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Published by alyrieger, 2019-04-26 10:47:12

literatur2_reineke_fuchs_kinder_flip_books

literatur2_reineke_fuchs_kinder_flip_books

Gedichte -Reineke-Fuchs

Julius Lohmeyer

Ein heiteres Kinderbuch von Julius Lohmeyer und Edwin Bormann,
Freie Nachdichtung des niederdeutschen Reineke de Vos. mit 12 Bildern
von Fedor Flinzer, Verlag von Carl Flemming, Glogan, 1881,
Bilder wurden neu bearbeitet durch gisela rieger
Textgrundlage:
Wikimedia Commons

***

Julius Lohmeyer war ein deutscher Schriftsteller
Geboren: 06. Oktober 1835 in Neisse,
Verstorben: 24. Mai 1903 in Berlin

Quellenangaben

Meine Lizenz
Meine Homepage
Cover: Wurde dem Buch entnommen und durch
Gisela Rieger neu bearbeitet.
Kleines Bild: Logo 663: „OPEN“, heinz.p, CC-Lizenz (BY 2.0)
http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Bild stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank





Erster Gesang



Es lag ein goldner Maientag
Auf Berg und Thal, auf Hain und Hag;
Da hieß der König Leu berufen
Die Thiere vor des Thrones Stufen.
Von nah und fern, aus Busch und Nest
Zog alles hin zum Königsfest;
Nur einer that, als hört‘ er nicht,
Reineke Fuchs, der Bösewicht. —

Und vor den Thron trat Isegrim
Der Wolf: „Mein gräd’ger Herr, vernimm,
Wie Reineke mit Schimpf und Schaden
Mir Weib und Kinder hat beladen:
Drei meiner Kleinen schlug er wund
Und schmähte laut Frau Girenmund!“

„Ja,“ sprach das Hündchen Wackerlos ,
„Sein Frevelmuth ist riesengroß.
Das letzte Würstchen, was mir blieb,
Stahl mir der Fuchs, der freche Dieb!“

Da sprang der Kater Hinze vor:
„Dich selbst schmähst du, junger Thor!
Wohl mag der Fuchs ein Räuber sein —

Doch wisse, Herr, die Wurst war mein.
Ich war es, der sie dazumal
Dem Müller aus der Esse stahl.“

„Fürwahr,“ sp sprach das Pantherthier,
„Reineke Fuchs, das glaubet mir,
Hat Ehre feil und feil Gewissen
Für einen einz’gen fetten Bissen
Und würde selbst des Königs Leben
Um eine feiste Henne geben. —

Seht Lampen hier, den Hasen, an.
Wem mochte he der Ehrenmann
Ein Härchen nur am Leib versehren?
Ihn wollte jüngst Reineke lehren
Ein neues Lied. Im dritten Takt
Hatt‘ er ihn schon beim Fell gepackt.
Wär‘ ich nicht grad dazu gekommen,
Das Leben hätt‘ er ihm genommen.“

Da rief Reinekens Brudersohn
Grimbart der Dachs mit bitterm Hohn:
„Wen lobte jemals Feindesmund?
Geschichtchen gebt hier hämisch kund
Aus alten, längst vergangnen Tagen.

Willst, Isegrim, kein Wörtlein sagen,
Wie Reineken du einst geprellt,
Als er noch treu dir zugestellt? —
Euch quälte grimmen Hungers Pein,
Da kam des Wegs ein Bäuerlein,
Fuhr große Fische nach der Stadt.
Reineke sieht’s und legt sich platt
Wie mausetodt ins Straßengleis.

— Merkt wohl: sein Leben gab er preis !
Der Bauer stutzt; er steigt vom Wagen,
Will mit dem Messer ihm an Kragen.
„Schon todt? Zu einer Wintermütze
Ist solch ein Fuchspelz immer nütze.“
Er wirft Reineken auf den Wagen
Und läßt sein Rößlein weiterjagen.
Wie ward mein Oheim plötzlich munter,
Warf lustig Fisch auf Fisch hinunter;
Doch als er drauf vom Wagen sprang
Der Wolf das letzte Stück verschlang
Und bot dem heldenmüth’gen Mann
Zum Dank ein Häuflein Gräten an.
Wohl könnt‘ ich hundert Bücher schreiben
Von Isegrims verlognem Treiben. _
Daß ihn des Lehrers Hand geschlagen,

Darob will Lampe sich beklagen?
Meint er, ein Schüler könn‘ auf Erden
Je ungeprügelt Meister werden? —
Und dort der Kläffer Wackerelos
Er stellt sich selbst am meisten bloß.
Sagt es nicht Hinze unverhohlen,
Daß beide sie die Wurst gestohlen? _
Mein Oheim ist der frömmste Mann,
Den weit und breit man finden kann.

