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Margrit Gehrhus Katalog FLEISCHFARBEN und HAUTFARBEN

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Published by r3289075, 2021-08-30 03:23:06

Margrit Gehrhus

Margrit Gehrhus Katalog FLEISCHFARBEN und HAUTFARBEN

MARGRIT GEHRHUS

HAUTFARBEN/FLEISCHFARBEN
2001–2021



MARGRIT GEHRHUS

HAUTFARBEN/FLEISCHFARBEN
2001–2021

Fleischfarbe, Deckfarbe, Pelikan Nr. 41

Das Rosa im Deckfarbenkasten heißt „Fleischfarbe“.
Mit dieser „Entdeckung“ begann 2001 die Projektreihe

zum Thema „Hautfarben, Fleischfarben“.

4

Aus der Sammlung
„Hautfarben, Fleischfarben“

5

Teil der Sammlung „Hautfarben, Fleischfarben“
6

HAUTFARBE
SKIN COLOUR
COULEUR PEAU

HAUT
COULEUR CHAIR

FLESHCOLOUR
FLESH TINT
CARNE

PORTRAIT ROSA
ROTHAUT

COLOR PELLE
VLEESKLEUR
CARNICINO
FLEISCHFARBE
TONO DE PIEL

FLESH
TINTA CARNE

HAUTTON
TONO CARNE

CHAIR
SKIN TONE DEEP

PORTRAIT
FLEISCHOCKER

SKIN
LIGHT PORTRAIT PINK

TEINTE CHAIR
ROSE PORTRAIT
OCRE DE CHAIR
CAUCASIAN FLESH

BLUSH TINT
DARK FLESH
SKIN TONE LIGHT
HAUT PASTELL
FLEISCHTON
ROSE CHAIR
HI-LITE FLESH

7

SOZIALE HAUT

Das Privateste wird politisch

Von Harald Kimpel

Wann immer sich die bildende Kunst auf Menschen einlässt, gelangt sie auch an dessen Begrenzungen.
Jede Darstellung von Körperlichkeit ist zugleich eine Auseinandersetzung mit den leiblichen Randbe-
zirken. Daher dient die Schnittstelle von Individuum und Raum, von Ich und der Welt der ästhetischen
Praxis seit jeher als naheliegendes Experimentierfeld. Künstlerische Aneignung des menschlichen Kör-
pers funktioniert wesentlich über die Haut. Und Malerei ist eines der bevorzugten Medien, in denen sich
die Kunst jene Grenzschicht erarbeitet. Jenseits ihres physiologischen Funktionierens erweist sich die
Epidermis als eine umfassende Hülle, der als Relaisstation von Sinneswahrnehmung, Austragungsort
von Identitätskonflikten, Projektionsfläche von Fantasien und nicht zuletzt Erprobungsareal für gesell-
schaftliche Rollenbilder kulturgeschichtliche Relevanz zukommt. Denn die visuelle Rhetorik der Kör-
peroberfläche ist immer auch ein Reden über innere Angelegenheiten; die Ästhetik der menschlichen
Peripherie greift Äußerlichkeiten auf, um tiefer gehende Probleme zu thematisieren.

Subkutane Porträts
Zu denjenigen, die sich mit dem Nächstliegenden beschäftigen, um weiterführende Fragen nach dem
Dahinter und Darunter zu stellen, gehört Margrit Gehrhus. 2004 bis 2008 malt sie in ihrer umfangrei-
chen Serie „Hautfarben (Innen)“, was zu sehen ist, wenn der äußere Schein verflogen ist, wenn die
Hüllen gefallen sind und das im Dunkeln Liegende zu Tage tritt: Gewebeschnitte und Zellstrukturen,
epidermische Schichtungen und subkutane Zustände unterhalb der Oberfläche werden darstellungs-
würdig. Im malerischen Nachvollzug mikroskopischer Detailansichten, der medizinischen Literatur ent-
nommen und vorgeführt mit der Palette der Hautfarben, entfaltet Margrit Gehrhus eine Enzyklopädie
der Innenperspektiven, die nicht erkennen lässt, ob im Einzelfall Symptomatisches oder Gesundes vor-
liegt. In diesen sachlichen Bestandsaufnahmen medizinischer Befunde wird das von der Haut gemein-
hin gnädig Bedeckte den Blicken preisgegeben, intimes Innenleben wird bloßgelegt, Unsägliches wird
Bild. Schaubilder von wissenschaftlicher Korrektheit formieren sich zu einer Laborästhetik, die unter
die Haut geht. Ist die Fassade durchstoßen, offenbart sich eine Dimension, in der keine Individualität
mehr gilt, in der wir alle gleich aussehen. Die tiefen Blicke in physiologische Problemzonen entlarven
zwischenmenschliche Unterschiede als reine Äußerlichkeiten.

