noch ganz genau vor Augen, möchte sie an dieser Stelle aber nicht niederschreiben, da ich sie nicht ansatzweise so wiedergeben kann, wie ich sie verspürt habe.
Zuletzt würde ich noch gerne zwei Aussagen der Reise anführen, die in meinen Augen nicht vergessen werden sollten:
„Le moment le plus choquant pour moi était le moment où j’ai perdu ma maman...“, einschließlich des Blickes erfüllt mit einer unendlichen Leere von Paul Sobol.
„Ich frage mich wie in unserem Nachbarland tatsächlich nur eine Person den Mut hat zu sagen „Wir schaffen das!“...“ , - Charles Goerens.
Ugur Eroglu
Le 27 octobre 2016, nous avons quitté le Luxembourg pour partir en Pologne. Il nous a fallu 15 heures pour arriver à notre destination, l’auberge de jeunesse se situant à quelques kilomètres du camp de concentration. Fatigués du long voyage, nous avons quand même eu la possibilité d’écouter le discours de Paul Sobol, un témoin de la Seconde Guerre mondiale. Celui-ci habitait en Belgique, à Bruxelles. Lors de ses 15 ans, il a été déporté et emmené au camp de concentration de Dachau. Nous avons terminé notre journée en écoutant ses ténèbres souvenirs. Le lendemain, nous avons eu la visite surprise du Prince Guillaume et de son épouse Stéphanie qui nous ont accompagnés pour la visite du camp de concentration menant non seulement les juifs, mais également des résistants ou des fermiers polonais directement à la mort. Après avoir visité ce camp de concentration de la mort où les prisonniers vivaient dans des affreuses conditions, nous avons continué à écouter le discours de Paul Sobol et nous avons eu l’occasion de lui poser pleins de questions. Épuisés de la longue journée, nous avons quitté l’auberge pour découvrir la petite ville le soir. Le troisième jour, nous sommes enfin allés dans le camp de concentration de Dachau où Paul Sobol a été déporté. Le dernier jour, nous avons terminé notre voyage en visitant la ville de Cracovie.
Ce voyage commémoratif était très instructif et inoubliable. Ce que j’ai apprécié en particulier c’était la présence d’un survivant de cette période sur place. Il nous a appris plein de choses de son vécu et nous a fait revivre son passé.
William Fontaine
J'ai trouvé le voyage digne d'être vécu. Certes, notre alimentation n'aura pas été des meilleures, mais j'ai tout de même aimé l'ambiance régnant dans notre auberge. Beaucoup d'émotions ont été ressenties, travaillées et digérées, et je ne les oublierai jamais. Ces camps nous changent le filtre de nos perceptions, perpétuant leur renommée. Cracovie est une ville remplie de souvenir et de contes, et je suis heureux d'en avoir eu un aperçu. Je recommande ce voyage émotif aux plus courageux.
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Lynn Hoffeld
Auschwitz zählt zu den Erfahrungen, die man unbedingt gemacht haben muss. Es war eine unvergessliche Reise, da wir auch das Glück hatten mit einem Zeitzeugen zu sprechen.
Was mich sehr betroffen gemacht hat, war zu sehen unter welchen Umständen die Gefangenen dort leben mussten. Sie wurden wie Tiere behandelt und, obwohl man das schon im Geschichtsunterreicht gelernt hat, war es trotzdem anders es in Realität zu sehen. Meine Eltern sagten mir, dass Birkenau die wahre Herausforderung wäre, doch meiner Meinung nach war das Stammlager das Schlimmste.
Durch diese Studienreise hatten die Opfer plötzlich einen Namen und gingen nicht mehr in der großen Gesamtzahl unter. Man erzählte uns von unzähligen Familien die auseinandergerissen wurden und man zeigte uns ihre persönlichsten Schätze die ihnen dann weggenommen wurden. Wer gab den Nazis das Recht über Leben und Tod entscheiden zu dürfen?
Das was mich am meisten berührte, war die unglaublichste Liebesgeschichte, die ich jemals hörte: die von Herrn Paul Sobol, einem Zeitzeugen und Überlebenden von Auschwitz. Kaum zu glauben, dass ein Mensch, der so viel durchgemacht hat, über seinen eigenen Schatten springen kann und jungen Zuhörern über die dunkelsten Monate seines Lebens erzählen kann, ohne in Tränen auszubrechen. Er antwortete uns auf alle Fragen stets ehrlich aber sehr gelassen und humorvoll, was ihn als Mensch noch stärker und sympathisch aussehen ließ.