Nun ging’s hinaus ins grüne Gras,
Das war ein Jubel, war ein Spaß´—
Heimtückisch aber bei der Hecke
Lag jener Heuchler im Verstecke.
Da plötzlich — welch ein kläglich Schrein?

Reineke packt mein Töchterlein . . .
Ich krähe laut, doch wie der Wing
Trägt er davon das arme Kind.
Zwar löste man auf meine Kunde
Im Nu die treuen Klosterhunde;
Sie haben nur —Gott sei’s geklagt! —
Ihm einen Leichnam abgejagt!
Und Kratzfuß, aller Hennen Zier,
Sie liegt entseelt, o Herr, vor dir.“

Der König sprach: „Welch seltner Mann!
Nun, Grimbart, komm und tritt heran,
Sieh‘ selbst, wie voller Frömmigkeit
Dein Oheim büßt und sich kasteit.“

Und Braun den Bären rief er drauf:
„Freund, nimm dein Schwert und mach‘ dich auf —
Entbieten laß ich vor Gericht
Reineke Fuchs, den Bösewicht!
Dir rath‘ ich, laß durch List und Lügen
Dich von dem Schlauen nicht betrügen.“

„Herr,“ sprach der Bär, „das läßt er bleiben,
Ich wüßt‘ es auch ihm einzutreiben.“

Zweiter Gesang



Reineke saß im Malpertaus,
Dem festen, stolzen Fuchsenhaus.
Da klopft‘ es ungestüm ans Thor:
He, Reineke, du Schelm, hervor!
Als Bote steh‘ ich hier. Vernimm,
Du reiztest deines Königs Grimm!
Entbieten läßt er vor Gericht
Reineke Fuchs, den Bösewicht.
Und kommst du nicht, so sei bedroht
Mit Folterqual und Henkerstod!“

Vorsichtig lauernd an der Pforte
Vernahm der Fuchs des Bären Worte.
Ha,“ dacht‘ er, „könnt‘ ich dir dein Prahlen
In meiner Münze wiederzahlen!“
Und listig lugt‘ er durch die Spalte,
Ob andre wohl im Hinterhalte.
Er sah, daß Braun allein zur Stelle
Und trat hinaus vor seine Schwelle.

Willkommen, Vetter, Gottwillkommen!
Du hast dich doch nicht übernommen?
Der Weg ist weit, die Sonne heiß;
Dir perlt vom Pelz dein edler Schweiß.
Hat denn der König, sag‘ mir an,

Nicht sonst noch Boten, theurer Mann;
Daß auf den edelsten von allen,
Den besten seine Wahl gefallen?
Mir aber wird’s besonders frommen,
Daß du, verehrter Freund, gekommen;
Willst du nur klugen Rath mir spenden,
Wird bald des Königs Sinn sich wenden.
Ich ziehe mit, sei außer Sorgen;
Nur bitt‘ ich, warte noch bis morgen.
Mir ist so voll, so schwer der Magen;
Kann Süßigkeiten nicht vertragen.“

Ei, ei!“ rief Braun, „laß hören: was?“

Reinecke sprach: „Was hilft dir das?
Ich muß nach armer Schlucker Weise
Zufrieden sein mit jeder Speise;
Und wenn mich Noth und Hunger treiben,
Und nichts im Haus als Honigscheiben . . .“

Wie? was?“ so unterbrach ihn Braun,
Du kannst den Honig nicht verdau’n?
Die wunderbare süße Speise,
Die ich mir über alles preise?
Willst du mit Honig mich erfreuen,

Es soll dich sicher nicht gereuen!“

„Ich merk‘ es wohl, du spottest mein.“

„Ich spotten? Ei, bei Leibe nein!“
So komm; ein Stündchen nur von hier
Zeig‘ ich den schönsten Honig dir
Bei Rustifeil, dem reichen Bauer.
Zwat wird das Gehen mir noch sauer,
Doch ist Befehl mir dein Begehren —
Was thut man nicht dem Freund zu Ehren?
 
Das Wasser Braun vom Maule troff;
So kamen sie zum Bauernhof.
Dort lag ein Eichstamm auf der Erden,
Der sollte längs gespalten werden;
Drum hatte klüglich Rustifeil
An jedem Ende einen Keil
Hineingetrieben mit Gewalt;
Schon klaffte fußesweit der Spalt.
 
