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Published by otto.petrovic, 2022-09-02 08:16:31

Vietnam und Kambodscha

VIETNAM


Wenn Kinder die Mittelschule besuchen, müssen Eltern dafür bezahlen. Eine gute Universität kostet pro Jahr soviel wie
ein Arbeiter in drei Jahren verdient und eine Krankheit mit Spitalsaufenthalt verschlingt zehn Jahresgehälter. Rund
2.000 US-$ beträgt das jährliche Durchschnittseinkommen - nach dem Wirtschaftswunder. Das fehlende Geld kommt
aus Nebenjobs, Schwarzarbeit und Korruption. Sich selbständig machen und ein Restaurant eröffnen ist in dem
kommunistischen Staat jederzeit möglich - wenn man den zuständigen Politiker besticht und sich mit der ebenso
zuständigen Mafia einigt. Regimekritische Meinungsäußerungen werden nicht verfolgt, man findet einen anderen
Grund für die Haft oder schickt einen Schlägertrupp. Doch dies ist nur die eine, für den Besucher so gar nicht sichtbare
Seite von Vietnam.

Die andere allerorts sicht- und spürbare ist die eines ungemein feinen, feinfühligen, zuvorkommenden Landes. Geprägt
von 54 Volksgruppen mit einer Vielzahl an religiösen Traditionen ist die spirituelle Landschaft ebenso bunt und
verwirrend wie der Straßenverkehr. Die vietnamesische Familie endet nicht bei den Lebenden sondern schließt stets
die toten Angehörigen mit ein - und auch gleich Natur- und Territorialgeister. Vom Konfuzianismus geprägt haben
Lernen, Respekt vor den Älteren, Vorrang der Gemeinschaft vor dem Einzelnen, emotionale Bescheidenheit und
Verantwortungsbewusstsein einen besonderen Stellenwert. Der Daoismus lehrt das allen Dingen innewohnende
Urprinzip und der Buddhismus das Begierde und Anhaftung die Ursache allen Leides sind die nur durch völliges
Auslöschen von Gier und Hass überwunden werden können.

Die Welt des hochkapitalistischen Kommunismus lebt mit der Welt der Spiritualität in trauter Zweisamkeit, auch nach
dem Beschluss tiefgreifender Wirtschaftsreformen am Sechsten Parteitag der KPV im Dezember 1986. Zehn Jahre
nachdem das Land als Sozialistische Republik Vietnam mit der Hauptstadt Hanoi wiedervereinigt, Saigon in
Ho-Chi-Minh-Stadt unbenannt und Privateigentum aufgehoben wird. Genau das wollen zuvor 500.000
US-amerikanische Soldaten im Vietnamkrieg von 1964 bis 1975 verhindern. Trotz überragender s a technischer
Überlegenheit können sie den Krieg gegen die Viet Cong nicht gewinnen. Genauso wenig wie die Franzosen im Ersten
Indochina Krieg von 1946-1954 ihre Kolonie verteidigen können die ab 1862 schrittweise um immer mehr Teile
Vietnams und Kambodschas erweitert und schließlich zur Union Indochinoise zusammengeführt wird. Da können die
Chinesen das Land wesentlich länger besetzen - mehr als 1000 Jahre, erst 938 laufen ihre Dschunken auf trickreich
errichtete Pfähle im Bach-Dank-Fluss auf.





Hanoi
und
das
Metropol


In Hanoi stehen keine Hochhäuser. Dafür wird der kolonial-französische Charme liebevoll mit asiatischer Authentizität verbunden. Sieht man
vom Ho-Chi-Minh-Mausoleum ab findet man kaum kommunistische Gewaltbauten, dafür tausende mobile Garküchen und hunderttausende
unbeirrbar rasende Motorräder.

Würde das Hotel Metropole in Wien stehen, wäre es das Sacher. Es ist der Inbegriff von Authentizität. Es gibt zwar einen Bunker aber keinerlei
Fassade. Das Service ist außergewöhnlich aufmerksam und zuvorkommend, nicht gekünstelt oder gequält sondern aus einem wirklichen
Bedürfnis heraus. Die Tradition ist nicht ein vertrauensvoller Blick in die Vergangenheit, sondern Teil einer wunderbaren Gegenwart. Das
vietnamesische Frühstück verschmilzt mit dem japanischen zu einem einmaligen Erlebnis und glänzt sogar durch sein großartiges
Birchermüsli.