Auschwitz war eine sehr anstrengende Reise, trotzdem bereue ich meine Entscheidung nicht dabei gewesen zu sein und würde es immer wieder tun.
Lynn Mohr
Als wir nach ungefähr sechszehn Stunden Busfahrt in der kleinen polnischen Stadt namens Auschwitz ankamen, wurden wir herzlich von den Vorstandsmitgliedern der „Témoins de la 2e Génération“ empfangen. Bei der anschließenden Versammlung, in der Herr Paul Sobol, ein Überlebender des KZ Auschwitz, ebenfalls anwesend war, wurden wir über den Ablauf der bevorstehenden Tage informiert.
Erster Tag: Auschwitz - Stammlager
Es ging morgens früh los. Trotz eisiger Kälte zog es viele Menschen von überall aus der Welt in das Stammlager. Jeder möchte mit eigenen Augen sehen, was sich dort zugetragen hat, um besser verstehen zu können. Auch Jahre danach spürt man noch die finstere Aura an diesem Ort. Ich habe sehr viel Schockierendes erfahren, von dem ich glaubte, es könnte nicht wahr sein.
Persönlich fand ich die Gaskammer am Schlimmsten, da man das Gefühl hatte, man würde in diesem Raum getötet.
Am Nachmittag fand dann wieder eine Versammlung statt, in der Herr Sobol uns von seiner Zeit im KZ berichtete und ebenfalls auf einige Fragen seitens der Schüler einging.
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Zweiter Tag: Auschwitz – Birkenau
Nun ging die Reise weiter nach Birkenau, dem größten Vernichtungslager der Nazis. Heutzutage steht nicht mehr viel auf dem Feld, jedoch kann man erahnen wie viele Menschen dort umgebracht wurden. Herr Sobol gab uns am Eingang einige Grundinformationen, was die einzelnen rekonstruierten Baracken darstellten.
In eine Baracke wurden bis zu 400 Menschen gepfercht. Die Hygiene und die Nahrung waren schrecklich; man durfte nur 2 Mal am Tag auf die Gemeinschaftstoilette und zum Essen gab es Suppe und eine Scheibe Brot. Ebenfalls erfuhren wir, dass Männer und Frauen getrennt leben mussten. Viele Frauen, Alte und Kranke wurden bereits bei ihrer Ankunft in die Gaskammern gebracht und getötet.
Die Führung endete mit einer Schweigeminute und Rosen wurden auf dem Denkmal niedergelegt.
Nachmittags erfuhren wir den Rest von Herrn Sobols Geschichte und er beantwortete ebenfalls wieder die Fragen der Schüler.
Letzter Tag: Kraków – Abreise
Um nach diesen zwei ereignisreichen Tagen, die Reise langsam ausklingen zu lassen, fuhren wir nach Kraków, der zweitgrößten Stadt Polens. Dort machte unsere Gruppe einen Stadtrundgang und besichtigte noch eine Synagoge und den dazugehörigen Friedhof.
Gegen 20 Uhr begann die Heimfahrt.
Im Großen und Ganzen hoffe ich, dass jeder sich einmal die Zeit nimmt und sich mit diesem wichtigen und dazu noch aktuellen Thema auseinandersetzt. Es muss den Menschen klarwerden, dass sich solche Ereignisse keineswegs jemals wieder widerholen dürfen.
Celina Thommes
Als ich erfuhr, dass ich nach Auschwitz mitgehen konnte, war ich einerseits natürlich dankbar. Mir war bewusst, dass es keine selbstverständliche Chance war, an dieser Bildungsreise teilnehmen zu können. Andererseits hatte ich aber auch zu dem Zeitpunkt schon eine Ungewissheit in mir. Ich fragte mich, ob ich weinen würde. Und ob ich nach diesen Tagen endlich einen realen Begriff von dem Grauen in Auschwitz haben würde.
Ich weinte nicht. Aber auch wenn ich es in Polen nicht direkt bemerkte, so hat jede einzelne Stunde, die ich im Stammlager war, im Vernichtungslager, jede Minute mit Paul Sobol, einen tiefen Eindruck in meinem Bewusstsein hinterlassen. In dem Bewusstsein, wie ich die Welt, die Menschen und die Vergangenheit wahrnehme.
