GETTY IMAGES(2); MONTAGE : WELT AM SONNTAG; GETTY IMAGES(2); FRANCESCO RICCARDO IACOMINO/ GETTY IMAGES GLÜHENDES EUROPA Seite 10 Welche Strategien die Länder im Umgang mit der Hitze haben Italiens schönste Seite Seiten 54/55 Die Region Marken – ein echter Geheimtipp Seiten 2/3 Familienpolitisches Vater, Mutter, Kind und der Staat: Die Debatte über Elterngeld und Ehegattensplitting Leitdbild Leitdbild Leitdbild Leitdbild Leitdbild Leitdbild calla ikone des schmucks A 5,50 € • B 5,50 € • I 5,80 € • L 5,50 € • CH 6,30 CHF • DK 43,50 DKK • PL 24,50 PLN Kundenservice: 0800-926 75 37 Digitale Angebote: 0800-951 5000 E-Mail: [email protected] Gebührenfrei aus dem deutschen Festnetz und von allen deutschen Mobiltelefonen 16. JULI 2023 NR. 29 B * DEUTSCHLANDS GROSSE SONNTAGSZEITUNG GEGRÜNDET 1948 ZIPPERTS WORT ZUM SONNTAG D eutsche Freibäder sind zu einer No-go-Area geworden. Täglich kommt es zu Pöbeleien, Schlägereien und unkontrollierter Urinabgabe. Ohne polizeiliches Führungszeugnis und eine persönliche Empfehlung eines Ü-70-Dauerkarteninhabers kommt man vielerorts überhaupt nicht mehr rein. In einigen Schwimmbädern sind bereits Polizisten in Zivilbadehosen unterwegs, um die Lage zu sondieren. In Essen sind Bademeister bewaffnet und dürfen im Notfall von der Wasserpistole Gebrauch machen. Wie konnte es so weit kommen, und wer ist schuld? Liegt es am Chlor, dessen Ausdünstungen aggressiv machen können? Oder ist der Ammoniakanteil im Becken zu hoch? Sind Nichtschwimmer aggressiver? Wissenschaftler vertreten die Ansicht, es sei die toxische Mischung aus Wasser, Geschrei, Hüftspeck, unvorteilhaften Badehosen und Sonnencreme, die die Menschen durchdrehen lässt. Leider lässt sich das experimentell nicht nachprüfen, weil man diesen Cocktail unter Laborbedingungen noch nicht herstellen kann. Ist es sinnvoll, in jedem öffentlichen Freibad einen Bereich für gewaltbereite Badegäste auszuweisen, mit besonders kaltem Wasser zur Abkühlung der Gemüter? Sollte man spezielle Öffnungszeiten für Männer, Frauen, Diverse, Christen, Muslime und Veganer ausweisen, damit verfeindete Gruppen nicht aufeinandertreffen? Oder sollte man zur Beruhigung Valium ins Badewasser streuen? In Berlin-Neukölln wurden jedenfalls für das Wochenende Überwachungshubschrauber und Weißhelmsoldaten angefordert, um die Konfliktparteien zu trennen. In Wilmersdorf hat der oberkommandierende Bademeister als letztes Mittel den Einsatz von Streumunition beantragt. Sind Nichtschwimmer gewaltbereiter? ANZEIGE ISSN 0949 – 7188 H itlergrüße im Unterricht, Hakenkreuzschmierereien in Schulheften, rassistische Bedrohungen auf dem Pausenhof – das Problem rechtsextremistischer Vorfälle an Schulen ist offenbar größer als angenommen. Laut einer Abfrage von WELT AM SONNTAG ist die Zahl der von den Schulen gemeldeten Vorkommnisse in einigen Bundesländern deutlich gestiegen. Die Bundesländer handhaben die Meldepraxis allerdings sehr unterschiedlich. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert daher eine bundeseinheitliche Erfassung, insbesondere von antisemitischen Vorfällen. VON ALEXANDER DINGER, ULRICH KRAETZER UND MARTIN LUTZ Einen deutlichen Anstieg der rechtsextremistischen Vorfälle registrierte das Land Brandenburg. Im Schuljahr 2021/22 meldeten die Schulen laut Bildungsministerium knapp 60 Vorkommnisse, die als antisemitisch, fremdenfeindlich oder rechtsextrem kategorisiert wurden. Im laufenden Schuljahr waren es bis Anfang Juni bereits rund 100 Vorfälle. Einen neuen Höchstwert verzeichnete auch Thüringen. Laut Bildungsministerium des Landes meldeten die Schulen im vergangenen Jahr 91 rechtsextremistische Vorkommnisse. In den Jahren zuvor waren es durchschnittlich knapp 60 Fälle. In MecklenburgVorpommern erfasste das Bildungsministerium nach zuvor niedrigeren Werten im laufenden Schuljahr bis Mitte Juni 48 Vorkommnisse. Die meisten anderen Länder konnten auf Anfrage keine Zahlen übermitteln. In Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Sachsen führen die Bildungsministerien keine Statistiken und verweisen auf Erhebungen der Polizei. Die Polizei erfasst allerdings nur Fälle, denen eine Strafanzeige folgte. Die Bildungsministerien in Nordrhein-Westfalen und Bremen sprachen von einer „geringen Anzahl“ rechtsextremer Vorkommnisse. Aus Hessen hieß es, die jährlichen Zahlen lägen im „einstelligen oder sehr niedrigen zweistelligen Bereich“. Die Debatte über rechtsextreme Vorfälle an Schulen kam ins Rollen, nachdem zwei Lehrer einer Schule im südbrandenburgischen Ort Burg im April von Hakenkreuzschmierereien und wiederholten Hitlergrüßen von Schülern berichtet hatten. Die Schulleitung habe die Vorfälle verharmlost. WELT AM SONNTAG hat sämtliche dem brandenburgischen Bildungsministerium übermittelten Formulare über rechtsextreme Vorfälle ausgewertet. Allein im Mai dieses Jahres meldeten die Schulen demnach 34 rechtsextreme Vorkommnisse. In 14 dieser Fälle zeigten Schüler den verbotenen Hitlergruß, oft im Unterricht oder auf dem Pausenhof. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte dieser Zeitung: „Die Vorgänge an der Brandenburger Schule sind ein Alarmzeichen. Freiheit, Demokratie, Toleranz und Pluralität sind zentrale Werte unserer Gesellschaft, auch an Schulen.“ Diese gelte es, überall und jeden Tag zu leben – und wo es notwendig sei, auch zu verteidigen. „Hierzu müssen alle beitragen. Dazu gehört ein koordiniertes und konsequentes Vorgehen aller Verantwortlichen.“ Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Klein, sagte dieser Zeitung: „Auf Schulhöfen wird ‚Du Jude‘ leider als gängige Beschimpfung verwendet.“ Jeder Vorfall sei schrecklich und schwer zu ertragen. „Darum brauchen wir eine bundesweite Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen“, so Klein weiter. Er habe mit den Antisemitismusbeauftragten der Länder und dem Zentralrat der Juden in Deutschland Vorschläge erarbeitet, um den Antisemitismus in den Schulen noch besser bekämpfen zu können. Auch Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) plädiert für ein bundeseinheitliches Vorgehen. „Rechtsextremismusvorfälle an Schulen sollten bundesweit einheitlich erfasst werden“, sagte Maier. Die Erfassung solcher Fälle brauche engagierte und aufmerksame Institutionen und Verantwortliche. Und die wiederum benötigten Rückhalt und Unterstützung aus Politik und Gesellschaft. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: „Grundsätzlich haben wir bundesweit einheitliche Richtlinien, nach denen politisch motivierte Straftaten erfasst werden.“ Dieses Regelwerk sehe aber nicht vor, dass man dabei einen Tatort wie eine Schule erfasse. Eine Bund-LänderArbeitsgruppe überprüft laut Reul, ob das Definitionssystem noch praktikabel sei. Seite 6 Die Zahl rechtsextremer Vorfälle an Schulen steigt Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger: „Vorgänge sind ein Alarmzeichen.“ AntisemitismusBeauftragter der Bundesregierung fordert deutschlandweit einheitliche Erfassung Eliten am Pranger Soziologe Armin Nassehi über Unzufriedenheit als Antriebsfeder der Demokratie und die Rolle der AfD Seite 7 Der WM-Ball rollt Zum Auftakt der Frauen-Fußball-WM: Fünf Porträts wichtiger Spielerinnen und ein Doppelinterview Seiten 29, 64 Wenn das BAföG nicht reicht Steigende Preise, hohe Mieten: Wie Studenten ihre Ausbildung finanzieren können Seite 34 IN DIESER AUSGABE Leichte Hühner vom Grill Knusprige Variationen, ob mit Chili oder Lemongras – die besten Rezepte fürs Barbecue ohne viel Fett Seite 52 Der Berg ruft: Die Schweiz als Erfolgsmodell für Aktiensparer Seite 33 Die EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie die griechische Regierung verschweigen die wahren Abläufe eines Bootsdramas im Juni mit rund 600 Toten. Wie WELT AM SONNTAG und das das Nachrichtenunternehmen „Politico“ erfuhren, muss die hochdramatische Situation vor der griechischen Küste Athen und den Grenzschützern viel früher bewusst gewesen sein als bislang bekannt. Das zeigen interne Unterlagen. Demnach wussten sowohl die Grenzschützer als auch Athen schon am frühen Morgen des 13. Juni, dass offenbar bereits verstorbene Kinder an Bord gewesen waren – doch erst knapp zwölf Stunden später war ein Schiff der Küstenwache vor Ort. Das Boot kenterte schließlich, nur 104 Menschen wurden lebend an Land gebracht. Seite 8 Harte Vorwürfe gegen Frontex MIGRATION PREIS D € 5,30 4 190712 505309 2 9 MANGEL AN ANTIBIOTIKA Neue Superkeime und knappe Medikamente – über eine nahende Katastrophe Seiten 13 bis 16 Hast du Töne … Seite 61 Was Musik über unseren Verstand verrät Nach Blockaden in zahlreichen Städten haben sich die Aktivisten der radikalen Klimaschützer-Gruppe „Letzte Generation“ eine Sommerpause auferlegt. Von diesem Wochenende an will sich die Gruppe drei Wochen lang mit Aktionen zurückhalten. Am Freitag hatten sich die Aktivisten in Metropolen wie Berlin, Leipzig, Dresden und Braunschweig auf die Fahrbahn wichtiger Knotenpunkte geklebt – einige trugen Masken mit Gesichtern von Kabinettsmitgliedern und zeigten Banner mit der Aufschrift „Wir brechen das Gesetz“. Seite 5 Protestler gehen in Sommerpause „LETZTE GENERATION“ Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, lobt die Versuche der Afrikanischen Union, Brasiliens und Chinas, einen Waffenstillstand zu erreichen. „Wir sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass die Volksrepublik China, indem sie einen Sondergesandten benannt hat, zumindest einen Schritt weiter gegangen ist als noch vor einem Jahr.“ Peking signalisiere damit, Verantwortung tragen zu wollen. Mützenich mahnt, „dass wir die Suche nach friedlichen Voraussetzungen nicht allein autokratischen Regierungssystemen überlassen.“ Seite 4 Mützenich lobt Pekings Rolle UKRAINE-KRIEG Mehr unter: welt.de/verantwortung Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), warnt vor einer finanziellen Schieflage in den Jobcentern. Im Haushaltsentwurf der Regierung seien „nicht genügend aktive Arbeitsmarktmittel und nicht genügend Mittel für Verwaltungskosten der Jobcenter“ eingeplant worden. „Da steht ein Minus von 6,6 Prozent, umgerechnet 700 Millionen Euro“, sagte Nahles WELT AM SONNTAG. „Wir sind schlichtweg nicht ausreichend finanziert.“ Die Jobcenter planten bereits weniger Maßnahmen für die Integration von Langzeitarbeitslosen. Seite 18 Jobcenter müssen sparen BA-CHEFIN NAHLES © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. 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Eigentlich hatte die Ampel-Koalition sich vorgenommen, das Elterngeld in dieser Legislaturperiode aufzustocken. Einen zusätzlichen Vatermonat sollte es geben, mehr Elterngeld für Eltern von Frühgeborenen, vor allem aber eine „Dynamisierung“ von Basis- und Höchstsatz. Grundsätzlich ist das Elterngeld als Lohnersatzleistung konzipiert, gezahlt werden 65 Prozent des letzten Nettoeinkommens, mindestens aber 300 und höchstens 1800 Euro. Seit der Einführung im Jahr 2007 sind die Sätze nicht mehr erhöht worden, trotz gravierender Kaufkraftverluste in diesen 16 Jahren. Doch statt die Beträge wie versprochen anzuheben, legt die Ampel die Axt ans Elterngeld. Paare ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 150.000 Euro sollen künftig gar nichts mehr bekommen. Für Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ein geringeres Übel als eine Elterngeldkürzung für alle. Die Familien im Land aber sind verunsichert. WELT AM SONNTAG hat mit sechs von ihnen gesprochen. VON SABINE MENKENS UND FREIA PETERS wei Jahre war Britta Lohmann mit ihrem Mann zusammen, da kam das Baby-Thema auf den Tisch. „Mein Mann hatte ja bereits vier Kinder, für ihn war es nicht mehr so wichtig, aber ich wollte sehr gerne Mutter werden“, erzählt die heute 43-Jährige. Sie hat dann kein eigenes Kind mehr bekommen, gemeinschaftlich hat sich das Paar dagegen entschieden. Ein wesentliches Argument waren die Finanzen. „Mit Elterngeld wäre es gerade so gegangen, auch wenn es kritisch geworden wäre“, sagt Lohmann. „Ohne Elterngeld wäre es völlig unmöglich gewesen.“ Lohmann und ihr Mann gehören zu Deutschlands Top-Verdienern. Gemeinsam ist ihr zu versteuerndes Einkommen höher als 150.000 Euro. Wenn der Plan der Familienministerin also tatsächlich umgesetzt wird, stünde einem Paar wie den Lohmanns fortan kein Elterngeld mehr zu. Britta Lohmann ist Apothekerin, ihr Mann ist Projektleiter in einer Firma, die Flugzeugteile herstellt. Aus erster Ehe hat er ein zehn- und ein 15- jähriges Mädchen sowie 13-jährige Zwillinge. Für die drei Großen zahlt er monatlich rund 1500 Euro Unterhalt, die Kleine lebt im Wechselmodell eine Woche bei der Mutter, eine beim Vater. Die Lohmanns haben ein großes Haus gekauft, damit jedes Kind ein eigenes Zimmer haben kann, „sonst verliert man sie gleich ganz“, sagt Lohmann. Mit der monatlichen Kreditsumme von 1700 Euro ist das Gehalt ihres Ehemannes im Großen und Ganzen aufgebraucht, und es ist noch kein Lebensmitteleinkauf getätigt, kein Strom bezahlt. „Natürlich sind wir privilegiert“, sagt Lohmann, „aber es ist eine Illusion zu glauben, dass wir Reichtümer besitzen oder auf die Malediven fliegen“. In den Ferien geht es für eine Woche nach Südtirol, Ostern waren die Lohmanns mit dem Fahrrad in der Pfalz. Urlaub ist nur drin, weil Lohmann selbst deutlich mehr verdient als ihr Mann. „Wenn das Elterngeld gekappt wird, werden gut verdienende Paare weniger Kinder bekommen, es werden mehr Eltern aufgrund der teuren Kita-Plätze zu Hause bleiben“, schätzt Lohmann. Sie hat sich damit abgefunden, dass sie keine leibliche Mutter ist. Besonders die jüngste Tochter ihres Mannes ist ihr sehr ans Herz gewachsen. V erena Pausder selbst hat nach den Geburten ihrer drei Kinder nie richtig Elternzeit genommen. Die in Elternkreisen gut vernetzte Unternehmerin saß jedes Mal rasch wieder am Schreibtisch, nur bei ihrer heute sechsjährigen Tochter nahm sie sich vier Monate Auszeit. Trotzdem ist Pausder in diesen Tagen zur Elterngeldaktivistin geworden. Als die Nachricht von der Streichung des Elterngeldes für Besserverdiener kam, sei ihr Postfach geflutet worden mit Botschaften entsetzter Frauen und Männern, deren Lebensplanung auf einmal ins Wanken geriet, darunter auch viele Schwangere. „Diese Empörung wollte ich irgendwie kanalisieren.“ Bei Change.org setzte Pausder deswegen eine Petition auf, die bereits knapp 585.000 Zeichner fand. „Dass die Sache eine solche Wucht entfaltet, damit hätte ich nicht gerechnet“, sagt sie. Allerdings auch nicht mit der Häme, die den vermeintlich „Reichen“ seitdem entgegenschlägt. Viele der Betroffenen, mit denen Pausder in Kontakt steht, trauen sich nicht einmal mehr, ihre Sorgen öffentlich vorzutragen. „Sie fühlen sich stigmatisiert und missverstanden.“ Denn es seien nicht die viel zitierten Millionenerben, denen die Elterngeldstreichung die Lebensplanung verhagelt. Sondern die gut ausgebildeten Akademikerpaare, die viel Zeit in ihre Ausbildung investiert haben, die vielleicht eine Wohnung gekauft oder einen Ausbildungskredit abzustottern haben oder in einer teuren Stadt wohnen und es sich schon deshalb nicht leisten können, einfach auf ein Einkommen zu verzichten. „Es sind eigentlich gerade diese Paare, für die das Elterngeld einst eingeführt wurde“, sagt sie. „Es war nie eine Sozialleistung, sondern eine Lohnersatzleistung, die Akademikerinnen Mut zum Kind machen sollte. Jetzt wird alles zurück auf null gesetzt.“ Für die Chancengerechtigkeit von Männern und Frauen und die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei die Elterngeldstreichung ein „katastrophales Signal“, sagt die Unternehmerin. „Und schlimmer noch: Ich fürchte, dass viele ihre Kinderwünsche jetzt wieder auf die lange Bank schieben.“ A ls 2010 sein erstes Kind geboren wurde, hatte Sebastian Knauff gerade sein Studium abgeschlossen und trat kurz darauf einen Job bei der Kölner Bezirksregierung an. „Eine KINDER des Elterngelds Jennifer Singer aus Neulußheim mit ihren Kindern Herzliche Grüße Dagmar Rosenfeld Chefredakteurin WELT AM SONNTAG Im Winter sind die Klapperschlangen träge, dachte sich Boris Pofalla – die ideale Zeit für den lang ersehnten Besuch am Geburtsort des Atomzeitalters in der Wüste New Mexicos: In Alamogordo und Los Alamos machte er sich auf die Suche nach den Hintergründen des Film-Blockbusters „Oppenheimer“. Seite 43 Anja Ettel und Marc Neller haben oft zu schwierigen Medizinthemen recherchiert. Dieses Mal geht es um Antibiotika. Medikamente, die einst die moderne Medizin revolutioniert haben, heute sind sie Mangelware. Patienten, Ärzte und Forscher geraten in Not, wie die Autoren in ihrem Report anschaulich beschreiben. Seiten 13-16 AUTOREN DIESER AUSGABE Wenn Politik baden geht, dann ist entweder Heizungsgesetz oder es ist Sommerpause. Und zumindest was letztere angeht, setzt Bundeskanzler Olaf Scholz auf Kontinuität mit seiner Vorgängerin Angela Merkel: Der Urlaub ist privat. Vorbei die Tage, in denen Kanzler ihre Feriendomizile nutzten, um das Private politisch zu inszenieren. Da wurde dann der schleswig-holsteinische Brahmsee, an dem Helmut Schmidt urlaubte, zum „Lago di Sozi“ und der Wolfgangsee zur Kulisse für ein Familienidyll der Kohls, das es so gar nicht gab, sondern die Fortsetzung von Politik mit väterlichen Mitteln war. Die Inszenierung des Privaten soll Nahbarkeit suggerieren. Nur ist die Frage, ob Nahbarkeit im Politischen tatsächlich von Wert ist. Ja, die Republik war entzückt als Robert Habeck in den Anfangsmonaten der Ampel die Öffentlichkeit an seinen Gedanken und auch seinem Leiden teilhaben ließ. Gerade im Kontrast zu einem Kanzler, der frei von Zweifeln und karg an Erklärungen agiert, wirkte Habeck authentisch. Nur gehört Gefühligkeit in eigener Sache genauso wenig in die Politik wie ein Kanzler in Badehose. Das musste übrigens auch schon Friedrich Ebert erfahren, der erste Reichspräsident der Weimarer Republik. Und auch die politische Laufbahn des einstigen SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping fiel ins Wasser, nachdem er im Sommer 2001 mit seiner neuen Liebe für die Klatschpresse öffentlichkeitswirksam im Pool plantschte, während deutsche Soldaten vor einem gefährlichen Einsatz in Mazedonien standen und deswegen Urlaubssperre hatten. So gesehen ist, ist es auch eine Form von Respekt, das Private nicht fürs Politische zu instrumentalisieren. Und Respekt hat Scholz versprochen. Liebe Leserinnen, liebe Leser! 2 THEMA DER WOCHE * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 Alle digitalen Inhalte und Vorteile von WELT sind jetzt exklusiv in das Abonnement der WELT AM SONNTAG integriert. Die Zugangsmöglichkeit über das Super-Ticket werden wir daher nicht weiter fortsetzen. Als Abonnent ist der Zugang zu WELTplus Premium für Sie jetzt inklusive. So sind Sie nicht nur am Wochenende, sondern täglich top informiert. Sie möchten sich WELT AM SONNTAG nach Hause liefern lassen und von den digitalen Vorteilen profitieren? Unter www.wams.de/bestellen finden Sie unsere aktuellen Angebote. Digitale Inhalte mit WELT AM SONNTAG weniger beschäftigt als Männer, sie sind es nur zu großen Teilen unbezahlt. In diese Gemengelage platzte nun die Ankündigung von Lisa Paus, eine Kappungsgrenze für das Elterngeld einzuführen. Die Empörung war groß. Die Frauen! Die Gleichberechtigung! Mühsam politisch erarbeitete Errungenschaften sah man in der Rückabwicklung. Es dauerte gut einen Tag, bis sich die Ausdeutung der Rechnung des Familienministeriums in der Debatte niedergeschlagen hatte, nämlich dass die Kürzung tatsächlich nur einen Bruchteil der anspruchsberechtigten Familien betrifft. Und zwar die, die ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 150.000 Euro oder mehr erwirtschaften. Trotzdem lief die Diskussion heiß. Was erahnen lässt, dass es dabei um mehr geht als die Frage, ob ein paar wenige Wohlhabende weiter A nfang der 2000er-Jahre gab es diesen Werbespot für Staubsauger, in dem eine gut gestylte Frau auf einer Party mit etwas abschätzigem Blick gefragt wird, was sie arbeite. Die Frau lächelt kurz und schwingt ihr gut geföhntes Haar. Dann sagt sie: „Ich bin Managerin eines erfolgreichen kleinen Familienunternehmens.“ Bäm. Damit hatte ihr Gegenüber, eine verbissene Karrierefrau, was man an ihrem streng gebundenen Zopf gut erkennen konnte, nicht gerechnet. VON EVA MARIE KOGEL Der Witz war dann, dass das Familienunternehmen tatsächlich kein Unternehmen, sondern eine Familie war, und natürlich ging es um die Anerkennung dessen, was der Zeitgeist heute gerne „Care-Arbeit“ nennt, was aber genauso gut „Frauenarbeit“ heißen könnte, denn etwas anderes ist es nicht. Nach wie vor ist die familiäre Aufgabenlast in Deutschland absurd ungleich aufgeteilt. Zwar ist das Engagement moderner Männer heute höher als das vorheriger Generationen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet aber vor: Frauen kümmern sich etwa zehn Stunden am Tag um die Familie, Männer: drei. Deutschlands Mütter arbeiten deswegen in Teilzeit, denn auch ihr Tag hat nur 24 Stunden, und Erwerbs- und Familienarbeit passen in diese nicht rein. Insgesamt sind Frauen also nicht vom Elterngeld profitieren sollten. Schließlich war die Einführung des Elterngeldes begleitet von einer großen Emanzipationserzählung: die Befreiung der Frau durch Lohnarbeit. In der geht es um Mütter, ihre Kinder, deren Väter und Chancengleichheit und vor allem um das Leitbild der doppelt berufstätigen Eltern, die durch die Transferleistung belohnt werden sollen. Was in dieser Erzählung nicht so laut gesagt wurde: Das Verhalten der Frauen nach Familiengründung sollte vermännlicht werden. Das ist in gewisser Hinsicht auch gelungen: Frauen steigen heute früher wieder in ihren Beruf ein als noch vor Einführung des Elterngeldes. Das Verhalten der Männer hingegen hat sich bestenfalls marginal verändert. Nur etwa die Hälfte der anspruchsberechtigten Männer nimmt überhaupt Elternzeit, nur ein Bruchteil davon mehr als die für Väter reservierten zwei Monate. Auf dem PaIn der Familienfalle Die Debatte um Elterngeld und Ehegattensplitting unterschlägt eines: Die traditionelle Rollenaufteilung bleibt VIA FAMILIE SINGER PICTURE ALLIANCE/DPA/CHRISTOPHE GATEAU T KUNDENSERVICE Brieffach 2264, 20350 Hamburg Telefon: 0800/926 75 37* E-Mail: [email protected] Öffnungszeiten: Mo–Sa 7–19 Uhr (*Gebührenfrei aus dt. Festnetz und von allen dt. Mobiltelefonen) © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
längere Auszeit konnte ich mir damals nicht leisten. Aber zum Glück hatte ich einen sehr verständnisvollen Chef, der mir trotzdem viel Freiräume für die Familie gelassen hat“, sagt der Politikwissenschaftler. Als 2016 aber der zweite Sohn kam, war die Familie entschlossen, den Rollenwechsel zu wagen. Knauffs Frau, die zwischenzeitlich eine große Praxis für Physiotherapie und Osteopathie aufgebaut hatte, ging nach dem Mutterschutz wieder arbeiten, Knauff blieb für ein Jahr mit Elterngeld zu Hause bei Sohn Laurenz und Baby Levin. „Das Gefühl, plötzlich alleine für ein Baby verantwortlich zu sein, war schon krass“, sagt der 42-Jährige. „Aber es hat mich auch stolz gemacht, dass ich beim Babyschwimmen und auf dem Spielplatz meistens der einzige Mann war.“ Für Levin war Sebastian Knauff damals die Hauptbezugsperson. Und noch heute ist er überzeugt, dass ihn die Elternzeiterfahrung zu einem kompetenteren Vater gemacht hat. Den Beschluss, das Elterngeld für Gutverdiener zu streichen, verfolgt Knauff deshalb mit einem mulmigen Gefühl. „Ich habe damals annähernd den Höchstsatz bekommen, und wahrscheinlich hätten wir die jetzt diskutierte Kappungsgrenze knapp gerissen“, sagt er. „Wenn das damals schon gegolten hätte, wären unsere Überlegungen gegebenenfalls anders ausgefallen. Dann hätten wir entscheiden müssen, welches Einkommen wir ruhen lassen – mein sicheres Einkommen als Angestellter oder das volatile Selbstständigengehalt meiner Frau.“ Er fürchtet, dass die Elterngeldstreichung dafür sorgt, dass künftig wieder weniger Männer in Elternzeit gehen. „Das widerspricht allen Bemühungen, die in Politik und Gesetzgebung in den letzten zehn Jahren gemacht worden sind.“ D as Timing war denkbar schlecht: Jennifer Singer war noch in der Elternzeit mit ihrem zweiten Kind, als sie überrascht feststellte, erneut schwanger zu sein. „Hätte ich es einen Monat früher erfahren, hätte ich das Elterngeld in der vorherigen Höhe von 900 Euro weiter bekommen“, sagt die gelernte Kinderpflegerin. „So bin ich leider auf den Basisbetrag von 300 Euro heruntergestuft worden.“ Ihr Mann Stefan arbeitet im Eisenbahnverkehrsdienst, seit der Geburt des jüngsten Sohnes im Dezember lebt die Familie aus dem baden-württembergischen Neulußheim jetzt fast ausschließlich von seinem Gehalt. Nun knirscht es an allen Ecken und Enden. 1800 Euro kostet die Wohnung der Familie, allein 684 Euro die Kita-Plätze für die beiden älteren Kinder. Die 300 Euro reichen jedenfalls hinten und vorne nicht. „Essen gehen oder ein Urlaub sind nicht drin. Ich kann nur sagen: Armutsfalle Elterngeld“, sagt die 33-Jährige. Dass die Elterngeldsätze seit 2007 nicht mehr angehoben wurden, findet Singer zutiefst ungerecht. Bei der Petition „Elterngeld hoch“ hat sie deshalb sofort unterschrieben. „Überall findet ein Inflationsausgleich statt, nur beim Elterngeld nicht. Das ist eine totale Schieflage.“ Die geplante Streichung des Elterngeldes für Gutverdiener hält Jennifer Singer für keine gute Idee. „Diese Familien haben ja auch mit dem Geld kalkuliert, haben vielleicht auch Eigentum abzubezahlen. Ich halte nichts davon, Familien gegeneinander auszuspielen. Schließlich sind Kinder doch unsere Zukunft.“ A ls Markus Diehl und seine erste Ehefrau vor zehn Jahren erfuhren, dass statt des erwarteten vierten Kindes gleich Zwillinge unterwegs waren, da sei er doch „etwas blass um die Nase geworden“, sagt der 49-Jährige. Bis zur Geburt der Babys hatte das Paar aus dem hessischen Schwalmstadt die traditionelle Arbeitsteilung gelebt. Er verdiente als Verwaltungsjurist das Familieneinkommen, die Mutter kümmerte sich zu Hause um die Kinder. Lediglich die zwei Vätermonate hatte Diehl bei seinem jüngsten Sohn in Anspruch genommen. „Vor der Geburt der Zwillinge war aber klar: Jetzt müssen wir zusammen ein Jahr Elternzeit nehmen, sonst kriegen wir das nicht gewuppt mit drei kleinen Kindern und zwei Säuglingen.“ Mit spitzem Stift hat Diehl damals gerechnet. Seine damalige Frau bekam als Nichtberufstätige nur den Elterngeldmindestsatz von 300 Euro, ihm selbst stand etwas weniger als der Höchstbeitrag von 1800 Euro zu. Um finanziell über die Runden zu kommen, ging Diehl noch acht Stunden in der Woche arbeiten. „Wir mussten jeden Cent dreimal umdrehen“, sagt Diehl. „Ohne das Elterngeld hätten wir das niemals geschafft.“ Dass die Ampel-Regierung jetzt das Elterngeld für Gutverdiener streichen will, kann er trotzdem nachvollziehen. „Das ist immer noch besser, als die Sätze für alle abzuschmelzen.“ Für die Motivation, eine große Familie zu gründen, sei die Debatte allerdings Gift. „Es wird sicher viele geben, die die Entscheidung für das dritte oder vierte Kind vor diesem Hintergrund lieber zurückstellen.“ Für Diehl selbst war nach Kind Nummer fünf noch nicht Schluss. Er lebt inzwischen in zweiter Ehe – und hat noch eine Stieftochter hinzugewonnen. D ie Kleinste ist jetzt vier Jahre alt. Dass es Thea gibt, hat Katja Rozanski vielleicht auch dem Elterngeld zu verdanken, so genau kann sie das im Nachhinein gar nicht sagen. „Ohne das Elterngeld hätten wir entweder ein massives finanzielles Problem gehabt, oder wir hätten Thea ganz früh in die Kita geben müssen“, sagt die heute 47-Jährige. „Bekommen hätten wir sie aber wahrscheinlich trotzdem, unser Wunsch nach einem gemeinsamen Kind war sehr groß.“ Sie und ihr Mann haben beide eine ältere Tochter mit in die neue Beziehung gebracht. Und so leben Erik und Katja Rozanski in Münster in einer komplexen Stiefkindfamilie, wie es im Fachjargon heißt. Da ist Katjas Tochter Paula, 13 Jahre, Eriks Tochter Heidi, 10 Jahre, und das gemeinsame Nesthäkchen Thea, das mit ihrem starken Willen die Familie auf Trab hält. „Wir haben uns mit dem Elterngeld keine besonderen Wünsche erfüllen können, wir haben es einfach gebraucht, auch um unsere großen Kinder trotz Babypause weiterversorgen zu können“, sagt Rozanski. Ihre Tochter war gerade ein Jahr alt, als Rozanski wieder zur Arbeit gegangen ist. Sie arbeitet in einem Heim für psychisch Kranke im Schichtdienst, ihr Mann ist Handwerker und baut Pools. „Wir sind Normalverdiener, und natürlich ist das Elterngeld besonders wichtig für Familien mit niedrigem Einkommen“, sagt Rozanski. Dennoch findet sie die diskutierte Kappungsgrenze ungerecht. „Es ist auch eine Frage, wie wichtig dem Staat Familien und Kinder sind“, findet sie. Allen sollte diese Leistung zuteilwerden. „Für mich ist es vor allem auch eine staatliche Anerkennung für alle Frauen, die Kinder und Arbeit in ihrem Leben vereinbaren.“ Für die gehobene Mittelschicht soll es das Elterngeld künftig nicht mehr geben. Wir stellen sechs Familien vor, die nicht verstehen können, warum gerade diese Leistung gekappt werden soll. Einige sagen aber auch, dass sie ihre Kinder so oder so bekommen hätten Sebastian Knauff aus Köln mit seinen zwei Söhnen VIA SEBASTIAN KNAUFF 16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 * THEMA DER WOCHE 3 Erik Tschäpe und Katja Rozanski vor drei Jahren mit den Kindern Paula (damals 9), Heidi (7) und Thea (1) Verena Pausder (l.) hat eine Petition für Beibehalt der Elterngeldsätze veröffentlicht. 585.000 Personen haben unterzeichnet. Markusn Diehl (r.) musste nach der Geburt seiner Zwillinge mit jedem Cent rechnen pier sieht das erst einmal aus wie eine Emanzipation in homöopathischen Dosen. Hätte sich die Frau aus der StaubsaugerWerbung Anfang der 2020er-Jahre für eine Familiengründung entschieden, wäre sie vermutlich nicht mit geföhntem Haar zur Party gekommen. Sie hätte sich auf der Arbeit gehetzt, um ihre Kinder früher aus der Kita zu holen als geplant, weil dort durch den Erziehermangel die Öffnungszeiten eingeschränkt sind. Auf dem Heimweg hätte sie noch im Supermarkt vorbeigeschaut und anschließend das Abendessen zubereitet, zu Hause dann den Inhalt der Turnbeutel gewaschen und sich daran erinnert, dass morgen in der Schule ein Kuchenbasar angesetzt ist. Der Vater wäre vermutlich gegen 19 Uhr, als die Kinder schon gebadet und bettfertig sind, zum Vorlesen dazugekommen. A llen Errungenschaften der feministischen Bewegungen zum Trotz: Frauen sorgen dafür, dass in Familien der Laden läuft. Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) befragen regelmäßig Väter und Mütter nach der Verteilung der innerfamiliären Aufgabenlast. Die Ergebnisse der sogenannten Vermächtnisstudie bestätigen, dass Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Saubermachen und Einkaufen ausschließlich oder überwiegend von Frauen übernommen werden. Die Wissenschaftler identifizierten darüber hinaus 21 Aufgaben, die Haushalt, Familienorganisation und Freizeitaktivitäten betreffen und die geplant und im Auge behalten werden müssen, den sogenannten Mental Load. Von diesen Aufgaben liegen nur drei überwiegend oder ausschließlich in der Verantwortung von Männern, nämlich Reparaturen, Handwerker und Finanzen. Darüber hinaus gibt es noch ein Wahrnehmungsproblem: Die befragten Männer gehen häufiger als Frauen davon aus, dass der Mental Load fair verteilt ist. Frauen hingegen sehen die Last klar bei sich. Diese Familienarbeit müsste politisch gewürdigt werden. Aber genau das passiert nicht. Eine große Kehrtwende war die Reform des Unterhaltsrechts von 2008, mit der die damalige große Koalition die Hausfrau im Grunde zur Persona non grata erklärte. Seitdem ist ein Mann nämlich im Trennungsfall nicht mehr unterhaltspflichtig, sobald das jüngste Kind drei Jahre alt ist. Für Frauen, die sich also in dieser Zeit viel um die Familie gekümmert haben und die deswegen Schwierigkeiten haben, den Weg zurück in den Beruf zu finden, kann das im Scheidungsfall den sozialen Abstieg bedeuten. Die Änderung ist als Warnung an alle Frauen konzipiert: Bleibt berufstätig, die Ehe ist kein Versorgungsinstitut. Das war gut gemeint, schließlich wollte man dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen. Frauen waren noch nie so qualifiziert wie heute: Mehr Frauen als Männer machen Abitur, sie stellen 52 Prozent der Hochschulabsolventen. Da ist schnell von einem „riesigen Potenzial“ die Rede, das „brachliegt“. Ein Vollzeitjob, so die Argumentation, würde vielen Frauen nicht nur größere finanzielle Unabhängigkeit und bessere Karrierechancen eröffnen – sie würden nebenbei, Stichwort Fachkräftemangel, auch noch den Wohlstand des Landes retten. Mit viel gutem Willen kann man diese Art von Feminismus nun als Befreiung der Frau werten – oder, wie es die amerikanische Feministin Nancy Fraser ausdrücken würde, als Steigbügelhalter des modernen Kapitalismus. Schließlich wird in dem Modell der erwerbsarbeitenden Mutter deren Fürsorgearbeit komplett ausgeblendet und ihre Doppelbelastung einfach hingenommen. Diejenigen Mütter, die sich dieser Doppelbelastung nicht stellen wollen und stattdessen, aus freien Stücken, lieber ihre Zeit für die Familie aufwenden, passen nicht mehr ins Bild. Wichtig wäre es, nicht unterschiedliche Lebensentwürfe gegeneinander auszuspielen. Doch genau das geschieht, wie jetzt wieder in der Debatte über das Ehegattensplitting. Mit dieser steuerlichen Vergünstigung wird das Einkommen von Eheleuten gemeinsam veranlagt. Das Einkommen beider Partner wird fiktiv zusammengelegt und dann rechnerisch halbiert. Der Steuertarif wird dann jeweils auf die Hälfte des Einkommens berechnet. Der finanzielle Vorteil fällt dann höher aus, wenn beide Partner besonders ungleich verdienen. Günstig ist das also für Familien, in denen der Vater viel verdient und die Mutter sehr wenig. Zweck dieser Regelung, das hat auch das Bundesverfassungsgericht schon erklärt, ist die „besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“. „Antiquiert“ nennen das nun viele, weil das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstige. Und dem sei ein Ende zu setzen. Nun kann man gerne über den Umbau der Staatsleistung sprechen, zum Beispiel in Form eines Familiensplittings, in dem auch die Zahl der Kinder und nicht eheliche Kinder miteinbezogen werden. Aber die Wahlfreiheit, welches Rollenmodell eine Familie für sich vorzieht, sollte doch ihr selbst überlassen werden. F ür viele Frauen bedeutet ein schneller Wiedereinstieg in den Beruf nach der Geburt eines Kindes ein erfülltes Leben, für sie sind Karriereperspektiven und ökonomische Sicherheit wichtige Faktoren für Glück. Es gibt aber auch Frauen, die sich bewusst für Zeit mit Kindern entscheiden und dafür, nicht den ständigen Spagat zwischen Fürsorgearbeit und Vollzeitstelle zu bewältigen. Wer möchte sich anmaßen zu sagen, welcher Weg der bessere ist? Am Ende ist es doch eine Frage der Zeitressourcen; und die sind nun einmal endlich. Da kann es noch so oft beschworen werden, und in manchem Einzelfall mag es dank individueller Arrangements auch klappen, aber: Man kann nicht alles haben – vier Kinder und die Karriere, was im Übrigen auch für Männer gelten sollte. Aber das, wofür man sich entscheidet, sollte nicht systemisch erschwert werden. Im Staubsauger-Werbespot steht der Mann übrigens nur lächelnd zwischen den beiden Frauen. Gleichberechtigung fordert aber auch den Vätern etwas ab. Mit einem Lächeln wird es nicht getan sein. VIA MARKUS DIEHL LARS BERG © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
,, 4 POLITIK * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 Z urzeit ist in Deutschland ein reges Kommen und Gehen zu beobachten. Wer geht, sind außer zahlreichen Rentnern vor allem Akademiker und Unternehmer. Akademiker verdienen anderswo besser, werden als Besserverdienende nicht ganz so stark gedisst und zahlen dann auch noch weniger Steuern. Wobei der Bedarf an deutschen Geisteswissenschaftlern in Atlanta, Zürich oder Seoul weniger stark ausgeprägt ist als der an Ingenieuren und Managern. Die Unternehmer aber fliehen vor den nicht vier, sondern sogar sieben apokalyptischen Reitern jedweden Unternehmertums – gigantische Energiepreise, furchteinflößende Bürokratie, fette Steuern, klapprige Infrastruktur, hohe Löhne, Fachkräftemangel und in hohem Tempo schwindende Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse der Bevölkerung. Dass inzwischen jedes vierte mittelständische Unternehmen ans Abhauen denkt, kam sogar auf tagesschau.de, einer Adresse, die mir oft wie ein treuer Schildknappe der Regierung vorkommt. Der Mittelstand galt als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammern fließt aktuell schon ein Drittel der Investitionen in die „Kostenersparnis“ statt in Innovationen, was unternehmerisch sinnvoller wäre. Zu denen, die womöglich demnächst rübermachen, gehört die Hellma Materials GmbH in Jena, die synthetische Kristalle herstellt. So etwas braucht die Halbleiterbranche. Die Hellma ist in ihrem Sektor Weltmarktführer, noch gibt es das bei uns. Das neue Werk steht in Schweden. In Deutschland hatten sie in letzter Zeit zwei Stromausfälle, die jeweils Millionen gekostet haben. Diese Millionen sind einfach so weg, in Schweden wären sie noch da. Es gibt jetzt wieder Wölfe, Bären und Stromausfälle in Deutschland. Aber hieß es nicht immer: Niemand hat die Absicht, einen Stromausfall zu errichten? Was ich nicht wusste, bis ein Freund es erzählte: Unternehmer, die Republikflucht begehen, werden mit einer „Wegzugsteuer“ bestraft. Ich wusste, dass man aus der DDR nicht ungeschröpft entkommen konnte … Nein, ich will keine verbotenen historischen Vergleiche anstellen. Vergessen Sie, was ich gesagt habe! Verzieht ein in Deutschland Steuerpflichtiger ins europäische Ausland, werden seine Anteile an Kapitalgesellschaften steuerlich so behandelt, als hätte er diese verkauft. Auch wenn er oder sie die Firma oder die Firmenanteile gar nicht verkauft hat. Du sollst also Einkommensteuer für ein Einkommen zahlen, das gar nicht da ist. Das, was du als dein Eigentum auf ewig betrachtest, gehört dir im Ökosozialismus nämlich nur so lange, bis der Staat Lust hat, es dir wegzunehmen. Wegnehmen gilt als gerecht. Als ungerecht scheint es zu gelten, eine Firma mit vielen Beschäftigten aufzubauen und auf dem Weltmarkt etwas zu verkaufen, was viele Leute im Alltag deutlich besser brauchen können als ihre Regierung. Auf der Website auslandsunternehmen.com, betrieben von einer US-Beratungsfirma, wird vorgerechnet, womit Mittelständler konkret zu rechnen hätten, falls sie abhauen. Wer eine GmbH besitzt, die im Jahr nach Steuern 100.000 Euro Gewinn macht, was nicht gerade Elon-Musk-Format hat, müsse mit einer Ausreisegebühr von 400.000 kalkulieren. Vier Jahresgehälter, in Arbeitnehmerdeutsch. Früher habe man die Zahlung ein paar Jahre aufschieben können, bis man sich anderswo etabliert hat. 2021 wurde diese Kulanz abgeschafft, sicher mit „Gerechtigkeit“ als Begründung, immerhin ist Ratenzahlung möglich. Die Berater-Website fasst es so zusammen: „Wer nicht zahlen kann, darf Deutschland nicht verlassen.“ Deshalb also sind wahrscheinlich viele Ausreisepflichtige trotz zahlreicher Straftaten immer noch hier. Dieser Staat gab den Menschen mal viel, er gab Sicherheit, die Möglichkeit, Wohlstand aufzubauen, viel Freiheit auch für Grantler, Respekt auch für langweilige weiße Heteros. Jetzt haben viele das Gefühl, dass der Staat nur noch wegnimmt. Fast jeden Tag eine neue Wegnahme-Idee: Die Witwenrente ist ungerecht, oder? Interessant ist die Tatsache, dass Deutschland zwar Ausreisesteuer verlangt, aber kein Eintrittsgeld, wenn man von der Kurtaxe in Heilbädern absieht. Die DDR hat es ja getan, in Form des Zwangsumtauschs zu einem Fantasiekurs. Ich könnte mir vorstellen, dass man diese Idee reaktiviert. Deutsche Auslandsurlauber müssten dann bei ihrer Rückkehr 20 Euro pro Urlaubstag für Klimaschutz bezahlen, so eine Reise stößt ja CO2 aus. Klimaschutz geht als Argument immer. Für Regierende gelten Ausnahmen. Bevor das kommt, machen wir schnell Auslandsurlaub im Westen (Spanien), deshalb wird diese Kolumne bis zum 12. August pausieren. VON HARALD MARTENSTEIN NEBEN DER SPUR Fast jeden Tag eine neue Wegnahme-Idee R olf Mützenich ist einer der zuvorkommendsten Gesprächspartner im politischen Berlin. Immer wieder sorgt sich der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion um das Wohlergehen seiner Gäste, spricht freundlich und leise. Das heißt nicht, dass er nicht fest zu seinen Überzeugungen stünde. Seine Grundsätze zum Ukraine-Krieg zeigen es. VON HANNAH BETHKE UND JACQUES SCHUSTER WELT AM SONNTAG: Herr Mützenich, sollte die Ukraine Mitglied der Nato sein – und wenn ja, wann? ROLF MÜTZENICH: Der Nato-Gipfel hat auf diese Frage die richtige Antwort gegeben. Die Ukraine kann einen Platz in der Nato haben. Dafür gibt es Voraussetzungen, die erst einmal unabhängig von den jeweiligen Beitrittsländern zu erfüllen sind. Und von daher ist das, was die Staats- und Regierungschefs in Vilnius erklärt haben, durchaus richtig. Auch die Schaffung eines Nato-UkraineRates ist ein wichtiges Signal. Darüber hinaus ist völlig klar, dass wir die Ukraine weiterhin wirtschaftlich, humanitär und mit Waffen zur Verteidigung unterstützen. US-Präsident Joe Biden hat kurz vor dem Gipfel betont, wolle die Ukraine in die Nato, müsse sie sich demokratisieren und andere Vorgaben erfüllen. Er spielt wohl auf die Korruption an. Sind das die Voraussetzungen, die Sie meinen? Die Nato nimmt für sich in Anspruch, eine Wertegemeinschaft zu sein, insofern tut Präsident Biden gut daran, auch an diese politischen Werte zu erinnern. Ihr Parteikollege Michael Roth schlug vor, die vertraglichen Grundlagen für die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine auszuweiten. So sollten wenigstens Teile des Landes möglichst schnell in die Nato aufgenommen werden und unter die Beistandsklausel fallen. Was halten Sie davon? Niemand hat da Michael Roth verstanden. Dann erklären Sie uns Herrn Roth. Das muss er schon selbst tun. Seine Äußerungen waren nicht bis zu Ende durchdacht. Weder wäre damit die Integrität und Souveränität der Ukraine wiederherzustellen noch eine ungeteilte Sicherheit für das Land zu garantieren. Zudem befände sich die Nato damit offiziell im Krieg mit Russland, da die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nato-Vertrages greifen würde. Das kann niemand ernsthaft wollen. Henry Kissinger hat in einem Interview zu seinem 100. Geburtstag einen Vorschlag gemacht. Er sagt, nach Kriegsende müsse die Ukraine Mitglied der Nato werden. Aus drei Gründen: um die Ukraine vor Russland zu schützen, um Russland vor der Ukraine zu schützen, um die Europäer vor der größten und kampferfahrensten Armee – nämlich die der Ukraine – zu schützen. Hat er recht? Henry Kissinger hat verschiedene Einlassungen in diesem sehr umfangreichen Interview gemacht und – wie wahrscheinlich nur er es kann – eine besondere Perspektive auf die internationale Ordnung gelegt. Nicht allem kann ich mich anschließen. Dass Kissinger aber in der Lage ist, die Interessen anderer mitzudenken, ist wichtig. Insbesondere seine Einsicht, dass wir weiterhin mit Russland in der internationalen Ordnung werden umgehen müssen. Ich hoffe, dass dieser Sachverhalt auch heute aktiven Staats- und Regierungschefs bewusst ist. Die von Ihnen zitierte Äußerung Kissingers erinnert zudem stark an die Betrachtung früherer Regierungschefs in Bezug auf Nachkriegsdeutschland. Daran sieht man: Länder können sich auch wandeln, sodass das Sicherheitsempfinden ihnen gegenüber ein anderes wird und die Einbindung in die Nato die allgemeine Stabilität fördert. Deutschland hat das bewiesen. Sie gehören in der SPD zur Parlamentarischen Linken und gelten als einer der prononciertesten Vertreter der Entspannungspolitik mit Russland. Sie haben nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine oft gesagt, Ihr Weltbild sei erschüttert worden. Welche Elemente Ihrer früheren Grundüberzeugungen würden Sie weiter aufrechterhalten, welche nicht? In der Tat bedeutet der militärische Überfall Russlands für mich nicht nur eine politische, sondern auch persönliche Erschütterung. Mit diesem Angriff hatte ich nicht gerechnet. Deswegen beneide ich all diejenigen, die heute von sich behaupten, sie hätten alles vorhergesehen und auch schon immer davor gewarnt. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat mich vieles desillusioniert, was in der internationalen Politik in den letzten 25, 30 Jahren passiert ist. Das hat bereits vor dem russischen Angriffskrieg mein Weltbild verändert und die Hoffnungen, die ich nach 1989 zunächst hatte, enttäuscht. Dafür ist Russland maßgeblich verantwortlich. Aber die Missachtung internationaler Organisationen, die Geringschätzung humanitärer Ansprüche und auch die Verletzung wichtiger Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge lässt sich nicht nur Moskau anlasten. Für den Angriff auf die Ukraine und den Bruch des Völkerrechts ist indes allein die russische Führung verantwortlich. Von der ersten Phase der Entspannungspolitik bis zum Kriegsbeginn galt die Überzeugung: Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland. Heute heißt es: Die Sicherheit Europas gäbe es nur gegen Russland. Wäre es nicht ein Akt der Ehrlichkeit zu sagen, dass die alte Aussage im Grundsatz letztlich eben doch bis heute gilt? Die Aussage „gegen Russland“ mache ich mir nicht zu eigen, aber die Feststellung, dass man gegenwärtig Sicherheit „vor Russland“ schaffen muss, ist etwas, was wir für die nächste Zeit beachten werden müssen. Sicherheit ist aber für mich nicht nur eine Frage der militärischen Abschreckung. Dazu gehört mehr: verlässliche Bündnispartner, die allseitige Anerkennung von Regeln und Normen. Gerade die Einhaltung dieser Grundsätze kann letztlich dazu führen, Russland deutlich zu machen, dass es im Westen zwar eine militärische Rückversicherung gibt, aber auch politische Schritte hin zu verlässlichen Vereinbarungen möglich sind – wenn Russland dazu bereit ist. Ich hoffe, dass die Zeit kommen wird, in der dieser erweiterte Sicherheitsbegriff wieder mit Leben erfüllt werden kann. Ich glaube, es gehört dazu, bereits heute über solche Aspekte nachzudenken, besonders aufseiten der Demokratien. Was schlagen Sie konkret vor? Ich bin der Auffassung, dass wir uns klar darüber werden müssen, dass militärische Abschreckung allein kein erschöpfendes Konzept für unsere Sicherheit ist. Wir sollten unter den obwaltenden Umständen möglichst viele Staaten auf der Welt dafür gewinnen, alles dafür zu tun, dass dieser schreckliche Krieg endlich endet. Wie könnte ein Frieden zwischen Russland und der Ukraine aussehen? Das vermag ich mir heute noch nicht in allen Einzelheiten vorzustellen. Aber mit Interesse verfolge ich die Debatten in den USA. Dort geht es darum, was zu tun wäre, wenn die ukrainische Offensive nicht dazu führen sollte, die komplette territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen, wenn sich Russland nicht zurückzieht, wenn der Krieg sich festfrisst. Da ist dann die Rede von Korridoren, von regionalen Waffenruhen, von Gefangenenaustausch, von humanitärer Hilfe als Voraussetzung für Rahmenbedingungen, aus denen heraus sich später möglicherweise auch Gespräche zwischen Kiew und Moskau ergeben könnten. Im Moment scheint mir das noch nicht realistisch, aber wir sollten darüber nachdenken. Das hielte ich für einen sinnvollen Weg. Wird auf internationaler Ebene genug getan, um nach einer Waffenruhe zu suchen? Selbst im kältesten Kalten Krieg sprachen die Gegner miteinander. Mit Sicherheit wird hinter den Kulissen genau das getan. Die Afrikanische Union hat es versucht, auch Brasilien. Wir sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass die Volksrepublik China, in dem sie einen Sondergesandten benannt hat, zumindest einen Schritt weiter gegangen ist als noch vor einem Jahr. Peking signalisiert damit, Verantwortung tragen zu wollen, auch wenn wir den chinesischen Vorstellungen nicht gänzlich zustimmen können. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Suche nach friedlichen Voraussetzungen nicht allein autokratischen Regierungssystemen überlassen. Ist neben der Schrecklichkeit des Angriffskrieges nicht noch eine weitere Tatsache für die Europäer ein Desaster: die Tatsache, dass wir ohne die Amerikaner diesem Konflikt allein wieder nicht gewachsen wären? Und heißt das nicht, dass wir für das Militärische im eigenen Land viel mehr tun müssen? Das tun wir ja – und zwar nicht erst, aber verstärkt seit dem Überfall auf die Ukraine. Den Theoretikern der Abschreckung kann man ja vorrechnen, was seitdem alles getan wurde: beim Militärhaushalt, bei der Qualität der Waffen, bei den Soldatinnen und Soldaten der Nato. Ich warne aber davor, allein von militärischer Abschreckung die Herstellung und den Erhalt von Frieden zu erwarten. Und was Ihre erste Frage betrifft: Natürlich teilen wir unsere Sicherheitserfordernisse mit den USA. Warum sollten wir ausschließen, mit den Vereinigten Staaten weiterhin im transatlantischen Verhältnis eng zusammenzuarbeiten? Aber ich gebe Ihnen recht, wir brauchen mehr und koordiniertere Zusammenarbeit auch im Rahmen der EU. Auch hier haben wir uns auf den Weg gemacht. Mit größerem militärischem Gewicht wäre auch unser politisches größer. Ich glaube nicht, dass wir in Europa versuchen sollten, militärisch mit den USA mitzuhalten. Aber Europa muss neben seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht auch militärisch handlungsfähiger werden. Das heißt aber auch, dass wir uns von dem Einstimmigkeitsprinzip werden verabschieden müssen. Der Nato-Gipfel hat das Zwei-Prozent-Ziel als Mindestmaß beschlossen – und zwar einstimmig. Was bedeutet das für den Fraktionsvorsitzenden der SPD? Es gibt jetzt diese Verabredung der Staats- und Regierungschefs, aber über den Haushalt beschließt der Deutsche Bundestag. Wir wollen, dass die Beiträge des deutschen Verteidigungshaushaltes auch zur Sicherheit in Europa und für das Nato-Gebiet beitragen. Wir wollen aber auch, dass Synergien gebildet werden, um das Geld möglichst sinnvoll auszugeben. Das entbindet ja nicht von der Verpflichtung, über zwei Prozent für die Verteidigung auszugeben? Der Bundestag hat allein das Recht, darüber zu entscheiden. Die USA haben der Lieferung von Streumunition in die Ukraine zugestimmt, die international geächtet wird. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die USA verteidigt. Dabei gehörte er 2008 als Außenminister zu den Verbündeten, die das Abkommen zur Ächtung von Streumunition selbst unterzeichnet haben. Hat Sie das überrascht? Ja, das hat mich überrascht. Das OsloÜbereinkommen zur Ächtung der Streumunition ist zu wichtig, als dass ich selbst in dieser schwierigen Lage gutheißen könnte, dass solche Waffen eingesetzt werden dürfen. MARTIN U. K. LENGEMANN/WELT VERTEIDIGUNGSBÜNDNIS AfD diskutiert Abkehr von der Nato Die AfD wird bei ihrer EuropawahlVersammlung Ende Juli und Anfang August über eine Loslösung Deutschlands von der Nato diskutieren. Dies geht aus dem Antragsbuch hervor, das WELT AM SONNTAG vorliegt. In einem Antrag von sieben Landesvorsitzenden aus mehreren Parteiströmungen heißt es: „‚Zeitenwende‘ muss bedeuten, dass die Staaten Europas die Verantwortung für ihre Sicherheit endlich selbst in die Hand nehmen – statt unter den vermeintlichen Schutzschirm eines fernen und eigennützigen Hegemons zu flüchten.“ Das zielt auf das angeblich von den USA dominierte transatlantische Verteidigungsbündnis. Antragsteller sind die Landeschefs Björn Höcke (Thüringen), Andreas Lichert (Hessen), Stephan Protschka (Bayern), Frank Rinck (Niedersachsen), Emil Sänze (Baden-Württemberg), Martin Vincentz (Nordrhein-Westfalen) und Jörg Urban (Sachsen). Darüber hinaus heißt es in dem Antrag, die AfD begreife die Europäische Union als „nicht reformierbar“. Angestrebt wird ein neuer „Bund europäischer Nationen“ zur „Erlangung strategischer Autonomie im sicherheitspolitischen Handeln“. FSCH ISRAELS PREMIER Netanjahu in Notaufnahme Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist am Samstag in die Notaufnahme eines Krankenhauses in der Nähe der Stadt Tel Aviv gebracht worden. Sein Zustand sei gut, und er werde derzeit untersucht, teilte sein Büro mit. Israelische Medien meldeten, ihm sei nicht wohl gewesen. Netanjahu war in der Vergangenheit öfter wegen gesundheitlicher Probleme im Krankenhaus gewesen. dpa PERSISCHER GOLF USA schicken F-16 für Patrouillen Die USA verstärken den Einsatz von Kampfflugzeugen im Persischen Golf. Die Streitkräfte würden F-16-Kampfflugzeuge für Patrouillen an der strategisch wichtigen Straße von Hormus entsenden, sagte ein hoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums am Freitag. Die Flugzeuge sollten Schiffen, die durch die Meerenge fahren, Luftschutz geben und vor allem den Iran abschrecken. Iranische Schiffe hatten vergangene Woche offenbar versucht, zwei Öltanker in ihre Gewalt zu bringen. AP NACHRICHTEN Seit 2002 ist der 1959 in Köln geborene Politikwissenschaftler Mitglied des Deutschen Bundestags. 2019 übernahm er den Fraktionsvorsitz der SPD im Bundestag. Rolf Mützenich SPD-Fraktionschef Abschreckung allein genügt nicht SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich will die Suche nach Frieden für die Ukraine nicht nur autokratischen Regimen überlassen © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
F riedrich Merz vermeidet, wo er kann, die AltBundeskanzlerin auch nur zu erwähnen. Beim Besuch einer Ausstellung mit Kanzler-Karikaturen in Hallenberg am Donnerstagabend dieser Woche tut er es dann doch. Oder besser: Er stichelt gegen die dort abgebildete Angela Merkel. „Mit einer Frau umzugehen ist nicht nur in der Karikatur schwer“, sagt Merz gut gelaunt. Lautes Gelächter im Ausstellungsraum. Hallenberg liegt im Hochsauerlandkreis, der Heimat von Friedrich Merz. Seinem Wahlkreis. Im Merz-Land. VON KRISTIAN FRIGELJ UND NIKOLAUS DOLL Karikaturisten überzeichnen vor allem die Regierenden. Doch in den vergangenen Wochen hat die CDU mit ihrem internen Machtkampf einige Inspirationen geliefert und die Ampel-Misere überstrahlt. Aktuell kursiert eine prägnante Karikatur des CDU-Vorsitzenden und seines neuen Generalsekretärs Carsten Linnemann: als schlaksiger Batman mit seinem jugendlichen Gehilfen Robin in knappem Höschen. Linnemann soll die CDU und Merz aus dem Umfragetief führen. Der 45- Jährige ist das Gegenteil seines Amtsvorgängers Mario Czaja aus dem Osten Berlins, der diese Woche entlassen wurde: „Er ist ein Friedrich Merz in jung“, witzelt ein Parteifunktionär. Ein Konservativer, ein Wirtschaftsliberaler, ein Nordrhein-Westfale. Die NordrheinWestfalen gewinnen mit Linnemanns Berufung noch mehr Gewicht, mehr, als der mit Abstand größte Landesverband ohnehin in der Partei hat. Doch das löst kaum Unruhe aus in der sonst auf Proporz bedachten CDU. Denn Merz kommt weder bei Wählerinnen noch bei den Jungen und den Bürgerlich-Grün-Affinen an. Auch Nordrhein-Westfalen ist kein MerzLand, die CDU dort für den Sauerländer an vielen Stellen ein unwägbares Feld. Die Gefahr scheint also gering, dass die Nordrhein-Westfalen in der Partei nun „durchregieren“ könnten. Der Landesverband ist stark sozial ausgerichtet, quasi das Gegengewicht zu den Wirtschaftsliberalen wie Merz und Linnemann. Nicht wenige in der Partei hadern mit der oft knorrigen Art von Merz – auf dem Land weniger, im Ruhrgebiet mehr, in der „Leben und leben lassen“- Fraktion am Rhein besonders. In NRW sitzen die schärfsten Kritiker von Merz, hier regiert sein womöglich bald größter Konkurrent: Ministerpräsident Hendrik Wüst. Dieser ist für den Parteivorsitzenden weitaus gefährlicher als die Rebellen um den Ex-Parteichef und gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet, als die Alt-Merkelianer oder der Einzel-Merz-Bekämpfer Norbert Röttgen. Das sind Christdemokraten, die einmal Macht im Land hatten. Wüst hat keine schlechten Chancen, sie im Bund zu erringen. Nur wie der 47-jährige Münsterländer ein mögliches Kräftemessen angeht, stößt selbst in der NRW-CDU auf Kritik. Sogar Wüst-Fans sind irritiert darüber, wie der NRW-Regierungschef mit einem Meinungsbeitrag in der „FAZ“ vor dem kleinen Parteitag Mitte Juni seine Ansprüche angemeldet hatte, an entscheidender Stelle mitzureden. Und dass er dabei das Risiko in Kauf nahm, sofort eine Debatte über die Kanzlerkandidatur auszulösen. Was prompt geschah und Merz schadet. „So sehr ich Hendrik Wüst schätze, das war nicht klug“, sagt ein Parteikollege aus seinem Landesverband. Damit habe er ein mediales Thema für das Sommerloch gesetzt – also potenziell Streit gesät. E s war nicht der erste Hieb von Wüst in Richtung Merz. Seine Forderung, auf populistische Appelle zu verzichten und sich verbal zu mäßigen, zielt auf den Parteichef, der mit Schlagworten wie „Sozialtourismus“ – gemünzt auf ukrainische Flüchtlinge – und „Paschas“ – mit Blick auf Migrationskinder in Schulen – Entrüstung entfacht hatte. Mit seiner Rede auf der CDU-Regionalkonferenz vergangenen März in Münster entwarf Wüst ein kluges sozialpolitisches Programm, das weit über seine Rolle als Ministerpräsident hinausging und das sich als neue Sozialagenda der CDU lesen lässt. Allerdings steht sie in vielen Punkten nicht für das, was Merz und der Wirtschaftsflügel repräsentieren. „Wüst ist viel zu früh in den Ring gestiegen, und Merz hat völlig überreagiert“ – so fasst ein Bundestagsabgeordneter die von vielen Parteifreunden geteilte Analyse nach den Reibereien der beiden zusammen. NRW-Innenminister Herbert Reul ist mit seinen fast 71 Jahren einer der erfahrensten Spitzenpolitiker seiner Partei und warnt vor Verwerfungen. „Als Generalsekretär der NRW-CDU habe ich damals gelernt: Streitende werden nicht gewählt. Wir müssen ruhig bleiben und klug entscheiden. Ich würde uns empfehlen, die Frage der Kanzlerkandidatur zum richtigen Zeitpunkt und ohne Beschädigungen zu klären“, sagt Reul dieser Zeitung. Die Lage ist kompliziert. Merz hatte zunächst versucht, mit der Berufung des Sozialpolitikers und Ostdeutschen Czaja die Partei zu versöhnen, doch sie blieb gespalten. Da sind diejenigen, die nach der Merkel-Ära Hoffnungen in Merz und sein konservatives Image gesetzt haben. „Merz enttäuscht viele, die ihn wollten. Er ist weder Fleisch noch Fisch“, ist aus seinem Unterstützerkreis zu hören. Die Rücksichtnahme auf die Merkelianer, die sich Richtung Mitte und der Grünen ausrichten, helfe ihm nicht. „Wenn er der alte Merz wäre, dann würden wir Werte über 40 Prozent bekommen“, glaubt ein Merzianer. Das wiederum bezweifeln NRW-Regierungschef Wüst und seine Getreuen, wie etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Sie setzen auf Ausgleich und einen präsidialen Tonfall, meiden scharfe Worte und betonen die soziale Anteilnahme. Merkel regierte ähnlich, stets die breite Wählerschicht und die Mitte im Blick und möglichst keine Gruppe ausgrenzen. Merz dagegen polarisiert. Doch auch Wüst ist im eigenen Landesverband nicht unumstritten. Durch dessen Kurs würden die „merkelsche Unschärfe“ und politische Verwechselbarkeit verstärkt. Was Wüst tue, sei eben nicht „CDU pur“, wonach sich viele Christdemokraten mit Ende der Ära Merkels und den gefühlt zu vielen Kompromissen ihrer Kanzlerschaft sehnen. Außerhalb Nordrhein-Westfalens, vor allem in den Ost-Landesverbänden, halten viele noch weniger von Wüst, der Zusammenarbeit mit den Grünen und „diesem ewigen Schielen auf die AfD, damit man die klein halten kann“, klagt eine Funktionärin. „Wir müssen einfach unverwechselbar CDU-Politik machen.“ Gemeint ist nach Art von Merz. M it Sorge schauen viele Christdemokraten auf die mauen CDU-Umfragewerte und die wachsende Zustimmung für die AfD. „30 Prozent ist die Marke, das muss Merz bringen, darunter wird es schwierig für ihn“, heißt es. Denn da ist noch ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder. In der CDU glaubt niemand, dass er seine Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur aufgegeben hat. Viel wird vom CSU-Ergebnis bei der BayernLandtagswahl im Herbst abhängen. Wenn Söder mit Abstand gewinnt, muss sich Merz neben Wüst auch mit dem Franken auseinandersetzen. Nicht einmal im sauerländischen Hallenberg setzt man vorbehaltlos auf den Parteichef. Klar, „der Friedrich“ habe bei der Kanzlerkandidatur den „ersten Zugriff“, sagt ein Kommunalpolitiker beim Ausstellungstermin: „Aber es gibt keinen Automatismus.“ GETTY IMAGES/500PX/BUCHACHON Mit Friedrich Merz und Hendrik Wüst stammen gleich zwei Konkurrenten aus Nordrhein-Westfalen. Wie geht die CDU damit um? HAHNENKÄMPFE 16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 POLITIK 5 W erden auch bislang moderate Klimaaktivisten bald zu Straßenblockaden und Sachbeschädigungen übergehen? Das hoffen zumindest Strategen im Umfeld der „Letzten Generation“. Dort gibt es Pläne, weltweit die Protestbewegung „Fridays For Future“ zu beeinflussen und zu drastischeren Protestaktionen zu bewegen. VON LENNART PFAHLER Das geht aus einem internen Papier des italienischen „Letzte Generation“- Pendants „Ultima Generazione“ hervor, das die Gruppierung in diesem Jahr mit einem internationalen Verbund von Protestgruppen teilte. Das interne Dokument liegt WELT AM SONNTAG vor. Unter dem Titel „Verfahren, um ‚Fridays For Future‘ zum zivilen Widerstand zu bewegen“ enthält es einen Plan, wie die Schülerbewegung in den nächsten zwei Jahren zu einer Gruppe „des zivilen Ungehorsams auf niedriger bis mittlerer Ebene, aber mit hoher Beteiligung“ transformiert werden soll. Bisher hatte die 2018 entstandene Massenbewegung „Fridays For Future“ vor allem durch Schulstreiks und angemeldete Demonstrationen von sich reden gemacht. Deren angestrebte Transformation sei in Italien bereits stellenweise gelungen, heißt es in dem Papier. Das habe sich etwa im September 2022 gezeigt, als die „Ultima Generazione“ einen großen Teil von „Fridays For Future“ dazu gebracht habe, „Elemente des zivilen Ungehorsams“ einzusetzen. So hätten italienische „Fridays For Future“-Anhänger bei einer Demonstration, die zeitgleich in vielen Ländern und Städten stattfand, Straßenblockaden aufgebaut, Farbe auf Ministerien und Bankgebäude geworfen oder sich festnehmen lassen. Die Hoffnung der „Ultima Generazione“ ist es laut dem Strategiepapier, dass das Verfahren zur Unterwanderung von „Fridays For Future“ von „allen anderen Projekten des A22- Netzwerks“ kopiert werden könne. Das A22-Netzwerk ist ein internationaler Zusammenschluss von Gruppierungen, die ihre Protestformen untereinander abstimmen und sich teils aus denselben Quellen finanzieren – der US-Organisation Climate Emergency Fund. Darunter sind die „Letzte Generation“ in Deutschland und „Just Stop Oil“ in Großbritannien. Die Italiener schlagen mehrere Schritte zur Einflussnahme auf „Fridays For Future“ vor. Jedes Mitglied einer A22-Gruppe müsse die Handynummer eines „Fridays For Future“- Mitglieds beisteuern. Alle diese Nummern sammle man dann in einer Datenbank mit Informationen über die Kontaktpersonen. „Verschwendet keine Zeit mit den Anführern“, heißt es als Empfehlung. Stattdessen sollten Personen mobilisiert werden, die bei Entscheidungen von „Fridays For Future“ außen vor gelassen würden. Diese sollten dann zu einem „ersten Treffen“ eingeladen werden. Beim Treffen solle ein Vortrag der „Letzten Generation“ folgen. In anschließenden Gesprächen in kleineren Gruppen solle es darum gehen, wie Strategien des zivilen Widerstands auch bei „Fridays For Future“ umgesetzt werden könnten. Dabei müsse das A22-Netzwerk genau darauf achten, wer als möglicher Unterstützer erscheine: „Lasst Moderatoren in jedem Raum notieren, was gesagt wird und ob es Menschen gibt, die frustriert sind und bereits zu zivilem Widerstand neigen.“ Häufig komme es zu „emotionalen Ausbrüchen“ von „Fridays For Future“-Anhängern. Diese seien wütend über die schlechte Organisation ihrer Gruppe und über „moderate Anführer“, die sich bei „neoliberalen Parteien“ anbiederten. Derartige Spaltungen seien durchaus erwünscht – und offenbar ein gelegen kommender Nährboden für die Rekrutierung durch die A22- Gruppen. Es sei egal, ob beim ersten Treffen nur eine Handvoll Personen teilnähmen. Denn diese brächten, wenn alles gut laufe, beim nächsten Mal weitere Menschen mit. So leite man „den Prozess der Radikalisierung von Fridays For Future ein“. Auf Anfrage äußerten sich weder die „Letzte Generation“ noch „Fridays For Future Deutschland“ zu dem skizzierten Plan. Damit bleibt unklar, ob es auch schon in Deutschland Bemühungen gibt, den modus operandi von „Fridays For Future“ zu radikalisieren. Das Verhältnis der beiden Gruppierungen zueinander war in der Vergangenheit angespannt. Viele Anhänger der „Letzten Generation“ haben einst bei der Schülerbewegung begonnen. Heute bewerten einige von ihnen angemeldete Demonstrationen als zu wenig wirksam. Mehrere Wortführer von „Fridays For Future“ kritisierten derweil die Protestaktionen der „Letzten Generation“. Sprecherin Annika Rittmann sagte im April: „Die Klimakrise braucht gesamtgesellschaftliche Lösungen, und die finden und erstreiten wir nur gemeinsam und nicht, indem wir Menschen im Alltag gegeneinander aufbringen.“ Radikale Aktivisten kapern „Fridays For Future“ Ein Strategiepapier zeigt, was ein Netzwerk um die „Letzte Generation“ mit der Schülerbewegung plant VERSCHWENDET KEINE ZEIT MIT DEN ANFÜHRERN STRATEGIEPAPIER „ULTIMA GENERAZIONE“ ,, A ls der Bundeskanzler am Freitagvormittag zur traditionellen Sommer-Pressekonferenz vor die Hauptstadtjournalisten trat, machte er seinem Ruf alle Ehre. Monoton, funktional, unnahbar stellte er sich über anderthalb Stunden lang den Fragen der Presse. Olaf Scholz scherte nie aus, blieb höflich und machte, außer dass er oft viel zu leise sprach, auch nichts direkt falsch – dennoch vollbrachte er das Kunststück, geduldig alle Fragen zu beantworten, aber gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, dass aus ihm nichts Wesentliches herauszubekommen ist. Wo immer es hätte lebendig und kontrovers werden können, griff der Kanzler auf seine bewährte Methode zurück, viel zu sagen, ohne auf die Frage zu antworten, oder aber mit trotzig wirkendem Zweckoptimismus Probleme kleinzureden. VON HANNAH BETHKE Seit Wochen befindet sich die AfD auf Erfolgskurs. Es wäre falsch, dies allein auf Versäumnisse der Regierungsarbeit zurückzuführen; an den Umfragen ist derzeit aber nicht abzulesen, dass sich dieser Trend umkehren könnte. In Thüringen, wo im kommenden Jahr gewählt wird, ist die AfD laut jüngsten Umfragen stärkste Kraft und liegt mit 32 Prozent weit vor den demokratischen Parteien. Und so war die Frage an den Bundeskanzler naheliegend, was er denn gegen die AfD besonders in Ostdeutschland zu tun gedenke. Scholz zeigte sich unbeeindruckt: „Ich bin ganz zuversichtlich, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht viel anders abschneiden wird als bei der letzten.“ Die letzte Bundestagswahl war 2021, und da lagen die Rechtspopulisten immerhin bei 10,1 Prozent. Es gab Zeiten, da sorgten schon solche Zahlen für Unruhe im Land. Scholz verwies darauf, dass der Zuwachs der Rechtspopulisten ein internationales Phänomen sei – und zwar in Ländern, die eigentlich wenig Probleme hätten. Der Kanzler führte das auf Verunsicherungen und Zukunftsängste vieler Bürger zurück und warb sogleich für mehr Respekt und Gelassenheit im Miteinander. Und was ist mit Ostdeutschland? Fast schon maschinell entgegnete Scholz, die Demokraten seien in allen sechzehn Bundesländern die große Mehrheit. Er sehe keine Normalisierung des rechten Gedankenguts in der Mitte der Gesellschaft. Was aber konkret zu tun sei, um den weiteren Aufstieg der AfD zu verhindern, erfuhr man von ihm nicht. Der Auftritt des Kanzlers in der Bundespressekonferenz zeigte wieder einmal: Scholz beherrscht es meisterhaft, Fragen abzumoderieren und seine knappen Antworten in einer Weise zu setzen, dass er seine implizite Botschaft gar nicht mehr aussprechen muss – Ende der Diskussion. Tags zuvor hatte er sich noch relativierend zum Vorstoß des SPD-Chefs Lars Klingbeil geäußert, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Als er danach gefragt wurde, verwies er lediglich darauf, die Regierung solle sich daran orientieren, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei. So ging es in einem fort. Streit in der Ampel? Es sei ja kein Geheimnis, dass ihm das nicht gefallen habe. Aber viele Dinge seien auch zum ersten Mal diskutiert worden. Überforderung der Kommunen mit der Anzahl an Flüchtlingen? Der Umgang mit Migration habe viele Ebenen und viele Schichten. Man wolle irreguläre Migration begrenzen und gleichzeitig mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz Anreize für reguläre Migration setzen. Solidarischer Verteilungsmechanismus in Europa, Verbesserung der Verwaltungseffizienz, Scholz hatte die passenden Stichwörter parat, übersprang jedoch das heikle Thema, was Integration eigentlich bedeutet und sowohl der aufnehmenden Gesellschaft als auch den Zugewanderten abverlangt. Zu den gegenwärtigen Gewaltausbrüchen in deutschen Freibädern, die in jüngster Zeit vor allem von jungen Männern mit Migrationshintergrund erfolgten, sagte der Kanzler nur: „Es ist völlig richtig, wenn daraus die Konsequenz gezogen wird, jetzt auch Polizei einzusetzen.“ Konkreter wurde er beim Thema der von ihm proklamierten Zeitenwende. Scholz bekräftigte die deutsche Unterstützung für die Ukraine. Auf Grundlage bisheriger Beschlüsse würden bis 2027 bis zu 17 Milliarden Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine aufgewendet. Was aber die Frage nach der Stimmung im eigenen Land anbelangt, da hatte Scholz die Wirkung einer Teflonpfanne, an der alles abperlt. Da war man fast schon dankbar, als der Kanzler sich an einer Stelle versprach und sagte, er unterstütze den Nato-Beitritt der Ukraine – er meinte aber Schweden, woraufhin er selbst lachen musste. Wenigstens für einige Sekunden war endlich etwas mehr zu sehen als das, was ihm schon vor langer Zeit den Namen „Scholzomat“ eingehandelt hat. Mit Blick auf die Ampel-Koalition warb der Kanzler dafür, „dass man auch mal Fünfe gerade sein lässt“. Dass er ausgerechnet das Heizungsgesetz als Beispiel nannte, wie kompromissfähig die Koalition sei, muss angesichts des wochenlangen Streits um das Gesetz, dessen Verabschiedung kurz vor knapp vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde, erstaunen. Richtigerweise hob Scholz hervor, welchen Wert der Kompromiss für die Demokratie hat. Doch so wichtig diese Einsicht ist, so wenig hat sie mit der Realität der jüngsten Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zu tun. Das zeigt sich etwa auch am Selbstbestimmungsgesetz, das die Änderung des Geschlechtseintrags per einfacher Erklärung erlauben soll. Es taugt kaum als Beispiel für einen gelungenen Kompromiss, der in die Mitte der Gesellschaft wirkt. „Schönen Dank für die Frage“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellt sich vor seinem Urlaub den Journalisten – und lacht nur einmal Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Bundespressekonferenz AFP/TOBIAS SCHWARZ © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