Ho
Chi
Minh


Normalerweise lieg er im khakifarbigen Hemd und stets bewacht von sechs Soldaten. Jetzt liegt er gerade in Russland zur Generalsanierung.
Wahrscheinlich träumt er noch immer seinen Traum vom vereinigten Vietnam. Durch seinen Tod im Jahr 1969 konnte Ho Chi Minh dieses nicht
mehr erleben. Der einstige Küchengehilfe im Londoner Carlton-Hotel rief am 2. September 1945 die Unabhängigkeit Vietnams von Frankreich aus
und wurde Präsident der Demokratischen Republik Vietnam. Doch der zähe Guerillakrieg aus den Bergen gegen die Franzosen dauerte bis 1954.
Erst dann konnte Ho Chi Minh siegreich in Hanoi einziehen und das Genfer Abkommen teilte Vietnam am 17. Breitengrad. Während des
Vietnamkrieges galt er weltweit als Symbolfigur für den antiimperialistischen Kampf. Heute wird um ihn ein großer Personenkult getrieben, andere
geben ihm die Schuld an 1 Million Ermordeten durch den von ihm geprägten Kommunismus in Nordvietnam.











Agent
Orange


Die US-Streitkräfte setzten im Jänner 1965 erstmal das Entlaubungsmittel‚Agent Orange‘ ein um den feindlichen Viet Cong die Tarnung im
Dschungel zu erschweren. Es enthält die giftigsten Vertreter der Dioxine und wurde unter anderem von Monsanto und der Bayer AG hergestellt.
Gegenwärtig leiden etwa drei Millionen Vietnamesen an schweren körperlichen und geistigen Behinderungen aufgrund der Spätfolgen von Agent
Orange. Noch immer werden schwer missgebildete und kranke Kinder geboren die in einer Werkstätte ihren Arbeitsplatz finden. Sie haben auch die
beiden wunderbaren Vasen auf unserem Esstisch gemacht.











Spezialitäten


Wenn großer Hunger auf ebensolche Abenteuerlust trifft werden im Ei weich gekochte Entenembryos gegessen. Mitsamt dem Ei.



Holong
Bucht


Zweitausend Kalkfelsen ragen in der Halong-Bucht im Norden Vietnams aus dem Südchinesischen Meer. Und das bereits seit etwa
205 Millionen Jahren. In den 1970er und 1980er Jahren waren die kleinen Inseln oftmals der Ausgangspunkt der Boatpeople bei ihrer Flucht
aus Vietnam. Heute leben dort Fischerfamilien auf ihren Booten hauptsächlich von der Austernzucht.

Die Fahrt mit der Dschunke durch die Inselwelt führt in die absolute Ruhe. Für die Fahrt mit dem Kajak benötigen wir nicht einmal mehr den
Dieselmotor, nur mehr uns selbst.











Saigon


Saigon hat viele Hochhäuser und heißt mittlerweile Ho Chi Minh City. Es hat auch Designerstraßen und das Hotel Majestic ist mittendrin, ist der
Gegenpol zum Metropole in Hanoi. Das Schöne ist die Fassade, das Service hingegen ist großstädtisch-unwillig und das Frühstück erinnert an
ein Bahnhofsrestaurant. Es könnte überall stehen, ist austauschbar.

Wie anders Saigon auch sein kann wenn man den Distrikt der Austauschbarkeit verlässt zeigt die spätere Vespafahrt in die Viertel der
Einheimischen. Totale Authentizität, wenn auch ganz andern als in Hanoi. Die Menschen sind dynamischer, jünger, leben mehr ihren Tag.



Präsidentenpalast
und



Amerikanischer
Krieg


Der große vietnamesische Architekt Ngo Viet Thu gewinnt den Grand Prix de Rome, die höchste Auszeichnung die ein
Achitekt erhalten kann und entwirft den Präsidentenpalast in Saigon. Der grosse Anti-Kommunist Nguyen Van Thieu
bewohnt ihn ab 1967 und steuert von hier den Krieg gegen die Viet Cong. Nichts erinnert in ganz Vietnam so stark an
den Kommunismus wie diese angeblich antikommunistische Trutzburg. Wieder ein seltsamer Widerspruch. Und die
First Lady empfängt ihre Staatsgäste in eigens für sie gebauten Repräsentationsräumen. Währenddessen verrecken vor
der Türe Viet Congs, G.I.s und Südvietnamesen im Schlamm des Dschungels .