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Engagierte Monochromie
Eine entgegengesetzte Sondierung der Möglichkeiten beim Umgang mit der Körperoberfläche erprobt
Margrit Gehrhus in Form einer systematischen Versuchsanordnung, bei der sie die Hautfarbe beim
Wort nimmt. Während ihrer seit 2001 laufenden Recherche zum Thema „Hautfarben, Fleischfarben“
ermittelt sie Farbenhersteller in aller Welt und lässt sich von ihnen mit dem beliefern, was sie diesbe-
züglich im Angebot haben: industrielle Farbmischungen für den malerischen Sofortgebrauch, deren
Verschiedenheit die Stereotypisierungen, Festlegungen und Klischeebindungen der jeweils nationa-
len Vorstellungen von dem sichtbar werden lassen, was in verschiedenen Weltgegenden als typische
Hautfarbe angesehen wird. Dargeboten mit den Methoden einer quasi-wissenschaftlichen Analyse,
präsentiert die Künstlerin ihre Resultate in einem minimalistischen Verfahren, das eine individuelle
Handschrift negiert. Auf rechteckigen Farbfeldern rasterförmig arrangiert, vermeidet die pure Farb-
vorführung jede thematische Festlegung; die koloristische Homogenität gerinnt nicht zu Figürlichem.
Im Rapport der monochromen Farbfelder, die nichts abbilden als die unendlichen Möglichkeiten des
Materials, sind alle Motive aufgehoben: Die Mustertafeln repräsentieren die uneingeschränkte Vielfalt
des Darstellbaren. Ohne ikonografische Bindung dargeboten, wird die Eigenwertigkeit der Farbe zum
Gegenstand der künstlerischen Arbeit. In diesem Weltatlas der Hautfarben untersucht Malerei ihre
eigenen Mittel; der Stoff, aus dem die Bilder sind, wird selbst zum Bild. Objekt der Darlegung ist die
Farbe in ihrer jeweiligen Eigenwertigkeit.

Die aber ist sozial konnotiert. Denn im Gegensatz zu beispielsweise Gerhard Richters Farbfeldern – end-
los permutiert dem Zufall Raum gebend – formulieren Margrit Gehrhus' Mustertafeln – vielfältig, aber
begrenzt – keine Wahrnehmungsverweigerung. Ihre Rhetorik des Materials, deren unterkühlt-schema-
tische Präsentationsweise keine Emotionen zulässt und ohne Pathos auskommt, mischt sich in den
aktuellen gesellschaftlichen Diskurs ein. Nur scheinbar unbeteiligt, engagieren sich die homogenen
Flächen in der Diskussion um ethnische Spezifizierung und Rassismus, mit der das Thema der mensch-
lichen Pigmentierung ins Didaktische umschlägt. Denn diese Farbproben und ihre exakten Bezeichnun-
gen machen sichtbar, wie die Anschauung von Haut zwar geografisch stark variiert, jedoch zur eindeu-
tigen Konzentration auf den europäischen Typus tendiert: Hautfarbe ist, was der mitteleuropäische
Körper vorzuweisen hat.

Indem sich also in Margrit Gehrhus' systematischer Farbenlehre extreme Sachlichkeit mit konkreter
Stellungnahme verbindet, wird Monochromie als eine Erscheinungsform des Realismus entworfen –
als eine Konzeptkunst, die statt auf abstrakte Formuntersuchungen auf gesellschaftliche Aussagen
zielt: die Haut, ihre Farbe und ihre Benennung als Austragungsebene gesellschaftlicher Diskurse
über Chancengleichheit und Diversität, Privilegien und Partizipation, Menschenrechte und politische
Korrektheit. So wird das Besondere allgemeingültig, das Privateste politisch.