6 POLITIK * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 U nser fünfjähriger Sohn verfügt bereits jetzt über beachtliche erpresserische Talente. „Wenn ich dieses Ninjago nicht bekomme, dann kneife ich euch“, drohte er kürzlich. Als wir die traditionelle Helmut-Schmidt-Position einnahmen, dass Erziehungsberechtigte sich ebenso wenig erpressen lassen dürften wie Staaten, wenn sie nicht ihre Autorität nachhaltig einbüßen wollen, zeigte sich unser Sohn unbeeindruckt und eskalierte, indem er neben Körperverletzung auch noch Sachbeschädigung ankündigte: „Wenn ich das nicht so-fort kriege, mache ich hier alles kaputt.“ Wir sind zuversichtlich, dass unserem Sohn bei dieser offenkundigen Spezialbegabung eine erfolgreiche Laufbahn im Mobster-Milieu offenstehen dürfte. Auch in der Politik könnte sich für ihn ein vielversprechender Karrierepfad öffnen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan etwa ist nicht zuletzt deshalb seit zwanzig Jahren an der Macht, weil er erfolgreich Druckpunkttechniken einzusetzen weiß. Am Montag überrumpelte er die Partnerstaaten der Nato wie jene der EU mit der Ankündigung, die Türkei werde dem Nato-Beitritt Schwedens nur zustimmen, wenn im Gegenzug die seit Jahren ruhenden Beitrittsgespräche der Türkei mit der EU wieder aufgenommen würden. Das sorgte für Verwunderung unter den Antragsbearbeitern, denn aus ähnlich guten Gründen hätte Erdogan fordern können, umgehend als Mitglied bei Schalke 04 aufgenommen zu werden, wenn er Schweden auch beim nächsten Eurovision Song Contest gewinnen lässt. Am Montagabend war seine Forderung komischerweise schon wieder vom Tisch. Stattdessen beklagte sich nun der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kurz vor Beginn des Nato-Gipfels in Vilnius, es sei „beispiellos und absurd“, dass es keinen Zeitplan für die Aufnahme seines Landes gebe. Davon ließen sich die Nato-Staaten jedoch nicht beeindrucken. Stattdessen gaben sie Selenskyj in ihrer Abschlusserklärung einen zeitlosen Zeitplan an die Hand: Die „Zukunft der Ukraine“ liege in der Nato, heißt es da. Auf eine nähere Definition von „Zukunft“ wird vorsichtshalber verzichtet. Eine Einladung könne leider erst erfolgen, „wenn die Verbündeten sich einig und die Voraussetzungen erfüllt sind“. Unter Voraussetzungen werden dann zeitliche Dehnungsfugen wie „Korruptionsbekämpfung“ und „Reformen im Bereich der Demokratie“ genannt. Selenskyj sollte mal bei Erdogan nachfragen, wie lange so was dauert. Was die Ukraine bekommen hat, erinnert an einen Beschluss der Zeugniskonferenz, die dem strauchelnden Sechstklässler eröffnet, sie sehe seine Zukunft in der 7. Klasse, aber eine Versetzung könne erst dann erfolgen, wenn sich das gesamte Lehrerkollegium einig und die Voraussetzungen erfüllt seien. Bis dahin gelte es, sich in Latein, Mathe, Englisch, Sport, Waffenkunde und Reli eben noch ein bisschen anzustrengen. Am Mittwoch feuerte der CDUVorsitzende Friedrich Merz den CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Czaja ist ein netter Kerl, daher vollkommen ungeeignet als Generalsekretär einer Partei. Mit seinem Nachfolger Carsten Linnemann verbindet die CDU nun die Hoffnung, dass es sich umgekehrt verhält. Oder wie es die CDU-Abgeordnete Serap Güler am Donnerstag formulierte: Linnemann bringe „Kampagnenfähigkeit“ mit, von der sie sich eine „Vitalisierung“ der Partei erhoffe. Was so viel heißt wie: Mit dem netten Czaja waren wir klinisch tot. Zu Linnemanns wichtigsten Aufgaben gehört nun, festzustellen, wer eigentlich der „Hauptfeind“ der CDU ist. Die Grünen? Oder die AfD? Das wird nicht leicht werden, denn selbst wenn sich die Frage klären lässt, bleibt noch das andere Problem: Der Hauptfeind von Friedrich Merz ist Friedrich Merz. Unser Sohn teilt uns gerade mit, er finde es beispiellos und absurd, dass es immer noch keinen Zeitplan für sein Ninjago-Geschenk gebe. Was war denn das jetzt? CHRONIK VON SASCHA LEHNARTZ A ls Laura Nickel und ihr Lehrer-Kollege Max Teske im April in einem offenen Brief rechtsextreme Vorfälle an ihrer Schule in Burg im südöstlichen Brandenburg öffentlich machten, erhielten sie viel Zuspruch. Die Debatte fokussierte sich aber vor allem auf die Schule in Burg. Die Situation an anderen Brandenburger Schulen wurde dagegen kaum thematisiert. Nun konnte WELT AM SONNTAG unter Berufung auf das Akten- und Informationsfreiheitsgesetz die dem brandenburgischen Bildungsministerium übermittelten Meldebögen über rechtsextreme Vorfälle einsehen. Die Auswertung ergab, dass die Vorkommnisse sich nicht nur auf eine Region beschränken und eine größere Dimension haben als bisher angenommen. VON ULRICH KRAETZER UND ALEXANDER DINGER Die jüngste Meldung stammt vom 2. Juni dieses Jahres. Die Lise-MeitnerOberschule in Strausberg meldete, dass in einer 9. Klasse im Unterricht für politische Bildung ein Zettel mit der Aufschrift auftauchte: „Nazis an die Macht! Adolf Hitler ist der Größte!“ Außerdem auf dem Blatt: ein Hakenkreuz. Aus der Schiebell-Grundschule in Drebkau übermittelte deren Leiterin am 26. Mai, zwei Fünftklässler hätten in der Hofpause das aus der NS-Zeit stammende Lied „Auf der Heide“ gesungen. Weitere Schüler hätten eingestimmt und gelacht. Die Schüler hätten erklärt, das Lied von der Plattform TikTok zu kennen. Die Leiterin des Cottbuser PücklerGymnasiums berichtete am 25. Mai, drei Schüler einer 8. Klasse hätten mit einer Wasserpistole ein Hakenkreuz auf den Boden gespritzt. Und am Erwin-Strittmatter-Gymnasium in Spremberg zeigte ein Zehntklässler laut Meldung vom 12. Mai zweimal den Hitlergruß. „Vor dem Schulgelände warteten bereits mehrere schulfremde Jugendliche auf ihn und bejubelten seine Handlungen“, heißt es. Die Schule Massen meldete im September 2021, ein Schüler „schlägt Hacken zusammen und zeigt Hitlergruß“. Der Achtklässler habe „in vollem Bewusstsein“ gehandelt. Auch an der LudwigRenn-Schule in Potsdam lief laut Meldung vom 28. April ein Zweitklässler mit Hitlergruß über den Schulhof. Das Gespräch mit ihm habe ergeben, „dass ihm das Symbol und die Bedeutung bekannt waren, und er es absichtlich machte“. Über einen „Heil Hitler“-Ruf im Unterricht berichtete am 28. April auch die Havelschule in Oranienburg. Auf Nachfrage, ob er wüsste, was er gerufen habe, habe der Drittklässler gesagt: „Ja, klar!“ Immer wieder offenbaren die Meldebögen Antisemitismus. An der Schule am Kirschgarten in Bernau sagte ein Zehntklässler am 15. März dieses Jahres: „Was sind 1000 Juden in einer Ecke? Ein toter Winkel.“ Und an der Oberschule Ulrich von Hutten in Frankfurt an der Oder sagte ein Achtklässler am 16. Mai: „Ich fliege nach Israel und töte alle Juden.“ Am 26. Mai meldete die Grund- und Oberschule in Rheinsberg, ein Zehntklässler habe im Lebenskundeunterricht gesagt: „Desto größer der Jude, desto wärmer die Bude.“ In einem Aufsatz zur Reflexion schrieb der Schüler: „Ich finde, man sollte Späße über alle Themen machen können.“ In der Nicolaischule in der Stadt Brandenburg an der Havel notierte die Leiterin am 24. März, ein Achtklässler habe vor der Turnhalle gerufen, „alle Juden müssten vergast werden“. Der Leiter der Schule Ulrich von Hutten in Frankfurt/ Oder meldete am 27. Oktober vorigen Jahres einen Vorfall aus dem Deutschunterricht. Beim Gespräch über das Schicksal des Schriftstellers Erich Kästner in der NS-Zeit habe ein Zehntklässler gesagt: „Jeder Jude muss getötet werden.“ Nicht nur von Hitler-Verehrung und Judenhass berichten die Schulen, auch von rassistischen Ausfällen. Der Leiter der Schmellwitzer Oberschule in Cottbus informierte über ein Instagram-Foto, das eine syrische Lehrerin zeigte und dazu den Satz: „Schmutz muss entfernt werden“. Am 14. Oktober 2021 riefen Schüler einer 4. Klasse der LöwenzahnGrundschule in Velten einer syrischen Lehrerin zu: „Ausländer raus“. Die Torhorst-Schule in Oranienburg meldete am 18. Mai 2022, ein Neuntklässler habe eine Mitschülerin mit den Worten adressiert: „Was macht denn der Scheiß-Nigger hier?“ Am Bildungscampus Letschin beschimpfte ein Sechstklässler einen Mitschüler als „Türkensau“ und „Kanakenschwein“. An der Vorstadt-Schule in Strausberg sagte ein Fünftklässler am 25. November 2021 über einen Lehrer: „Ich habe kein Bock auf den Schwarzen.“ Und eine Sechstklässlerin sagte zu einem Mitschüler: „Verpiss dich, du Neger, und geh wieder in das Land, aus dem du herkommst.“ Die Schulen führten nach den Vorfällen meist pädagogische Gespräche mit den Schülern und informierten deren Eltern. Oft erstatteten die Schulen Anzeige. Mitunter wurde eine Klassenkonferenz einberufen. Brandenburgs Bildungsministerium unterstützt Lehrkräfte und Schulleitungen nach eigener Aussage mit Fortbildungen. Fahrten zu Gedenkstätten, Besuche von Zeitzeugen und Holocaust-Überlebenden würden gefördert. Laura Nickel und Max Teske, die Lehrkräfte, die den Brandbrief schrieben, erhielten den „Preis für Zivilcourage gegen Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Rassismus“. Nun verlassen sie ihre Schule – wegen anhaltender Bedrohungen. In Cottbus waren Aufkleber mit Fotos von Teske und Nickel angebracht worden. Dazu hieß es: „’pisst Euch nach Berlin“. Teske sagte WELT AM SONNTAG: „Wir werden von Neonazis bedroht, wir werden auf der Straße als ,Zecken’ verunglimpft. Das passiert nicht nur in der Nähe der Schule, sondern auch in unserem Wohnumfeld.“ Zur Frage, ob er von der Schulleitung und vom Lehrerkollegium ausreichend unterstützt worden sei, sagte Teske, das Schulamt habe ihm mitgeteilt, dies seien schulinterne Angelegenheiten. „Man hat mich angewiesen, dass ich mich dazu nicht äußern darf.“ Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) sagte, die Gewaltaufrufe dürften nicht unwidersprochen bleiben. Die Versetzungsanträge der Lehrer habe er „zur Kenntnis genommen“. Der Vorsitzende der AfD Cottbus, Jean-Pascal Hohm, verunglimpfte Teske in einem Social-Media-Beitrag als „linken Denunzianten“. Zu seinem Weggang schrieb er: „Bürgerliches Engagement wirkt“. Der Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, Jörg Müller, sagte WELT AM SONNTAG, die Entwicklungen in Burg müssten „mit großer Sorge“ betrachtet werden. Er gehe davon aus, dass es sich bei dieser Entwicklung nicht um eine rein Brandenburger Besonderheit handele. „Dass der Druck so groß ist, dass die Betreffenden als Lösung nur das Fortgehen sehen, kann nie eine gute Entwicklung sein“, sagte Müller. Dies gelte erst recht, wenn dies von Rechtsextremen als Sieg gefeiert werde. Hitlergrüße im Geschichtsunterricht Im April machten zwei Lehrkräfte rechtsextreme Vorfälle an ihrer Schule in Brandenburg öffentlich. Das Ausmaß ist deutlich größer als angenommen SCREENSHOT WELT Ein Hetz-Aufkleber zeigt die Fotos der Lehrkräfte Laura Nickel und Max Teske Z um dritten Mal, nach 2018 und 2021, hat der Rat für deutsche Rechtschreibung sich über den Genderstern und andere Zeichen, die in der sogenannten geschlechtergerechten Sprache verwendet werden, beraten. Zum dritten Mal hat er keine klare Empfehlung ausgesprochen. Und das ist auch gut so. VON MATTHIAS HEINE Es wäre in Zeiten, in denen sich der politische Widerstand gegen das Gendern verstärkt (im Einklang mit einer großen Bevölkerungsmehrheit) und in denen sogar der größte ARD-Sender, der WDR, angekündigt hat, seine Pro-Gender-Praxis zu überprüfen, ein merkwürdiges Signal gewesen, wenn die Rechtschreibräte die Genderzeichen in das Inventar der amtlichen Rechtschreibung aufgenommen hätten. Ohnehin stand es nie zur Debatte, das Gendern orthografisch verbindlich zu machen – wie einige befürchtet hatten. Darunter Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der schon vor der Veröffentlichung der Ratsentscheidung ankündigte, eine Pflicht zum Gendern werde es im Freistaat nicht geben. Wobei das Wort „Entscheidung“ schon fast zu groß ist für das, was der Rechtschreibrat am Freitag auf einer Pressekonferenz im belgischen Eupen, dem Tagungsport, bekannt gab. Als Ergebnis einer mehr als zweistündigen Diskussion, die der Ratsvorsitzende Josef Lange als „sehr kontrovers“ bezeichnete, kam heraus, dass Genderstern (wie in Freund*innen), Doppelpunkt (wie in Freund:innen) und Unterstrich (wie in Freund_innen) vom amtlichen Regelwerk künftig in einem Abschnitt „Sonderzeichen“ behandelt werden sollen. „GRAMMATISCHE PROBLEME“ Der Vorsitzende erklärte: „Dazu gehören üblicherweise Paragaf- und Prozentzeichen, die charakterisiert sind dadurch, dass sie nicht Satzzeichen im engeren Sinne sind.“ Diese Zeichen, so Josef Lange, „gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie“. Die Rolle der Genderzeichen erläuterte er: „Sie sollen metasprachlich vermitteln, dass damit alle Geschlechtsidentitäten gemeint sind.“ Ihre Verwendung führe aber in einer Reihe von Fällen dazu, dass es grammatische Folgeprobleme gibt. Und das sagen die Grammatiker und Sprachwissenschaftler: „Die Konsequenzen sind noch nicht geklärt. Das müssen wir weiter beobachten.“ Welche Folgen die einstimmig angenommene neue Empfehlung für den gesellschaftlichen und politischen Streit haben wird, blieb unklar. Der von WELT TV dazu befragte Osnabrücker Germanistikprofessor Peter Schlobinski, eine Koryphäe seiner Zunft, räumte nach der Pressekonferenz ein: „Das ist mir nicht ganz deutlich geworden.“ Schlobinski war sich aber relativ rasch sicher: „Es bleibt erst mal alles, wie es ist. Bis auf die Tatsache, dass diese Zeichen als Sonderzeichen aufgenommen werden.“ Der Rat will seine Empfehlung nun erst einmal mit Interessenverbänden von Eltern und Lehrern besprechen. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden im Dezember verkündet. Amtlich wird das alles erst nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz. Die Sorge mancher Eltern, Schüler und Studenten, es werde künftig als Regelverstoß geahndet, wenn jemand nicht gendert, ist unbegründet. Der Germanist Schlobinski, der seine Ausführungen gegenüber WELT TV immer wieder mit dem Satz „Wenn ich das richtig verstanden habe“ einschränkte, war sich darüber zumindest ziemlich sicher: „Es kann nicht sein, dass jemand negativ benotet wird, wenn er diese Form nicht gebraucht.“ Er selbst gehört auch zu denjenigen, die Genderstern etc. für problematisch halten: „Meine Empfehlung wäre, darauf zu verzichten.“ Schlagzeilen machen regelmäßig Prüflinge, die behaupten, sie hätten schlechtere Noten bekommen, weil sie nicht gendern. Das ist meist schwer nachweisbar und wird von den Bildungseinrichtungen regelmäßig bestritten. Ganz unbestritten und offensichtlich ist aber das Gegenteil: Es gibt Lehrer und Dozenten, die gegenderte Formen als Fehler anstreichen. 2021 verkündete beispielsweise Walter Krämer, Statistikprofessor und Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache, im „Spiegel“: „Bachelor- und Masterarbeiten mit Gendersternchen lehne ich ab. Ich erwarte, dass man die Regeln der deutschen Sprache in akademischen Abhandlungen einhält.“ An Gymnasien existieren Lehrer, die gegenderte Formen als Fehler anrechnen – oft nicht nur einmal, sondern mehrfach. Üblich ist eigentlich die Praxis, „Wiederholungsfehler“ nur einmal als notenrelevant zu zählen. Derartige Kompromisslosigkeit mag unsympathisch erscheinen, doch die Genderablehner durften sich bisher darauf berufen, im Einklang mit den amtlichen Rechtschreibregeln zu handeln. Auch das sächsische Kultusministerium verwies auf die vom Rechtschreibrat geregelte, amtliche deutsche Orthografie, als es kürzlich das Verbot der sogenannten geschlechtergerechten Sprache an Schulen des Bundeslandes bekräftigte und klarstellte, dass dieses Tabu auch für Kooperationspartner gilt. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und seine Kompetenz sind immer noch recht unbekannt. Die korrekte Rechtschreibung legt seit dem Inkrafttreten der Reform von 1996 nicht mehr der Duden – oder die „Dud:in“, wie das Wörterbuch wegen des Gendereifers seiner Redaktion auch spöttisch genannt wird – fest, sondern ein amtliches Regelwerk. Für dieses ist der Rechtschreibrat zuständig. Von seinen Mitgliedern stammen 18 aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz und je eines aus dem Fürstentum Liechtenstein, aus der autonomen Provinz Bozen-Südtirol und von der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Das Großherzogtum Luxemburg ist mit einem Mitglied ohne Stimmrecht kooptiert. Der Rat wurde 2004 installiert, um den „Rechtschreibfrieden“ wiederherzustellen. Etliche radikale Elemente der ursprünglichen Rechtschreibreform wurden damals wieder zurückgenommen. Vereinfacht gesagt (die Debatten und Fronten waren unübersichtlich) wurde unter der Ägide des Rats eine Kompromissschreibung gefunden, mit deren Hilfe die einheitliche deutsche Orthografie bewahrt werden konnte. Diese ist in Deutschland rechtlich verbindlich. Beispielsweise müssen Schriftstücke der öffentlichen Verwaltung in ihr verfasst sein, wie Josef Lange auf der Pressekonferenz noch einmal betonte. Das Herumdoktern an der Sprache durch die Politik im Namen der „Geschlechtergerechtigkeit“ wirft auch die interessante Frage auf, inwieweit gegenderte Gesetzestexte überhaupt noch gültig wären. EIN POLITJARGON Die Position der Genderbefürworter, die einen Politjargon als Standard der amtlichen und öffentlichen Sprache in Deutschland einführen wollen, ist durch den Ratsbeschluss jedenfalls nicht gestärkt worden. Und ein Politjargon ist das Gendern: Wer gendert, beurkundet damit seine Fortschrittlichkeit, seine feministische Linientreue und ganz generell die Zugehörigkeit zu jenem Lager, das bis vor Kurzem glaubte, es hätte die unbestrittene kulturelle Hegemonie errungen. Die Frage, ob Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich die beste orthografische Genderpraxis sind, ist im Grunde nur die Frage nach dem besten Parteiabzeichen des beschriebenen politischen Lagers. Darüber zu entscheiden ist nicht Aufgabe einer politisch neutralen Instanz, wie es der Rechtschreibrat sein sollte. Ohnehin stehen nicht diejenigen unter Rechtfertigungszwang, die am Bewährten festhalten wollen. Argumente müssen diejenigen bringen, die die in 1000 Jahren auf graswurzeldemokratische Weise transnational entwickelte Sprachnorm durch machtgestützte Eingriffe verändern wollen. Und sie müssen dann auch noch zweierlei überzeugend darlegen. Erstens müssen sie nachweisen, dass die bisherige Praxis des generischen Maskulinums tatsächlich die Gleichberechtigung behindert. Und zweitens müssen sie beweisen, dass die von ihnen gewünschten neuen Formen geeignet sind, die angenommene linguistische Unterdrückung durch „das Deutsche als Männersprache“ (so der Titel eines Buches von Luise F. Pusch) zu überwinden. Beides ist ihnen bisher nicht ansatzweise gelungen. Unklar ist, ob die Empfehlung des Rechtschreibrates nun die bisherige Argumentation des sächsischen Kultusministeriums und anderer Instanzen, die die Gendersprache mit Hinweis auf das amtliche Regelwerk ablehnen, unterminieren wird. Man kann vorhersagen, dass dies ein Gegenstand politischer und auch juristischer Auseinandersetzungen bleibt. Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt, künftig Elemente der Gendersprache als „Sonderzeichen“ im amtlichen Regelwerk zu behandeln. Welche Konsequenzen das hat, ist auch Experten nicht ganz klar. Sicher ist aber: Gendern wird nicht Pflicht Der Stern * bleibt schnuppe © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
in Braunkohle- und Bergbaugebieten, bei Firmen, die sehr energieintensiv produzieren. Dort wissen die Leute: Selbst wenn sie noch in diesem Geschäftsmodell Geld verdienen, verschwinden diese Industrien irgendwann. Das erzeugt Unsicherheit. Das Zweite ist: Es gibt Regionen, in denen die Infrastruktur nur rudimentär vorhanden ist. Da schließen Schulen, da fehlen Ärzte, da gehen die leistungsfähigen Jungen weg. Auf diese Lücken weist die AfD hin und ist auch in der Lage, sich als Kümmerer in den Vordergrund zu stellen. Oftmals stimmt es aber gar nicht. Nehmen Sie Sonneberg. Da gibt es schnelles Internet, und den Leuten geht es vergleichsweise gut. Das mag stimmen, aber das Argument ist nicht, dass es den Leuten schlecht geht, sondern dass sie sich darin eingerichtet haben, dass es ihnen nicht gut geht. Der Schluss daraus ist dann aber: Wir sind machtlos. Was ist zu tun? Die demokratischen Parteien müssen den Part der Kümmerer übernehmen. Das wird nicht alle Wähler erreichen. Aber diejenigen, die nicht rechtsradikal sind, schon. Wenn man sich die empirischen Untersuchungen bei der Wählerwanderung anschaut, dann nimmt die AfD weder der SPD noch der CDU Wähler weg, sondern sie mobilisiert das Nichtwählerpotenzial. Aber dann ist es im Grunde fast aussichtslos, dieses Problem zu lösen. So schwarz sehe ich nicht. Es muss halt eine kluge Strukturpolitik im ländlichen Raum gemacht werden, eine Industriepolitik, in der man den Menschen nicht nur einen besseren Job gibt, sondern eine Perspektive. Die Leute wollen gar nicht unbedingt den besseren Job, sondern das Gefühl haben, dass sie noch 20 Jahre hier leben und auch ihre Kinder hier Arbeit finden können. Seit Jahren hören wir: Wer als demokratische Partei Themen der AfD aufgreift, stärkt das Original. Ist das nicht intellektuell dürftig? Man stärkt das Original, wenn man deren Semantiken verwendet, aber nicht, wenn man gesellschaftliche Probleme löst. Die AfD lebt eigentlich von zwei Themen: Die Eliten wollen euch an die Wäsche, und Migration ist das Grundproblem überhaupt. Die CDU hat als konservative Partei ein großes Potenzial, die Migrationsprobleme angemessen zu lösen. Sie darf nur nicht mit Ressentiments Politik machen. Sie sagten, das Abendland gehe nicht unter, wenn die AfD irgendwo einen Landrat stellt. Wie sieht es aus: Dürfen wir gelassen bleiben, sollte sie einen Ministerpräsidenten stellen? Wenn Sie mich so fragen, würde ich emotional sagen: natürlich nicht. Wenn der AfD-Ministerpräsident nur dadurch verhindert werden kann, dass sich alle anderen Parteien zusammenschließen, die sonst im Wettbewerb stehen, ist das eine Anomalie für die Demokratie. Im Fall Thüringen kommt erschwerend hinzu, dass dort mit Björn Höcke ein waschechter Faschist zur Wahl steht – und die Leute wissen schon, wen sie da wählen. Man kann der AfD nicht vorwerfen, dass sie diesen rechtsradikalen Kern verschweigt. Ein Wahlsieg der AfD würde nicht das ganze System aus den Angeln heben, aber es wäre eine Zäsur. Und es könnte schwerwiegende ökonomische Folgen haben, weil eine solche Lage Investoren vertreibt, was die Lage verschärfen würde. A rmin Nassehi ist einer der führenden Soziologen der Bundesrepublik. Vor zwei Jahren veröffentlichte er sein Buch „Unbehagen. Theorie der überforderten Gesellschaft“. Grund genug, mit ihm über die heutige Atmosphäre im Land zu sprechen. VON HANNAH BETHKE UND JACQUES SCHUSTER WELT AM SONNTAG: Herr Professor Nassehi, aus den 16 Jahren der Kanzlerschaft von Angela Merkel sind wir Deutschen gewohnt, dass fast alle Bedürfnisse finanziell abgedeckt werden und das Füllhorn ausgeschüttet wird. Diese Zeit ist vorüber. Die Mittel sind endlich und die Forderungen groß. Gleichzeitig müssen wir Hunderte von Milliarden Euro in unsere marode Verteidigung stecken. Gehen wir einem Zeitalter der Verteilungskämpfe ganz anderer Art entgegen? ARMIN NASSEHI: Verteilungskämpfe ganz anderer Art impliziert ja schon, dass Verteilungskämpfe als solche zu den westlichen Demokratien gehören. Die soziale Frage hat seit dem 19. Jahrhundert eine Rolle gespielt. Das wird auch so bleiben. Und ganz sicher kommt es angesichts von industriellen Umstellungen, von Digitalisierungsprozessen, globaler Konkurrenz, vielleicht auch wegen zu wenig Veränderungsbereitschaft in manchen Branchen zu massiven Verteilungskämpfen, auch in der Mittelschicht. Ich glaube aber, dass wir infolgedessen sozialen Konflikten ganz anderer Art entgegengehen, weil diese symbolisch anders gerahmt sind. Was meinen Sie damit? Eines meiner Lieblingsbücher stammt von der amerikanischen Soziologin Arlie Russell Hochschild aus Berkeley. 2011 hatte sie begonnen, die Quartiere der vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschicht zu besuchen und ethnografisch zu untersuchen. Im Grunde hat sie sich mit den potenziellen Trump-Wählern auseinandergesetzt. Das Buch ist dann genau im amerikanischen Wahlkampf 2016 erschienen, im Deutschen unter dem Titel „Fremd im eigenen Land“ ein Jahr später. Russell Hochschild hat wunderbar klar herausgearbeitet, dass das Selbstbild der Mittelschicht erheblich beschädigt wurde, also die Überzeugung, durch eigene Arbeit einen gewissen Wohlstand zu erreichen und autonom zu sein. Durch den Abbau ganzer Industriezweige musste diese Mittelschicht erleben, dass sie plötzlich auf Transferleistungen angewiesen war und den Menschen ähnlich wurde, die sie bis dahin verachtet hatte, also Transferempfänger, Schwarze, Leute, die dem amerikanischen Traum nicht entsprechen. Das erzeugte starke Abgrenzungs- und Distanzierungsmotive, die als Identitätskonflikte bearbeitet wurden. Das gilt in abgeschwächter Form auch hierzulande. Muss man nicht trotzdem sagen, dass es in der Bundesrepublik lange einfach war, soziale Bedürfnisse zu befriedigen? Denken Sie an die goldenen 70er-Jahre. Heute haben wir es dagegen mit verschiedenen Krisen zu tun – bei schwindenden Staatseinnahmen. Vielleicht waren die 70er gar nicht das Zeitalter des Füllhorns, sondern des organisierten sozialen Aufstiegs, der auch Identitäts- und Zugehörigkeitsfragen bediente. Das hat sich geändert. Auch vor dem Hintergrund der erstarkten AfD. Ihr Erfolg ist besorgniserregend, auch wenn ich nicht meine, dass gleich das Abendland untergeht. Ich glaube, bei denjenigen, welche die AfD wählen, geht es weniger um Verteilungskämpfe, sondern um Identitätsfragen im weitesten Sinne. Glauben die Menschen in der Bundesrepublik noch an das alte Wohlfahrtsversprechen, das dieses Land seit Ende der 40er-Jahre auch psychisch ungemein beruhigt hat? Das Schlüsselwort in Ihrer Frage ist glauben. Wir wissen, dass viele ihre eigene Lage besser einschätzen als die Gesamtlage, also trotz allem empfänglich für Verunsicherungen sind. Nehmen Sie die Debatte über Gas als eine Brückentechnologie, der Glaube also, dass wir eines schönen Tages von etwas leben, wovon wir noch nicht so genau wissen, wie es eigentlich aussieht. Das schafft Sorgen um den Industriestandort Deutschland und wirkt sich auch auf das unmittelbare Leben aus. Das Vertrauen in Eliten sinkt. Im Grunde wünscht sich die Mehrheit, dass die Eliten das ohne große sichtbare Zumutungen lösen. Das war die Methode Angela Merkel. Der Regierungsstil von Angela Merkel bestand darin, Dinge dosiert zu kommunizieren und Dinge latent zu halten. Dinge latent zu halten ist freilich im Angesicht der Herausforderungen kaum möglich. Die Mehrheit will ihr tägliches Leben so führen, wie sie es gewohnt ist. Im Grunde ist sie eher konservativ. Was heißt konservativ in diesem Zusammenhang? Konservativ heißt, mit der Schwäche der Menschen zu rechnen, also damit zu rechnen, dass Lebensformen träge sind und die Leute eigentlich nicht alles reflektiert haben wollen, sondern eine gewisse Kontinuität brauchen. Warum ist ausgerechnet das Heizungsgesetz derart in der Kritik, unabhängig von strategischen und handwerklichen Fehlern? Die Tatsache, dass Veränderungsdruck bis in den eigenen Keller und den familialen Haushalt hineinwirkt, hat zutiefst beunruhigt. Die Grundidee des linken Denkens lautet, man müsse den Leuten nur die richtigen normativen Sätze sagen, und dann folgen sie schon. Das ist ein intellektueller, ziemlich milieuspezifischer Grundirrtum, der immer wieder begangen wird. Inwieweit ist in Deutschland der Glaube an die Demokratie mit dem Wohlstand verknüpft? Und wenn es so ist, müssen wir uns mit Blick auf den Rechtspopulismus Sorgen machen? Umfragen belegen: Es gibt eine massive Unzufriedenheit mit der Ampelregierung. Heißt das auch eine Unzufriedenheit mit der Demokratie? Es gibt politische Kräfte, die das in diese Richtung bringen wollen. Das ist das Erfolgsmodell der AfD. Gleichzeitig könnte man sagen, Kritik und Unzufriedenheit sind ein unentbehrlicher Teil der Demokratie. Eines der Grundprinzipien der Demokratie ist, dass die Menschen unzufrieden mit der Regierung sind und trotzdem loyal bleiben. Das große Potenzial der Demokratie ist, dass diese Unzufriedenheit immer wieder zu neuen Lösungswegen führt, zumal das Vertrauen in die Demokratie doch stabiler ist, als es die veröffentlichte Meinung suggeriert. Welche Verantwortung trägt die Politik für diese Lage? Was hat die Regierung falsch gemacht? Ich weiß nicht, ob wir mit Schuld bei dieser Frage weiterkommen. Zurzeit steht die Regierung, stehen wir alle vor der Erkenntnis, dass wir von Parametern abhängig sind, die wir selbst nicht oder kaum beeinflussen können. Dazu kommen die handwerklichen Probleme im Regierungshandeln. Hätte man das alles sehen können? Die hohen Gaspreise, Russlands Aggression? Vielleicht. Doch seien wir ehrlich: Hätte Angela Merkel 2014 in der Außen- und Energiepolitik eine klare Wende eingeleitet, wären ihr alle – von den Gewerkschaften über die Arbeitgeber bis hin zur breiten Bevölkerung – auf den Kopf gestiegen. Wir waren allesamt korrumpiert von den niedrigen Energiepreisen, mit denen man sich sogar eine funktionierende Energiewende einreden konnte. Sie sprachen eben vom konservativen Grundgefühl. Der Verfassungsrechtler Udo Di Fabio hat kürzlich darauf hingewiesen, dass verschiedene politische Reformvorhaben eine große gesellschaftliche Transformation vorbereiten. Er nennt als Beispiele, die er sehr kritisch sieht: das Wahlrecht für Minderjährige, die Verlängerung der Legislatur auf fünf Jahre, das Drängen auf eine paritätische Zusammensetzung des Parlaments, die Einführung ausgeloster Räte in den Parlamentarismus. Teilen Sie diesen Befund? Und wenn dies so ist, ist das der Grund für das Erstarken des Rechtspopulismus? Ich würde hier keine so klare Kausalität vermuten. Dass diese Themen kommen, liegt viel weniger am Regierungshandeln als an gesellschaftlichen Dynamiken. Wir haben es in der Gesellschaft mit den Folgen unserer Erfolge zu tun. Wir haben es geschafft, eine wirklich liberale, pluralistische Gesellschaft zu werden. Dieser Liberalismus bleibt nicht stehen. Wenn individuelle Rechte garantiert sind, dann werden sie auch geweitet und weiten sich auf die gesamte Gesellschaft aus. Heute werden Ansprüche auf Augenhöhe formuliert. Natürlich ist eine Folge, dass ein Teil der Gesellschaft sich überfordert fühlt, ein anderer mit allzu selbstgerechtem Selbstbewusstsein auftritt, die Leute sollten sich nicht so anstellen. Kommen wir zur AfD. Wie erklären Sie sich deren Erfolg? Die AfD ist besonders erfolgreich in Gebieten, in denen die Industrie besonders anfällig für die Transformation ist, also AMIN AKHTAR 16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 * POLITIK 7 S icherheitsbehörden können häufig Islamisten, Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker bei dem Verdacht auf eine Straftat nicht ermitteln. Denn Telegram, einer der weltweit größten Messengerdienste mit der Möglichkeit, Chats zu verschlüsseln, lässt Datenanfragen des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundeskriminalamts (BKA) zu solchen Nutzern unbeantwortet. „Wir stellen bloß noch zu Testzwecken Anfragen an Telegram. Um zu prüfen, ob und wie der Dienst reagiert. Aber da kommt so gut wie nichts mehr“, heißt es beim Verfassungsschutz in Köln. VON MARTIN LUTZ Ihre Kanäle bei Telegram nutzt etwa die rechtsextreme Partei „Freie Sachsen“ dafür, um sich mit Akteuren zu vernetzen und ihre Ideologie für die gesellschaftliche Mitte zugänglicher zu machen. Dies geht aus dem jüngsten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 hervor, den BfV-Präsident Thomas Haldenwang Anfang Juni vorgelegt hatte. Danach sieht sich diese Partei im „Widerstand“ gegen einen vermeintlich übergriffigen Staat, etwa bei der Klima- und Energiepolitik. Zu den Demonstrationen dagegen wird über Telegram aufgerufen. Auch die sogenannten Reichsbürger halten ihr Netzwerk laut BfV mittels Telegram-Gruppen aufrecht. Betreiber von sozialen Netzwerken sind laut Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet, bei der Herausgabe von Bestandsdaten mit Polizei und Justiz zusammenzuarbeiten, wenn sich ein Verdachtsfall ergibt. Außerdem müssen die Plattformen strafbare Inhalte melden und löschen. Doch der Dienst Telegram, der von dem Russen Pawel Durow gegründet wurde und angeblich in Dubai sitzt, macht das Ganze offenbar zur Kraftprobe. Telegram hat mehrere hundert Millionen Nutzer. Dazu gehören auch die Terrororganisationen Islamischer Staat und Al-Qaida sowie Unterstützerszenen. In deren Propaganda würden sich „explizit gewaltorientierte Inhalte“ auf „bestimmte Messengerdienste wie Telegram“ konzentrieren, stellt der BfV-Bericht fest. Das Bundeskriminalamt hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie der Verfassungsschutz. Bei Anfragen des BKA zu Nutzerdaten, etwa Mail- und IPAdressen, herrscht schon seit gut einem Jahr absolute Funkstille. „Seit längerer Zeit übermittelt der Dienst keine Bestandsdaten mehr“, bestätigte die Wiesbadener Behörde. Ihre „Taskforce Telegram“, die Straftaten aufklären sollte, ist seit Ende Mai vergangenen Jahres nicht mehr aktiv. Und wenn das BKA „Löschersuche“ an Telegram stellt, um strafbare Inhalte zu löschen, werden diese nicht immer befolgt. Bisher gab es 605 solcher Aufforderungen. „Hiervon sind 554 Inhalte nicht mehr aufrufbar“, teilte das BKA mit. Dennoch werden Hass, Hetze, Gewaltaufrufe und Morddrohungen gegen Politiker immer wieder über Telegram verbreitet. Die fehlende Kooperationsbereitschaft von Telegram sorgt auf höchster politischer Ebene für Ärger. BKA und BfV sind Bundesinnenministerin Nancy Faeser unterstellt. Im Januar vergangenen Jahres hatte sie damit gedroht, Telegram abzuschalten, wenn man weiter nicht mit den deutschen Sicherheitsbehörden zusammenarbeite. Später relativierte die Ministerin ihre Drohung – sie habe damit lediglich den Druck auf den Dienst erhöhen wollen. Faeser muss derzeit zwei Aufgaben unter einen Hut bringen: Ihr Amt und den Wahlkampf. Sie ist SPD-Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl im Oktober. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), wollte jetzt wissen, was aus Faesers Drohung geworden ist, Telegram als ultima ratio abzuschalten. Sie stellte vor einer Woche im Bundestag dazu eine Anfrage. Die Antwort der Regierung liegt noch nicht vor. Im Bundesinnenministerium heißt es, Faeser lasse „weitere Schritte gegen Telegram im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten“ prüfen. Lindholz wirft Faeser vor, dass sie sich einmal mehr als „Ankündigungsministerin“ erweise. Angesichts der Verweigerungshaltung von Telegram sei es an der Zeit für Faeser, klare Kante zu zeigen. „Stattdessen lässt sie zu, dass sie selbst und unser Rechtsstaat an der Nase herumgeführt wird“, sagte Lindholz. Telegram könne sich weiterhin über die gesetzlichen Verpflichtungen hinwegsetzen. Die Ministerin müsse diesen unhaltbaren Zustand beenden. „Leider hört man von Frau Faeser dazu gar nichts“, so Lindholz. Auch der Sprecher der Unions-geführten Innenministerien, Peter Beuth (CDU) aus Hessen, kritisiert Faeser scharf. „Mittlerweile ist klar: Telegram kooperiert nicht. Es ist Zeit, dass Frau Faeser ihren vollmundigen Ankündigungen Taten folgen lässt“, sagte Beuth. Dies sei bisher nicht der Fall. Dass die eigens eingerichtete Arbeitsgruppe des BKA zur Aufklärung von Straftaten bei Telegram die Arbeit eingestellt habe, nennt er eine „Bankrotterklärung des Rechtsstaates“. Hass, Hetze und Extremismus müssten auch in der digitalen Welt konsequent bekämpft werden können. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht den Bund in der Pflicht. „Es kann nicht sein, dass der Verbreitung von Hass und Hetze in Telegram Tür und Tor geöffnet sind, nur weil man bestehendes Recht nicht konsequent durchzusetzen vermag“, sagte Herrmann dieser Zeitung. In letzter Konsequenz müsse die Bundesregierung eine Rechtsgrundlage für eine Blockierung des MessengerDienstes schaffen. Die Innenministerkonferenz, die Mitte Juni in Berlin tagte, hatte einen Beschluss zu Telegram gefasst. Darin fordert die IMK nach Informationen von WELT AM SONNTAG das Bundesinnenministerium auf, sich in der Regierung „dafür einzusetzen, auf die vollumfängliche Durchsetzung deutschen Rechts gegenüber Telegram hinzuwirken“. Und dafür sei gegebenenfalls ein neuer Rechtsrahmen erforderlich. Dies lässt sich als deutlicher Rüffel für Faeser verstehen. Und für Marco Buschmann (FDP). Der Bundesjustizminister ist für die Rechtsgrundlagen zuständig. Buschmann sagte dieser Zeitung, dass Telegram den „gesetzlichen Pflichten zur Auskunftserteilung gegenüber Strafverfolgungsbehörden“ nachkommen müsse. Die Gesetze gälten für alle. Doch die Regierung wirkt machtlos: Zwar hatte das Bundesamt für Justiz im Oktober 2022 zwei Bußgeldbescheide von zusammen 5,125 Millionen Euro erlassen, aber Telegram legte Einspruch ein. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz hält es für legitim, dass sich „das Unternehmen zur Wehr setzt.“ Zugleich müsse aber auch der Staat „alle rechtlichen Möglichkeiten“ ausschöpfen, um mutmaßliche Straftäter zu identifizieren. Inzwischen wurden die beiden Ordnungswidrigkeiten-Verfahren vom Bundesamt ans Amtsgericht Bonn übersandt. Dort soll eine mündliche Gerichtsverhandlung im Herbst stattfinden. Telegram werden Verstöße gegen die Pflicht, einen „inländischen Zustellungsbevollmächtigten“ zu benennen und „gesetzeskonforme Meldewege“ vorzuhalten, zur Last gelegt. Ein richterlicher Beschluss, der die Bußgelder festsetzt, könnte folgen. Doch in Justizkreisen rechnet man damit, dass Telegrams Anwaltskanzlei dagegen voraussichtlich mit einer Rechtsbeschwerde vorgehen wird. Letzte Instanz ist dann das Oberlandesgericht Köln, das in solchen Fällen für ein abschließendes Urteil bis zu acht Monate benötigt. Es wird also noch lange unklar bleiben, ob Telegram die Bußgelder zahlen muss. Wie Telegram Faeser vorführt Der Messengerdienst kooperiert nicht mit BKA und Verfassungsschutz. Auch Bußgelder zahlt er nicht Nancy Faeser ist Innenministerin und SPD-Spitzenkandidatin in Hessen HC PLAMBECK ,,Das Vertrauen in Eliten sinkt Der 1960 in Tübingen geborene Nassehi ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2012 ist er außerdem Herausgeber der Kulturzeitschrift „Kursbuch“. Armin Nassehi Soziologe Der Soziologe Armin Nassehi findet, Unzufriedenheit gehöre zur Demokratie. Mit dem Erfolg der AfD gehe nicht gleich das Abendland unter © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
E s war ein heißer Freitagvormittag, als der ranghohe Nato-Diplomat beim Frühstück in seinem großen Garten eine Prognose wagte: „Sie werden sehen, beim Nato-Gipfel wird es nur Sieger geben.“ Und so kam es. Kanzler Olaf Scholz nannte das Treffen im litauischen Vilnius „sehr erfolgreich“. VON CHRISTOPH B. SCHILTZ AUS BRÜSSEL Lettlands Ministerpräsident Krisjanis Karins erklärte, die „Gespräche sind sehr, sehr positiv verlaufen“. Estlands Ministerpräsident Kaja Kallas träumte bereits von einer neuen Zeit, nach dem Ende des Ukraine-Kriegs: „Und wenn Russland in Russland ist, gibt es Raum für einen dauerhaften Frieden und auch ein Zeitfenster für den Nato-Beitritt.“ Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich bei diesem Gipfeltreffen im Gefechtsanzug durch die Reihen der Staats- und Regierungschefs bewegte, schien offiziell zufrieden: „Die ukrainische Delegation bringt einen wichtigen Sieg der Sicherheit für die Ukraine nach Hause.“ Es gab viele Einzelbeschlüsse bei diesem Gipfel – und ein großes Versprechen. In Paragraf 89 auf Seite 20, fast zum Schluss der gemeinsamen Abschlusserklärung, heißt es: „Die Nato bleibt die stärkste Allianz in der Geschichte. Wie in der Vergangenheit werden wir uns bewähren, indem wir Freiheit und Sicherheit der Alliierten bewahren und zu Frieden und Sicherheit beitragen.“ Aber was hat die Ukraine davon, die vor mehr als 500 Tagen, am 24. Februar 2022, von Russland angegriffen worden ist und seitdem nicht nur ihre eigene Freiheit, sondern auch die Werte des Westens verteidigt? Es bleiben weitere Fragen: Hat die Nato bei diesem Gipfel die Chancen Kiews, die russischen Besetzer aus dem Land zu jagen, verbessert? Wie sicher ist die Ukraine jetzt – heute und in Zukunft? Boris Pistorius, der SPD-Verteidigungsminister, ist ein Mann, der eine solche Frage beantworten könnte. Er spaziert zwei Tage lang als Gute-LauneOnkel durch die improvisierten NatoFlure in Vilnius, immer ein Lächeln und viele schöne Botschaften im Gepäck: „Die Luftverteidigung der Ukraine wäre ohne uns überhaupt nicht denkbar“, diktiert er den Journalisten in die Schreibblöcke. Pistorius hat zusammen mit Scholz auch ein 700-Millionen-Euro-Paket an neuen Waffen für die Ukraine mitgebracht: Marder-Panzer, Artilleriemunition, Startgeräte für das Luftverteidigungssystem Patriot und aufgemöbelte Leopard-1-Panzer. Alles wichtige Dinge. Aber was die Ukraine derzeit am dringendsten braucht, will Berlin – anders als einige Partnerländer – aus Angst vor einer möglichen Rache von KremlDiktator Wladimir Putin nicht liefern: Kampfjets (Eurofighter) und die heiß ersehnten Marschflugkörper Taurus KEPD-350, mit mehr als 500 Kilometer Reichweite, ideal, um russische Bunker und gut gesicherte Führungsgefechtsstrukturen im Kriegsgebiet zu sprengen. Hinzu kommt: Niemand weiß, wann aus den schönen Versprechen von Scholz und Pistorius auch handfeste Lieferungen werden. Nur etwa die Hälfte der vom Westen versprochenen Waffen ist bisher in der Ukraine angekommen, analysierte das Kieler Institut für Weltwirtschaft vor wenigen Tagen. Auch die deutschen Lieferungen blieben „weit hinter den Versprechen zurück.“ Das sieht auch Kiew so. Selenskyj und ein Heer ukrainischer Diplomaten schwirrten in Vilnius aus, um in Einzelgesprächen mit den Gipfelteilnehmern, den sogenannten Bilaterals, genau das zu verkünden. Ihre Botschaft: „Wir brauchen mehr Waffen. Es reicht bisher hinten und vorne nicht, um gegen Russland zu gewinnen.“ Selenskyj weiß, wie es derzeit im Kriegsgebiet aussieht: Die ukrainische Gegenoffensive, die eigentlich die Entscheidung zugunsten Kiews bringen soll, ist bisher kein durchschlagender Erfolg, obwohl – unter immensen Verlusten – rund 200 Quadratkilometer zurückerobert wurden und die heimischen Streitkräfte bei Bachmut im Donbass Fortschritte machen. Auf diese Entwicklungen kommt auch der tschechische Präsident und frühere Viersternegeneral Petr Pavel bei einer Diskussionsveranstaltung zu sprechen. Der langjährige Chef des Nato-Militärausschusses warnte in Vilnius davor, dass sich das Zeitfenster für eine erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive bis zum Jahresende „mehr oder weniger schließen“ werde. Dies liege nicht nur an den Bedingungen im Winter, sondern auch an den im Jahr 2024 anstehenden Wahlen in der Ukraine, in Russland und in den USA, sagte der 61-Jährige. Was bis dahin erreicht sein werde, dürfte nach seiner Ansicht die Grundlage für Verhandlungen über einen Waffenstillstand sein. Pavels Worte fanden in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit. Dabei formulierte der hochdekorierte Militärexperte mit Blick auf die Ukraine die eindringlichste und am wenigsten gestanzte Botschaft dieses Gipfels: Für Kiew geht es jetzt um alles. Es war einer der wenigen unkontrollierten Momente bei diesem Gipfel der wohltemperierten Erklärungen. Ein weiterer ungeschminkter Augenblick war auch dieser: Nato-Chef Jens Stoltenberg ließ sich kurz von Selenskyj – der entgegen allen Regeln der Diplomatie die fehlende Einladung für eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine als „beispiellos und absurd“ bezeichnet hatte – provozieren: „Falls sich die Ukraine nicht durchsetzt, wird es überhaupt keine Diskussion über Mitgliedschaft geben“, zischte der Norweger ungehalten. In diesem Moment wurde die Fragwürdigkeit der stundenlangen Ukraine-Debatten auf diesem Gipfel deutlich: Die Nato lehnt einen sofortigen Beitritt der Ukraine ab und berät stattdessen en detail über schwammige Sicherheitszusagen und die „Voraussetzungen“ einer Mitgliedschaft für eine Zeit irgendwann nach dem Krieg – ohne zu wissen, was dann sein wird. Es waren Scheindebatten, Spiegelgefechte, ungedeckte Versprechungen. Und Selenskyj? Er bedankte sich scheinbar artig für all die zugesagten Waffenlieferungen und Finanzhilfen. Zuvor hatte ihn Großbritanniens Verteidigungsminister Ben Wallace ungewöhnlich schroff öffentlich zurechtgewiesen: „Ob man es mag oder nicht, die Leute wollen etwas Dankbarkeit sehen“, sagte Wallace. „Ich bin nicht Amazon“, ätzte der Brite in Richtung Selenskyj. Der ukrainische Präsident fuhr am späten Mittwochabend nach Hause. Er war enttäuscht. Denn es hat sich nichts geändert: Sein Land steht weiterhin am Abgrund. Unglückliche Gewinner Nach dem Nato-Gipfel: Erzwungene Dankbarkeit und vage Versprechen 8 POLITIK WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 E s ist ein Signal der Amerikaner, dass sie mit ihrer Geduld mit der ungarischen Regierung am Ende sind: Im Juni erst verhinderte der US-Senat den Verkauf von 24 Himars-Mehrfachraketenwerfern im Wert von 735 Millionen Dollar an Ungarn. Der Senator James E. Risch aus Idaho erklärte sein Veto gegenüber der „Washington Post“ damit, dass Budapest seit Monaten den Nato-Beitritt Schwedens blockiere. VON PHILIPP FRITZ Zwar gehen Beobachter mittlerweile davon aus, dass Premierminister Viktor Orbán schließlich seine Verweigerungshaltung aufgeben werde. Das ungarische Parlament jedoch hat immer noch keinen Abstimmungstermin in der Sache auf seinen Plan genommen. Es sind nicht nur Ungarns Querschüsse gegen die Nato-Norderweiterung, die Washington und die übrigen Verbündeten verärgern. Orbáns Regierung zögert Finanzhilfen der EU für die Ukraine hinaus, lässt direkte Waffenlieferungen für Kiew über ungarisches Territorium nicht zu, beansprucht für sich Ausnahmen von den EU-Russlandsanktionen und hat gar nach Kriegsausbruch neue Rohstoffverträge mit Moskau abgeschlossen. Experten warnen zudem davor, dass Ungarn zu einer Art Drehscheibe für russische Nachrichtendienste in Europa geworden sei. Die USA verhängten deswegen im April Sanktionen gegen die in Budapest ansässige russische International Investment Bank (IIB), der Verbindungen zu russischen Diensten nachgesagt werden. Im Interview mit WELT AM SONNTAG erklärt dazu Péter Györkös, Ungarns Botschafter in Deutschland: „Was das Gerede über Industriespionage angeht, will ich sagen, dass ich unseren Diensten vertraue und dass überhaupt erst zu beweisen wäre, dass so eine Gefahr besteht.“ Ausgerechnet in dieser Lage steigt Ungarn zum privilegierten rüstungspolitischen Partner Deutschlands auf. Im ersten Quartal dieses Jahres genehmigte die Bundesregierung in kein Land Rüstungsausfuhren mit einem höheren Wert: Für 765 Millionen Euro gingen Güter nach Ungarn. Entscheidender ist: Der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall hat eine Fabrik in Ungarn errichtet, in der er seinen modernen Schützenpanzer Lynx baut – Ungarn schafft 218 dieser Fahrzeuge an. Auch eine Munitionsfertigung als Joint Venture mit der staatlichen ungarischen N7-Holding baut Rheinmetall in Várpalota auf. Ab 2024 soll dann unter anderem Artilleriemunition dort gefertigt werden. Der Leopard-Panzerbauer KMW und Airbus sind bereits im Land aktiv. Andreas Bock, Ungarn-Experte bei der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR), sieht dies kritisch. Er verweist darauf, dass Budapest spätestens seit Februar 2022 kein verlässlicher Partner in EU und Nato sei und „Deutschland sich in eine schwierige Abhängigkeit begibt“. Ungarns Beziehungen zu Russland seien besonders problematisch, so Bock – „obwohl das Land humanitäre und medizinische Hilfe leistet und ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat“. Wirtschaftlich profitierte das Land stark von Rheinmetalls Engagement. „Das Vorbild sind Investitionen der deutschen Automobilindustrie in Ungarn“, erklärt der Experte. Auf Anfrage dieser Zeitung erklärte Rheinmetall, dass der ungarische Staat sich zur Beschaffung zahlreicher Rheinmetall-Produkte entschieden habe. Damit verbunden sei, ähnlich wie in den meisten Nato- und EU-Staaten, der Wunsch nach Lokalisierung von Produktionsanteilen gewesen. „Um den europaweit vorhandenen Engpässen bei der Produktion zahlreicher militärischer Produkte zu begegnen, verfolgt Rheinmetall die Strategie, entsprechende Kapazitäten innerhalb der EU aufzubauen“, so ein Sprecher. Der Aufbau der Panzerfabrik, die im März 2022 eröffnet wurde, geschah nicht von heute auf morgen. „Die Investitionen von Rheinmetall entsprechen einer langfristigen deutsch-ungarischen Strategie, die noch auf Beschlüsse von Orbán mit Kanzlerin Angela Merkel zurückgeht“, sagt Györkös. Der Botschafter hebt auf Orbáns Sommerrede 2016 ab. Damals bereits sprach der ungarische Regierungschef von der Notwendigkeit zur Schaffung einer europäischen Armee und davon, dass Europa eine eigene, starke Rüstungsindustrie brauche. ZWEIFEL AM LIEFERWEG Bleibt die Frage: Kann etwa die im Rheinmetallwerk in Ungarn gefertigte Munition in die Ukraine gelangen, wenn doch die ungarische Regierung Waffenlieferungen nicht zulässt? „Über zukünftige Munitionskäufer kann Rheinmetall keine Aussagen treffen. Grundsätzlich gilt: Rheinmetall befolgt hinsichtlich seiner Exporte die regulatorischen Vorgaben der Bundesrepublik Deutschland und des jeweiligen Gastlandes“, sagt dazu ein Sprecher des Herstellers. Ungarns Rolle ist nicht eindeutig. Die Regierung in Budapest unterscheidet zwischen Hilfsleistungen für die Ukraine und Bündnisverteidigung. Letztere nimmt Ungarn durchaus ernst. Das Land wird 2023 vermutlich das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses erfüllen – Deutschland nicht. „Ungarn ist ein vorbildliches Nato-Mitglied“, sagt Botschafter Györkös. Tatsächlich ist Ungarn ein wichtiger Truppensteller im Bündnis. Das Land etwa beteiligt sich an der Luftraumsicherung im Baltikum; seit die Slowakei ihre MiG-29-Jets der Ukraine übergeben hat, schützen ungarische Flugzeuge auch den Luftraum der Slowakei. Zweifel bei den Partnern bleiben – bei der deutschen Industrie indes nicht. Beziehungsstatus: kompliziert Deutsche Rüstungsfirmen investieren massiv in Ungarn. Das wirft heikle Fragen auf E s war die größte Bootskatastrophe im Mittelmeer seit Jahren: Vor einem Monat kamen 600 Migranten bei dem Versuch, von Libyen aus Europa zu erreichen, ums Leben. Nach wochenlangen Diskussionen über die Verantwortung für den Vorfall kommt nun heraus: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie die griechische Regierung verschweigen die wahren Abläufe vor dem Kentern des Bootes. Wie WELT AM SONNTAG und das ebenfalls zu Axel Springer gehörende Nachrichtenunternehmen „Politico“ erfuhren, muss die hochdramatische Situation vor der griechischen Küste Athen und den EU-Grenzschützern viel früher bewusst gewesen sein als bislang bekannt. VON LENNART PFAHLER UND TIM RÖHN Frontex hatte mitgeteilt, als Erstes habe ein eigenes Flugzeug das völlig überladene Boot um 9.47 Uhr (UTC) entdeckt. Allerdings soll das Boot – so geht es aus einem internen Frontex-Dokument hervor – bereits um 6.51 Uhr erstmals gesichtet worden sein – und zwar durch italienische Behörden. Um 8.01 Uhr alarmierte die Seenotrettungsstelle in Rom demnach sowohl Frontex als auch die Leitstelle in Piräus, von wo aus Rettungseinsätze der griechischen Küstenwache gesteuert werden. Noch brisanter: Bestandteil dieses Alarms war die Information, dass an Bord des Bootes bereits zwei Kinder gestorben seien. Wie Italien an Kenntnisse zur Existenz des Bootes und der toten Kinder gelangte, ist unklar. Der Alarm ist nach Informationen von WELT AM SONNTAG Teil der Notizen des noch in Arbeit befindlichen „Serious Incident Report“ der EUGrenzschutzagentur, der das Aktenzeichen 12595/2023 trägt. Trotz des Alarms aus Rom unternahmen die griechischen Behörden lange nichts. Frontex teilte später mit, man habe Athen zweimal den Einsatz von Fluggeräten angeboten, was ignoriert worden sei. Erst gegen 19.40 Uhr traf ein Schiff der Küstenwache in der Nähe der Migranten ein. DRAMA UM 23 UHR Deren Boot kenterte schließlich gegen 23 Uhr, 15 Stunden nach dem Alarm aus Rom. Unmittelbar vor der Havarie hatten griechische Küstenwächter Seile an das Boot angebracht, was – so berichteten Überlebende – zum Kentern geführt habe. Nur 104 Menschen wurden lebend geborgen. Dass die Italiener zu einem solch frühen Zeitpunkt und als Erste Kenntnis hatten, ist bemerkenswert, weil sich das Boot in der griechischen Such- und Rettungszone befand. Offenbar sammelt Rom auch Erkenntnisse über dort befindliche Gebiete, um auf mögliche Fahrten von Migrantenbooten in italienische Gewässer vorbereitet zu sein. Eine der aktuell meistfrequentierten Routen führt aus Nordafrika vorbei an Griechenland nach Italien. Athen ignoriert regelmäßig die Existenz von Migrantenbooten in eigenen Gewässern – in der Hoffnung, dass diese am Ende ein Fall für die italienische Küstenwache werden. Damit will Rom sich nicht abfinden. WELT AM SONNTAG konfrontierte Frontex mit den Informationen zu dem Alarm aus Rom. Wann ging dieser ein? Was war die Reaktion der Agentur? In einer schriftlichen Antwort hieß es, man könne „aufgrund von laufenden Ermittlungen“ kein Statement abgeben, das über jenes vom 16. Juni hinausgeht. Darin wird die Chronologie der Ereignisse geschildert – mit 9.47 Uhr als Startpunkt, der Sichtung des Bootes durch ein Frontex-Flugzeug. Aus internen Unterlagen geht nach Informationen dieser Zeitung jedoch hervor, dass eben jener Frontex-Flieger – die „Eagle 1“ – um 8.33 Uhr, offenbar als Reaktion auf den Alarm aus Rom, in Richtung Pylos geschickt wurde. Auch dieser Fakt wird öffentlich nicht kommuniziert. Der neu ernannte griechische Migrationsminister Dimitris Kairidis sagte in Brüssel, er kenne die Frontex-Notiz nicht, und verwies auf „eine unabhängige gerichtliche Untersuchung“ der Staatsanwaltschaft. Sofern jemand für schuldig befunden werde, „wird es definitiv Konsequenzen geben. Aber bis dahin sollten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen und uns nicht dem politischen Druck beugen.“ Am Freitag verwies Athen auf ein Statement auf der Küstenwache-Webseite vom 14. Juni, in dem eine Info aus Rom gegen acht Uhr erwähnt wird. Von toten Kindern kein Wort. Die italienische Regierung beantwortete eine Anfrage zu dem Sachverhalt nicht. Frontex-Direktor Hans Leijtens hatte die griechische Regierung Ende Juni aufgefordert, Stellung zu zwei weiteren Vorfällen mit Migranten zu nehmen, bei denen der Verdacht auf Menschenrechtsverstöße besteht. Die Frist, 10. Juli, ist mittlerweile abgelaufen. Wie diese Zeitung erfuhr, haben sich die Agenturspitze und Athen darauf geeinigt, dass keine schriftliche Stellungnahme abgegeben werden muss; stattdessen wurde ein Treffen zwischen hochrangigen Vertretern der griechischen Regierung und Frontex-Chef Leijtens vereinbart. Dass Leijtens dabei Details zu den umstrittenen Einsätzen der Küstenwache erfährt, davon geht man selbst agenturintern nicht mehr aus. Die Hoffnung ist, dass zumindest glaubwürdige Informationen über laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zur Verfügung gestellt werden; in der Vergangenheit ignorierte Athen auch diesen Wunsch der Grenzschützer. Die hinter den Kulissen unverhohlen vorgetragene Drohung seitens Frontex, die Zusammenarbeit mit Athen zu beenden, soll vorerst nicht in die Tat umgesetzt werden. Noch im Juni hatte sich der Frontex-Menschenrechtsbeauftragte angesichts der zahlreichen illegalen Aktivitäten griechischer Sicherheitskräfte für den Rückzug ausgesprochen – erfolglos. Nun wächst intern die Unruhe ob der wissentlich zurückgehaltenen Informationen über den frühen Alarm aus Rom. WARUM KEIN NOTRUF? Zugleich wächst der Druck von politischer Seite. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger sagte dieser Zeitung: „Beim Sichten eines derart überfüllten Bootes hätte Frontex sofort einen Mayday-Notruf machen müssen. Das gilt umso mehr, wenn Frontex wusste, dass es am Dienstagmorgen bereits zwei tote Kinder an Bord gab.“ Dass das nicht geschehen ist, sei „ungeheuerlich und unverzeihbar“. Leijtens habe angekündigt, er wolle Vertrauen wiederherstellen und Menschenrechte achten: „Dieses Vorhaben ist krachend gescheitert“, so Bünger. Ihrer Ansicht nach ist Frontex nicht reformierbar, sie fordert daher die Auflösung. Der EU-Parlamentarier Erik Marquardt (Grüne) verwies darauf, dass Deutschland den Vorsitz im FrontexVerwaltungsrat hat: „Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie hier vollständige Transparenz durchsetzt.“ Leijtens löse sein Versprechen, die Agentur zu reformieren, nicht ein. Die EU-Kommission ließ verlauten, man äußere sich „weder zu laufenden Untersuchungen noch zu Leaks“, machte aber klar: „Die Fakten über den tragischen Vorfall vor der Küste von Pylos müssen geklärt werden.“ Das sei jetzt „die Priorität“. MITARBEIT: JACOPO BARIGAZZI Tote Kinder um 8.01 UHR Frontex und Athen verschweigen die wahren Abläufe bei der Bootskatastrophe im Juni mit 600 toten Migranten Das überfüllte Migrantenboot vor dem Kentern AP © WELTN24 GmbH. 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E in Gerücht geistert durch soziale Medien, das kremltreue Verschwörungsideologen elektrisiert: Soldaten der Nato kämpften angeblich verdeckt in der Ukraine gegen Putins Truppen. Dies sollen Videos belegen, in denen sich Uniformierte mit amerikanischem Akzent Kommandos zurufen. Der Mann, der sich beim Treffen mit WELT AM SONNTAG mit seinem Decknamen „Cash“ vorstellt, könnte schnell unter diesen Verdacht fallen. VON IBRAHIM NABER AUS KIEW An einem sonnigen Junitag in Kiew sitzt der gebürtige Texaner in einem Straßencafé, auf seinem militärgrünen T-Shirt prangt die Aufschrift „Freedom“, Freiheit. Vor dem 37-Jährigen liegen eine Packung Zigaretten „Canadian Blend Tobacco“, hinter ihm Monate an der Front. „Ich war dem Tod sehr nah“, sagt Cash, der bei einem russischen Raketenangriff im Spätsommer 2022 bei Charkiw schwer verletzt wurde. Nach drei Operationen hat er mittlerweile auch ukrainisches Blut im Körper, und noch immer Überreste der russischen Metallsplitter. Cash ist weder im Auftrag der Nato noch auf Geheimmission in der Ukraine im Einsatz. Er ist einer von Tausenden Freiwilligen, die im vergangenen Jahr der Internationalen Legion des ukrainischen Militärs beigetreten sind. Kurz nach Russlands Invasion hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj Menschen aus aller Welt aufgerufen, sich dem Kampf gegen Putins Truppen anzuschließen. Todesmutige aus Dutzenden Nationen, darunter auch einige Deutsche, haben seitdem ihre Heimat verlassen, um in den Krieg zu ziehen. Manche wurden allerdings direkt wieder abgewiesen, denn die Selektion ist streng: Nur wer militärische Vorerfahrung mitbringt, darf bleiben. Legionäre erhalten ein Grundgehalt und Zuschläge für Fronteinsätze. In guten Monaten kommen für die Kämpfer so knapp 3000 Euro Sold zusammen. innert sich Cash. „Meine Lunge wurde durchstochen. Meine Leber wurde durch Schrapnell schwer beschädigt, und ich blutete innerlich.“ 34 Tage verbrachte er im Krankenhaus, doch er überlebte. Danach flog er zu seiner Familie in die USA, bevor er im Winter an die Front in der Ukraine zurückkehrte. Mittlerweile lebt er in Kiew, wo er in der Verwaltung der Legion tätig ist. H at es sich gelohnt, für die Ukraine zu kämpfen? Cash zögert keine Sekunde. „Ja“, sagt er, „und es hätte sich auch gelohnt dafür zu sterben.“ Der Amerikaner verlor auf dem Schlachtfeld mehrere Kameraden, darunter auch Björn C. Der damals 39-jährige Deutsche kam 2022 ums Leben. Er rechne zwar nicht mit einem schnellen Kriegsende, sagt Cash. Doch es könne durch die aktuelle Offensive jederzeit zu einem Kollaps der russischen Truppen kommen. Nach allem, was er vor Ort gesehen habe, sei er sich sicher: In einem konventionellen Krieg würde die Nato Russland „innerhalb von Tagen“ auseinandernehmen. Einer von den Legionären, die den Krieg hinter sich gelassen haben, ist der Deutsche Cem Adin (Nachname geändert, d. Red.). WELT AM SONNTAG besuchte den 32 Jahre alten Familienvater Anfang dieses Jahres nach seiner Rückkehr in Bayern. Adin hatte knapp ein Jahr in der Ukraine verbracht. Er war etwa bei Butscha im Einsatz, als dort Spuren russischer Massaker entdeckt wurden. Und er kämpfte Monate an der Front, auch in Bachmut, wo er verletzt wurde. Auch Adin sagt, er bereue nichts. Denn er habe die Anerkennung der ukrainischen Zivilbevölkerung gespürt. Er wisse zwar, dass er Putins Truppen nicht aus dem Land jagen konnte. Aber er konnte helfen. Die Zerstörung, das Leid und der Anblick von so vielen Toten hätten ihn verändert. „Irgendwann nimmt es dir deine ganzen Gefühle.“ T Den Weg des Deutschen Cem Adin als Kämpfer in der Ukraine hat unser Reporter über Monate begleitet. Daraus entstand ein fünfteiliger Podcast: www.welt.de/podcasts/dicht-dran Erschöpfte Legionäre Freiwillige aus der ganzen Welt zogen 2022 los, um für die Ukraine zu kämpfen. Heute ist die Euphorie verflogen – und die Truppe dezimiert Der Deutsche Cem Adin, hier an der Front, war vor seiner Rückkehr nach Bayern mehr als ein Jahr als Legionär für die Ukraine im Einsatz WELT Der Amerikaner „Cash“ kämpfte freiwillig für die Ukraine WELT Der militärische Wert der Internationalen Legion sei schwer einzuschätzen, sagt Niklas Masuhr, Militäranalyst des Center for Security Studies an der ETH Zürich: „Politisch spielen Freiwilligengruppen natürlich eine Rolle, um die Ukraine als ‚Vorposten‘ gegen Russland darzustellen, also, dass nicht nur die Ukraine selbst verteidigt wird. Georgische und tschetschenische Einheiten beispielsweise unterstreichen die ukrainische Haltung, dass es sich auch um einen anti-imperialen Krieg handelt.“ Doch die Euphorie der Anfangsmonate ist unter den ausländischen Kämpfern verflogen. Das berichten ehemalige und aktive Mitglieder übereinstimmend in Gesprächen mit WELT AM SONNTAG. 16 Monate Krieg haben zu hohen Verlusten innerhalb der Legion geführt, was auch daran liegt, dass ihre Einheiten häufig in schwer umkämpften Frontregionen wie in Bachmut im Einsatz waren. Es sind aber nicht nur getötete und verwundete Soldaten, die den Freiwilligenverband dezimiert haben. Einige Legionäre haben ihren Vertrag gebrochen und sind in ihre Heimat zurückgekehrt – manche auch nur für ein paar Wochen Urlaub. Auf Missstände in Teilen der Legion deutete im vergangenen Sommer eine Recherche der ukrainischen Onlineplattform „Kyiv Independent“ hin. Einzelnen Kommandeuren wurde Machtmissbrauch und Diebstahl vorgeworfen. Zudem gaben Legionäre an, dass manche Einheiten an der Front – unter anderem beim Kampf um die Stadt Sjewjerodonezk – durch Himmelfahrtkommandos verheizt worden seien. Ausländische Kämpfer, die WELT AM SONNTAG sprach, berichteten von fehlender Ausrüstung wie Nachtsichtgeräten und Chaos innerhalb der Legion. Aber sie erinnern sich auch an schöne Momente, die bleiben. C ash, der amerikanische Kämpfer, reiste im April 2022 in die Ukraine ein. Der ehemalige Geschichtsstudent sagt, er hätte viel über freiwillige Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg gelesen. Und er brachte als Veteran des Irak-Krieges die militärische Erfahrung mit, die für den Eintritt in die Legion gefordert war. Als Selenskyj nach Beginn von Russlands Invasion deren Gründung bekanntgab, sei der Entschluss gefallen: „Ich wusste sofort, dass ich das machen werde“, sagt Cash, dessen Onkel und Großvater bereits im USMilitär gedient hatten. Seine Entscheidung, an eine Front zurückzukehren, wirkt im Kontext seiner Biographie überraschend. Denn Cash spricht reflektiert und ernüchtert über seinen Einsatz im Irak. Er war 20, als er dort im vierten Kriegsjahr ankam. Manche Momente beschäftigten ihn bis heute. Einmal habe ein Kamerad ohne Warnschuss „unnötigerweise zwei Zivilisten getötet“, die sich ihrer Stellung genähert hatten. „Heute ist klar, dass der Krieg nicht notwendig, und dass er weder legal noch moralisch war“, sagt Cash. 2011 verließ er das US-Militär. Nach der Ankunft in der Ukraine 2022 kam Cash als Scharfschütze in ein Platoon, bestehend aus rund 20 Soldaten. Unter ihnen Amerikaner, Briten und Polen. In ihrer Truppe habe jeder Englisch gesprochen. Cashs erster Einsatz führte in den Nordosten an einen Frontabschnitt in der Region Charkiw. Schon bald wurde sein Team durch russische Truppen bombardiert. Nach dem ersten Todesfall hätten fünf Legionäre sofort die Heimreise angetreten. Nicht ungewöhnlich, sagt Cash. Manche hätten keine Vorstellung davon, was Krieg wirklich bedeutet. Seinen Decknamen hat er von Kameraden in Anlehnung an den Musiker Johnny Cash erhalten, dessen Songs er gerne auf seiner Gitarre spielt. Bereits im Frühsommer 2022 übernahm Cash das Kommando einer Einheit. Wochen später, am 1. Juli, kam der Tag, an dem er fast sein Leben verlor. Auf seinem Handy zeigt der Amerikaner ein Drohnenvideo der Attacke, das russische Propagandakanäle veröffentlicht haben. Es zeigt, wie Raketen in Häuser eines ukrainischen Dorfes einschlagen. Bei der Explosion habe er ohne Schutzausrüstung in der Küche gestanden, er16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 * POLITIK 9 Ist der Nahe Osten noch zu retten? Jetzt im Buchhandel shop.kohlhammer.de Der ehemalige ARD-Korrespondent Jörg Armbruster kennt den Nahen Osten wie kaum ein zweiter. In seinem neuen Buch schildert er die aktuellen Probleme der Region und führt sie auf Entscheidungen der Kolonialzeit zurück. Dabei stehen in seiner Darstellung stets Einzelschicksale im Zentrum, deren Erlebnisse er jeweils an den Anfang der acht Kapitel stellt. Dadurch entsteht eine ungemein lebensnahe Skizze von Land und Leuten, die den Leser in ihren Bann schlägt. ANZEIGE D ieses Gespräch hätten Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und der ukrainische Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko natürlich auch bequem in Berlin-Mitte führen können. Aber die 90-minütige Diskussion über Krieg, Frieden und das, was seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor über 500 Tagen jetzt richtig oder falsch ist, findet nicht im deutschen Regierungsviertel statt. Sondern am Freitagabend in Chemnitz, ehemals KarlMarx-Stadt. VON CLAUS CHRISTIAN MALZAHN Mehr Ostdröhnung geht kaum in Deutschland. Seit den rechtsextremen Krawallen im Sommer 2018 steht die Stadt im Ruf, die Schmuddelecke Sachsens zu sein. Vielleicht gerade deshalb lädt die regionale Tageszeitung „Freie Presse“ regelmäßig Politgrößen aus Berlin zum Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern. Im Herbst 2018 war etwa Angela Merkel da, rund 400 Demonstranten begrüßten sie damals mit: „Hau ab, hau ab!“ Aufrufe, dem Besuch aus Berlin zu zeigen, er sei „unerwünscht“ in Chemnitz, gab es auch dieses Mal. Doch die Appelle der rechtsextremen Freien Sachsen verhallten weitgehend. Nur ein paar Dutzend Protestler näherten sich mit RusslandFahnen und Trommeln dem Veranstaltungszentrum „Kraftverkehr“. Über 1000 Chemnitzer hatten sich hingegen zur Diskussion angemeldet; 300 wurden ausgelost und hörten dem Boxer und der Ministerin zu. Und nein, es gab keinen Eklat. Wie sie damit umgehe, dass die Skepsis wegen des Ukraine-Krieges im Osten deutlich größer sei als im Westen, lautete die erste Frage. Die Antwort darauf hat die Außenministerin eigentlich schon mit ihrer Präsenz gegeben, denn sie weiß ja, dass der Echoraum für ihre Politik in Chemnitz ein anderer ist als etwa in Berlin, München oder Hamburg. Erst vor ein paar Stunden, bei einem Termin an der deutsch-tschechischen Grenze, sei sie als „Kriegstreiberin“ beschimpft worden, erzählt sie. Niemand schaue emotionslos auf diesen Krieg. Aber Wladimir Putin wolle die Ukraine vernichten und die europäische Friedensordnung zerstören. Ohne die deutschen Waffenlieferungen, ohne Panzer, Luftabwehr und Munition, hätte es „viel mehr Leid“ gegeben, Kiew würde heute so aussehen wie das malträtierte Butscha, sagt Baerbock. Eine Kriegstreiberin? „Niemand wollte diesen Krieg. Einer hat ihn vom Zaun gebrochen, und wir tun jeden Tag alles dafür, dass die Menschen in der Ukraine wieder in Frieden leben können.“ Es folgt freundlicher Applaus. Wladimir Klitschko, der lange in Hamburg gelebt hat, holt weit aus und erzählt vom Krieg. Der sei näher, als man hier in Deutschland glaube. Sechs Stunden entfernt „sterben jeden Tag Frauen, Kinder, Zivilisten“, sagt Klitschko, „man gewöhnt sich daran, an die Bilder, den Tod, die Explosionen“. Und dann? „Man lebt weiter.“ Klitschko bedankt sich mehrfach „beim deutschen Volk“ für die Hilfe. Wenn er berichtet, wie der Krieg sich anfühlt, wird es sehr still. Er redet lange, es stört aber niemanden, im Gegenteil. Ob sie nachts gut schlafen könne, wird Baerbock dann gefragt, eine Frage nach inneren Zweifeln. „Die Nächte, in denen ich oft nicht gut geschlafen habe, haben mich angetrieben, Entscheidungen zu treffen, die unsere gemeinsame Heimat Europa sichern“, antwortet die Ministerin etwas hölzern. Mehr Eindruck hinterlässt sie, als sie den Krieg aufs Private herunterbricht. Baerbock hat zwei Töchter, die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland sind Frauen und Kinder. Auch sie hätte als Mutter aus Kiew Hilfe der europäischen Nachbarn erwartet, sagt sie. Dann erzählt Baerbock von einem ukrainischen Flüchtlingsjungen, der sie gebeten habe, mal mit dem ukrainischen Präsidenten zu reden. „Den kennst du doch. Frag den doch mal, ob er meinen Papa wieder nach Hause schicken kann.“ Papa kämpft an der Front. Ein Chemnitzer fragt nach den Streubomben, die die USA jetzt Kiew zur Verfügung stellen. „Und was kommt danach?“ Baerbock stellt klar, dass Deutschland die Osloer Konvention zum Verbot von Streumunition unterzeichnet hat. „Das gilt für unser Land.“ Die Entscheidungen zu bewerten, die die Ukraine selbst treffe, stehe ihr nicht zu. „Das ist die Aufgabe der Menschen in der Ukraine.“ Klitschko macht es dann sehr konkret. „Waffen sollen killen“, sagt er. Und die Waffen aus Deutschland „schützen unsere Leben, den Himmel über unseren Köpfen“. Es habe lange gedauert, bis Deutschland sich dazu durchgerungen habe, „zu erkennen, wo das Böse ist“. Er meint natürlich Russland. Das sehen im Saal nicht alle so. Manchen merkt man an, dass sie mit Baerbocks und Klitschkos Erzählungen gar nicht einverstanden sind. Aber sie sagen nichts, rutschen nur etwas unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Die Mehrheit aber applaudiert, freundlich. Wie lange wird das noch dauern? Noch mal 500 Tage? Klitschko weiß es nicht, aber: „Ausdauer schlägt Klasse und Talent“, glaubt der Sportler. Putins Russland sei groß – und schwach. Und Klitschko sagt: „Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte.“ „Niemand wollte diesen Krieg“ Annalena Baerbock und Wladimir Klitschko versuchen in Chemnitz, mit besorgten Bürgern ins Gespräch zu kommen. Das klappt eher so mittel Der ehemalige Boxer und die Ministerin: Wladimir Klitschko hört Annalena Baerbock auf dem Podium zu DPA/HENDRIK SCHMIDT © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