Reineke sprach: „Mein Vetter Braun,
Ist dir’s genehm, den Stamm zu schau’n?
Er hält mehr Honig, als man glaubt,
Steck‘ nur recht tief hinein das Haupt.

Du siehst, schon rückt die Nacht heran,
Zu Bett ging längst der Bauersmann.
Genieße froh dein Leibgericht;
Nur, rath‘ ich, überfriß dich nicht!“
 
Ein Mann wie ich weiß, was er thut;
Maaß ist zu allen Dingen gut.
Hab‘ Dank für das, was du geboten,“
Sprach Braun und beide Vorderpfoten

Und Kopf und Nacken hinterdrein
Steckt‘ tief er in den Spalt hinein.
Reineke aber springt herzu
Und bricht die Keile aus im Nu.
 
„So, Freundchen,“ ruft er voller Hohn,
Merk auf, das ist dein Botenlohn!“

 
Dem Bären saust und brummt der Kopf . . .
Da steckt er nun der arme Tropf,
Und wie er auch sich kraftvoll stemmt —
Der Eichstamm hält ihn festgeklemmt.
Jetzt mit den freien Hintertatzen
Hebt er gewaltig an zu kratzen —
Umsonst, sein Halsband schließt zu gut;
Laut heult er los in wilder Wuth . . .

 

Und aus dem Schlaf schreckt Rustifeil,
Lugt auf den Hof und greift zum Beil.

 

Reineke aber lacht und spricht:
Gelt, Braun, ein treffliches Gericht?
Den Herrn des Hauses seh‘ ich kommen;
Der hat gewiß sich vorgenommen,
Ein gutes Schlückchen dir zu weihen.
Laß es zum Besten dir gedeien!“
 
Der Bauer macht ein groß Geschrei:
Herbei, ihr Männer all‘, herbei!
Ein Bär auf meinem Hof gefangen!“

 

Da kommen sie mit Spießen, Stangen,
Mit Gabeln, Flegeln, Rechen, Hacken,
Den Honignäscher Braun zu packen.

Der aber reißt mit Schmerz und Graus
Den Kopf, ruck! aus dem Spalt heraus.
Ein gutes Theil von seinen Ohren,
Von Haut und Haaren geht verloren:
Auch beide Klauen läßt er drinnen . . .
Doch heißt’s , nicht lange jetzt besinnen!
Und athemlos vor Angst und Pein —
Die Bauern toben hinterdrein
Mit Hollahoh! und Hussahuh! —
Läuft Braun dem nahen Walde zu.

 

Manch schwerer Stein, manch wucht’ger Speer
Flog pfeifend hinterm Flüchtling her,
Und nur mit knapper Müh‘ und Noth
Entging der Bär dem sichern Tod. —
  Und wie er stöhnend lag im Tann,
Trat Reineke zu ihm heran:

Find ich dich wieder, theurer Braun?
Wie freut’s mich, dich wohlauf zu schau’n!
Hat dir’s gemundet? Nun, ich weiß
Des Honigs mehr zum gleichen Preis.
Hast ihn doch redlich auch bezahlt?
Wer hat so roth dich angemalt?
Auf deinem Haupte das Barett
Steht dir wahrhaftig wundernett!
Doch sag‘, wo ließest, Freund, du hangen
Die Handschuh‘ und das Fell der Wangen?

 

Und Tags darauf zerfetzt und lahm
Der Bote Braun zu Hofe kam.
Da rief der König: „Braun, mein Bär,
Wie kommst du so verstümmelt her?“

 

Ach, Herr, das ist ein traurig Lied,
Wie schamvoll mich der Fuchs verrieth!“
  Der König sprach: „Bei meiner Kron‘,
Dem Buben werde voller Lohn!“
Alsbald versammelt‘ er den Rath,
Um Rache für die Missethat.
Zum Kater Hinze sprach er drauf:
Sei du mein Bote, mach‘ dich auf!