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„Hautfarben, Fleischfarben“, Mustertafeln. Ausstellungsansicht „Skinscapes“, Marburger Kunstverein 2008
10

Mustertafel „Hautfarben, Fleischfarben I.0 Ölfarben“, 2004 – 2020, Farbmuster auf Capamount, 118 x 84 cm
11

Mustertafel „Hautfarben, Fleischfarben II.0 Acryl“, 2004 – 2020, Farbmuster auf Capamount, 118 x 84 cm
12

Mustertafel „Hautfarben, Fleischfarben III.0 Pastelle“, 2004 – 2020, Farbmuster auf Capamount, 118 x 84 cm
13

Mustertafel „Hautfarben, Fleischfarben IV.0 Farbstifte“, 2004 – 2020, Farbmuster auf Capamount, 118 x 84 cm
14

Mustertafel „Hautfarben, Fleischfarben V.0 Gouache, Tempera, Tuschen, Tinten etc.“, 2004 – 2020,
Farbmuster auf Capamount, 118 x 84 cm

15

Detail Mustertafel „Hautfarben, Fleischfarben III.0 Pastelle“, 2004, Pastelle, Papier, Capamount
16

Detail Mustertafel „Hautfarben, Fleischfarben II.0 Acryl“, 2004, Acryl, Papier, Capamount
17

Booklets „Hautfarben, Fleischfarben“, 6 von 7 Teilen, 2004/05,
Diverse Malmaterialien auf Papier, Spiralbindung,15 x 10,5 cm

18

Detail Booklet „Hautfarben, Fleischfarben I.0 Ölfarben, Hautton, 2004/05, Öl, Papier, 15 x 10,5 cm
19

Detail Booklet „Hautfarben, Fleischfarben II.I Acrylfarben, Tinta Carne“, 2004/05, Acryl, Papier, 15 x 10,5 cm
20

Detail Booklet „Hautfarben, Fleischfarben III.I Pastelle, Flesh Tint“, 2004/05, Pastell, Papier, 15 x 10,5 cm
21

Detail Booklet „Hautfarben, Fleischfarben I.0 Ölfarben, Fleischfarbe“, 2004/05, Öl, Papier, 15 x 10,5 cm
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HAUTFARBEN

Margrit Gehrhus hat seit 2001 nahezu alle erhältlichen Hauttöne in Acryl, Gouache, Pastell, Kreide,
Öl, Tempera, Tinten und Tuschen gesammelt und nach Medium, Deklarierung und Artikelnummern
geordnet in Musterbüchlein inventarisiert. Komplementär dazu skalieren fünf große Schautafeln einen
systematischen Überblick aus dem gesamten Fundus.
In konzeptueller Weiterbearbeitung der Ready-Mades wurde die Kollektion der Hautfarben mit einem
anderen Sammelgut, Abbildungen von Bomberfliegern aus Magazinen zur Flugtechnik für militärische
und zivile Nutzung, zusammengebracht. Die kopierten, nur in ihrer Außenkontur übertragenen und
häufig angeschnittenen Objekte sind alle mit Instant-Inkarnat aufgefüllt. Der anonyme Vorgang der
Vernichtung, der dennoch menschliche Aktivität voraussetzt, wird synonym mit hautfarblichen Stereo-
typen verknüpft. Die Killerapparate in Pink, Creme und Light-Bronze organisieren sich zum künstlichen
„Geschwader“, das nicht angreift, sondern künstlerisch diese Situation aufgreift.
Nach der Installation von 2001 – 2003 entstand „Counter Strike“. Ausgangsmaterial ist ein seit 1999
über das Internet popularisiertes Ego-Shooter-Spiel, das durch das sogenannte Erfurter Massaker eines
Schülers 2002 negativ in die Schlagzeilen geriet. „Counter Strike“ beinhaltet strategische Szenarien
vom Jagen und Gejagt-Werden, von Terror und Gegenterror, rangiert im Netz unter der Rubrik „electronic
sports“ schon lange als Kult-Game und gilt nach wie vor als Favorit militärischer Trainee-Maßnahmen.