NIEMAND mag’s mehr HEISS Die hohen Temperaturen machen den Menschen zu schaffen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will deshalb einen nationalen Hitzeschutzplan vorlegen. In vielen Nachbarländern gibt es solche Strategien schon. Aber nützen sie auch etwas? 10 POLITIK * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 Z u nichts weniger als zu einer grünen „Supermacht“ sollte Großbritannien unter Labour aufsteigen. Mit viel Pathos kündigte Parteichef Keir Starmer im vergangenen Jahr die Klimapolitik unter einer künftigen, von Labour geführten Regierung an. Die Versprechen waren groß: Klimaneutralität wolle die Partei bis 2030 erreichen, das wären 20 Jahre eher, als es die derzeit regierenden Konservativen vorsehen. VON MANDOLINE RUTKOWSKI AUS LONDON Eine Transformation von fossiler zur grünen Energie durch die eine Million Jobs geschaffen und die Energiekosten dauerhaft gesenkt würden, versprach Starmer außerdem. Und das alles, obwohl auf Öl und Gas verzichtet würde. Rund ein Jahr später ist wenig übrig geblieben vom Geist der grünen Revolution. Labour verabschiedet sich auf ziemlich leisen Sohlen von einem Kernversprechen seiner Klimapolitik. Anfang Mai musste Schatten-Schatzkanzlerin Rachel Reeves zu Kreuze kriechen, als sie einen angekündigter Investitionsplan von 28 Milliarden Pfund (32 Milliarden Euro) jährlich für grüne Jobs und Technologien, der im ersten Jahr einer Labour-Regierung in Kraft treten sollte, auf frühestens Mitte der Legislaturperiode verschob. Am vergangenen Sonntag drückte sie sich gegenüber der BBC auch davor. Man sei „zuversichtlich“, den neuen Start einzuhalten, dies hänge allerdings von der Finanzlage ab. Das sind ganz andere Worte als noch vor wenigen Monaten. Da kündigte Reeves an, „die erste grüne Schatzkanzlerin“ Großbritanniens werden zu wollen. Doch nicht nur in diesem Punkt macht die Partei einen Rückzieher. Wie der „Guardian“ Anfang Juli enthüllte, bereitet Labour sich zudem darauf vor, die zugesagte Förderung von 11,6 Milliarden Pfund (13,5 Milliarden Euro) an die weltweit ärmsten Länder, auf die sich Großbritannien auf der Klimakonferenz COP26 geeinigt hatte, nicht einzuhalten. Wie konnte das passieren? Zwar macht Reeves die Misswirtschaft der Konservativen, insbesondere während der Kurzeitpremierschaft Lizz Truss‘, für den Labour-Kurswechsel verantwortlich. Doch darin steckt nur die halbe Wahrheit. Bei Labour ist angekommen, dass viele in der Bevölkerung angesichts der hohen Inflation, des ausgetrockneten öffentlichen Dienstes und der explodierenden Lebensmittelund Wohnungspreisen andere Sorgen als den Klimaschutz haben. Und dass deshalb jede Ausgabe in diese Richtung sorgfältig gegenüber anderen akuten Krisen abgewogen werden muss. Für die Sozialisten ist die Lage angesichts der anstehenden Parlamentswahlen im kommenden Jahr heikel. Labour will die Kernwählerschaft aus Arbeitern und Gewerkschaften ansprechen, gleichzeitig aber Stimmen der jungen, klimabewussten Generation gewinnen. Momentan liegt die Partei in Umfragen rund 20 Prozentpunkte vor den Konservativen. Kommende Woche stehen Nachwahlen in drei britischen Wahlkreisen an, Labour hoft auf Erfolge. Doch in der Partei befürchten einige, dass eine zu grüne Politik diesem Ziel angesichts der aktuellen Sorgen der Bevölkerung im Weg steht. Das bekam Labour zuletzt schon zu spüren. Nachdem Parteichef Starmer verkündet hatte, im Falle eines Wahlsieges keine neuen britischen Öl- und Gasförderprojekte in der Nordsee zu gestatten, gingen Gewerkschaften auf die Barrikaden. Labours Politik sei „naiv“, kritisierte Gary Smith, Chef der Gewerkschaft GMB Union, im „Guardian“. Dem Sektor seien Tausende Jobs im Bereich erneuerbarer Energie versprochen worden, doch dies sei nie eingelöst worden. Dass ambitionierte und teure Klimaschutzpläne politisches Kapital kosten können, hat der Streit über das Gebäudeenergiegesetz in Deutschland gezeigt. In Umfragen verloren die Grünen massiv an Zuspruch und liegen derzeit laut Infratest Dimap nur noch bei 14 Prozent. Die Furcht vor einem derartigen Rückschlag ist bei Labour spürbar: „Nur ein einziger Raffineriearbeiter muss aufstehen und sagen, dass er wegen dieser Politik für die Konservativen stimmen wird, obwohl er sein Leben lang Labour gewählt hat. Dann könnte das Spiel vorbei sein“, sagte ein hochrangiges Parteimitglied gegenüber der „Times“. Deshalb besinnt sich Starmer wieder auf die Kernversprechen seiner Partei. „Gute Gewerkschaftsjobs“ stünden im Zentrum seiner grünen Politik, versicherte er jüngst in einer Rede vor Gewerkschaftsmitgliedern. Doch mit bloßen Versprechungen wird es der ParteiChef schwer haben, Schadensbegrenzung zu betreiben. Für einige Arbeiter hat die Labour-Party längst den Ruf von Klimaaktivisten, nicht zuletzt, weil Starmer und seine Partei im vergangenen Jahrzehnt rund 1,5 Millionen Pfund (1,7 Millionen Euro) Spenden von Dale Vince, dem Gründer des grünen Energieunternehmens Ecotricity und einem der größten Unterstützer der Klimaaktivistengruppe „Just Stop Oil“, erhalten haben sollen. Da hilft auch der entnervte Seufzer, „Ich hasse Ökospinner“, den der Parteichef kürzlich vor seinem Schattenkabinett ausstieß, wohl eher wenig. Heizungs-Hammer auf Englisch Die Labour-Partei hatte ehrgeizige Klima-Ziele. Doch nun fürchtet sie den Zorn der Wähler Frankreich hat seit 20 Jahren einen nationalen Hitzeplan. Der Hitzetod von über 15.000 Menschen im Extremsommer 2003 wirkte damals wie ein Weckruf. Der Plan wurde vor diesem Sommer vom Umweltminister überarbeitet. Verändert hat sich die Strategie kaum. Die Bevölkerung wird im Falle einer Hitzewelle per Kurznachricht auf dem Handy gewarnt. Es gibt Tipps, wie man sich verhalten soll. Außerdem wird über die Symptome des Hitzschlags informiert. Alle Kommunen werden angehalten, alte und gefährdete Menschen zu registrieren und sich bei hohen Temperaturen nach ihrem Befinden zu erkundigen. In Krippen, Kindergärten und Schulen werden Kälteräume eingerichtet. Brunnen und Kälteinseln in Städten werden aufgelistet. Firmen werden angehalten, Arbeitsplätze vor Sonneneinstrahlung zu schützen und zu kühlen. Tiertransporte können bei zu hohen Temperaturen verboten werden. Der Plan hat vier Stufen. Die höchste wird ausgelöst, wenn die Temperaturen über 40 Grad liegen. Beim „Plan Canicule“ können Schulen geschlossen werden. Krankenhäuser werden auf einen möglichen Patientenansturm vorbereitet. Auch der Stromversorger EDF setzt dann Sondermannschaften ein. Trotz dieser Maßnahmen sind im vergangenen Jahr über 10.000 Menschen den drei Hitzewellen zum Opfer gefallen. Während der zweiten Hitzewelle im Juli lag die Übersterblichkeit bei fast 23 Prozent. Frankreichs Hauptstadt Paris stellt sich in den nächsten Jahren auf Temperaturen von über 50 Grad ein. Aufgrund der städtischen Dichte und der wenigen Grünflächen verwandelt sich die Stadt in das, was Wissenschaftler als urban heat island bezeichnen, eine urbane Hitzeinsel, auf der die Temperaturen um drei bis sechs Grad höher liegen als in der ländlichen Umgebung. Die Kommission „Paris 50°C“ bereitet Paris auf Höchsttemperaturen wie in Sevilla vor. Es wird sogar überlegt, die traditionellen Zinkdächer weiß zu streichen. „Es geht darum, dass Paris bewohnbar bleibt in den nächsten Jahren“, sagt Dan Lert, Umweltbürgermeister von Paris. MARTINA MEISTER Lehren aus dem tödlichen Sommer Großbritannien ist längst nicht mehr die Insel der nassen Kälte. Das zeigte sich eindrücklich im Juli 2022, als erstmalig Temperaturen von über 40 Grad gemessen wurden. 2803 Hitzetote im Alter von über 65 Jahren registrierte die UK Health Security Agency (UKHSA), die für den Schutz der öffentlichen Gesundheit und die Sicherheit des Landes zuständig ist – die höchste Zahl seit 2004. Im ganzen Land wurden aufgrund der Hitze Schäden an Straßenbelägen gemeldet, landesweit brachen Waldbrände aus, die bis in die Städte vordrangen, Schulen schickten Kinder nach Hause, weil die Gebäude nicht auf die Extremhitze vorbereitet waren. Der chronisch unterfinanzierte National Health Service stieß an seine Grenzen, nach einem Jahrzehnt Austeritätspolitik der Tory-Regierung ist der öffentliche Sektor ausgetrocknet. Auch in diesem Jahr ist die Insel kaum gewappnet. Zwar hat die UKHSA im April einen Plan für den Umgang mit Extremwetter herausgegeben. Dieser spricht allerdings nur generelle Richtlinien aus. So wird Lehrern empfohlen, dass Schüler sich im Schatten aufhalten und Sonnencreme benutzen sollen. Die Regierung hat bislang auch keine spezifische Raumtemperatur festgelegt, ab der Schüler nach Hause geschickt werden oder Mitarbeiter ins Homeoffice gehen können. Die größte Neuerung ist, dass Briten künftig mithilfe eines Alarmsystems über lebensgefährliche Hitze informiert werden sollen. Klima- und Gesundheitsexperten bewerten das Regierungshandeln als unzureichend. England sei nicht darauf vorbereitet, extreme Hitzewellen zu bewältigen. MANDOLINE RUTKOWSKI Not really vorbereitet 2022 war der heißeste Sommer in Spanien seit Beginn der Messungen 1961, die hohen Temperaturen resultierten in einer Übersterblichkeit von etwa 20 Prozent. Daran änderte auch der nationale Hitzeplan nichts, den es bereits seit 2004 gibt. Er wurde als Reaktion auf einen damaligen Rekordhitzesommer aufgesetzt und sieht ein Frühwarnsystem für ganz Spanien sowie Empfehlungen über das richtige Verhalten bei Hitze vor. Seit Mai dieses Jahres gibt es außerdem ein Gesetz, das Unternehmen Hitzepausen für ihre Angestellten vorschreibt, die im Freien arbeiten und nicht anders vor den hohen Temperaturen geschützt werden können. Es ist als Reaktion auf Todesfälle im vergangenen Sommer erlassen worden. Bei der Hitzewelle waren mindestens zwei Menschen an einem Hitzschlag am Arbeitsplatz gestorben: ein Stadtreiniger in Madrid und ein Landarbeiter in Murcia im Südosten des Landes. Besondere Maßnahmen für Schulkinder sieht der Hitzeplan indes nicht vor, denn sie befinden sich von Ende Juni bis Anfang September für rund zwei Monate in den Sommerferien. VIRGINIA KIRST Que calor! In Italien unterscheidet sich das Hitzekonzept des Gesundheitsministeriums grundlegend von den deutschen Überlegungen. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Hitze bestimmt seit jeher im Sommer das Leben der meisten Italiener. Entsprechend gibt es für Schüler kein punktuelles Hitzefrei, sondern die Schulen schließen vorsorglich für drei Monate zwischen Juni und September. Ansonsten erlässt die Regierung keine Verbote, sondern versucht, durch Informationen und ein Frühwarnsystem dafür zu sorgen, dass die Bürger sich bestmöglich verhalten. So gibt es ab Mitte Mai ein Hitze-Bulletin, das für 27 Städte die Temperatur für die kommenden drei Tage in vier Kategorien von „unbedenklich“ bis „Notfall“ einteilt. Jede Kategorie hat Handlungsempfehlungen, die erwartbar sind: viel Trinken, leicht Essen, tagsüber die Sonne meiden und den Wohnraum angemessen kühlen. An dieser Vorgehensweise hat auch der Juli 2022 nichts geändert, in dem es wegen einer europaweiten Hitzewelle eine Übersterblichkeit von 20 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren gab. Einen Plan, um das Land an die Folgen des Klimawandels anzupassen, gibt es zwar, doch er wird nur punktuell befolgt und erhält kaum Aufmerksamkeit. VIRGINIA KIRST Hitze gewohnt Obwohl Schweden in Nordeuropa liegt, ist das Land auch vom Klimawandel betroffen. Die Temperatur ist um 1,7 °C gestiegen, wenn man die Zeiträume 1860–1900 mit 1991–2019 vergleicht. Der heiße Rekordsommer 2018 führte zu rund 700 zusätzlichen Todesfällen und zu einem neuen Bewusstsein für die Gefahren der hohen Temperaturen. Seitdem haben insbesondere das Sozialamt (Socialstyrelsen) und die Behörde für Zivilschutz und Bereitschaft (MSB) Leitlinien für Kommunen, Regionen und private Akteure erstellt, wie die Risiken hitzebedingter Verletzungen und Todesfälle verringert werden können. Vor allem geht es um den Schutz älterer und schwächerer Menschen. Wie so oft in Schweden stützt sich die Gesellschaft mehr auf Leitlinien und Eigenverantwortung als auf Gesetze von oben. Daher gibt es keine genauen Vorgaben, die vorschreiben, wann die Arbeit oder der Unterricht in einem Klassenzimmer unterbrochen werden muss. Gewerkschaften und Arbeitgeber müssen sich hierauf gemeinsam einigen. Ein Modell, das sich als praktisch erwiesen hat und vom Ausland sicherlich als ziemlich schwedisch wahrgenommen wird. Anfang Juni gab Sozialministerin Anna Tenje eine Pressemitteilung heraus, in der sie davor warnte, dass sich die Rekordhitze des Frühjahrs 2018 in diesem Jahr wiederholen könnte: „Es ist positiv, dass der Prozentsatz der Gemeinden mit einem Notfallplan von 67 auf 86 Prozent gestiegen ist, aber alle Gemeinden müssen vorbereitet sein. Es ist wichtig, einen Plan zu haben, und das Personal muss wissen, was zu tun ist, wenn die Hitze kommt.“ ERIK TYSELIUS Cool bleiben AFP/ALBERTO PIZZOLI MICHAL FLUDRA/NURPHOTO/GETTY IMAGES AP/BERNAT ARMANGUE AP/KIN CHEUNG ACTION PRESS/ALEXIS JUMEAU/SIPA A usreichend trinken, leicht essen, Anstrengungen vermeiden und im Schatten bleiben: Das empfehlen Mediziner, um heiße Sommertage gut zu überstehen. Aber reicht das aus angesichts neuer Hitzerekorde? Allein in Deutschland starben im vergangenen Jahr nach offiziellen Angaben rund 4500 Menschen infolge extremer Hitze, eine aktuelle Studie geht sogar von fast 8200 hitzebedingten Sterbefällen aus. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die Bundesbürger künftig besser schützen und hat seinen Entwurf für einen nationalen Hitzeschutzplan vorgestellt, der sich ausdrücklich Frankreich zum Vorbild nimmt. Das Robert-Koch-Institut erfasst jetzt während der Sommermonate erstmals wöchentlich die Übersterblichkeit durch Hitze in Deutschland. Nicht nur dieses enge Monitoring erinnert an Corona-Zeiten. Schnellen die Zahlen nach oben, können umgehend Maßnahmen ergriffen werden – bis hin zu Einschränkungen des öffentlichen Lebens. So ist es denkbar, dass etwa Sportturniere abgesagt werden müssen. Das neue Portal hitzeservice.de richtet sich speziell an Kommunen. So wird etwa empfohlen, in Städten und Gemeinden Trinkwasserbrunnen zu installieren, kühle Orte einzurichten und in einem Stadtplan auszuweisen, sowie Ärzte und Pflegekräfte zu schulen. Erste Schritte immerhin. Andere Länder sind da schon weiter. Ein Überblick. CLAUDIA EHRENSTEIN I ch habe schon besorgniserregende Unterdrückung durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) erlebt. Das jüngste Opfer ist jetzt Nathan Law: Die Hongkonger Polizei hat am 11. Juli eine Razzia bei seiner Familie durchgeführt. Die KPCh will Hongkonger Aktivisten unbedingt zum Schweigen bringen. Nicht nur in Hongkong, sondern auch im Ausland. Das Regime benutzt Familienmitglieder als Druckmittel. Die Polizei hat meine Familie schon zweimal zum Verhör vorgeladen. Außerdem hat sie mich – sowie weitere Familienmitglieder, die sich nicht in Hongkong aufhalten – vor einer Rückkehr gewarnt. Uns droht Verhaftung. Ich beschloss, die Angelegenheit öffentlich zu machen, als ein Familienmitglied im September vergangenen Jahres zum zweiten Mal vorgeladen worden war. Mir war aufgefallen, dass die Polizei in Hongkong begonnen hatte, mit Dissidenten so ähnlich umzugehen wie die Behörden auf dem chinesischen Festland. Es gab Drohnachrichten, in denen behauptet wurde, ich hätte meine Mitstreiter in Hongkong im Stich gelassen und würde in Deutschland Unruhe stiften. Die Taktik der KPCh, Andersdenkende durch Druck auf die Familie zum Schweigen zu bringen, ist alarmierend verbreitet. Indem sie unsere Familien zum Verhör vorlädt und Haftbefehle ausstellt, versucht die Partei, eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung zu schaffen. Das verletzt nicht nur unsere individuellen Rechte, sondern verstößt auch gegen Menschenrechte und das Völkerrecht. Die KPCh will die Stimmen der Freiheit ersticken, indem sie uns durch Schikanen gegen unsere Angehörigen Angst einflößt. Regierungen auf der ganzen Welt müssen sich unbedingt gegen diese grenzüberschreitende Unterdrückung stellen und gefährdete Personen wie uns schützen. Hier sind einige Maßnahmen: Örtliche Strafverfolgungsbehörden sollten Schulungen und Informationen über die Bedeutung von Fällen transnationaler Unterdrückung erhalten. Sie müssen die Werkzeuge erhalten, um solche Situationen zu erkennen und angemessen zu reagieren. Das hilft dabei, die Sicherheit der im Ausland lebenden Hongkonger Aktivisten zu gewährleisten. Staaten sollten in den zuständigen Behörden spezielle Abteilungen einrichten, um Fälle von transnationaler Unterdrückung im Auge zu haben und darauf zu reagieren. Der Einsatz von Familienmitgliedern als Druckmittel durch Peking ist eine verabscheuungswürdige Taktik, die aufgedeckt und verurteilt werden muss. Schützt uns vor Unterdrückung! VON GLACIER KWONG Glacier Kwong schreibt diese Kolumne im Wechsel mit Joshua Wong. Die beiden jungen Aktivisten aus Hongkong kämpfen gegen den wachsenden Einfluss Chinas in ihrer Heimat. Da Wong derzeit inhaftiert ist, setzt Kwong diese Kolumne einstweilen allein fort. BRIEF AUS HONGKONG © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 FORUM 11 G leich zweimal verstörende Bilder aus Essen: Erst erreichen uns Mitte Juni die Aufnahmen der massiven Auseinandersetzungen zwischen Gruppen von Migranten aus dem Libanon und aus Syrien. Während hier das staatliche Gewaltmonopol ganz grundsätzlich infrage gestellt worden ist beziehungsweise von der Polizei letztlich nur mit erheblichem Aufwand durchgesetzt werden konnte, rühren die wenige Tage später folgenden Meldungen an das staatliche Rechtsprechungsmonopol. Denn verschiedenen Berichten zufolge hat zwischen den beteiligten „Familienclans“ eine Schlichtung stattgefunden, die zumindest zur vorläufigen Beilegung der Streitigkeiten geführt haben soll. Schnell war in den Medien von „islamischen Friedensrichtern“, „Paralleljustiz“ und der „Anwendung der Scharia“ die Rede, regelmäßig verknüpft mit dem Hinweis, hier werde (so das Polizeipräsidium Essen) „der Rechtsstaat wissentlich missachtet und das rechtsstaatliche Ermittlungsverfahren massiv erschwert“. Wer verstehen will, was „Friedensrichter“ sind, muss sich dem Ursprungskontext der informellen Streitschlichtung im Nahen und Mittleren Osten zuwenden. Hier finden sich insbesondere in seit jeher herrschaftsfernen Regionen wie den Hebron-Bergen im Westjordanland, dem Libanongebirge oder den Golan-Höhen traditionelle Formen der Streitbeilegung, die als „sulh“ (arabisch für „Vertrag“) bezeichnet werden. Diese Schlichtung beruht auf Gewohnheitsrecht, das älter als der Islam sein dürfte. Sie wird nicht von religiösen Funktionären ausgeübt, sondern von Personen, die das „Amt“ des Schlichters wie das nötige Wissen in der Regel durch Abstammung vermittelt bekommen. „Sulh“ ist in dieser Form kein Gebot des islamischen religiösen Rechts und strikt von der muslimischen religiösen Gerichtsbarkeit zu trennen, die in Israel, Jordanien, dem Libanon und Syrien wohlgemerkt aufgrund staatlicher Anordnung existiert und judiziert. Dass wir es nicht mit einem „islamischen“ Phänomen zu tun haben, belegt zudem die Tatsache, dass „sulh“ auch von christlichen und anderen nicht islamischen Gruppen wie den Drusen praktiziert wird. Stellungnahmen zu „islamischen Friedensrichtern“ kommen selten ohne die bekenntnishafte Feststellung aus, „in Deutschland gelte das Grundgesetz, nicht die Scharia“. Auch hier tun einige klarstellende Hinweise not. Zumindest traditionelle „Sulh“-Schlichter wenden nicht das klassische islamische religiöse Recht, sondern Gewohnheitsrecht an (das natürlich mit dem religiösen Recht auf vielfältige Weise interagiert). Selbst wenn einzelne Schlichter sich auf religiöses Recht stützen oder dies zumindest behaupten, bleiben zwei nicht unwichtige Einsichten: Es gibt erstens nicht „die Scharia“ im Sinne eines einheitlichen und unter der Mehrzahl der Muslime konsentierten Sets von normativen Regeln. Bildlich gesprochen, haben wir es mit einem sehr überschaubaren festen Kern von im Koran niedergelegten Ge- und Verboten zu tun, den wie die Ringe des Saturn Schichten von sich verdünnenden Konsensen umgeben. Als Beispiel möge das Kopftuch genügen – nicht nur in Deutschland ist unter Musliminnen und Muslimen heftigst umstritten, ob die Verhüllung tatsächlich ein verbindliches religiöses Gebot darstellt. Diese Pluralität „der“ Scharia ist auch das eigentliche Problem ihrer Anwendung in Deutschland (wo sie sehr wohl „gilt“). Denn das deutsche Recht verweist für bestimmte Sachverhalte in seinem sogenannten Internationalen Privatrecht auf pol. Dies ist aber so zu verstehen, dass der Staat sich lediglich die verbindliche Letztentscheidung in Streitigkeiten der seiner Gewalt Unterworfenen vorbehält, die er dann – das ist die eigentliche Pointe – kraft seines Gewaltmonopols anschließend auch vollstreckt. Vorentscheidungen aller Art regelt der Staat nur dann, wenn sie letztlich auf eine solche staatliche Vollstreckbarkeit abzielen. In diesem Sinne erkennt die deutsche Rechtsordnung Schieds-, Sport-, Vereinsund Parteigerichte sowie kirchliche Gerichte an, unterwirft sie aber dem Maßstab der Grundrechte. Alle Formen der informellen Streitbeilegung, die nicht auf diese staatliche Anerkennung aus sind, sondern ihre „Schiedssprüche“ lediglich auf die Autorität des Schlichtenden stützen, werden vom deutschen Recht nicht erfasst: Sie sind nicht ausdrücklich verboten, aber auch nicht ausdrücklich erlaubt. Auf jeden Fall ist Schlichtung nicht als solche strafbar. Ein „Friedensrichter“, welcher Couleur auch immer, mag im Einzelfall die Schwelle zur Strafbarkeit überschreiten, wenn er etwa zu Falschaussagen anstiftet oder sonst den Tatbestand der Strafvereitelung nach § 258 des Strafgesetzbuches erfüllt. Seine Tätigkeit als solche können weder Polizei noch Strafjustiz ohne Weiteres unterbinden. Müssen oder sollten wir nach alledem den Essener Fall achselzuckend als Folklore verbuchen? Sicher nicht. Das Problem sind aber nicht oder nicht an erster Stelle „islamische Friedensrichter“ oder „die Scharia“. Den wunden Punkt markieren die Begriffe „Herrschaftsferne“ sowie „Familie“ (um nicht von Sippe oder „Clan“ zu sprechen). Wir haben es mit Gruppen zu tun, für die der Einzelne hinter dem durch Verwandtschaft konstituierten Kollektiv zurücktritt, wenn nicht verschwindet, und die aus ihren Herkunftsländern ein tief sitzendes Misstrauen gegen staatliche Institutionen, an wohl erster Stelle die Polizei, mitbringen. Sofern aus dieser Haltung heraus das staatliche Gewaltmonopol öffentlich infrage gestellt wird, muss der Staat dem konsequent und notfalls mit Härte begegnen. Das hat er in Essen völlig zu Recht getan. T Prof. Dr. Fabian Wittreck lehrt an der Universität Münster Öffentliches Recht und Grundlagenfächer. Er forscht zu Fragen religiösen Rechts und religiöser Gerichtsbarkeit im demokratischen Verfassungsstaat. Eine Paralleljustiz mit Berechtigung Der Staat kann Friedensrichter nicht verbieten. Solange sie sich an bestimmte Regeln halten, sind sie mit deutschem Recht durchaus kompatibel, schreibt Fabian Wittreck GASTBEITRAG DAS PROBLEM SIND NICHT AN ERSTER STELLE „ISLAMISCHE FRIEDENSRICHTER“ ODER „DIE SCHARIA“ ,, T om Cruise hat im vergangenen Jahr 100 Millionen Dollar verdient. Sagen die einschlägigen Hollywood-Ranglisten. Will Smith war demnach mit 35 Millionen dabei, Leonardo DiCaprio und Brad Pitt mit jeweils 30 Millionen. Frauen findet man erst ab unter 15 Millionen. Und jetzt also der Streik der Schauspieler. Sie wollen mehr Geld. Eine andere Statistik: Laut Tarifvertrag – Hollywood ist wahrscheinlich die am strengsten tariflich regulierte US-Industrie – liegt der Mindestlohn für Schauspieler bei 1056 Dollar pro Tag; wenn die Rolle mindestens fünf Tage Arbeit verlangt, liegt der Lohn bei 3644 Dollar pro Woche. Das Double für einen Star bringt am Abend 214 Dollar nach Hause, Hintergrundakteure (ohne Dialog) 182 Dollar. Von den 160.000 Mitgliedern der Schauspielergewerkschaft SAGAFTRA fallen mehr als 90 Prozent in diese Tag-für-Tag-Kategorie. Es ist durchaus üblich, dass zwischen ihrer letzten und ihrer nächsten Rolle Wochen oder sogar Monate liegen. Der durchschnittliche Jahresverdienst solcher Schauspieler liegt laut Gewerkschaftsangaben bei 26.276 Dollar. Nun werden wir also in den nächsten Wochen Meryl Streep und Jennifer Lawrence als Streikposten vor den Hauptquartieren von Warner Bros. und Netflix sehen. Das hat nichts damit zu tun, dass Streep ihren Verdienst (im Lauf ihrer Karriere, geschätzt: 170 Millionen) noch um ein paar Tausend Dollar steigern wollte; ihr Agent handelt ihre Gagen sowieso individuell aus. Aber sie leiht ihr Gesicht einer Sache. Das ist eine gängige Formulierung, die aber dieser Tage eine zweite, unheimliche Bedeutung bekommt. Künstliche Intelligenz kann Gesichter, Mimik, Bewegungen immer besser nachahmen. Streep und Cruise mögen dagegen noch geschützt sein oder sich ihre KI-Klone wenigstens teuer bezahlen lassen. Doch was ist mit den anderen 90 Prozent der 160.000? Seit sich vor 20 Jahren im „Herrn der Ringe“ zum ersten Mal in Massenszenen computergenerierte Krieger schlugen (letztlich ein Copy/PasteVerfahren), hat die CGI-Technik massive Fortschritte gemacht. Eigentlich bräuchte man die stummen Hintergrundschauspieler (für 182 Dollar pro Tag) bald nicht mehr. Darum geht es in diesem Streik vor allem, um den Wegfall von – sagen wir – 50 Prozent der Schauspieler-Jobs. Und deshalb geht uns Hollywood diesmal alle an. KOMMENTAR Stillstand in Hollywood von Hanns-Georg Rodek COMIC Sollte das Rauchverbot ausgeweitet werden? PRO UND CONTRA H öre ich irgendwo den Song „Ring of Fire“, habe ich Rauch in der Nase – süß nach Wildkirsche duftend. Johnny Cash und aromatisierter Pfeifentabak, das waren die Begleiter auf den langen Autofahrten in meiner Kindheit. Und deshalb wünschte ich, es hätte schon damals einen offiziellen Bann gegeben, der das Rauchen in Fahrzeugen untersagt, um „die besonders vulnerablen Personengruppen“ zu schützen, sprich Kinder und Schwangere, wie es Karl Lauterbach nun vorgeschlagen hat. Vielleicht ist heute ja allgemein bekannt, welches Gesundheitsrisiko nachweislich gerade für junge Passivraucher besteht und das von Asthma über Mittelohrentzündungen bis hin zum plötzlichen Kindstod reicht. Und vielleicht sind Raucher tatsächlich so vernünftig, dass sie zumindest alle anderen frei atmen lassen wollen, indem sie auf ihren individuellen Nikotinrausch im Auto (oder sogar zuhause) freiwillig verzichten. Doch ich hege da meine Zweifel, stimme für ein Verbot, das Frieden im Privaten stiften kann, und befolge einen Ratschlag von Johnny Cash an sich selbst: nicht Rauchen. T Die Autorin kam übers Paffen nie hinaus Ja, meint Sonja Kastilan B ahn, Flieger und Restaurants, jetzt also das Auto: Es ist durchaus folgerichtig, wie sich der Nichtraucherschutz immer neue Handlungsfelder erschließt. Respekt dafür. Respekt auch dafür, Kinder – denkt denn niemand an die Kinder?! – und schwangere Frauen als Aufhänger zu nehmen. Ist es bekanntlich ein extrem wirkungsvoller, weil: emotionsbesetzter, Hebel, Mini-Menschen und werdende Mütter vor den Karren zu spannen. Aber hält Karl Lauterbach Raucher wirklich für so rücksichtslose Wesen, dass er ihnen unterstellt, Kleinkinder und Hochschwangere vollzuqualmen, am besten noch bei geschlossenen Fenstern? In den 70ern war das vielleicht noch normal, aber wir haben 2023 und selbst Raucher, obwohl süchtig, wissen durchaus um angebrachte Rücksichtnahme. Natürlich mutet die Vorstellung, wie pflichtbewusste Polizisten Frauen, nicht so rankenschlank, bei einem Verdacht verdruckst fragen müssen, „Sind Sie schwanger?“, lustig an. Ein ausgeweitetes Rauchverbot aber ist unsinnig. Die Impulskontrolle der Raucher funktioniert. T Der Autor ist bei mindestens einer Schachtel am Tag Nein, meint Tobias Blanken V or Kurzem waren wir in Skandinavien, und bevor wir losfuhren, ging ich noch schnell zur Bank, um ein paar Euro in Kronen zu wechseln. „Warum tust du das?“, fragte mein Sohn. „Das ist doch nicht nötig, dort benutzen sie immer nur Karten.“ Nun, als wir schließlich da waren, stellte sich heraus: Ja, man konnte fast überall und für alles mit Plastik bezahlen. Aber eben nur fast. Ich war jedenfalls am Ende froh, dass ich meine Kronen noch dabei hatte, und mein Sohn war es auch. Ein anderes Beispiel, ein Abend in einem Café in Berlin-Wannsee: Zwei Jugendliche kommen zu uns an den Tisch und fragen, ob wir Paypal haben? Und wenn ja, ob sie uns vielleicht etwas via Paypal überweisen dürfen und wir ihnen dafür ein paar Euro geben könnten? Sie haben nämlich nur ihre Handys dabei, und der Betreiber will Bargeld. Diese Jugendlichen scheinen noch nie eine Münze oder einen Geldschein bei sich gehabt zu haben. Alles in ihrem Leben ist digital, elektronisch, Plastik. Bestimmt ist das meist sehr praktisch. Aber irgendwie auch traurig. Ich persönlich liebe Bargeld. Ich sammele es sogar. Ich finde es wunderbar, eine Münze in meiner Hosentasche zu spüren, gefaltete Scheine sind schon rein ästhetisch etwas Wunderbares, und wenn sie frisch aus dem Automaten kommen, riechen sie nach Papier und Tinte. Und dann erst all die exotischen Banknoten im Ausland. Mit anderen Gesichtern, anderen Schriften, manchmal auch mit ganz vielen Nullen hinter der Zahl. Außerdem gefällt es mir, etwas zu kaufen, ohne dass meine Bank oder das Finanzamt jemals erfahren, wo und wann und was und warum. Anonym. Mit Bargeld bin ich frei, unabhängig von Handyladekabeln und Scannern. Die Mastercard dagegen heißt so, weil dort nicht mehr der Kunde der Meister ist, sondern die Karte. Trotzdem respektiere ich natürlich, wenn Sie das ganz anders sehen. Wenn Sie also kein Bargeld mehr haben möchten, schicken Sie es gern einfach an die Redaktion, für meine Sammlung. Sollte es ein ganzer Koffer voll sein, hole ich ihn auch gern ab. T Walter Rothschild ist Rabbiner und Kabarettist. An dieser Stelle antworten jede Woche Theologinnen und Theologen aus Judentum, Christentum oder Islam auf eine moralische oder theologische Alltagsfrage. Soll ich noch mit Bargeld zahlen? VON WALTER ROTHSCHILD DIE GRETCHENFRAGE das Recht ausländischer Staaten, die wiederum namentlich für erb- und familienrechtliche Fragen auf religiöse Rechtsordnungen weiterverweisen. Das gilt nicht nur für genuin muslimische Staaten, sondern auch für Indien, Israel und den Libanon. In Fällen mit „Auslandsbezug“ zu diesen Staaten müssen danach deutsche Gerichte sehr wohl religiöses Recht, also auch die Scharia (oder das im jeweiligen Land obwaltende Verständnis derselben), anwenden. Bundesdeutsche Richterinnen und Richter exekutieren hier keineswegs ungeprüft religiöses Recht, sondern messen die Ergebnisse kritisch am Maßstab der Grundrechte. Das Grundgesetz kennt zwar ein staatliches Rechtsprechungsmono- © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
F WELT AM SONNTAG ORUM NR.29 16.JULI2023 SEITE 12* Klima-Aktivisten LESER SCHREIBEN, WIR ANTWORTEN I st Deutschland nicht ein bisschen vermessen? Glauben wir im Ernst, wir könnten entlang einer China-Strategie, wie sie die Bundesregierung gerade vorgestellt hat, mit der Volksrepublik ähnlich verfahren wie mit Russland? Schnell mal wirtschaftliche Abhängigkeiten reduzieren, neue Lieferanten und Märkte suchen und dann mit einem neuen Geschäftsmodell im Rücken rote Linien für den Gegner ziehen? Im Fall Russlands hat das ganz gut funktioniert. Der russische Energieboykott hat die deutsche Wirtschaft eben nicht lahmgelegt. Unser Wachstum im vergangenen Jahr lag bei 2,0 Prozent und im ersten Quartal 2023 sogar bei 6,0 Prozent. Bei einer der größten Volkswirtschaften der Erde ist das mehr als ordentlich. Trotz Russland-Knick. Aber China hat doch eine ganz andere Dimension. Russland ist eine verkrustete Rohstoffökonomie, in der die durchschnittliche Lebenserwartung irgendwo in der Nähe unseres Rentenalters liegt. Aber China! China ist das bevölkerungsreichste Land und die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, in der Rangliste unserer Handelspartner steht es an Platz vier, die Chinesen bauen Quantencomputer und ihre eigene Weltraumstation. China ist nicht irgendwer, es ist die Macht, es ist die Zukunft. Oder? Platz vier in der Rangliste deutscher Im- und Exportpartner bedeutet gerade mal 6,2 Prozent unseres Handelsvolumens. In realen Zahlen beträgt Deutschlands ProKopf-Einkommen immer noch ein Vielfaches des chinesischen. Rechnet man die Zahl der Patente pro Kopf in Europa und den USA zusammen, dann liegen wir in Sachen Innovation immer noch um Längen vor China. Deutschland allein vergibt schon fast genauso viele Patente wie die Volksrepublik, obwohl die Regeln hierzulande deutlich strenger sind. Es hat gute Gründe, warum heute so viele deutsche Unternehmen wie seit Jahren nicht mehr erwägen, ihre China-Investments zu begrenzen oder zurückzufahren. Ein Hauptgrund: der ständige Diebstahl geistigen Eigentums in der Volksrepublik. Und ebenso hat es einen Grund, warum die Chinesen ständig Innovationen stehlen – sie brauchen sie dringender, weil sie selbst wenig davon erbringen. Der Westen hat im Vergleich zu Chinas Einparteienstaat verdammt viel Zukunft. Und das hat auch mit unserem freiheitlichen Lebensmodell zu tun. Freiheit fördert nun mal Kreativität. Wer wüsste das nicht aus eigener Erfahrung? Die Kommunistische Partei Chinas weiß es nicht. Wie auch? Vieles, was China stark erscheinen lässt, ist in Wahrheit eine Schwäche. Im Rahmen seines Investitionsprogramms Neue Seidenstraße besticht Peking weltweit korrupte Eliten von Entwicklungsländern. Das tut China nicht vor allem, weil es ein so unfassbar konkurrenzfähiges Wirtschaftsmodell anzubieten hätte, sondern unter anderem, weil es schlicht Hunger hat. Bei den chinesischen Expansionen geht es an vorderer Stelle um den Erwerb von landwirtschaftlichen Nutzflächen, weil das „Reich der Mitte“ seine Bevölkerung kaum ernähren kann. Dabei verschlechtert sich die Altersstruktur dieser 1,4 Milliarden Menschen derart rapide, dass es nicht ohne Grund heißt, China werde alt, bevor es reich wird. Dass die kommunistische Staatsführung massiv ins Internet investiert und versucht, ein möglichst abgeschlossenes chinesisches Netz zu schaffen, liegt auch daran, dass man die Bürger umfassend überwachen will. Weil man zu Recht fürchtet, dass sie in absehbarer Zukunft massenhaft revoltieren werden. Schon heute gibt es in der Volksrepublik etwa 100.000 Proteste pro Jahr, von denen aber draußen kaum jemand etwas mitbekommt. Und das soll auch so bleiben, weil sonst Chinas wahre Schwäche zutage treten würde. Xi Jinping hat seine Ära 2012 im Zeichen der Korruptionsbekämpfung begonnen. Das fördert Effizienz und Innovation. Eigentlich. Aber im Korruptionsindex von Transparency International haben sich Chinas Werte seit Xis Amtsantritt nur leicht verbessert und zwischenzeitlich auch verschlechtert. Dabei geht es bei dieser Politik nicht um simple Polizeiaktionen. Unter Xi wurden nicht weniger als zwei Millionen Funktionäre wegen Bestechlichkeit belangt. Was hier Korruptionsbekämpfung heißt, ist in Wahrheit der radikale Umbau einer zerstrittenen Kaderelite, es ist ein ständiger Kampf auf allen Ebenen. Vor allem der Vorsitzende selbst muss seine Macht absichern. Vielleicht ist Xi wirklich der mächtigste Mann der Welt, vor allem ist er aber der Mann mit den größten Problemen der Welt. Zu Recht betont die China-Strategie, dass sich Deutschland nicht von der Volksrepublik abkoppeln kann. Wir können uns nicht abwenden von einem knappen Fünftel der Menschheit und einer der großen Kulturen der Welt. Aber wir sollten aufhören, China als allmächtigen Bestimmer der Zukunft zu sehen. Unabhängigkeit von diesem Parteistaat brauchen wir auch deshalb, weil dessen Crash viel wahrscheinlicher ist, als wir glauben. Am Ende könnte Chinas Schwäche gefährlicher sein als seine Stärke. LEITARTIKEL GETTY IMAGES; MONTAGE: WELT AM SONNTAG Mit ihrer neuen Strategie sucht die Bundesregierung Abgrenzung von China. Geht das überhaupt? Klar geht das, die Volksrepublik ist schwächer, als wir glauben, meint Daniel-Dylan Böhmer Keine Angst vor PEKING Kriegsverbrechen Zu: „Streumunition für die Ukraine“, 9. Juli Sie plädieren im Sinne einer Güterabwägung dafür, die Lieferung von Streumunition an die Ukraine zu akzeptieren. Dieser Meinung kann ich mich nicht anschließen. Es kann doch wohl nicht sein, dass wegen Lieferproblemen bei Munition diese durch per UN-Konvention geächtete Streubomben ersetzt wird. Der Einsatz von Streumunition ist ein Kriegsverbrechen. Auch, wenn die Ukraine, Russland und die USA die Osloer Konvention nicht unterschrieben haben – was ich als einen Skandal empfinde –, dann enthebt das diese Staaten nicht der Verantwortung gegenüber Unbeteiligten.PAUL-HERMANN MACKES, VIERSEN Bildungspolitik Zu: „Auswischen, noch einmal schreiben“, 9. Juli Das deutsche Bildungssystem und die Bildungspolitik sind auf keinem guten Wege. Wir dürfen nicht vergessen, dass die heutigen Kinder unsere Zukunft sind. Die defizitäre Bildung tragen sie mit ins Leben. Wie sollen Menschen, die nie richtig lesen und schreiben gelernt haben, z.B. etwas komplexere Texte inhaltlich verstehen? Wie sollen sie sich informieren über größere Zusammenhänge in Politik, Wirtschaft und Weltgeschehen? Wer nie richtig lesen und schreiben gelernt hat, vermeidet dies und hat kaum Interesse daran. Ich denke, wir können uns das wirklich nicht leisten, wenn wir an unsere Demokratie denken und die wirtschaftliche Zukunft. Ich bin 1968 geboren und bin sehr froh, dass ich noch mit Füller auf Papier schreiben lernen durfte. Bei mir hat das eine große Liebe zum Buch ausgelöst. Aber offenbar nimmt die Politik bereitwillig hin, dass sich Kurzsichtigkeit, Adipositas und eine physische Unfitness immer öfter zeigt bei Kindern und jungen Menschen. Digitalisierung über alles, ist offensichtlich das Credo. Ich kann nachvollziehen, dass unsere jungen Menschen lernen sollen, mit der globalen Digitalisierung Schritt zu halten. Aber das ist nicht alles, das reicht nicht. Ich bin sehr froh, dass ich in diesen Zeiten kein Kind bin. STEPHANIE HADDENGA, HAMBURG Sanierungsfall Zu: „Zerschlagt endlich die Deutsche Bahn“, 9. Juli Die Deutsche Bahn AG ist ein Vermögen, das von den Bürgern der BRD finanziert wurde und wird. Auftrag und Zweck der Deutschen Bahn ist es, für die Bürger ein Grundangebot an Verkehrsleistungen und heute insbesondere klimaneutraler Verkehrsleistungen anzubieten. So lange die Anlagen und Fahrzeuge der DB durch den Steuerzahler unterstützt werden müssen (kostendeckende Trassenpreise sind mit dem heutigen Bestand der Anlagen marktuntauglich), verbietet sich für mich als Bürger die Ausreichung von Gewinnen an Dritte, da diese mit dem Geld der Steuerzahler ausgereicht würden. Da das Infrastrukturnetz und lange Jahre auch der Fahrzeugbestand unterfinanziert waren, ja durch den versuchten Börsengang noch geschrumpft wurden, haben wir derzeit auf deutschen Schienen weniger Gleiskilometer, dafür aber mehr Züge pro Stunde. Der Auslastungsgrad ist so hoch, dass Bauarbeiten ohne Pünktlichkeitseinbußen kaum möglich sind. Diese fehlenden Gleis-und Stellwerksanlagen führen bei fortschreitender Veralterung zu Verspätungen und Ausfällen. Durch mehr Wettbewerb auf der Schiene lassen sich diese aber nicht abstellen, sondern nur durch vermehrte Bautätigkeit zulasten der Zugdichte. INGE SEIBERT, MÜHLTAL Reichtum heute Zu: „Stressfaktor Armut“, 9. Juli Ich bin Jahrgang 1954 und wir haben kein Bürgergeld oder andere soziale Leistungen erhalten. Vater und Mutter sind „hart“ arbeiten gegangen, wir hatten kein Auto, sind weder ins Restaurant gegangen, noch in den Urlaub gefahren. Trotzdem sind wir, drei Kinder, zur Schule gegangen – und aus uns allen ist etwas geworden. Denn was wir hatten, war Zugang zu Bildung. C. MARBEL, PER MAIL Leserbriefegeben die Meinung unserer Leser wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei uns eingehen, sind wir nicht in der Lage, jede einzelne Zuschrift zu beantworten. Schreiben Sie uns unter: [email protected] LESERBRIEFE Zu: „Wie die „Letzte Generation“ mächtige Unterstützer mobilisiert“ vom 09. Juli Ich bin immer wieder neu empört, wenn ich lesen muss, wie sich Politiker verschiedener großer Bundestagsparteien, aber auch Journalisten mancher Medien, vor den Karren von Funktionären der „Letzte Generation“ spannen lassen. Die Aktivisten verstoßen bewusst gegen Recht und Ordnung und dürfen deshalb zurecht einer kriminellen Vereinigung zugeordnet werden. Das sollten verantwortungsbewusste Politiker und seriöse Journalisten bedenken, ehe sie sich zu Gesprächen mit den Rechtsbrechern entschließen, diese gar in ihrem Treiben unterstützen. MANFRED H. OBLÄNDER, KÖNIGSWINTER Lieber Herr Obländer, während viele Medien noch über die Aktionen der „Letzten Generation“ berichten, sind die Aktivisten längst in Phase zwei übergegangen. Sie vernetzen sich nachhaltig mit Entscheidern. Daran ist auch erst einmal nichts verwerflich. Wenn man nicht miteinander spricht, weiß man auch nicht, was der andere will. Problematisch wird es dann, wenn der „Letzten Generation“, die viele hundert Straftaten begangenen hat und diese Gesellschaft grundlegend verändern will, hinter den Kulissen Zusagen gemacht werden sollten. ALEXANDER DINGER, INVESTIGATIVRESSORT Fabian Wittreck:Der Staat kann Friedensrichter nicht verbieten S.11 Qualitätstest für Druckereien ©2022QUALITÄTSSTEUERUNG G efährdungen erheblichen Ausmaßes“ für die Meinungsfreiheit entstehen auch „aus den Reihen der Gesellschaft selbst durch eine moralisierende Vorzensur unerwünschter Meinungen“. Das schrieb Professor Ferdinand Kirchhof jüngst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW). Neu ist diese Feststellung nicht. Aber es lässt aufhorchen, wenn ein ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts das in der wichtigsten juristischen Fachzeitschrift anprangert. Kirchhof beklagt, dass man „immer häufiger auf den gesellschaftspolitischen ‚Missionar‘“ trifft, „der sich im Besitz der endgültigen Wahrheit weiß“ und „nur eine einzige Meinung, nämlich seine eigene“ duldet. Andersdenkende werden „in moralischer Selbstgewissheit an den Rand der Gesellschaft“ gedrängt. Diskursvermeidung wird „von interessierten Kreisen geradezu als ethische Verpflichtung verstanden, der sich jedermann beugen muss“. Zu den Mechanismen der Diskursverhinderung gehört die „political correctness“. Sie dient, wie Kirchhof ausführt, dazu, „durch Begriffsverbote gesellschaftliche Fragestellungen von vornherein zu unterbinden und so Gesprächstabus zu errichten“. Dass sie sich „wie Mehltau über die Bundesrepublik“ gelegt hat, konstatierte der bekannte Staatsrechtler Professor Ingo von Münch bereits 1999 in der NJW. Und die Tabus werden immer zahlreicher. Der große Bruder der „politischen Korrektheit“ ist die „Cancel Culture“, was sich mit Zensurkultur übersetzen lässt. Sie zielt auf die Person des Andersdenkenden. Er soll daran gehindert werden, sich frei zu äußern. Und das mit allen Mitteln: Durch Diskreditierung und Vernichtung seiner sozialen Existenz ebenso wie durch Gewalt. Aufsehen erregte dieses Vorgehen, als die Berliner Humboldt-Universität nach massivem Druck einen Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht über Geschlechterfragen absagte. Ein Einzelfall ist das nicht. So wurde kürzlich an der Universität Würzburg die Absage eines Vortrags des Psychoanalytikers Professor Bernd Ahrbeck über Transsexualität erzwungen. Dass die Öffentlichkeit das überhaupt erfuhr, ist dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zu verdanken, einem Zusammenschluss von Wissenschaftlern, der sich für die Freiheit von Forschung und Lehre einsetzt. Der Absage vorangegangen, schreibt der Verband, „war eine emotionale, konzertierte Kampagne des ‚Referat Queerfeminismus‘, der Grünen Hochschulgruppe“, eines studentischen Vertreters im Senat und anderer Personen. „Der Gastredner wurde dabei persönlich verunglimpft und diffamiert“. Durch die Identitätspolitik, die auf der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen basiert, ist die Familie der Diskurszerstörung weiter gewachsen. Dazu gehört die sogenannte „Wokeness“. Dieser aus der Vergangenheitsform des englischen Verbs „to wake“ (aufwachen) abgeleitete Begriff, beschrieb ursprünglich ein „erwachtes Bewusstsein“ für Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Mittlerweile führt sie, wie Kirchhof darlegt, zu einem „Diktat einer Minderheit“. „Nicht die Realität oder die Sorge des Äußernden um richtige Lösungen entscheiden über die Zulässigkeit von Diskussionsbeiträgen, sondern das Wohlbefinden des Zuhörers, dessen Empfindsamkeit nicht durch unerwünschte Meinungen gestört werden darf.“ Solche „moralisierende(n) Diskussionstabus gefährden die von Art. 5 GG intendierte Meinungsvielfalt in gleicher Weise wie staatliche Zensur und Aufsicht“, schreibt der ehemalige Verfassungsrichter. Anders als bei staatlichen Eingriffen helfen die Grundrechte hier nicht weiter. Auch das Zivilrecht gewährt nur selten Schutz, etwa bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen. „Abhilfe“, so Kirchhof, „kann allein aus der Gesellschaft selbst kommen, entweder durch Zivilcourage des Einzelnen oder argumentierende Gegenwehr anderer Gruppen“. Man kann nur hoffen, dass genügend Menschen den Mut dazu finden. Arnd Diringer ist Professor an der Hochschule Ludwigsburg. Die Kolumne erscheint alle 14 Tage RECHT BEHALTEN Missionare für Politik und Gesellschaft VONPROF. DR. ARND DIRINGER © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
Weltweit tauchen neue Superkeime auf, doch die einzigen Medikamente, um sie zu bekämpfen, werden knapp: Antibiotika. Der Alltag spezialisierter Ärzte in der Uniklinik Leipzig zeigt, warum Experten eine globale Katastrophe befürchten. Lässt sie sich aufhalten? Von Anja Ettel und Marc Neller, Fotos: Marlene Gawrisch NOTAUFNAHME „Monatelang nur Schmerzen“: Patient Michael Ulbricht kam mit einer seltenen Pilzinfektion auf eine Spezialstation der Leipziger Universitätsklinik WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SEITE 13 * THEMA © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
14 THEMA * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 Die Morgensonne drückt schon schwer auf die Leipziger Innenstadt, als auf Station B2.1 der Universitätsklinik, einem Ort für komplizierte Fälle, eine zierliche Frau in einen gelben Gummikittel schlüpft. Auf dem Linoleumboden tanzen Lichtreflexe, die roten Digitalziffern der Stationsuhr zeigen sieben Minuten nach neun. Amrei von Braun desinfiziert ihre Hände, kontrolliert den Sitz ihrer Schutzmaske, dann betritt sie das Zimmer 2176. Ein Mann mit kahlem Kopf und offenem Kurzarmhemd sitzt an einem kleinen quadratischen Tisch, ein dunkler Schemen vor einem großen Panoramafenster. Vor ihm steht ein aufgeklappter Tabletcomputer. Daneben liegt eine Plastikschachtel mit durchsichtigem Deckel, gefüllt mit Tabletten. „Guten Morgen, Herr Ulbricht. Wie geht es Ihnen?“ „Ach, Frau Doktor, Sie wissen ja.“ Michael Ulbricht ist ein kräftiger Mann von 68 Jahren, Installateurmeister in Rente. Er lebt in einem kleinen Ort im Erzgebirge und liebt große Reisen. Nach einer Safari in Südafrika ist das Zimmer 2176, gerade groß genug für Bett und Tisch, seit dem Frühjahr alles, was er noch von der Welt sieht. Ein seltener Pilz hat sich in seiner Wirbelsäule eingenistet, Candida auris. Er hat angefangen, Ulbrichts Knochen zu zersetzen. Als Ulbricht in die Klinik kam, hatte er so starke Rückenschmerzen, dass er nicht mehr ohne Hilfe aufstehen und nur noch mit einem Rollator laufen konnte. Inzwischen haben die Ärzte ihn operiert, befallenes Gewebe herausgeschnitten wie einen Tumor und seine Wirbelsäule mit Stäben aus Titan stabilisiert, damit sie nicht bricht. Seither liegt Ulbricht in einem Einzelzimmer, isoliert vom Rest der Station. In seinem rechten Unterarm steckt ein Katheter, über den ein Medikament in seine Venen fließt. Der Pilz wuchs trotzdem weiter. In Ulbrichts Pillenschachtel liegen deshalb neue Tabletten, groß, weiß und länglich, Voriconazol. Sie sind ein weiterer Versuch seiner Ärzte, eine Wette gegen den Tod. Ulbricht sagt, er wache morgens endlich ohne Schmerzen auf, das kenne er kaum noch. Er kommt allein aus dem Bett, allein zur Toilette. Die Tablette habe vorerst geholfen, Ulbrichts Leben zu retten, sagen seine Ärzte. Candida auris wurde erstmals in Japan entdeckt. In Deutschland sind bisher zwei Dutzend Infektionen gemeldet. Allerdings weiß man aus anderen Teilen der Welt, dass mindestens jeder dritte Patient stirbt, oft an einer Sepsis, da der Pilz auch die Organe und den Blutkreislauf befallen kann. Michael Ulbricht und seine Infektion sind ein Grund, warum Ärzte wie Amrei von Braun und ihre Kollegen, warum etliche Kliniken in Deutschland mit spezialisierten Stationen zu einer Art Frühwarnsystem für eine Katastrophe geworden sind, die sich schleichend anbahnt. Rund um den Erdball treten vermehrt Bakterien, Pilze und andere Erreger auf, die schwere Infektionen auslösen. Und Medizinern gehen zunehmend die Möglichkeiten aus, sie gezielt zu bekämpfen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt derzeit rund 500 Medikamente als nicht lieferbar, ein Großteil davon wird in China und Indien hergestellt. Auf der Liste stehen etliche Arzneien, die für Patienten lebenswichtig sind, Blutdrucksenker, Krebsmittel, Antibiotika. Im Fall der Antibiotika ist die Lage besonders dramatisch. Viele Keime werden zunehmend resistent gegen gängige, jahrzehntelang wirksame Medikamente. Und neuartige Präparate sind nicht in Sicht. Die Weltgesundheitsorganisation, kurz WHO, warnt vor einer „globalen Bedrohung“ für die öffentliche Gesundheit und die Wirtschaft. Schon jetzt sterben nach ihren Schätzungen jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen, weil Antibiotika ihre Infektionen nicht mehr aufhalten. „Sie vertragen Ihr neues Medikament ja ganz gut“, sagt Amrei von Braun. Michael Ulbricht nickt. Anfangs bekam er gegen seinen Pilz eine Injektionslösung, Anidulafungin, einmal täglich 100 Milligramm. Nun schluckt er außerdem morgens und abends eine Tablette, die unter anderem die Leber schwer schädigen kann. Sein Körper scheint bisher damit zurechtzukommen. Seine Ärzte sagen, das sei erst einmal ein großes Glück. An einem Mittwochmorgen derselben Woche sitzen sie, nur ein paar Türen von Ulbrichts Zimmer entfernt, mit Spezialisten mehrerer Fachabteilungen in einem abgedunkelten Besprechungsraum, an einem Halbkreis aus hellen Holztischen. Sechs Ärztinnen und Ärzte, ein Mikrobiologe, eine Apothekerin, ein Student. Sie richten ihre Blicke auf einen Bildschirm, der groß wie eine Schultafel an der Stirnseite des Raums hängt. Darauf begutachten sie Fotos und Krankenakten von gut zwei Dutzend Patienten, die mit schweren Verletzungen zu ihnen gekommen waren. Sie sehen zerfetzte Beine; aufgedunsene und blau verfärbte Füße; eiternde Krater in menschlichem Fleisch. Wunden, die sich infiziert haben und nun befallen sind von Keimen. Eine Frau Ende 40, in eine Glasscherbe getreten. Eine Mopedfahrerin, 17, von einem Auto gerammt, der rechte Knöchel zertrümmert. Ein Taxifahrer, 69, nach einem Unfall nur Knochen und rohes Fleisch, wo einmal ein Unterschenkel war. Die Ärzte diskutieren Verläufe, die mögliche Medikation und die Frage, welche Gliedmaßen sie eventuell amputieren müssen. Sie sprechen auch über Michael Ulbricht und seinen Pilz. Sie sagen, dass sie den Erreger nicht ganz im Griff haben. Die Daten aus den USA legen nahe, dass es den Kollegen in anderen Teilen der Welt ähnlich ergeht. Dort verbreitet sich Candida auris rasant, die Zahl der Infektionen verdoppelt sich von Jahr zu Jahr. Die offiziellen Fallzahlen, rund 4000 Patienten, sind noch vergleichsweise gering, trotzdem stufen die Gesundheitsbehörden den Pilz längst als „dringliche Bedrohung“ ein. Auch die Weltgesundheitsorganisation wertet ihn als einen von vier Erregern der dringlichsten Klasse. Nach der Fallkonferenz in der Leipziger Klinik sagt einer der Chefärzte, keine der besprochenen Krankengeschichten sei ein normaler Fall. Es handele sich durchweg um Infektionen, die mit schweren oder schwersten Komplikationen einhergingen. Keine sei mehr mit nur einem Antibiotikum behandelbar wie eben noch üblich. „Seit etwa zwei Jahren wissen selbst wir hoch spezialisierten Ärzte manchmal nicht mehr, was wir unseren Patienten noch geben können“, sagt er. Seine Kollegen, auch in anderen Krankenhäusern, erzählen von den gleichen Problemen. Sie hätten zunehmend mit Fällen zu tun, für die es kaum erprobte Therapien und keine Leitlinien gebe. Oft seien ihre eigenen Erfahrungen mit lebensgefährlichen Infektionen alles, woran sie sich halten könnten. Außerdem setzten sie notgedrungen Reserveantibiotika ein, die sie aufgrund der heftigen Nebenwirkungen mit Chemotherapien vergleichen. Die seien zwar sehr wirksam, trotzdem riskierten die Ärzte, dass ein Patient sein Gehör verliere oder seine Nieren schweren Schaden nähmen, um sein Leben zu retten. Und im Keller der Leipziger Klinik, einem lagerhallengroßen Raum mit Metallregalen, einem Förderband und Medikamentenpackungen in allen Größen und Farben, klagt die Leiterin der hauseigenen Apotheke, es werde fast täglich komplizierter, alles verfügbar zu halten, was die Ärzte auf den Stationen benötigten. Das beginne mit Fiebersäften für Kinder. Von Arzneien, die bei schweren Infektionen nötig seien, wolle sie gar nicht reden. Wenn man Fachleute nach den Gründen fragt, Ärzte oder Forscher, Manager der Pharmaindustrie oder Gesundheitspolitiker, dann gleichen sich ihre Antworten. Viele Hausärzte verschrieben zu häufig und zu früh Antibiotika, sagen sie. Auch gegen harmlose Infekte. Sie verweisen auf gut gesicherte Daten, denen zufolge Landwirtschaftsbetriebe und Tierärzte einen erheblichen Teil aller für den Menschen verfügbaren Antibiotika massenhaft an Hühner, Rinder und Schweine verfüttern. So gelangten die Wirkstoffe in Böden, Gewässer und Nahrungsmittel. Sie erzählen, dass besonders in der Zeit mit Corona in vielen Ländern deutlich mehr Antibiotika verschrieben und eingenommen wurden als üblich, aus Angst vor Folgeinfektionen. Sie berichten außerdem von Supererregern, die zunehmend in Asien, im Nahen Osten und Südosteuropa zu beobachten seien. Manche entstünden in Kliniken mit schlechten hygienischen Bedingungen. Andere dadurch, dass in manchen Ländern Antibiotika rezeptfrei in der Apotheke zu kaufen seien und viel zu oft eingenommen würden, ohne medizinischen Grund. Und wieder andere, weil Pharmafabriken die Abwässer ihrer Antibiotikaproduktion ungeklärt in Flüsse und Seen leiteten. All das habe dazu geführt, dass selbst gut bekannte und eigentlich gut behandelbare Bakterien zunehmend zu Blutvergiftungen führten und Menschen stürben. Das gelte ganz ähnlich auch für Pilze. Viele Erreger hätten sich durch den ständigen Kontakt mit den Wirkstoffen besser und besser daran gewöhnt, sodass viele Medikamente ihnen nichts mehr anhaben können. So würden sie dem Menschen zunehmend gefährlich. In ihrem Erdgeschossbüro der Leipziger Uniklinik vergleichen Amrei von Braun, Ulbrichts Ärztin, und ihr Chef, der Infektiologe Christoph Lübbert, die Lage deshalb mit einer grimmschen Kindergeschichte, dem Wettlauf von Hase und Igel. Die Erreger seien geschickt und schnell, der Mensch langsam. Wie Mediziner in aller Welt wünschen sie sich deshalb dringend neue, innovative Antibiotika. V iele Ärzte und Wissenschaftler erinnern wehmütig an drei Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts, die sie die goldene Ära der Forschung und der Industrie nennen. Im Sommer 1928 fuhr ein schottischer Bakteriologe mit buschigen Augenbrauen und grimmig heruntergezogenen Mundwinkeln in den Urlaub. Auf seinem Labortisch vergaß er eine offene Petrischale, in der er den Krankheitserreger Staphylococcus aureus gezüchtet hatte. Als er zurückkam, hatte eine winzige Menge grüner Schimmelpilze die Bakterien zerstört. Alexander Fleming versuchte, die bakterientötende Substanz aus dem Schimmel zu extrahieren. So entdeckte er Penicillin. Zehn Jahre später gelang es britischen Chemikern, aus dem Stoffgemisch des Schimmelpilzes eine medizinisch wirksame Substanz zu isolieren. Im Jahr 1942 wurde Penicillin erstmals industriell hergestellt. Nach und nach fanden Wissenschaftler in Pilzkulturen und Bakterienkulturen Tausende Substanzen mit antibiotischer Wirkung. Die meisten heute bekannten Antibiotikaklassen kamen bis Ende der Sechzigerjahre auf den Markt. Es gibt heute einige wichtige Gruppen von Antibiotika, darunter Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme und Fluorchinolone. Manche Wirkstoffe töten Keime einfach ab. Andere hemmen an verschiedenen Stellen den Stoffwechsel von Bakterien, so verhindern sie, dass diese sich vermehren. Da die Zellen von Bakterien anders aufgebaut sind als menschliche, sind die meisten Wirkstoffe für den Menschen weitgehend ungefährlich. Die Wissenschaftler und Forschungsabteilungen der Pharmaindustrie haben damals in rund drei Jahrzehnten die moderne Medizin revolutioniert. Ihre Antibiotika haben aus schwersten Erkrankungen behandelbare Probleme gemacht, aus Wundbrand, Tuberkulose und Hirnhautentzündungen beispielsweise. Viele Krebstherapien und Transplantationen wären heute ohne Antibiotika undenkbar. Die Medikamente haben dazu beigetragen, die Lebenserwartung des Menschen um gut 20 Jahre zu verlängern. Deutsche Konzerne wie Bayer und Hoechst waren wesentlich daran beteiligt. Danach stellte die Branche ihre Anstrengungen ein. Heute weiß man, dass die Hersteller und auch die Politiker sich nach den Erfolgen jener Zeit zu sicher waren. D DIE MEISTEN MENSCHEN WELTWEIT STERBEN AN POTENZIELL VERMEIDBAREN INFEKTIONEN CHRISTOPH LÜBBERT Chefarzt der Abteilung Infektiologie, Uniklinik Leipzig ,, 3 4 1 2 © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 * THEMA 15 L eider kamen seither nicht mehr viele Wirkstoffe auf den Markt, vor allem keine innovativen“, sagt eine schmale Frau, die in einem weißen Schutzkittel steckt, die Hände in hellblauen Gummihandschuhen, im Gesicht trägt sie eine klobige Schutzbrille. Anna Hirsch streift durch ein würfelförmiges weißes Gebäude am Stadtrand Saarbrückens, durch Labore mit Glaskolben und Petrischalen, Brütern und Hochpräzisionswagen. Hirsch, Anfang 40, ist Chemikerin. Sie hat in Cambridge, England, studiert, am Massachusetts Institute of Technology, promoviert an der ETH Zürich, alles in der Wissenschaftswelt bewunderte Elitehochschulen. Sie hat sich auf antiinfektiöse Wirkstoffe spezialisiert, also Antibiotika. Seit sechs Jahren leitet sie im HelmholtzInstitut für Pharmazeutische Forschung, Sitz auf dem Campus der Universität Saarbrücken, eine Forschungsgruppe aus mehr als 30 Leuten. Diese Frauen und Männer gehören einem überschaubaren Zirkel von Wissenschaftlern an, die noch nach neuen Wirkstoffen fahnden, unter anderem gegen resistente Keime. Sie sind damit die letzte Reserve der globalen Antibiotikaforschung. Die führenden Pharmakonzerne in den USA und Europa konzentrieren sich längst auf andere Geschäftsfelder. Sie haben Sparten und Werke verkauft, Abteilungen geschlossen, denen sie die Erfindung ihrer Antibiotika verdankten. Sie setzen ihre Wissenschaftler auf die Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs, Alzheimer oder Diabetes an, die ein Zigfaches an Umsätzen und Gewinnen versprechen. Das Problem ist, dass Ärzte zwar dringend Antibiotika brauchen, für viele Millionen Menschen. Allerdings helfen ihnen in der aktuellen Krise vor allem solche Wirkstoffe, die möglichst gezielt einen bestimmten Keim angreifen. Die zudem so effektiv sind, dass die Patienten sie nur kurze Zeit nehmen müssen. Es verringert das Risiko, dass die Erreger sich an die Medikamente gewöhnen. Das bedeutet, die Welt braucht etwas, das so ziemlich allen Regeln der Marktwirtschaft widerspricht. Aus Sicht der Pharmakonzerne bedeuten solche Arzneimittel Forschungskosten in Milliardenhöhe. Und das für Medikamente, die sich jeweils nur in vergleichsweise kleiner Stückzahl verkaufen lassen. Also gibt es in Europa praktisch keine Fabriken mehr, die Antibiotika herstellen, die meisten stehen in China oder Indien. Auch dort produzieren nahezu ausschließlich die Hersteller von Generika. All das hat dazu geführt, dass es seit Jahrzehnten fast nur noch Nachahmerprodukte der alten Medikamente gibt. Die großen Hersteller veröffentlichen heute auf ihren Internetseiten, an welchen Medikamenten sie arbeiten. Es sind nur selten Antibiotika darunter. Der Manager eines der größten Pharmakonzerne der Welt sagt im vertraulichen Gespräch, in nächster Zeit werde wohl kein einziges Mittel auf den Markt kommen, das in der gegenwärtigen Krise wirklich helfe. Die wenigen kleinen Firmen, die es gibt, haben Schwierigkeiten, Investoren zu finden. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt die Lage ähnlich ein. „Wenn sich Institute wie unseres nicht darum kümmern, wer dann?“, fragt Anna Hirsch in ihrem Labor auf dem Saarbrücker Campus. Aus einem Raum hinter ihr, düster und kaum größer als eine Vorratskammer, dringen das Geklappere von Glas und ein schwerer Geruch wie nach einem Regen im Wald ins Labor. Der Geruch kommt von Bakterien, die die Forscher für ihre Versuche vorbereiten. Ein Teil der Saarbrücker Wissenschaftler nutzt das Vorgehen der goldenen Ära und kombiniert es mit neuen chemischen Verfahren und moderner Technik. Einige der großen Antibiotikaklassen fanden Forscher früher in Bodenorganismen. Also suchen Kollegen an Hirschs Institut ihre Proben gern in Biosphärenreservaten, auf deren Böden sie besonders viele Bakterien und Pilze vermuten. Sie begutachten Hunderte davon in Petrischalen, prüfen, welche eine antibakterielle Wirkung haben. Diese züchten sie und isolieren daraus jene Stoffe, die ihnen hoffnungsvoll erscheinen. Anschließend machen sie aufwendige Versuchsreihen. So erfahren sie, ob es eine neue Hoffnung gibt, die Basis für einen neuen Wirkstoff. Hirsch und ihre Gruppe dagegen spielen eine Art digitales Puzzle. Sie suchen nach Stoffen, die sie passgenau an die wichtigen Bausteine eines Bakteriums andocken können. So wollen sie es unschädlich machen oder töten. Dafür nehmen sie, auch mithilfe von Computerprogrammen, unzählige biochemische Analysen vor, untersuchen Größe und Eigenschaften möglicher Andockstellen. Mit möglichen Wirkstoffen verfahren sie ähnlich. Die Forscher nutzen dafür neuartige Verfahren und hochempfindliche Messgeräte. Manche dieser Geräte sehen aus wie wuchtige, silberglänzende Stereoanlagentürme und sind so präzise, dass sie die Zuckermenge eines einzigen Würfels im Bodensee nachweisen könnten. Am Ende testen die Wissenschaftler die Wirkung der Substanzen, die sie für aussichtsreich halten. Sie nutzen dafür die Larven von Zebrafischen, die sie zu Tausenden in einem möglichst sterilen Raum ohne Tageslicht züchten, im Erdgeschoss des weißen Kubus. Der Stoffwechsel der Fischlarven ähnelt dem des Menschen. So tasten sich die Forscher an Antworten auf die Frage heran, ob ein Patient ihre Wirkstoffe vertragen würde, wie lange sie sich im Körper halten, wie lange sie wirken. An diesem Großversuch arbeitet Hirschs Institut mit einigen Partnern. Im Moment, sagt Hirsch, hätten sie etwa zehn ernsthafte Kandidaten, die ihnen Hoffnung machten. Wenn sich diese Einschätzung in den nächsten Monaten bewahrheitet, müssen die Saarbrücker Wissenschaftler ein Pharmaunternehmen finden, das ihre Erkenntnisse umsetzt. Einen Wirkstoff testet, der möglichst die drei Stufen der Zulassung durchläuft. Eine Faustregel der Branche besagt, dass die Entwicklung eines neuen Medikaments bis zu zwei Milliarden Euro kostet. In der Regel dauert es zehn bis 15 Jahre, bis es auf den Markt kommt. Allerdings gelingen nur fünf von 100 Versuchen. Es sei deshalb schwierig, die Hersteller zu überzeugen, sagt Hirsch. Das Risiko zu scheitern ist das eine. Dazu kommt, dass die Krankenkassen nicht viel Geld für Antibiotika bezahlen. 1. Flur der Uniklinik Leipzig 2. Ärztin Amrei von Braun 3. Infektiologe Christoph Lübbert 4. Die Spezialisten mehrerer Stationen begutachten Fälle mit schweren Infektionen 5. Forscherin Anna Hirsch 6. Fischlarven für die Tests mit Wirkstoffen 7. Messgeräte im Labor 8. Regale mit Schüttelkolben für Bakterienproben 5 6 7 8 © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. 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16 THEMA * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 Die Wissenschaft, sagt Hirsch, könne den Mangel deshalb unmöglich ohne die Hilfe der Pharmaindustrie und der Politiker beheben. I n Zimmer 2176 der Uniklinik Leipzig bespricht die Ärztin von Braun mit Michael Ulbricht, wie seine nächsten Wochen aussehen können. Am Mittag sind sie zu einem Videotelefonat mit seiner Lebensgefährtin verabredet, einer früheren Schuldirektorin. Ulbricht hat ihr Gesicht in den vergangenen Wochen meist nur auf seinem Tabletcomputer gesehen. „Wir wollen Sie ja möglichst wieder entlassen“, sagt die Ärztin. „Das klingt gut“, sagt Ulbricht. Ein dünnes Lächeln zieht die Haut um seine wasserblauen Augen in Falten. In wenigen Wochen hat er Geburtstag, den würde er gern mit seiner Freundin und seiner Tochter feiern. Aber es gibt Fragen zu klären, an denen sein Leben hängt. Nur eines seiner beiden Antibiotika ist eine Tablette, die er jederzeit schlucken kann. Das zweite Mittel muss weiterhin durch den Katheter in seinem Arm in seinen Blutkreislauf gepumpt werden. Der Zugang muss steril bleiben, darf sich nicht entzünden. Also braucht Ulbricht eine erfahrene Krankenschwester oder einen Arzt. Und wer zieht die Fäden der Operationsnarbe am Rücken? Und wer kontrolliert regelmäßig Ulbrichts Blutwerte und Leberwerte? Und wer die Wirbelsäule und den Pilz und in welchen Abständen? Der Pilz ist die größte Sorge von Ulbrichts Ärzten, sein Alter und die Vorgeschichte des Patienten machen die Sache nicht einfacher. Auf Michael Ulbrichts Brustbein zieht sich ein langer, rosa glänzender Strich vom Hals abwärts. Die Narbe einer schweren Herzoperation vor zwei Jahren, Bypass. Im vergangenen Sommer flog Ulbricht, gerade erholt, mit seiner Lebensgefährtin nach Südafrika, drei Wochen Safari. Am letzten Tag bekam er heftigen Schüttelfrost, wenig später lag er in einem Johannesburger Krankenhaus. Salmonellenvergiftung, Organversagen, Koma. Drei Wochen lang war er dem Tod näher als dem Leben. So erzählt er es, so haben es die Ärzte in Leipzig aus seiner Akte erfahren. Sie sind sicher, dass Ulbricht sich in jenem Urlaub mit Candida auris infiziert hat, möglicherweise im Krankenhaus. Der Pilz ist in den Kliniken Südafrikas keine Seltenheit wie in Europa. In jedem Fall hat er einen Mann mit stark geschwächtem Immunsystem befallen. Jede neue Infektion bedeutet für Ulbricht die Gefahr einer Blutvergiftung, eine lebensgefährliche Bedrohung. Die Ärzte der Klinik sind jeden Tag mit ihren Patienten in Kontakt, mit vielen Erregern. Manche gelangen in ihren Körper, aber sie erkranken nicht daran. Ihre Immunabwehr schützt sie. Zudem tragen sie Schutzkleidung, desinfizieren ihre Hände und benutzen Nasensalben, damit möglichst keine Erreger über ihre Schleimhäute oder ihr Blut in ihren Körper eindringen. Viele ihrer Patienten haben den natürlichen Schutz ihres Immunsystems nicht mehr. Aufgrund ihres Alters, schwerer Erkrankungen oder Verletzungen, Operationen. Solche Patienten sind für einen Keim perfekte Opfer. In geschwächten Körpern kann er sich schnell vermehren, wenn kein Medikament ihn daran hindert. Zur Wahrheit gehört außerdem, dass die Ärzte vor allem in Krankenhäusern oft nicht alles wissen, was sie wissen müssten, um Patienten wie Ulbricht von Anfang an möglichst gezielt zu behandeln. Amrei von Braun, Christoph Lübbert und andere Ärzte der Leipziger Klinik erzählen, dass sie praktisch nie die ganze Krankengeschichte kennen, Impfungen, Vorerkrankungen, Details bisheriger Behandlungen. Vor allem wüssten sie selten, welche Antibiotika ein Patient schon einmal bekommen habe, wie oft und wie sie gewirkt haben. Manche Arztpraxen oder Krankenhäuser überwiesen ihre Patienten mit außer Kontrolle geratenen Infektionen zu ihnen, wüssten aber selbst nicht, welcher Keim diese ausgelöst habe. Manchmal, sagt ein Chefarzt der Klinik, müssten sie viele Telefonate führen, um solche Dinge zu erfahren. Und manchmal kämen Antworten, die sie eilig benötigten, Tage später per Fax. Der Grund ist, dass in Deutschland viele Patientenakten unvollständig sind. Es gibt keine digitale Patientenakte, wie sie zum Beispiel Dänemark oder Israel seit gut 20 Jahren haben. In Israel ist jeder Bürger bei einer der staatlichen Krankenkassen versichert. Sie speichern jeden Arztbesuch, jedes Rezept, jeden Blutwert, Allergien, Krankheiten und Behandlungen in einer elektronischen Patientenakte. Das Gesundheitsministerium hat eine zentrale Plattform eingerichtet, die den schnellen Austausch solcher Daten ermöglicht. Wenn ein Patient seinen Arzt wechselt oder im Notfall Spezialisten braucht, können die neue Praxis oder ein Krankenhaus mit einem Mausklick diese digitale Akte aufrufen. „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir Ärzte dringend die Politik brauchen“, sagt Lübbert. Es ist ein Satz, auf den viele ausführliche Gespräche während der Recherche für diese Geschichte hinauslaufen. B erlin, Ende Mai 2023. Auf dem Vorplatz des Reichstags glänzt eine Reihe schwarzer Limousinen in der Abendsonne. Es ist kurz vor halb sieben, als unter der großen Glaskuppel des Plenarsaals gut 50 Abgeordnete in ihren blau gepolsterten Stühlen hören, wie die Vizepräsidentin des Bundestags den Tagesordnungspunkt Nummer sechs aufruft. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines neuen Gesetzes vorgelegt, das die wachsende Knappheit wichtiger Arzneimittel zumindest mildern soll. An diesem Abend findet die erste Lesung statt. Der öffentliche Druck, etwas zu unternehmen, hat zugenommen. Die Medien haben ausführlich über die Lieferprobleme aus Asien berichtet. Der Mangel an Antibiotika ist kein Thema mehr, über das nur die Fachleute des Gesundheitswesens sprechen. Am Ende sind sich alle Fraktionen einig, dass das Gesetz ein erster Schritt ist. Vor wenigen Tagen hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt. Es wird wahrscheinlich helfen, einige Lieferprobleme zu lösen. Aber den Mangel an neuen Wirkstoffen behebt es so schnell nicht. Es gibt im deutschen Gesundheitswesen Fachleute, die die politischen Debatten schon lange aus nächster Nähe miterleben. Manche sagen, nationale Regierungen hätten fraglos einiges versucht. Trotzdem komme es ihnen so vor, als hörten sie gerade den Refrain eines jahrzehntealten Schlagers. Schon Ende der Neunzigerjahre berichteten Wissenschaftler über resistente Pestbakterien. Die Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation rief ihre Mitgliedstaaten erstmals auf, Strategien für den Einsatz von Antibiotika zu entwickeln. Als sich die Lage weiter zuspitzte, setzte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel das Thema auf die Agenda der wichtigsten Industrienationen, der G 7. Vor einigen Wochen, im April, hat die aktuelle Bundesregierung ihren Plan für die kommenden zehn Jahre bekannt gegeben. Ihre Strategie, „DART 2030“, ist die dritte Auflage. Die Ziele darin sind seit 15 Jahren dieselben. A m Ende eines langen Arbeitstags sitzen Amrei von Braun und Christoph Lübbert in ihrem Erdgeschossbüro der Leipziger Uniklinik. Lübbert sagt, er fühle sich derzeit manchmal an den Ersten Weltkrieg erinnert, eine dunkle Zeit auch aus Sicht eines Mediziners. Damals starben Männer nicht nur an schweren Verwundungen, sondern an Keimen, die sich darin breitmachten. In der Ukraine, sagt Lübbert, zeichne sich diese Gefahr nun wieder ab. Seit gut einem halben Jahr ringen er und seine Kollegen um das Leben einer Frau, 19 Jahre alt. Die Splitter russischer Granaten hatten ihr Arme und Beine zerrissen. Acht komplizierte Operationen, ihr Körper trotzdem seit Monaten ein einziger Infektionsherd. Die Ärzte haben einige Reserveantibiotika eingesetzt, die Hoffnung für schwere Fälle. Lübbert sagt, kein einziges Mittel wirke bei der Patientin zuverlässig. Wahrscheinlich müssten seine Kollegen auch ihr zweites Bein amputieren. Und leider sei ihr Beispiel keine Ausnahme, eher die Regel. Im Fachmagazin „The Lancet“ erschien kürzlich eine Studie schwedischer Forscher, demnach waren sechs Prozent der Keime in ukrainischen Krankenhäusern gegen sämtliche Antibiotika resistent. Die Ergebnisse ihrer Nachforschungen überstiegen alles, was die Wissenschaftswelt bisher gesehen habe, sagte einer der Autoren. Als Gründe nannten sie die Überlastungen und zerstörte Infrastrukturen, die der Krieg in der Ukraine mit sich bringe. Dazu kommt, dass auch dort die Apotheken bis vor einem Jahr Antibiotika rezeptfrei verkauften. Solch eine Gemengelage sei toxisch, sagen die Experten. Dagegen habe die Medizin zunehmend keine Mittel mehr. Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich die Supererreger in Europa ausbreiten. Wie Lübbert und seine Kollegen es sehen, gibt es dennoch ein paar Dinge, die schnell helfen könnten, die Lage in Deutschland und anderen Ländern zumindest etwas zu verbessern. Deutschland brauche eine bessere Infektionsdiagnostik. Die Hersteller müssten zuverlässige, schnellere Tests entwickeln, die die Krankenkassen zahlen. So könnten schon Hausärzte in ihren Praxen in wenigen Minuten mühelos feststellen, ob und mit welchem Erreger sich ein Patient infiziert hat. Diese Möglichkeit gebe es bisher kaum. Die Spezialisten könnten Ärzte in Praxen und Kliniken beraten, wie sie mit Infektionen umgehen sollen. In Onlineseminaren oder in Videosprechstunden zu konkreten Fällen. Das helfe allen und spare Zeit, auf die es im Ernstfall ankommen könne. Außerdem könnten Ärzte und ihre Berufsverbände beschließen, bestimmte Antibiotika eine Zeit lang möglichst selten einzusetzen. So hätten einige Stationen der Leipziger Uniklinik die Resistenzen häufiger Erreger deutlich verringert. Lübbert sagt, solche Maßnahmen kosteten wenig, brächten aber viel. Sie könnten allen Akteuren, auf die es nun ankomme, etwas Zeit verschaffen. In dieser Zeit können Wissenschaftler testen, wie sich mehrere Antibiotika wirkungsvoll miteinander kombinieren lassen. Die Bundesregierung kann eine digitale Patientenakte einführen, in der alle wesentlichen Informationen eines Patienten abrufbar sind. Sie kann außerdem die Entwicklung und Herstellung von Antibiotika entschieden fördern. Der Leipziger Arzt Lübbert und seine Kollegen sind mit ihren Beobachtungen, Nöten und Hoffnungen nicht alleine. Viele Ärzte sehen es wie sie, Wissenschaftler, Verbandsfunktionäre, Manager der Pharmaindustrie, auch Gesundheitspolitiker. Mehrere Regierungen in Europa und den USA wollen deshalb die Entwicklung innovativer Antibiotika für die Hersteller wieder attraktiver machen. Großbritannien bezahlt Pharmaunternehmen im Voraus für neue antibiotische Wirkstoffe, wie bei einem Abonnement. Die USA planen ein ähnliches Modell. Die Kommission der EU diskutiert über Gutscheine, die innovative neue Mittel besonders belohnen sollen. „Die Zeit drängt“, sagen die Ärzte Amrei von Braun und Christoph Lübbert in ihrem Büro. „Wir haben derzeit jeden Tag acht bis zehn neue Lieferengpässe“, sagt die Apothekerin im Medikamentenlager der Klinik. „Natürlich ist es schwierig, bahnbrechende neue Medikamente zu entwickeln“, sagt die Forscherin Anna Hirsch in ihrem Labor. Aber sie müsse es versuchen, das sei ihre Berufung. In Zimmer 2176 entscheidet Michael Ulbricht nach dem Videotelefonat mit seiner Lebensgefährtin und seiner Ärztin, dass er es wagen will, die Therapie zu Hause fortzusetzen. Am Ende dieser Woche sitzt er in seinem Haus im Erzgebirge, eine Frau vom Pflegedienst hat gerade seine Verbände gewechselt. Seine Ärzte glauben, dass er für gesunde Menschen nicht mehr ansteckend ist. Allerdings weiß Ulbricht, dass sie ihm nichts versprechen können. Sie versuchen, den Pilz mit den beiden Medikamenten zu kontrollieren und seine angegriffenen Knochen zu schützen. Eine Behandlung, die den Pilz beseitigt, gibt es nicht. Ulbricht sagt, er hoffe, dass er wenigstens noch eine große Reise machen kann, mit den Enkeln. WIR MÜSSEN AUFPASSEN, DASS WIR NICHT IN EINE ZEIT ZURÜCKFALLEN, WIE WIR SIE IM ERSTEN WELTKRIEG EINMAL HATTEN CHRISTIAN KLEBER Leiter Unfallchirurgie der Uniklinik Leipzig ,, Die Ärzte sprechen vom „Tresor im Keller“: Apotheke der Leipziger Universitätsklinik; rechts: Apothekendirektorin Yvonne Remane Medikamentenrohrpost der Leipziger Uniklinik © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
Franziska Giffey (SPD) hatte es am 24. Januar eilig. Ganz schnell wolle sie all jenen Berlinern helfen, die auf hohen Rechnungen für Öl, Pellets, Kohle und Flüssiggas sitzen. „Wir haben uns entschieden, nicht zu warten, bis das Bundesprogramm klar ist, sondern wir wollen dieses Programm jetzt im Winter, wo die Leute es brauchen, umsetzen“, machte die damalige Regierende Bürgermeisterin und heutige Wirtschaftssenatorin den Hauptstädtern Hoffnung auf finanzielle Entlastung. Ab dem 31. Januar könnten die Hilfen beantragt werden, 75 Millionen Euro stünden aus Landesmitteln bereit, sagte sie. Giffey war zufrieden: „In der Krise kann jeder froh sein, der in Berlin lebt, weil wir Dinge möglich machen, die woanders eben nicht gehen.“ VON KARSTEN SEIBEL Das war drei Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl Mitte Februar, bei der Giffey wiedergewählt werden wollte. Nicht nur das schlug fehl: Heute, ein halbes Jahr später, hat noch kein einziger Berliner Haushalt auch nur einen Cent der versprochenen Unterstützung erhalten. Die Heizkostenhilfe in Berlin steht sinnbildlich für die Irrungen und Wirrungen rund um die milliardenschweren Energiezuschüsse, die seit Frühjahr des vergangenen Jahres ausgezahlt wurden – oder eben nicht. Wobei es nicht nur um Berlin geht. Konzeption und Umsetzung des bundesweiten Programms zur Entlastung von Brennstoffkäufern liefern ebenfalls wichtige Erkenntnisse für künftige Unterstützungen. Auch positive. 1. KEINE ZU HOHEN ERWARTUNGEN Die erste Lehre ist eine, deren Umsetzung vielen Politikern schwerfällt: keine zu hohen Erwartungen schüren. Giffey war nicht die Einzige, die im Winter bei Heizöl- und Pelletkunden Hoffnungen weckte, die bis heute nicht erfüllt sind. Auch wer Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, damals reden hörte, musste davon ausgehen, dass er in jedem Fall Geld vom Staat bekommt. Wüst sprach von einer guten Nachricht „für Millionen Menschen“, als im Dezember feststand, dass nicht nur Gaskunden entlastet werden. Bedacht werden sollten dank einer neuen Heizkostenhilfe genauso alle Haushalte, die Öl, Pellets, Flüssiggas, Holzbriketts, Holzhackschnitzel, Kohle oder Scheitholz verfeuern. 1,8 Milliarden Euro stellte der Bund speziell für sie bereit. Damit werde endlich eine „Gerechtigkeitslücke“ in den Entlastungspaketen geschlossen, sagte der Ministerpräsident. Höchstens beiläufig erwähnten er und andere Politiker die hohe Hürde auf dem Weg zum großen Geldtopf: Die Preise für Öl, Pellets und Co. müssen sich gegenüber dem Vorjahr mindestens verdoppelt haben. So sieht es das Bundesprogramm vor. Eine Rechnung mit einem 100-Prozent-Anstieg können für 2022 jedoch nur wenige Kunden präsentieren. Zwar verteuerten sich infolge des Ukraine-Krieges auch diese Brennstoffe kräftig, aber anders als beim Gas nur für kurze Zeit. Die entsprechenden Preischarts für das vergangene Jahr zeigen eher einzelne Spitzen. Diese müsste ein Kunde bei seinem Einkauf unglücklicherweise getroffen haben, um sich Hoffnung auf einen Zuschuss machen zu können. In Berlin erkannte man offenbar frühzeitig, dass dies nicht allzu viele Menschen sind. Die Landesregierung senkte die Hürde, es war schließlich Wahlkampf. Für die Hauptstädter reicht schon eine um 70 Prozent höhere Rechnung gegenüber dem Vorjahr. Grundsätzlich gilt hier genauso wie beim Bundesprogramm: Der Staat übernimmt nicht alles, sondern 80 Prozent der Kosten, die über der Schwelle liegen. Auch das ist eine Parallele zur Gaspreisbremse. Jetzt zeigt sich, wie wenige Haushalte tatsächlich einen Anspruch haben. Bundesweit gingen für die Heizkostenhilfe bislang 270.248 Anträge mit einem Volumen von 124,5 Millionen Euro ein. Ausgezahlt wurden sogar erst 96.353 Gesuche mit Ansprüchen in Höhe von 38,4 Millionen Euro. Das sind die Ergebnisse einer Umfrage von WELT AM SONNTAG bei allen 16 Bundesländern. Die beachtliche Differenz zwischen beantragten und bewilligten Hilfen hat unterschiedliche Gründe. Bei der Finanzbehörde Hamburg, die für 13 Bundesländer die Heizkostenhilfe steuert, spricht man von einer aktuellen Ablehnungsquote von unter zehn Prozent. Es ergäben sich jedoch häufig Rückfragen, weitere Unterlagen müssten angefordert werden. „Wenn alle relevanten Informationen vollständig vorliegen, ist eine Antragsprüfung innerhalb von 20 Minuten möglich“, teilte die Behörde mit. Aber nur dann. Das bayerische Sozialministerium verwies außerdem darauf, dass nicht jeder Antrag „voll positiv beschieden“ werde. Einige könnten nur teilweise bewilligt, andere müssten ganz abgelehnt werden. Die Zahlen bestätigen das, was man angesichts der unterschiedlichen Preiskurven auch schon im Winter hätte wissen können: Nur ein Bruchteil der Haushalte hat überhaupt einen Anspruch. Angesichts von rund fünf Millionen Öl- und Pelletheizungen in Deutschland sind es bislang rund fünf Prozent, die davon ausgehen, dass sie staatliche Unterstützung bekommen. Gar nur zwei Prozent erhielten bislang tatsächlich Geld. Die von Giffey und Wüst ausgemachte große Gerechtigkeitslücke war von Anfang an nur eine Minilücke. Einen anderen Eindruck zu erwecken kann nur zu unnötigen Enttäuschungen und Unzufriedenheit führen. 2. SCHLUSS MIT BUND-LÄNDER-WUST Ähnlich wie schon während der Corona-Zeit zeigte sich auch in der Energiekrise einmal mehr, dass die Umsetzung einer Hilfe dann kompliziert wird, wenn der Föderalismus ins Spiel kommt. Eine schnelle Einigung gibt es zwischen Bund und Ländern und unter den Bundesländern selten. Während neben Berlin auch Bayern und Nordrhein-Westfalen eigene Antragsplattformen bauten, taten sich immerhin die übrigen 13 Bundesländer unter Federführung Hamburgs zusammen. Vor allem die notwendige Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern für das 1,8-Milliarden-Euro-Programm ließ über Wochen hinweg auf sich warten. Erst seit Anfang Mai können Bürger über die Hamburger Gemeinschaftsplattform Anträge stellen, seit Mitte Mai steht die bayerische Lösung bereit und seit Ende Mai die aus Nordrhein-Westfalen. Seit der Ankündigung der Bundeshilfen Mitte Dezember waren da bereits fünf Monate vergangen. Ganz ähnlich war es auch bei der Auszahlung der 200 Euro Energiepreispauschale für Studenten. Bis die Antragsplattform „Einmalzahlung200“ fertig war, dauerte es sogar ein halbes Jahr. Immerhin gibt es dafür eine einzige Variante für alle. In Berlin zeigte sich, wohin Alleingänge führen können. Der Senat warb zunächst mit eigenen Hilfen, wollte dann aber doch nicht auf die Mittel des Bundes verzichten. In der Konsequenz gibt es bis heute: gar nichts. „Wir hatten ursprünglich geplant, Ende März die ersten Auszahlungen vorzunehmen“, heißt es vonseiten der Investitionsbank Berlin, die in der Hauptstadt für die Überweisung der Heizkostenhilfe zuständig ist. Der Zeitplan habe sich geändert, als im Verlauf des März bis in den April hinein die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern Formen OHNE Anspruch Knapp zwei Milliarden Euro stehen seit einem halben Jahr für Brennstoffhilfen bereit. Ausgezahlt wurden nicht einmal 40 Millionen Euro. Daraus ergeben sich drei Lehren für künftige Zahlungen annahm. Alles wurde gestoppt, die Bürger konnten nicht einmal mehr Anträge einreichen. Denn jetzt waren erst einmal wieder die Programmierer gefordert. Sie mussten dafür sorgen, dass jedes Gesuch zwei Mal geprüft wird: einmal nach dem 100-Prozent-Kriterium des Bundes, einmal nach der 70- Prozent-Regel des Landes Berlin. Seit Ende Juni können wieder Anträge gestellt werden, die ersten Überweisungen rücken näher. „Wir werden erste Auszahlungen Ende Juli vornehmen können“, teilte die Investitionsbank mit. Sechs Monate wären dann vergangen, seit Berliner die ersten Formulare Ende Januar ausfüllten. 3. HILFEN NUR FÜR HÄRTEFÄLLE Das Heizkostenbeispiel liefert aber auch positive Erkenntnisse. Zu diesen gehört, dass Hilfen des Staates möglichst an Bedingungen geknüpft werden sollten, statt beispielsweise wie bei der Energiepreispauschale für Berufstätige und Rentner das Geld an alle auszuschütten – ganz gleich, ob diese den Zuschuss brauchen oder auch so über die Runden kommen. Das ist dann zwar bürokratischer, aber letztlich günstiger für den Staat und damit alle Steuerzahler. Allein die Antragspflicht stellt bei Staatshilfen schon eine Hürde dar. Dies lässt sich beispielsweise an der Zahl der bisher eingereichten Anträge für die einmalige Energiepreispauschale für Studenten gut ablesen. Nach vier Monaten haben sich 850.000 der insgesamt 3,5 Millionen Studenten und Fachschüler im Land noch nicht gerührt – obwohl ein aktueller Immatrikulationsnachweis reicht, um an die 200 Euro zu kommen. Erst 530 Millionen Euro der für das Programm bereitgestellten 700 Millionen Euro wurden bislang bundesweit ausgezahlt. Gezielte Hilfen statt pauschaler Zuschüsse oder auch Preisdeckel sorgen laut Ökonomen zudem schneller dafür, dass die Preise wieder sinken. „Die Politik sollte sich stets hüten, zu sehr in den Preismechanismus des Marktes einzugreifen“, sagte Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Hohe Preise seien wichtige Knappheitssignale. Ohne sie passten die Bürger ihren Verbrauch sehr viel langsamer an. Das ist neben der zu starken Förderung in der Breite auch seine Kritik an den Gas- und Strompreisbremsen. Dort sei zwar ein Sparanreiz eingebaut, indem die Mehrkosten nur für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs ausgezahlt werden. „Doch darauf wurde in der Kommunikation leider zu wenig hingewiesen“, sagte Kooths. „Da wäre mehr möglich gewesen.“ Zurück zur Heizkostenhilfe: Dort wurden von den insgesamt 1,875 Milliarden Euro, die der Bund und das Land Berlin zusammen bereitgestellt haben, bislang nicht einmal zwei Prozent ausgezahlt. Bis zum 20. Oktober können nur Anträge für Rechnungen aus dem Jahr 2022 gestellt werden. Wie viel es noch werden, ist offen. Klar ist: Große Teile der eingeplanten knapp zwei Milliarden Euro werden nicht abgerufen werden. Das Geld verbleibt im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), dem 200 Milliarden Euro schweren „Doppelwumms“, wie ihn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte. Dass dieser Topf, über den vor allem die Gas- und Strompreisbremsen finanziert und der Energiemarkt stabilisiert werden, insgesamt sehr großzügig geplant war, wird immer deutlicher. Bislang wurden erst 52 Milliarden Euro in Anspruch genommen. Ein Schlussstrich kann zwar erst im April 2024 gezogen werden, doch viele Kreditermächtigungen werden dann wohl schlicht verfallen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) würde die nicht genutzten Mittel – auch die aus der Heizkostenhilfe – gerne für einen günstigeren Industriestrompreis nutzen. Doch der Kanzler und auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) verweisen auf rechtliche Zwänge. Neue WSF-Subventionen könne es nur mit einer neuen Notlage geben. Kurzum: Es fehlt auch da ein Anspruch. W WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SEITE 17 * IRTSCHAFT & LEBEN K ennen Sie das, wenn man sich fragt, wie der Nachbar das alles unter einen Hut bekommt? Stressiger Vollzeitjob, Familie, Haushalt, aber trotzdem Zeit für Hobbys? So ähnlich geht es mir mit Robert Habeck. Der ist als Wirtschaftsminister vielbeschäftigt. Und doch hat er die Zeit gefunden, ein Buch zu schreiben. Jetzt könnte man einwenden, dass er Hilfe hatte. Aber ob sein Co-Autor Christian Lindner wirklich eine große Unterstützung war während der Haushaltsverhandlungen, darf bezweifelt werden. Trotzdem erscheint im November ein Buch der beiden Minister: „Das Jahrzehnt der Entscheidung. Deutschland 2030“ heißt das Werk. Nun kommt es bei Journalisten auch vor, dass sie Texte mit einem Co-Autor zusammen schreiben, daher kann ich sagen: Das ist gar nicht so einfach, wenn man sich nicht eins ist. Und dass der FDP-Chef und der grüne Minister sich einig sind, kann man nach den vergangenen Wochen wohl ausschließen. Vielleicht kommen Habeck seine Erfahrungen zugute: Er hat schließlich früher oft zusammen mit seiner Frau Bücher geschrieben. Ist das Verhältnis zwischen dem Wirtschafts- und dem Finanzminister also viel intimer als gedacht? Brüten Lindner und Habeck nachts bei einem Glas Rotwein über Manuskripten? Ist das schon die Bewerbung um eine zweite Ampel-Amtszeit? Die Antwort ist ernüchternd: Für mehr als zwei Vorworte hat es dann doch nicht gereicht – und die haben die Minister jeweils allein geschrieben. Der Rest des Buchs besteht aus Aufsätzen anderer Autoren. Es ist eben wie beim Nachbarn: Meist ist das Geheimnis hinter dem scheinbar so perfekten Lebens doch nur die Unterstützung einer Haushaltshilfe und eines Kindermädchens. Habecks Geheimnis VON PHILIPP VETTER VORSCHUSS Wohnmobile: Die große Freiheit auf vier Rädern hat ein Problem S. 24 D ie US-Verbraucherschutzbehörde FTC prüft den beliebten KI-basierten Chatbot ChatGPT auf mögliche Schäden für die Nutzer – etwa weil das System unwahre Informationen generiert oder Daten missbräuchlich verarbeitet. Die FTC leitete eine Untersuchung ein. Sie schickte dafür der ChatGPT-Entwicklerfirma OpenAI eine lange Liste von Fragen. ChatGPT kann mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) auf Nutzeranfragen in Sekundenschnelle komplexe Inhalte generieren. Das System gibt aber auch falsche oder seltsame Informationen heraus, sogenannte „Halluzinationen“. Seit November ist das System für die Öffentlichkeit zugänglich. OpenAIChef Sam Altman sprach sich Mitte Mai im US-Senat für mehr staatliche Regulierung von KI aus – präzisierte aber kurz darauf, er meine eine langfristige institutionelle Aufsicht, keine „sofortige strikte Regulierung“. Die FTC, die zugleich Wettbewerbsbehörde ist, interessiert sich vor allem für den Schutz persönlicher Daten, die von der Plattform genutzt werden. FTC-Chefin Lina Khan hatte diese Woche bei einer Anhörung vor einem Kongressausschuss gesagt, ihre Behörde sei wegen möglicher verleumderischer Inhalte besorgt, die ChatGPT generiere. „Wir haben von Berichten erfahren, denen zufolge persönliche Daten von Leuten in Antworten auf eine Anfrage von jemand anderem aufgetaucht sind“, sagte Khan. „Wir haben von beleidigenden, diffamierenden Aussagen gehört. Rundweg unwahre Dinge tauchen auf.“ AFP US-Behörde nimmt ChatGPT unter die Lupe Im Fokus steht Schutz M persönlicher Daten illionen Euro beantragte Brennstoffhilfen 124,5 Millionen Euro ausgezahlte Hilfen 38,4 F GETTY IMAGES/THE IMAGE BANK RF/ATU IMAGES; PICTURE ALLIANCE/DPA/OLIVER BERG; PICTURE ALLIANCE / ZOONAR/CIGDEM SIMSEK; PICTURE ALLIANCE / SHOTSHOP/ANTONIO GRAVANTE; GETTY IMAGES/SUNNY; PICTURE ALLIANCE / WINFRIED ROTHERMEL; PICTURE ALLIANCE / IMAGEBROKER/HARTMUT SCHMIDT/ © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
18 WIRTSCHAFT * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 GEMISCHTWAREN MONTAG: Der Chemiekonzern Evonik schraubt wegen der anhaltend flauen Konjunktur seine Umsatz- und Gewinnerwartungen für das laufende Jahr deutlich zurück. „Derart schwache Absatzmengen haben wir lange nicht erlebt, über solch einen langen Zeitraum vielleicht noch nie“, sagt Evonik-Chef Christian Kullmann. DIENSTAG: Amazon wehrt sich gegen eine verschärfte Aufsicht in der EU, unter die der weltgrößte Online-Händler nach neuen Digitalgesetzen fallen soll. Der US-Konzern legt beim EU-Gericht in Luxemburg Widerspruch gegen den Status einer besonders großen Online-Plattform nach dem Digital Services Act ein. MITTWOCH: Volkswagen hat eine weitere Schlüsselposition im Konzern mit einem Manager von Porsche besetzt. Stefan Weckbach werde zum 1. September Leiter für Konzernstrategie und Chef des Generalsekretariats von Volkswagen, teilt der Autobauer mit. Der 46- Jährige ist bisher Baureihenleiter des Konzepts Mission X der Sportwagentochter. DONNERSTAG: Die Inflation treibt Kunden beim Brillenkauf zu Anbietern wie Fielmann. „Als Preisführer profitiert die Fielmann-Gruppe von der gestiegenen Preissensibilität der Verbraucher in wichtigen Märkten“, berichtet das Unternehmen zur Hauptversammlung. FREITAG: Die für Aufsehen sorgende Abnehmspritze Wegovy von Novo Nordisk wird wohl ab kommender Woche im pharmazeutischen Großhandel in Deutschland erhältlich sein. Apotheken könnten das Diät-Medikament dort bestellen, „wir gehen davon aus, dass Wegovy ab Ende Juli in den Apotheken verfügbar sein wird“, so eine Sprecherin. SAMSTAG: Unterlagen einer Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Zusammenbruch der Credit Suisse sollen 50 Jahre und damit länger unter Verschluss gehalten werden als üblich. Erst dann will die Kommission ihre Erkenntnisse dem Schweizer Bundesarchiv zur Verfügung stellen. WOCHENBILANZ Der Chef der weltweit aktiven Uhren-Onlineplattform Chrono24 hat einen neuen Gesellschafter an Bord geholt: Cristiano Ronaldo. Der Fußballer hat nicht nur das nötige Geld, um Chrono24 in den aktuell schwierigeren Zeiten am Uhrenmarkt unter die Arme zu greifen. Ronaldo bringt etwas mit, was gut zu Stracke und Chrono24 passt: Er ist ein bekannter Uhrensammler. Angeblich ist seine Sammlung über zehn Millionen Euro wert. TOP & FLOP Tim Stracke GEWINNER Markus Braun Der frühere Wirecard-Chef hat einen Rechtsstreit mit seiner Manager-Haftpflichtversicherung über zehn Millionen Euro verloren. Das Landgericht Düsseldorf wies eine Klage Brauns gegen den Versicherer Swiss Re zurück. Grund: Der Versicherungskonzern fasst eigenen Angaben zufolge alle Schäden eines Falls zusammen. Die erste Sammelklage in den USA war 2019 erhoben worden, Versicherungsschutz bestand erst seit 2020. VERLIERER PICTURE ALLIANCE / FRANK HOERMANN / SVEN SIMON; VIA CHRONO24 A ndrea Nahles will vom Berliner Politikbetrieb nichts mehr wissen. Während die Ampel im Chaos versinkt, beschäftigt sich die Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit der Großreform, um die es in den vergangenen Monaten angesichts des Streits über das Heizgesetz eher still geworden ist – das Bürgergeld. Die frühere SPD-Vorsitzende verbringt viel Zeit auf ihrem Bauernhof in der Eifel, ihr Arbeitsplatz ist seit rund einem Jahr in Nürnberg. Berlin, die große Politik, scheinen weit weg. Mehrfach blockt Nahles daher Fragen ab, die sie für „zu politisch“ hält. „Ich bin Chefin der BA und nicht mehr in der Politik“, betont sie. Ganz ohne geht es aber in dieser Position auch nicht: Der Haushaltsentwurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht Einsparungen vor, die die Jobcenter empfindlich treffen. Nahles kündigt Widerstand an. VON JAN KLAUTH WELT AM SONNTAG: Frau Nahles, Anfang des Jahres sorgten Sie mit dem Satz „Arbeit ist kein Ponyhof“ für Aufsehen. Bereuen Sie die Aussage? ANDREA NAHLES: Keinesfalls, ich habe das beschrieben, was ich sehe: einen arbeitnehmergetriebenen Arbeitsmarkt. Wobei das nicht alle jungen Leute betrifft. Neulich war ich an meiner ehemaligen Realschule. Dort habe ich Jugendliche getroffen, die unsicher sind, was sie beruflich überhaupt machen wollen. Diejenigen hingegen, die es wissen und selbstbewusst sind, verhandeln anders als früher. Aber: Verhandeln heißt auch aushandeln und Kompromisse schließen – auf beiden Seiten. Junge Beschäftigte gelten oft als zu anspruchsvoll und illoyal. Wie blicken Sie auf die Generation Z? Ich sehe jedenfalls keine homogene Generation Z, über die man pauschale Aussagen treffen kann. Unsere Statistiken zeigen einerseits, dass unter 25-Jährige aus verschiedenen Gründen im Schnitt kaum Überstunden machen – im Gegensatz zu allen anderen Arbeitnehmergruppen in Deutschland. Gleichzeitig stehen die jungen Menschen einer Vielzahl an Möglichkeiten gegenüber – das kann auch etwas erschlagend sein. Bei der Berufswahl spielen außerdem die Eltern eine Rolle. Aber viele von denen wissen heute zum Beispiel nicht, wie eine moderne Tischlerei aussieht. Deshalb haben wir 4000 Berufsberaterinnen und Berufsberater, die in die Schulen gehen und dort die Berufsorientierung begleiten. Wo steuert der Arbeitsmarkt hin? Viele Firmen stellen kaum noch ein. Ist der Mangel an Arbeitskräften doch nicht so groß wie befürchtet, wenn die Rezession weiter anhält? Diese Zurückhaltung bei der Einstellung beobachten wir seit einiger Zeit, der Optimismus der Arbeitgeber hat nachgelassen. Aber es gibt immer noch eine riesige Anzahl offener Stellen. Wenn man jetzt mal nicht nur von einer aktuellen rezessiven Tendenz ausgeht, sondern das Ganze in den nächsten zehn Jahren anschaut, kommt der starke demografische Effekt durch den Abgang der Babyboomer erst noch, sodass der Mangel das dominante Thema bleiben wird. Macht sich die Krise in den Jobcentern bemerkbar? Ja. Diejenigen, die arbeitslos sind, kommen nicht mehr so schnell in Arbeit. Nach der Pandemie ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen jeden Monat zurückgegangen, jetzt stellt sich eine gewisse Trendumkehr ein. Das ist aber aktuell noch keine Entwicklung, die für uns Alarmstufe Rot bedeutet. Glauben Sie, dass der Arbeitskräftemangel den Lohndruck verschärft? Das wirkt sich natürlich auch auf die Löhne aus. Das merken wir selbst. Das Gehaltsniveau in der freien Wirtschaft ist mittlerweile so hoch, dass wir als öffentliche Verwaltung erhebliche Schwierigkeiten haben, für den IT-Bereich Leute zu rekrutieren, weil wir deutlich weniger zahlen können in unserem Tarifgefüge. Apropos Löhne: Halten Sie den aktuellen Vorschlag der Mindestlohnkommission für angemessen? Die Mindestlohnkommission ist 2015 dafür eingerichtet worden und hat die Autorität bekommen, diese Entscheidung zu treffen, weil man sich damals einig war, dass man auf Dauer keinen politisch festgesetzten Mindestlohn möchte. Viele in der Politik, gerade auch in der SPD, halten die Erhöhung auf 12,81 Euro ab 2024 für zu niedrig angesichts der Inflation. SPD-Chef Lars Klingbeil will am liebsten 14 Euro und damit die Festschreibung der entsprechenden europäischen Richtlinie in einem Gesetz. Dann bräuchte es die Kommission eigentlich nicht mehr. Es gibt die Mindestlohnkommission. Ihr Vorschlag liegt auf dem Tisch. Wir als Bundesagentur sehen keine negativen Effekte auf den Arbeitsmarkt durch den Mindestlohn. Das Bürgergeld ist nun ein halbes Jahr in Kraft. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus? Der Teil der Förderungen, der die Zusammenarbeit zwischen Arbeitslosen und den Jobcentern nochmals verbessern soll, kommt jetzt erst. Im Vorfeld gab es ja lange Debatten. Aber der große Run auf das Bürgergeld, der wegen der Anpassung der Leistungen befürchtet wurde, ist ausgeblieben. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsbezieher ist mit fast vier Millionen so hoch wie lange nicht mehr. Ja, im Vergleich zum Vorjahr gab es einen moderaten Anstieg, unter anderem, weil die Geflüchteten aus der Ukraine im Leistungsbezug des Bürgergelds aufgenommen wurden. Das Bürgergeld ist zum Konkurrenten des Mindestlohns geworden, sagen Kritiker. Es lohne sich für immer weniger, zu arbeiten. Noch mal: Es gab keinen Run auf das Bürgergeld. In erster Linie steigt die Zahl der Leistungsberechtigten, weil es augenblicklich für Arbeitslose schwerer ist, wieder in Beschäftigung zu kommen. Das gilt auch für manche Kurzzeitarbeitslose, die nach zwölf Monaten dann ins Bürgergeld übergehen. Hat Sie das lange Gezerre der Politik genervt? Ich kenne das ja. Wir mussten länger als gedacht warten, bis das Gesetz wirklich im Gesetzblatt stand. Wir hatten dann nur sechs Wochen Zeit für die Umsetzung. Das war besonders für die IT eine Herausforderung. Aber es hat ja geklappt. Sie haben als Arbeitsministerin mal gesagt, man habe bei Langzeitarbeitslosen längst alles versucht, um sie wieder in Arbeit zu bringen. Gibt es einen Sockel, bei dem nichts mehr möglich ist? Es wird nie gelingen, hundert Prozent der Menschen in Arbeit zu bringen. Dass man aber selbst aus der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit doch noch mal einen erklecklichen Anteil von Leuten in Arbeit vermitteln konnte, ist das erfreuliche Ergebnis der letzten fünf Jahre des sozialen Arbeitsmarktes. Es ist ein Instrument, das wirkt. Ich muss meine Aussage deswegen revidieren. Gerade für Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit enthält das Bürgergeld etliche neue Förderungen, kostspielig sind auch diese. Im Sinne einer Anfangsinvestition sprechen wir von einem teuren Instrument. Wenn es gelingt, die Menschen aus der Leistung zu holen, amortisiert sich der Einsatz. Wir sind nun aber in einer Situation, wo im Haushaltsentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, nicht genügend aktive Arbeitsmarktmittel und nicht genügend Mittel für Verwaltungskosten der Jobcenter eingeplant wurden. Da steht ein Minus von 6,6 Prozent, umgerechnet 700 Millionen Euro weniger. Was bedeutet das in der Praxis? Die Jobcenter reagieren jetzt schon und planen weniger teure Maßnahmen für die Integration von Langzeitarbeitslosen. Die Sicherheit, dass sie das refinanzieren können, ist weg. Teilweise können die Jobcenter Personal nicht nachbesetzen, weil sie nicht wissen, wie sie es auf Dauer finanzieren sollen. Allein 300 Millionen Euro mehr Personalkosten fallen im kommenden Jahr aufgrund der Tariferhöhung bei den Jobcentern an. Ich hoffe, dass wir doch noch mal einen Ausgleich im Haushalt bekommen. Dass in der Debatte zurzeit alle sagen, sie haben zu wenig erhalten, ist mir natürlich bewusst, und deswegen wird es sicherlich nicht einfach. Aber ich werde alles tun, um den Bedarf deutlich zu machen, denn man muss sich schon fragen: Was heißt das eigentlich in der Realität für die Jobcenter in diesem Land, wenn die Mittel gekürzt werden? Damit werde ich die Abgeordneten konfrontieren. Das haben Sie freundlich formuliert. Es ist doch alarmierend, wenn das Bürgergeld mehr fördern soll und ausgerechnet dann die Mittel zusammengestrichen werden. Es wird eng. Wir sind schlichtweg nicht ausreichend finanziert. Nebenbei kommen die Geflüchteten aus der Ukraine dazu, die jetzt aus den Sprachkursen kommen, für die wir auch keinen einzigen Euro extra sehen – berufsbezogene Sprachkurse müssen die Jobcenter aus dem eigenen Etat finanzieren, wenn sie die Menschen weiter unterstützen wollen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Es kann nicht sein, dass insbesondere kleinere Jobcenter praktisch ständig aus dem Etat für die aktive Arbeitsmarktpolitik bis zu 80 Prozent in den Personalhaushalt umschichten müssen, um überhaupt die Verwaltung aufrechterhalten zu können. Das ist ungesund. Was ist eigentlich das quantitative Ziel des Bürgergelds? Es gibt keine quantitativen Ziele, es gibt qualitative Ziele. Mit dem neuen Instrumentenkasten sollen mehr Menschen aus der Hilfebedürftigkeit herauskommen. Beispielsweise auch mit einem Coaching. Das wurde im Bereich der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit ausprobiert in den letzten Jahren und hat sich extrem bewährt. Für die „größte Reform des Arbeitsmarktes seit 20 Jahren“ ist das erstaunlich. Der Steuerzahler fragt sich, was das Ganze bringen soll. Es wäre unseriös, Ihnen eine beliebige Zahl zu nennen. Natürlich schauen wir darauf, wie viel Arbeitslose in eine nachhaltige Beschäftigung übergehen. Und es ist legitim, nach ein bis zwei Jahren den Erfolg der Instrumente zu evaluieren. Das macht das IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Anm. d. Red.). Ihr hauseigenes Forschungsinstitut. Wäre es nicht besser, das extern bewerten zu lassen? Das IAB arbeitet tadellos. Und dessen Wissenschaftlicher Beirat schaut auch sehr kritisch auf die Arbeit der BA. Die schonen uns nicht und bringen auch unangenehme Sachen auf den Tisch. Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei, die sich für Arbeitslose einsetzt, meint, auch der jetzige Regelsatz von 502 Euro pro Kopf reiche angesichts der Inflation nicht zum Leben. Stimmen Sie zu? Wir setzen die gesetzlich und politisch vorgegebenen Sätze um. Ich glaube, dass es in Deutschland eine faire Debatte über Mehrbedarf und Existenzminimum gegeben hat. Und es gibt wenige Länder in Europa, die in dieser Krise so viele Unterstützungsleistungen gezahlt haben. Das Krisenmanagement des Staates war großzügig. Das heißt nicht, dass es nicht immer mal wieder Härten gibt. Wie sollten sich die Regelsätze in den kommenden Jahren denn entwickeln? Das ist nicht mein Job. Noch mal: Ich bin nicht mehr in der Politik. Ich entscheide nicht über die Höhe der Sätze. Die Bundesagentur musste in den letzten Jahren neue Aufgaben übernehmen, die Kosten steigen, es braucht immer mehr Personal. Was würden Sie gern wieder abgeben? Nichts, weil ich glaube, dass wir das gut machen. Das zusätzliche Personal wegen der Corona-Pandemie und der Auszahlung des Kurzarbeitergeldes bauen wir ab. Wenn Sie auf die manchmal geäußerte Kritik an unserem Personalbestand abheben: Wir können ziemlich gut belegen, was unsere Beschäftigten machen. Da schiebt niemand eine ruhige Kugel, beim besten Willen nicht. Was sind Ihre konkreten Forderungen beim Haushalt? Zwei Anliegen: Die Jobcenter, die die Ukrainer integrieren sollen, die das Bürgergeld umsetzen sollen, die jetzt schon sehr viel für die Verwaltungskosten ausgeben müssen, die brauchen eine anständige finanzielle Grundlage – und die haben wir mit diesem Haushaltsentwurf nicht. Zweitens: Die BA hat ihre Rücklagen in Höhe von nahezu 27 Milliarden Euro in der Corona-Krise für das Kurzarbeitergeld aufgebraucht. 2023 sind wir mit einem Minus von 400 Millionen Euro gestartet. Mein Ziel ist es, wieder Rücklagen zu bilden, denn die BA muss sofort handlungsfähig sein bei neuen Krisen. Wie wichtig das ist, hat die Pandemie gezeigt. Ich kann Ihnen schwören: Sehr viele Unternehmen in Deutschland würden heute nicht mehr existieren, hätte die BA es nicht geschafft, innerhalb von zehn Tagen das Kurzarbeitergeld auszuzahlen – bei den Wirtschaftshilfen der Bundesländer hat es Monate gedauert. Sie wohnen in der Eifel und arbeiten in Nürnberg. In der Hauptstadt sieht man Sie nur noch selten. Vermissen Sie das politische Berlin? Nein. Für mich war Berlin immer nur ein Arbeitsort, daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Die Eifel ist meine Heimat, meine Adresse fürs Leben. Ich finde Nürnberg erstaunlich familienfreundlich, es macht mir auch nichts aus zu pendeln. In der Eifel habe ich einen alten Bauernhof umgebaut. In den Phasen in meinem Leben, wo es nicht so gut lief, war es wohltuend, diesen Ankerpunkt zu haben. Schließen Sie eine Rückkehr auf die politische Bühne aus? Ich bin zufrieden dort, wo ich bin. Sorgen, dass die Abschaffung von Hartz IV Arbeiten unattraktiver mache, hätten sich nicht bestätigt, sagt Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Die Krise sei aber in den Jobcentern bereits zu spüren PICTURE ALLIANCE / PHOTOTHEK/JANINE SCHMITZ Seit rund einem Jahr leitet Andrea Nahles Deutschlands größte Behörde – die Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie dürfte damit die prominenteste Person sein, die dieses Amt je innehatte: Nahles war in ihrer Karriere bereits Juso-Chefin, Fraktionsvorsitzende, Bundesarbeitsministerin unter Angela Merkel und Vorsitzende der SPD. Als Chefin der ältesten Partei des Landes endete ihre politische Karriere unrühmlich – seltener hatte eine SPD-Vorsitzende weniger Rückhalt. Bevor sie an die Spitze der BA als Nachfolgerin von Detlef Scheele wechselte, leitete Nahles die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation in Bonn. Nahles ist katholisch, hat eine Tochter und lebt überwiegend in der Eifel. Andrea Nahles Behördenchefin Der große Run auf das BÜRGERGELD ist ausgeblieben © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
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Ausbau nicht genug Tempo zu machen. Hingegen teilte das Bundesverkehrsministerium mit, dass die Umsetzung des Aktionsplans „Niedrigwasser Rhein“ absolute Priorität habe. Dieser werde „konsequent“ umgesetzt. Eine wichtige Antwort von Covestro auf die Probleme am Rhein befindet sich unter den Füßen von Logistikexperte Peterzelka. Die „MS Courage“ liegt dank ihrer Bauweise deutlich flacher im Wasser als andere Rheinschiffe. Zwei Säuretanker dieser Art hat Covestro im Frühjahr in den Dienst gestellt. Sie können Salzsäure selbst dann noch über den Rhein transportieren, wenn der Pegel bei Köln unter die Marke von 40 Zentimetern fällt. Neun von zehn Rheinschiffen können dann nicht mehr ablegen. Die Antwort von BASF auf den sinkenden Pegelstand ist sogar noch gewaltiger. Das neueste Niedrigwasserschiff der Ludwigshafener ist mit 135 Metern länger als ein Fußballfeld und deutlich breiter als andere Rheinfrachter. Doch auch für diesen Giganten gilt: Je seichter der Fluss ist, desto weniger Ladung kann das Schiff aufnehmen. Flankiert wird das Niedrigwasserschiff deshalb von weiteren Maßnahmen, die BASF über die nächsten Dürrephasen hinweghelfen sollen. Der Konzern hat Ladestellen ausgebaut und gemeinsam mit den Behörden ein digitales Frühwarnsystem eingeführt, das die Vorwarnzeit für Niedrigwasser auf bis zu sechs Wochen erhöhen soll. Eine Garantie, dass all das ausreicht, wenn die Pegel weiter fallen, gibt es nicht. T hyssenkrupp-Managerin Hülswitt will sich vom Niedrigwasser ebenfalls nicht mehr überraschen lassen. Sobald die Hafenkante in Duisburg einen Pegelstand von drei Metern anzeigt, greift ein Notfallplan. Hülswitt ordnet dann den Aufbau zusätzlicher Lagerbestände an. Bis zu 580.000 Tonnen Erz und 80.000 Tonnen Kohle können dann im Hafen aufgetürmt werden. „Diese Vorräte reichen dann für zehn, elf Tage“, erklärt sie. Verschärft sich die Lage am Rhein weiter, setzt der Konzern einen Kohlezug ein, der die Kokerei mit Nachschub versorgt. Zudem kann weiterer Schiffsraum angemietet werden. Covestro hat im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels ebenfalls aufgerüstet. Manager Uwe Arndt leitet die Taskforce mit rund 30 Mitarbeitern. „Wir gehen bei 1,50 Metern am Pegel Köln in Habachtstellung“, sagt er. Wenn der Wasserstand sinkt, sucht die Taskforce nach Zwischenlagern, zusätzlichem Laderaum in Schiffen und setzt mehr Kesselwagen ein. Arndt sieht den Konzern gegen Niedrigwasser gut gerüstet. Sein Frust über die Politik sitzt jedoch tief. „Wir Unternehmen haben unsere Zusagen erfüllt und investieren viel Geld, um unsere Logistik an die sinkenden Rheinpegel anzupassen“, sagt er. Die vom Bund zugesagten Maßnahmen seien aber nicht vorangekommen. Arndt rechnet nicht damit, dass der Rhein in 30 Jahren noch schleusenfrei befahrbar sein wird: „Die Politik müsste sich frühzeitig Gedanken darum machen, wo man Staustufen einbauen könnte, damit das knappe Wasser in Zukunft nicht mehr unkontrolliert abfließt.“ Der Rhein ist eine Lebensader der deutschen Industrie. Doch der Klimawandel führt zu gefährlich sinkenden Pegelständen. Die Politik lässt die Konzerne bei der Suche nach Lösungen allein Die „MS Courage“, das Niedrigwasserschiff von Covestro, im Kölner Hafen MARCUS SIMAITIS/WELT 0 200 150 100 400 600 800 1000 2000 03 Kritische Grenzen, unter die der Pegel eigentlich nicht fallen sollte Zehn-Jahres-Durchschnittspegel 05 09 11 15 16 18 19 20 22 23 Quelle: Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) / Covestro Seit Jahren sinkender Pegel Wasserstand des Rheins bei Köln, in Zentimetern Auf dem TROCKENEN In dem Duisburger Hafenbecken, rund drei Kilometer von Kathrin Hülswitts Büro entfernt, legen jeden Tag wahre Monster von Schiffen an. Vier Schubboote mit jeweils sechs vorgespannten Leichtern – den antriebslosen Transportkähnen – fahren täglich von Rotterdam über den Rhein in den Hafen des Stahlkonzerns Thyssenkrupp Steel Europe. Auf ihren Ladeflächen stapeln sich bis zu 60.000 Tonnen Kohle und Erz. Das entspricht dem Gewicht von mehr als 100 voll beladenen Flugzeugen der Mammutklasse A380. VON CARSTEN DIERIG, ANJA ETTEL UND ANDREAS MACHO Der entscheidende Maßstab für Hülswitts Arbeit ist aber nicht das Gewicht der Frachtkähne, sondern eine unscheinbare Kante an der Kaimauer des Hafens. Sie zeigt an, wo der Pegelstand des Rheins normalerweise liegt. An diesem Tag Anfang Juli ist viel Abstand zwischen Wasser und Kante. 2,80 Meter misst der Wasserstand. Für Hülswitt, die bei Thyssenkrupp die „Taskforce Niedrigwasser“ leitet, hat diese Marke bereits Konsequenzen. Die Schiffe aus Rotterdam dürfen jetzt nur noch mit 1600 statt 2500 Tonnen beladen werden. Sonst würden sie im Rhein stecken bleiben. Hülswitt lässt deshalb gerade mehr Schiffe als üblich beladen. „Kritisch wird es für uns ab einem Pegelstand von 1,70 Metern“, sagt sie. Denn dann können die Schiffe mit den Rohstoffen für die Stahlproduktion den Rhein so gut wie gar nicht mehr passieren. Der Rhein ist die wichtigste Wasserstraße Deutschlands. Der Strom samt Loreleyfelsen ist Teil der kulturellen Identität. Für die Industrie ist der Fluss zudem eine Art Lebensader. 80 Prozent der deutschen Binnenschifffracht werden auf ihm transportiert. Der Stahlkocher Thyssenkrupp, Deutschlands größter Pharmakonzern Bayer, der weltweit umsatzstärkste Chemiekonzern BASF – sie alle sind davon abhängig, dass der Rhein stets befahrbar bleibt. Doch die jahrhundertelange Sicherheit, die diese Wasserstraße den Unternehmen bot, versickert allmählich. Der Klimawandel mit seinen immer heißeren und trockeneren Sommern setzt dem Fluss zu. 2018 sank der Pegel so weit herab, dass über weite Strecken das Flussbett zu sehen war. Die Binnenschifffahrt musste zwischen Basel und Bonn zeitweise eingestellt werden, Betriebe mussten ihre Produktionen drosseln. 2022 wiederholte sich das Schauspiel. In diesem Jahr sind die Pegelstände entlang des Rheins bereits im Mai unter ihren historischen Durchschnitt gefallen. Setzt sich das fort, könnte das Niedrigwasser die Lage der ohnehin schon rezessionsgeplagten Konjunktur in Deutschland weiter verschlimmern. Bei den Konzernen läuft die Vorbereitung auf künftiges Niedrigwasser bereits auf Hochtouren. Von der Politik fühlt sich die Industrie allerdings im Stich gelassen. Denn wichtige Versprechen hat die Bundesrepublik bislang nicht umgesetzt. N ils Peterzelka steht an Deck der „MS Courage“ und kneift die Augen zusammen. Die Mittagssonne scheint grell auf die breiten Kiesstreifen neben dem Schiff. Ein Stück rheinaufwärts erblickt Peterzelka eine winzige Erhebung: ein heller Fleck im weiten Grau des Rheins. „So früh im Jahr schon Sandbänke und breite Kiesstrände, das gab es früher nicht“, sagt Peterzelka. Der 53-Jährige ist Logistikexperte beim Leverkusener Chemiekonzern Covestro. Dass stets genügend Schiffsraum für den Transport von Salzen, Säuren und Laugen verfügbar ist, ist seine Aufgabe. Der Klimawandel macht Peterzelkas Job allerdings zur Herkulesaufgabe. Warum das so ist, lässt sich anhand eines einzigen Schaubilds erklären. Es zeigt die durchschnittlichen Pegelstände des Rheins. Grün bedeutet: Der Wasserstand ist ausreichend für gute Beschiffung. Rot heißt: Schifffahrt ist nur unter gewissen Vorkehrungen möglich. Peterzelkas Problem ist, dass auf der Grafik fast alle Jahre ab 2018 rot aufleuchten. „Die Frequenz der Niedrigwasser am Rhein hat ganz klar zugenommen, und die Dürrephasen beginnen zunehmend früher im Jahr und dauern immer länger“, sagt er. Je weiter es den Rhein hinaufgeht, desto größer werden die Probleme. Ausgerechnet an der schönsten Stelle des Flusses im Oberen Mittelrheintal, wo Trutzburgen aus dem Mittelalter noch heute Besucher verzaubern, entfaltet das stille Drama seine ganze Wucht. Denn nirgends ist die Fahrrinne so flach wie an der Pegelstelle Kaub bei Rheinkilometer 546,2. Während des Niedrigwassers im Jahr 2018 fiel der Pegelstand zeitweise bis auf 25 Zentimeter. Die Fahrrinne für Binnenschiffe war damit nicht einmal mehr 1,50 Meter tief. Zu niedrig für die meisten Schiffe. Selbst jene, die bei solchen Wasserständen noch fahren können, müssen auf einen Großteil ihrer Beladung verzichten. K aum ein Unternehmen hat unter dem Engpass bei Kaub so zu leiden wie der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen. Vor 158 Jahren, als BASF gegründet wurde, galt die Lage am Oberrhein noch als günstig. Mittlerweile ist sie zum Problem geworden. Denn BASF transportiert 40 Prozent der Güter am Stammwerk über den Rhein. Sämtliche Fuhren von oder zu den Nordseehäfen müssen die Engstelle Kaub überwinden. Gelingt das nicht, wird es deutlich teurer. Rund 30 Prozent betragen die Mehrkosten nach Berechnungen des Beratungsunternehmens Everstream Analytics, wenn Industriekonzerne entlang des Rheins vom Schiff auf die Schiene umdisponieren müssen. Kommen statt der Schiffe Lkw zum Einsatz, sind es sogar 95 Prozent. Im Dürrejahr 2018 hat der Mehraufwand wegen des Niedrigwassers BASF rund eine Viertelmilliarde Euro gekostet. Die Politik hat auf das Rhein-Problem der Industrie bislang keine Antwort gefunden. Ausgerechnet das Versprechen, die Fahrrinne des Rheins an der Engstelle Kaub stellenweise auszubaggern, kommt nicht voran. Dabei war das eines der wichtigsten Ziele, auf die sich Bund, Länder und Unternehmen nach dem Extrem-Niedrigwasser 2018 verständigt hatten. Anfang Mai dieses Jahres platzte den Landesministern der Bundesländer entlang des Rheins wegen der Untätigkeit in Berlin der Kragen. Auf einer gemeinsamen Konferenz warfen sie der Bundesregierung vor, beim wichtigen Oben: Vom Steuerstand der „MS Courage“ aus hat man das gewaltige Schiff und Sandbänke stets im Blick. Mitte: Uwe Arndt, Leiter der Covestro-Taskforce Rhein. Rechts: überlebenswichtiges Kohlelager für die Stahlindustrie im Duisburger Hafen Schwelge CARSTEN DIERIG I MARCUS SIMAITIS/WELT MARCUS SIMAITIS/WELT D ie Bundesregierung hat den umstrittenen Entwurf zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) auch von externen Beratern vorbereiten lassen. Das geht aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage des Fraktionschefs der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, hervor. Das Schreiben des Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium, Philipp Nimmermann, liegt WELT AM SONNTAG vor. VON DANIEL WETZEL Demnach wurde das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu) im Herbst 2021 mit der „Analyse, Bewertung und Erarbeitung von Vorschlägen zur Fortentwicklung von Anforderungen im Gebäude-Energiegesetz“ betraut. Der Auftrag für das Gutachten umfasste drei „Arbeitspakete“ mit 19 „Unterarbeitspaketen“, für die weitere Institute einbezogen wurden. Unteraufträge gingen unter anderem an das Öko-Institut, die Deutsche Energieagentur, die Stiftung Umweltenergierecht und Econsult. „Der Festpreis für alle Arbeitspakete des Gutachtens inklusive der separat zu beauftragenden optionalen Arbeitspakete beträgt insgesamt 1.809.695 Euro netto zuzüglich Mehrwertsteuer“, teilte Nimmermann mit. „Es ist kurios, wie viele externe Dritte auf Steuerzahlerkosten die Bundesregierung bei der Erarbeitung des Heizungsgesetzes beraten haben und dass dann dieser Murks dabei herauskommen konnte“, kommentierte Bartsch den Vorgang. „Womöglich wurde dem Habeck-Ministerium einiges eingetrichtert.“ Es sei „bemerkenswert, dass von all den Experten niemand den Hinweis gab, zuerst eine kommunale Wärmeplanung durchzuführen, wie Die Linke es bereits Mitte April vorgeschlagen hat“, sagte Bartsch. Es gehörte zu den zentralen Kritikpunkten am ursprünglichen Gesetz, dass Hausbesitzer schon ab Anfang 2024 zum Einbau einer klimafreundlichen, aber teuren Heiztechnik verpflichtet werden sollten, ohne die kommunalen Pläne für Wärmenetze zu kennen. Die Vorgabe, ab 2025 Heizungen mit mindestens 65 Prozent Öko-Energie zu nutzen, war bereits im Koalitionsvertrag der Ampelparteien enthalten. Eine „flächendeckende kommunale Wärmeplanung“ sah dieser zwar auch vor, machte dafür aber keine zeitlichen Vorgaben. Ifeu-Geschäftsführer Martin Pehnt wies Bartschs Vorwurf zurück. Das Grundkonzept der zweiten GEG-Novelle habe „eine mögliche kommunale Wärmeplanung immer mitgedacht und ist damit über den Koalitionsvertrag hinausgegangen, der eine ‚stumpfe Einhaltung‘ von 65 Prozent Erneuerbaren für jede neu eingebaute Heizung vorsah“, erklärte er auf Nachfrage. Bereits der erste GEG-Entwurf sei auf eine „Verzahnung“ mit der kommunalen Wärmeplanung ausgerichtet gewesen. Pehnt verwies auf die langen Übergangsfristen für den Fall, dass ein Wärmenetz erwartet wird oder die Option von gemeinschaftlichen Gebäudenetzen sowie die Wasserstoff- und Biomethan-Nutzung. Institute wie das Ifeu hätten die Politik schon Anfang der 2000er-Jahre auf die Notwendigkeit kommunaler Wärmeplanung nach skandinavischem Vorbild hingewiesen. „Es war ein großes Versäumnis der Wärmepolitik vor 2021, dies nicht aufgegriffen zu haben“, sagte Pehnt. „Auch im Koalitionsvertrag der Ampel war – offenbar bewusst – noch nicht von einer verpflichtenden, sondern nur von einer flächendeckenden Wärmeplanung die Rede.“ Linken-Politiker Bartsch hält das Heizgesetz dennoch für „undurchdacht und unseriös“. Dass die Ampel das GEG unverändert Anfang September beschließen wolle, sei „ein Affront gegenüber Bundesverfassungsgericht und Bundestag“. „Eine Lehre für die Zukunft sollte sein“, erklärte Bartsch, „dass der Einfluss externer Dritte auf Gesetze radikal reduziert wird.“ Bund bezahlte externe Berater fürs Heizgesetz Die Linke kritisiert Millionen-Honorare für „Murks“-Vorhaben 20 WIRTSCHAFT WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