Du bist zwar von Person nur klein,
Doch pflegst du klug und schlau zu sein.
Entbieten lass‘ ich vor Gericht
Reineke Fuchs, den Bösewicht!
Läßt er ein drittes Mal sich laden,
So sei es ihm zum ew’gen Schaden —
Ihm und dem ganzen Fuchsgeschlecht!
So will’s der Thiere heilig Recht

 

Dritter Gesang



Und Hinze kam nach Malpertaus,
Zum Fenster sah der Fuchs heraus.
Der Kater neigte sich gar zierlich
Und sprach bescheiden und manierlich:
 
„Zum zweiten Mal durch Botenmund
Sei dir des Königs Wille kund.
Dich fordern läßt er vor Gericht!
Auf, Reineke und zaud’re nicht!
Wofern du dich nicht stellst zu Recht,
So büßt es schwer dein ganz Geschlecht!“
Da rief Reineke: „Glück und Heil,
Mein Neffe, werde dir zu Theil!
Doch sieh, schon bricht die Nacht herein,
Mein Gastfreund mußt du heute sein.
Wir brechen auf mit früh’stem Morgen;
Dir folg‘ ich gern, sei außer Sorgen.
Denn wenn ich einem trauen kann,
Bist du‘, mein lieber Hinzelmann!“ —

 

„Nein,“ fiel der Kater ihm ins Wort,
„Wir machen besser gleich uns fort.
Die Nacht ist still und mondenklar . . .“
 
„Bei Nacht zu reisen, bringt Gefahr,
Sprach Reineke. „Wer Tags uns sieht
Und mit Respekt sein Hütchen zieht,
Fiel‘ über uns wohl mörd’risch her,
Käm‘ er des Nachts uns in die Quer.“
 
„Gut, Ohm,“ sprach Hinze, „Bleiben wir;
Doch sag‘, was giebt’s zu beißen hier?“
„Du mußt, Freund Hinze, dich bequemen,

Mit Hausmannskost vorlieb zu nehmen.
Ich bring‘ dir eine Honigscheibe . . .“
 
„Mit Honig bleib‘ mir fern vom Leibe!“
Rief Hinz‘ entsetzt. „Hat Malpertaus
Für mich denn keine fette Maus?“
 
Reineke sprach: „Du treibst wohl Spaß?
Welch wunderlicher Lieblingsfraß!
Doch, ist mein Haus auch mäuseleer,
Beim Schulzen giebt es desto mehr.

Dort wimmeln, kann ich dir betheuern,
Von Mäusen Keller, Küch‘ und Scheuern.“
 
„Ach, bester Ohm, ich bitte dich,
Führ‘ zu den lieben Thierchen mich!“
 
Flugs war Reineke bei der Hand;
So schlichen sie zur Scheunenwand.
Dort war ein rundes Loch im Lehm,
Durch das des Nachts zuvor bequem
Reineke sich auf leisen Sohlen
Des Schulzen besten Hahn gestohlen.
Damit den frechen Dieb man finge,
Lag jetzt dahinter eine Schlinge.
 
Reineke, der den Braten roch,
Sprach: „Hinze, sieh, dort ist das Loch.
Schon hör ich, wie sie munter pfeifen —
Brauchst nichts zu thun als zuzugreifen.!
 
„Daß nur auch alles sicher ist?
Ein Schulze braucht gar manche List!“
 
„Ei,“ sprach der Fuchs, der lose Wicht,
„Bist du so scheu? Das wußt‘ ich nicht.

Dann komm‘, Freund Hinz, gehn wir heim
Und halten uns an Honigseim.“
 
Des Spottes schämte Hinze sich.
„Meinst du,“ sprach er, „ein Mann wie ich,
Ein Kater kenne Furcht und Bangen?“
Er sprang ins Loch und —— war gefangen.
Er warf sich hin und her; der Strick
Zog fester nur sich ums Genick.
 
Reineke sah durchs Mauerloch:
„Wie steht’s? Die Mäuse schmecken doch?
Sind auch die Thierchen gut und fett?
Wär‘ nicht der Schulze schon zu Bett,
Er würde sicher Senf dir bringen!
Doch, Freundchen, sag‘, was soll das Singen?
Singt man bei Hof zur Tafel auch?
Fürwahr, ein königlicher Brauch!“
 
Erbärmlich klang des Katers Schrei’n —
Da knarrt das Thor, da stürzt herein
Der Schulze und die Seinen alle:
„Hurrah! Der Fuchs ging in die Falle!“
Und klitsch und klatsch trifft Hieb auf Hieb
Den unschuldsvollen Hühnerdieb.