12 Uhr … Die Weltnachrichten … Vietnam.
12 Uhr … Die Weltnachrichten … Kambodscha.

Das sind tiefe Kindheitserinnerungen eines 1964 geborenen.

Am 1. Mai 1975 erobern nordvietnamesische Truppen Saigon und beenden den Amerikanischen Krieg. Oder
‚Vietnamkrieg‘ wie wir ihn nennen. Richard Nixon gewinnt 1968 die US-Präsidentschaftswahl mit dem Versprechen,
einen‚Frieden mit Ehre‘ in Vietnam auszuhandeln. Am 30. April 1975 werden die letzten US-Bürger per Helikopter aus
der Botschaft in Saigon auf die Flugzeugträger vor der Küste evakuiert. Bereits ab 1969 werden schrittweise Truppen
abgezogen, die Südvietnam gegen das kommunistische Nordvietnam unterstützen. 1970 greift der Amerikanische
Krieg jedoch auf Kambodscha über, die Bombardements werden stark erhöht, bereits 1964 wird Laos Teil des
Kriegsschauplatzes, nachdem die USA im Februar 1965 beginnt Nordvietnam zu bombardieren und Bodentruppen
nach Südvietnam zu entsenden. Es soll verhindert werden, dass nach der Teilung von Vietnam im Jahr 1954 das
kommunistische Nordvietnam den Süden erobert und das Land unter kommunistischer Flagge wiedervereinigt. China
und die Sowjetunion unterstützen Nordvietnam. Der große Stellvertreterkrieg während des Kalten Kriegs beginnt.

Sein Ergebnis sind 4 Millionen tote Vietnamesen, rund ein Achtel der Gesamtbevölkerungen. Nur jeder fünfte Tote ist
Soldat. Das US-Militär registriert 58.220 getötete Soldaten. Es wird geschätzt, dass die US Air Force zwei- bis dreimal so
viel an Bombenmunition auf Vietnam abwirft wie im gesamten Zweiten Weltkrieg. 1966 gibt die US-Regierung doppelt
soviel für den Vietnamkrieg aus wie für soziale Reformprogramme im eigenen Land.











Nächtliche
Vespafahrt


Die Vespafahrt durch das nächtliche Saigon gleicht dem Eintauchen in einen einzigartigen asiatischen Traum: ein für unsere Augen absolut
chaotischer Verkehr, Seitenstraßen mit dichtestem Leben und kulinarische Erlebnisse der ganz besonderen Art. In das Gewirr von
Abzweigungen würden man ohne einen Guide der selbst am Floating Market im Mekong Delta aufgewachsen ist wohl niemals fahren. So aber
vertraut man ihm und dem Lenker der Vespa voll. Der erste Stopp führt zu einem großartigen Fischessen. Flying Chicken sind hier zunächst im
Aquarium zu bewundern und dann am Teller. Mit Hühnern haben sie nicht viel gemeinsam, aber sie können sehr weit springen. Der zweite
Halt bring wirklich große Pfannkuchen und asiatisches Fondue. Die Ausfahrt endet in einer schummrigen Bar in der akustische Musik ganz
ohne Strom gespielt wird.











Mekong
Delta


Der Mekong ist mit seinen rund 4.500 km einer der längsten Flüsse der Welt und durchquert sechs Länder in Südostasien. Es herrscht
Uneinigkeit ob er in Tibet oder China entspringt und wie lange er wirklich ist. Von Kambodscha fließt der Mekong mit einer Breite von
mehreren Kilometern nach Vietnam um im Mekong Delta in das Chinesische Meer zu münden. Durch die vielen Schwebestoffe die er mitbringt
ist das Delta besonders fruchtbar und beherbergt mit 30 Millionen Menschen auf einer Fläche die knapp kleiner als Österreich ist ein Drittel der
Gesamtbevölkerung Vietnams. Staudammprojekte von Laos und China im Oberlauf gefährden das Klima und die Fruchtbarkeit des gesamten
Deltas. Heute zeigt sich das Delta noch von einer sehr ursprünglichen, beschaulichen Seite. Man hat das Gefühl einer Zeitreise in eine
unberührtes System an Wasserstrassen.
















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