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Oft würden wegen des Wettbewerbs unter den Telekomanbietern gleich mehrere Kabel im Boden liegen. „Selbst wenn wir unsere Anfragen stellen, können wir uns nicht darauf verlassen, dass die Auskünfte vollständig sind“, sagt Verbandschef Müller. G anz anders sehen das die Telekommunikationsunternehmen. So ortet Vodafone die Schuld bei Kabelzerstörungen durch Bagger nicht „primär“ in einer fehlenden Dokumentation. „Häufig sind Baggerfahrer auch einfach nur nicht aufmerksam genug“, heißt es von Vodafone. Der Konzern betont, dass Baufirmen „zwingend dazu verpflichtet“ seien, „fundierte Kenntnisse über verlegte Telekommunikationsleitungen“ einzuholen. Die Telekom argumentiert ähnlich. So würde der Konzern alle seine Leitungen kartografieren und „diese Informationen Tiefbauern bei berechtigtem Interesse online und unkompliziert zur Verfügung“ stellen. „Die häufigste Ursache von Zerstörungen an unserer Infrastruktur beruht jedoch auf der Tatsache, dass vorab keine Leitungsauskünfte eingeholt werden“, heißt es von der Telekom. Das Problem hat längst eine politische Dimension. So warnt Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies, dass „wir Energiewende, Verkehrswende und den Ausbau der digitalen Infrastruktur nicht stemmen können, wenn vor jedem Spatenstich jeder in Betracht kommende Leitungsbetreiber einzeln befragt werden muss, wer wo welche Leitungen liegen hat“. Lies verweist auf das digitale Leitungskataster von Estland, wo jeder direkt einsehen könne, wo und wie er arbeiten kann. „Wir haben daher beim Bund nachdrücklich angeregt, auch für Deutschland ein digitales Leitungskataster aufzubauen“, so Lies. Das Digital- und Verkehrsministerium teilt mit, „konkrete Vorschläge zur weiteren Optimierung des Infrastrukturausbaus“ zu begrüßen. „Hierzu stehen wir mit Verwaltungen in den Ländern, mit Kommunen, Verbänden und Unternehmen in Kontakt“, heißt es aus dem Ministerium. S o viel Transparenz findet offenbar nicht jeder gut. Ausgerechnet die Telekomfirmen wollen das Geheimnis ihrer Kabelgänge offenbar weiter wahren. So warnt der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) gemeinsam mit dem Bundesverband Glasfaseranschluss (Buglas) und der Deutschen Telekom in einem Positionspapier vor einem Übermaß an Transparenz. „Die Anschläge auf Stromtrassen, die Sabotagen an Erdgaspipelines oder dem Kommunikationsnetz der Deutschen Bahn zeigen das gestiegene und konkrete Gefährdungspotenzial für kritische Infrastrukturen in Deutschland“, heißt es darin. Vertreter der Baubranche halten diese Argumente für vorgeschoben. Die Telekomanbieter würden ihren Mitbewerbern einfach nicht zu viele Informationen über das eigene Netz geben wollen. Die Folgen seien ersichtlich. Statt einer Lösung des Konflikts bahnt sich derweil sogar eine Zunahme der Leitungsschäden an. Denn in zwei Wochen tritt eine neue DIN-Norm für das Verlegen von Glasfaserkabeln in Kraft, für die Telekomunternehmen schon seit Jahren kämpfen. Danach müssen die Kabel nicht mehr tief in der Erde verbuddelt werden, sondern können nur wenige Zentimeter unter der Straße verlegt werden. Die Anbieter sparen damit jede Menge Geld beim Verlegen ihrer Kabel. Das Problem nur: Bei der nächsten Tiefbaumaßnahme könnten Bagger noch schneller Internetverbindungen lahmlegen. Das Programm „Trassen Defender“ dürfte also noch eine Zeit lang in den App-Stores zu finden sein. D er Grund für den Streit zwischen Matthias Fiedler und der Telekom Deutschland liegt gut 30 Zentimeter unter dem Asphalt der bayerischen Kleinstadt Kempten. Anfang des Jahres buddelten die Bauarbeiter von Fiedlers Unternehmen Deiser Bau dort eine Straße auf. Eine Baggerschaufel geriet dabei an einen Kabelstrang und kappte eine Internetleitung der Telekom. Die reparierte den Schaden und stellte Fiedler dafür 316,40 Euro in Rechnung. VON THOMAS HEUZEROTH UND ANDREAS MACHO Eine Lappalie, möchte man meinen. Doch an dem zerstörten Kabel entzündete sich ein Rechtsstreit. Fiedler behauptet, dass der Kabelplan der Straße nicht korrekt gewesen sei. Die Pläne hätten „nur relativ bis gar nichts mit der Lage vor Ort zu tun“, und man hätte sich diese Pläne „auch sparen“ können, schrieb Fiedler erbost an die Telekom. Die Zahlung der Rechnung verweigerte er. „Billiger wäre es für uns vermutlich, den Schaden zu bezahlen – es geht uns hier aber um das Prinzip!“, erklärte Fiedler der Telekom. Erst vor wenigen Tagen lud Digitalund Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zur Festveranstaltung „Ein Jahr Gigabitstrategie“. Gefeiert wurde der Erfolg beim Ausbau von Glasfaserleitungen für schnelles Internet. Rund jeder vierte Haushalt in der Bundesrepublik war Ende 2022 an ein Glasfaserkabel angeschlossen, erklärte Wissing. Das Gigabit-Netz sei nichts weniger als die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland. Die Kabelrealität unter dem Asphalt müsste die Feierlaune allerdings trüben. Denn es sind längst nicht nur die Bagger von Bauunternehmer Fiedler, die den Glasfaserleitungen zu nahe gekommen sind. Laut Versicherung VHV gehören Kabel- und Leitungsschäden zu den häufigsten Schadensarten im Tiefbau. 57 Prozent dieser Probleme entfielen dabei auf Kommunikationsleitungen wie Glasfaser- oder Telefonkabel. Laut einem Bericht der Versicherung kommt es jährlich schätzungsweise zu rund 100.000 Kabel- und Leitungsschäden mit Entschädigungszahlungen von mehr als 500 Millionen Euro – Selbstbehalte und nicht gemeldete Schäden sind darin noch nicht enthalten. Schäden an Internetkabeln weist der Bericht nicht separat aus. Die Leitungsschäden verschlingen nicht nur Millionenbeträge, sie haben oft auch weitreichende Folgen. Das bekamen im Februar Kunden der Lufthansa zu spüren. Nachdem eine Baggerschaufel auf der Bahnstrecke zwischen Kassel und Frankfurt am Main versehentlich vier Glasfaserstrecken beschädigt hatte, kollabierte das IT-System der Fluggesellschaft. Die Flüge von Tausenden Passagieren mit Verbindungen über Frankfurt starteten verspätet oder fielen ganz aus. Im April traf es die Stadt Menden im Sauerland. Bauarbeiter hatten vermeintlich tote Kabelbündel aus der Erde gerissen. Die Folge: Rund 11.000 Haushalte hatten danach tagelang weder Internet noch Festnetztelefonie. E in Grund für all diese Pannen liegt auch an dem Umstand, dass Deutschland über kein zentrales Register verfügt, das alle Internetkabel erfassen würde. Zwar führt die Bundesnetzagentur das sogenannte GigabitGrundbuch, dessen Infrastrukturatlas eine Übersicht über öffentliche Versorgungsnetze bietet. „Berechtigte Einsichtnehmende“ erhalten dort Auskunft über vorhandene Infrastrukturen. Doch berechtigt sind nur Firmen, die selbst Telekommunikationsleitungen verlegen – und darunter fällt nicht jede Bauarbeit. Zudem werden in dem Register nur Informationen zu Einrichtungen erhoben, die auch für Telekommunikationszwecke genutzt werden können. „Ein zentrales, umfassendes Leitungskataster müsste aber hiervon unabhängig Informationen zu sämtlichen Leitungen bereitstellen“, heißt es bei der Bundesnetzagentur. Doch solche Entscheidungen kann die Behörde nicht treffen. Gegen die Intransparenz unter dem Asphalt formieren sich nun immer mehr Verbände, Versicherungen und auch Teile der Politik. „Es kann einfach nicht sein, dass niemand weiß, wo welche Leitungen liegen“, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Die Versicherung VHV teilt mit, dass sich viele Leitungsschäden verhindern ließen, wenn es ein zentrales Leitungskataster gäbe, und sieht „Handlungsbedarf“. Das Bundesland Niedersachsen fordert die Erweiterung des Gigabit-Grundbuchs oder die Einrichtung eines eigenen Katasters durch eine zentrale Datenbank. Wissings Ministerium „begrüßt“ solche Vorschläge zwar. Doch ausgemacht ist die Einführung eines zentralen Leitungskatasters keineswegs. Das Problem könnte sich sogar eher verschärfen. Dass Schäden an Internetleitungen kein seltenes Phänomen sind, wird in den App-Stores von Google und Apple ersichtlich. Dort findet sich das Programm „Trassen Defender“. Dahinter verbirgt sich kein Computerspiel, sondern ein Notfallprogramm, das die Telekom für den Fall von Leitungsschäden programmiert hat. Mittels der App können Bauunternehmen mit wenigen Klicks melden, wo es zu Kabelschäden gekommen ist. Die App registriert den GPS-Standort und bietet auch eine Upload-Funktion für Bilder. Verfangen in Kabeln Bei Tiefbauarbeiten gekappte Internetverbindungen verursachen Millionenschäden. Doch ein zentrales Leitungsregister gibt es nicht GETTY IMAGES/KARIN STURM D ie Mobilitäts-App Free Now von BMW und MercedesBenz will noch in diesem Jahr Taxifahrten zum Festpreis anbieten. Das sagte Free-NowDeutschlandchef Alexander Mönch WELT AM SONNTAG. Er rechne damit, dass als erstes Hamburg und München ihre Taxi-Tarifordnungen dafür anpassten. Möglich werde das durch die Novelle des Beförderungsgesetzes. Anders als bei Fahrten freier Anbieter, wie sie der US-Dienst Uber populär gemacht hat, steht bei per App gebuchten klassischen, cremefarbenen Taxen der Preis vorab nicht fest, sondern wird per Taxameter ermittelt. Mönch appelliert an die Bürgermeister, zusätzlich zu Festpreisen freie Taxi-Konkurrenten stärker zu regulieren: „Die Städte sollten die neue gesetzliche Möglichkeit nutzen, Mindestpreise für Mietwagen festzusetzen.“ Fairer Wettbewerb sei wichtig, damit die Taxi-Branche wirtschaftlich auskömmlich erhalten bleibe. Ein Sprecher der Hamburger Verkehrsbehörde bestätigte, Tarife für Festpreise per App würden derzeit mit dem Taxigewerbe abgestimmt. Mindestpreise für die häufig billigeren freien Taxi-Konkurrenten seien jedoch nicht sinnvoll, da sie etwa auch für Krankenfahrten gelten würden. Free Now, das aus der App MyTaxi hervorgegangen ist, positioniert sich gern gegen Uber als europäischer Partner von Taxigewerbe und Kommunen. Denn obwohl die App längst Carsharing-Angebote wie Miles und E-Roller etwa von Tier sowie Mietwagen integriert hat, stammt der meiste Umsatz aus der Vermittlung von Taxifahrten. Nur 30 Prozent der Kunden nutzen Sharing-Dienste, wie eine aktuelle Nutzer-Umfrage zeigt. Mönch will sich als Beschleuniger der Mobilitätswende empfehlen. Daher hat er eine Studie beim Zukunftsinstitut, einem Trend-Beratungsunternehmen, beauftragt. Sie wird kommende Woche veröffentlicht. Demnach wollen die Menschen verstärkt verzahnte Angebote nutzen – also etwa Autofahrten zu Mobilitätszentren am Stadtrand, von denen aus Nahverkehr, E-Roller oder Taxen in die City führen. Änderungsbedarf gebe es etwa bei körperlich beeinträchtigten Nutzern. So hat Free Now gerade in Hamburg mit der Verkehrsbehörde ein Angebot für Rollstuhlfahrer gestartet. Frauen, die öfter in Teilzeit arbeiten und mit Kindern unterwegs sind, brauchten mehr Angebote abseits der Rush-Hour: „Die Verkehrsplanung ist bislang von Männern für Männer gemacht“, sagte Zukunftsinstituts-Experte Stefan Carsten. Free Now kann neuen Schwung gut gebrauchen: Der Anbieter vermittelte 2022 nach eigenen Angaben Fahrten im Wert von mehr als einer Milliarde Euro. Das ist weniger als vor der Pandemie. Der US-Rivale Uber ist weltweit um rund den Faktor 100 größer – und betont nach anfänglichen juristischen Scharmützeln ebenfalls, mit den deutschen Kommunen kooperieren zu wollen. Während Mercedes-Benz und BMW ihre Carsharing-Tochter Share Now 2022 an den Peugeot-Konzern Stellantis verkauft haben, halten sie an Free Now bislang fest. Finanziell haben sie daran laut kürzlich im „Bundesanzeiger“ veröffentlichten Daten aber keine Freude: Hohe außerplanmäßige Abschreibungen für die in vielen europäischen Ländern zusammengekauften Töchter führten bei Free Now im Corona-Jahr 2021 zu einem Verlust von 590 Millionen Euro bei nur gut 27 Millionen Euro Umsatz. Aufgefangen wurde das 2022 laut Jahresbericht auch durch 100 Millionen Euro frisches Eigenkapital aus der Gemeinschaftsfirma Your Now der beiden Autohersteller. CHRISTOPH KAPALSCHINSKI Taxi zum Festpreis kommt Mobilitäts-App Free Now plant noch 2023 neue Angebote – trotz hoher Verluste WIRTSCHAFT 21 © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
22WIRTSCHAFT * WELT AM SONNTAG NR.29 16.JULI2023 Dass unter dem Boden des Ortes Orovada ein milliardenschwerer Schatz liegt, darauf deuten allenfalls einige rollende Bagger hin. Ansonsten ist die trockene Steppenlandschaft im Norden des USBundesstaates Nevada nahezu menschenleer, nur wenige Straßen führen durch die einsame Gegend. Doch dort liegt die landesweit größte Quelle für Lithium, den seltenen Stoff, der dringend für die Batterieherstellung benötigt wird. VON LAURIN MEYER UND DANIEL ZWICK AUS NEW YORK UND BERLIN Der US-Autobauer General Motors (GM) hat sich diesen Schatz gesichert. Umgerechnet 580 Millionen Euro investiert der Konzern jetzt in ein Projekt mit dem kanadischen Bergbauunternehmen Lithium Americas. Die sogenannte Thacker Pass Mine soll zwar erst 2026 das erste Lithium fördern. Doch GM wollte Fakten schaffen, bevor Konkurrenten sich das Leichtmetall schnappen. Die Vorräte sollen reichen, um daraus künftig jedes Jahr eine Million Batterien für Elektro-Autos herzustellen. Lange hinkten die etablierten USKonzerne Europas Automobilherstellern beim Übergang zur E-Mobilität hinterher. Nun aber setzen sie zum Überholen an. Mit großen Investitionen sichern sie sich Zugang zu den Bergwerken, die Aufbereitung der Batteriematerialien, die Zellfertigung. Denn die Unternehmen fürchten eine große Knappheit bei den kritischen Mineralien. Deutsche Autokonzerne wirken dagegen zögerlich. Zwar bauen auch Volkswagen und Mercedes-Benz neue Batteriezellfabriken. Doch bei deren Versorgung mit den wichtigsten Rohstoffen setzen sie vor allem auf den Markt. Die nötigen Investitionen in die Lieferkette für Autobatterien sind jedenfalls enorm. Rund 514 Milliarden Dollar müsste die Industrie weltweit investieren, um die geschätzte Nachfrage im Jahr 2030 zu decken. Das geht aus einer aktuellen Studie der US-Analysefirma Benchmark Minerals hervor. Allein für die Produktion der kritischen Rohstoffe werden demnach 220 Milliarden Dollar benötigt – also mehr als 40 Prozent der Gesamtsumme.Lithium werde mehr als jeder andere Teil der Lieferkette zum „Flaschenhals für das Wachstum der Batterieindustrie“, sind die Analysten überzeugt. STRATEGISCHE RISIKEN IM EINKAUF Dem Kampf um den begehrten Rohstoff stellen sich die Konzerne aber ganz unterschiedlich. „Die Strategien der Nordamerikaner, Chinesen und Europäer in Bezug auf Batterierohstoffe gehen sehr weit auseinander“, sagt der Geologe Michael Schmidt von der Deutschen Rohstoffagentur (Dera), die als Teil der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zum Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums zählt. Während beispielsweise der chinesische Automobilhersteller BYD die Lieferkette für Lithium beinahe vollständig ins Unternehmen integriert hat, haben sich deutsche Produzenten sehr lange darauf verlassen, dass sie ihre Bauteile jederzeit am Markt beziehen können. „Bei unseren Autoherstellern hat in den vergangenen zwei Jahren jedoch ein Umdenken eingesetzt. Man sieht nun deutlich den Bedarf an einer strategischen Ausrichtung des Einkaufs, um sich gegen Risiken abzusichern“, sagt Schmidt. Nur betrieben die Amerikaner und Chinesen diese Absicherung bisher noch konsequenter als die Konzerne in Europa. Das hat auch mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun, wie ein Beispiel zeigt. Bis zum vergangenen August kündigten in den USA insgesamt 22 Unternehmen den Bau von großen Batteriezellfabriken an. Dann kam der Inflation Reduction Act, kurz IRA. Hunderte Milliarden Dollar stellt US-Präsident Joe Biden mit dem Förderprogramm für Investitionen in grüne Technologien bereit – vor allem über Steuergutschriften für Unternehmen. Die Mittel bekommt aber nur, wer große Teile seiner Produktion in die USA verlegt. Mit dem Förderprogramm ist die Zahl für neue Baupläne im Land sprunghaft auf bis zuletzt 34 gestiegen, wie aus der Benchmark-Studie hervorgeht. Damit sind die USA sogar an Europa vorbeigezogen. „Seit Inkrafttreten des IRA im vergangenen Jahr hat die Produktionskapazität für Batteriezellen in den USA eine deutlich höhere Wachstumsrate verzeichnet als in Europa und sogar China“, sagt Evan Hartley, Analyst bei Benchmark Minerals. Das unterstreiche die Attraktivität der Vereinigten Staaten. Die meisten Ankündigungen kämen von weltweit renommierten Auto- und Batterieherstellern, die ihren Platz in der nordamerikanischen Lieferkette etablieren und ausbauen wollten, sagt Hartley. Die Industrie vor Ort stürzt sich deshalb auch auf die Rohstoffvorkommen in Nordamerika. Laut dem Institute for Energy Research, einer gemeinnützigen Organisation aus Washington D.C., verfügen die USA immerhin über mehr als drei Prozent der weltweiten Reserven. Bislang gab es dort aber nur eine einzige Mine. In Silver Peak (Nevada) baut der US-Konzern Albemarle den Rohstoff aus Salzwasser ab, das sich unter der Erde befindet. Einige Tesla-Batterien enthalten schon Lithium aus Nevada. Doch die jährliche Gesamtproduktion des Standorts reicht nur für etwa 80.000 Fahrzeuge, schätzt das Institute for Energy Research. Dabei wurden allein in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres rund 370.000 Elektrofahrzeuge in den USA verkauft. So sichern sich die amerikanischen Autobauer schon jetzt Rohstoffe aus Minen, die noch gar nicht gebaut sind. Neben GM in Nevada hat Ford zuletzt Lithium aus Kanada eingekauft. Bis zu 13.000 Tonnen weiterverarbeitetes Lithiumhydroxid pro Jahr soll das Unternehmen Nemaska Lithium liefern, das den Stoff in seiner Anlage in Bécancour (Quebec) produzieren will. Tesla wiederum hat jüngst eine Vereinbarung mit dem Bergbauunternehmen Piedmont Lithium geschlossen. Zunächst soll der Rohstoff ebenfalls aus Kanada stammen, langfristig will die Firma aber Lagerstätten im US-Bundesstaat North Carolina erschließen. Und im Süden Kaliforniens, am Saltonsee, experimentieren drei Firmen mit einer besonders nachhaltigen Gewinnung des seltenen Minerals. Mithilfe von chemischen Verfahren wollen sie Lithium aus Sole extrahieren – und sind damit längst auf dem Radar großer Konzerne, darunter auch BMW. EUROPA IN SCHWACHER POSITION Die Amerikaner sind den Europäern damit weit voraus. Östlich des Atlantiks wird das Metall bisher weder nennenswert abgebaut noch aufbereitet. „Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass Europa zwischen den beiden Polen Nordamerika und China eine deutlich schwächere Position hat“, sagt DeraGeologe Schmidt.Unter den deutschen Autobauern hat BMW den besten Überblick über die eigene Lieferkette. Das haben die Münchner schon in der Chipkrise bewiesen: Während VW-Vorstände noch lernen mussten, wer die Halbleiter für ihre Fahrzeuge herstellt, hatte BMW die eigene Lieferkette dafür schon stabilisiert. Auch beim Rohstoffeinkauf hat der Konzern einen Vorsprung. Nach eigenen Angaben kauft BMW „Lithium und Kobalt direkt bei den Rohstoffproduzenten ein und stellt sie ihren Batteriezell-Lieferanten zur Verfügung“. Man wolle damit „vollständige Transparenz über die Herkunft und Abbaumethoden des Materials“ schaffen, heißt es in einer Antwort auf Fragen von WELT AM SONNTAG. Lithium beziehe man derzeit aus Argentinien und Australien. Eine solche Bergbaubeteiligung wäre für Mercedes-Benz und den VolkswagenKonzern deutlich wichtiger als für BMW, denn beide steigen gerade in die Produktion von Batteriezellen ein – was BMW nicht vorhat. Volkswagen zieht derzeit in Niedersachsen, Spanien und Kanada gewaltige Fabriken hoch, Mercedes ist gemeinsam mit dem Autoriesen Stellantis und dem Energiekonzern Total Teilhaber des europäischen Zellherstellers ACC, der seine erste Fertigungsstätte in Nordfrankreich gerade eröffnet hat. Trotzdem kaufen beide Autohersteller Lithium noch nicht direkt ein – ein Risiko angesichts der drohenden Engpässe auf dem Weltmarkt. Entsprechend hoch ist der Druck auf die Einkaufsabteilungen, den Nachschub für die künftige Elektroautoproduktion abzusichern. Bei VW heißt es, man habe „über alle kritischen Batterierohstoffe hinweg im Durchschnitt bereits bis zu 30 Prozent des Bedarfs für das Jahr 2030 gesichert“. Es fehlen also noch 70 Prozent. Die will man über einen Mix aus langfristigen Lieferverträgen, kurzfristigem Einkauf auf dem Markt und Partnerschaften beschaffen. Ein Baustein ist dabei das geplante Gemeinschaftsunternehmen mit dem belgischen Chemiekonzern Umicore, von dem VW künftig einen Großteil des Kathodenmaterials für die eigenen Batteriezellen beziehen soll. WICHTIGE FABRIK IN BRANDENBURG Auch Mercedes-Benz hat sich einen Partner für Batteriematerial gesichert: das deutsch-kanadische Start-up Rock Tech, das im brandenburgischen Guben eine Raffinerie für Lithiumhydroxid aufbaut. Neben weiteren geplanten Partnerschaften werde diese Fabrik „eine Schlüsselrolle bei der Sicherung der Lithiumversorgung für unsere Batterieproduktion in Europa spielen“, heißt es bei Mercedes-Benz auf Anfrage. Die Liefervereinbarung umfasse eine jährliche Menge von durchschnittlich 10.000 Tonnen Lithiumhydroxid, was für rund 150.000 EAutos ausreiche. Die Stuttgarter sehen bei der Sicherung der Rohstoffversorgung auch die Politik in der Pflicht: Es sei wichtig, dass „die Politik Maßnahmen ergreift, um die Resilienz der europäischen BatterieWertschöpfungskette zu stärken“, so wie den von der EU vorgestellten Critical Raw Materials Act. Ein Kernaspekt müsse dabei die inländische Gewinnung und Weiterverarbeitung der Rohstoffe sein. „Um die Abhängigkeit von Dritt-Ländern zu reduzieren, muss Europa unter Nutzung bestehender heimischer Quellen seine eigenen Verarbeitungs- und Raffineriekapazitäten für Batteriematerialien aufbauen“, fordert MercedesBenz. Klar sei aber, dass auch künftig ein erheblicher Anteil der kritischen Rohstoffe in der EU durch Importe gedeckt werden müsse. Das sieht auch Dera-Experte Schmidt so: „Es ist eine sehr gute Entwicklung, dass man versucht, Wertschöpfungsketten hier in Europa aufzubauen.“ Sie könnten zu einer Eigenversorgung mit Lithium von 25 bis 35 Prozent bis zum Jahr 2030 beitragen, schätzt er. Im Vergleich zur heutigen Importquote von 100 Prozent wäre das schon ein deutlicher Fortschritt. Das wesentliche Problem aus seiner Sicht ist die sehr knappe Zeit für den Aufbau einer eigenen Lithiumindustrie. Etwa 20 Projekte gebe es aktuell in Europa. Normalerweise brauchten solche Bergbauvorhaben, je nach Region, einen Vorlauf von fünf bis zehn Jahren. In der Bundesregierung geht das Thema kritische Rohstoffe seinen gemächlichen bürokratischen Gang. Anfang der Woche empfing Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den australischen Premierminister Anthony Albanese in Berlin. Im Kanzleramt sprachen sie vor allem über die Lage in der Ukraine im Vorfeld des Nato-Gipfels, zu dem Albanese eingeladen war. Scholz sagte danach, dass aus Sicht Berlins nun auch die Lieferung von Energie und Metallen ein Thema der nationalen Sicherheit sei. Man habe „vereinbart, die Zusammenarbeit unserer Länder beim Aufbau von Lieferketten für kritische Mineralien und Rohstoffe weiter zu vertiefen“. Konkrete Projekte wurden nicht beschlossen. Der Kampf ums weiße GOLD Amerikanische Autobauer sichern sich Zugang zu großen Lithiumvorkommen. Denn bei dem für Batterien so wichtigen Rohstoff droht ein Engpass. Deutsche Konkurrenten schauen bislang eher zu +, bis +, +, bis +, +, bis -, -, bis -, -, bis -, Länderrisiko * +, = theoretisch beste Regierungsführung, -, = theoretisch schlechteste Regierungsführung *Jährliche Bewertung von mehr als Staaten durch die Weltbank anhand von sechs Indikatoren Keines der wichtigen Lithium-Förderländer wird in die schlechteste Kategorie eingestuft Drei Länder dominieren den Markt Weltweite Bergwerksförderung von Lithium im Jahr , in Prozent und in Tonnen (t) Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ,% Simbabwe t ,% Argentinien . t ,% Brasilien . t ,% Portugal t ,% USA . t ,% Kanada t ,% Chile . t ,% China . t ,% Australien . t Anteil der drei größten Förderländer D . t (ca. , %) I m„Senor Sisig“, einem Restaurant in San Francisco, sind neuerdings Diebe unterwegs. Auf die Einnahmen in der Kasse haben sie es jedoch nicht abgesehen, sie klauen etwas für sie derzeit Wertvolleres: die scharfe Sriracha-Soße des kalifornischen Herstellers Huy Fong. In Flaschen steht diese normalerweise auf den Tischen, damit Gäste ihr Essen aufpeppen können. Doch Kunden lassen sie offenbar zunehmend mitgehen, wie Lokalmedien berichten. Denn ihr Wert ist zuletzt in vorher ungeahnte Höhen gestiegen. VON LAURIN MEYER AUS NEW YORK In den USA ist ein regelrechter Wettlauf um Sriracha-Soße entstanden. Erfunden wurde sie mutmaßlich in Thailand, mittlerweile ist sie weltbekannt. Das Rezept klingt einfach: Die feuerrote Tunke besteht aus Chili, Zucker, Salz, Knoblauch und Essig. Doch wer den Kult-Dip aus der Klarsichtflasche mit grünem Deckel derzeit kaufen möchte, muss teils mehr als 100 Dollar (knapp 90 Euro) hinblättern – und damit etwa 20-mal mehr als üblich. US-Supermarktketten wie Walmart verlangen rund 86 Dollar für zwei Flaschen, und auf Online-Marktplätzen wie eBay bieten Privatpersonen ihre Restbestände im Küchenregal zu Mondpreisen an. Der Grund: Schon das zweite Jahr infolge hat der Hersteller mit Produktionsproblemen zu kämpfen. Huy Fong macht die langanhaltende Dürre in Mexiko und dem Südwesten der USA dafür verantwortlich. Denn diese beeinträchtige die Ernte von Chilischoten, der Hauptzutat. Die Trockenheit im vergangenen Jahr soll die schwerste seit 1200 Jahren gewesen sein, wie US-Klimaforscher behaupten. Und auch 2023 leidet die Region wieder unter der Dürre. Bereits im vergangenen Jahr warnte das Unternehmen: „Aufgrund der Witterungsbedingungen, die die Qualität der Chilischoten beeinträchtigen, sind wir derzeit mit einem noch größeren Mangel konfrontiert.“ Ohne diese wichtige Zutat könne man schließlich keines der Produkte herstellen. Vor Kurzem wurde die Herstellung in begrenztem Umfang zwar wieder aufgenommen, so die Firma. Sie teilte aber sogleich mit: „Leider haben wir immer noch einen Mangel an Rohstoffen.“ Wann sich das Angebot erholen werde, könne der Hersteller nicht abschätzen. Huy Fong befindet sich im Privatbesitz des Gründers David Tran, der in den 1970er-Jahren mit seiner Familie aus Vietnam nach Los Angeles in die USA floh. Der Unternehmer baute dort ein eigenes Geschäft mit Sriracha auf. Gestartet mit einem Lieferdienst für asiatische Restaurants in Kalifornien, hat Tran mittlerweile ein regelrechtes Soßen-Imperium geschaffen. Der Jahresumsatz des Unternehmens soll laut Insidern zuletzt bei rund 150 Millionen Dollar gelegen haben. Die Knappheit an Rohstoffen macht sich offenbar auch auf dem gesamten Marktsegment bemerkbar. Allein 2022 sind die Preise für sämtliche Soßen – also auch Ketchup beispielsweise – in den USA um zwölf Prozent gestiegen, in diesem Jahr durchschnittlich um neun Prozent, wie Zahlen der amerikanischen Statistikbehörde zeigen. Damit lag die Tunken-Inflation über der allgemeinen Teuerung für Lebensmittel. Dennoch mutmaßen Kritiker hinter den Engpässen auch selbstverschuldete Probleme bei Huy Fong. Vor einigen Jahren zerstritt sich Tran mit seinem langjährigen Chilischoten-Bauern, der zwischenzeitlich einziger Lieferant für das Unternehmen war. Nach einem erbitterten Rechtsstreit musste Huy Fong nicht nur rund 23 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen, sondern sich auch nach neuen Zulieferern umsehen. Andere Hersteller wollen nun die schwierige Situation der Kult-Soße ausnutzen. Das Unternehmen McIlhenny etwa, das die bekannte Tabasco-Soße produziert, hat eine Internetseite namens „srirachashortage- .com“ eingerichtet, übersetzt also Sriracha-Mangel. Wer dort seine Postleitzahl eingibt, findet nahegelegene Verkaufsstellen für das Konkurrenzprodukt. Die Liebhaber der Sriracha-Soße von Huy Fong scheint das wenig zu kümmern. Sie halten dem Original die Treue und reißen sich um die verbliebenen Flaschen in den Supermarktregalen. Wer Restbestände gefunden hat, weiß damit zusätzlich zu prahlen: mit Fotos in den sozialen Netzwerken. PICTURE ALLIANCE / ABACA In den USA müssen Kunden für eine Flasche der weltbekannten Sriracha-Soße Scharfe Preise für Chili-Würze teils mehr als 100 Dollar zahlen. Denn der Hersteller hat Produktionsprobleme © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
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DW-840083 Michael Ferner „Küstengeflüster“ Urlaub machen, baden, entspannen - feinsinnig von Michael Ferner karikiert. Edition auf 375g Tintoretto Stucco Gesso. Nummeriert, handsigniert und limitiert auf 99 Blatt und 9 Belegexemplare. Gerahmt in silberfarbender Massivholzleiste mit Schrägschnittpassepartout, verglast. Format 58 x 44 cm (H/B). Preis 380 € Bestell-Nr. DW-944108R1 Nr. 1 Collier „Blue Sky“ Preis 248 € Bestell-Nr. DW-939271 Nr. 2 Armband „Blue Sky“ Preis 118 € Bestell-Nr. DW-939274 Nr. 1 Collier „Sky Dance“ Preis 248 € Bestell-Nr. DW-942434 Nr. 2 Ohrstecker „Sky Dance“ Preis 148 € Bestell-Nr. DW-942435 LIMITIERTE AUFLAGE –nur 199 Exemplare 2 1 2 1 VORTEILSPREIS 730 €* *Preis bis 31.07.2023, ab 01.08.2023 780 € © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
0,08 kommen in Deutschland statistisch gesehen auf ein Reisemobil. Weil die Zahl der Neuzulassungen schneller steigt, als die Camping-Infrastruktur wächst, droht sich der Stellflächenmangel in Zukunft weiter zu verschärfen. Standplätze Wohnmobile parken in Rendsburg am Nord-Ostsee-Kanal STEFFEN FRÜNDT D as Tankschiff „Lena Marie“ stampft auf dem Nord-OstseeKanal unter der Eisenbahnhochbrücke bei Rendsburg hindurch. Dann ertönt ein Tuten, und die Schwebefähre setzt ein paar Tagestouristen über. Zwei Highlights auf einmal. Torhild und Gisle Rygg haben ihre Campingstühle vor ihrem Wohnmobil aufgestellt und verfolgen das Geschehen aus der ersten Reihe. Die Luft flimmert bei mehr als 30 Grad, Rygg geht in seiner Badehose zum Kühlschrank und fischt sich noch ein PETBier heraus. Dann schauen die beiden Norweger wieder aufs Wasser und genießen gemeinsam die Ereignislosigkeit. VON STEFFEN FRÜNDT Vor zehn Jahren haben der 71-jährige Gisle Rygg und seine acht Jahre jüngere Frau sich ihr Wohnmobil zugelegt, sechs Meter lang und 3,5 Tonnen schwer. Und damit kommen sie nun schon genauso lange hierher, auf diesen Stellplatz am Kanal, jeden Sommer für zwei Wochen. Zum Parken. Mit ihnen ankern 35 weitere Camper in Zweierreihe im „Wohnmobilhafen“, wie die Anlage heißt. Ab und zu kommen weitere Rentnerpaare in weißen Kästen vorgefahren und müssen an der geschlossenen Schranke unverrichteter Dinge abdrehen. Kein Platz mehr. „Wer erst am Nachmittag kommt“, kommentiert Rygg mit der Weisheit des erfahrenen Wohnmobilisten, „der hat keine Chance.“ R eisemobile versprechen die große Freiheit auf vier Rädern. Mit ihnen können Besitzer ohne Buchungszwänge und Terminverpflichtungen spontan drauflosfahren, wohin immer sie Lust und Wettervorhersage treiben. Theoretisch. In der Praxis landen Reisemobilisten aber immer öfter nicht an einem lauschigen Plätzchen in der Natur, sondern vor einer verschlossenen Schranke. Statt des erhofften Wasseroder Bergblicks schauen sie auf eine Wand aus Wohnmobilen. Von der Nordund Ostseeküste bis zum Bayerischen Oberland derselbe Befund: Alles zugeparkt mit weißen Schränken. Die Überpräsenz der Freizeitfahrzeuge im öffentlichen Raum wird zu einem zunehmenden Ärgernis für deren Nutzer und für Menschen ohne Campingbezug sowieso. Für die Caravaning-Industrie wird beides zum Problem. „Die Zahl neu zugelassener Reisemobile hat in den letzten zehn Jahren enorm zugelegt, mit zweistelligen Wachstumsraten“, sagt Marc Dreckmeier, Marketingchef beim Caravaning-Industrieverband CIVD, und gibt den Wermutstropfen gleich hinterher: „Die Zahl der Stellplätze wächst nicht im gleichen Tempo mit.“ Rund 840.000 Reisemobile gibt es in Deutschland. Jährlich kommen 60.000 bis 70.000 hinzu. Rechnet man die 30.000 neu angeschafften Wohnanhänger hinzu, wächst die weiße Flotte mit jedem Jahr um 100.000 Fahrzeuge. Dem gegenüber stehen laut CIVD-Zahlen nur 4700 Reisemobilplätze mit Abstellmöglichkeiten für insgesamt 71.000 Campmobile. Um jeden Standplatz konkurrieren also statistisch zwölf Bewerber, die Norweger und Holländer noch gar nicht mit eingerechnet. Die Branche sucht händeringend nach Auswegen aus der Abstellmisere. Bei ihrer wichtigsten Messe, dem Caravan Salon in Düsseldorf, will man Ende August einen „Deutschen Stellplatztag“ abhalten und Möglichkeiten für ein schnelleres Wachstum der Übernachtungsinfrastruktur suchen. Noch sind die Auftragsbücher der Hersteller voll. Doch die Nachfrage nach den hochpreisigen Gefährten könnte bald nachlassen, wenn Besitzer nach dem Kauf nicht mehr wissen, wohin damit. „Wenn man im Sommer an der Ostsee nicht mehr in der ersten Reihe stehen kann, sondern 15 Kilometer ins Landesinnere ausweichen muss, haben wir ein Thema“, sagt Dreckmeier. „Dann würde dies das Bild der Freiheit trüben.“ Deutlich eingetrübt ist das Empfinden schon jetzt bei Udo Nickel. Er lebt eine Autostunde von Rendsburg und seinen Mobilheimern entfernt im schleswigholsteinischen Bad Segeberg. Die 18.000- Einwohner-Stadt ist überregional bekannt für ihre Karl-May-Festspiele. 400.000 Menschen rollten im vergangenen Jahr in das Städtchen, um rauchende Colts und galoppierende Pferde zu beklatschen. Den Beginn der Saison kann Nickel ganz einfach am Blick aus seinem Fenster ablesen. Der geht nämlich direkt auf den Parkplatz des örtlichen Marienkindergartens, wo normalerweise Eltern und Erzieherinnen ihre Autos abstellen. Im Sommer dagegen stehen hier an Vorführungstagen die Wohnmobile dicht an dicht, und im übrigen Stadtgebiet sieht es laut Nickel nicht viel besser aus. „Die Wohnmobile nehmen drei bis vier Parkplätze auf einmal in Beschlag. Dann ziehen sie die Markise aus, stellen ihre Campingtische auf und machen Party“, beobachtet Nickel. Nach dem Camping-Stelldichein hinterließen die ungebetenen Besucher Lachen abgelassenen Brauchwassers und vollgestopfte Mülltonnen, bestenfalls. In seinem Amt als Fahrradbeauftragter der Stadt sah sich Nickel berufen, die zunehmende Wohnmobildichte in Bad Segeberg zu thematisieren, und löste damit eine öffentliche Debatte aus. „Wohnmobile machen sich breit – und Bad Segeberg ist genervt“, titelte die Lokalzeitung. Anwohner stimmten ein in die Klage über zugestellte Parkplätze am Ihlsee, ignorierte Verbotsschilder und durch enge Altstadtstraßen rangierende Dreiachser. Mittlerweile beschäftigt das Thema die Kommunalpolitik, im städtischen Bauausschuss wird nun die Möglichkeit diskutiert, Teile der Karl-May-Parkplätze mit Stromanschlüssen auszustatten, um die sperrigen Mobile aus der Innenstadt zu locken. Ähnliche Diskussionen gibt es inzwischen vielerorts. Denn die Camper sind nicht mehr überall willkommen. An der Sechs-Seen-Platte in Duisburg regen sich Anwohner über wild parkende Wohnmobile und in Büschen entleerte Bordtoiletten auf. In München, Hamburg und Berlin gibt es Straßen, in denen Erdgeschossbewohner vor lauter Campern den Himmel kaum mehr sehen können. Manche Kommunen gehen dazu über, Abstellflächen explizit als PkwParkplätze auszuweisen, und vergrößern damit die Nöte der Campingfahrzeugbesitzer. Es gibt mittlerweile sogar ein eigenes Internetportal, das Standmöglichkeiten für die Reisemobile vermittelt. Thomas Nitsch verwendet das freundlichere Wort „Resonanz-Tourismus“. Wenn viele Reisemobile an einen Ort kämen, sagt er, dann könne dies bei den Menschen „Schwingungen“ auslösen, auch ganz wortwörtlich. Nitsch ist Stellplatzberater des CIVD. Im Dienste der Caravaning-Industrie hilft er Kommunen und Privatinvestoren dabei, mehr Stellflächen für Reisemobile zu bauen – und das, so sagt er, „sozial nachhaltig“. Was er damit meint, erläutert der Experte anhand eines aktuell laufenden Projektes im oberschwäbischen Ostrach. Dort gibt es einen Baggersee mit einem alten Kieswerk, das den Betrieb einstellt und den Weg freigibt für ein Naherholungsgebiet mit Badestelle und Strandgastronomie. Ein Ort wie geschaffen für – Wohnmobile. Wo jahrzehntelang die Kieslaster brummten, rollen bald die Freizeitmobile an. Um Ärger zu vermeiden, plant die Kommune nun eine sozialverträgliche Lösung in Form eines Reisemobilstellplatzes mit Stellflächen für 60 bis 120 Wohnmobile, der bewusst ein Stück zurück am Waldrand platziert wurde. „Die Kunst besteht darin, den Platz so hinzulegen, dass die Wohnmobilisten ihre Ruhe haben – die Anwohner aber auch“, sagt Nitsch. Gerade für Kommunen abseits der großen Urlaubsregionen eröffne der Reisemobil-Boom großartige Möglichkeiten, den Tourismus anzukurbeln. Für den Anfang reiche oft schon ein Schild für 1250 Euro, um einen bestehenden Parkplatz zum Areal für Wohnmobile umzuwidmen. Als Standorte besonders beliebt sind Spaßbäder oder Thermen, wo es für die Camper dann auch gleich warme Duschen gibt. Dass Reisemobilisten nichts ausgäben, sei ein Irrglaube, sagt Nitsch. Rund 50 Euro pro Person und Tag investierten sie für Bäcker, Supermarkt, Gastronomie. Immer häufiger berät Nitsch auch Privatunternehmer wie zum Beispiel Winzer, die ihre Erwerbsgrundlage um ein paar Wohnmobil-Stellflächen erweitern. „Das läuft sehr gut“, sagt Nitsch, und man kann es sich gut vorstellen. Erst wird bei der Weinprobe getankt. Und wer dann nicht mehr fahren kann, muss es auch nicht. Weiße Wand statt BELLA VISTA Bald wird es eine Million Reisemobile in Deutschland geben. Den Besitzern stellt sich zunehmend die Frage, wo sie die rollenden Heime noch abstellen sollen. Akute Stellplatznot wird zum Ärgernis – und zum Problem für die Industrie 24 WIRTSCHAFT * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 D er Weg für die Loslösung des Dialysespezialisten Fresenius Medical Care (FMC) vom Mutterkonzern Fresenius ist frei. Die Anteilseigner von FMC gaben auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am Freitag grünes Licht für die Umwandlung von einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) in eine Aktiengesellschaft (AG). 99,88 Prozent stimmten für die neue Rechtsform, die dazu führt, dass der Gesundheitskonzern die Tochter nicht mehr voll bilanzieren muss. Nötig gewesen wären 75 Prozent. Die Umwandlung soll spätestens bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein. Fresenius-Chef Michael Sen sagte, Fresenius werde größter Aktionär von FMC bleiben. FMC erhalte mit dem Schritt eine „einfachere, bessere und agilere Unternehmensstruktur“, warb Vorstandschefin Helen Giza. Das Unternehmen erhalte besseren Zugang zu den Kapitalmärkten, die Rechte der Aktionäre würden gestärkt. „Wir haben uns ausführlich mit möglichen Alternativen zur Umwandlung beschäftigt und ihre Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen. Es gibt keine Alternativen, die den Interessen der Gesellschaft und ihrer Aktionäre in vergleichbarer Weise dienen.“ Die Umwandlung kostet aber erst mal Geld: Giza erwartet bis zu 100 Millionen Euro an Einmalkosten. Fresenius hält zwar nur 32 Prozent an der Tochter, muss diese aber wegen der Machtverhältnisse in der KGaA-Struktur voll konsolidieren. Doch FMC hatte sich immer mehr zum Bremsklotz für den Konzern entwickelt. Vor allem der Mangel an Pflegekräften in den USA bremste die Erholung nach der Corona-Pandemie. Nach der Umwandlung fließen die FMC-Gewinne und -Verluste nur noch anteilig ins Ergebnis von Fresenius ein. rtr FMC löst sich von Mutter Fresenius Dialysespezialist wurde zunehmend Belastung für Gesundheitskonzern Wohin die Reise auch geht – die Camper sind schon da, hier in Amsterdam GETTY IMAGES/PAKIN SONGMOR D ie hohen Leitzinsen bescheren US-Großbanken einen kräftigen Gewinnschub. JPMorgan, Wells Fargo und andere machten im vergangenen Quartal zusammen 22 Milliarden Dollar Gewinn – 37 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zahlen zeigen, wie stark die US-Finanzindustrie weiter von den gestiegenen Leitzinsen profitiert. Die Banken können deutlich mehr für Kredite verlangen und erhöhen auf der anderen Seite sehr viel langsamer die Zinsen für Kundengelder. Die Folge: Die Marge steigt und mit ihr die Gewinne. Das größte Stück vom Kuchen sicherte sich Branchenprimus JPMorgan. Das Geldhaus profitiert unter anderem auch davon, dass es Anfang des Jahres in der Krise der US-Regionalbanken stark genug für Übernahmen war. Alles in allem kletterte der Überschuss in den drei Monaten bis Ende Juni im Vergleich zum Vorjahr um 67 Prozent auf 14,5 Milliarden Dollar. Die Erträge legten um gut ein Drittel auf 41,3 Milliarden Dollar zu – und damit in einem noch höheren Tempo als zum Jahresauftakt. Ähnlich wie bei JPMorgan sieht es bei der hierzulande kaum bekannten, aber in den USA stark präsenten Bank Wells Fargo mit Sitz in San Francisco aus. Sie verdiente im vergangenen Quartal fast fünf Milliarden Dollar und damit rund 57 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Erträge kletterten um rund ein Fünftel auf etwas mehr als 20 Milliarden Dollar. Wells-Fargo-Chef Charlie Scharf verwies aber auch auf Risiken: Verbraucher brauchten ihre Geldreserven auf, die Inflation sei weiter hoch, und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine könne schwere Folgen für die Wirtschaft haben. dpa Gewinnschub bei US-Banken JPMorgan & Co. profitieren von Zinsen © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
S tellen Sie sich vor, Sie bewerben sich auf eine neue Stelle, werden zum Vorstellungsgespräch gebeten – und sprechen erst einmal mit einem Computer. Sie sitzen vor Ihrem Laptop, die Haare gekämmt, den Blick in die Kamera, und auf dem Bildschirm erscheint die erste Frage: „Warum wollen Sie für unser Unternehmen arbeiten?“ Sie holen Luft, lächeln und bringen möglichst entschlossen Ihre Beweggründe vor. „Sind Sie ein Teamspieler?“, will die Maschine als Nächstes wissen. „Beschreiben Sie einen Misserfolg in Ihrem Leben und welche Lehren Sie daraus gezogen haben.“ VON INGA MICHLER Ein Algorithmus wird die Antworten auswerten. Er wird Punkte vergeben für die gemessenen Kompetenzen und „Soft Skills“ wie Kommunikationsfähigkeit, Teamgeist oder Eigeninitiative. Die Beurteilung der Maschine wird mitentscheiden, ob Sie eine Absage bekommen oder es in die nächste Runde der Bewerber schaffen. Zukunftsmusik? Keinesfalls. 35 Millionen Videointerviews hat allein die amerikanische Plattform HireVue nach eigenen Angaben bisher übertragen. Mercedes-Benz USA, der Verbrauchsgüterkonzern Unilever oder die Zeitarbeitsfirma Randstad gehören zu den Kunden. Diese können zu den Videogesprächen bestimmte Auswertungsmodule dazubuchen. Was allerdings genau analysiert wird und wie die Technologie von Mimik, Gestik und Wortwahl auf bestimmte Eigenschaften schließt, ist ein Betriebsgeheimnis. Womöglich wissen es selbst die Programmierer nicht mehr genau, denn die künstliche Intelligenz ist ein selbstlernendes System, das mit immer neuen Daten gefüttert wird. ALTERNATIVE NOTWENDIG In den USA wird die Technologie, die Firmen wie HireVue, MyInterview oder Retorio anbieten, bereits von Tausenden Unternehmen genutzt. Und auch hierzulande gibt es erste Kandidateninterviews mithilfe von künstlicher Intelligenz. Das kann die Berliner Rechtsanwältin Kathrin Schürmann bestätigen, die auf IT- und Datenschutzrecht spezialisiert ist. Sie hat für Unternehmen, die sie als ihre Klienten nicht namentlich nennen darf, geprüft, ob deren Einsatz der Technik rechtmäßig ist, und kam zu dem Schluss: „In bestimmten Grenzen sind KI-gestützte Videointerviews von Kandidaten auch in Deutschland rechtens.“ Dieser Rahmen wird in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und demnächst auch im KI-Gesetz der EU geregelt. „Für Bewerber muss die Nutzung eines KI-Tools wie HireVue schon heute freiwillig sein und vom potenziellen Arbeitgeber transparent gemacht werden“, erklärt Schürmann. Wer etwa kein KI-basiertes Videogespräch führen und aufzeichnen lassen möchte, muss eine andere Gelegenheit zur Vorstellung bekommen. Und es müsse offengelegt werden, welche Punkte durch die künstliche Intelligenz evaluiert würden. Wobei Transparenz hier relativ sei, sagt Schürmann. Zu viele Details, eine Veröffentlichung von ganzen Programmiercodes gar, würden wohl eher für Verwirrung bei den Job-Aspiranten sorgen. All das gilt, wenn die Technik lediglich Entscheidungen vorbereitet, ein Mensch aber das letzte Wort hat. Trifft eine KI die Wahl über Zu- oder Absage selbstständig, handelt es sich laut DSGVO um eine „automatisierte Einzelfallentscheidung“, für die besonders strenge Regeln gelten. Das könnte ein Grund dafür sein, dass Mercedes-Benz auf Nachfrage betont: „Einstellungsentscheidungen werden bei uns immer von Menschen getroffen.“ Grundsätzlich würden „verschiedene ITTools genutzt, die bei der Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten unterstützen“. Und ja: „Die HireVue Software ist bei Mercedes-Benz USA und Mercedes-Benz Canada im Einsatz.“ Bei welchen Positionen genau? Warum nicht in Deutschland? Welche weiteren IT-Anwendungen werden verwendet? „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu weiteren Details nicht äußern“, heißt es dazu nur. Es geht schließlich um die Arbeitgeberrechte auch in Deutschland. Und hierzulande sind die Menschen gegenüber neuer Technik oft besonders skeptisch. Dabei könnte sie – richtig eingesetzt – Bewerbungsprozesse durchaus verbessern, die Auswahl fairer und diverser machen. Dass Menschen in ihren Personalentscheidungen vorurteilsbehaftet sind und gern nach ihresgleichen suchen, zeigt ein Blick in die Vorstände der deutschen Dax-Unternehmen: Dort sitzen in der großen Mehrheit ältere deutsche Männer. „Seit Dekaden sind am Arbeitsmarkt diskriminierende Entscheidungen getroffen worden“, sagt der Arbeitsmarktökonom Philipp Seegers. Er hat am Maastricht Research Institute zum Thema Studienentscheidungen und ihre Folgen für die Beschäftigungsfähigkeit promoviert und im Jahr 2016 mit zwei Kommilitonen das Unternehmen Candidate Select gegründet. Dieses nutzt Algorithmen, um Abschlussnoten an unterschiedlichen Hochschulen und in verschiedenen Fächern für Arbeitgeber vergleichbar zu machen. Ist ein Topabsolvent der weniger bekannten Universität Siegen vielleicht vielversprechender als jemand, der den Abschluss an einer Elite-Uni mit einer Durchschnittsnote geschafft hat? Um solche Fragen zu beantworten, wertet Candidate Select weltweit riesige, anonymisierte Datenmengen aus, kombiniert Abschlussnoten verschiedenster Studiengänge und Universitäten mit den Ergebnissen von Intelligenz- und Persönlichkeitstests. Herauskommen Aussagen wie: Eine Ingenieurin der TU-München mit Abschlussnote 2 gehört zu den oberen sechs Prozent der Talente in Deutschland. VIELE ONLINE-COACHES Die Ergebnisse von Studien, welche die Modelle validieren, sind für jeden Interessierten einsehbar. Candidate Select hat derzeit 20 Kunden in Deutschland, darunter den Flugzeughersteller Airbus, die Deutsche Telekom, den Autobauer Porsche und den Chemiekonzern Evonic. Die Unternehmen sind einverstanden mit ihrer Nennung auf der Website von Candidate Select – wohl auch, weil es sich hier um eine wissenschaftlich überprüfte Software handelt, die per se nur Assistenzfunktion für menschliche Personalentscheider hat. Das ist bei anderen, durch künstliche Intelligenz gestützten Auswahltools nicht unbedingt der Fall. 2021 etwa musste der im Jahr 2012 gegründete deutsche KI-Pionier Precire Insolvenz anmelden. Er wollte durch die Sprachanalyse auf die Eignung für bestimmte Stellen schließen, erhielt allerdings in wissenschaftlichen Evaluierungen schlechte Beurteilungen. Candidate-Select-Gründer Seegers ist auch bei Video-Auswahlverfahren wie HireVue aus den USA skeptisch. „Die Eignungsdiagnostik über die Stimme hat bisher nachweislich nicht gut funktioniert. Bei der Auswertung von Gesten gibt es auch noch keine überzeugende wissenschaftliche Evidenz“, sagt er. Letztlich sei jede künstliche Intelligenz immer nur so gut und objektiv wie die Daten, mit denen sie gefüttert werde. Eine fundierte Bewertung der neuen Plattformen fällt tatsächlich schwer, da die Programmcodes und daraus resultierende Auswahlempfehlungen nicht öffentlich sind. Das hindert Kandidaten in den USA allerdings nicht daran, sich schon einmal auf die neue Technik einzustellen. Im Internet und bei YouTube bieten zahlreiche Coaches ihre Hilfe für Videointerviews an. Auch auf der Website der renommierten US-Hochschule Duke University findet sich eine Liste mit Tipps für ein Auswahlgespräch mit der Maschine. „Übe vorher, direkt in die Kamera zu sprechen“, heißt es darin. „Versuche, strukturierte und konsistente Antworten zu geben, und schlage den Bogen zu dem, was dich im Job erfolgreich machen wird.“ Und nicht vergessen: „Immer natürlich bleiben und schön langsam sprechen.“ GETTY IMAGES/PAOLO CARNASSALE Job-Interview mit der Maschine Bei der Entscheidung für oder gegen einen Stellenbewerber setzen Unternehmen zunehmend auf die Hilfe künstlicher Intelligenz Jetzt Bewerbung oder Nominierung einreichen! event.axelspringer.com/FuturePioneersAward Einsendeschluss: 31. August 2023 AWARD KATEGORIEN: FUTURE CITY FUTURE WORK FUTURE TECHNOLOGY FUTURE SUSTAINABILITY Wir suchen die Vordenker der jungen Generation, die bereit sind, sich den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen und die Zukunft zu gestalten. 12. OKTOBER 2023 IN BERLIN JETZT BEWERBEN ODER NOMINIEREN! Netzwerkpartner 16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 WIRTSCHAFT 25 ANZEIGE © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
1 Komikerin Carolin Kebekus, 43, führt die enge Bindung zu ihrem jüngeren Bruder auf ein Missverständnis als Kind zurück. „Ich war vier, als er geboren wurde. Und ich glaube, meine Eltern haben mir das einfach gut verkauft“, sagte die Kölnerin zur Vorstellung ihrer neuen TV-Unterhaltungssendung „Wir gegen die! Die Kebekus Geschwister Show“. Kebekus weiter: „Als der geboren wurde, dachte ich: Der ist für mich. Die haben halt nicht gesagt: ,Mama und Papa kriegen noch ein Kind‘, sondern: ,ICH bekomm noch ein Geschwisterchen.‘ Ich war davon überzeugt: Meine Eltern haben den für mich gemacht. Der gehört mir!“ SR SÜSSES MISSVERSTÄNDNIS PICTURE ALLIANCE/DPA/CHRISTIAN CHARISIUS A m Anfang stand ein Gelöbnis. Im Oktober 1876. Als der Schnee im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen in den bayerischen Voralpen schon zwei Meter hoch stand und vier Holzfäller nicht wussten, wie sie ihre Jahresarbeit fristgerecht aus dem Bergwald ins Tal bringen sollten. Da beteten sie und versprachen: Wenn das Wetter besser werde, würden sie das größte Gipfelkreuz der Gegend aufstellen. Und weil der Schnee bald so weit schmolz, dass ihre Arbeit im Wald nicht vergeblich war, wurde am 25. Juli 1877 das erste Bergkreuz auf der Benediktenwand bei Benediktbeuern aufgestellt. Mehr als 4000 Gipfelkreuze stehen in den Alpen. Für viele Bergwanderer sind sie schlicht das Zeichen, das Ziel erreicht zu haben. Für andere haben sie eine spirituelle Bedeutung: Als Ort der Andacht, der inneren Einkehr, an dem sich der Wanderer vor der Erhabenheit der Schöpfung verneigt. Und vielleicht auch an jene denkt, die hier einst ihrer Dankbarkeit für eine überwundene Krise sichtbaren Ausdruck verliehen haben. VON CLAUDIA BECKER Seit einigen Tagen tobt ein Streit über die Gipfelkreuze und ihre religiöse Bedeutung. Auslöser war eine Veranstaltung des Club Alpino Italiano (CAI), des italienischen Alpenvereins, Ende Juni an der Katholischen Universität Mailand. Dabei wurde über die Frage debattiert, ob weitere Kreuze auf Gipfel montiert werden sollten. Marco Albino Ferrari, Redaktionsleiter des Vereinsmagazins, wurde nach der Diskussion mit der Aussage zitiert, Kreuze als religiöse Symbole würden nicht mehr alle Bergsteiger ansprechen. Berge sollten vielmehr neutrale Orte sein. Ausdrücklich betonte er, dass er keineswegs dafür sei, bestehende abzubauen oder morsche nicht zu ersetzen. Dennoch löste er eine überaus emotionale Debatte aus, die zeigt, wie empfindlich die Stelle ist, die er mit der Behauptung getroffen hat, Kreuze seien nicht mehr zeitgemäß. Nachdem Verkehrsminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega den angeblichen Vorschlag, Kreuze auf den Bergen zu verbieten, als „Dummheit“ bezeichnet hatte, „ohne Herz und Verstand“, betonte der CAI-Präsident Antonio Montani, Ferrari habe nicht für den Verein gesprochen. Doch auch der Österreichische Alpenverein bezeichnete bald darauf neue Bergkreuze als unangebracht: Gestapelte Steine, sogenannte Steinmännchen, die es in allen Kulturen gibt, könnten Bergwanderern ebenso den Gipfel zeigen wie tibetische Gebetsfahnen. Der Deutsche Alpenverein (DAV) bleibt gelassen. Weil in Deutschland ohnehin auf allen nennenswerten Gipfeln ein Kreuz stehe, gebe es, so DAV-Präsident Roland Stierle zum Bayerischen Rundfunk, keinen Diskussionsbedarf über weitere Gipfelkreuze. Für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist die Diskussion damit aber nicht beendet. „Der Freistaat stellt sich klar gegen die Abschaffung von Gipfelkreuzen“, twitterte der CSU-Politiker. Bergsteiger-Legende Reinhold Messner indes, der schon 2015 in einem Beitrag für das evangelische Online-Magazin „Chrismon“ Gipfelkreuze als „Humbug“ bezeichnet hatte, sprach jetzt in der „Bild“-Zeitung von einer „Manie, auf jedem Hügel oder Berg ein Kreuz aufzustellen“. Christliches Symbol oder anachronistischer Humbug? Heimatzeichen oder Geste der Ausgrenzung? Für die Menschen aus Benediktbeuern, dort, wo seit dem 25. Juli 1877 auf 1801 Metern ein Gipfelkreuz auf der Benediktenwand thront, ist das Kreuz vor allem eines: ein Stück Identität. Vier Mal wurde es erneuert, jedes Mal war das ganze Dorf daran beteiligt. Als es 1919 ausgewechselt wurde, standen die Kriegsheimkehrer im Mittelpunkt. Die jungen Männer, die damals das „Friedenskreuz“ auf den Berg trugen, hatten den Ersten Weltkrieg überlebt. Es ist nur schwer vorstellbar, dass der gemeinsame Gang auf den Berg nicht auch etwas Tröstliches für die Kriegstraumatisierten hatte. G eorg Rauchenberger, erster Vorsitzender des Förderkreises für Brauchtum und Kultur Benediktbeuern und Umgebung e.V., war acht Jahre alt, als das Kreuz 1958 zum letzten Mal erneuert wurde. „Ich bin damals mit meinem Vater bei strömendem Regen raufgegangen“, erinnert er sich am Telefon. „Als wir die Berghütte vor dem steilen Anstieg zur Wand erreicht hatten, klarte der Himmel auf einmal auf. Vorher war alles wolkenverhangen, jetzt sah ich plötzlich, wie die Männer das Kreuz aufstellten. ,Schön‘, dachte ich, ,jetzt steht es wieder.‘“ Das sei ein erhebender Moment gewesen, den er nie vergessen habe. Bis heute verbinde der 73-jährige Diplomverwaltungswirt, der bis 2014 langjähriger parteiloser Bürgermeister von Benediktbeuern war, mit dem Kreuz besondere Augenblicke. Jedes Jahr wandert er am 25. Juli, am Jakobitag, „dem Tag des Schutzpatrons der Almleute“, mit einer Gruppe von 20 bis 40 Männern aus dem Dorf zum Kreuz, um eine kurze Andacht für die Verstorbenen zu halten und das „Benediktenwandlied“ zu singen. „Danach“, sagt Georg Rauchenberger, „gehen wir wieder runter und lassen den Tag mit Bier und Musik gemütlich ausklingen.“ Das Hochgebirge war bis weit ins 18. Jahrhundert hinein weder ein Ort, an dem man sich zu gemeinsamem Gesang versammelte, noch ein touristischer Anziehungspunkt. Wer sich freiwillig auf die über die Baumgrenze ragenden Felsen begab, musste verrückt sein. Zu groß war die Gefahr. „Verfluchter Berg“ hieß im Volksmund der Mont Blanc in den französischen Alpen. Der Mediziner Michel-Gabriel Paccard und der Abenteurer Jacques Balmat konnten der Versuchung dennoch nicht widerstehen, ihn 1786 zu erklimmen. Ihre Erstbesteigung des Berges war der Beginn des Alpinismus, der immer mehr Menschen in die unwirtlichen Höhen zog. Am Gipfel aber stellten die Pioniere Fahnenstangen auf. Die Autorin Claudia Paganini („Dem Himmel nah …: Von Gipfelkreuzen und Gipfelsprüchen“, Berenkamp) hat bei ihren Recherchen zur Kulturgeschichte der Bergkreuze herausgefunden, dass die Fahnenstangen bei den Einheimischen auf Skepsis stießen. Aus Furcht, die profanen Zeichen könnten Gott verärgern, hätten sie sie gegen Kreuze getauscht. Pilger hatten bereits Ende des 13. Jahrhunderts an Pässen und Anhöhen die ersten Kreuze aufgestellt. Häufig handelte es sich bei Bergkreuzen aber auch einfach nur um Grenzmarkierungen. Im 17. Jahrhundert wurden an vielen Stellen auch „Wetterkreuze“ aufgestellt. Diese mit zwei Querbalken versehenen Figuren vermischten heidnische Relikte mit christlicher Frömmigkeit und sollten Sturm und Hagel abwenden. Während des Dreißigjährigen Krieges dienten Kreuze in den Bergen zunehmend als religiöse Symbole. Mit einem kleinen Kruzifix versehen, setzten sie in dem Religionskrieg zwischen Protestanten und Katholiken ein klares Zeichen der Treue zu Rom. Auch während des Nationalsozialismus bekamen die Kreuze eine politische Bedeutung. Sie passten nicht in die kirchenfeindliche NS-Ideologie. Als beispielsweise nach einem Sturm das Gipfelkreuz auf dem Kramer bei Garmisch-Partenkirchen zu Bruch ging, erteilten die Nazis keine Genehmigung für die Neuaufstellung. Vielerorts wurden im Auftrag der Partei die Querbalken der Kreuze abgenommen – und heimlich von Bürgern wieder angebracht. Der Gipfel der braunen Attacke gegen die alpenländische Tradition war der „Hitlerberg“. So hieß seit 1934 der Heigelkopf in Bad Tölz. Auf die 1200 Meter hohe Kuppe stellten die Nationalsozialisten ein Hakenkreuz. Nachts wurde es von Fackeln beleuchtet. Inwieweit es in der Bevölkerung auf Widerstand stieß, lässt sich nicht nachvollziehen. Sicher ist, dass wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner ein Unbekannter das Hakenkreuz nachts beseitigt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden an vielen Stellen Gipfelkreuze in Gedenken an die Gefallenen. Seit den 60er-Jahren werden sie zunehmend Objekte kreativer Gestaltung. So wurde 1971 an der Schönfeldspitze in den Berchtesgadener Alpen eine Pietà als Gipfelkreuz errichtet, mit Maria als Stand- und dem gekreuzigten Jesus Christus als Querbalken. Das 2014 auf der österreichischen Buchsteinwand errichtete Jakobskreuz ist ein begehbarer Aussichtsturm. A uf der Benediktenwand standen all die Jahre stets schlichte schmucklose Holzkreuze. Nachdem das letzte Kreuz nach fast 65 Jahren so morsch geworden war, dass es im vergangenen Herbst abgebaut werden musste, soll noch im Juli ein neues errichtet werden. Unter der Leitung der Freiwilligen Feuerwehr und der Bergwacht ist das ganze Dorf beteiligt. Von den Männern, die im Winter drei Lärchen fällten, über die Handwerker, die das Holz bearbeiteten, bis zum Pfarrer, der kürzlich das fertige Kreuz weihte. 140 Männer und, wie Rauchenberger sagt, „Burschen“ haben sich für den großen Tag gemeldet, um dabei zu helfen, das neue knapp zehn Meter hohe und 1,4 Tonnen schwere Kreuz 600 Höhenmeter zum Gipfel zu tragen und dort aufzustellen. Für Georg Rauchenberger ist die Aktion nicht nur ein Ausdruck von Frömmigkeit und Traditionspflege, sondern auch von Gemeinsinn. Reinhold Messner aber möchte er stellvertretend für alle, die im Gipfelkreuz ein „Symbol einer Eroberung“ sehen, sagen: „Bleib doch einfach tolerant und lass unsere christlichen Traditionen in Ruhe!‘“ Sind Kreuze in den Bergen noch zeitgemäß? Während Politiker und Alpinisten über das christliche Zeichen debattieren, stellt das bayerische Benediktbeuern einfach ein neues auf Als 1958 an der Benediktenwand ein neues Kreuz aufgestellt wurde, half ganz Benediktbeuern mit PICTURE ALLIANCE/DPA/PETER KNEFFEL FREIWILLIGE FEUERWEHR BENEDIKTBEUERN Das Jakobskreuz auf der Buchsteinwand ist begehbar RAINER MIRAU/HUBER IMAGES Auf die Spitze getrieben Das Gipfelkreuz der Schönfeldspitze wurde als Pietà gestaltet 26 LEBEN * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 LEUTE Beatrice Casiraghi entstammt dem alten Adelsgeschlecht der Borromeos, sie ist Dior-Testimonial und verheiratet mit Pierre Casiraghi, einem der Söhne von Prinzessin Caroline von Monaco. Als Journalistin, Filmproduzentin und Regisseurin mit eigener Firma, Astreafilms, hat sich die 37-Jährige aber vor allem selbst einen Namen verdient: Ihr Dokumentarfilm „Lady Ndrangheta“ thematisierte 2015 die kalabrischen Mafiastrukturen. „Der König, der keiner war“ heißt ihre dreiteilige NetflixDoku, die gerade erschienen ist. Es geht um eine tödliche Tragödie im Jahr 1978, um einen Prinzen und einen deutschen Studenten. Bei einer Auseinandersetzung um ein Schlauchboot soll Prinz Vittorio Emanuele Filiberto US-Schauspielerin Whoopi Goldberg hegt diverse Anti-Wünsche für die Zeit nach ihrem Tod. „Ich will kein Hologramm sein“, sagte die 67-Jährige in der Talkshow „The View“. „Das steht schon seit 15 Jahren in meinem Testament.“ Diese dreidimensionalen Projektionen von Menschen fände sie „unheimlich und gruselig“. Wichtig sei ihr, zu vermeiden, dass Menschen sich einmal verpflichtet fühlten, sie auf einem Friedhof zu besuchen, darum möchte sie lieber eingeäschert werden. SR ICH WERDE NUR STAUB IM WIND SEIN. ICH WERDE UM DIE WELT ZIEHEN UND ÜBERALL SEIN. VIELLEICHT BIN ICH IN EUREM GARTEN – ICH WEISS ES NICHT Wieder ein Sohn! Die Zirkus-Dynastie Krone ist um ein Mitglied reicher: Direktorin Jana Mandana Lacey-Krone, 44, und ihr Ehemann Martin Lacey, 46, sind wieder Eltern eines Sohnes geworden. Das teilten sie am Samstag in München mit. Das Baby namens Leonard Lacey-Krone ist das dritte Kind der beiden und kam am Freitag zur Welt. Lacey-Krone hatte seit Februar wegen der Schwangerschaft das Training mit den Tieren nur noch hinter den Kulissen begleitet, ihre Auftritte mit Pferdedressuren in der Manege hatte ein Vertreter übernommen. Das Zirkuspaar hat bereits zwei Söhne, Alexis und Charles Martin. SR Nachwuchs bei Familie Krone PICTURE ALLIANCE /BREUEL-BILD/ABB von Savoyen, Sohn des letzten Königs von Italien, den unbeteiligten Dirk Hamer durch einen Streifschuss verletzt haben, angeblich versehentlich, wie er beteuerte. Das damals 19 Jahre alte Opfer erlag vier Monate später seinen Verletzungen. Der Prinz kam mit sechs Monaten Bewährungsstrafe davon, wegen unerlaubten Tragens einer Schusswaffe, so das Urteil 1991. 2011 tauchte dann ein Video auf, das ihn 2006 in U-Haft zeigte wegen diverser anderer Vorwürfe wie Urkundenfälschung, Korruption und Ausbeutung einer Prostituierten. In der Aufnahme soll der Prinz zugegeben haben, „auf das Bein von Dirk Hamer geschossen zu haben,und er prahlte damit, ungestraft davonzukommen“, schreibt das Magazin „Adelswelt“. Der Fall schien vergessen, bis Casiraghi ihn wieder aufrollte. Die Schwester des Opfers ist eine Freundin. Es gehe um Gerechtigkeit, auch aus der Täterperspektive, sagt die Regisseurin. Als Nächstes will sie die Grimaldi-Familie beleuchten. SR MARC PIASECKI/FILMMAGIC/GETTY IMAGES Schön mutig © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. 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16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 * LEBEN 27 NACHRICHTEN E s ist kurz nach sieben, als Jacky Hunt-Broersma nach der morgendlichen Trainingseinheit ihr Anwesen betritt. Die 47-Jährige lächelt zufrieden, ist bestens gelaunt, von Erschöpfung keine Spur. „Ich bin locker durchgekommen, obwohl es schon ganz schön heiß war“, berichtet sie nach einem fröhlichen GutenMorgen-Gruß. Bevor sie weiterredet, legt sie ihre metallic-schwarze Beinprothese ab und verschwindet im Bad, um Schweiß und Staub vom Halbmarathon abzuduschen. Die Distanz von gut 21 Kilometern wird die in Südafrika geborene Amerikanerin in ihrem Wohnumfeld in Gilbert im US-Bundesstaat Arizona ab dem 1. August für längere Zeit täglich laufen. VON GUNNAR MEINHARDT Der Monatsbeginn kennzeichnet den Tag, an dem die zweifache Mutter 21 Jahre krebsfrei sein wird. Im Sommer 2001 diagnostizierte man bei ihr das bösartige Ewing-Sarkom, einen seltenen Knochentumor, woraufhin ihr linker Unterschenkel amputiert werden musste. Durch den Jahrestag ihrer Genesung kam sie auf die Idee, analog dazu jeden Morgen mindestens 21 Kilometer zu laufen, bis sie die Marke von 5250 Kilometern erreicht hat. Diese Zahl repräsentiert die im Durchschnitt pro Tag festgestellten Krebserkrankungen in den USA. Für die Protagonistin heißt das, 250 Tage hintereinander einen Halbmarathon zu absolvieren. Jacky Hunt-Broersma scheint unverwüstlich zu sein, seitdem sie vor sieben Jahren mit dem Laufen begonnen hat. Erst im Vorjahr stellte die einstige Marketingchefin der Pharmaindustrie, die jetzt als Trainerin für den Ausdauerbereich Dutzende Aktive betreut, mit 104 Marathonläufen in 104 Tagen einen phänomenalen Weltrekord auf. Selbst ohne Prothese ist das noch niemandem gelungen. Außer ihr schaffte es auch noch kein Beinamputierter, 100 Meilen auf einem Laufband zurückzulegen – und das in weniger als 24 Stunden. Als erste Körperbehinderte stand sie auch unweit ihres Wohnorts beim legendären „Across the Years“ das sechstägige Rennen über 200 Meilen durch. „Jetzt kommt die nächste große Challenge“, sagt die dunkelhaarige Heroin mit spürbarer Vorfreude, nachdem sie erfrischt ins Wohnzimmer zurückgekommen ist. Sie kann es kaum erwarten, dass das neue Abenteuer endlich beginnt. WELT AM SONNTAG: Mrs Hunt-Broersma, erschrecken Sie nicht manchmal vor sich selbst? JACKY HUNT-BROERSMA: Warum sollte ich? Weil vielleicht auch Sie mitunter nicht glauben können, welche unfassbaren Torturen Sie trotz Handicap meistern? Wenn Sie und andere Menschen das so empfinden, kann ich das gut verstehen. Was ich mache, hat mit der Normalität auch nichts zu tun. Sie können ruhig sagen, dass ich verrückt bin – natürlich positiv verrückt. Ich bin nun einmal, wie ich bin. Ich kann nicht anders. Ich brauche sportliche Herausforderungen, die andere ungläubig den Kopf schütteln lassen. Das gehört zu meiner Mission. Die Sie wie beschreiben? Ich begann mit dem Laufen durch meinen Mann, mit dem ich seit 25 Jahren verheiratet bin. Er läuft, solange wir uns kennen, ultralange Strecken. Oh, da fällt mir gerade eine Frage ein: Wissen Sie, was wahre Liebe ist? Sie werden es mir sagen. Gemeinsam einen Ultramarathon zu laufen und sich am Ende nicht gegenseitig zu hassen (lacht). Schön, oder? Doch zurück zu dem, was Sie wissen wollten. Eines Tages im Frühjahr 2016 dachte ich mir, es wäre doch eine großartige Sache, wenn ich mit meinem Mann gemeinsam laufen würde. Ich hätte niemals für möglich gehalten, wie dieses Ansinnen mein Leben zum Positiven verändern würde. Durchs Laufen wurde aus mir eine völlig andere Frau, die wegen ihres Handicaps nicht mehr verschüchtert, verängstigt, von Traurigkeit und Essstörungen geplagt, sondern seitdem mit Selbstvertrauen und einem Gefühl des Stolzes durchs Leben geht. Beim Laufen kann ich meine Prothese nicht verstecken. Dadurch musste ich lernen, darüber zu reden, weil ich oft darauf angesprochen werde. Heute trage ich im Alltag sogar Shorts oder Kleider, was früher aus Scham undenkbar gewesen wäre. Dass ich Menschen, denen es ähnlich geht wie mir, dadurch inspirieren könnte, hatte ich nie gedacht. Daraus entstand meine Mission, anderen zu helfen, auch wieder fit und gesund zu werden, und zu zeigen, dass es okay ist, anders auszusehen. Und noch etwas möchte ich dazu sagen. Bitte. Meine äußerst beschwerliche Reise von der Krebsdiagnose über die Amputation bis hin zur passionierten Ultraläuferin hat mich gelehrt, dass ich stärker bin, als ich es mir in den kühnsten Fantasien jemals hätte erträumen können. Ich muss 200 Prozent härter arbeiten als ein Nichtbehinderter, es erfordert eine mordsmäßige Anstrengung, um meine Ziele zu erreichen. Aber dazu bin ich bereit, ich akzeptiere keine Grenzen. Der größte Ruhm im Leben liegt nicht darin, niemals zu fallen, sondern nach jedem Fallen wieder aufzustehen. Kennen Sie meinen Leitspruch für dieses Jahr? Verraten Sie ihn bitte. Wann immer du zweifelst, wie weit du gehen kannst, erinnere dich daran, wie weit du gekommen bist. Erinnere dich an alles, was du erlebt hast, an die Kämpfe, die du gewonnen hast, an die Ängste, die du überwunden hast, hebe dann deinen Kopf und schaue nach vorn, in der Überzeugung, dass dir dein Vorhaben gelingen wird. Mit dieser Gewissheit gehe ich auch in meine bevorstehende Challenge. Der Sie den Slogan gaben: „I can do hard things“, zu Deutsch: „Ich kann schwierige Dinge tun.“ Mit diesem Spruch ermutigte ich mich häufig während meiner 104 Marathonläufe. Anfangs flüsterte ich den Satz nur vor mich hin, doch je mehr ich daran glaubte, diesen Weltrekord schaffen zu können, verwandelte sich das Flüstern zu einem lauten Mantra. Doch nicht nur ich kann schwierige Dinge tun, sondern wir alle können das. Es braucht nur Mut und den Glauben an sich selbst. Wann kam Ihnen die Idee für das neue Laufprojekt? Nachdem ich mich zwei Tage lang nach meinem Marathoncoup ausgeruht hatte, die Glückshormone mich auf Wolke sieben schweben ließen … … und Sie in Champagner gebadet hatten … … (lacht herzhaft) Sie sind ja ein Witzbold! Ich habe einmal aus reiner Neugier, um zu erfahren, welche Auswirkungen Alkohol auf meinen ruhigen Herzschlag hat, Rotwein getrunken. Mein Ruhepuls liegt bei 50, durch den Alkohol stieg er auf 58 an. Ich konnte nicht gut schlafen, hatte mich von meinem Lauf am Vortag nicht richtig erholt, fühlte mich wie gerädert und wusste fortan, was ich nicht mehr brauche. Also auch keinen Champagner. (lacht) Nein, nachdem ich mich von den Strapazen erholt hatte, ging es mir wie jemand, der Heißhunger auf sein Lieblingsessen hatte. Ich gierte regelrecht danach, wieder zu laufen und dachte darüber nach, womit ich als Nächstes für Furore sorgen könnte. Als wir Weihnachten dann in der Familie zusammensaßen, präsentierte ich mein Geschenk für 2023 in Form dieses neuen Laufprojekts. Jeden Halbmarathon werde ich namentlich jemandem widmen – der entweder eine Krebserkrankung überlebte, derzeit gegen Krebs kämpft oder sein Leben durch Krebs verlor. Die Resonanz der namentlichen Meldungen ist überwältigend. Die Anzahl übersteigt schon jetzt fast die anvisierten 250. Was machen Sie, wenn es mehr als 250 Bitten für Namensnennungen gibt? (überlegt kurz) Dann werde ich wohl noch einige Halbmarathons mehr laufen müssen. (schmunzelt) Der Weltrekord liegt derzeit bei 441 in Folge. Vielleicht entscheide ich mich irgendwann sogar, mehr als 500 hintereinander zu laufen. Warten wir es ab. Jetzt sind erst einmal die 250 in Stein gemeißelt, mit denen ich auch Geld sammeln möchte für die Krebsforschung und die Sarcoma Foundation, eine Wohltätigkeitsorganisation. Wer Lust hat, kann sehr gern mit mir persönlich oder aber virtuell laufen. Wann werden Sie täglich starten? Mein Wecker klingelt immer um 4.30 Uhr. Um fünf Uhr verlasse ich das Haus, nachdem ich eine Kleinigkeit gegessen habe. Eine halbe Stunde später trabe ich los. Wegen der Temperaturen muss ich so früh beginnen. Schon um diese Zeit gibt es bei uns kein schattiges Plätzchen mehr. Die Sonne scheint bereits so intensiv, dass wir über 30 Grad haben. Ich werde stets Eis, Wasser, Rückenwind und Donuts mitbringen, für diejenigen, die mit mir laufen möchten. Wer rennt nicht gern für Donuts … Mein früher Start hat aber noch einen anderen Grund. Welchen? Ich möchte zurück sein, wenn meine zehnjährige Tochter und mein zwölfjähriger Sohn aufstehen, um sie für die Schule fertigzumachen. Anfangs hatte ich bei meinen aufwendigen Laufaktionen oft Schuldgefühle gegenüber den Kindern, weil ich ihnen zu wenig Zeit widmete. Inzwischen weiß ich aber, dass sie meine größten Cheerleader sind. Während meiner Marathonläufe schauten sie jeden Tag, ob es mir gut geht, und motivierten mich, den nächsten Lauf in Angriff zu nehmen. Sie sind mächtig stolz, ihren Freunden von den außergewöhnlichen Aktivitäten ihrer Mutter zu erzählen. Deren Leben das Laufen ist. Sie bringen das auf den Punkt. Laufen ist ein Privileg, ich sehe es nicht als selbstverständlich an. Egal wie hart ein Rennen ist, sie werden mich immer lächeln sehen. Weil ich so unendlich dankbar dafür bin, dass ich etwas machen kann, was viele Menschen gern tun würden. Deshalb laufe ich auch für jeden einzelnen Menschen, dem das nicht vergönnt ist. Woraus schöpfen Sie Ihre sagenhafte Energie, um Ihre Martyrien durchstehen zu können? Ich ernähre mich bewusst vitamin- und elektrolytreich, esse viel Obst und Gemüse sowie Eiweiß, was gut für die Regeneration und den Muskelaufbau ist. Sehr gern mag ich Erdnussbutter, am liebsten, indem ich eine Karotte dort reindippe. Ich gönne mir auch Pizzen und Donuts, das ist wichtig für den Kopf. Ich esse recht viel, die Kalorien zähle ich aber nicht, mein Körper sagt mir schon, welche Bedürfnisse er hat. Außerdem lasse ich mich wöchentlich vom Physiotherapeuten intensiv behandeln. Übrigens werde ich bei meinem neuen Projekt gelegentlich auch längere Strecken laufen, weil ich noch an einigen Rennen teilnehmen möchte. Ich bin mächtig aufgeregt. Drücken Sie mir bitte die Daumen, dass alles gut geht. Das werde ich tun. Sagen Sie mal, soll ich Ihnen noch etwas Lustiges erzählen? Sehr gern. Oft fragen mich die Leute, ob ich beim Schuhkauf das Paar komplett bezahlen muss. Ja, ich tue das. Gleichwohl frage ich immer die Verkäuferinnen, ob ich nur den halben Preis zu bezahlen brauche. Deren Gesichtsausdruck dann zu sehen ist urkomisch, da sie nicht wissen, was sie machen sollen. Sie wollen einen Amputierten schließlich nicht diskriminieren, haben sich aber auch noch nie mit einer solchen Frage beschäftigt. Ich habe viele brandneue linke Schuhe in meinem Schrank. Wenn also jemand linke Schuhe der Größe 42 sucht, kann er sich jederzeit gern an mich wenden. (lacht) 5250 Krebsdiagnosen werden täglich in den USA gestellt. 5250 Kilometer ist die Marke, die Jacky Hunt-Broersma schaffen will, indem sie täglich 21 Kilometer läuft PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PR/EDWIN BROERSMA Nachdem ihr Unterschenkel wegen einer Krebsdiagnose amputiert werden musste, entdeckte Jacky Hunt-Broersma die Langstrecke. Heute läuft sie Distanzen, die andere nur den Kopf schütteln lassen GRUPPENVERGEWALTIGUNG? Sechs Deutsche in Palma in Gewahrsam Am Samstag sind auf Mallorca sechs Urlauber aus Deutschland dem Haftrichter vorgeführt worden. Einigen von ihnen werde die Vergewaltigung einer 18-jährigen deutschen Touristin vorgeworfen, sagte ein Polizeisprecher am Freitag. Die spanische Zeitung „Última Hora“ berichtete, die Polizei habe auf zumindest einem Handy der Festgenommenen ein Video des Übergriffs gefunden. Einer der sechs jungen Männer hatte in der Nacht auf Donnerstag in der Partyhochburg am Ballermann eine Deutsche kennengelernt. Nach „Bild“- Informationen lernten sie sich am Strand kennen und hatten zunächst dort einvernehmlichen Sex. Danach hätten beide einvernehmlich in einem Hotelzimmer Sex gehabt. „Última Hora“ berichtet, später seien fünf Freunde des Mannes dazugekommen, mit zweien habe die Frau ebenfalls einvernehmlichen Sex gehabt, die anderen drei habe sie abgewiesen, worauf sie vergewaltigt worden sei. Die Frau konnte schließlich fliehen, fünf der Männer wurden am Donnerstagmorgen, der sechste Verdächtige am Freitag festgenommen. In Spanien kann Gruppenvergewaltigung mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. dpa REKORDTEMPERATUREN Hitzefrei an der Akropolis Wegen der derzeitigen Rekordtemperaturen hat das Kulturministerium in Athen Schließzeiten für das antike Wahrzeichen Griechenlands verfügt. „Zum Schutz von Arbeitern und Touristen an der archäologischen Stätte“ blieb die Akropolis am Freitag von zwölf Uhr bis 17 Uhr geschlossen, sagte Kulturministerin Lina Mendoni im Fernsehen. Athen erwartet nächste Woche bis zu 45 Grad. Auf der Akropolis sei „die gefühlte Temperatur … erheblich höher“, so das Kulturministerium. AFP KIRCHE MIT TRUCK DABEI Tausende feiern beim CSD Frankfurt Zum Christopher Street Day (CSD) zogen gestern Tausende Menschen mit Regenbogenfahnen, in bunten Outfits zu lauter Musik durch Frankfurt. Unter dem Motto „Here & Queer“ demonstrierten sie für die Rechte und Gleichstellung der LGBTIQ-Community. Die evangelische Kirche war mit einem Truck dabei. „Here and Queer – auch wir“ stand groß auf dem Lkw, auf dem Pfarrerinnen und Pfarrer, Gemeindemitglieder und Kollegen aus anderen Berufen mitfuhren. epd FOLGEN VON GEWICHTS-OP Todesursache Lisa Marie Presley Knapp ein halbes Jahr nach dem plötzlichen Tod von Elvis-Tochter Lisa Marie Presley haben Gerichtsmediziner deren Todesursache bekannt gegeben. Die Sängerin sei an den Folgen einer gewichtsreduzierenden Operation gestorben, hieß es in einer Mitteilung der Gerichtsmedizin im Los Angeles County. Der Eingriff liege zwar bereits Jahre zurück, in dessen Folge habe sich jedoch Narbengewebe gebildet, das zu einem Dünndarmverschluss geführt habe. Es handle sich um eine bekannte Langzeitkomplikation bei dieser Art von Operation. Presley habe am 12. Januar über schwere Bauchschmerzen geklagt. Später am Tag habe ihr Mann sie in ihrem Haus im kalifornischen Calabasas leblos aufgefunden. Im Krankenhaus habe sie einen Herzstillstand erlitten. dpa Polizisten führten die Verdächtigen in Mallorca zum Haftrichter DPA/CLARA MARGAIS „Stärker als in meinen kühnsten Fantasien“ © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