Es wächst die Noth; mit kühnem Satze
Springt Hinz‘ dem Schulzen auf die Glatze
Und beißt drauf los und kratzt und krallt,
Daß der vor Schmerz zu Boden prallt.
Man springt dem Herrn zur Hilfe bei,
Der Kater athmet wieder frei.
Er nagt am Strick, er nagt und beißt —
Ein derber Ruck, der Strick zerreißt,
Und Hintze huscht durchs Loch im Nu
Und läuft dem Königshofe zu. —
 
„Wie?“ rief ergrimmt der König Leu,
Er spottet meines Worts aufs Neu‘?
Er trotzt des Königs Machtgebot?
Dem Frechen schwör‘ ich sichern Tod!“ —
 
„O Herr!“ rief Grimbart, „hör‘ mich an;
Mein Oheim ist ein freier Mann.
Eh‘ du ihn bar sprichst aller Gnaden,
Laß ihn zum dritten Male laden.
Und wär‘ auch wahr sein tolles Treiben:
Was Recht ist, das muß Recht verbleiben.
Was keinen sonst, mir soll’s gelingen,
Reineken vor Gericht zu bringen.“ —
  So kam der Dachs nach Malpertaus
Und fand den schlauen Fuchs zu Haus.

 

„Mein Oheim,“ sprach er, „grüß dich Gott!
Treibst du noch immer bösen Spott?
Ist’s möglich denn — du wagst es nicht,
Von Angesicht zu Angesicht
Den schnöden Klägern dich zu zeigen?
Brachst du nicht jeden noch zum Schweigen,
Nicht jeden noch in Schand‘ und Schmach,
Der dir, mein Ohm, zuwidersprach?“
 
„Wohl ist es wahr, was du gesagt,“
Sprach Reineke, „drum sei’s gewagt.
Läßt auch der Leu voll Zorn mich laden ,
Er schenkt mir dennoch seine Gnaden;
Denn es erkennt sein kluger Sinn,
Daß ich ihm unentbehrlich bin.
Was insgesammt die andern schwätzen,
Kann das ein Wort von mir ersetzen?
 
— Geliebtes Weibchen,“ rief er dann,
„Nimm Reinhart’s dich getreulich an!
Wie stehn dem lieben kleinen Sohn
Die Grannen keck ums Mäulchen schon.
Und hätschle Rossel mir, den kleinen!“
So schied Reineke von den Seinen.
 

Vierter Gesang



 

Hochmüthig ging mit keckem Schritte
Reineke durch der Kläger Mitte
Und sprach voll Zuversicht am Thron,
Als ob er wär‘ des Königs Sohn:
 
„Vertrauend deinem Edelsinn
Tret‘ ich, mein König, vor dich hin;
Du wollest helfen mir zum Rechte,
Mir, deinem allertreusten Knechte,
Und Lügen nicht und Fabeln glauben,
Die deiner Gnade mich berauben.“

 

Der König rief: „Ehrloser Wicht!
Dein Schmeicheln hilft Dir wahlich nicht.
  Hier steht Hahn Henning , schaue her,
Der Kater Hinze, Braun der Bär,

Mit Schimpf und Wunden arg beladen —
Und du sprichst noch von Recht und Gnaden?
 
„Mein König,“ sprach Reineke dreist,
Sind sie nicht selber schuld zumeist?
Wer hieß den Schlecker Braun vermessen
Des Bauern süßen Honig fressen?
Und Hinze? Will sich der beklagen?
Wer hieß ihn fremde Mäuse jagen? —
O Herr, ich bin in deinen Händen,
Du magst mich hängen, köpfen, blenden . . .
Du willst, o König, mein Verderben —
Wohlan, ich bin bereit zu sterben!“
 
Doch half ihm nichts sein listig Spiel,
Der Kläger waren allzuviel.
Und von den Richtern insgesammt
Ward er zum Galgentod verdammt:
„Man soll ihn binden und ein fangen,
Darzu bei seinem Hals aufhangen.“
 
Dem Wolf,dem Kater und dem Bär
War dieses Urheil süße Mär.
Sie führten mit vergnügtem Sinn
Den armen Schelm zum Richtplatz hin.
  „Getrost,“ sprach Isegrim, „der Strick

Kürzt deine Qual im Augenblick.“
 

Reineke frug: „Ist denn zur Hand
Euch schon ein derbes Gurgelband?
Wenn ihr darum verlegen seid —
Der Kater Hinze weiß Bescheid.“
 
Mit lauter Stimme rief er dann:
„Mein Sterbestündlein rückt heran;
Und so, nach unsrer Väter Sitte,
Gewähr‘ mir, Herr, die letzte Bitte.
Laß hier am lichten Galgen mich
Dir, König, beichten öffentlich;
Auf daß die Wahrheit komm‘ ans Licht,
Und man nach meinem Tode nicht
Unschuldig manchen mag belangen
Um Missethat, die ich begangen!“
 
So sprach der schlaue Bösewicht
Mit Armensündersangesicht
Und weinte flugs zwei dicke Zähren.
Der König rief: „Ich will’s gewähren.“
 
Reineke schlug sich vor die Brust:
„Ich bin mir großer Schuld bewußt!