Margrit Gehrhus hat ausgewählte Positionen der zielenden Gewehre als Stills auf spiegelndes Plexi-
glas in Monitorformat, ebenfalls im beschnittenen Umriss, opak mit Hautfarbe versehen appliziert. Die
geschminkten Gewehre auf den insgesamt zwölf PVC-Screens agieren nicht spektakulär per Knopf-
druck. Sie sind trotz transparenter Leichtigkeit der Träger zu plakativen Instrumenten eines simulierten
Angriffs geworden, um fixiert und unbeweglich den durchaus nahe liegenden Ernstfall zu vergegen-
wärtigen.
„Counter Strike“, das „Geschwader“, die Musterbüchlein und Tafeln bunkern gleichsam ein Farb-
reservoir, das sich zum kritischen Statement verdichtet.

Doris Krininger

Auszug aus dem Manuskript der Rede zur Ausstellung, „Mit Haut und Haar, Make-up“ im Kunsttempel Kassel, April 2005

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Wandinstallation „Geschwader“ (Teil), 2001 – 2003, diverse Farbmaterialien auf Papier, 50-teilig,
unterschiedliche Maße

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Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Fleischfarbe dunkel“ #43, 2003, Pastellkreide auf Papier, 29,7 x 42 cm
26

Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Hauton“ #40, 2002, Öl auf Papier, 41 x 59 cm

27

Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Fleischfarbe“ #39, 2002, Öl auf Papier, 32,5 x 50 cm
28

Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Fleisch“ #37, 2002, Tinte auf Papier, 18,8 x 30 cm

29

Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Hautton“ #07, 2003, Tinte auf Papier, 21 x 28,5 cm
30

Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Hautfarbe“ #31, 2003, Tempera auf Papier, 14,8 x 21 cm

31

Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Flesh“ #22, 2003, Tinte auf Papier, 14,8 x 21 cm
32

Aus der Serie „Geschwader“, „Bomber – Fleischfarbe“ #5, 2002, Gouache auf Papier, 30 x 42 cm

33

„Counter Strike“, Ausstellungsansicht „Mit Haut und Haar, Make-up“, Kunsttempel Kassel 2005
34

„Counter Strike – Vleeskleur“, 2003 – 2005, Öl, Tinte auf Acrylglas, 40 x 30 cm, 12-teilige Serie

35

„Counter Strike – Fleischfarbe“, 2003 – 2005, Öl, Tinte auf Acrylglas, 40 x 30 cm, 12-teilige Serie
36

„Counter Strike – Tinta Carne“, 2003 – 2005, Acryl, Tinte auf Acrylglas, 40 x 30 cm, 12-teilige Serie

37

Mustertafeln, „Hautfarben (Innen)“
(außerdem Arbeiten von Ute Mescher,
Adidal Abou-Chamat, Slawomir Elsner),

Ausstellungsansicht „Skinscapes“,
Marburger Kunstverein 2008

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„Hautfarben (Innen)“, Ausstellungsansicht „Skinscapes“, Marburger Kunstverein 2008
40

„Hautfarben (Innen)“ #34, 2004 – 2008, Öl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm

41

„Hautfarben (Innen)“ #16, 2004 – 2008, Öl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm
42

„Hautfarben (Innen)“ #07, 2004 – 2008, Acryl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm

43

„Hautfarben (Innen)“ #09, 2004 – 2008, Acryl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm
44

„Hautfarben (Innen)“ #49, 2004 – 2008, Öl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm

45

„Hautfarben (Innen)“ #24, 2004 – 2008, Acryl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm
46

„Hautfarben (Innen)“ #44, 2004 – 2008, Acryl, Öl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm

47

„Hautfarben (Innen)“ #41, 2004 – 2008, Acryl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm
48

„Hautfarben (Innen)“ #42, 2004 – 2008, Öl auf Holzwerkstoff, 15 x 21 cm

49

„Hautfarben, Farbhäute“ (Erläuterndes Beispiel), 2013, Acrylfarbe, Papier, 40 x 30 cm
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