E s war einer der größten publizistischen Erfolge des New Yorker Stadtmagazins „Paper“. Der französische Fotograf Jean-Paul Goude reproduzierte 2014 ein Motiv, das er viele Jahre zuvor schon einmal realisiert hatte: Ein Model hält eine geöffnete Champagnerflasche in den Händen, die schäumende Flüssigkeit ergießt sich in hohem Bogenin ein Glas, das es auf dem Hintern balanciert. 1976 führte Carolina Beaumont dieses Kunststück mit nacktem Körper vor, 38 Jahre später war es Kim Kardashian im Abendkleid, deren Berühmtheit zu einem nicht geringen Teil mit ihrem üppigen und chirurgisch noch mal aufgepolsterten Po zusammenhängt. Sie wusste, was sie ihren Fans schuldig ist: In einem zweiten CoverMotiv hielt sie ihren nackten Hintern in die Kamera. Insgesamt 30 Millionen Neugierige besuchten die Homepage der Zeitschrift, die damals eine Printauflage von 155.000 Exemplare meldete. Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte: Das weibliche Gesäß ist nicht einfach nur ein Körperteil, sondern ein Faszinosum. Das findet auch die amerikanische Autorin Heather Radke, die ein ebenso unterhaltsames wie lehrreiches Buch geschrieben hat. „Vom Hintern. Die Geschichte einer Rundung“ (erschienen bei Piper) erzählt von Wettrennen in der Savanne zwischen Mensch und Gnu, vom (sehr umstrittenen) Evolutionsvorteil Schönheit, vom Twerken, jenem Tanzstil, bei dem ein möglichst üppiger Hintern zum Wabbeln, Zappeln und Zittern gebracht wird. Die Autorin unterrichtet Creative Writing an der Columbia University, und wie es heute üblich ist, fängt sie trotz des universellen Themas bei sich te Muskel des menschlichen Körpers, der gluteus maximus, bei keinem Lebewesen ist er so ausgeprägt wie beim Menschen. Er ermöglicht den aufrechten Gang – und eine Ausdauer beim Laufen, die dem homo erectusbeim Jagen viel schnellerer Tiere geholfen haben soll. Die andere entscheidende Funktion des Hinterns ist das Fettspeichern. Kein Lebewesen habe einen so hohen Fettanteil wie der weibliche Mensch, schreibt die Autorin, „mit Ausnahme von Meeressäugern und Bären kurz vor dem Winterschlaf“. Der Hintern sei, neben Hüften und Bauch, ein praktischer Ort, diese Fettreserven zu platzieren. Wenn man von den praktischen Aspekten absieht, hat der Po auch eine fulminante kulturelle Karriere hingelegt: straff bei den Bildhauern der Griechen, butterweich bei Rubens, knabenhaft bei Kate Moss. Eine Renaissance und Neubewertung läutete 1998 Jennifer Lopez ein. Mit ihrem Debüt-Album „On the 6“ war sie Galionsfigur der damaligen Latin-Welle im Pop, vor allem aber war sie 20 Jahre nach dem QueenSong „Fat Bottomed Girls“ die vielleicht erste Sängerin ihrer Strahlkraft, die ihren ungewöhnlich gerundeten Hintern als Markenzeichen einsetzte. Später nahm Beyoncé Knowles den Song „Bootylicious“ auf, um sich gegen Kommentare über ihren Körper zu wehren und, wie man heute sagt, die Deutungshoheit darüber zu manifestieren. „Schön, üppig, prall“ lautete ihre eigene Übersetzung dieser Wortschöpfung. Und ganz ehrlich: Wer hätte nicht gern einen Po mit diesen Eigenschaften? Und das ist es auch, was man Kim Kardashian zugutehalten muss: Sie hat dem großen Frauenhintern alle Türen geöffnet. as selbst an. Wie sie als Mädchen irgendwann bemerkte, dass ihr Körper Reaktionen hervorruft, nicht selten Spott oder Neid, wie ihr vermeintlich zu dicker Hintern plötzlich zur Quelle der Scham wurde – und später Begehren auslöste. Und wie fremd einem der Hintern bleibt, weil er eben selten zu sehen ist. „Dieses Ding schleppe ich mit mir rum?“, frage sie sich, wenn sie dann doch mal einen Blick im Spiegel erhasche. Und damit ist ein Teil seiner Faszination schon mal ganz gut beschrieben: Im Hintern steckt der größKunststück: Kim Kardashians Po JEAN-PAUL GOUDE/PAPER MAGAZINE Und praktisch ist er auch Vom Evolutionsmotor zum Statussymbol: ein kurzweiliges, lehrreiches Buch widmet sich dem weiblichen Hintern L WELT AM SONNTAG EBEN NR.29 16.JULI2023 SEITE 28 I hr Name war „Black Maria“. So nannten die Bewohner von Oklahoma City das schwarze Gerät, mit dem für Autofahrer düstere Zeiten begannen. Denn anders als die Madonna war diese Maria gnadenlos: Am 16. Juli 1935 wurde in der Hauptstadt des gleichnamigen US-Bundesstaates die erste Parkuhr aufgestellt. Das Bild zeigt eine Dame, die an der Ecke First Street/Robinson Avenue tat, was fortan alle tun mussten, die ihr Fahrzeug abstellen wollten: Für jede Stunde ein Fünf-Cent-Stück in den Schlitz stecken und durch Drehen an einem Knebelgriff die Zählscheibe aufziehen, die von diesem Moment an unaufhaltsam rückwärtslief. Länger parken kostete Bußgeld. Auf diese Weise sollte dem Problem der Dauerparker entgegengewirkt werden. 150 dieser „coin controlled parking meter“ waren in Oklahoma City aufgestellt worden. Erfunden hat sie der US-amerikanische Journalist Carlton Cole Magee. Als 1954 in Duisburg die erste Parkuhr in Deutschland aufgestellt wurde, bekam auch sie bald einen Spitznamen: „Groschengrab“. Heute haben moderne Parkscheinautomaten oder Apps die mechanischen Parkuhren ersetzt. Im Kopf aber hört man noch immer die vielen Münzen klimpern, die ein bisschen Parken verschlingt. clb OKLAHOMAN ARCHIVES PHOTO; POM INC. Maria ohne Gnade VOR 88 JAHREN KANADA MEHR ALS NUR EIN EMOJI Ein Gericht in Saskatchewan hat einen Präzedenzfall geschaffen: Ein Richter entschied, dass die Emoji-Antwort eines Landwirts, der auf einen Vertrag einen „Daumen hoch“ schickte, als Zustimmung zu den Vertragsbedingungen zu werten ist. Er muss nun knapp 55.000 Euro Schadenersatz zahlen. Auf dem Urteil befand sich ein „Daumen hoch“-Emoji. WAS BEWEGT DIE WELT? GETTY IMAGES/DIGITAL VISION VECTORS UNGARN GESETZ GEGEN LGBTQ+ Erst wurde die größte ungarische Buchhandelskette Libri von einer regierungsnahen Stiftung übernommen. Nun muss der Händler Bücher mit LGBTQ+-Charakteren in Plastik verpacken, weil ein umstrittenes Gesetz die Darstellung von LGBTQ+-Personen in Bildungsmaterialien oder Fernsehsendungen für Kinder verbietet. ITALIEN BRENNENDE VENUS Eines der berühmtesten Werke des Künstlers Michelangelo Pistoletto, die „Venus in Lumpen“, ist bei einem mutmaßlichen Brandanschlag eines Obdachlosen in Neapel verbrannt. Die Statue der römischen Göttin neben bunten Kleidern, die der 90-Jährige erstmals 1967 schuf, gibt es in mehreren Versionen. Die Installation soll wieder aufgebaut werden. REUTERS/BERNADETT SZABO REUTERS/CIRO DE LUCA M anchmal weiß ich auch nicht weiter. Eigentlich bin ich ein guter Ratgeber. Ich höre zu, nehme mir Zeit, und am Ende weiß ich meistens, was man tun kann: einen Handwerker anrufen. Zum Arzt gehen oder in kaltes Bier investieren. Aber hier und da hilft alles Zuhören nichts, dann muss ich kapitulieren. Wie jetzt gerade bei Robert. Der sitzt mit gesenktem Haupt auf meinem Balkon und schaut in seinen Weißwein. Er hat mir eine Stunde lang erzählt, wie er und Martina versuchen, ihre Ehe zu retten. Sie stecken fest, rutschen immer wieder in dieselben Muster, weshalb sie Kurse in Achtsamkeit und in gewaltfreier Kommunikation belegt haben. Robert erklärt mir, dass man zum Beispiel niemals sagen soll, was einem am anderen nicht passt, man soll Du-Botschaften vermeiden, weil sie konfrontativ sind, und besser in Ich-Botschaften die eigenen Gefühle spiegeln. Das sei sehr anstrengend, aber es lohne sich. Klappt nur nicht immer. Neulich zum Beispiel habe er sich große Mühe gegeben, nicht zu sagen, dass Martina in ihrer Lieblingshose etwas unvorteilhaft zur Geltung kommt. Er habe stattdessen gesagt: „Ich möchte dir spiegeln, dass ich mich bei deinem Anblick in dieser Hose an die schöne Safari in Tansania erinnert fühle.“ Sie habe gelacht und gefragt, ob er dabei an die Gazellen oder Antilopen denke, und er hat geantwortet: „Eher an die Elefanten.“ Und da war dann ganz achtsam der Ofen aus. Und gestern hat sie Robert dann gestanden, dass sie ihn betrogen hat. Mit einem Kollegen aus der Stadtverwaltung. Sie hat ihm gespiegelt, dass es eine total intensive Erfahrung gewesen sei und dass sie etwas mit ihr mache, was für die Beziehung vielleicht wertvoll sei. Dann hat sie Klamotten gepackt und ist erst mal zu ihrer Freundin. Und nun weiß Robert nicht weiter, weil er einfach keine Ahnung hat, wie man gewaltfrei und positiv in einer gespiegelten Ich-Botschaft ausdrückt, dass man gedenkt, dem Typen zeitnah sämtliche Knochen zu brechen und darüber hinaus der Meinung ist, dass Martina ihm gerade das Leben versaut. Ich habe dafür auch keine Lösung parat. Ich sage nur, dass ich es zwar absolut nachvollziehbar, aber wenig achtsam fände, dem Kerl mit der aserbaidschanischen Mafia zu drohen. Aber damit hat sich’s schon, weiter reichen meine Empfehlungen nicht. Nick kommt nach Hause und taucht alsbald auf dem Balkon auf. „Was ist denn hier los?“, fragt er. Wir geben ihm ein Update über Roberts Seelenlage und Nick fragt, ob sein Rat gefragt sei. Dazu muss man sagen, dass seine Tipps selten brauchbar sind. Vor einiger Zeit erklärte er mir mal völlig ernsthaft: „Wenn dich mal jemand auf der Straße angreifen will, musst du einfach sagen: Hey! Nicht! Ich hab Joghurt im Rucksack.“ Der Rat, den er Robert gibt, überrascht mich dann aber, denn er zeugt von einer Reife und Lebenserfahrung, die er sonst nie ausstrahlt. Ausgerechnet diese unstete Type öffnet nun den Kühlschrank, holt eine Flasche Spezi raus und sagt: „Lass deine Frau in Ruhe. Sie hat jetzt genug mit sich zu tun. Ruf sie nicht an, dräng dich nicht auf, mach dein Ding. Bleib cool. Sie wird eure 20 Jahre nicht einfach wegschmeißen. Sie braucht bloß mal ne Pause. Und du auch.“ Damit verlässt er die Küche, und wenig später dringt dumpfer Hip-Hop-Bass aus seinem Zimmer. Wir lassen es wummern und trinken schweigend unseren Wein. Nach einer Viertelstunde sagt Robert: „Wenn ich deinen Sohn angerufen hätte, hätte ich mir eineinhalb Stunden mit dir gespart.“ Ich finde das beleidigend, wenn man bedenkt, dass ich eineinhalb Stunden lang etwas Schöneres hätte machen können, als mir Roberts Gewimmer anzuhören. „Dafür war der Wein gut“, sage ich. Er sagt: „Geht so.“ Und da muss ich jetzt achtsam und in gewaltfreier Kommunikation sagen: Der Robert, der kann mich langsam echt am Arsch lecken. Achtsam anbrüllen VONJAN WEILER MEIN LEBEN ALS MENSCH D er Angeklagte kam in dunkler Hose, hellem Kurzarmhemd und wirkte unaufgeregt: Vor dem Amtsgericht in Mönchengladbach muss sich seit Mittwoch ein katholischer Pfarrer wegen gewerbsmäßiger Untreue und Geldwäsche verantworten. Er sitzt in Untersuchungshaft. Laut Anklage soll der 59-Jährige in seiner Zeit als Pfarrer der katholischen Gemeinde Hückelhoven mehr als 100.000 Euro von einem kirchlichen Spenden- und Kollektenkonto ins Ausland überwiesen haben. Außerdem soll er als sogenannter Finanzagent zwischen 2017 und Anfang 2020 von über 160 eigenen und fremden Konten Gelder aus Betrugsstraftaten in Höhe von insgesamt 10.000 Euro ins Ausland überwiesen haben. Vielfach seien die Beträge auf Konten in Afrika gegangen, so der Staatsanwalt. Zum Auftakt bestätigte der Angeklagte dem Gericht nur sein Geburtsdatum, seinen Geburtsort Köln und seinen Familienstand als ledig. Zu den Vorwürfen werde er zunächst keine Angaben machen, erklärten seine beiden Verteidiger. Der Geistliche war im Februar an die deutsche Justiz ausgeliefert worden. Zuvor war er seit August 2020 in Brüssel im Gefängnis, nachdem er an einem belgischen Flughafen mit knapp drei Kilo Heroin erwischt worden war. Im Dezember 2020 wurde er in Belgien wegen bandenmäßigen Drogenhandels zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt. Nach Erkenntnissen über finanzielle Unregelmäßigkeiten hatte das Bistum Aachen im März 2018 Strafanzeige erstattet. Das Bistum hat ihn freigestellt, er darf nicht priesterlich tätig sein. Für den Prozess vor dem Amtsgericht sind bis Ende August vier weitere Termine geplant, 23 Zeugen sollen gehört werden. Der frühere Wirkungsort des Priesters, Hückelhoven, ist gut 20 Kilometer entfernt. Wer das ganze Geld bekommen hat? Das weiß nur der schweigende Pfarrer. Schweigender Pfarrer VONPER HINRICHS KRIMI AM SONNTAG Extremsport: Diese Frau läuft und läuft und läuft.... S. 27 © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
FREIER EINTRITT Der Fußball-Weltverband Fifa verschenkt 20.000 Tickets für die WM der Frauen in Australien und Neuseeland. Die Karten sind allein für Partien in den Stadien in Neuseeland vorgesehen. Der Weltverband will so gegen das bislang noch vergleichsweise geringe Interesse im Land des CoGastgebers ankämpfen. „Es gibt immer noch Tickets für einige Spiele in Neuseeland (Auckland, Dunedin, Wellington und Hamilton). Ob Sie jetzt also Hobby-Enthusiast oder Experte sind, dies ist Ihre Gelegenheit, um mitzumachen!“, schrieb Neuseelands Ex-Premierministerin Jacinda Ardern auf Instagram. STRUKTUR VERBESSERN Nationalspielerin Sophia Kleinherne hat vor Beginn der Weltmeisterschaft für eine flächendeckende Verbesserung der Rahmenbedingungen im Frauenfußball geworben. „Ich finde es sehr schade, dass man es nicht schafft, mehr Frauen zu ermöglichen, dass sie sich auf den Beruf als Fußballerin fokussieren können“, sagte die 23 Jahre alte Abwehrspielerin vom Bundesligisten Eintracht Frankfurt dem „Playboy“. Derzeit gebe es in der Bundesliga ein großes Gefälle zwischen den Topteams Bayern München, VfL Wolfsburg, Eintracht Frankfurt und TSG Hoffenheim, die den Großteil der Nationalspielerinnen stellen, und den anderen Klubs. Sie wolle sich mit ihren Auswahlkolleginnen daher dafür einsetzen, „dass Gehälter in der Frauen-Bundesliga angepasst werden und dass es möglichst zeitnah eine Art Grundgehalt gibt“. WAS WICHTIG WIRD WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SEITE 29 SPORT& WM Interview: Weltklasseschwimmer Florian Wellbrock über Vorbilder und Ziele S. 32 ALEXANDRA POPP DEUTSCHLAND D er Effekt war so zwar nicht beabsichtigt, doch er schien Alexandra Popp dennoch nicht zu missfallen. Die Kapitänin der DFB-Elf wollte ihre Mitspielerinnen auf das Gastgeberland einstimmen – mit einem launigen Vortrag über die Fauna Australiens. Dabei ging es zunächst um die verschiedenen Arten von Kängurus und Koalas, dann aber kam Popp auf „die giftigsten Tiere der Welt“ zu sprechen: die Schlangen und Spinnen. „Das kam nicht so gut an“, sagte die 32-Jährige und lachte. „Vielleicht habe ich mehr Angst gemacht, als ich wollte.“ Popp kann durchaus Angst einflößen – in der Regel jedoch ihren Gegenspielerinnen. Die Stürmerin hat sich in den vielen Jahren, in denen sie bereits auf TopNiveau spielt, mehr als nur Respekt erarbeitet. Sie verkörpert Wucht und Entschlossenheit. Popp geht ohne Rücksicht auf Verluste in jeden Zweikampf: Hat die Gegnerin das Bein zu hoch? Sie steigt trotzdem zum Kopfball hoch. Es ist vor allem ihre Unerschrockenheit, die sie zum entscheidenden Faktor im Hinblick auf die Titelhoffnungen der DFB-Equipe macht. Popp hat sich in den 13 Jahren, in denen sie für das Nationalteam spielt, zur unangefochtenen Führungspersönlichkeit entwickelt. So nimmt man sie nun auch von außen wahr: Obwohl sich die gelernte Tierpflegerin nie danach gedrängt hatte – mittlerweile ist sie längst das Sprachrohr der Mannschaft. Ob beim Streit über die TV-Übertragung der Frauen-WM, dem Thema Equal Pay oder was das Bekenntnis zum Tragen der Regenbogen-Kapitänsbinde angeht – Popp ist meinungsstark. Die WM kann für sie Höhepunkt und Showdown zugleich werden. „Ich möchte den Titel holen“, sagt die Frau, die sonst bereits alles gewonnen hat. Für ihr letztes großes Ziel ist sie bereit, alle Register zu ziehen. Sie bereitet sich akribisch auf die Spiele vor, wohl wissend, dass dies aufgrund ihrer langen Verletzungshistorie alternativlos ist. Und dass sie auch von ihren größtenteils deutlich jüngeren Kolleginnen sehr viel erwartet, hat sie zuletzt ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht. Wenn es sein muss, kann sie dabei auch mal Angst verbreiten. OM TRINITY RODMAN USA S ie ist eine Frau der Rekorde. Vor zweieinhalb Jahren wurde Trinity Rodman beim Draft als jüngste Spielerin in der Geschichte der National Women’s Soccer League ausgewählt. Bei ihrem Profidebüt für Washington Spirit in der US-Frauenliga traf Rodman dann gerade einmal fünf Minuten nach ihrer Einwechslung. Mittlerweile hat die Stürmerin ihren Vertrag beim Hauptstadtklub verlängert: Bis mindestens 2024 erhält sie 1,1 Millionen Euro pro Spielzeit; im Frauenfußball immer noch eine enorme Summe, die Rodman zur am besten verdienenden Spielerin in der Geschichte der Liga macht. Rodman, deren Vorname übersetzt die Dreifaltigkeit bedeutet, ist die Tochter eines ehemaligen Sportstars, dessen Haare eher für Dreifarbigkeit bekannt sind: Dennis Rodman. Der extrovertierte Basketballer, der an der Seite von Michael Jordan für die Chicago Bulls in der NBA auflief, gilt bis heute als Enfant terrible. Die Beziehung zu ihrem Vater gestaltet sich laut Tochter Trinity allerdings schwierig. „Mein Vater spielt keine große Rolle in meinem Leben“, teilte die 21-Jährige einst auf Instagram mit. Ihre Mutter Michelle Moyer sei ihr Vorbild, erklärte Rodman bereits 2019 in einem Interview. Die Bekanntheit ihres Vaters sei als Kind eher hinderlich gewesen. Mit vier Jahren spielte Rodman erstmals Fußball, der ihr nach eigener Aussage ein „Gefühl von Zuhause“ gegeben hat. Mit den Southern California gewann sie in der Jugend mehrere Landesmeisterschaften. In Kooperation mit ihrem Sponsor Adidas veröffentlichte Rodman das Kinderbuch „Wake Up and Kick It“, welches ihre Reise als Nachwuchsfußballerin erzählt. Mittlerweile gilt die 1,78 Meter große Außenstürmerin als kommender Superstar der Szene und erzielte in ihren 18 Länderspielen bisher vier Tore. Für ihre erste Weltmeisterschaftsteilnahme mit dem Team USA hat sie sich viel vorgenommen. „Ich erwarte, dass wir die gnadenloseste Mannschaft sind, dass wir niemals aufgeben und dass wir den Titel holen“, so Rodman vor der Abreise. rc MARTA BRASILIEN I hr voller Name lautet Marta Vieira da Silva, doch wenn von ihr die Rede ist, dann schlicht von Marta. Als sie vor 20 Jahren ihre ersten der bislang 108 erzielten Länderspieltore markierte, waren einige Mitspielerinnen aus dem aktuellen WM-Kader Brasiliens noch nicht einmal geboren. Marta, Stürmerin und 37 Jahre alt, ist ein Star im Frauen-Fußball. Neben Portugiesisch spricht sie fließend Englisch und Schwedisch, letztere Sprache lernte sie, als sie von 2004 bis 2008 im schwedischen Umea spielte. Die WM in Australien und Neuseeland ist die sechste, an der sie teilnimmt. Einzig die Japanerin Homare Sawa, 44, kam bislang ebenfalls auf sechs WM-Teilnahmen. „Ich muss dankbar sein für all die Jahre im Nationalteam. Die Möglichkeit zu haben, zum sechsten Mal bei einer WM zu spielen, ist etwas Unglaubliches“, sagte sie unlängst. Einen WM-Titel aber hat die sechsmalige Weltfußballerin des Jahres noch nie gewonnen. 1999 wurden die Brasilianerinnen Dritte, 2007 verloren sie erst im Endspiel gegen Deutschland, bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften 2015 und 2019 kamen sie nicht über den neunten und zehnten Platz hinaus. Der Traum vom Titel aber lebt. Im brasilianischen Team – und vor allem bei Marta. Für das große Ziel geht dieser Tage der Blick sogar in Richtung des Erzrivalen Argentinien. „Was sie für Lionel Messi getan haben, wollen wir für Marta tun“, sagte Martas Mitspielerin Kerolin unlängst: „Sie verdient es. Für das, was sie ist.“ Bei seiner fünften und letzten WM war es dem 36 Jahre alten Messi Ende 2022 in Katar gelungen, seine großartige Karriere mit dem langersehnten WM-Titel zu krönen. Die Mannschaft hatte sich in den Dienst des Superstars gestellt. Was die brasilianischen Frauen anbelangt, wird Marta zu Beginn des WMTurniers wohl erst einmal auf der Bank sitzen müssen. Die populäre Angreiferin, die seit 2017 für Orlando Pride in den USA spielt und dem Vernehmen nach rund 350.000 Euro pro Saison verdienen soll, hatte sich im vergangenen Jahr einen Kreuzbandriss zugezogen und erst im Februar nach elf Monaten Verletzungspause ihr Comeback gegeben. LaGa BARBRA BANDA SAMBIA D ie afrikanische Nation hat sich erstmals für ein globales Kräftemessen im Frauen-Fußball qualifiziert – man sollte also meinen, dass dies ein Grund für ausgiebige Freude wäre. Doch vor dem Auftaktspiel in Gruppe C gegen Japan überlagern zwei debattenreiche Eklats die Mannschaft. Laut „Guardian“ wird dem Cheftrainer des Teams sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Demnach sei Bruce Mwape, 63, im Fokus von Ermittlungen des nationalen Verbandes. „Es ist normal, dass der Trainer mit den Spielerinnen unserer Mannschaft schläft“, erklärte eine anonyme Quelle aus dem Team der englischen Zeitung. „Wenn er mit jemandem schlafen möchte, muss man Ja sagen.“ Der Fall wurde bereits im Herbst 2022 bei der Football Association of Zambia (FAZ) angezeigt – offensichtlich bislang ohne weitere Erkenntnisse oder Ergebnisse. Doch damit nicht genug: Denn auch um Spielführerin Barbra Banda gibt es Diskussionen. Ihr Mitwirken ist zumindest umstritten. Beim Afrika-Cup 2022 durfte sie nicht spielen, ihr war kurz zuvor die Teilnahmeberechtigung entzogen worden. Grund: Banda hatte offenbar wegen zu hoher Testosteronwerte ein Geschlechtsüberprüfungsverfahren nicht bestanden. Bei einem südafrikanischen Turnier und den Olympischen Spielen 2021 war die 23-jährige Kapitänin allerdings dabei – wie nun auch bei der kommenden Weltmeisterschaft. „Die WM-Teilnehmer versichern, eigene Untersuchungen durchzuführen und dass diese klar ergeben, dass ihre Spielerinnen weiblich sind“, heißt es vonseiten des Weltverbandes Fifa zu dem Fall Branda. Wie gut Banda auf dem Feld ist, musste unlängst die deutsche Mannschaft erfahren. Bei der 2:3-Niederlage gegen Sambia im letzten WM-Testspiel erzielte die Stürmerin zwei Tore. Auch abseits des Platzes ist die 1,70 große Spielerin, die bei Shanghai Shengli unter Vertrag steht, auffällig: 2021 gründete sie die „Barbra Banda Foundation“, die sich der Linderung der Armut, der Förderung von Gleichstellung sowie der Stärkung von Mädchen und Frauen durch den Sport widmet. jb MEGAN RAPINOE USA G ut möglich, dass es bald etwas stiller wird um Megan Rapinoe. Sie tritt ja ab von der großen Bühne, so hat sie es vor einigen Tagen verkündet. Nach der Saison beendet sie ihre Karriere, es wird die letzte WM der 38-Jährigen sein. Nur leiser wird sie nicht werden, davon ist schon jetzt auszugehen. Einen „wirbelnden Derwisch des Widerstands“ hat sie das „Time Magazine“ in seiner jüngsten Ausgabe genannt, wo sie kurz nach King Charles auf dem Titel das Cover füllt. Eine laute Frau mit einer Mission und vielen Botschaften ist sie, ob im Trikot oder den weiten Männerhemden, die sie so gern trägt. Überhaupt der Lärm, Rapinoe liebt ihn. Es ist ihr Elixier. Die meisten Athleten versuchen, alles auszublenden – den Jubel, das Gejohle der Stadionmassen. Die Angreiferin aber saugt es auf: beim Gang auf den Platz, beim Eckball, bei allem. „Ich höre alles“, sagt sie, „die Menge, die Fans.“ All das Für und Wider, den Jubel für ihre Aktionen, die Buhrufe gegen ihre Person. Es ist, als ob sie all den Wirbel um sich nie auch nur eine Sekunde ausblenden möchte. Rapinoe ist zumindest in ihrer Heimat eine der am meisten diskutierten amerikanischen Sportlerinnen. Sie hat viele Kämpfe begonnen, vor allem gesellschaftliche, und die meisten gewonnen. Vor mehr als einem Jahrzehnt outete sie sich als homosexuell und hat dadurch für viele Frauen die Tür weit aufgestoßen. Sie kniete aus Solidarität mit dem dunkelhäutigen Footballer Colin Kaepernick nieder, als viele es sich noch nicht trauten. Und sie kämpfte entschlossen um gleiche Bezahlung von Männern und Frauen in ihrem eigenen Fußballverband. Der gab im vergangenen Jahr klein bei. Es ist ihre vierte WM. Als sie 2019 in Frankreich zum zweiten Mal in Folge den Titel gewann, als beste Spielerin und Torjägerin ausgezeichnet wurde, da verkündete sie, aus Protest gegen den damaligen US-Präsidenten Donald Trump zur Ehrung nicht ins „fucking White House“ gehen zu wollen. Vergangenes Jahr machte sie es dann doch, denn der Hausherr war ein anderer. Joe Biden verlieh ihr die Presidential Medal of Freedom. Rapinoe ist die erste Fußballerin, die damit geehrt wurde. Keine hat sie mehr verdient. pk CREDITS VON LINKS NACH RECHTS: GETTY IMAGES/ AMA/ ROBBIE JAY BARRATTGETTY IMAGES/ THEARON W. HENDERSON; GETTY IMAGES/ IAN MACNICOL; TIM CLAYTON/ CORBIS/ GETTY IMAGES; GETTY IMAGES/ JAMES WILLIAMSON - AMA FRAUEN-WM Gruppe A Neuseeland – Norwegen.............. Do., 20.7., 9.00 Uhr Philippinen – Schweiz ....................... Fr., 21.7., 7.00 Uhr Neuseeland – Philippinen ................ Di., 25.7., 7.30 Uhr Schweiz – Norwegen..................... Di., 25.7., 10.00 Uhr Norwegen – Philippinen ................ So., 30.7., 9.00 Uhr Schweiz – Neuseeland................... So., 30.7., 9.00 Uhr Gruppe B Australien – Irland......................... Do., 20.7., 12.00 Uhr Nigeria – Kanada................................ Fr., 21.7., 4.30 Uhr Kanada – Irland................................ Mi., 26.7., 1400 Uhr Australien – Nigeria....................... Do., 27.7., 12.00 Uhr Irland – Nigeria ............................... Mo., 31.7., 12.00 Uhr Kanada – Australien ..................... Mo., 31.7., 12.00 Uhr Gruppe C Spanien – Costa Rica........................ Fr., 21.7., 9.30 Uhr Sambia – Japan............................... Sa., 22.7., 9.00 Uhr Japan – Costa Rica.......................... Mi., 26.7., 7.00 Uhr Spanien – Sambia............................. Mi., 26.7., 9.30 Uhr Costa Rica – Sambia...................... Mo., 31.7., 9.00 Uhr Japan – Spanien.............................. Mo., 31.7., 9.00 Uhr Gruppe D England – Haiti................................. Sa., 22.7., 11.30 Uhr Dänemark – China ........................ Sa., 22.7., 14.00 Uhr England – Dänemark..................... Fr., 28.7., 10.30 Uhr China – Haiti ..................................... Fr., 28.7., 13.00 Uhr Haiti – Dänemark.............................. Di., 1.8., 13.00 Uhr China – England................................. Di., 1.8., 13.00 Uhr Gruppe E USA – Vietnam ................................. Sa., 22.7., 3.00 Uhr Niederlande – Portugal................... So., 23.7., 9.30 Uhr USA – Niederlande .......................... Do., 27.7., 3.00 Uhr Portugal – Vietnam......................... Do., 27.7., 9.30 Uhr Portugal – USA .................................... Di., 1.8., 9.00 Uhr Vietnam – Niederlande ..................... Di., 1.8., 9.00 Uhr Gruppe F Frankreich – Jamaika ................... So., 23.7., 12.00 Uhr Brasilien – Panama....................... Mo., 24.7., 13.00 Uhr Frankreich – Brasilien.................... Sa., 29.7., 12.00 Uhr Panama – Jamaika........................ Sa., 29.7., 14.30 Uhr Panama – Frankreich...................... Mi., 2.8., 12.00 Uhr Jamaika – Brasilien.......................... Mi., 2.8., 12.00 Uhr Gruppe G Schweden – Südafrika ................... So., 23.7., 7.00 Uhr Italien – Argentinien....................... Mo., 24.7., 8.00 Uhr Argentinien – Südafrika.................. Fr., 28.7., 2.00 Uhr Schweden – Italien........................... Sa., 29.7., 9.30 Uhr Südafrika – Italien.............................. Mi., 2.8., 9.00 Uhr Argentinien – Schweden.................. Mi., 2.8., 9.00 Uhr Gruppe H Deutschland – Marokko.............. Mo., 24.7., 10.30 Uhr Kolumbien – Südkorea.................... Di., 25.7., 4.00 Uhr Südkorea – Marokko....................... So., 30.7., 6.30 Uhr Deutschland – Kolumbien............ So., 30.7., 11.30 Uhr Südkorea – Deutschland............... Do., 3.8., 12.00 Uhr Marokko – Kolumbien .................... Do., 3.8., 12.00 Uhr Achtelfinale ❶ Erster A – Zweiter C.................... Sa., 5.8., 7.00 Uhr ❷ Erster C – Zweiter A ................. Sa., 5.8., 10.00 Uhr ❸ Erster E – Zweiter G ................... So., 6.8., 4.00 Uhr ❹ Erster G – Zweiter E .................. So., 6.8., 11.00 Uhr ❺ Erster D – Zweiter B ................... Mo., 7.8., 9.30 Uhr ❻ Erster B – Zweiter D.................. Mo., 7.8., 12.30 Uhr ❼ Erster H – Zweiter F .................. Di., 8.8., 10.00 Uhr ❽ Erster F – Zweiter H................... Di., 8.8., 13.00 Uhr Viertelfinale ❶ Sieger AF 1 – Sieger AF 3........... Fr., 11.8., 3.00 Uhr ❷ Sieger AF 2 – Sieger AF 4........... Fr., 11.8., 9.30 Uhr ❸ Sieger AF 5 – Sieger AF 7......... Sa., 12.8., 9.00 Uhr ❹ Sieger AF 6 – Sieger AF 8....... Sa., 12.8., 12.30 Uhr Halbfinale ❶ Sieger VF 1 – Sieger VF 2........ Di., 15.8., 10.00 Uhr ❷ Sieger VF 3 – Sieger VF 4 ....... Mi., 16.8., 12.00 Uhr Spiel um Platz 3 Verlierer HF 1 – Verlierer HF 2. Sa., 19.8., 10.00 Uhr Finale Sieger HF 1 – Sieger HF 2 ........ So., 20.8., 12.00 Uhr ALLE DATEN UND ZEITEN IN MESZ 5 FRAUEN im Fokus In Australien und Neuseeland beginnt am 20. Juli die Fußball-Weltmeisterschaft. Für einige Stürmerinnen ist es der letzte große internationale Auftritt, für andere der Start einer vielversprechenden Karriere oder der Kampf um Reputation © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
SCHLUSSVERKAUF A ls Gerardo Seoane die Profis von Borussia Mönchengladbach zum ersten Training bat, war er sehr bemüht, mit seinen neuen Spielern ins Gespräch zu kommen. Mit Alassane Pléa parlierte er Französisch, mit anderen Englisch oder Deutsch. Es helfe, „wenn man sich mit den Spielern in der Muttersprache verständigen kann“, sagte der Schweizer, der sechs Sprachen fließend spricht: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch. Das könnte ihm zugutekommen, wenn es darum geht, eine Beziehung aufzubauen. VON OLIVER MÜLLER Denn darum wird es gehen bei den Spielern, die in den vergangenen Jahren viele Rätsel aufgegeben hatten. Seoane soll eine Antwort auf die Frage finden, warum das Team so weit unter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Gladbach ist zu einem regelrechten Trainerfresser mutiert: Ob Adi Hütter, der nach einem Jahr wieder ging, oder zuletzt Daniel Farke, der es ebenfalls nur eine Saison aushielt – Seoanes Vorgänger hatten allesamt keine lange Verweildauer. Es gibt, abgesehen vom Absteiger Hertha BSC, kaum einen anderen Bundesligisten, der in den vergangenen Jahren derartig oft enttäuschte. So sehr, dass selbst einige Spieler ein schlechtes Gewissen haben. „Es ist auch eine Niederlage für uns, wenn ein Trainer entlassen wird. Wir standen auf dem Platz, wir haben das zu verantworten“, sagte Julian Weigl, der erst im Laufe der vergangenen Saison nach Gladbach gewechselt war – aber sehr schnell feststellte, dass dort etwas grundsätzlich nicht stimmt. Die Mannschaft lief weniger als andere Teams, die Spieler mieden Zweikämpfe. Es fehlte nicht an Qualität, es haperte an der Einstellung. Am Ende standen gerade mal 43 Punkte zu Buche. Es war die schwächste Gladbacher Saison seit zwölf Jahren. Was besonders auffällig war: Auswärts konnten nur ganze zehn Zähler eingefahren werden. Das ist die Bilanz eines Absteigers. A lso musste Roland Virkus, der im Februar 2022 nach dem Rücktritt von Max Eberl zum Geschäftsführer Sport gemacht worden war, erneut handeln. Der Klub trennte sich von Farke, obwohl der erst ein Jahr zuvor als der Mann verpflichtet worden war, der die Mannschaft wieder in die Spur bringen sollte. Farke stand für Ballbesitzfußball, er passe deshalb zum Stil des Vereins, hatte Virkus versichert. Für den Manager ist es auch eine persönliche Niederlage, dass es trotzdem nicht funktionierte. Schließlich war Farke der erste Cheftrainer, den der 56- Jährige ausgewählt hatte. Doch ein rein fußballerischer Ansatz allein reichte nicht aus, um die vielen Probleme zu beheben. Sie lagen und liegen tiefer – und wurzeln vor allem darin, dass es der Mannschaft an Dynamik und Inspiration gefehlt hat. Sie benötigt dringend frische Gesichter. „Qualität allein gewinnt dir nichts, du brauchst Energie, weniger Lethargie. Wir wollen mit Spielern arbeiten, die Lust haben, bei diesem Klub zu spielen. Die sagen: Ich darf und will bei Borussia Mönchengladbach spielen“, sagte Virkus gegenüber WELT AM SONNTAG. Er will alles in seiner Macht Stehende tun, um die toxische Atmosphäre, die aus der Unzufriedenheit der Profis mit ihrer persönlichen Situation und den daraus resultierenden Enttäuschungen der Fans entstanden ist, zu überwinden. Der Verein, dem die Auswirkungen der Corona-Krise mit Verlusten von 56 Millionen Euro und Transferstaus stark zugesetzt haben, steht vor dem größten Umbruch der letzten Jahre. Begonnen hat er bereits. Verteidiger Jordan Beyer (23) wechselte für 15 Millionen Euro zum FC Burnley. Torjäger Marcus Thuram (25) zu Inter Mailand, Linksverteidiger Ramy Bensebaini (28) zu Borussia Dortmund und Kapitän Lars Stindl (34) zum Karlsruher SC. Für das Trio kassiert Gladbach keine Ablöse. Für Jonas Hofmann (30), der für zehn Millionen Euro zu Bayer Leverkusen geht, dagegen schon. Er zog zum Ärger der Verantwortlichen eine Ausstiegsklausel, die Einnahmen mildern den Schmerz aber. J eder Profi, der in der kommenden Saison die Raute tragen wird, soll ein klares Bekenntnis abgeben. Dies ist die Ansage von Virkus und Seoane. So ist davon auszugehen, dass es zu weiteren Abgängen kommen wird: So laufen die Verträge von Verteidiger Nico Elvedi (26) und Mittelfeldspieler Florian Neuhaus (26) 2024 aus. Sie müssen sich erklären – oder dürften kaum noch eine Perspektive haben. Der Klub will keine Spieler ablösefrei ziehen lassen. Ihren begehrtesten Spieler, den Franzosen Manu Koné (22), wollen die Gladbacher halten – wenn dies möglich ist. „Wir müssen ihn nicht abgeben, aber natürlich müssen wir reden, falls etwas hereinkommen sollte, an dem wir nicht vorbeigehen können“, so Virkus. Der Marktwert des defensiven Mittelfeldspielers liegt bei 40 Millionen Euro. Die Radikalität des Umbruchs weckt durchaus Befürchtungen. Droht nun etwa Abstiegskampf? „Die Bundesliga ist ein komplizierter Wettbewerb, in jeder Saison. Wir werden alles dafür tun, eine erfolgreiche Saison zu spielen“, sagt Virkus. In jedem Fall sind die Veränderungen, an denen derzeit gearbeitet wird, alternativlos. Denn das lange präferierte Gladbacher Geschäftsmodell ist in den vergangenen Jahre an seine Grenzen gestoßen. Nach der erfolgreich bestrittenen Relegation 2011 hatte Eberl einen bemerkenswerten Neuaufbau eingeleitet. Es entstand eine Mannschaft, die 2012 nach 16-jähriger Abstinenz wieder im Europapokal spielte. 2015 zog Gladbach sogar in die Gruppenphase der Champions League ein – erstmals nach 37 Jahren, als es die Borussia bis ins Halbfinale des Europapokals der Landesmeister geschafft hatte. Die Erfolge sorgten für höhere Gehälter – und das wurde zum Problem, nachdem in den vergangenen beiden Spielzeiten die internationale Qualifikation verpasst wurde. Hinzu kam der Zusammenbruch des Transfermarktes: Eberl scheiterte diesmal an der Aufgabe, unzufriedene Spieler zu verkaufen beziehungsweise sie zu Vertragsverlängerungen zu bewegen. Beim Dienstantritt von Virkus liefen Verträge von gleich zwölf, größtenteils wichtigen und teuren Spielern aus. Der finanzielle Spielraum verengte sich, es kamen keinen Ablösen mehr rein. „Wir müssen unseren Weg wieder neu definieren. Wir müssen wieder Werte schaffen“, fordert Virkus ein Umdenken ein. Gladbach will wieder ein Ausbildungsverein werden, wieder für das stehen, was den Klub groß gemacht hatte. Virkus spricht von einem „Drei-Säulen-Modell“: Junge Spieler sollen an die Profis herangeführt werden, internationale Top-Talente entdeckt und entwickelt werden. Gleichzeitig sollen erfahrene Spieler mit hoher Identifikation für Stabilität sorgen. D ie bereits getätigten Verpflichtungen unterstreichen dies: Mit Frank Honorat (26) wurde für acht Millionen Euro ein Ersatz für Hofmann verpflichtet. Für Tomas Cvancara (22) wurden 10,5 Millionen Euro an Sparta Prag überwiesen, er soll Thuram ersetzen. Mit Lukas Ulrich (19), Grant-Leon Ranos (19), Robin Hack (24) und Fabio Chiarodia (18) kamen weitere Talente. Die kommende Mannschaft dürfte kaum an das Potenzial der alten heranreichen – dafür soll sie eine bessere Einstellung und Perspektive entwickeln. Entscheidend, ob das Konzept erfolgreich sein wird, werden die handelnden Personen sein. Der Klub hat nicht nur den Cheftrainer gewechselt. Mit Guido Streichsbier, langjähriger DFB-Ausbilder und U-Nationalmannschaftscoach, wurde ein Fachmann für die Talentförderung verpflichtet. Nils Schmadtke, Sohn von Liverpool-Sportchef Jörg Schmadtke, komplettiert das Management. Die wichtigste Figur jedoch wird Seoane sein. „Wir wissen, welche Risiken das beinhaltet“, sagt er mit Blick auf den neuen Kurs, „doch das Leben ist immer eine Chance.“ Neuer Trainer mit vielen Sorgen: Gerardo Seoane (vorn) muss in Mönchengladbach mit einem großen personellen Aderlass klarkommen PICTURE ALLIANCE / EIBNER-PRESSEFOTO/EIBNER-PRESSEFOTO/THOMAS HAESLER D ie Mission Triple begann mit einem heißen Arbeitstag. Der FC Bayern trainierte Samstagvormittag bei 34 Grad zum ersten Mal seit der wochenlangen Sommerpause auf seinem Gelände an der Säbener Straße. Kapitän Manuel Neuer, 37, war nach seiner langen Verletzung noch nicht dabei, der Torwart absolviert ein Reha-Programm. VON JULIEN WOLFF Nach dem ersten Training brachen die Bayern ins sechstägige Trainingslager am Tegernsee auf. Am späten Nachmittag begann in Rottach-Egern eine öffentliche Übungseinheit. Trainer Thomas Tuchel, 49, sagte auf einer Pressekonferenz am Mittag im Teamhotel „Überfahrt“, dass Neuer im ersten Spiel der neuen Bundesliga-Saison am 18. August bei Werder Bremen wohl nicht einsatzbereit sein wird. „Ich glaube, dass der Punktspielauftakt und der Supercup ein zu ambitioniertes Ziel ist“, so Tuchel. „Von der Schwere und der Ungewöhnlichkeit der Verletzung her brauchen wir einfach Geduld.“ Der Trainer sagte, Neuer werde die Asienreise der Münchner vom 24. Juli bis 3. August mit drei Testspielen in Tokio und Singapur Stand jetzt nicht mitmachen. Es sei geplant, dass Neuer danach ins Mannschaftstraining „teilintegriert“ werde. Seit seinem Unterschenkelbruch im Dezember hat der Kapitän kein Spiel mehr für den Meister absolviert. Tuchel betonte, auf der Torhüterposition werde man nun erst mal „nichts machen“. Heißt: Die wechselwilligen Yann Sommer, 34, und Alexander Nübel, 26, sollen zunächst bleiben. Für die Bayern geht es in diesem Sommer um viel. Es ist die erste Saisonvorbereitung des im März verpflichteten Tuchel. Nach einer chaotischen Saison mit lediglich einem Titel wollen die Münchner auch in Europa endlich wieder ihrem Anspruch gerecht werden. Am Tegernsee hätten sie liebend gern auch ihren Wunschspieler dabeigehabt: Harry Kane, 29. Doch der Stürmerstar von Tottenham Hotspur ist weit weg. Freitag startete er mit seinem Klub zu einer rund zweiwöchigen Pazifik-Tour nach Australien, Thailand und Singapur. Die Bayern hoffen, dass er sich in den Testspielen nicht verletzt. Tottenham trifft auf der Reise in der kommenden Woche in Perth auf West Ham United und in Bangkok auf Leicester City. Obwohl Tottenham das erste Angebot der Münchner über 70 Millionen Euro für Kane kürzlich direkt ablehnte, sind die Münchner optimistisch, ihren Wunschstürmer zu bekommen. Am Donnerstag verhandelten Klubchef Jan-Christian Dreesen, 55, und der Technische Direktor Marco Neppe, 37, mit Tottenhams Präsidenten Daniel Levy, 61, bei einem Treffen in London. Die Bayern sind sich dem Vernehmen nach mit Kanes Bruder Charlie, der den Stürmer berät, einig. Kane sagte zuletzt Paris St. Germain ab. Sein Vertrag bei Tottenham gilt bis 30. Juni 2024. In diesem Sommer könnten die Engländer für ihn noch viel Geld erzielen. Es könnte ein Hundert-Millionen-Euro-Deal werden. Die Bayern sind überzeugt: Kane wäre eine entscheidende Verstärkung für die Mannschaft. Die vergangene Saison zeigte, wie sehr ihnen eine „echte Nummer neun“ mit Weltklasseformat fehlt. Kane ist Kapitän der englischen Nationalmannschaft, erzielte in der vergangenen Saison 30 Tore in der Premier League und hat Erfahrung in der Champions League. Ein Routinier mit Bayern-Format. Für den Fall, dass sie Kane vor der neuen Saison nicht bekommen können, haben sich die Bayern Alternativen überlegt. Im „Ausschuss Sport“ sprachen die Verantwortlichen zuletzt über Julián Álvarez, 23, argentinischer Angreifer von Manchester City, und Dusan Vlahovic, 23, serbischer Stürmer von Juventus Turin, als Kandidaten. Dem Ausschuss gehören unter anderem Tuchel, Dreesen, Ehrenpräsident Uli Hoeneß, 71, und Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge, 67, an. Solange kein Nachfolger für den geschassten Sportvorstand Hasan Salihamidzic, 46, gefunden ist, kümmert sich die sieben Personen starke Gruppe um Zu- und Abgänge. Einen neuen Rechtsverteidiger haben die Bayern derweil gefunden: Freitagmittag gab ihnen Kyle Walker, 33, von Manchester City seine Zusage. Der englische Nationalspieler soll einen Vertrag bis 30. Juni 2025 erhalten, mit der Option zur Verlängerung. Die Klubs müssen sich nun auf eine Ablöse einigen. Walkers Vertrag bei City gilt bis 2024. Es ist ein wichtiger Transfer, weil Benjamin Pavard, 27, die Bayern in diesem Sommer oder nach der neuen Saison wohl verlassen möchte. Ein Tauschgeschäft ist möglich, City könnte Walker mit Pavard ersetzen. Für Sadio Mané, 31, dürften es die letzten Wochen bei den Bayern sein. Vor einem Jahr hatte Salihamidzic ihn für 32 Millionen Euro plus Bonuszahlungen vom FC Liverpool verpflichtet. Mané enttäuschte, schlug sogar Mitspieler Leroy Sané ins Gesicht. Die Bayern-Verantwortlichen haben ihm nun mitgeteilt, dass sie nicht mehr mit ihm planen. Klubs aus Saudi-Arabien sollen interessiert sein. Enttäuschung für die Bayern, Neuer fehlt zu Saisonbeginn Der Rückstand des Kapitäns ist beim Trainingsstart größer als gedacht. Und auch der Transfer von Wunschstürmer Harry Kane gestaltet sich schwierig Manuel Neuer absolvierte in München zuletzt Torwarttraining PICTURE ALLIANCE / LACKOVIC/MLADEN LACKOVIC 30 SPORT * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SCHLUSSVERKAUF am Niederrhein Borussia Mönchengladbach sind in der Sommerpause zahlreiche Leistungsträger von der Fahne gegangen. Nun muss sich der Traditionsklub neu erfinden – doch wo endet der radikale Umbruch? © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
ihn, zogen für den talentierten Sohn sogar nach Südspanien, als Komponist war sein Vater ortsflexibel. „Ab der neunten Klasse bin ich in Sotogrande zur Schule gegangen“, sagte Christensen. Er besuchte die Jason Floyd Golf Academy und ging in eine internationale Klasse, wo nur Englisch gesprochen wurde: „Es war alles auf den Sport abgestimmt. Es hat mich auf jeden Fall weiter nach vorn gebracht.“ Und Spanien hatte noch weitere Vorteile: „Das Wetter war auch ein wichtiger Punkt. Im Winter war es perfekt da. Man hat dort auch 13 Wochen Sommerferien, in denen ich eigentlich nur in Hamburg war.“ In seiner Heimatstadt zahlte sich das Wintertraining aus: „Mit 15 Jahren habe ich angefangen, für den Golfclub Falkenstein in der Bundesliga zu spielen.“ Ab 2018 kam noch die Nationalmannschaft dazu. Mit seiner Mannschaft gewann er die Bundesliga, im Einzel sammelte Tiger weiter nationale und internationale Erfolge. „Meine Eltern haben mir das alles möglich gemacht“, sagte er. NOCH ZWEI JAHRE COLLEGE, DANN WINKT DIE PROFIKARRIERE Nach dem Schulabschluss ging die Reise weiter. Sein Talent sprach sich herum, von mehreren amerikanischen Universitäten bekam er Golfstipendien angeboten. Er entschied sich zunächst für Oklahoma, doch schon in den ersten Semesterferien brach er das Studium dort ab: „Die Teamchemie, der Ort, die Umstände waren nicht so passend für mich.“ Nach einem halben Jahr Pause in Europa setzte er die junge Karriere in Arizona fort – diesmal erfolgreicher. In dem knallharten College-Golfsystem, über das fast die komplette Weltelite ins Profigolf findet, müssen die Studenten sich am Anfang jeder Woche erst für das Team qualifizieren, um am Wochenende bei den Wettkämpfen für die Mannschaft spielen zu dürfen. Tiger Christensen setzte sich sofort durch, wurde auf Anhieb Stammspieler: „Im Frühjahr hatten wir neun Turniere, ich war bei allen dabei.“ Sein Punktedurchschnitt von 71,68 Schlägen war der zweitniedrigste im Team. Und beim Burns Intercollegiate auf Hawaii schaffte Tiger mit 13 Schlägen unter Par die niedrigste Runde seiner Wildcats: „Die Turniere bringen viel Spaß.“ Der größte Unterschied zu Deutschland? „Es ist eine ganz andere Herausforderung. Die Golfplätze haben andere Ansprüche. Die Grüns sind härter und schneller, mehr onduliert. Man spielt jede Woche gegen richtig gute Spieler, das bringt einen weiter.“ Die optimale Vorbereitung zahlte sich bereits aus. Bei der Team-EM in Belgien spielte er jüngst zum Auftakt eine 64er-Runde (9 unter Par) – die niedrigste aller Teilnehmer. Alles läuft für Christensen auf eine Profikarriere hinaus. Zwei Jahre ist er noch am College, dann will er Berufsgolfer werden. Seinen ersten Auftritt bei einem Profiturnier hatte er im Juni bei den Porsche European Open vor den Toren Hamburgs. Dort scheiterte er allerdings am Cut, schaffte es also nicht ins Wochenende. Christensen sagte über sein Heimturnier: „Da war ich nervöser als sonst. Ich habe versucht, es so normal wie möglich anzugehen, hatte einen guten Kumpel als Caddie am Bag. Aber am Ende des Tages ist so ein Profiturnier doch noch mal was ganz anderes als das, was ich vorher gespielt habe.“ Bei der Qualifikation für die Britsh Open hingegen sei er gar nicht nervös gewesen, sagte Christensen. Auch weil er diesmal einen Experten an seiner Seite hatte: „Ich hatte mir einen Caddie genommen, der in dem Klub schon mehrere Jahre Mitglied war und der mir schon in der Einspielrunde viel über den Platz erzählen konnte, was andere nicht wussten.“ Das zahlte sich aus. Dazu hatte Christensen eine ganz besondere Motivation: „Bei der Qualifikation zur US Open im Mai war es schon ziemlich knapp.“ Da verpasste er sein erstes Major noch: „Aber ich habe gesehen, dass sich einige meiner Konkurrenten aus Amerika qualifiziert hatten. Da wusste ich, dass es nicht mehr in so einer weiten Ferne ist.“ Gleich beim nächsten Versuch schaffte er es und ist nun beim letzten Major des Jahres dabei. „Das ist auf jeden Fall das Größte, was ich bisher spiele“, sagte er. Doch es soll nicht das letzte Mal bleiben: „Das Ziel ist, dass ich mich als Profi nicht mehr für Majors qualifizieren muss, sondern gleich dabei bin.“ Und selbst die bloße Teilnahme reicht Tiger Christensen dann nicht mehr: „Ich will so viele gewinnen wie möglich.“ Bisher haben aus Deutschland nur Bernhard Langer, 65, und Martin Kaymer, 38, Major-Siege geschafft. Es wäre mal wieder an der Zeit … Natürlich – wenn ein Golfer mit Vornamen Tiger heißt und mit Nachnamen nicht Woods, sondern Christensen, dann muss die erste Frage zwangsläufig lauten: Wie kam es denn dazu? Tiger Christensen wurde 2003 geboren, also zu einer Zeit, als die ganze Welt von seinem Namensvetter sprach, der den Golfsport nicht nur dominierte, sondern auch revolutionierte mit seiner Präsenz, Fitness und Präzision. VON THORSTEN FELSKE Warum also nennt man seinen Sohn Tiger? Mutter Nicole Christensen erinnert sich: „Als wir damals erfahren haben, dass wir einen kleinen Jungen bekommen, war ich zunächst mit der Namensgebung völlig überfordert. Ich wusste nur, es sollte etwas Einzigartiges sein.“ Dann machte sich die Künstlerin Gedanken: „Ich legte meinem Mann eine Liste mit Vorschlägen auf seinen Schreibtisch. Der Name Tiger stand ganz oben. Er sagte direkt: ‚Das ist er – nichts Gewöhnliches.‘“ Natürlich war Tiger Woods damals ein Begriff im Hause Christensen. Vater Alex, der 1991 mit dem Musikprojekt U96 den Nummer-eins-Hit „Das Boot“ landete und später unter anderem in der „Popstars“-Jury saß, hatte ein Jahr vor der Geburt seines Sohnes mit dem Golfspielen angefangen: „Zu Hause lief dann viel Golf im Fernsehen, damals war natürlich immer Tiger Woods im Bild.“ Aber: Die Familie war auch mit Dariusz Michalczewski befreundet, damals amtierender Box-Weltmeister. Sein Kampfname: „Tiger“. Christensen junior ist also vornamentechnisch eine Mischung aus Golfer und Boxer – aber mit Schlägen hat der heute 19-Jährige nur auf dem Golfplatz etwas am Hut. Dort schlägt er seinen Driver 285 Meter weit, womit der Hamburger statistisch gesehen bereits ganz weit vorn dabei ist. Zum Vergleich: Auf der PGA-Tour, dem Maß aller Dinge im Golfsport, driven die Profis im Schnitt 270 Meter weit. Und da Tiger Christensen auch das kurze Spiel und das Putten beherrscht, kann er sich in der kommenden Woche mit der kompletten Weltelite messen. Sensationell gelang dem Amateur die Qualifikation für die British Open, die am Donnerstag in Liverpool beginnen und als eines der vier Majors zu den bedeutendsten Golfturnieren der Welt zählen, das traditionsreichste ist es mit der 151. Ausgabe ohnehin. Beim entscheidenden Ausscheidungsturnier ließ er Größen wie den ehemaligen Masters-Sieger Sergio Garcia, 43, oder seinen Landsmann Max Kieffer, 33, klar hinter sich. Er wurde dort mit insgesamt neun Schlägen unter Par Vierter des Gesamtklassements und sicherte sich das begehrte Open-Ticket. „Es ist ein tolles Gefühl, sich qualifiziert zu haben. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen wirklich gutes Golf gespielt“, sagte Christensen WELT AM SONNTAG. FÜR DIE KARRIERE IHRES SOHNES ZOGEN DIE ELTERN NACH SPANIEN Dabei war eine Golfkarriere eigentlich gar nicht geplant. Christensen kommt aus einem musikalischen Haus: Mutter Nicole hatte um die Jahrtausendwende einige Chartplatzierungen als Popsängerin unter dem Künstlernamen Rollergirl, Vater Alex trat nach seinem „Boot“-Hit für Deutschland beim Eurovision Song Contest an und produzierte unter anderem Alben von Tom Jones, Michael Bolton oder Helene Fischer. Die Eltern nahmen ihn schon als Kleinkind mit auf die Driving Range, entsprechend früh lernte er, den Schläger zu schwingen: „Mit elf oder zwölf Jahren habe ich dann angefangen, internationale Turniere zu spielen, in der US-Kids-Serie. Da war mir klar, dass es mir Spaß macht, mich international zu messen.“ In der Altersklasse gibt es bereits Welt- und Europameisterschaften. Christensen erklärte: „Man spielt das US-Kids-Europaturnier, die top 25 kommen zur Weltmeisterschaft.“ Bei der EM wurde er Fünfter, bei der WM Sechster: „Da wusste ich: Es macht sehr viel Bock.“ Seine Eltern unterstützen Ein Golfer namens TIGER Der deutsche Nachwuchsspieler Tiger Christensen hat sich für die British Open qualifiziert, die in der kommenden Woche ausgetragen werden. Sein Vater Alex feierte einst ebenfalls Erfolge – allerdings in einer ganz anderen Branche Tiger Christensen spielt ab dem kommenden Donnerstag bei den British Open. Auch dabei: seine Landsleute Marcel Siem und Yannick Paul PICTURE ALLIANCE/ DPA/ CHRISTIAN CHARISIUS N 16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 * SPORT 31 H eute kommt es zum Traumfinale: Rekord-Grand-SlamChampion Novak Djokovic und der Weltranglistenerste Carlos Alcaraz kämpfen in Wimbledon um den Titel. Für Djokovic ist es das 35. Finale bei einem Grand-Slam-Turnier – keine Tennisspielerin oder -spieler stand öfter bei einem solche Turnier im Endspiel. Mit seinem ungefährdeten 6:3, 6:4, 7:6 (7:4) im Halbfinale gegen den Italiener Jannik Sinner war der 36 Jahre alte Serbe am Freitag an der legendären Chris Evert aus den USA vorbeigezogen, die in ihrer Karriere 34 Grand-Slam-Finals erreicht hatte. Für den 20 Jahre alten Alcaraz ist es dagegen erst das zweite GrandSlam-Endspiel seiner noch jungen Karriere. Der US-Open-Champion des vergangenen Jahres gewann sein Halbfinale gegen den Russen Daniil Medwedew unerwartet deutlich mit 6:3, 6:3, 6:3 und fordert nun den großen Djokovic heraus – eine Herkulesaufgabe. Denn der Serbe scheint in Wimbledon einfach nicht zu bezwingen zu sein. Der Sieg gegen Sinner war für Djokovic der 34. im All England Lawn Tennis and Croquet Club in Serie. Letztmals hat der Superstar der Branche 2017 im Viertelfinale in Wimbledon ein Spiel verloren – Alcaraz war da noch auf der JuniorenTour unterwegs. Der Spanier will es dennoch versuchen. „Jeder weiß, wie schwer es gegen Djokovic ist“, sagte er: „Aber ich werde kämpfen. Es wird eine große Herausforderung für mich. Aber es ist ein Finale, da ist keine Zeit, Angst zu haben.“ Bei den Frauen hatte sich am Samstag überraschend Marketa Vondrousova durchgesetzt. Damit gewann die Tschechin hat als erste ungesetzte Spielerin seit 60 Jahren den Rasen-Klassiker. Die 24-Jährige siegte im Endspiel gegen die Tunesierin Ons Jabeur mit 6:4, 6:4 und feierte damit den ersten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere. Letztmals hatte die legendäre Billie Jean King 1963 in Wimbledon gewonnen, ohne zu den gesetzten Topspielerinnen zu gehören. Jabeur musste sich dagegen wie schon im Vorjahr im Finale geschlagen geben. WS Djokovic und Alcaraz im Traumfinale Wimbledon: Vondrousova siegt bei den Frauen E twas mehr als einen Monat vor dem Sendestart hat der SportStreaming-Anbieter Dyn seine Preisstruktur bekannt gegeben. Bei einem Jahres-Abonnement liegt der Preis pro Monat bei 12,50 Euro, bei einem monatlich kündbaren Abo bei 14,50 Euro. Zudem gibt es ein Frühbucher-Angebot: Bis zum 31. Juli können Intereqssierte ein Jahres-Abo für 126 Euro, also für 10,50 Euro/monatlich, abschließen. „Wir hätten den Preis höher ansetzen können. Machen wir aber zurzeit nicht“, sagte Dyn-Gründer und Mitgesellschafter Christian Seifert. Die neue Sport-TV-Plattform des ehemaligen DFL-Chefs und des Medienunternehmens Axel Springer SE, zu dem auch WELT AM SONNTAG gehört, bietet ein Programm mit den Sportarten Basketball, Handball, Volleyball, Tischtennis und Hockey – und bewusst ohne Fußball – an. Zehn Prozent der Abo-Netto-Erlöse sollen an die nationalen Ligen der Sportarten zur Nachwuchsförderung gehen. So werden Spiele aus neun Bundesligen und Europapokal-Wettbewerben wie die Champions League und European League im Handball und der Champions League im Basketball gezeigt. Insgesamt gibt es mehr als 2000 Spiele pro Jahr live. Sendestart ist der 23. August. Zu sehen ist das Angebot über Computer, internetfähiges Fernsehen und Handy. Zudem kooperiert Dyn mit MagentaTV der Telekom. WS Dyn gibt Preise und Angebote bekannt Streamingdienst geht im August auf Sendung © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
Deutschlands Vorzeigeschwimmer, am 19. August 1997 in Bremen geboren, gewann seinen ersten internationalen Titel 2018 mit EM-Gold über 1500 Meter Freistil. Im Jahr darauf folgte der große Durchbruch: Doppel-Gold bei der WM über 1500 Meter sowie zehn Kilometer im Freiwasser. 2022 legte der gelernte Immobilienkaufmann mit fünf weiteren WM-Medaillen, darunter zwei in Gold, nach. Sein größter Triumph: Olympiagold im Freiwasser 2021. Zudem hält er den Weltrekord über 1500 Meter auf der Kurzbahn. Er lebt in Magdeburg und ist mit TopSchwimmerin Sarah Wellbrock (geb. Köhler) verheiratet, die gerade ihre Karriere beendete. Für Florian Wellbrock markieren diese Tage die Rückkehr in das Land seines größten Triumphes: Im Sommer 2021 stieg er nach einer beeindruckenden Machtdemonstration über zehn Kilometer als Olympiasieger aus der Bucht von Tokio, nachdem er zuvor schon Bronze über 1500 Meter Freistil im Becken gewonnen hatte. Bevor er nächstes Jahr in Paris nachlegen möchte, will der 25-Jährige nun in Fukuoka jubeln. Bei den Weltmeisterschaften stehen für ihn am Sonntag und Dienstag Freiwasserrennen auf dem Programm, in der zweiten Woche geht es ins Becken. VON MELANIE HAACK WELT AM SONNTAG: Herr Wellbrock, zwei Jahre liegt Ihr Olympia-Coup zurück. Inwieweit gehen Sie jetzt anders an den Start? FLORIAN WELLBROCK: Es ist immer noch die gleiche Anspannung, die gleiche gesunde Aufregung, aber ich merke, dass ich als Olympiasieger anders wahrgenommen werde, gerade bei den Freiwasser-Wettkämpfen. Dort ist der Fokus auf meiner Person schon groß, und das merke ich auch sehr deutlich. Wie gehen Sie damit um? Ich kann das zum größten Teil genießen. Es ist zumindest nichts, was mich einschüchtert oder in irgendeiner Art stört. Es kommen vor oder nach den Wettkämpfen auch Sportler und manchmal Trainer zu mir und stellen Fragen oder wollen einfach mal kurz sprechen. Das ist aber nichts, was stört, sie sind alle sehr höflich und respektvoll. Dadurch, dass sie selbst Sportler sind, haben sie auch ein gutes Gespür dafür, wann es ein guter und wann ein nicht so guter Zeitpunkt ist. Und wenn ich kann, helfe ich gerne. Das gehört ja auch dazu, dessen bin ich mir bewusst. Sie meinen diese Verantwortung und Vorbildfunktion, die mit Erfolgen einhergeht? Man sollte etwas zurückgeben, ja. Generell ist es so, dass ich mich nicht verstelle, aber ich denke schon, dass ich bei uns im Verein eine Art Führungsrolle eingenommen habe. Wenn die jüngeren Athleten oder jene, die noch nicht so erfolgreich sind, Fragen oder Unsicherheiten haben, dann kommen sie damit zu mir. Vielleicht strahle ich ein bisschen Sicherheit und Ruhe für sie aus. Und ich helfe natürlich gern, weil ich ganz genauso angefangen habe und ich der Meinung bin, wenn wir uns alle die Hand reichen, kommen wir schneller und einfacher voran und durchs Leben. Ein gutes Stichwort. Sie wurden kürzlich von der Werte-Stiftung in der Frankfurter Paulskirche mit dem Preis für Respekt geehrt – wegen Ihres Einsatzes für Mychajlo Romantschuk, Ihren Konkurrenten aus der Ukraine. Auf Ihre Initiative hin kam er kurz nach Kriegsbeginn nach Magdeburg. Welche Bedeutung hat der Preis für Sie? Das war ein sehr großer Moment für mich. Ich empfinde es als riesige Ehre, dass ich diesen Preis verliehen bekommen habe. Dass wir Mychajlo in Magdeburg aufgenommen haben, ist ja nun schon ein Jahr her, für uns ist das hier mit ihm zur Selbstverständlichkeit geworden. Und ich habe das alles auch sehr gerne gemacht, wir sind mittlerweile zu guten Freunden geworden. Was denken Sie, was war die wichtigste Hilfe für ihn? Schwer zu sagen, aber anfangs sicherlich, dass wir ihm ein sicheres und starkes Umfeld geben konnten, er seinen Sport weiter betreiben konnte und auch abgelenkt war. Sie halfen ihm auch, sich im Alltag zurechtzufinden, beim Einkaufen, bei den Ämtern. Und nun war er es, der Ihnen den Preis verlieh. Davon wusste ich vorher nichts, das war sehr bewegend. Er hat auch ein paar Worte gesagt, und alle, die mich kennen, wissen, dass ich ein sehr emotionaler Mensch bin. Man hat bei ihm gespürt, dass die Worte von Herzen kamen. Das hat mich so sehr berührt, dass ich mit den Tränen kämpfen musste. Ein wirklich sehr herzlicher, sehr schöner Moment, für den ich dankbar bin. Für Romantschuk steht nun sein Olympia-Traum auf dem Spiel. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat empfohlen, russische und belarussische Athleten unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Geschieht dies, droht ein Boykott seitens der Ukraine. Wie erleben Sie das? Ich glaube, dass ich ihm da leider nur bedingt helfen kann. Er weiß natürlich, dass ich und auch viele andere in der Trainingsgruppe immer ein offenes Ohr für ihn und seine Probleme haben. Aber es wäre anmaßend zu behaupten, dass ich mich in seine Situation hineinversetzen kann. Ein Boykott steht für uns zudem nicht zur Diskussion. Der DOSB hat ja schon gesagt: Egal, wie die Entscheidung ausgeht, wir werden starten. Alles, was ich für Mychajlo tun kann, ist, ihm ein gesundes Umfeld zu geben und zuzuhören. Aber das war es am Ende des Tages leider auch schon. Wie sehen Sie die IOC-Empfehlung? Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen, dass das IOC grünes Licht für russische und belarussische Athleten geben will. Und: Woher kommt dieser Umschwung? Denn die Haltung des IOC war ja mal eine andere. An der Situation hat sich schließlich nichts geändert: Es herrscht immer noch Krieg. Lassen Sie uns, einmal abgesehen von dieser IOC-Entscheidung, auf Paris blicken. Es werden die ersten Spiele nach Tokio 2021 und Peking 2022, die wieder mit Zuschauern stattfinden. Hinzu kommt, dass die Spiele in China höchst umstritten waren. Wie wichtig ist Paris 2024 für die olympische Bewegung? Die Spiele in Paris sind enorm wichtig. Zumal man ja sagen muss, dass Rio 2016 zwar nicht in einer Pandemie stattfand, es dort aber teilweise sehr chaotisch ablief. Ich glaube, viele Athleten brennen auf Paris und hoffen auf normale und top organisierte Olympische Spiele mit Publikum, auf all das, was wirklich dieses olympische Flair ausmacht. Und ich denke, dass es für das Publikum, für die Athleten und auch insgesamt die olympische Bewegung immens wichtig sein wird, dass die Spiele so funktionieren, wie man sich Olympia vorstellt. Woran werden Sie in dem Jahr bis zur Eröffnungsfeier noch feilen? Ich versuche die ganze Saison über jeden Tag aufs Neue, irgendwo an einer Schraube zu drehen, um das Maximum herauszuholen. Ich darf nicht nachlassen in dem, was ich sehr gut kann, und muss Defizite nach Möglichkeit Stück für Stück ausmerzen. Und man sieht, dass es international gerade bei den 1500 Metern sehr eng geworden ist. Da ist bei einer WM und Olympischen Spielen kein Platz für Fehler. Sie sind bereits Weltmeister und Olympiasieger. Was treibt Sie jeden Morgen zum Training? Ich habe fast täglich ein ganz bestimmtes Bild im Kopf: meine Gegner, eine ausverkaufte Arena, der Startschuss, mein Anschlag – und dann diese Glücksgefühle, die ausgeschüttet werden, wenn man ein Rennen gewinnt. Oder auch diese sehr emotionalen Momente bei der Siegerehrung – vollkommen egal, ob ich Erster, Zweiter oder Dritter bin. Das ist einfach schwer zu beschreiben. Diese Momente erleben zu dürfen treibt mich Tag für Tag an. Haben Sie bei diesen Bildern die WM oder Paris 2024 vor Augen? Es ist ganz unterschiedlich, welche träumerischen Vorstellungen ich gerade im Kopf habe. Klar, manchmal denke ich auch an Paris und überlege, wie es dort emotional und auf sämtlichen Ebenen ablaufen kann. Erst einmal steht aber nun die WM im Fokus. Kürzlich haben Sie über die 1500 Meter Ihren eigenen deutschen Rekord um fast eineinhalb Sekunden auf 14:34,89 Minuten verbessert. Was war der Knackpunkt, um die Marke nach fünf Jahren endlich zu unterbieten? Das war wirklich ein Gesamtkonzept. Wir haben im Training über die Jahre gesehen, dass ich immer besser geworden bin, aber es hat sich im Wettkampf nie gezeigt. Ich bin drei- oder viermal 14:36 Minuten geschwommen, aber nie darunter. Es war jetzt wirklich wichtig für meinen Kopf, dass ich es endlich geschafft habe, um zu zeigen: Ich bin noch nicht an meinem persönlichen Limit, da geht noch was. Nicht am Start sein wird Ihre Frau Sarah, deren großes Ziel nach Olympiabronze in Tokio eigentlich Paris 2024 war. Nun musste sie wegen anhaltender Schulterprobleme aufhören. Wie konnten Sie ihr in der Zeit der Entscheidungsfindung helfen? Ich war einfach für sie da. Und ich habe ihr immer wieder gesagt: „Egal, wie es für dich weitergeht, ich unterstütze dich voll und ganz.“ Ich glaube, es war für sie einfach sehr wichtig zu wissen, dass sie – egal, in welche Richtung es geht – immer meine hundertprozentige Unterstützung erfahren wird. Ihr gemeinsamer Alltag ist nun ein anderer. Wie groß ist die Herausforderung? Sie haben nicht nur zusammen gelebt, sondern auch zusammen trainiert und Wettkämpfe bestritten. Ich glaube, Herausforderung wäre zu krass ausgedrückt. Es wird mit Sicherheit eine Umstellung, aber eine Herausforderung wird es nicht. Die größte Veränderung sind die Trainingslager, die wir ja sonst immer gemeinsam bestritten haben. Das ist jetzt ungewohnt, muss ich zugeben. Wenn ich vier Wochen unterwegs bin und wir uns nicht sehen, ist das neu – das kannten wir vorher nicht. Aber ob ich jetzt in Magdeburg allein zum Training fahre oder sie dabei ist, macht keinen großen Unterschied. Jeder macht beim Training ja sein Ding, und ich bin nicht in die Schwimmhalle gefahren, weil sie dort war. Das Gute ist und bleibt ja, dass Sarah das Leben im Leistungssport kennt, dafür Verständnis hat. Und sie hat ja auch bereits ihre eigenen Zukunftspläne nach dem Sport. (Sarah Wellbrock hat neben dem Sport bereits Jura studiert, beginnt im September ein Referendariat und möchte promovieren, die Redaktion.) Wie war es denn, gegeneinander anzutreten? In der ARD-Sendung „Wer weiß denn so was?“ waren Sie Gegner. Ich war zwar schon einmal ohne Sarah in der Sendung, kannte deshalb diese Fernsehstudio-Situation, aber ganz ehrlich: Für mich ist so etwas immer noch etwas Neues, Ungewohntes. Deswegen war auch eine besondere Anspannung dabei. Und klar, als Leistungssportler möchte ich immer gewinnen – ob nun gegen Fremde oder gegen meine Frau, da mache ich keinen Unterschied. Aber die Konkurrenzsituation nehmen wir natürlich nicht mit nach Hause. Und wann machen Sie es Ihrer Frau nach und starten vor 10.000 Zuschauern in einer Triathlon-Staffel in Roth? Gute Frage. Ich war wirklich sehr begeistert und beeindruckt, was Sarah von dem Event erzählt hat, auch von den Bildern und Videos, die ich gesehen habe. Ich hatte danach tatsächlich schon überlegt, ob dort nächstes Jahr eine Staffel für mich infrage kommt, aber zeitlich geht das wegen der Olympischen Spiele einfach nicht. Wenn sich allerdings für 2025 etwas anbietet, dann wäre ich mit Sicherheit dabei. In seinem Element: Wenn Langstreckenspezialist Florian Wellbrock bei großen Titelkämpfen durchs Wasser gleitet, kämpft er immer mit um den Sieg PICTURE ALLIANCE / ZUMAPRESS.COM/ GIAN MATTIA D\'ALBERTO - LAPRESS 32 SPORT * WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SCHWIMMEN Beck holt gleich am ersten Tag Gold Leonie Beck hat bei den Weltmeisterschaften in Japan gleich am ersten Wettkampftag die Goldmedaille im Freiwasserschwimmen gewonnen. Die 26-Jährige siegte über zehn Kilometer mit einem starken Schlussspurt. Zudem sicherte sich Beck mit dem Sieg bereits die Qualifikation für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr in Paris. Bei wechselhaftem Wetter mit Sonne und Regen bei einer Wassertemperatur von 26,2 Grad zeigte die Augsburgerin ihre Extraklasse und siegte souverän vor der Australierin Chelsea Gubecka und Katie Grimes aus den USA und jubelte: „Ich glaube, ich war diejenige, die es am meisten gewollt hat und bin um mein Leben geschwommen.“ VOLLEYBALL Verbandspräsident vor dem Sturz Vor einem Krisentreffen der Spitze des Deutschen Volleyball-Verbandes mit Vertretern der Landesverbände und einem möglichen Sturz von Präsident René Hecht hat der Manager des deutschen Meisters BR Volleys einschneidende Maßnahmen angemahnt. „Es gibt auch großes Interesse von uns, dass sich der Zustand im Verband ändert“, sagte Kaweeh Niroomand. Wie die ARD berichtet, gibt es im Verband erhebliche Vorbehalte gegen Hecht. Am Sonntag könnte es bei dem Treffen in Göttingen zu Rücktrittsforderungen an den Rekord-Nationalspieler kommen, der den Verband seit 2018 anführt. Dem Vernehmen nach geht es um den Vorwurf der schlechten Amtsführung in ökonomischer und struktureller Hinsicht, begleitet von sportlichen Misserfolgen der Nationalteams. FUSSBALL Klare Niederlage für den Hamburger SV Der Hamburger SV hat ein Testspiel gegen Red Bull Salzburg verloren. Zum Abschluss seines Trainingslagers in Kitzbühel verlor der Zweitligist gegen den österreichischen Meister 1:4 (1:3). Immanuel Pherai schoss in der 30. Minute das einzige Tor für den HSV. Die Hamburger waren unterlegen und hätten noch deutlich höher verlieren können. WM-Testspiel wegen Brutalität beendet Die deutschen Fußballerinnen müssen sich bei der WM wohl auf eine harte Gangart der Kolumbianerinnen einstellen. Die irische Nationalmannschaft hat ein Testspiel gegen Deutschlands zweiten Gruppengegner nach etwa 20 Minuten abgebrochen, weil es nach Angaben des irischen Verbandes Fai „übermäßig körperlich“ ausgetragen worden sei. Irlands Trainerin Vera Pauw sagte laut Medienberichten, ihre Spielerinnen hätten gar „Angst“ um ihre körperliche Unversehrtheit gehabt. Der kolumbianische Verband wehrte sich gegen die Anschuldigungen, man akzeptiere aber Irlands Entscheidung. Bicakcic verlässt Hoffenheim Nach neun Jahren endet Ermin Bicakcic’ Zeit beim Bundesligisten TSG Hoffenheim. Klub und Spieler verständigten sich darauf, den Ende Juni 2023 ausgelaufenen Vertrag nicht mehr zu verlängern. Nach einem Kreuzbandriss im September 2020 hatte Bicakcic es nur mit Mühe zurück in den Profifußball geschafft. Vergangene Saison kam er auf neun Bundesliga-Einsätze. „Am Ende entsprach die vorgesehene Rolle und das Angebot der TSG nicht ganz meiner Vorstellung, sodass ich das Angebot der TSG dankend ablehnen musste“, sagte der 33 Jahre alte Bosnier: „Ich hatte eine längere Leidenszeit, umso mehr brennt das Feuer noch in mir.“ NACHRICHTEN Florian Wellbrock Olympiasieger Florian Wellbrock will in Fukuoka seine Sammlung an WMMedaillen erweitern. Über seinen Antrieb, einen besonders emotionalen Moment abseits des Beckens und seine F Vorbildfunktion „Ich bin noch nicht an meinem Limit, da geht noch was“ PICTURE ALLIANCE/ EIBNER-PRESSEFOTO © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