Steht, werthe Herren, wohl einer hier,
Der ungeschädigt blieb von mir?
In meinen Kinderjahren schon
War ich ein räub_rischer Patron.
Ich würgte Enten, Gänse, Hühner;
Und dreister ward ich stets und kühner.
Bald stahl ich Lämmlein mir und Ziegen,
Die im Gebirge sich verstiegen. —
Einst traf ich Isegrim am Rhein
Und ging ein Bündniß mit ihm ein:
„Du stiehlst das Große, ich das Kleine;
Und der Gewinn geht ins Gemeine.“
Doch wenn’s zum Theilen kommen sollte,
Und ich die Hälfte nehmen wollte,
Wies Isegrim in wilder Gier
Laut bläkend seine Zähne mir;
Dann kam sein Weib mit sieben Jungen —
Im Umsehn war der Raub verschlungen.
Allein trotz Isegrims Betrug
Blieb meiner Nothdurft noch genug;
Nenn‘ ich den größte Schatz doch mein
Von Silber, Gold und Edelstein . . .“
 
„Wie?“ rief der Leu voll Wißbegier,
„Ein Schatz! Von wannen kam er dir?“

 
„Herr,“ sprach der Fuchs, „ich will’s erzählen
Und dir kein Sterbenswort verhehlen.
Vernimm: an diesem Schatze eben
Hing deine Krone, hing dein Leben!
Beschlossen war es, dich zu morden.
Wär nicht der Schatz gestohlen worden,
Floß längst dein heilig Königsblut!“

 

Da sprang der Leu empor in Wuth:
„Was hört mein Ohr für Schauderdinge?
Man löse Reineken die Schlinge!
Tritt näher, Fuchs, und sage dreist,
Was sonst du von dem Schatze weißt.
Doch schlicht und wahr sei dein Bericht.“
 
Reineke sprach: „Wie sollt‘ er nicht nicht?
Sag‘ selbst, ob mit dem Fuß im Grabe
Ich noch zu lügen Ursach habe. — —
Einst fand an wohlverborgnem Platz
Mein Vater König Emmrichs Schatz;
Und schürt er längst schon Hochverrath,
Jetzt ward sein böser Plan zur That.
Mit Botschaft sandt‘ er alsobald
Den Kater Hinze in den Wald
Und hieß ihn Braun den Bären fragen
„Willst du die Königskrone tragen?“
Das war dem Stolzen frohe Kunde;

Freund Isegrim trat bei zum Bunde,
Und mit dem Schatz — so ward beschlossen —
Wirbt man im Lande Kampfgenossen.
Darauf ward Eid um Eid getauscht.

— Ich aber hatte sie belauscht. —

Schon damals kannt ich nur zu gut
Des Bären frechen Frevelmuth.
Ist der zum König erst gemacht,
Dann Freiheit, Ehre, gute Nacht!
Ich sprach’s im Herzen und verglich
Mit Braunen, edler Herrscher, dich.
Da klang es in mir tausendtönig:
Reineke, rette deinen König!
Bald zog mein biedrer Vater aus,
Zog weit durchs Land von Haus zu Haus,
Verrätherische Söldnerhaufen
Mit seinem Golde zu erkaufen.
 
Ich hatte längst erspät den Ort,
Wo er verborgen seinen Hort;
Nun schleppt‘ ich emsig Nacht für Nacht,
Bis alles ich hinweggebracht.
Kaum war der Vater heim, so schlich
Er heimlich zum Verstecke sich;

Doch wie er wühlte fort und fort,
Verschwunden war und blieb der Hort.