Doch nicht nur die Zeit in den Lagern war von Bedeutung. Auch nach den Führungen befassten wir uns in der Jugendbegegnungsstätte mit dem, was wir empfunden und wahrgenommen hatten, sprachen in kleinen Gruppen darüber oder nahmen an Workshops teil; unter anderem über den damaligen wie heutigen Antisemitismus. Für die Vielfalt ihrer Organisation möchte ich den „Témoins de la 2e Génération“ und unserem Gasthaus ein ganz positives Feedback ausdrücken. Sie ließen einem jede Möglichkeit zur Verarbeitung des Erlebten offen. Ob man seine Eindrücke
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produktiv im Filmworkshop verarbeiten, einfach nur einer tiefen Stimme, die aus dem „Aschengänger“ vorlas, zuhören, oder ob man sich eine Stunde zurückziehen wollte.
Ich weiß nicht, ob ich von Auschwitz als einer positiven Erfahrung sprechen kann. Eigentlich schon, aber es klingt irgendwie verkehrt und unangebracht. Ich werfe niemandem meiner Kameraden vor, nicht mitkommen zu wollen. Aber nachvollziehen, dass es sie nicht wirklich interessiert, kann ich nicht. Ich kann nur jeden bitten, wenigstens einmal im Leben dahin zu gehen. Ich bin dankbar, noch mit einem Zeitzeugen gesprochen haben zu können und dankbar für das, was mich dieser Ort gelehrt hat.
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VI. PRÄSENTATION DER SCHÜLER AM 16. DEZEMBER 2016 (Artikel zur Präsentation veröffentlicht auf www.lgl.lu)
Le vendredi 16 décembre se sont réunis plus de 160 élèves de 2e pour assister à une présentation plutôt hors du commun.
Une dizaine d’élèves de 2e ayant fait un voyage à Auschwitz en novembre, Celina, Jessica, Lynn H., Lynn M., Nathalie, Ugur, Felix B., Felix E., Fernando, et William, se sont dit qu’ils pourraient parler de leur vécu et de leurs expériences à leurs camarades.
Ainsi, Celina, Jessica, Nathalie et Felix E. ont pris la parole devant toute une assemblée d’élèves et de professeurs pour évoquer leurs impressions quant à leur voyage éducatif à Auschwitz. Ils ont non seulement réussi à maintenir toute l’attention de l’assemblée, qui s’est avérée très participative en leur posant des questions fort intéressantes, mais ils ont aussi été capables de nous faire vivre des moments émotionnels et inoubliables.
Un grand merci à ces élèves courageux, envieux et surtout très responsables d’avoir pris cette initiative de nous avoir transmis à tous ce qui s’est passé dans l’Histoire et que nous n’oublierons pas de sitôt.
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VII. DANKSAGUNG
Im Namen der gesamten Gruppe bedanke ich mich bei allen, die uns diese Erfahrungen ermöglicht haben: die „Témoins de la 2e Génération“, Herr Paul Sobol, die IJBS, unsere Direktion, Frau Duchaine und Frau Santos, unsere Busfahrer, und alle anderen, die zur Organisation und Realisation dieser Reise beigetragen haben.
Außerdem einen großen Dank an alle, die bei der Präsentation über Auschwitz am 16. Dezember dabei waren und mit denen wir unsere Eindrücke und Erfahrungen teilen konnten.
Celina Thommes
Meinerseits möchte ich allen Schülerinnen und Schülern für ihren aktiven Beitrag zur Vorbereitung der Präsentation für die 2e-Klassen danken. Darüber hinaus geht mein Lob vor allem an Celina Thommes für ihren vorbildlichen Beitrag zur Ausarbeitung der vorliegenden Zusammenfassung. Ich weiß nicht nur ihr unermüdliches Mitwirken an dieser Arbeit zu schätzen, sondern bewundere ebenfalls ihren Arbeitswillen sowie die Art und Weise wie sie ihre ganz persönlichen Eindrücke mit uns allen teilt.
An dieser Stelle ermutige ich alle Schüler die erforderliche Reife zu zeigen und diesem wichtigen Teil der Geschichte den nötigen Respekt zu zollen, damit auch in Zukunft niemand vergisst.
Stéphanie Duchaine (Professorin am LGL)
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