Großer Vorsprung Entwicklung der Leitindizes Schweiz (SMI) und Deutschland (Dax), in Prozent, auf Euro-Basis SMI Dax 160 140 120 100 80 2019 2020 2021 2022 2023 GIPFEL Die Schweizer Alpen sind berühmt für ihre hohen Berge. Auch der maßgebliche Aktienindex des Landes, der SMI, bewegt sich auf hohem Terrain Solide und solvent – so ist das Image der Schweiz in der Welt. Und das nicht zu Unrecht. Als „Insel der Geldstabilität“ etwa bezeichnet Jasmin Gröschl, Volkswirtin bei Allianz Trade, den Alpenstaat. Die Inflationsrate betrug dort im Juni gerade einmal 1,7 Prozent. Seit ihrem Höhepunkt im August 2022, der auch nur bei 3,4 Prozent lag, hat sie sich damit halbiert. Hierzulande ist die Teuerung mit 6,4 Prozent mehr als drei Mal so hoch. Doch es ist nicht nur die Geldstabilität, die die Schweiz herausragen lässt. Auch bei den Staatsfinanzen steht sie gut da, die Wirtschaft ist robust, die Unternehmen sind innovativ und hochprofitabel. Gerade Letzteres macht das Land zu einem interessanten Ziel für Aktienanleger, erst recht in den aktuell schwierigen Zeiten. Deutsche Sparer müssen bei Investments allerdings einige Eigenheiten bedenken. VON FRANK STOCKER Ein Grund für die geringe Inflation bei unseren Nachbarn liegt in der Stärke der Währung: Der Schweizer Franken stieg in den vergangenen Monaten deutlich, ist inzwischen mehr wert als der Euro. Das dämpfte die Inflation der Importpreise. „Zudem versorgt sich die Schweiz weitgehend selbst mit Strom aus Wasserkraft und Kernenergie und importiert nur wenige Lebensmittel“, sagt Ökonomin Gröschl. Bei Produkten, die aus dem Ausland bezogen werden, greife der Staat zudem durch variable Zolle regulierend ein, die die inländischen Erzeuger und Verbraucher zusätzlich schützten. „Infolgedessen sind viele Waren in der Schweiz zwar teurer, aber die Preise sind weniger volatil.“ Die Stärke des Franken basiert natürlich zu einem guten Teil auf dem Zustrom ausländischen Kapitals, insbesondere von Sparvermögen. Doch die soliden Staatsfinanzen sind ebenfalls Teil des Erfolgsgeheimnisses. Die Verschuldung des Landes beträgt geramenden Monaten. In einer solchen Phase seien Firmen mit niedrigem Verschuldungsgrad und stabilen Gewinnmargen attraktiv. „Der Schweizer Markt beherbergt viele solcher Unternehmen“, sagt er. Diese seien derzeit zudem günstig bewertet. Auch Gérard Piasko, Chefanlagestratege bei der Zürcher Privatbank Maerki Baumann, sieht Schweizer Titel derzeit im Vorteil. „Durch die Branchenzusammensetzung ist der europäische Aktienmarkt, insbesondere der Aktienindex der Eurozone, konjunkturabhängiger als der schweizerische Aktienmarkt“, sagt er. Dieser habe eine höhere Gewichtung an defensiven, also weniger vom Verlauf der Konjunktur abhängigen Firmen. „Wir favorisieren zurzeit daher den schweizerischen Aktienmarkt gegenüber dem Aktienmarkt der Eurozone.“ Schweizer Aktien dürften jedoch nicht nur eine höhere Rendite abwerfen, sagt Claudio Wewel, Devisenstratege bei der Basler Privatbank J. Safra Sarasin. Dies werde auch noch durch die Entwicklung der Währung verstärkt. Denn der Franken verhalte sich anders, als dies eigentlich bei Währungen exportorientierter Volkswirtschaften zu erwarten sei. Diese tendieren in Phasen einer starken globalen Konjunktur zur Aufwertung, schließlich können die Exportunternehmen dann besonders viel absetzen. „Dies gilt jedoch nicht für den Schweizer Franken, der tendenziell schwächer wird, wenn sich die Weltwirtschaft erholt“, sagt Wewel. Dafür steige er eher in schwachen Phasen. Diese umgekehrte Beziehung Investieren in den Alpenstaat Fonds und ETFs auf die Schweiz Quelle: eigene Recherchen ETFs gemanagte Fonds Lyxor DJ Switzerland Titans Luxemburg ausschüttend ,% ETF , % Amundi MSCI Switzerland Luxemburg thesaurierend ,% A H A , % iShares SLI Deutschland ausschüttend ,% , % Xtrackers SLI Luxemburg ausschüttend ,% DBX AA , % LLB Aktien Schweiz Passiv Schweiz thesaurierend ,% A N , % DWS Aktien Schweiz Deutschland ausschüttend ,% DWS F , % GAM Multistock Swiss Equity Luxemburg thesaurierend ,% A JECQ , % zCapital Swiss Dividend Fund Schweiz thesaurierend ,% A J T , % Julius Bär Edelweiss Fund Equity Schweiz ausschüttend ,% A PL , % Deka Schweiz Deutschland ausschüttend ,% , % Fondsdomizil Ertragsverwendung Wertentwicklung Jahre WKN jährl. Kosten S + zwischen dem Schweizer Franken und dem globalen Konjunkturzyklus sei in erster Linie auf den defensiven Branchenmix der Schweizer Wirtschaft zurückzuführen, der sich auf starke Sektoren des Gesundheitswesens und der Basiskonsumgüter stütze. WEGE FÜRS INVESTMENT Was steht also einem Investment im Wege? Leider gibt es für Anleger außerhalb der Schweiz eine hohe Hürde: Das Land ist nicht Teil der EU – und diese erkennt die Handelsstandards der Schweizer Börsen seit Mitte 2019 nicht mehr als gleichwertig an. Dadurch wären Händler in der EU ab diesem Zeitpunkt gezwungen gewesen, in Europa erhältliche Schweizer Aktien ausschließlich auf europäischen Handelsplätzen zu kaufen. Da dies den Abfluss eines Großteils des Aktienhandels aus der Schweiz bedeutet hätte, untersagten die Eidgenossen daraufhin den Handel von Schweizer Aktien in der Union. Seither können also deutsche Anleger hierzulande keine Schweizer Aktien mehr kaufen. Dennoch gibt es Wege, in sie zu investieren. Wer auf Einzeltitel setzen will, kann dies zum einen über den außerbörslichen Handel tun. Viele Online-Broker bieten dies an. Dabei erwerben Anleger die Aktien beispielsweise über die Plattformen von Lang & Schwarz, der Baader Bank oder der Société Générale. Einige Online-Banken bieten auch den Handel direkt an der Schweizer Börse in Zürich an. Allerdings sind die Gebühren oft deutlich höher als beim Aktienhandel in Deutschland. STEUERN ZURÜCK Ein weiteres Problem beim Besitz von Einzelaktien ist, dass von den Dividenden direkt die Schweizer Quellensteuer, die sogenannte Verrechnungssteuer, in Höhe von 35 Prozent abgezogen wird. Zwar regelt ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem Nachbarland, dass deutsche Anleger davon 20 Prozent vom Schweizer Bundeszentralamt für Steuern zurückfordern können. Das ist jedoch nur alle drei Jahre möglich und mit einem gewissen bürokratischen Aufwand verbunden. Das entfällt beim Kauf von börsengehandelten Indexfonds (ETFs) oder gemanagten Fonds – wenn man einen wählt, der außerhalb der Schweiz beheimatet ist. Um eine eventuelle Rückerstattung von Steuern auf Dividenden kümmert sich dann der Fonds. de einmal 41 Prozent der Wirtschaftsleistung, und die Ratingagentur Scope erwartet bis 2027 einen Rückgang auf 33,3 Prozent. Zum Vergleich: In der Eurozone steht sie bei rund 90 Prozent. Dazu kommen die Exporterfolge der Wirtschaft. Mit 4,3 Milliarden Franken erreichte der Handelsüberschuss im Mai gerade einen der höchsten je gemessenen Werte – das stärkt die Währung ebenfalls. Dieser Überschuss werde durch eine „hoch spezialisierte, preisunempfindliche Exportindustrie, wie beispielsweise die Pharmabranche“ erreicht, so die ScopeAnalysten. Die Schweizer Wirtschaft ist außerdem die innovativste weltweit. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Analyse von Shiko Ben-Menahem vom Zürcher Anlageberater The Singularity Group. In einer Studieunterteilte er die Unternehmen in innovative, bei denen sich mehr als zehn Prozent der Umsätze auf angewandte Erfindungen zurückführen lassen, und nicht innovative. Misst man die Umsätze der findigen Firmen gemäß dieser Einteilung, dann kommt die Schweiz auf „Innovationsumsätze“ von rund 8400 Dollar pro Kopf. Mit einigem Abstand folgt Taiwan mit knapp 4900 Dollar. Deutschland liegt auf Rang zehn. WIDERSTANDSFÄHIG „Führende Firmen im Bereich der angewandten Innovation zeigen eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber steigender Inflation, hohen Energiepreisen, Nachfrageschwankungen, steigenden Zinssätzen und internationalen Konflikten“, sagt Ben-Menahem. Das Entscheidende: Dies zahle sich letztlich auch für Anleger aus. Über die vergangenen fünf Jahre habe das Wachstum des Gewinns je Aktie der innovativen Unternehmen deutlich das anderer Firmen übertroffen. Schweizer Unternehmen sind aber nicht nur erfindungsreich, sondern auch groß – und der dortige Aktienmarkt spiegelt das wider. Die Marktkapitalisierung des nur 20 Werte umfassenden SMI beläuft sich auf 1,3 Billionen Euro, der Dax mit seinen 40 Mitgliedern bringt es auf 1,47 Billionen. Grundsätzlich spricht also vieles für Aktien aus dem Alpenstaat – und die aktuellen Entwicklungen verstärken dies nach Ansicht vieler Experten noch. „Wir haben Schweizer Aktien von neutral auf übergewichtet hochgestuft“, sagt beispielsweise Luca Paolini, Chefstratege bei Pictet Asset Management. Denn er rechnet global mit einem eher verhaltenen Wirtschaftswachstum in den komStarke Währung, solide Staatsfinanzen, innovative Unternehmen: Die Schweiz ist ein Erfolgsmodell und auch für Aktiensparer attraktiv. Allerdings müssen die einige Besonderheiten beachten der Rendite INFOGRAFIK WELT AM SONNTAG/ BEATE NOWAK; QUELLE: COMDIRECT; GETTY IMAGES/ MOMENT RF/ WERNER BÜCHEL; CAVAN/ GETTY IMAGES F WELT AM SONNTAG INANZEN NR.29 16.JULI2023 SEITE 33 & IMMOBILIEN E s begann gleich mal mit einem Zusammenbruch. Seit Montag können die Europäer darüber abstimmen, wie künftige neue Euro-Banknoten aussehen sollen. Doch kaum war das Votum gestartet, war die entsprechende Internetseite nicht mehr erreichbar. Abgestürzt wegen Überlastung, hieß es da auf Italienisch – mit freundlichen Grüßen der Banca d’Italia, die offenbar für die Umfrage verantwortlich ist. Die Europäische Zentralbank (EZB) will in den kommenden Jahren neue Scheine in Umlauf bringen. Diese sollen noch sicherer werden, und offenbar soll auch das Äußere verändert werden. Mithilfe der Umfrage wollen die Notenbanker sicherstellen, dass sie den Geschmack der Bürger treffen. Diese können zwischen sieben Themen wählen, die auf den Banknoten abgebildet werden sollen: europäische Kultur, europäische Werte im Spiegel der Natur, Flüsse Europas, Vögel Europas, Innovationen, europäische Identitäten sowie Hände als Erbauer Europas. Die Ideen werden zudem erläutert und um Beispiele ergänzt, wie eine entsprechende Banknote am Ende aussehen könnte. Kommendes Jahr soll das Thema festgelegt werden, auch auf Basis der Befragungsergebnisse. Es folgt ein Designwettbewerb, und ab 2026 sollen die neuen Banknoten in Umlauf kommen. Seit Dienstagnachmittag funktioniert zumindest die Umfrageseite wieder und Europas Bürger können für die neue Optik votieren. Es sollten aber nicht zu viele auf einmal sein. Sonst stürzt die Seite http://survey.ecb.europa.eu/euro-banknotesurvey womöglich gleich wieder ab. Absturzgefahr bei der EZB VONFRANK STOCKER GELD AM SONNTAG Neue Bestimmung:Kirchen werden zu Wohngebäuden S. 39 A ngesichts hoher Zinsen und weiterhin hoher Immobilienpreise nehmen Eigenheimkäufer immer höhere Schulden auf und gehen damit größere Risiken ein. Dem Finanzierungsvermittler Dr. Klein zufolge stieg der durchschnittliche Beleihungsauslauf, also der Fremdkapitalanteil bei einem Baudarlehen, im Juni auf 84,4 Prozent. Dieser Wert wurde über mehrere Jahre hinweg nicht erreicht. Darlehensnehmer hätten im Verhältnis zu Kaufpreisen und Kreditsummen weniger Eigenkapital zur Verfügung, lautet die Erklärung. Damit stiegen jedoch auch die Kosten der Kreditnehmer: „Ein größerer fremdfinanzierter Anteil wirkt sich ungünstig auf den individuellen Zinssatz aus, da damit das Finanzierungsrisiko für die Bank steigt“, heißt es in einer Mitteilung von Dr. Klein. Weil die heutigen Immobilienkäufer offenbar nicht einfach höhere Summen für die monatliche Rate aus Zins und Tilgung aufbringen können, machen sie Abstriche bei der Tilgung, schieben also die Rückzahlung der Schulden immer weiter in die Zukunft. Die durchschnittliche Tilgungsrate sei im Juni auf 1,84 Prozent gesunken, von 1,87 Prozent im Mai. Im Vorjahresmonate lag die Rate bei den von Dr. Klein beobachteten Finanzierungen bei 2,26 Prozent. „Damit tilgen Kreditnehmer aktuell so wenig wie seit elf Jahren nicht mehr“, so die Experten. Dr. Klein ist neben Interhyp einer der größten überregional tätigen Anbieter von Finanzierungsberatungen und Baukrediten. Die Daten bezieht Dr. Klein von Europace, einem Marktplatz für Immobilienfinanzierungen mit etwa 35.000 Transaktionen pro Monat. MICHAEL FABRICIUS Schuldenlast beim Baugeld steigt weiter Immobilienkäufer schieben Tilgung auf © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. 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I m thüringischen Ilmenau ist die Wohnwelt noch in Ordnung, ebenso im sächsischen Mittweida. In beiden Städten kostet ein WG-Zimmer im Schnitt weniger als 300 Euro – und ist so für Studenten der örtlichen Hochschulen bezahlbar. Solche Preise sind jedoch die Ausnahme. VON CORNELIUS WELP So hat das Moses-Mendelssohn-Institut, spezialisiert auf Immobilienforschung, ermittelt, dass die Durchschnittsmiete für WG-Zimmer bundesweit im vergangenen Halbjahr um 23 auf 458 Euro im Monat gestiegen ist, Großstädte wie München, Berlin und Frankfurt liegen weit darüber. Für jene zwei Drittel der Studenten, die weder bei den Eltern noch im Wohnheim leben, steigt damit der finanzielle Druck. Mit einem Anteil von 40 Prozent an den Gesamtausgaben ist die Miete für sie der größte Kostenfaktor. Weitere 20 Prozent gehen für Lebensmittel drauf. Auch hier sind die Preise gestiegen. „Die Inflation trifft Studierende hart“, sagt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerkes (DSW). „Bei mehr als einem Drittel von ihnen ist das monatliche Budget extrem auf Kante genäht.“ Dabei stützt er sich auf die vor Kurzem unter anderem von seiner Organisation veröffentlichte Sozialerhebung, deren Daten bereits im Sommer 2021 erhoben worden sind. Demnach verfügten zwar 25 Prozent der Studenten über ein monatliches Einkommen von mehr als 1300 Euro, 34 Prozent mussten aber mit weniger als 800 Euro auskommen. Das ist deutlich weniger als der in der für Unterhaltszahlungen relevanten Düsseldorfer Tabelle vorgesehene Bedarf von monatlich 930 Euro, den längst nicht alle Eltern zahlen können. Da der Anteil der BAföG-Bezieher sinkt und Studienkredite wenig attraktiv sind, müssen viele Studenten nach Möglichkeiten suchen, wie sie ihre Ausbildung finanzieren. Ein Überblick über die Optionen. Wenn BAföG zum Leben nicht reicht Mieten steigen, die Preise für Lebensmittel auch, und Förderprogramme sind knapp oder unattraktiv. Wie Studenten ihre Ausbildung finanzieren können 34 FINANZEN WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 Die Corona-Krise war für Studenten auch eine Jobkrise: Zahlreiche sonst übliche Nebentätigkeiten waren von 2020 bis 2022 größtenteils unmöglich. In der Umfrage des Deutschen Studierendenwerkes 2021 gaben dennoch 63 Prozent an, nebenher zu arbeiten. Die meisten von ihnen wollten ihren Lebensstandard verbessern. 60 Prozent erklärten, dass ihr Unterhalt sonst nicht reiche. Der durchschnittliche Zeitaufwand für den Nebenjob lag bei zwölf Stunden pro Woche, der übliche Lohn Mitte 2021 bei knapp zwölf Euro. Da der Mindestlohn seitdem auf zwölf Euro gestiegen ist, dürfte sich dieser Wert erhöht haben. Am weitesten verbreitet ist der klassische Minijob. Vor allem in den ersten Semestern ist er oft die einzige Option, später suchen viele als studentische Aushilfe eine qualifiziertere Tätigkeit. Dafür allerdings gibt es Regeln: Die Einkommensgrenze liegt aktuell bei 520 Euro im Monat. Die Arbeitszeit darf 20 Stunden pro Woche nicht übersteigen. Wer mehr verdient, muss normalerweise Beiträge in die Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Für BAföG-Bezieher kommt hinzu: Ein höheres Einkommen wird darauf angerechnet. Mehr als im Minijob lässt sich als Werkstudent in einer Firma verdienen: Wer nebenher fest in einem Unternehmen arbeitet, profitiert von Vorteilen bei der Sozialversicherung. Allerdings sind auch Studenteneinkommen steuerpflichtig. Die Grenze, aber der der Fiskus seinen Anteil will, liegt bei 11.000 Euro pro Jahr. Als Student hat man in der Regel die Steuerklasse 1. KLASSIKER: DER NEBENJOB So groß wie bei der möglichen Abschaffung des Elterngelds für Gutverdiener ist die Aufregung nicht. Doch auch eine geplante Kürzung im Budget von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sorgt für Diskussionen. Sie betrifft Zahlungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Insgesamt sind hier für diese im kommenden Jahr gut 1,9 Milliarden Euro vorgesehen – rund 650 Millionen Euro weniger als aktuell. Die individuellen Leistungen werden nicht sinken. „Die BAföG-Auszahlung wird sich durch die geplanten Kürzungen im Haushalt nicht verändern, weil ein Rechtsanspruch auf Förderung besteht“, sagt Matthias Anbuhl vom Deutschen Studierendenwerk (DSW). Die Finanzplanung verzichtet vor allem auf einen bisher üblichen Puffer, der eine unerwartet hohe Zahl von Anträgen abfedern soll. Nun kalkuliert man damit, dass die Zahl der geförderten Studenten, Schüler und Auszubildenden weiter sinkt. Aktuell profitieren etwa elf Prozent von der staatlichen Unterstützung. Die Höhe des BAföG ist von den Vermögensverhältnissen der Eltern und Faktoren wie der persönlichen Wohnsituation abhängig. Das volle BAföG erhält man bei verheirateten Eltern bis zu einem BruttoJahreseinkommen von 44.000 Euro. Auch mit 50.000 Euro pro Jahr kann man noch Unterstützung erhalten. Aber 70.000 Euro muss man allerdings ziemlich sicher auf BAföG verzichten. Anträge lassen sich seit 2021 digital stellen. Wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, erhielten Studenten im Durchschnitt zuletzt knapp 590 Euro monatliche Unterstützung. Nach Abschluss des Studiums müssen sie grundsätzlich die Hälfte der Summe zurückzahlen. Im vergangenen Herbst hat die Regierung den Höchstsatz deutlich auf monatlich 934 Euro angehoben, darin enthalten sind eine Wohnpauschale von 360 Euro und mögliche Zuschläge zu Kranken- und Pflegeversicherung. Der angenommene Grundbedarf liegt damit unter dem aktuellen Bürgergeld von monatlich 502 Euro. Neben höheren Sätzen hatte die Regierung im Koalitionsvertrag auch eine strukturelle Reform des BAföG angekündigt, die es vor allem für weitere Zielgruppen öffnen sollte. Angesichts der angestrebten Einsparungen scheine diese nun „allerdings unmöglich“, sagt DSW-Experte Anbuhl. DER STAAT STÜTZT: BAFÖG Für Studenten, die kein BAföG erhalten, aber finanzielle Unterstützung brauchen, soll der Studienkredit der staatlichen Förderbank KfW ein passendes Angebot darstellen. Die Zugangshürden sind niedrig, im Grunde reicht ein Studiennachweis. Dennoch sieht die Realität spätestens seit dem 1. April anders aus. Denn da hat die staatliche Förderbank den Zinssatz für die Darlehen angepasst – auf fast acht Prozent. Grund sind die gestiegenen Leitzinsen, nach denen sich die KfW-Konditionen richten. Ein betroffener Student spricht von einer „enormen finanziellen und auch psychischen Belastung“. Die kommt daher, dass bereits während der Auszahlungsphase Zinsen auf die bis dahin aufgelaufene Kreditsumme fällig sind. Sie werden vom monatlich gewährten Betrag abgezogen, wodurch dieser vor allem gegen Ende des Studiums deutlich niedriger ausfällt als die maximal bewilligten 650 Euro. „Bei hoher Inflation steht so weniger Geld zur Verfügung“, sagt der Student. Wegen der Corona-Pandemie hatte die Regierung den Kredit bis Oktober 2022 zinsfrei gestellt. Mit 52.000 neu abgeschlossenen Verträgen erlebte er 2020 einen echten Boom. Der ist vorbei: 2022 vergab die KfW nur 15.500 neue Darlehen, in diesem Jahr dürften es noch deutlich weniger sein. Experten empfehlen den Kredit allenfalls für spezielle Situationen, etwa die Semester unmittelbar vor dem Examen. ZINSSCHOCK: DER KFW-STUDIENKREDIT Stipendien sind willkommene Geschenke – für eine kleine Bildungselite. Das Bild prägen die 13 in Deutschland aktiven Begabtenförderwerke, allen voran die Studienstiftung des deutschen Volkes. Sie unterstützt aktuell 14.200 Studentinnen und Studenten sowie 1400 Promovierende mit einem Zuschuss von monatlich 300 Euro. Abhängig von der finanziellen Situation der Familie kommen bis zu 812 Euro monatlich hinzu. Voraussetzung: Bewerber sollten herausragende Leistungen vorweisen. Neben diesen Leistungen in der Ausbildung spielt gesellschaftliches Engagement bei der Auswahl eine Rolle, bei den Programmen von Parteien und Kirchen kommen weltanschauliche Aspekte hinzu. Gemeinsam erreichen die 13 Werke rund ein Prozent der Studenten. Der Kreis potenziell Begünstigter ist jedoch größer. So erhielten 2022 mehr als 30.000 Studenten monatlich 300 Euro aus dem 2011 eingeführten Deutschlandstipendium, die Hälfte der Summe stammt von privaten Förderern, die andere vom Bund. Bewerber sollen auch hier sehr gute Leistungen und persönliche Qualitäten vorweisen, die Messlatte liegt aber niedriger als bei der traditionellen Begabtenförderung. Zudem existieren Tausende, oft an eine Hochschule, Fachrichtung oder die Bindung an eine Region geknüpfte Stipendien. Datenbanken wie Mystipendium oder E-Fellows helfen beim Überblick. Neben der KfW bieten noch einige weitere Institute spezielle Kredite für Studenten an. Zudem existieren sogenannte Studienfonds. Deren Konzept stammt von Privatuniversitäten, wo es auch weniger privilegierten Abiturienten die Studiengebühren und damit den Zugang ermöglichen sollte. Anbieter wie das aus der privaten Wirtschaftsuniversität WHU in Vallendar hervorgegangene Unternehmen Brain Capital finanzieren bei bestimmten Studiengängen mittlerweile zudem die Lebenshaltungskosten. Dabei sind auch hohe Summen möglich. Bei Deutsche Bildung etwa liegt das durchschnittliche Volumen bei gut 1100 Euro. Anders als bei regulären Krediten zahlen Studenten bei Fonds keine fixe Summe, sondern einen vorher festgelegten Anteil ihres späteren Einkommens zurück, sobald dieses eine bestimmte Höhe übersteigt. Meist liegt er für einen Zeitraum von um die zehn Jahre bei zwischen sechs und acht Prozent. Vor allem bei hohen Einkommen kann die Tilgung den Auszahlungsbetrag so sehr deutlich übersteigen. Flächendeckend durchgesetzt haben sich diese Angebote nicht, die Zahl aller neu abgeschlossenen Studienfinanzierungen fiel 2022 auf den tiefsten Stand seit 15 Jahren. Von einem „Kollaps in Zeitlupe“ spricht deshalb Ulrich Müller, der den Markt für das Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) analysiert hat. Immerhin: Die meisten Angebote schnitten in vielen Kategorien gut ab. SPEZIELLER FALL: DER STUDIENFONDS D ie Finanzaufsicht Bafin sieht bei der Anlageberatung von Verbrauchern in Deutschland teils deutliche Defizite. Vor allem bei den Pflichtinformationen hapere es noch erheblich, sagte Christian Bock, Leiter der Abteilung Verbraucherschutz und Verbraucherschutzbeauftragter bei der Bafin. Dazu zählen Infos über die Kosten und darüber, ob das Finanzprodukt für den Anleger geeignet ist. Verbraucherschützerin Dorothea Mohn sprach von „erschreckenden Ergebnissen, die man sehr ernst nehmen sollte“. Im Auftrag der Bafin wurden 100 Testkäufe von Finanzprodukten in 16 Banken und Sparkassen in Deutschland durchgeführt. Speziell geschulte Tester treten beim sogenannten Mystery Shopping meist als Neukunden auf, um sich beraten zu lassen. Geprüft wurde, ob die Institute Kunden die gesetzlich vorgeschriebenen Informationsunterlagen geben. So müssen Anleger vor der Entscheidung für ein Finanzprodukt eine genaue Aufstellung erhalten, wie viel sie das Produkt kostet. In 67 Prozent der Beratungen gab es den Angaben zufolge keine entsprechende Info. Zudem erhielten die Tester in 40 Prozent der Fälle keine Geeignetheitserklärung. Darin müssen Berater schriftlich darlegen, weshalb die Empfehlung eines bestimmten Finanzproduktes zum Kunden passt. „Bei der Aushändigung von gesetzlichen Pflichtinformationen in der Anlageberatung haben wir erneut erhebliche Auffälligkeiten festgestellt“, sagte Bock. „Diese sind aber kein zwingendes Indiz dafür, dass es bei diesem Thema branchenweit gravierende Missstände gibt.“ Verglichen mit einer Pilotaktion im Sommer 2021, die mit 36 Tests bei zwölf Instituten deutlich kleiner war, schnitt die Anlageberatung schlechter ab. Damals erhielten Kunden bei 19 Prozent der Beratungen keine Kosteninfo und bei 22 Prozent keine Geeignetheitserklärung. Weil es bei Wertpapierkäufen kein Widerrufsrecht gibt, erteilen die Tester in der Regel keinen Kaufauftrag. Das war auch im Fall der Bafin-Untersuchung so. „Wir können also nicht völlig ausschließen, dass die fehlenden Pflichtinformationen noch ausgehändigt worden wären, wenn das Beratungsgespräch mit einem Orderabschluss beendet worden wäre“, erläuterte Bock. Verbraucherschützerin Mohn sieht darin kein Problem. „Sachlogisch müssten die Kunden die vorgeschriebenen Informationen auf jeden Fall mit der Empfehlung bekommen, unabhängig davon, ob sie der Empfehlung folgen“, sagte die Leiterin Team Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband. „Wenn es so sein sollte, dass Anleger wichtige Informationen erst ganz kurz vor dem Abschluss bekommen hätten, wäre das kein guter und sachgerechter Zeitpunkt.“ Vergleichsweise gut schnitten die Banken und Sparkassen beim Thema Nachhaltigkeit ab. Demnach wurden 87 Prozent der Testkäufer nach ihren Präferenzen in diesem Bereich befragt. Dies ist seit August des vergangenen Jahres Pflicht. Die betroffenen Institute hätten sich kooperativ und konstruktiv gezeigt, berichtete Bock. Sie wollten ihre Berater sensibilisieren, die gesetzlich vorgeschriebenen Informationen stets auszuhändigen. Die Aufsicht werde die Umsetzung der Maßnahmen überwachen. Auch eine EUweite Aktion, an die die Bafin ihren Test gekoppelt hatte, zeigte Defizite bei der Information über Kosten und Gebühren bei Finanzprodukten. „Die Ergebnisse unterstreichen einmal mehr, wie sinnvoll es wäre, ein Provisionsverbot einzuführen“, sagte Mohn. Kreditinstitute und Versicherer zahlen für den Vertrieb zum Beispiel von Fondsanteilen oder Lebensversicherungen Anlageberatern in den meisten EU-Ländern in der Regel eine Provision. Verbraucherschützer sehen die Gefahr von Interessenkonflikten, die zur Empfehlung teurer oder unpassender Anlagen führen können. dpa Erhebliche Mängel bei Anlageberatung Verbraucher werden laut Finanzaufsicht nicht ausreichend informiert FAST FÜR UMSONST: DAS STIPENDIUM GETTY IMAGES/MARKO GEBER; BORTONIA, BGBLUE, APPLEUZR, BOUNWARD/DIGITAL VISION VECTORS/GETTY IMAGES; MONTAGE : MICHAEL KUNTER © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
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36FINANZEN * WELT AM SONNTAG NR.29 16.JULI2023 Börsenwert (Schlusskurs der vergangenen Woche multipliziert mit der Anzahl der Aktien) Quelle: Infront / Deutsche Börse in den vergangenen 4 Wochen (%) schlechter besser als der DAX in den vergangenen 12 Monaten (%) schlechter als der DAX besser –151 –1010 –5 0 +5 +1010 +151 +200 +25 +300 +35 +400 +45 +500 +55 +600 +65 +700 –9 –8 –7 –6 –5 –4 –3 –2 –11 0 +11 +2 +3 +4 SAP Siemens iemens Airbus irbus Dt. Telekom t. Telekom Allianz llianz Mercedes-Benz ercedes-Benz BMW MW Siem.Health. iem.Health. Dt. Post t. Post Porsche AG orsche AG Infineon nfineon Bayer ayer Münch. R. ünch. R. BASF Dt. Börse t. Börse Adidas didas E.ON .ON Beiersdorf eiersdorf Daimler Truck aimler Truck RWEW DAXX(-1,54% seit 4 Wochen, +28,64% seit 12 Monaten) -1,54% seit 4 Wochen, +28,64% seit 12 Monaten) DIE TOPS UND FLOPS DER WOCHE BÖRSEN-WELT IMDAX 27860,29 (+3,1%) 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT LEG Immob. 59,90+12,0 90,12 46,17 Fres. M.C.St. 46,78 +9,1 47,18 25,95 TAG Imm. 9,49 +8,7 11,29 5,37 SMA Solar 89,55 –8,0 112,70 38,42 HelloFresh 23,37 –4,6 35,71 15,40 Redcare Pharm. 104,60 –4,4 110,80 36,51 IS&P UK 1501,22 (+2,2%) 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT Unite Group 930,50 +9,9 1209,0 773,50 Flutter Ent. 15985,0 +8,9 16755,0 7464,0 Persimmon 1060,5 +8,8 1913,5 953,00 Bunzl 2800,0 –2,6 3249,0 2603,0 B.A.T. 2524,0 –1,9 3555,0 2518,5 Rolls-Royce Gr. 145,90 –1,8 160,00 64,48 IDow Jones 34509,03 (+2,3%) 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT Salesforce 229,33 +9,4 232,20 126,34 3M 102,30 +5,1 152,30 92,38 Home Depot 316,50 +4,5 347,25 265,61 Verizon 34,01 –5,3 51,17 33,72 Travelers Comp. 165,95 –3,3 194,51 149,65 Merck & Co. 107,34 –1,5 119,65 84,52 INikkei 225 32391,26 (±0,0%) 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT Advantest 21720,0 +8,8 21840,0 6600,0 Nexon Co. 2786,0 +7,8 3275,0 2323,0 So-net M3 3227,0 +7,4 5101,0 2991,5 Kawasaki 3429,0 –7,8 3868,0 2163,0 Mazda Motor 1270,0 –7,2 1437,0 924,00 Nissan Motor 556,20 –6,8 619,90 408,10 ISDAX 13610,81 (+2,9%) 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT Ceconomy St. 2,78+17,3 2,85 1,10 Auto1 Group 9,27+14,2 11,98 5,41 Elmos Semic. 84,70+13,5 93,90 36,90 Patrizia 10,26 –9,8 13,72 6,98 Hypoport 153,00 –7,7 258,20 72,55 New Work 115,60 –7,7 187,00 113,00 ICAC 40 7374,54 (+3,7%) 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT LVMH 892,30 +8,1 904,60 587,50 STMicroelect. 47,33 +8,1 49,13 30,09 Teleperform. 156,40 +7,9 334,60 137,30 Engie 15,01 –0,5 15,56 10,86 Sanofi S.A. 93,70 –0,3 105,18 76,45 Worldline 34,22 +0,1 47,96 31,34 INasdaq 100 15565,60 (+3,5%) 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT PDD Hold. 79,49+13,6 106,38 38,80 Align Techn. 366,88+11,3 371,39 172,05 Datadog 108,53+10,7 120,75 61,34 Lucid Group 6,70–10,1 21,78 5,46 Palo Alto Netw. 241,26 –2,6 258,88 132,22 Mercadolibre 1135,7 –1,6 1365,6 657,72 DAX 14.07. Kurs Veränderung 12 Monate Marktk. Div. Div. KGV Vorwoche in % Tief Vergleich Hoch Mrd. € in € Rend. 2023 Adidas NA 173,26 +4,0WWWW 93,40_________b_181,9 31,19 0,70 0,40 Airbus 133,04 +1,5WW 86,53__________b 135,4 105,15 1,80 1,35 23,14 Allianz vNA 210,35 +3,1WWW 156,2_______b___228,4 84,84 11,40 5,42 8,84 BASF NA 45,36 +0,2W 37,90_____b_____54,04 40,55 3,40 7,50 11,06 Bayer NA 50,31 +3,2WWW 46,70__b________65,66 49,43 2,40 4,77 9,86 Beiersdorf 117,00 +0,4W 93,38_______b___128,6 29,48 0,70 0,60 30,39 BMW St. 106,76 W –0,4 68,44_________b_113,5 64,27 8,50 7,96 7,74 Brenntag NA 69,22 +0,3W 53,58_______b___77,60 10,69 2,00 2,89 12,94 Commerzbank 11,05 +7,3 WWWWWW 5,65________b__12,01 13,84 0,20 1,81 7,62 Continental 69,52 +1,6WW 44,31_______b___79,24 13,90 1,50 2,16 9,72 Covestro 47,95 +0,2 W 27,69_________b_50,10 9,26 - 53,28 Daimler Truck 33,02 +3,1 WWW 22,48__________b 33,32 27,17 1,30 3,94 8,81 Dt. Bank NA 9,61 +3,6 WWWW 7,25_____b_____12,36 19,61 0,30 3,12 4,93 Dt. Börse NA 164,45 +2,0 WW 155,0___b_______186,4 31,25 3,60 2,19 17,97 Dt. Post NA 45,90 +4,4 WWWW 29,68__________b 46,04 56,87 1,85 4,03 13,70 Dt. Telekom 19,88 +1,9 WW 17,35____b______23,13 99,13 0,70 3,52 12,83 E.ON NA 11,50 +1,7WW 7,28________b__12,29 30,36 0,51 4,44 12,77 Fresenius 26,11 +6,0WWWWW 19,69______b____29,71 11,96 0,92 3,52 9,49 Hann. Rück NA 189,80 +1,4 WW 133,3________b__206,8 22,89 6,00 3,16 12,74 Heidelb. Mat. 72,04 +5,8 WWWWW 38,73_________b_75,96 13,91 2,60 3,61 9,18 Henkel Vz. 71,56 +1,9 WW 59,12______b____78,84 12,75 1,85 2,59 20,74 Infineon NA 38,58 +7,9WWWWWWW 21,87__________b 39,16 50,38 0,32 0,83 19,29 Mercedes-Benz 72,43 +0,7 W 50,40_________b_76,10 77,49 5,20 7,18 5,96 Merck 149,50 +2,0 WW 145,6_b_________202,8 19,32 2,20 1,47 18,57 MTU Aero 224,00 +0,4 W 149,2________b__245,1 11,97 3,20 1,43 22,74 Münch. R. vNA 331,60 +1,1 WW 214,3_________b_346,9 45,25 11,60 3,50 11,05 Porsche AG Vz. 114,70 +3,9WWWW 81,00________b__120,8 52,25 1,01 0,88 19,61 Porsche Vz. 53,76 +2,2WWW 48,38__b________74,98 8,23 2,56 4,76 3,03 Qiagen 40,94 +0,4 W 39,62_b_________49,37 9,32 - 23,39 Rheinmetall 252,90 +4,4WWWW 140,5________b__281,3 11,02 4,30 1,70 18,06 RWE St. 39,45 +1,0WW 35,79____b______43,96 26,68 0,90 2,28 11,78 SAP 128,72 +6,0WWWWW 79,58__________b 128,9 158,13 2,05 1,59 37,31 Sartorius Vz. 311,60 +0,7W 291,9_b_________471,7 11,67 1,44 0,46 34,82 Siem.Energy 15,45 +3,6WWWW 10,25____b______24,81 12,35 - Siem.Health. 51,68 +4,2WWWW 40,32______b____58,08 58,30 0,95 1,84 28,71 Siemens NA 150,60 +5,6WWWWW 95,07________b__167,0 120,48 4,25 2,82 18,37 Symrise 96,58 +3,3WWW 90,08___b_______ 115,1 13,50 1,05 1,09 29,72 Vonovia NA 19,40 +9,1WWWWWWW 15,27__b________33,16 15,80 0,85 4,38 VW Vz. 123,16 +0,7W 112,8___b_______153,7 25,40 8,76 7,11 4,01 Zalando 28,21 +14,3WWWWWWWWWWW 19,18___b_______45,81 7,43 - 51,29 Weiteres Indizes 14.07. Kurs +/–% 52WH 52WT AEX 778,93 +3,4 781,49 611,74 ATX 3161,2 +1,5 3560,3 2623,6 Bovespa 118445,8 –0,3120419,9 95266,9 BSE Sensex 66060,9 +1,2 66157,0 53363,0 Euro Stoxx 50 4400,1 +3,9 4420,0 3249,6 Hang Seng 19397,3 +5,6 22700,9 14597,3 Merval 451138,6 +6,5452626,2100430,5 Nasdaq Comp. 14113,7 +3,3 14232,1 10088,8 Nikkei 225 32391,3 0,0 33772,9 25622,0 S&P TSX 20262,1 +2,2 20843,2 17873,2 Shanghai A 3394,1 +1,3 3584,1 3023,7 SMI 11110,2 +2,2 11616,4 10010,8 Stoxx 50 3963,5 +2,8 4090,0 3279,5 Topix 2239,1 –0,7 2321,5 1815,3 Das Vier-Felder-Diagramm illustriert die Performance der 20 größten im DAX vertretenen Titel in zwei verschiedenen Zeiträumen. Die vertikale Achse zeigt die Veränderung in den vergangenen 12 Monaten, die horizontale Achse die Veränderung des vergangenen Monats. Die Aktien mit der relativ gesehen besten Performance befinden sich in dem Quadranten rechts oben, die Aktien mit der relativ gesehen schlechtesten Performance links unten. Die Grösse der Kreise, mit denen die Unternehmen dargestellt sind, richtet sich nach der Höhe der Marktkapitalisierung. IDAX 16105,07 (+3,2%) Gewinner und Verlierer im DAX Deutschland 2,493 –0,127 Frankreich 3,014 –0,154 Großbritannien 4,502 –0,182 Russland 11,38 +0,130 Japan 0,473 +0,042 STAATSANLEIHEN Rendite 10-jähriger Anleihen in % und ihre Veränderung gegenüber der Vorwoche in Prozentpunkten 14.07. Rendite +/–absolut 14.07. Rendite +/–absolut USA 3,796 –0,254 Italien 4,15 –0,196 • • Australien 3,992 –0,254 Griechenland 3,924 –0,016 Kanada 3,348 –0,170 Niederlande 2,826 –0,150 Österreich 3,114 –0,139 Portugal 3,214 –0,131 Schweden 2,496 –0,089 Schweiz 0,971 –0,044 Spanien 3,503 –0,103 Südafrika 10,48 –0,285 • ••• • Erläuterung: Kurse werden in Euro angegeben. DAX = Xetra-Handel. Wenn bei einer Aktie kein tagesaktueller Kurs festgestellt wurde bezieht sich die Angabe auf den letzten „Bezahlt“-Kurs. NA = Namensaktie, Vz. = Vorzugsaktie, St. = Stammaktie. KGV: Kurs/Gewinn-Verhältnis auf Basis aktueller Jahresgewinnprognosen. Ohne Gewähr. Quelle Stand: 14.7., 22:06 Uhr IEuro in US-$ 1,1221 $ (+3,1%) Jahresbeginn +5,2% / 52 Wochen +12,2% DEVISEN/ZINSEN/ROHSTOFFE PGold je Unze 1741,49 € (–0,8%) Jahresbeginn +2,2% / 52 Wochen +2,0% PEuro in sfr 0,9649 sfr (–1,1%) Jahresbeginn –2,0% / 52 Wochen –2,0% IEuro in £ 0,8559 £ (+0,3%) Jahresbeginn –3,5% / 52 Wochen +1,2% IÖl Brent, Barrel 79,65 $ (+1,9%) Jahresbeginn –7,4% / 52 Wochen –20,1% HypoZins 10J.I 4,01 % (+0,150) JB +0,2 / 52W +0,8 PUmlaufrendite 2,54 % (–0,160) JB ±0,0 / 52W +1,5 Die aktuellen Schlusskurse finden Sie auf Welt.de. Scannen Sie den QR-Code oder geben Sie welt.de/wamskurse in den Browser ein E s lässt sich darüber streiten, ob eine Förderanlage ein Aufzug, ein Fahrstuhl oder ein Lift ist. Denn umgangssprachlich werden die Begriffe austauschbar benutzt. In der Branche ist das Wort „Fahrstuhl“ jedoch eher verpönt und wird höchstens mit der Vorrichtung eines Treppenliftes in Verbindung gebracht. „Lift“ dagegen ist der britische Begriff für Aufzug, der in den USA als „Elevator“ bezeichnet wird. Wer die Förderanlage einfach nur „Aufzug“ nennt, macht also nichts falsch. Gemessen an deren Zahl geht es in Deutschland aufwärts. Ablesen lässt sich das am Anlagensicherheitsreport, in dem die Ergebnisse von Prüforganisationen wie TÜV und Dekra mit einfließen. Denn die technische Sicherheit der Anlagen muss einmal pro Jahr kontrolliert werden. 2022 war das bei fast 657.000 Aufzugsanlagen in Deutschland so, nach 649.941 im Vorjahr. Die tatsächliche Zahl der Aufzüge dürfte aber höher sein. Die Branche schätzt, dass es 100.000 Anlagen gibt, die nicht kontrolliert werden. Anders als bei Autos, deren letzter Check sich an der Plakette auf dem Fahrzeug ablesen lässt, sind Aufzüge eben in Häusern verborgen. Deren Eigentümer nehmen es offenbar nicht immer so genau mit der Kontrolle. Auch wenn viele bei Aufzügen erst einmal an US-Metropolen wie New York denken, so befinden sich tatsächlich nur etwa drei Prozent aller Anlagen in Nordamerika. Aufzugweltmeister ist China mit weltweit etwa zwei von drei Fahrstühlen. Dort befinden sich auch die schnellsten. So rast ein Aufzug im Shanghai-Tower mit 74 Kilometern pro Stunde in nur 55 Sekunden vom Erdgeschoss in die 118. Etage. Gebaut hat ihn Mitsubishi Electric. Nach Umsatz ist das japanische Unternehmen der viertgrößte Aufzughersteller. An der Spitze steht Otis (USA), gefolgt von Schindler (Schweiz) und Kone (Finnland). Zu den eher langsamen Exemplaren gehören die Paternoster. Von diesen offenen Personenumlaufaufzügen gibt es in Deutschland noch etwa 250. Aus Sicherheitsgründen dürfen sie seit 1974 nicht mehr neu in Betrieb genommen werden. Altanlagen fahren aber weiter. Bei den jährlichen Überprüfungen der 657.000 Aufzugsanlagen war im vergangenen Jahr nicht einmal jede zweite ohne Mängel. Bei fast zwölf Prozent wurden sogar „erhebliche Mängel“ festgestellt. In diesen Fällen müssen die Betreiber innerhalb einer Frist nachbessern. „Gefährliche Mängel“ fanden die Prüfer bei etwa 4700 Fahrstühlen, 3000 davon mussten stillgelegt werden. Typische Mängel sind fehlerhafte Aufzugsteuerungen, defekte Türverriegelungen, abgenutzte Tragseile oder ausgefallene Notrufsysteme. Tödliche Unfälle sind glücklicherweise eher selten. Nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung gab es 2021 mit Personen- und Lastenaufzügen 744 Unfälle, zwei Menschen kamen ums Leben. Diese Zahlen spiegeln allerdings nur Arbeitsunfälle wider. Viele Aufzugbetreiber melden nach Angaben des TÜV-Verbands Unfälle mit Personenschaden den Behörden gar nicht erst. Die Prüforganisationen wollen nun verstärkt auch die Sicherheit von vernetzten Aufzügen in den Blick nehmen, damit Hacker nicht eindringen können. „Seit Jahresanfang“, sagt Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands, „sind Aufzugbetreiber verpflichtet, technische und organisatorische Maßnahmen für den Schutz vor Cyberangriffen umzusetzen und diese in einer Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren.“ THOMAS HEUZEROTH GRAFIK DER WOCHE FAHRSTÜHLE In Deutschland geht es aufwärts Personenaufzüge in der Überzahl Aufzüge in Deutschland, in Tausend Quelle: VDMA Illustration: askmenow/Getty Images; Infografik Stephanie Kock für WELT AM SONNTAG Aufzüge zur Personenbeförderung andere , , , , Mehr als jeder zweite Aufzug hat Mängel Beanstandungen im Jahr , in Prozent , . . , , , keine Mängel geringfügige Mängel erhebliche Mängel gefährliche Mängel Quelle: TÜV-Verband Gesamtzahl der Prüfungen Prüfung vor erstmaliger Inbetriebnahme Quelle: TÜV-Verband , , , , Prüfungen nehmen zu Zahl der untersuchten Aufzugsanlagen in Deutschland von bis , in Tausend Anteil der Fahrstühle aus dem Ausland steigt Wert der Personen- und Lastenaufzüge, in Millionen Euro Quelle: Stat. Bundesamt Import Export © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 * INVESTMENTFONDS 37 Nachhaltigkeits-Fonds (ESG) Tel.: 069 / 7147-652 www.deka.de DBA ausgewogen € DE000DK2CFR7 114,56 +1,28 DBA dynamisch € DE000A2DJVV1 103,17 +5,38 DBA konservativ € DE000DK2CFP1 98,95 -3,68 DBA moderat € DE000DK2CFQ9 106,64 -1,35 DBA offensiv € DE000DK2CFT3 214,06 +26,02 Deka-BaAZSt off 23 € DE000A2N44K6 102,82 - Deka-Nach.E.St CF A € LU2206794112 98,65 - Deka-Nachh ManSel € DE000DK1CJS9 105,31 +0,89 Deka-NachhAkt CF € LU0703710904 244,53 +26,28 Deka-NachhRent CF A € LU0703711035 116,33 -6,57 Deka-NachStrInv CF € DE000DK2EAD4 133,22 +15,79 Deka-NachStrInv TF € DE000DK2EAE2 128,74 +13,32 Nachh Dynamisch CF € DE000DK0V6U7 83,79 - Nachh Mlt Asset CF € DE000DK0V5F0 97,76 +3,19 Nachh Mlt Asset TF € DE000DK0V5G8 96,41 +1,65 Nachhltg Gl Champ CF € DE000DK0V554 123,70 - NachSeAkREd CF € DE000DK0V7B5 85,45 - Naspa Na PS-Chance € LU0104457105 58,39 +16,36 Naspa Na PS-ChanceP € LU0202181771 116,88 +16,08 Naspa Na PS-Ertrag € LU0104455588 42,24 -7,25 Naspa Na PS-Wachst € LU0104456800 40,65 -5,85 Naspa-Ak.Gb NachCF € DE0009771956 81,69 +22,34 Naspa-Ak.Gb NachTF € DE000DK0LNH7 119,90 +20,24 Metzler Asset Management GmbH RWS-Aktienf.Nachh* € DE0009763300 92,84 +10,31 ODDO BHF Asset Management Exk:PolarisBal DRw € LU0319574272 82,42 +7,56 Exk:PolsDyn DRw € LU0319577374 98,96 +14,71 Polaris Flexi DRw € LU0319572730 86,19 +7,42 Polaris Mod DRw* € DE000A0D95Q0 69,37 +0,22 ÖkoVision Classic € LU0061928585 199,37 -2,93 Klima € LU0301152442 97,85 -0,76 Water For Life C € LU0332822492 185,37 +4,20 Öko Rock‘n‘Roll € LU0380798750 139,01 -13,38 Growing Mkts 2.0 € LU0800346016 218,95 +13,70 Tel.: 069 58998-6060 www.union-investment.de PrivatFonds: Nachh* € LU1900195949 50,53 -3,83 UniNachh AkEu A* € LU0090707612 64,20 +28,91 UniNachh AkEu netA* € LU0096427496 53,92 +27,67 UniNachh Akt Glob* € DE000A2N7V22 129,03 +29,16 UniNachh AktDeu nA* € DE000A2QFXN4 86,20 - UniNachh AktDeut A* € DE0009750117 222,70 +11,43 UniNachhaltig A Gl* € DE000A0M80G4 143,14 +30,52 UniRak Na.Kon. A* € LU1572731245 101,08 -8,29 UniRak Nach.K-net-* € LU1572731591 100,24 -9,25 UniRak Nachh.A net* € LU0718558728 85,28 +3,40 UniRak NachhaltigA* € LU0718558488 88,30 +4,49 UniZukunft Klima A* € DE000A2QFXR5 42,92 - UniZukunft Kli-neA* € DE000A2QFXS3 43,59 - Alte Leipziger Trust €uro Short Term € DE0008471699 39,57 -7,27 Aktien Deutschland € DE0008471608 114,47 +3,29 AL Trust €uro Relax € DE0008471798 47,81 -8,49 AL Trust Stab. € DE000A0H0PF4 61,10 -3,11 AL Trust Wachst IT € DE000A2PWPE6 62,81 +8,08 AL Trust Wachstum € DE000A0H0PG2 79,38 +5,50 Trust €uRen IT € DE000A2PWPA4 41,40 -19,28 Trust €uro Renten € DE0008471616 36,90 -19,51 Trust Akt Europa € DE0008471764 52,78 +18,61 Trust Chance € DE000A0H0PH0 92,35 +16,32 Trust Chance IT € DE000A2PWPC0 74,23 +20,05 Trust Glb Inv IT € DE000A2PWPB2 71,71 +11,28 Trust Glbl Invest € DE0008471715 108,58 +11,21 Trust Stab IT € DE000A2PWPD8 54,17 -1,17 BNP Paribas Real Estate BNP Pa MacStone P € DE000A2DP6Y8 23,45 -3,23 INTER ImmoProfil € DE0009820068 56,52 +3,09 PB Balanced € DE0008006263 52,53 -1,99 PB Europa* € DE0009770289 50,82 +16,12 PB Eurorent € DE0008006255 48,70 -11,95 PB Megatrend € DE0005317374 178,18 +18,18 PB Triselect € DE0009770370 46,55 +5,00 C&P Funds (Creutz & Partners) C&P Funds ClassiX* € LU0113798341 85,92 +57,32 C&P Funds QuantiX* € LU0357633683 148,00 +33,19 Commerz Real hausInvest € DE0009807016 43,47 +7,26 DAVIS FUNDS SICAV Global A* $ LU0067889476 46,67 +10,98 Value Fund A* $ LU0067888072 70,86 +27,81 Tel.: 069 / 7147-652 www.deka.de AriDeka CF € DE0008474511 80,58 +28,10 BasisStrat Flex CF € DE000DK2EAR4 106,22 +0,84 BasisStrat Re.TF A € LU1084635462 93,74 +0,92 BerolinaRent Deka € DE0008480799 36,45 -5,36 BW Zielfonds 2025 € DE000DK0ECP8 39,46 -7,70 BW Zielfonds 2030 € DE000DK0ECQ6 50,78 +5,48 Deka-Europ.Bal. CF € DE0005896872 52,57 -3,65 Deka-Europ.Bal. TF € DE000DK1CHH6 104,01 -4,55 Deka-Europa Akt Str € DE0008479247 80,86 +28,54 DekaFonds CF € DE0008474503 119,03 +16,97 DekaFonds TF € DE000DK2D7T7 289,03 +14,47 Deka-Global Bal CF € DE000DK2J8N2 99,85 -0,74 Deka-Global Bal TF € DE000DK2J8P7 97,62 -1,78 Deka-MegaTrends CF € DE0005152706 124,88 +35,56 Deka-Na.Div Str CF € DE000DK0V521 118,94 - Deka-Nach Div RhEd € DE000DK0EF98 98,68 +18,66 Deka-Sachwer. CF € DE000DK0EC83 107,09 +9,21 Deka-Sachwer. 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XS* € DE0009750497 166,27 -7,80 UniEuroAktien* € DE0009757740 85,47 +25,46 UniEuropa-net-* € DE0009750232 85,76 +18,91 UniEuroRenta* € DE0008491069 57,59 -13,03 UniEuroRentaHigh Y* € DE0009757831 30,89 -2,75 UniFav.:Akt. -net-* € DE0008007519 126,64 +31,90 Unifavorit: Aktien* € DE0008477076 201,37 +33,28 UniFonds* € DE0008491002 54,53 -1,69 UniFonds-net-* € DE0009750208 80,35 -3,07 UniGlobal* € DE0008491051 346,61 +41,09 UniGlobal-net-* € DE0009750273 208,04 +38,51 UniNordamerika* € DE0009750075 507,81 +40,22 UnionGeldmarktfds* € DE0009750133 47,08 +0,05 UniRak* € DE0008491044 135,16 +5,92 UniRak Kons.-net-A* € DE000A1C81D8 105,21 -10,27 UniRak Konserva A* € DE000A1C81C0 107,08 -9,32 UniRak -net-* € DE0005314462 72,36 +4,81 UniRenta* € DE0008491028 16,39 -17,39 UniStrat: Ausgew.* € DE0005314116 67,24 +6,46 UniStrat: Konserv.* € DE0005314108 66,85 -3,51 Union Investment Luxemburg PrivFd:Konseq.pro* € LU0493584741 102,16 -3,63 UniAsia Pac.net* € LU0100938306 132,24 -7,46 UniAsia Pacific A* € LU0100937670 129,69 -6,48 UniAusschü. net- A* € LU1390462262 46,57 +10,94 UniAusschüttung A* € LU1390462189 46,16 +11,93 UniDividAss net A* € LU0186860663 58,21 +30,52 UniDividendenAss A* € LU0186860408 59,25 +31,91 UniDyn.Europa A* € LU0085167236 132,70 +26,08 UniDynamic Gl. 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Ihre Fragen und Kommentare können Sie als Club-Mitglied bereits jetzt einreichen unter welt.de/club/live-video-chat. Warum streiten wir so heftig über den Klimawandel? 1. QR-Code scannen oder diese Seite aufrufen: welt.de/freischalten. 2. Folgen Sie der Anleitung und schalten Sie sich ohne Zusatzkosten für WELTplus Premium frei. 3. Nutzen Sie nun alle WELT Club-Vorteile unter welt.de/club. Jetzt alle digitalen Vorteile freischalten*: * Gilt nur für das WELT- und WELT AM SONNTAG-Markenabonnement. © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
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A rchitekten legen ja viel Wert auf die Atmosphäre eines Ortes. Der Genius Loci ist ihnen wichtig, der Geist dieses Ortes, den man in der Architektur einfangen muss. Gerade bei Umbauprojekten ist das ein zentrales Ziel. Wie schön ist es da, wenn dieser Geist auch noch eine besondere Atmosphäre, ein wenig Transzendenz, etwas geradezu Übersinnliches in sich trägt. Das jedenfalls tun viele der Objekte, mit denen sich momentan die Umbau-Bewegung befasst – es handelt sich nämlich um Kirchen, die zu Wohnbauten umgewandelt werden. VON ALEXANDER GUTZMER Aus Kirche werde Mehrfamilienhaus – das passt in die Zeit. Wohnraum ist knapp, vor allem jener, der als „bezahlbar“ gilt. Zugleich werden viele Kirchenbauten nicht mehr adäquat genutzt, weil den Kirchen die Mitglieder weglaufen. Allein im vergangenen Jahr traten mehr als eine halbe Million Menschen aus der katholischen Kirche in Deutschland aus. Die Entscheidung für einen Umbau erscheint da schmerzhaft, aber logisch. Natürlich auch aus Gründen der Nachhaltigkeit – die Revitalisierung von altem Gebäudebestand spart Tonnen an Beton und damit CO2. Erste Beispiele gibt es. In Trier-Ehrang zum Beispiel hat das Freiburger Architekturbüro Rothweiler Färber für den Projektentwickler Immprinzip die ehemalige Kirche Christi Himmelfahrt zu einem Wohngebäude mit familienfreundlichen Mietwohnungen umgebaut. 17 mietpreisgebundene Wohnungen sind entstanden. „Uns hat der Umgang mit diesem Bestandsbau von vornherein sehr gereizt“, berichtet Immprinzip-Geschäftsführer Jan Eitel. In engem Dialog mit der Gemeinde „haben wir dann schnell festgestellt: Bezahlbarer Wohnraum ist das, was die Menschen hier vor Ort am ehesten brauchen“. Möglich geworden war das Projekt allerdings erst durch Unterstützung der Förderbank des Landes, die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB). „Die Förderung dieses Objektes ist bislang einmalig“, sagte ISB-Vorstandssprecher Ulrich Dexheimer zur Eröffnung im Sommer 2021. Noch nie habe die ISB den Umbau einer ehemaligen Kirche in Wohnraum gefördert. Der Preis pro Quadratmeter liegt bei 3880 Euro, die Mieten sind auf Sozialwohnungsniveau. Profaniert, also kirchlich entweiht worden war die Kirche Christi Himmelfahrt bereits im Jahr 2016. Das Dach war kaputt, eine Reparatur konnte die Gemeinde nicht mehr stemmen. Der Weg zur neuen Nutzung war schwierig. Einige Bauträger winkten ab. Immprinzip hat hingegen zugeschlagen. Wohl auch deshalb, weil die spezielle Expertise, die sie sich als Entwickler in der Umnutzung von Kirchen aufbauen, ein Riesenpotenzial hat. Denn das Wohnraumproblem verschwindet ja nicht. Zugleich harren massenhaft Kirchen in Deutschland einer sinnvollen Umnutzung. Allein die evangelische Kirche verfügt über 20.000 Kirchen, von denen, wie Eitel schätzt, rund ein Drittel künftig für einen Umbau anstünde. Die katholischen Bistümer managen momentan weitere 24.000 Kirchen. Ein Massenphänomen ist die Umwidmung von Kirchen bisher aber keineswegs. Erst bei gut 600 Kirchen hat etwa die katholische Kirche seit Beginn des 20. Jahrhunderts den sakralen Stecker gezogen. Seit dem Jahr 2000 wurden deutschlandweit insgesamt rund 540 Kirchen profaniert und etwa 160 davon abgerissen. Doch das Tempo dürfte zunehmen. B isher mag das Gefühl für die Dringlichkeit gefehlt haben, vielleicht auch die Überzeugung der Kirche, dass die Aufgabe von Kirchenräumen für sie nicht ein weiterer Schritt WOHNEN statt beten Immer mehr Kirchen werden zu Wohngebäuden transformiert. Ein spannender Ansatz, der aber architektonisch eine Herausforderung darstellt FORTSETZUNG AUF SEITE 41 Lichtspiel in der zum Studentenwohnheim umgebauten Gerhard-UhlhornKirche in Hannover EPD-BILD/ HARALD KOCH WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SEITE 39 IMMOBILIEN Wer hätte gedacht, dass Wärmepumpen oder Gasthermen eines Tages zu Spekulationsobjekten werden könnten? Nichts scheint doch bewährter und preisstabiler zu sein als Kompressoren, Brenner und deren Gehäuse. Doch nach Beobachtung des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (VZBV) sind die Preise für Heizungsanlagen innerhalb von zwei Jahren drastisch gestiegen, Luft-Wasser-Wärmepumpen verteuerten sich von 20.000 Euro im Jahr 2021 um 55 Prozent auf jetzt 31.000 Euro, Pelletheizungen von 27.000 auf 37.000 Euro und selbst GasEtagenheizungen von 6000 auf 10.000 Euro (40 Prozent). Ursache seien höhere Herstellungskosten, aber auch eine enorme Nachfrage. Mit Aktien sind solche Kurzgewinne nur schwer möglich. BMW-Papiere etwa verteuerten sich im Jahresschnitt seit 2021 nur von rund 80 auf 110 Euro (37 Prozent), Deutsche Telekom sogar nur von 16 auf 20 Euro (25 Prozent). Werden Heizungen zur interessanten Geldanlage? Vielleicht sollte man in der Garage mal Platz schaffen für eine Palette Wärmepumpen und diese ein paar Jahre aufbewahren. In Zeiten von Gebäudeenergiegesetzen und Einbauvorschriften ist das vielleicht der beste Weg, um Millionär zu werden. Spekulieren mit Wärmepumpen VON MICHAEL FABRICIUS HAUSRAT ANZEIGE PROVISIONSFREI, DIREKT VOM ENTWICKLER UNENDLICHE AUSBLICKE DIREKT AM STRAND THE ONE BY ELEMENTS – IBIZA • Nur 5 Minuten von Ibiza-Stadt und 10 Minuten vom Flughafen entfernt • Uneingeschränkter Blick auf das Meer und Ibiza Stadt • Unverwechselbare Fassade und spektakulärer architektonischer Auftritt • Höchste technische Standards und handverlesene Materialien • Ganzjährig beheizter Community-Außenpool mit Sundeck • 24/7-Concierge-Service THE ONE BY ELEMENTS ist ein markantes Design-Statement und traumhaftes Refugium in einem. Das Gebäude öffnet sich zur Sonne und zum Meer. Rooftop, weite Terrassen, Panoramabalkone und bodengleiche Fenster geben den Blick frei auf den endlosen Horizont und das Meer bis nach Formentera. 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FERIENIMMOBILIEN ZWISCHEN BERGEN UND MEER ANZEIGEN-SONDERVERÖFFENTLICHUNG Alltagsprobleme, Arbeitsverdichtung und zunehmender Stress verstärken den Wunsch nach Ruhe im Urlaub und an den Wochenenden. Das treibt die Nachfrage nach Ferienimmobilien, die als persönliches Refugium dienen können, aber auch als verlässliche Kapitalanlage. Die Preise an der Ostseeküste sind stabil. Redaktion: Dr. Gisela Schütte · Anzeigen: Petra Mählmann-Radowitz, Tel. +49(0) 1512 7717604, [email protected] 15./16.07.2023 MARKTBERICHT FERIENIMMOBILIEN DEUTSCHE OSTSEEKÜSTE STABILE PREISE IN DEN SPITZENLAGEN ABSEITS DES LAUTEN TOURISMUS SEHNSUCHTSORTE Der Trend zu Ferienimmobilien nimmt zu. Die einen möchten auch den Urlaub in den eigenen vier Wänden verbringen, an einem Ort, den sie kennen, in Räumen, die sie nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet haben, und in denen die Basisausstattung für die freien Tage bereits im Schrank hängt, sodass man mit kleinem Gepäck anreisen kann. Es gibt keinen Zimmerservice, der stört, keine lauten Mit-Gäste nebenan und keine Kleiderordnung. Im Idealfall liegt die FerienimmoDavid Groß Geschäftsführer DAVID GROß IMMOBILIEN NATURNAHES RESORT AN DER NORDSEE NACHHALTIGES KONZEPT ButjaPark – das naturnahe Ferienresort liegt direkt an der Nordsee, im traditionsreichen Badeort Tossens in der Region Butjadingen. Die Anlage überzeugt durch ganz unterschiedliche Haustypen in verschiedenen Preiskategorien. Die Immobilien bieten einen zeitgemäßen Komfort, eine nachhaltige Energieversorgung über erneuerbare Energien, eine durchdachte Infrastruktur mit großzügiger Parkanlage, eigene Gastronomie mit Strandfair sowie vermietungsfertige Häuser mit einer stilvollen Komplettausstattung. Alles bezugsfertig gebaut und eingerichtet. Eine Ferienimmobilie im ButjaPark bietet viele fnanzielle Vorteile: Infationsschutz durch Anlage in Sachwerte, stabile Geldeinnahmen durch Vermietung sowie mögliche Renditen von bis zu vier bis sechs Prozent. Dazu gibt es ein Rundum-Sorglos-Konzept für die Betreuung. Die Fertigstellung ist für 2024 geplant. www.butjapark.de Die deutsche Ostseeküste zwischen Flensburg und Usedom steht bei Urlaubern hoch im Kurs. Dies zeigen die Zuwachsraten bei den Tourismuskennzahlen mit einem Plus von 36 % mehr Gästeunterkünften und 18 % mehr Übernachtungen für 2022. Auch das Interesse an Ferienimmobilien in der Region bleibt groß. Dabei führt das herausfordernde Marktumfeld zu mehr Kaufzurückhaltung; die Folge: Vielerorts gibt es mehr Angebot und Verhandlungsspielraum. „Trotzdem bleiben die Preise für Ferienimmobilien in guten und sehr guten Lagen 2023 stabil. Preisabschläge sehen wir hingegen bei Bestands-Ferienimmobilien in mittleren Lagen, wenn das Mikroumfeld nicht passt, ebenso wie bei Defziten hinsichtlich der Energieefzienz und Ausstattungsqualität“, berichtet Andreas Gnielka, Geschäftsführer Wohnen von Grossmann & Berger. Wenig Spielraum für Preisnachlässe gebe es weiterhin bei Neubau-Ferienwohnungen. „Insgesamt bleiben Schnäppchen an der Ostsee die Ausnahme“, sagt Zoran Vujović, Bereichsleiter Ferienimmobilien und Kapitalanlagen. In seinem aktuellen Marktbericht ‚Ferienimmobilien Deutsche Ostseeküste‘ gliedert Grossmann & Berger die Küste in die sieben Regionen Flensburger Förde, Kiel-Eckernförde, Fehmarn, Lübecker Bucht, Mecklenburger Bucht, Fischland-Darß-Zingst und Rügen-Usedom. Für deren Ferien-Hot-Spots führt der Immobiliendienstleister durchschnittliche und maximal erzielbare Kaufpreise für 2023 auf. Sie beziehen sich auf defnierte Standard-Immobilien in guter Wohnlage mit guter Bausubstanz, guter Ausstattung und einer Erlaubnis für die Ferienvermietung: Das sind zum einen die Standard-Bestands-Ferienwohnung mit zwei Zimmern, rund 50 m² Wf., Balkon/Terrasse, Duschbad, Einbauküche, Parkplatz, das Standard-Bestands-Ferienhaus: freistehend, mit mindestens 100 m² Wf., lagetypischer Grundstücksgröße, Terrasse/Garten, Vollbad, separatem WC, Einbauküche und Parkplatz und schließlich die Standard-Neubau-Ferienwohnung im Neubau-Erstbezug, mit zwei Zimmern, rund 50 m² Wf., Balkon/Terrasse, Duschbad; ohne Einbauküche und Parkplatz. Weichen tatsächliche Ferienimmobilien in einem oder mehreren Parametern von diesen Kriterien ab, bewegen sich die Preise nach oben oder unten. Die höchsten Durchschnittspreise für Ferienwohnungen im Bestand gibt es mit 6700 Euro/ m² in Travemünde. Bei den Häusern im Bestand liegt der Spitzen-Durchschnittspreis mit 6300 Euro/m² in Zingst und für neue Ferienwohnungen ist mit 8600 Euro/m² wiederum Travemünde Spitzenreiter für den Durchschnittspreis. www.grossmann-berger.de bilie so nahe am Hauptwohnsitz, dass man auch für das – eventuell verlängerte – Wochenende anreisen kann. Im Norden sind vor allem Grundstücke und Immobilien in den beliebten Feriengebieten an Nord- und Ostsee gefragt. „Die Zeiten mögen sich über die Jahrhunderte geändert haben, das Wesen von uns Menschen jedoch nicht grundlegend. Die Sehnsucht nach dem Lebensglück ist geblieben. Und das hängt wesentlich davon ab, mit wem und in welcher Umgebung wir unser Leben verbringen“, sagt David Groß, DAVID GROß IMMOBILIEN, der bei der Suche nach diesem einen Ort hilft. Dabei verbindet alle Projekte im Portfolio des Unternehmens eines: Lage, Lage, Lage. www.davidgross.immo Projekt BALTIQUE in Travemünde Bildquelle: Kim Hoyer / dreidesign GmbH Mehr Informationen erhalten Sie unter: David Groß Immobilien, Ansprechpartner David Groß Tel. 0171 7663802 | E-Mail: [email protected] | www.davidgross.immo Exklusives Baugrundstück mit blick auf die schlei Baugrundstück Kappeln an der Schlei Blick auf den Fjord Grundstückfläche 1.568 m2 Für Erst- oder Zweitwohnsitz inkl. Bootsliegeplatz KP 1,25 Mio. zzgl. Courtage Tel. +49 151 70679220, www.butjapark.de BUTJAPARK. NORDSEE. FERIENHÄUSER ALS KAPITALANLAGE MIT RUNDUM-SORGLOS PAKET. 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in Richtung gesellschaftlicher Irrelevanz ist. Vor allem aber fehlte es auch an Mut machenden Beispielen. Mit jedem gelungenen Umbau dürfte nun die Lust an Wohnkirchen steigen. Ein weiteres Beispiel: die Transformation der Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover. Dem fantastischen Nachkriegsbau des Architekten Reinhard Riemerschmid hat das Architekturbüro Pfitzner Moorkens kurzerhand Studentenwohnungen eingepflanzt. Individuelle Wohnflächen von 13,5 bis 46,5 Quadratmeter werden ergänzt um 500 Quadratmeter Gemeinschaftsfläche. Die Wohneinheiten „sind im Haus-im-Haus-Prinzip als weiße Kuben in den denkmalgeschützten Sakralbau eingefügt und wirken geradezu reversibel“, erklärt Tatjana Sabljo, Vorsitzende der Hannover-Sektion des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Die Zwischenräume „lassen Raum für Gemeinschaftsfläche und geben die Möglichkeit, den ehemaligen Kirchenraum zu erfahren“. Was das hannoversche Beispiel zeigt: Die architektonische Qualität gerade modernistischer Kirchenbauten kann auf die Gestaltung neuer Wohnräume bereichernd wirken. Sabljo: „Maria Pfitzners und Serge Moorkens‘ Umbau ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie eine Bestandstypologie mit einer neuen belegt wird und beide Typologien weiter klar ablesbar sind.“ Bei Kirchenbauten sind diese architektonischen Irrationalitäten schon da. Und sie lassen sich durchaus konzeptionell integrieren. So sind in Trier die ehemalige Apsis mit einem großen Jesus-Mosaik erhalten geblieben, drei große Kirchenfenster sind ebenfalls identitätsstiftend. Und in Hannover wirkt der mächtige Glockenturm nun wie ein surreales Raumkunstwerk auf dem Gelände. Man mag sich gar nicht ausdenken, welche Debatten solch eine ornamentale Nutzung von Fläche bei einem Neubauprojekt produziert hätte. Die repetitive Glasbausteinfassade haben die Architekten mit Schlitzen geöffnet. Aus der ehemaligen Orgelempore wurde eine Gemeinschaftsküche. Gerade bei der Arbeit mit sperrigen, unkonventionellen Kirchenräumen sind derlei Strategien unumgänglich. Das zeigt auch der momentan noch laufende Umbau einer anderen Nachkriegskirche durch Rothweiler und Färber, ebenfalls in Trier: Maria Königin. Schaut man sich Bilder vom trutzigen Ursprungsbau an, so wird klar, wie groß die gestalterische Herausforderung ist. Ein unzugänglicher Backsteinbrocken, wenn auch mit Charakter. Martin Koch von Immprinzip sagt: „Rein im Sinne der Effizienz sind Projekte wie dieses für Entwickler suboptimal.“ Die bestehenden Fenster haben nie Standardformate – so denn überhaupt welche vorhanden sind. Kirchen arbeiten architektonisch bewusst mit viel Schatten, im Wohnungsbau hingegen muss jedes Zimmer belichtet sein. Auch die Sanitäranlagen müssen vervielfältigt werden. „Und ich muss in die Kirche Geschosse und Erschließungsflure einbauen.