Das brach des Alten stolzes Herz —
Er hängte sich in Schmach und Schmerz.
— Gleich als ob nichts geschehen wär‘,
Sitzt Isegrim und Braun der Bär
Hochmüthig auf der Richterbank;
Wer weiß mir armen Schelmes Dank,
Daß ich den Vater hingegeben,
Zu retten meines Königs Leben?“
 
So log der Fuchs mit frechem Mund.
Der König winkte: „Thu‘ mir kund,“

Begann er leise, „jenen Platz,
Da duverborgen hast den Schatz;

Und gnädig will ich dir’s gedenken,
Will Leben Dir und Freiheit schenken.“

Und Reineke beschrieb den Platz.
„Nimm denn zu eigen Emmrichs Schatz;
Von allem irdischen Gethier,
Gönn‘ ich ihn einzig, König, dir.“

Schon gut. Und morgen früh bei Zeiten
Magst du mich selber hinbegleiten.“
 
Reineke sprach: „Zu gerne nur . . .
Hielt mich nicht ab ein frommer Schwur!
Es that der Papst mich sünd’gen Mann
In einen schweren Kirchenbann.
Für meiner Seele Heil zu sorgen,
Laß, meinem Schwur getreu, mich morgen
Mit Frühstem auf die Reise gehen,
In Rom mir Ablaß zu erflehn.“
 
Der König sprach: „Bist du im Bann,
Steht dein Geleit mir nimmer an.
Ich will die Bußfahrt dir nicht wehren,
Magst du zum Bessern dich bekehren.“
  Und zu dem Volke hingewandt

Rief laut er: „allen sei’s bekannt,
Reineken ist verziehn die Schuld,
Ich schenk‘ ihm wieder meine Huld.

Man soll ihn ehren nach wie vor;
Verschlossen bleibt dem Neid mein Ohr.“
So sprach der Leu und hört‘ ein Murren,
Ein höchst unehrerbietig Knurren . . .
„Wer wagt’s und widersetzt sich hier?
Seid ihr es, Schurken, he? die ihr
Nicht werth das Sonnenlich zu schau’n?
Man fess’le Isegrim und Braun!
Zu gut wahrhaftig dünkt mich noch
Für sie das tiefste Kerkerloch.“

 

Fünfter Gesang



Und mit dem frühsten Morgen schon
Trat Reineke zum Königsthron.
 
Der Löwe sprach: „Es thut mir weh,
Daß ich so bald dich scheiden seh‘!“
 
„O Herr, du machst das Herz mir schwer,
Doch leidet’s länger mich nicht mehr,“
So schluchzte laut der lose Wicht;
„Wer Gutes vorhat, säume nicht.“
 
Der König sprach: „So nimm, Gesell,
Dies zott’ge Stücklein Bärenfell,
Das Braunen man vom Rücken schnitt,
Als Ranzen auf die Reise mit.
Und hier schickt Isegrim dazu
Ein Paar dir seiner Lederschuh‘;
Sie sind vortrefflich warm und dicht,
Er braucht sie doch im Kerker nicht. —
So ziehe denn mit Gott von dannen!
Ihr aber, meine treuen Mannen,
Gebt unserm biedern Freunde jetzt,
unser Herz aufs Höchste schätzt,
Der sich so fromme Buße weiht,
Ein Stündchen Weges das Geleit.“ —

 
Da schritt Reineke zwischen ihnen
Mit demuthsvollen Duldermienen.

 
„Ach, Lampe,“ hub er kläglich an,
„Du theurer, engelsfrommer Mann,
Daß auch von dir ich scheiden soll,
Dünkt mich vor allem kummervoll!
Und du, geliebeter Freund Bellin,
Kannst du nicht fürder mit mir ziehn?“
Sprach er zum Schafbock hingewandt
Und drückte stöhnend ihm die Hand.
„Ihr nähret euch in schlichter Weise;
Gras sind und Kräuter eure Speise.
So lebt ihr fromm und klösterlich,
Wie jüngst gelebt als Klausner ich;
Und füllt nach heil‘ger Büßerbrauch
Euch nie mit Fleisch und Brot denBauch.“

 
Mit solcher groben Schmeichelei
Bethörte Reineke die zwei,
Ihn zu begleiten bis nach Haus. —

 
So kamen sie nach Malpertaus.

„Willst du, mein werther Ohm Bellin,

Ein Weilchen hier am Thor verziehn?
Du aber, Lampe, treues Tier,
Hilfst trösten wohl mein Weibchen mir?
Hört sie von meinem Unternehmen,
Wird sie sich fast zu Tode grämen!“

Und Lampe rief: „Die arme Frau!“
Und folgt' ihm schluchzend in den Bau.

Da lag von Sorg' und Gram bezwungen
Frau Ermelin mit ihren Jungen.

„So war umsonst,“ rief sie, „mein Bangen?
Wie ist es, Liebster, dir ergangen?“
 
„Der König — Glück und Heil auf ihn! —
Hat gnädig diesmal mir verziehn,
Gab obendrein als Sühne mir
Den Lampe, das verlog’ne Thier,
Das mich bei Hof mit Vorbedacht
Um meinen guten Ruf gebracht.
Was mir behagt, darf ich ihm thun,
Entgelten soll der Schelm es nun!“
 
Der Hase hört’s und will entfliehn.

„Zu Hilfe!“ schreit er laut, „Bellin!
O komm‘ zu Hilfe meiner Noth,
Der fromme Pilger beißt mich todt!“

 

Reineke sprach: „Boshaft Geschrei!“
Und biß die Gurgel ihm entzwei.

 

„Der soll mich nirgends mehr verklagen!
Ein leck’rer Bursch, das muß ich sagen,
Der leidlich Fett am Leibe hat!
Nun, Kinder, kommt und freßt euch satt!
Mag’s allen Schurken so ergehn,
Die mir nach Gut und Leben stehn. —
Vernimm, mein liebes Weibchen, jetzt,
Wie ich bei Hof mich losgeschwätzt.“
  Die Füchsin hört‘ ihm schmunzelnd zu;

Am Ende sprach sie: „Schäker du!
Nur Eines steht mir nicht zu Sinnen:
Daß du als Büßer willst von hinnen.“
 
Reineke lachte: „Liebe Frau,
Wer nimmt’s mit Worten so genau,
Wenn Kopf und Kragen auf dem Spiel?
Was schert mich Rom und Buße viel?
Ich lache Papst und König aus
Und bleibe still bei dir zu Haus.“
 
Da klang es mahnend ihm ans Ohr;
„He Lampe!“ rief der Bock am Thor,
„Hältst du die Freunde so zu Narren?
Wie lange soll ich hier noch harren?“
 
Reineke lief hinaus. „Bellin,“
Begann er, „schmähle nicht auf ihn;
Er plaudert voller Wohlbehagen
Mit meiner Frau von alten Tagen.“
 
„Hat er nicht vorhin,“ frug Bellin,
„Um Hilfe jämmerlich geschrien“!
 
„Ganz recht. Denn da mein Weib vernommen,

Daß ich als Pilgersmann gekommen,
Fuhr ihr der Schreck in Mark und Bein;
Und laut hub Lampe an zu schrein:
„Bellin, zu Hilfe unsrer Noth,
Mein armes Mühmchen bleibt mir todt!“
 
Bellin sprach: „Sei’s wie’s immer sei,
Es war ein fürchterlicher Schrei.“
 
„Nein,“ sagte Reineke, „fürwahr,
Man krümmte Lampen nicht ein Haar.
Doch — darf ich eine Bitte wagen?
Der König hat mir aufgetragen,
Daß ich von hier sogleich ihm schreibe.
Und während sich mit meinem Weibe
Freund Lampe froh die Zeit vertrieben,
Hab‘ ich die Briefe flugs geschrieben.
Willst du vielleicht mein Bote sein?
Es bringt dir Dank und Ehren ein.“

„Gut,“ sprach Bellin, „daß mir nur nicht
Ein Siegel unterwegs zerbricht.“
 
Reineke sagte: „Grämt dich das?
So kommt mein Ränzel uns zu Paß.

Ich kann’s entbehren auf der Reise.“
 

Er eilt ins Haus und murmelt leise:
„Was solch ein Schaf nicht alles glaubt!“
Faßt Lampe’s edles Dulderhaupt,
Läßt’s hurtig in den Ranzen gleiten
Und schnürt ihn zu von allen Seiten.
Jetzt trat er wieder vor das Haus.
„Geh‘, Oheim, nur gemach voraus;
Noch muß ich Lampen manches fragen,
Noch dies und das dem Freunde sagen . . .
Er läßt dich bitten zu verzeihn;
Der Schnellfuß holt dich sicher ein. —
Hier ist das Ränzel, nimm es hin,
Zwei dicke Briefe sind darin.
Doch öffn‘ es mir bei Leibe nicht,
Auf daß dir ja kein Siegel bricht! —
Und nun noch eins. Mein Freund, du weißt,
Hoch schätzt der König Witz und Geist.
Willst du in seine Gunst dich setzen,
Brauchst du nur dreist ihm vorzuschwätzen,
Daß du beim Schreiben mir, Bellin,
So manchen guten Rath verliehn.“
 
Da sank der Bock in heller Lust
Reineken an die Freundesbrust.
„Ach,“ jauchzt‘ er, „ganz erkenn‘ ich jetzt,
Wie du mich liebst, o Freund, und schätz’st!


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