“ Heißt: Eine Freude an kniffligen Planungsaufgaben gehört dazu, für Entwickler wie für Architekten. Zumal natürlich auch das Thema Dämmung eine Herausforderung sein kann. Die nachträgliche Dämmung der Außenfassade ist oft aus Gründen des Denkmalschutzes nicht möglich. Bei der Kirche Christi Himmelfahrt wurde eine Innendämmung aus Kalziumsilikatplatten aufgebracht, wodurch man in Sachen Energiestandard immerhin leicht über dem im Gebäudeenergiegesetz definierten Standardhaus liegt. Eine Alternative: das Haus-im-HausPrinzip, angewandt etwa im hannoverschen Beispiel, wo die einzelnen Wohneinheiten mit einer dämmenden Trockenbauhülle ausgestattet sind. L etztlich gilt es, bei jedem Projekt neu auf die Herausforderungen des jeweiligen Bestandes zu reagieren. Das zeigt auch ein drittes Projekt des Gespanns Immprinzip und Rothweiler Färber, ebenfalls in Trier – die Umgestaltung des modernistischen Kirchenbaus Mariä Himmelfahrt im Stadtteil Quint. Man spürt die Faszination für den bestehenden Bau, mit der Bauherr und Architekten den Bau neu gedacht und dabei viele prägende Bestandselemente erhalten haben. Dies führt zu einem interessanten Bewohnermix. Koch: „Hier wohnt ein Architekt mit seinen Kindern, aber auch ein lokaler Unternehmer, der die Atmosphäre liebt.“ Bleibt die Frage: Kann man grundsätzlich aus jedem aufgegebenen Kirchenbau ein Wohngebäude machen? Jan Eitel: „Auf keinen Fall. Je älter ein Bau, desto schwieriger wird der Umbau. Gerade die alten Dachkonstruktionen sind für heutige Statiker oft einfach nicht mehr nachvollziehbar.“ Immprinzip setzen daher ausschließlich auf Nachkriegsbauten. Aber wer weiß – vielleicht hangeln sie sich ja in der Zeit zurück. Wohnen statt beten FORTSETZUNG VON SEITE 39 Innenraum der Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover EPD-BILD/ HARALD KOCH 16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 IMMOBILIEN 41 ANZEIGE HAUS DES MONATS BUNDESVERBAND DEUTSCHER FERTIGBAU E.V. Klare Kanten und lebendiges Raumgefühl: RENSCH-HAUS präsentiert Los Angeles Seit über 145 Jahren verbindet RENSCH-HAUS traditionelles Zimmerer-Handwerk mit zukunftsweisenden Technologien. Das Familienunternehmen versteht sich selbst als Hausmanufaktur und produziert ausschließlich in Deutschland. RENSCH-HAUS folgt dem Anspruch, moderne, klimafreundliche, umweltbewusste, innovative und besonders energieeffziente Ein- und Zweifamilienhäuser in zukunftsorientierter Bauweise zu bauen und nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. Die langfristige Firmenstrategie richtet RENSCHHAUS auf den Bau von Häusern mit niedrigen Energiekosten aus. Dabei steht das Unternehmen für sein Versprechen „Bauen mit Respekt.“ All dies spiegelt sich in der neuesten Komposition der Hauslinie Trendline R wider. Wie alle Kompositionen aus dieser Linie steht auch das Los Angeles für kubische Formgebung, modernste Holzfertigbauweise und ein stilvolles Wohnerlebnis. Durch klare Kanten, geschickt eingesetzte Vorund Rücksprünge überzeugt Los Angeles auch mit großen Glasfächen in der Fassade. Zusätzlich sorgen mehrere Lichtkuppeln auf dem Dach für ein helles, lebendiges und mit der Natur verbundenes Raumgefühl. Informieren Sie sich jetzt bei Ihrem Fachberater oder vereinbaren Sie einen Termin zur Online-Beratung. Kontakt RENSCH-HAUS GMBH Mottener Straße 13 09742 910 36148 Kalbach-Uttrichshausen [email protected] www.rensch-haus.com Anzeige IMMObIlIE DEr WOcHE Der Harvestehuder Weg in Hamburg ist eine der vornehmsten Adresslagen in Deutschland: Am Wasser, im Grünen, in der Stadt, an der Außenalster. 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Burghart Klaußner: Auf Tour mit dem Schauspieler S. 48 WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SEITE 43 KULTUR & KUNSTMARKT D ie Post ist heute kein Phänomen mehr, das mit Romantik verbunden wird. Weder in der Bedeutung von „Liebesstimmung“ noch im literaturwissenschaftlichen Sinne. Liebesbriefschreiber sind eine aussterbende Gattung. Und kein Mensch denkt, wenn er das Posthorn sieht, noch an Fernweh, Italiensehnsucht, Morgenlandfahrten und die blaue Blume. Das war einmal anders. Joseph von Eichendorffs „Sehnsucht“ gilt als der Inbegriff des Eichendorff-Gedichts und Eichendorff als Prototyp des romantischen Dichters; „Sehnsucht“ ist also der Gipfel aller Romantik. Die 24 Zeilen mit je drei doppelten kreuzgereimten Volksliedstrophen sind vollgepackt mit Begriffen, die wehmütige Stimmungen heraufbeschwören : „goldene Sterne“, „stilles Land“, „Bergeshang“, „Wandern“, „Wälder“, „Quellen“, „Mädchen“, „Lauten“, „Marmorbild“, „Gärten“ und „Brunnen“. Dazwischen, gleich zu Beginn, quasi die Ouvertüre zu diesem Romantik-Tsunami spielend, taucht auch ein „Posthorn“ auf. Das lyrische Ich (ein Begriff, den wir heute eher als Rechtfertigungsvokabel für Exzesse von Rap-und-Ramm-Unsympathen kennen) steht am Fenster – und dann geht die Post ab, denn er hört aus weiter Ferne: „Ein Posthorn im stillen Land./ Das Herz mir im Leib entbrennte,/ Da hab ich mir heimlich gedacht:/ Ach, wer da mitreisen könnte/ In der prächtigen Sommernacht!“ Der heute eher ungewöhnliche, aber vor der Normierung der deutschen Sprache im 19. Jahrhundert noch korrekte Reim „entbrennte/ könnte“ irritiert dabei weniger als der Wallungswert, der einmal mit dem Wort „Posthorn“ verbunden war. Als die Post nicht nur für die Beförderung von Briefen und Paketen zuständig war, sondern auch für den Transport von Menschen, standen die Kutsche und der Schwager (ein altes Wort für Kutscher) für Reiselust, Bewegung und manchmal (wie in Goethes Gedicht „An Schwager Kronos“) für den unaufhaltsamen Fortgang der Lebenszeit. Das Horn war das Instrument, mit dem der Postkutscher das Signal für Ankunft und Aufbruch gab. Bei Goethe heißt es: „Töne, Schwager, ins Horn,/ Raßle den schallenden Trab.“ Andere bekannte Gedichte, die das Posthorn als Chiffre für romantische Sehnsüchte verwenden, sind Wilhelm Müllers „Die Post“ („Von der Straße her ein Posthorn klingt./ Was hat es, daß es so hoch aufspringt,/ Mein Herz?“) und Rudolf Baumbachs „Hoch auf dem gelben Wagen“ („Vorwärts die Rosse traben,/ lustig schmettert das Horn.“) Von dieser langen gelben Geschichte wissen die grauen Männer, die das „Deutsche Post“ aus dem Namen des bisher Deutsche Post DHL Group genannten Konzerns gestrichen haben, nichts. Müssen sie auch nicht. Aber man zweifelt doch, ob sie überhaupt irgendetwas wissen, wenn sie die Umbenennung damit begründen, das Wort „Post“ sei allzu eng mit dem rein deutschen Markt verwoben. Dabei ist es doch ein Internationalismus wie „Taxi“. Gern wüsste man, ob es einmal Managementsitzungen gab, in denen Amerikaner oder Chinesen nicht verstanden, was mit „Post“ gemeint war. Ach, wer da mitlauschen könnte. Eichendorffs „Sehnsucht“ VON MATTHIAS HEINE DER AKTUELLE KLASSIKER VON DER LANGEN GELBEN GESCHICHTE DER POST WISSEN DIE GRAUEN MÄNNER NICHTS E s ist der Film des Jahres, heißt es. Wobei sich Christopher Nolans 180-Minuten-Biopic über den Physiker J. Robert Oppenheimer um diesen Titel ausgerechnet mit „Barbie“ von Greta Gerwig streiten muss, der ebenfalls diese Woche startet (siehe Seite 45). „Oppenheimer“ ist mit einem All-Star-Cast besetzt und basiert auf einem minutiös recherchierten Wälzer von 2005. VON BORIS POFALLA „American Prometheus“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin schildert das Leben des Mannes, der das Atomzeitalter einläutete. Aus einem blitzgescheiten New Yorker Wunderkind ist in den 1930ern ein prominenter, kettenrauchender, etwas zerstreuter theoretischer Physiker geworden, der sich weigert, vor elf Uhr Seminare zu geben und auf dessen Schreibtisch sich die Papiere meterhoch stapeln. J. Robert Oppenheimer ist 34 Jahre alt und Professor in Berkeley, als im Januar 1939 etwas ganz und gar Unerhörtes in der Zeitung steht. Otto Hahn und Fritz Strassmann ist es in Berlin gelungen, Urankerne zu spalten, mittels Neutronenbeschuss. Oppenheimer hält das für unmöglich, doch am nächsten Tag reproduziert ein 27-jähriger Mitarbeiter den Berliner Versuch im Labor in Berkeley. Oppenheimer begreift binnen Minuten, dass die bei der Kernspaltung freigesetzten Neutronen ihrerseits weitere Uraniumkerne spalten und eine solche Kettenreaktion den Bau einer Bombe erlauben würde. Er begreift auch, was eine solche Bombe in den Händen der Deutschen bedeutet, denn er ist Jude und hat Umgang mit Emigranten. Sein späterer Doktorand Bernard Peters hatte 1933 das KZ Dachau überlebt und den Horror in 3000 Worten niedergeschrieben. Robert Oppenheimer spricht später von einer „anhaltenden, schwelenden Wut“ über die Behandlung von Juden in Deutschland, wo er Verwandte hat. A ls das US-Militär ihn 1942 für das ultrageheime Manhattan-Projekt zum Bau einer Atombombe rekrutiert, begreift Robert Oppenheimer als einziger Wissenschaftler die ganze Komplexität eines solchen Vorhabens. Er schlägt vor, die Arbeit an einem einzigen Ort zu bündeln. Die Wahl fällt auf Los Alamos, nördlich von Santa Fe (New Mexico). Hier, am Originalschauplatz, wurde „Oppenheimer“ gedreht. Was erfährt man, wenn man diesen Ort besucht? Die Labore um den Ashley Pond und die hastig errichteten Baracken für bis zu 3000 Menschen sind lange fort, die Wohnhäuser der führenden Wissenschaftler stehen noch. Die Gebäude aus Ponderosa-Kiefer und Naturstein waren Teil eines Internats, in dem reiche Bürgersöhne abgehärtet wurden, bis die Armee 1942 alles übernahm und einzäunte. Man versteht sofort, warum das Manhattan-Projekt hier gut aufgehoben war. Die Luft auf 2000 Metern ist so klar wie das Licht, der Blick geht in die Ebene ringsum, aus der sich felsige Plateaus erheben, Mesas genannt. Eine Western-Kulisse. Los Alamos scheint allem Irdischen enthoben – und es ist leicht zu isolieren. Der Kontrollposten am Ortseingang ist ein historisches Zitat und Robert Oppenheimer allgegenwärtig. Er ist der Held dieser freundlichen Stadt, die zu einem Knotenpunkt der Weltgeschichte wurde. Glaubt man dem Buch, dann muss man sich das Los Alamos von damals als Mischung aus Zauberberg, sozialistischer Kommune und Army-Camp vorstellen. Wir hatten“, so zitiert die Oppenheimer-Bio einen Zeitgenossen, „keine Invaliden, keine Schwiegereltern, keine untätigen Reichen, keine Arbeitslosen und keine Armen.“ Das Durchschnittsalter im Los Alamos National Laboratory betrug 25 Jahre. Alles wurde den Tausenden Mitarbeitern hinter dem Zaun von der Armee bereitgestellt, die Haushaltshilfen wurden aus einem Pueblo-Dorf mit Bussen herangekarrt, um den Ehefrauen die Care-Arbeit abzunehmen, denn auch sie arbeiteten unter strengster Geheimhaltung mit am Manhattan-Projekt. Kaum jemand wusste, was man da überhaupt entwickelte. Oppenheimer selbst wurde lückenlos überwacht und abgehört. Die Entwicklung der A-Bombe war so geheim, dass nicht einmal der amerikanische Vizepräsident die Details kannte. Die paranoide Dringlichkeit, die einen aus dem dreiminütigen Trailer zu „Oppenheimer“ anweht, war also real. Das Team der Wissenschaftler wähnte die Deutschen beim Atombombenbau zwei Jahre voraus. Alles war recht, den Nazis zuvorzukommen oder sie aufzuhalten. Oppenheimer leitet im Oktober 1942 die Idee eines Kollegen nach Washington weiter, der den bedeutenden deutschen Physiker Werner Heisenberg bei einem Vortrag in der Schweiz entführen will. Die Idee des Physikers Enrico Fermi, die Nahrungsmittelversorgung der Deutschen mit radioaktivem Strontium-90 zu vergiften, wird im Mai 1943 von Oppenheimer aus praktischen Gründen verworfen: Man weiß schlicht nicht, wie man das praktisch umsetzen könnte. Doch die Nazis haben kein vergleichbares Bombenprogramm. Als Oppenheimer am 16. Juli 1945 neun Kilometer vom Ground Zero entfernt eine Pilzwolke emporsteigen sieht, ist der Krieg in Europa seit zwei Monaten vorbei. Oppenheimer verfällt nach der Euphorie über den gelungenen ersten Test und vor allem nach den Abwürfen der Bombe über Hiroshima und Nagasaki in Schwermut. Man kann die Stätte des ersten Atomtests, die Trinity Site, nur an zwei Tagen im Jahr besuchen, da sie sich auf Militärgelände befindet. Aber man kann vom Highway hineinsehen in das flache Becken der Jornada del Muerto, (Spanisch für „Pfad des Toten“). Zwanzig Kilometer von der Straße wurde The Gadget damals gezündet, so nannten die Eingeweihten die erste Atombombe. Dass New Mexico für Entwicklung und Test der Bombe ausgewählt wurde, hat auch biografische Gründe. J. Robert Oppenheimer, der untergewichtige, kettenrauchende jüdische Physik-Nerd aus New York, war auch ein furchtloser Segler und Reiter. Freunde beschreiben ihn als zäh und wagemutig bis zur Todesverachtung. „Oppie“ konnte tagelang durch die Landschaften New Mexicos reiten, wo er eine spartanische Hütte besaß. Die Erfahrung, in der Wildnis auf sich selbst zurückgeworfen zu sein und nur den eigenen Entscheidungen vertrauen zu können, mag ihm geholfen haben. Was Oppenheimer mit dem Manhattan-Projekt versuchte, war ja noch nie gewagt worden. Es gab sogar die Befürchtung, die Kernexplosion könne in einer Kettenreaktion die ganze Erdatmosphäre in Brand setzen. Das ist nicht passiert, aber der Trinity-Test hat ein neues Element hervorgebracht. Die unfassbare Hitze der Plutoniumbombe hat den Sand und den Stahlturm am Ground Zero zu etwas Glasartigem verbacken – dem Trinitit. In Los Alamos darf man am Ende der Besucherführung ein Bröckchen davon in die Hand nehmen. Näher kommt man dem nuklearen Urknall nicht. Oder? Z weihundertfünfzig Kilometer südlich von Los Alamos, zwischen den Ortschaften Tularosa und Calizozzo, existiert eine natürliche Erhebung, die als Aussichtspunkt ins Sperrgebiet um die Trinity Site fungieren kann. Auf der White Sands Missile Range werden noch immer Waffen getestet, Werkzeuge, die unendlich viel komplexer sind als die, mit denen Angehörige der Mogollon-Kultur vor 600 Jahren Zeichnungen von Tieren, Menschen und Symbolen auf den Felsen hinterlassen haben. Tausende sind es hier an der Three Rivers Petroglyph Site, und sie sehen verrückterweise aus, als seien sie eben erst geritzt worden. An jenem Morgen vor an diesem Sonntag genau 78 Jahren muss der grelle Blitz der Plutoniumbombe auch auf die Schlangen, Adler, Symbole und Gesichter an den Felsen gefallen sein. Die erste Nuklearexplosion in der Geschichte der Menschheit ereignete sich am 16. Juli 1945 um 5.30 Uhr. Es ertönte „der Schrei einer neugeborenen Welt“, wie der einzige bei dem Ereignis zugelassene Reporter es beschrieb. Es ist die Welt, in der wir heute leben, eine Welt mit Atomwaffen, deren Bedrohung seitdem nur größer geworden ist. Was für ein seltsames Nebeneinander ist das hier auf den Felsen von Three Rivers. Da die Erinnerung an das geheimste und vielleicht entscheidendste Unternehmen des Zweiten Weltkriegs, da ist die gleichgültige Schönheit der Landschaft. Und da sind die archaischen, ausdrucksstarken Ritzungen, deren Urheber längst verschwanden. Die Felszeichnungen, deren Bedeutung nie entschlüsselt wurde, sind eine Mahnung daran, dass die Bombe auch uns einmal zum Schweigen bringen könnte. J. Robert Oppenheimer lehnte es ab, nach 1945 die noch mächtigere Wasserstoffbombe zu entwickeln, was ihn letztlich seinen Zugang zu Regierungsgeheimnissen und seinen politischen Einfluss kostete. Auch davon wird wohl im Film erzählt werden. Wie aber gießt man eine komplexe Geschichte von existenziellen Dimensionen in einen Streifen, der Hunderte Millionen Dollar einspielen muss, um profitabel zu werden? Regisseur Christoper Nolan sagte in einem Interview, bei „Oppenheimer“ handele es sich um eines der herausforderndsten Projekte, das er je unternommen habe, nicht zuletzt wegen der Inszenierung einer Atomexplosion ohne Digitaleffekte. Man darf gespannt sein, ob er den Test besteht. Schrei einer neugeborenen Welt Diese Woche läuft „Oppenheimer“ an – Christopher Nolans gewaltiges Bio-Pic über den Vater der Atombombe. Eine Reise an ihren Ursprung, in die Wüste New Mexicos Gipfeltreffen am See: Einstein und Oppenheimer in „Oppenheimer“ UNIVERSAL PICTURES/ MELINDA SUE GORDON Mutter aller Explosionen: der Trinity-Test am 16. Juli 1945 AKG-IMAGES Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer besieht in Nolans Film die Frucht seines schrecklichen Werks UNIVERSAL PICTURES © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. 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44 KULTUR WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 „DIE GUTEN UND DIE TOTEN“ KRIMINALROMAN Die Zahl der Menschen, die Panik vor Parkhäusern haben, ist gar nicht mal so gering. Wer sie hat, sollte Kim Koplins „Die Guten und die Toten“ besser meiden. Alle anderen sollten die Einfahrt in das ranzige Parkhaus in Charlottenburg auf keinen Fall scheuen. Das ist das Epizentrum einer ständig eskalierenden Geschichte, in der Welten sich reiben wie KolossalSUVs in den Parklaschen. Killer, Waffendeals – ein Buch das einschlägt, so wie Kommissarin Nihal Khigarian. Die will Olympiagold im Boxen. Das im Krimischreiben hat Kim Koplin – übrigens ein Pseudonym – schon sicher. elk KIM KOPLIN THRILLER Suhrkamp KURZKRITIKEN Nach diesem Hightech-Simulacrum hätten wohl auch Roland Barthes und Jean Baudrillard die Augen verdreht: The Sphere kann dank der 1,2 Millionen LEDs auf der Fassade wie der untergehende Mond aussehen, den Lauf von Tag und Nacht auf unserer Erdkugel simulieren oder auch nur (wenn es der Sponsor so will) die Gestalt eines Basketballs annehmen. Mit 154 Meter Durchmesser ist die neue Veranstaltungsarena in Las Vegas ungefähr so groß, wie sich Étienne-Louis Boullée seinen „Kenotaph für Isaac Newton“ vorgestellt hat. Im Jahr 1784 entwarf der französische Architekt, der bis dahin klassizistische Stadthäuser in Paris baute, eine monumentale Hohlkugel, deren Hülle so perforiert sein sollte, dass in ihrem finsteren Inneren (über dem Grabmal des Physikers) der Sternenhimmel erschienen wäre. Die Architekturutopie hat bis heute nichts von ihrem sublimen Reiz verloren. Ob The Sphere dieses imaginative Spektakel überflügeln kann? Wenn sich Künstler, Filmemacher und Programmierer finden, die auf der zwei Milliarden Dollar teuren Medienfassade nicht nur hyperrealistische Simulationen abfahren, sondern sie mit überwältigenden Inhalten füllen, dann hätte Vegas wirklich mal eine echte Attraktion. woe PICTURE ALLIANCE / AA/TAYFUN COSKUN/JAMES SHAEFFER BILDBETRACHTUNG D as Auseinanderklaffen von Ideal und Wirklichkeit gibt nicht nur einem TucholskyGedicht den Titel, sondern beschreibt auch das Dilemma, an dem sich Milan Kundera zeitlebens abarbeitete. Als junger Student im kommunistischen Prag hatte er wohl einen angeblichen Spion in Diensten des Westens verpfiffen, woran er sich 58 Jahre später, längst selbst zum Dissidenten und Pariser Exilanten mutiert, partout nicht mehr erinnern mochte. VON JAN KÜVELER Der arme Mann, Miroslav Dvorácek hieß er, wollte im Jahr 1950 nur einen Koffer mit „zwei Hüten, zwei Paar Handschuhen, zwei Sonnenbrillen und einer Cremedose“, wie es im Polizeibericht hieß, von einer Freundin abholen, die mit Kundera bekannt war, als die Staatsgewalt zugriff. Er verbrachte anderthalb Jahrzehnte im Gefängnis und musste gar in einer Uranmine schuften. Schon vom Tode gezeichnet, erfuhr Dvorácek 2008 in seiner schwedischen Heimat von der Urkunde, die in einem tschechischen Archiv aufgetaucht war und von Kunderas Missetat berichtete, wollte aber nichts mehr davon wissen; zu viel Wasser sei seitdem die Moldau und die Seine herabgeflossen. Angesichts eines ganzen Lebens mache der in den Archiven verblichene Verrat keinen Unterschied mehr. Kundera bestritt die Vorwürfe, heftig um sich schlagend. Ausräumen konnte er sie gleichwohl nicht. „Wir leben in einer Zeit, in der das Privatleben zerstört wird“, hatte er 1985 der „New York Times“ erklärt. „Die Polizei zerstört es in kommunistischen Ländern, Journalisten bedrohen es in Demokratien, und nach und nach vergeht den Leuten der Geschmack daran und der Sinn dafür.“ Und fügte hinzu: „Ohne Verschwiegenheit ist nichts möglich, keine Liebe, keine Freundschaft.“ In Kunderas Roman „Abschiedswalzer“ von 1972 enthält der Protagonist seiner zwanzig Jahre jüngeren Geliebten vor, dass ihr Vater, den sie verehrt, einst nicht nur Opfer des stalinistischen Regimes gewesen war, sondern auch Täter. Hatte Kundera solcherart selbst Spuren gelegt, die zu einem lange beschwiegenen Geheimnis führten? Legte er geheime Geständnisse ab? Es ist schwer zu sagen und vielleicht auch wirklich nicht mehr wichtig. Es war jedenfalls kein Geheimnis, dass er vor dem Einmarsch der Roten Armee 1968 in Prag ein flammender Kommunist gewesen war und erst durch die Repressionen der Russen und den Verlust seiner Dozentenstelle für Weltliteratur an der Filmhochschule, wo er etwa Milos Forman unterrichtet hatte, zur Besinnung kam. Die Verbitterung über die enttäuschte Liebe drückt sich in seiner Literatur aus, beinahe nach Art eines Livetickers: Im „Scherz“ (1967) schlägt sich die Erfahrung seines Parteiausschlusses nieder, „Das Buch der lächerlichen Liebe“ (1969) nimmt in Form von sieben Kurzgeschichten das vertrackte Verhältnis von Wahrheit und Lüge, Lauterkeit und Verrat auseinander. In seinem berühmtesten Werk, das ihm selbst einen Platz im Olymp der Weltliteratur sicherte, der „Unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ (1984), heißt es schließlich, die Sehnsucht nach dem Paradies sei das Verlangen des Menschen, nicht Mensch zu sein. Aus dem Paradies vertrieben, lebte Kundera fortan gottlos in Frankreich. Neben Privatheit und Täuschung beschäftigte ihn mit der Sexualität das nächste Feld, auf dem die Menschen kaum anders können, als säkular zu sündigen. In platonischer Liebe war er Kollegen wie Witold Gombrowicz und Franz Kafka zugetan, einem Polen und einem Deutsch-Tschechen, die jeder auf seine Art an den Zuständen verzweifelt waren, sich aber den Eigensinn nicht hatten austreiben lassen. „Denkenden Schriftstellern“, deren Literatur mal deutlicher (Gombrowicz), mal metaphorischer (Kafka) mit Essays zur Conditio humana in der Moderne gewürzt waren. So machte es auch Kundera. In seinen Büchern ist die Trennung zwischen Erzählung und Analyse aufgehoben. Mehrere Werke – „Die Kunst des Romans“ und „Der Vorhang“ – sind brillante Einlassungen zum Zustand, den Möglichkeiten und Beschränktheiten der Prosa im 20. Jahrhundert: „Hermann Broch hat es gesagt“, zitiert er darin etwa einen anderen verehrten Autor, „die einzige Moral des Romans ist die Erkenntnis; der Roman, der keine bislang unbekannte Parzelle der Existenz entdeckt, ist unmoralisch.“ Eine erstaunliche Pointe – und nebenbei abermals eine versteckte Entschuldigung, die die Moral auf das Erkennen reduziert, nicht auf die Handlung? Womöglich beweist Kundera mit seinem Werk, dass gerade aus den Limitierungen, den Fehlern und der Reue etwas Neues, Besseres entstehen kann, das es ohne diese nicht gegeben hätte. Der beste Romantiker ist der, dem die Illusionen verloren gingen. Und der beste Romancier derjenige, dem es gelingt, sie zugleich abzutun und aufzubewahren. Am Dienstag ist Milan Kundera mit 94 Jahren in Paris gestorben. Live-Ticker der enttäuschten Liebe Bedingte erst ein Verrat seine Literatur? Zum Tod des großen Schriftstellers Milan Kundera Milan Kundera 1975 in seiner Pariser Wahlheimat AFP „EKSTASEN DER GEGENWART“ KULTURGESCHICHTE Wir leben in wenig berauschenden Zeiten. Einerseits gibt eine Serie von Krisen wenig Anlass dazu, über die Stränge zu schlagen, anderseits achten wir auch im nüchternen Zustand darauf, nichts Unvernünftiges zu tun, zu sagen oder zu denken. Umso dankbarer muss man Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter dafür sein, dass sie mit ihrem Buch „Ekstasen der Gegenwart“ (Matthes & Seitz, 28 Euro) die Nachtseite aufgeklärten Bewusstseins kritisch feiern – von Schamanen der heidnischen Zeit über Partydrogen bis zu esoterischen Kreistänzen bayerischer Hausfrauen. aro „MOZARTS REQUIEM“ KLASSIK Es gibt kein anderes Stück klassischer Musik, über dessen Partitur ein derart mythischer Firnis liegt, dass man es kaum frei hören kann, als über Mozarts Requiem, diesem vermeintlichen Nachruf des todkranken Genies auf sich selbst. Das Überwältigende an dem, was Jordi Savall mit dem von Süßmayr und Eybler vervollständigten Torso tut, ist, dass gleich mit dem Introitus aller Firnis verfliegt. Und die archaische Fremdheit dieses wie von einem anderen Himmel heruntergesausten Stücks wieder da ist. Das ist keine Arbeit am Mythos. Das ist leidenschaftlich, zärtlich, auf schroffe Weise schön, reißt weite Räume auf und bleibt kammermusikalisch und kristallklar. elk „WESPEN“ NATURE WRITING Alle lieben Bienen. Seirian Sumner findet daran grundsätzlich nichts falsch. Die Ökologin und Entomologin mag sie auch, wie alle Hautflügler, von Ameisen bis Wildbienen. Besonders aber schätzt sie Wespen. Bisher blieb ihre Mission beschränkt auf ihre Londoner Studenten und ihre 8000 Follower als WaspWoman bei Twitter. Nun bittet sie auf 400 Seiten darum, dass sich Mensch- und Wespenheit versöhnen mögen. Nein, Wespen sind nicht vegan wie Bienen. Ja, sie sind die Gangster unter den Insekten. Doch auch sie sind sozial wie Mensch und Biene und verdienen es, geliebt zu werden, weil sie Gutes tun. mp „DER HIPSTER VON DER TRAURIGEN GESTALT“ ROMAN Im Originaltitel von Daniel Gascón klingt gar kein Cervantes an, doch deutsche Leser sollen wohl an Windmühlen und Don Quijote denken, bevor sie einen spanischen Roman von heute lesen (Kunstmann, 20 Euro). Der Hipster ist ein Möchtegern-Tugendritter. Er zieht als woker Städter aufs Land – ins „leere Spanien“ – und will den Dörflern Achtsamkeit vor dem Vieh und moderne Männlichkeit beibringen. Vom ausgestellten Clash zwischen zwei Welten lebt das Buch, das an Moritz von Uslars „Deutschboden“ erinnert. Was noch? Greta Thunberg wird entführt. Schräg zeitgeistig. rei „THE BALLAD OF DARREN“ BRITPOP Wer an London denkt, denkt an den Buckingham-Palast, an rote Busse – und an Blur. Vor einer Woche trat die Band zweimal im ausverkauften Wembley-Stadion auf. In 35 Jahren haben Blur den Brit-Pop transzendiert, ihr neuntes Album „The Ballad of Darren“ stellt die Frage, was das eigentlich noch sein soll: britisch. Darren ist der Engländer als solcher. Ein Exzentriker wie Damon Albarn, der die Band zusammenhält und führt und dafür sorgt, dass auch das Album schrägerweise mit einer Ballade anfängt, die einfach „The Ballad“ heißt. Erst dann kommen die Hymnen über einen Platz in Kensington und Avalon als urenglische Utopie. mp © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 KULTUR 45 D ie Sonne ist untergegangen, die Hitze lässt nach. Im Hof des Papstpalastes hat das Publikum seine Plätze eingenommen, es ist Eröffnungsabend des Festival d’Avignon. Das weltberühmte Theaterfestival lockt jedes Jahr Zehntausende in das provenzalische Städtchen mit den alten Mauern und engen Gassen, das einst im Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht eine bedeutende Rolle spielte. VON JAKOB HAYNER Das Festival als verschworene Gemeinschaft, das war die Vision des früheren Leiters Olivier Py. Mit dieser Auflage hat Tiago Rodrigues das Amt übernommen, der nun mit Julie Deliquet nach vorn geht, der Regisseurin der großen Eröffnungsinszenierung „Welfare“. Sie bitten um eine Schweigeminute für Nahel, den in Nanterre von der Polizei erschossenen 17-Jährigen, dessen Vorname zum politischen Symbol in Frankreich geworden ist. Es ist eine deutliche Geste in die Richtung der weltlichen Macht. Deutlich wird es auch auf der Bühne: „Welfare“ zeigt eine heruntergekommene Sporthalle, auf diesem Spielfeld des Lebens gibt es nichts mehr zu gewinnen. Auftritt der Armen, Kranken, Obdachlosen und Drogensüchtigen, die auf der Suche nach Hilfe in das Labyrinth der sozialstaatlichen Elendsverwaltung geraten. Sie erzählen den Sachbearbeitern ihre Lebensgeschichte, sie wimmern und schreien, ereifern sich im Rassenhass oder resignieren schweigend. Auf den harten Sozialrealismus wie in Maxim Gorkis „Nachtasyl“ reagiert das Publikum gespalten. Als Vorlage dient kein Theaterstück, sondern die Wirklichkeit. Der DirectCinema-Pionier Frederick Wiseman filmte 1975 die New Yorker Sozialfürsorge, wo sich das überflüssige Subproletariat der Großstadt sammelte. Was bei Wiseman dokumentarisch und schwarz-weiß ist, wird bei Deliquet nachkoloriert und nachgespielt. Es entsteht ein absurdes Theater, als hätten Franz Kafka und Samuel Beckett ein Stück geschrieben: der Fürsorgeprozess oder Warten auf den Scheck. Beim Schlussapplaus in Avignon stehen Deliquet und der inzwischen 93-jährige Wiseman auf der Bühne. „Welfare“ ist das Antidrama der Wirklichkeit: ohnmächtige Subjektruinen ohne Handlungsmöglichkeit, abhängig von der Bürokratie – auf der Suche nach der verlorenen Würde, die keinen Paragrafen hat. Unerträglich ist die Armut, unerträglicher noch, das Leben nicht in der eigenen Hand zu haben. Das treibt zum Aufstand gegen das verachtete System, ohne das man nicht überleben könnte. Der Hass brodelt, angefeuert durch die Unfreiheit. Unschwer lässt sich darin die französische Gegenwart erkennen, die Deliquet vor Augen hat: Sie leitet ein Theater in Saint-Denis, einer der ärmsten Gegenden Frankreichs. Von einer Schweigeminute wie in Avignon ist man wenige Tage zuvor in Marseille weit entfernt. Der Geruch von Verbranntem liegt in der Luft, die Augen brennen vom Tränengas. Hubschrauber kreisen dröhnend über den Häusern, die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer huschen durch die Straßen. Es ist der Abend von Nahels Beerdigung, die Mitarbeiter des Hotels warnen, in die Altstadt zu gehen. Der Cours Julien mit seinen vielen Bars, wo am Wochenende das Vergnügen tobt, liegt gespenstisch verlassen – eine unheimliche Szenerie. Mülltonnen brennen, Vermummte errichten Barrikaden, Bushaltestellen stehen entglast in einem See von Splittern. Große Geschäfte sind professionell mit Holzplatten verrammelt, vor manchen bewacht ein hochgerüsteter Polizeitrupp die Luxuswaren. „Justice pour Nahel“ steht auf viele Wände gesprüht. In den Straßen herrscht gereizte Gespanntheit. Viele Menschen sind unterwegs. Die Maske über die Nase gezogen, wird die Rolle in der Arena gewechselt: vom Zuschauer zum Beteiligten. Bürgerkrieg? Eher eine Arena, mit Gladiatoren auf beiden Seiten und einem durch die Heftigkeit des Geschehens erregten Publikum. In der traditionell anarchischen Hafenmetropole fiebert man nicht für die Staatsmacht. Immer wieder knallt es. Böller oder Schüsse? In dieser Nacht, so wird später berichtet, trifft ein Gummigeschoss der Polizei einen jungen Mann, er stirbt. Ob er bei den Krawallen war? Unklar. Erst im Morgengrauen kommt Marseille zur Ruhe. Es ist vorerst der letzte große Akt, die folgenden Nächte sind ruhiger. Geschäfte öffnen wieder, der Cours Julien belebt sich. Im nur wenige Kilometer entfernten Aix-en-Provence sind kaum Parolen auf Hauswänden zu sehen, keine Spuren der Ausschreitungen. Hier habe man dem Wahnsinn von Marseille entfliehen können, steht im Gästebuch des Hotels. Das hiesige Opernfestival kann wie das Festival d’Avignon stattfinden, andere Großveranstaltungen wurden vom Staat verboten – aus Sicherheitsgründen. Wie in Avignon lockt die Eröffnung mit Sozialkritik: „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Eine Oper, die sich sogar Bettler leisten können? Nicht in Aix, die Tickets können bis fast 300 Euro kosten. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ als Soundtrack zu den Ausschreitungen? Auch das nicht. Der Regisseur Thomas Ostermeier, Leiter der Berliner Schaubühne, lässt die Geschichte über Outlaws und zwielichtige Polizisten ins Boulevardeske kippen. Slapstick statt Sozialromantik und Glam statt Gangsterfolklore. Eine Collage aus Neuer Sachlichkeit, Konstruktivismus und Agitprop im El-Lissitzky-Stil flirrt über der Revuetreppe, die das in glänzende und glitzernde Kostüme gehüllte Ensemble der Comédie Française rauf- und runterhetzt. Mackie Messer tritt als Dragqueen auf, seinen Getreuen klatscht er Sahnetorten ins Gesicht. Große Heiterkeit – und Harmlosigkeit. Brecht als Amoralist, Nihilist, Marxist? Ostermeier setzt Parodie, Travestie, Pastiche dagegen. Keine Verhaltenslehre der Kälte, sondern spielerische Postmoderne. Das hat – vor allem, weil das Ensemble Le Balcon unter der Leitung von Maxime Pascale die Musik Weills in ihren Feinheiten so schön wie nie spielt – seinen Reiz. Weiter entfernt von der Banlieue geht es allerdings kaum. Sozialkritik light: „Der Mensch lebt nur von Missetat allein“, schmettert der Chor, nur berührt es einen nicht. Weniger vergnüglich und weit düsterer ist das Programm in Avignon, selbst wo es weniger sozialrealistisch als „Welfare“ ist. Mit dumpf hämmerndem Techno beginnt Julien Gosselins „Auslöschung“, bevor es mit Arthur Schnitzler in die Abgründe der Wiener Moderne geht und viel später – es ist inzwischen nach drei Uhr – mit einem irren Thomas-Bernhard-Monolog endet. Es ist ein Abend so rausch- und soghaft wie Lars von Triers „Melancholia“ und so kaputt wie Michel Houellebecqs Romane. Unbehagen in der Kultur trifft auf Katastrophensehnsucht. Einen Schritt weiter, nämlich inmitten oder nach der Apokalypse, ist Philippe Quesne mit „Der Garten der Lüste“. Das letzte Abendlicht fällt über die Ränder des ehemaligen Steinbruchs Boulbon, der legendären Spielstätte nahe Avignon, wo der wilde Thymian duftet – eine unglaubliche Naturkulisse. Ein paar Gestrandete krabbeln aus einem liegen gebliebenen Bus, sie gruppieren sich wie in den Weltuntergangsgemälden von Hieronymus Bosch, Gedichte und Lieder vom Ende der Zeit steigen in den Nachthimmel. Völlige Verlorenheit in den Ruinen der Welt, auf Erlösung wartend? Der Auftakt, den Rodrigues als neuer Leiter des Festival d’Avignon hinlegt, überzeugt mit Kunst, die groß im Streben nach Form, groß aber auch im Gespür für untergründige Tendenzen ist, für die Instabilität und Labilität der sozialen Ordnung. In Frankreich ist es nach den Tumulten inzwischen ruhiger, doch der Deutungskampf tobt. Rechte sammeln öffentlichkeitswirksam Geld für den Todesschützen aus einer berüchtigten Polizeieinheit, die Linke kritisiert die Polizeigewalt und fragt nach den sozialen Ursachen. Emmanuel Macron kündigt an, dass der Sommerschlussverkauf um eine Woche verlängert wird, um die Verluste des Handels auszugleichen. Zuvor hat er, wie bereits bei den Gelbwesten, mit aller Härte reagiert – mit Zehntausenden Polizisten und Tausenden Verhaftungen. Der öffentliche Verkehr wurde eingestellt, bei ähnlichen Anlässen sollen künftig soziale Medien blockiert werden. Ausgangssperren, nun auch digital? Noch immer gelten verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Selbst im beschaulichen Avignon ziehen nicht nur die üblichen Straßentheatergruppen, sondern auch Patrouillen mit Maschinengewehren durch die Straßen. Obwohl sich der Rauch über Marseille verzogen hat, liegt über dem Beginn des französischen Kultursommers die dunkle Vorahnung, dass der Ausbruch der Gewalt nicht der letzte gewesen sein dürfte. BRECHT wohnt Gladiatoren in der Arena: Aufstand in Marseille Ende Juni hier nicht mehr Glam statt Gangster: Die „Dreigroschenoper“ in Aix JEAN-LOUIS FERNANDEZ CHRISTOPHE SIMON/AFP In der Provence inszeniert Thomas Ostermeier die „Dreigroschenoper“ als heitere Farce. Ein paar Kilometer weiter brennen die Banlieues. Eine Reise durch Frankreichs dramatischen Kultursommer 1 Greta Gerwig war 34, als sie für „Lady Bird“ für einen Regie-Oscar nominiert wurde, die jüngste Frau, die je solch eine Nominierung erhalten hat. Allerdings wurden bisher auch erst acht Frauen mit dieser Ehre bedacht. Heute ist sie 39 und gehört zu einer schnell wachsenden Gruppe junger weiblicher Regisseure in Hollywood: Patty Jenkins, Sofia Coppola, Ava DuVernay, Chloé Zhao, Sarah Polley. Deren Stile und Themen sind höchst unterschiedlich – aber wahrscheinlich hätte sich keine außer Gerwig an „Barbie“ versucht. VON HANNS-GEORG RODEK 2 Gerwigs Beziehung zu Barbie ist verwickelt. Sie war von der Puppe immer fasziniert, jedoch: „Barbie war nicht ausdrücklich verboten in dem Haus meiner Eltern, aber auch nicht erwünscht.“ Ihre Eltern waren Kinder der Sechziger, und ihre Mutter pflegte die Figur mit den Worten abzutun: „Und dafür haben wir Frauen nun so lange gekämpft?!“ Schließlich gab sie nach, Greta bekam ihre Barbie und sollte noch mit Puppen spielen, bis sie 13 war und ihre Mitschülerinnen längst das Küssen praktizierten. 3 Nicht, dass sie in ihrer kalifornischen Kindheit schüchtern gewesen wäre. Sie barst vor Energie. Sie las alles, was ihr in die Finger kam, inklusive der Elternratgeber, die ihre Mutter in der Bücherei auslieh („Was soll denn dieser Müll?“). Sie lernte Klavier, um die Lieder aus dem Monty-Python-Songbook spielen zu können. Sie platzte unangemeldet in eine Besprechung von hohen Sony-Tieren und rang ihnen die Regie von „Little Women“ ab (Budget: 42 Millionen Dollar). Ihr Skript für „Barbie“ erhielt Warner Bros. zusammen mit einem Gedicht von ihr. ADHS wurde diagnostiziert, als sie schon erwachsen war. 4 Lieblingslieder: „Hounds of Love“ von Kate Bush, „Zip-a-Dee-DooDah“ von Bob B. Soxx & the Blue Jeans, „The Pearl“ von Judee Sill, „Baby Doll“ von Laurie Anderson, „Lay My Love“ von Brian Eno. 5 Gerwig ist eine Anhängerin von „demokratischen“ Sets. Vor Drehbeginn des Frauen-Ermächtigungsfilms „Little Women“ forderte sie ihre wichtigsten Akteurinnen auf, ein Gedicht auswendig zu lernen und es für die anderen zu rezitieren. So stellt man intime Momente her. 6 Gerwig hat nie eine Filmhochschule besucht. Alles, was sie übers Regieführen weiß, stammt aus Beobachtungen an Sets. Woher sie alles übers Drehbuchschreiben weiß, schilderte sie in einem WELT-Interview: „Ich erinnere mich an ein Vorsprechen, als ich noch Schauspielerin war, für ,Inside Llewyn Davis‘ von den Coen-Brüdern. Ich wurde nicht genommen, aber ich hatte das Skript in meinen Händen, das Skript von den Coens! Es sah überhaupt nicht aus wie ein normales Drehbuch. Sie schreiben ganz anders. Da hatte ich den Schlüssel in der Hand.“ 7 Ihre Lieblingsfilme: „Jeanne Dielman“ von Chantal Akerman (der erste große feministische Film), „Singin’ in the Rain/Du sollst mein Glücksstern sein“ von Stanley Donen (ihr am häufigsten gesehener Film), „Red River“ von Howard Hawks (Sie ist fasziniert von John Wayne: „Ich mag es, wie viel Zeit er sich nimmt für alles, was er tut“), „Die 39 Stufen“ von Alfred Hitchcock („einer der perfektesten Filme, die je gedreht wurden“), „The King of Comedy“ von Martin Scorsese (für seine Mischung von Komödie und Drama). 8 Ihren Durchbruch als Schauspielerin (und Drehbuchautorin) hatte sie 2012 mit „Frances Ha“ als Endzwanzigerin auf Selbstfindungstrip. Szene 68 dauert 28 Sekunden und wurde 42-mal gedreht. In einem Essay in der „New York Times“ beschrieb Gerwig alle 42 Versionen und was für sie jeweils nicht stimmte (für sie und den Regisseur Noah Baumbach, mit dem sie seitdem zusammen lebt und schreibt, auch den „Barbie“-Film). Sie wirkt wie die Heldin aus ihrem Film „Lady Bird“, eine Kombination aus großem Selbstbewusstsein und tiefer Unsicherheit. Es ist ein Dokument des Suchens, der Selbstkritik, des Perfektionismus – ziemlich einmalig in der Filmgeschichte. 9 Streaming: „Ich sehe eigentlich nicht fern. Die schiere Masse von Folgen schüchtert mich ein. Ich habe bei ,Mad Men‘ einmal in die siebte Staffel reingeschaut und dachte: ,Was, die sind immer noch im Büro!?‘“ Als Einstimmung zum Dreh von „Barbie“ organisierte Gerwig in dem Londoner Fünf-Sterne-Hotel „Claridges“ eine Pyjamaparty. Eingeladen waren einige der Barbie-Darstellerinnen (es gibt ja ein Dutzend von ihnen), und sie trugen Nachtanzüge und spielten Spiele. Auch einige Kens durften dabei sein, mussten die Nacht jedoch anderswo verbringen. „Ich dachte: Warum sollten wir zum Startschuss nicht etwas Spaß haben“, erklärte Gerwig. „Erwachsene haben solche Art von Spaß eher selten.“ Zehn Dinge über Greta Gerwig Wer ist die „Barbie“-Regisseurin? Eine Annäherung Pinke Premiere: Greta Gerwig im Anmarsch MICHAEL BUCKNER/VARIETY VIA GETTY IMAGES 10 © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
D er Kunstmarkt kennt keine Sommerpause. In den heißen Monaten finden Boutiquemessen statt, die sich zur Unterhaltung der solventen Klientel in Feriendestinationen niedergelassen haben: So lief am vergangenen Wochenende der Salon d’Art in Monte-Carlo, gerade findet auf Ibiza die neue Kunstmesse CAN statt. Anfang August, wenn die US-Sammler in ihren Häusern in Aspen oder den Hamptons sind, finden auch dort kleine Messen statt. Zum Ende der Urlaubszeit lockt noch die mediterrane Art-o-rama nach Marseille. Und die lukrative Herbstsaison eröffnet seit vergangenem Jahr eine junge Kunstmesse an einem Standort, dem die Branche großes Potenzial zutraut: die Frieze in Seoul. VON MARCUS WOELLER Seoul hat in den vergangenen Jahren einen rapiden Aufschwung erlebt. Galerien von Rang und Namen machten Dependancen in der Hauptstadt von Südkorea auf. Lehmann Maupin aus New York gehörte zu den ersten, Pace und Gladstone folgten. Aber auch Galerien aus Europa betreiben längst Filialen in Seoul, um ihr Programm von zeitgenössischer Kunst der kaufkräftigen koreanischen Kundschaft schmackhaft zu machen. So sind mittlerweile auch Ropac aus Salzburg, König aus Berlin oder Perrotin aus Paris in Seoul ansässig. Koreanische Kunst jedoch ist im Westen noch nicht im gleichen Maße auffällig geworden wie die westlichen Galerien, die am Boom in Südkorea teilhaben. Esther Schipper, Galeristin aus Berlin, zollt den koreanischen Künstlern nun Achtung. Sie selbst hat erst im Jahr 2022 expandiert und sowohl in Paris als auch in Seoul eine Dependance eröffnet. Nun zeigt sie in ihrem Stammhaus die Gruppenausstellung „Dui Jip Ki“, die sie in der Seouler Filiale spiegelt. Es ist ein sehenswerter Einblick in die koreanische Kunstproduktion – und eine durchaus vorausschauende Geste des Respekts. So versteht es auch der Galerist Jaeho Jung, der die Szene wie kein Zweiter kennt und Schipper bei der Organisation unterstützt hat. „Die ganze Welt interessiert sich für koreanische Popkultur, aber bildende Künstler, besonders die jüngeren, sind noch unterschätzt“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. „Die Schau bietet die große Chance, ihre Qualität und Vielfalt dem internationalen Publikum in Berlin zu zeigen.“ J ung hat in den 1990er-Jahren in den USA studiert. Zurück in der Heimat, gründete er in Seoul die einflussreiche Gallery 2. Mittlerweile leitet er die Johyun Gallery in Busan. In der Millionenstadt findet auch eine Kunstbiennale statt. Dass Seoul nun solchen Aufwind erlebt, sieht Jung pragmatisch. „Das hat natürlich mit der politischen Situation in Hongkong zu tun.“ Er glaube jedoch, dass in Ostasien mehrere Kunstmetropolen nebeneinander bestehen können. „Ideal wäre, wenn Hongkong seinen Status behalten könnte und sich Seoul als neuer Spot etabliert. Mit der Art Basel Hong Kong und der Frieze Seoul haben wir eine gute Balance.“ Unter den gut 120 Teilnehmern der Frieze Seoul (vom 6. bis 9. September) sind Schwergewichte wie Sadie Coles HQ, Gagosian, Hauser & Wirth, Max Hetzler, Mennour, White Cube oder Zwirner dabei, aber auch Neuzugänge wie Kilchmann (Zürich), Goodman (Johannesburg) oder Silverman (San Francisco). Auch Esther Schipper und Joyhun Gallery sind wieder vertreten. Und einige der Künstler, die in ihrer Berliner Schau zu sehen sind, werden dort ebenfalls zu sehen sein. Die Redewendung „Dui Jip Ki“ kann man etwa hören, wenn an einem Streetfood-Stand auf dem Gwangjang-Markt ein Pfannkuchen umgedreht oder beim traditionellen Ringkampf ein Gegner in die Rückenlage gezwungen wird. Sie bezieht sich aber auch auf den Sinneswandel, die Öffnung für alternative Ideen. Und das, so Jaeho Jung, habe viel mit Haltung zu tun. „Koreaner sind furchtlos, wollen neue Dinge erforschen. Wir hängen nicht so an den alten Sachen. Nach vorn schauen, statt zurückzublicken, das ist unsere Denkweise.“ A uch Jin Meyerson, der zum Aufbau nach Berlin gereist ist, nimmt diese Perspektive ein. Schon biografisch bedingt: Er wurde 1972 im südkoreanischen Incheon geboren, zur Adoption „freigegeben“ und wuchs bei einer jüdisch-schwedischen Familie in Minnesota auf, ehe er Kunst studierte. Diese Adoptionspraxis hat in Korea eine unrühmliche Tradition. Sie begann nach dem Koreakrieg, um „gemischtrassige Kinder loszuwerden“, und wurde jahrzehntelang weiterbetrieben, statt ein Sozialwesen für Waisen und Arme aufzubauen. Man schätzt, dass es insgesamt mehr als 200.000 solcher Adoptionen in den Westen gegeben hat. Wirklich dokumentiert sind nur wenige. Meyerson sei aber nicht Künstler geworden, um sich mit Identitätsfragen zu befassen, sondern um das Dasein in der Gegenwart zu behaupten. Referenzen fand Meyerson, der 2008 nach Seoul zurückgekehrt ist, im „digitalen Raum“. Er gehörte zu den ersten Künstlern, die das Virtuelle als Grundlage ihrer Arbeit nutzten. Seit Neustem verleiht er seinen ohnehin schon psychedelischen Gemälden noch irritierende „AR Overlays“. Betrachtet man „Stagedive“ durchs Smartphone, dann legt sich eine Augmented-Reality-Ebene über die Leinwand. Es sei wichtig, dass man die Bilder nicht entziffern kann. „Aber Gemälde machen etwas mit einem, innerhalb der ersten Sekunden, wenn man sie betrachtet. Malerei ist mit Magie verwandt.“ Und er meine das nicht im spirituellen Sinne, sondern denke an Zauberkünstler, „die für ihre leicht wirkenden Gesten lang üben müssen, um etwas völlig Verblüffendes zu schaffen“. V erblüffend sind auch die Glanzeffekte, die Lee Bae aus dem Material herausholt, das der 67-Jährige zu seinem Lebensthema gemacht hat: Kohle. In Tafelbildern hat er Holzkohlestücke zugeschnitten, zu Mosaiken verlegt und geschliffen. Mal irisiert die Oberfläche wie Metall, dann verliert sich das Auge in tiefster Karbonschwärze. Daneben hängt eine Kalligrafie: „Brushstroke“ ist mit Kohlenstaubtinte aufs Papier gebracht und von minimalistischer Präsenz. Eine „Pinselstrich“ genannte Bronzeskulptur kann man sich auch gut neben „Totems“ von Angela Bulloch oder „Monks“ von Ugo Rondinone vorstellen, denen man sonst in der Galerie Schipper begegnet. Anknüpfungspunkte gibt es auch in einem Kabinett: Da hängen Bilder, deren Spektrum an die Seidenmalerei von Matti Braun denken lässt. Doch Taek Sang Kim (geb. 1958) gibt dem Zufall Raum. Er lässt Papier und Leinwand in Pigmentlösungen baden, um die mal lichten, mal farbsatten Werke zu erzeugen. Die 37-jährige Suyeon Kim hat eine Serie von Gemälden nach Berlin gebracht. Auch sie will nicht die einzige Autorin an ihrem Werk sein. Also hat sie einen farbgetränkten Pinsel an einem Seil über der am Boden liegenden Leinwand aufgehängt und ihn sich ausschwingen lassen. Eine Stunde lang, an 24 Stunden eines Tages, des 21. März 2023. Auch die Farbe des Hintergrunds ist nicht ihre Entscheidung, sondern der Himmelstönung der jeweiligen Stunde angeglichen. Ihr subjektiver Witz ist es, den abstrakten Graffiti einen Schatten zu verleihen, der ihnen eine dingliche Wirkung verleiht. D ie jüngere Künstlergeneration aus Korea und darüber hinaus wird im September auch auf der Frieze Seoul ihren Platz finden, etwa in der Sektion „Focus Asia“. Zehn Positionen von asiatischen Galerien werden dort in Einzelausstellungen einem Publikum vorgestellt, um dessen Gunst bereits einige Messen und Standorte werben. In Singapur und Japan wurden etwa von der in Südostasien aktiven Messegesellschaft Art Assembly in diesem Jahr bereits die Art SG und der Tokyo Gendai als neue Verkaufsplattformen lanciert. Und auch die in London als Unternehmen (und mit zwei Messen) beheimatete Frieze setzt ihren Expansionskurs fort. Sie fordert nun den globalen Konkurrenten heraus, die Schweizer MCH Group und ihr Flaggschiff Art Basel, die nicht nur in Basel, sondern auch in Hongkong, Paris und Miami Beach stattfindet: Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Briten die Armory Show in New York und die Expo Chicago übernehmen. Damit baut die Frieze, die schon Messen in New York und Los Angeles betreibt, die Dominanz auf dem US-Markt weiter aus. COURTESY THE ARTIST, GALLERY 2, SEOUL, AND ESTHER SCHIPPER, BERLIN/ PARIS/ SEOUL; PHOTO: BAUFOTO Gemälde von Donghyun Son (hinten) und Jin Meyerson (rechts) sowie Skulpturen von Haneyl Choi in der Ausstellung „Dui Jip Ki“ bei Esther Schipper in Berlin (bis zum 31. August) COURTESY THE ARTISTS & ESTHER SCHIPPER, BERLIN/PARIS/SEOUL © 2023 ANDREA ROSSETTI Seoul ist binnen weniger Jahre zur internationalen Handelsplattform geworden. Doch die Kunst von dort ist außerhalb von Korea noch zu wenig bekannt. Die Galerie Esther Schipper will das nun ändern COURTESY THE ARTIST, LEEAHN GALLERY, SEOUL/DAEGU & ESTHER SCHIPPER, BERLIN/PARIS/SEOUL ©PARK MYUNGRAE Vorausschauender RESPEKT Hong Joo Kim, ohne Titel, 2020 Suyeon Kim, „SE23032112“, 2023 COURTESY THE ARTIST, GALLERY 2, SEOUL & ESTHER SCHIPPER, BERLIN/PARIS/SEOUL © ZERO STUDIO Hyunsun Jeon, „When You Believe“, 2023 Taek Sang Kim, „Resonance 23-7“, 2023 COURTESY THE ARTIST, JOHYUN GALLERY, BUSAN & ESTHER SCHIPPER, BERLIN/PARIS/SEOUL © SANGTAE KIM WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SEITE 46 KUNSTMARKT H ätte Kaspar Hauser ein Alphabet erfunden, dann wäre es womöglich Alexi Tsioris’ Bildern ähnlich: fröhlich und ungeniert, fern aller Vorschriften und Regeln, aus der eigenen Unschuldsempirie entwickelt. Tsioris organisiert auf seinen Leinwänden immer wiederkehrende, in mal kryptische, mal konsequente Zusammenhänge gestellte Zeichen. Sind es Archetypen, die in ihrer formalen Reduktion jedermann verständlich sind? Oder sind es Chiffren, einem assoziativ kompilierten, aber strikt fiktiven Katalog entnommen? Ornamente, die selbsterklärend (oder nicht) in gebührendem Abstand voneinander auf der Leinwand zu fliegen scheinen? Tsioris buchstabiert ein flüchtiges Alphabet. Wörter werden aus den Zeichen nicht, vielmehr fein konstruierte Fetzen der Imagination. Für diese Mischtechniken (4000 bis 14.000 Euro) braucht es Leinwand, Ölfarbe, Pinsel, Spachtel, Finger und viel Leerraum, der den einzelnen Objekten plastische Wirkung verleiht. Nur manchmal touchieren sie einander, aber immer streben sie eine Wechselwirkung an. Der spielerische Gestus – vermeintlich zufällig wie bei Kaspar Hauser – ist stringentes Programm des 1982 in Athen geborenen, lange schon in München lebenden Künstlers. Das beschreibt auch Tsioris’ Herangehensweise an Monotypien (3000 Euro), wiewohl hier andere technische Voraussetzungen zu einem weit weniger kontrollierten Ergebnis führen. Grundsätzlich wird für eine Monotypie ein Motiv etwa auf eine Glasplatte mit Farbe aufgetragen. Ein Papier wird darübergelegt, das Motiv daraufgepresst. Das Papier wird abgezogen, entstanden ist ein Abklatsch mit Unikatcharakter. Bedeckt der Künstler die Platte mit Ölfarbe, legt darauf das Papier und zeichnet auf die ihm zugewandte Fläche, graviert sich das Motiv in die Farbschicht der Unterseite. Wiederholt er diesen Vorgang, entsteht eine dichte, wie im Verborgenen eingeschriebene Zeichnung. Mit ihren reliefartig anmutenden Linien und Figuren verweist diese komplexe Variante der Monotypie unmittelbar auf die dritte Dimension von Tsioris’ künstlerischer Arbeit, die Plastik. Alexi Tsioris bleibt auch in seinen Skulpturen im präzise formulierten Ungefähren (3000 bis 6000 Euro). Bronzene Pflanzenwesen tanzen da anmutig durch die Ausstellung in der Münchner Galerie Jahn und Jahn mit dem an Feuchtwanger-Spott angelegten Titel „Bauen, Brauen, Sauen“ (bis zum 12. August). ANNEGRET ERHARD SEIN UND HABE ALEXI TSIORIS Öl, Kohle und rote Kreide auf Leinwand: unbetiteltes Bild von Alexi Tsioris Fetzen der Imagination Der Wert von Kunst offenbart sich erst, wenn man ihre Geschichte kennt. Über das Senden vielfältiger Zeichen ALEXI TSIORIS, COURTESY JAHN UND JAHN, MÜNCHEN/LISBOA KUNSTMARKT UHREN & SCHMUCK ANZEIGE © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
16. JULI 2023 WELT AM SONNTAG NR. 29 FERNSEHEN 47 3SAT 3SAT ARTE ARTE WDR WDR NDR NDR BAYERN BAYERN SWR SWR HESSEN HESSEN MDR MDR ARD ZDF ARD ZDF RTL RTL SAT.1 SAT.1 PRO 7 PRO 7 KABEL 1 KABEL 1 BILD-TV BILD-TV 5.30 Kinder-TV 8.15 ¥ g Wissen macht Ah! 8.40 Kinder-TV 9.50 ¥ Tagess. 9.55 ¥ g Panda, Gorilla & Co. 11.30 ¥ g Quarks im Ersten Magazin 12.00 ¥ g Tagesschau 12.05 ¥ Die Tierärzte Dokureihe 12.55 ¥ g St. Josef am Berg – Berge auf Probe Komödie (D 2018) Mit Paula Kalenberg, Harald Krassnitzer, Sebastian Wendelin 14.25 ¥ g Tagesschau 14.30 ¥ g Sportschau Radsport: Tour de France, 14. Etappe, Annemasse – Morzine Les Portes du Soleil / ca. 17.50 Leichtathletik: Para-WM, u. a. Rollstuhlfahren Damen, Weitsprung Herren, Zsfg. aus Paris (F) / ca. 18.20 Triathlon: WM-Serie, Sprint Damen und Herren, aus Hamburg 19.50 ¥ g Wetter vor acht 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 ¥ g Verstehen Sie Spaß? Show. Das Sommerfest Gast: Matze Knop 23.20 ¥ g Tagesthemen 23.40 ¥ g Das Wort zum Sonntag Mit Pfarrer Wolfgang Beck 23.45 ¥ g Ladies Night Show 0.30 ¥ g Die Füchsin: Spur auf der Halde Kriminalfilm (D 2017) Mit Lina Wendel. Regie: Samira Radsi (Forts.: Sa., 22. 07., 0.40 Uhr) 5.30 Kinder-TV 7.00 H ¥ g Ostwind – Zusammen sind wir frei Familienfilm (D 2013) 8.40 Kinder-TV 10.03 ¥ g Immer wieder sonntags Show 12.03 ¥ g Presseclub Diskussion 12.45 ¥ g Europamagazin 13.15 ¥ g Wunderwelt Wiese – ein verlorenes Paradies? 14.00 ¥ g Tagesschau 14.10 ¥ g Sportschau ca. 14.30 Triathlon: WM-Serie, Mixed-Staffel, aus Hamburg / ca. 15.45 Radsport: Tour de France, 15. Etappe, Les Gets Les Portes du Soleil – Saint-Gervais Mont-Blanc 18.30 ¥ g Bericht aus Berlin – Sommerinterview Gespräch Gast: Janine Wissler 19.00 ¥ g Weltspiegel Magazin 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 ¥ g Tatort: Die Wahrheit TV-Krimi (D 2016) 21.45 ¥ g Maria Wern, Kripo Gotland: Sturmfront TV-Krimi (S 2020) Mit Eva Röse 23.15 ¥ g Tagesthemen 23.35 ¥ g ttt Magazin 0.05 H ¥ g Die Päpstin Drama (D/GB/I/E 2009) Mit Johanna Wokalek, David Wenham 2.25 g Tagesschau 2.30 ¥ g Einfach die Wahrheit Drama (D 2013) Mit Katja Flint 10.45 ¥ g Bergleben auf der Bischofsmütze 11.30 g Bergleben in den Karawanken 12.15 ¥ g Liebesg’schichten und Heiratssachen 13.00 ZIB 13.10 Notizen aus dem Ausland 13.15 quer 14.00 Ländermag. 14.30 ¥ Kunst & Krempel 15.05 g Rosen, Tulpen, Nelken – Gartenlust am Bodensee 15.30 Marokko – Land der Träume 16.00 g Tanganjika – Das Meer im Herzen Afrikas 17.30 ¥ õ g Hochzeitsstrudel und Zwetschgenglück Romantikkomödie (D 2020) 19.00 ¥ g heute 19.20 g Das LSD-Comeback – Die nüchterne Renaissance der Hippie-Droge 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 õ g Klassik am Odeonsplatz 2023 Konzert 21.55 g Concert de Paris 2023 23.25 H ¥ ® g Rififi Kriminalfilm (F 1955) Mit Jean Servais 1.10 g lebens.art Magazin 12.15 ¥ g Speisen wie der Kini – Auf Schloss Hohenschwangau (1/2) 13.00 ¥ ZIB 13.05 ¥ g Kreatives Hallein – Eine besondere Zeitreise mit Franz Schubert 13.35 g Peru 13.50 ¥ g Australiens unbekanntes Paradies – Die Inseln der Torres-Straße Doku 14.35 ¥ g Wildes Neuseeland Dokureihe 16.45 H ¥ õ g Wie gut ist Deine Beziehung? Romantikkomödie (D 2018) Mit Friedrich Mücke 18.30 g Giuseppes Sizilien 19.00 ¥ g heute Wetter 19.10 g Bauen mit Holz: Rettung fürs Klima? Dokumentation 19.40 g Schätze der Welt 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 g Till Reiners’ Happy Hour XXL – Die Sommerparty Show 21.45 g Die Anstalt Politsatire 22.30 ¥ õ g Die Lederhosenaffäre Komödie (A 2021) 0.00 H ¥ õ g The Replacement Killers – Die Ersatzkiller Actionfilm (USA 1998) Mit M. Rooker 10.25 ¥ g Notruf Hafenkante 11.10 ¥ SOKO Wismar Krimi-Serie 11.55 ¥ g heute Xpress 12.00 ¥ g einfach Mensch 12.15 ¥ g Große Fische, kleine Fische Komödie (D 2014) 13.40 ¥ g Kreuzfahrt ins Glück Serie 15.10 ¥ g heute Xpress 15.15 ¥ g Bares für Rares Magazin 16.10 ¥ g Die Rosenheim-Cops 17.00 ¥ g heute Xpress 17.05 ¥ g Länderspiegel Magazin 17.35 ¥ g Second Hand als erste Wahl: Neues Leben für alte Sachen Dokumentation 18.05 ¥ g SOKO München Krimi-Serie. So wie du bist Mit Gerd Silberbauer 19.00 ¥ g heute 19.20 ¥ g Wetter 19.25 ¥ g Der Bergdoktor Arztserie 20.15 ¥ g Das Quartett – Dunkle Helden Kriminalfilm (D 2021) Mit Anja Kling, Shenja Lacher, Annika Blendl. R.: Vivian Naefe 21.45 ¥ g Born for this – Mehr als Fußball . Neue Staffel 22.45 ¥ g heute journal Wetter 23.00 H ¥ g Jack Reacher Actionthriller (USA 2012) Mit Tom Cruise, Rosamund Pike 1.00 H ¥ g Jagd durch London Actionthriller (USA/GB 2015) 10.15 ¥ g Bares für Rares 11.55 g heute Xpress 12.00 ¥ g ZDF-Fernsehgarten 14.10 Mein Zuhause richtig schön 14.55 ¥ g Mein fabelhaftes Ferienhaus Doku-Soap 15.40 ¥ g heute Xpress 15.45 ¥ g Reiselust – Klimafrust: Tourismus in Zeiten des Klimawandels Dokumentation 16.15 ¥ g Die Rosenheim-Cops 17.00 ¥ g heute Nachrichten 17.10 ¥ g Weiblich, jung, Star – Wie Fußballerinnen die Welt verändern 18.00 ¥ g Mosel statt Malle – Eine Region startet durch 18.30 ¥ g Terra Xplore Magazin 18.55 ¥ g Aktion Mensch 19.00 ¥ g heute Wetter 19.10 ¥ g Berlin direkt – Sommerinterview Gespräch 19.30 ¥ g Spione im Tierreich 20.15 ¥ g Ein Sommer auf Mykonos Romantikkomödie (D/GR 2020) Mit Valerie Huber 21.45 ¥ g heute journal 22.15 ¥ g Dan Sommerdahl – Tödliche Idylle: Goldstiefel TV-Krimi (DK/D 2021) 23.45 ¥ g Phantastischer Osten – Traumwelten in der DDR 0.30 g heute Xpress 8.25 g Stadt Land Kunst 10.15 g Zu Tisch ... 10.40 g Zu den Quellen des Essequibo Dokureihe. Im Delta / Am Kaieteur / In der Rupununi / Im wilden Süden / In Konashen 14.25 g Freie Bahn für Wildtiere Dokumentationsreihe 16.40 g Abenteuer Vietnam Doku 17.40 g ARTE Reportage Afghanistan: Kalter Entzug / Malawi: Cholera 18.30 g Segel setzen an Montenegros Küste Dokumentation. Nahezu jedes hölzerne Boot, das vor der Küste Montenegros kreuzt, ist durch die Hände von Petar Bokovac gegangen. 19.20 Arte Journal 19.40 g Tempo und Leidenschaft – Argentiniens Polo-Spielerinnen 20.15 g Serengeti – Wilde Geschichten aus der Savanne 22.25 g Wilde Miezen – Katzen allein unterwegs Reportage 23.20 g Das geheime Wesen der Katzen Dokumentation 0.15 g 42 – Die Antwort auf fast alles 8.35 Arte Junior Magazin 8.50 g 42 – Die Antwort ... 9.20 g Mission Wildnis 11.35 g Amerigo Vespucci – Der Mann, der Amerika seinen Namen gab 12.30 g Das Rätsel von White Sands: Auf den Spuren der ersten Nordamerikaner 13.20 g Rätselhaftes Stonehenge – Die Spur der Steine 14.15 H g Aviator Biografie (USA/D 2004) 17.00 g Die Seerosen – Claude Monets Vermächtnis 17.55 g Sternstunden der Musik 18.40 g Zu Tisch ... Reportagereihe 19.10 Arte Journal 19.30 g Lettlands weiße Küste – Vom Zauber einer Sommernacht Dokumentation 20.15 H g Rain Man Tragikomödie (USA 1988) Mit Dustin Hoffman 22.25 g Tom Cruise: Mann mit zwei Missionen Dokumentation 23.20 g Milan Kundera – Die Ironie des Seins Dokumentation 0.15 g Die 7 Todsünden – Gauthier Dance Stuttgart Ballett 5.45 g Der Blaulicht-Report Soap 7.45 Eine schrecklich nette Familie Sitcom. Millionäre bevorzugt / Frauen wollen auch mal Spaß / Frauen wollen auch mal Spaß / Kein Anschluss unter dieser Nummer / Wer nimmt mich mit? / Bundy gegen den Rest der Welt / Bart oder nicht Bart? / Die Tätowierung. Mit Ed O’Neill 11.45 g Barbara Salesch – Das Strafgericht Doku-Soap Bräutigam bei der Hochzeit angeschossen / Familiendrama: Wohnungskündigung eskaliert 13.45 g Ulrich Wetzel – Das Strafgericht Doku-Soap Begeht Straftäter trotz Fußfessel Mordversuch? / Amin will bleiben / Das schwarze Schaf der Familie 16.45 g Explosiv – Weekend Magazin 17.45 g Gala Magazin. Mod.: A. Lau 18.45 g RTL Aktuell 19.05 g Life – Menschen, Momente, Geschichten Magazin 20.15 g Die 100.000 Mark Show Moderation: Ulla Kock am Brink Die 100.000 Mark Show: Aufwendige Action-Spiele, atemberaubendes Tempo und hochmotivierte Kandidaten 23.15 g Lachen, zittern, jubeln – Warum die 90er das Jahrzehnt der Gameshows waren Doku Mit Hella von Sinnen, Hugo Egon Balder, Harry Wijnvoord 0.00 g Take Me Out Music Special 2.00 g Falscher Hase Show 5.00 g Die Superhändler – 4 Räume, 1 Deal Show. Spiderman Mannequin / Potpourrie / Biermünzenkasse / Bronzefigur „Nenikhkamen“ Entwurf von Max Kruse / Konvolut Aushangfotos 50er / Jacobs Schauvitrine / Weihwasserschale / Zugschlusslaterne / Studioscheinwerfer / Schuco Spielzeug Konvolut / Feuerzeug Konvolut / Kienzle Wanduhr / Brillantring / Shell Werbeshild / Rupfentier Nashorn / Einarmiger Bandit / Reisewecker / Werkstatt-Drehstuhl / Bronzefigur mit Tintenfass / „The Book of Olga“ / Chanel Ohrringe / Dollar Leiterplatte von Imbue / Tete à Tete Stuhl / Wetterhahn / Blechspielzeug Technofix Bahn 11.45 g Top Dog Germany – Der beste Hund Deutschlands Show 14.00 g Martin Rütter – Die Welpen kommen Dokumentationsreihe 18.45 g RTL Aktuell 19.05 g Exclusiv – Weekend 20.15 H g Tomb Raider Abenteuerfilm (GB/USA 2018) Mit Alicia Vikander, Dominic West. Regie: Roar Uthaug. Lara begibt sich auf die Suche nach ihrem verschwundenen Vater Lord Croft. Diese führt sie zu einer Insel vor der japanischen Küste. Bald stellt sich heraus, dass Lara in eine Falle gelockt wurde. 22.30 g stern TV am Sonntag 0.00 H g Tomb Raider Abenteuerfilm (GB/USA 2018) (Wh.) 12.15 ¥ g Opa wird Papa Komödie (D 2018) 13.45 ¥ g Hallo Tierheim! 14.15 ¥ g Schnittgut 14.45 ¥ g Grillen mit Ali und Adnan Dokumentationsreihe 15.15 ¥ g Ausgerechnet Reihe 16.00 ¥ g 2 für 300 Reportagereihe 16.30 ¥ g Garten und lecker 17.15 ¥ g Der Vorkoster 17.45 ¥ g Kochen mit Martina und Moritz Magazin 18.15 ¥ g Einfach und köstlich 18.45 ¥ g Aktuelle Stunde Magazin 19.30 ¥ g Lokalzeit Magazin 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 ¥ g Commissario Laurenti: Totentanz TV-Krimi (D 2009) Mit Henry Hübchen, Barbara Rudnik, Sophia Thomalla 21.45 ¥ g Die Füchsin: Romeo muss sterben Kriminalfilm (D 2021) Mit Lina Wendel 23.15 ¥ g Irene Huss, Kripo Göteborg: Der erste Verdacht TVKrimi (S 2010) Mit Angela Kovacs 0.40 H ¥ g Diva Thriller (F 1981) 9.15 ¥ g Einfach und köstlich 9.45 ¥ g Kochen mit Martina und Moritz 10.15 ¥ Kölner Treff 11.45 ¥ g Im Einsatz zwischen Leben und Tod 12.30 ¥ g HerzensDinge – Lebensgeschichten aus unserem Westen 13.15 ¥ g Der blaue Planet 14.45 ¥ g Verrückt nach Meer Breakdance im Sankt-LorenzStrom / Bärenstark in Kanada 16.20 ¥ g Rentnercops Krimi-Serie 18.00 ¥ g Hunde verstehen! 18.45 ¥ g Aktuelle Stunde Magazin 19.30 ¥ Lokalzeit-Geschichten Mag. 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 ¥ g Wunderschön! Reportagereihe. U.fia.: Norwegens Westen. Vom Sognefjord nach Bergen / Fjorde und Wasserfälle, Gletscher und Hochebenen 21.45 ¥ Tatort: Das ewig Böse TV-Krimi (D 2006) 23.10 ¥ g Morden im Norden KrimiSerie. Bauernopfer / Auf Herz und Nieren. Mit Sven Martinek 0.45 ¥ g Rentnercops (Wh.) 5.25 g Auf Streife – Die Spezialisten Doku-Soap. Für die Tonne / Rapunzel lass dein Haar herunter / Meerjungfrauen waschen besser / Heiermann / Jungs bleiben Jungs 10.05 ¥ g Magnum Krimi-Serie. Bombengrüße aus Ulster / Der gespielte Tod / Abrechnung mit der Vergangenheit / Auf den Hund gekommen. Harte Zeiten für Magnum: Er muss das Gästehaus für zwei Stewardessen räumen und obendrein den britischen Brigadegeneral Alistair Ffolkes beschützen. Der Mann ist ein wichtiger Zeuge in einem Prozess gegen eine Gruppe IRA-Terroristen. 14.10 ¥ g Baywatch – Die Rettungsschwimmer von Malibu Hobie und der Riese / Der Ballonfahrer / Strandolympiade / In den Fängen des Bösen / In den Fängen des Bösen / Die Schuldfrage 19.55 g SAT.1 :newstime 20.15 H ¥ g Peter Hase Familienfilm (USA/AUS/GB 2018) Mit James Corden, Elizabeth Debicki, Daisy Ridley. Regie: Will Gluck. Als der Farmer McGregor stirbt und sein Haus seinem Neffen vererbt, haben Peter Hase und seine Familie nichts mehr zu lachen. 22.05 H ¥ g Mission: Impossible – Fallout Actionfilm (USA/CHN/ F/N/GB 2018) Mit Tom Cruise Regie: Christopher McQuarrie 0.55 H ¥ õ g Mission: Impossible – Rogue Nation Actionthriller (USA 2015) Mit Tom Cruise 6.00 g Auf Streife – Berlin Doku-Soap 9.00 g SAT.1-Frühstücksfernsehen am Sonntag Magazin. Moderation: Christian Wackert, Karen Heinrichs 10.50 g Mutige Meister – Die neue Lust am Handwerk Reportage 11.50 ¥ g Der SAT.1 FastfoodCheck! McDonalds, Burger King, Pizza Hut & Co. Reportage 14.05 ¥ g Halbpension mit Schmitz XXL Show. Mod.: Ralf Schmitz 16.10 H ¥ g Johnny English – Jetzt erst recht Actionkomödie (GB/ USA/F 2011) Mit Rowan Atkinson, Rosamund Pike, Dominic West. Regie: Oliver Parker. Trotteliger Agent soll ein Attentat vereiteln. 18.10 H ¥ g Peter Hase Familienfilm (USA/AUS/GB 2018) Mit James Corden, Elizabeth Debicki, Daisy Ridley. Regie: Will Gluck 19.55 g SAT.1 :newstime 20.15 H ¥ õ g Terminal Komödie (USA 2004) Mit Tom Hanks, Catherine Zeta-Jones, Stanley Tucci. Regie: Steven Spielberg Weil sein Pass ungültig ist, darf der ausländische Tourist Victor den Flughafen von New York nicht mehr verlassen. 22.55 H ¥ õ g Forrest Gump Tragikomödie (USA 1994) Mit Tom Hanks, Gary Sinise, Robin Wright. Regie: Robert Zemeckis 1.40 H ¥ õ g Meine erfundene Frau Komödie (USA 2011) 11.00 ¥ Hallo Nieders. 11.30 ¥ Hofgeschichten 12.00 g Epochenkochen 12.45 ¥ Weltbilder 13.15 ¥ mareTV Classics 14.00 ¥ g Zwischen Schnitzel und Pasta – Bon Appetito in der Heringsdorfer Strandbar 14.30 ¥ g Camping in MV – Naturnah, Abenteuer oder Luxus pur? Reportage 16.00 ¥ Rute raus, der Spaß beginnt! 16.30 ¥ g Treckerfahrer dürfen das! 17.15 ¥ g Wir werden Camper 18.00 ¥ g Nordtour Magazin 18.45 ¥ g DAS! Magazin. Norddeutschland und die Welt 19.30 Ländermagazine 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 ¥ g Happy Birthday Haakon & Mette-Marit: Das norwegische Thronfolgerpaar Doku 21.15 ¥ g Atlantic Crossing – Über das Meer für ihr Land und ihre Familie Drama-Serie 0.55 H ¥ g Ein Gauner und Gentleman Krimikomödie (USA/GB 2018) Mit Robert Redford 13.45 ¥ g Umbrien – Herz und Seele Italiens 14.30 ¥ g Im Herzen Portugals – Mit dem Zug von der Küste in das Douro-Tal Dokumentation 15.15 ¥ g Der kleine Held vom Hamsterfeld 16.00 ¥ g Kochen mit Martina und Moritz Magazin 16.30 ¥ g Iss besser! – Tariks wilde Küche 17.00 g Bingo! – Die Umweltlotterie 18.00 ¥ g Hanseblick Magazin 18.45 ¥ g DAS! Magazin 19.30 Ländermagazine 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 ¥ g Deutsche Reiseziele, die Sie kennen sollten 21.45 ¥ g Kaum zu glauben! 22.45 ¥ g Na siehste! – Das TV Kult-Quiz mit Elton Show 23.30 ¥ g Quizduell – Olymp Show 0.20 ¥ g Alida Gundlach – starke Stimme, großes Herz: Ein Leben zwischen Talk und Tierschutz Porträt 6.00 g Galileo (Wh.) 7.05 ¥ g The Last Man on Earth Comedy-Serie 7.30 ¥ g The Big Bang Theory (Wh.) 8.50 ¥ g Supergirl 9.45 ¥ g EUReKA – Die geheime Stadt Sommernachtstraumsinvasion 10.40 ¥ g Mr. Griffin – Kein Bock auf Schule Der Havard-Stift 11.15 g Mom Sitcom. Betreute Flitterwochen / Kräftemessen im Fitnessstudio / Die JanikowskiEntscheidung. Mit Anna Faris 12.35 ¥ Die Simpsons ZeichentrickSerie. Klassenkampf / Marge – oben ohne / Der Videobeichtstuhl / Und der Mörder ist ... 14.30 g Formel E: FIA-Weltmeisterschaft Aus Rom (I). Moderation: Andrea Kaiser, Matthias Killing 16.15 ¥ g Two and a Half Men 17.10 ¥ õ g The Big Bang Theory Sitcom. Ein blondes Äffchen / Spaß mit Flaggen 2 18.05 g ProSieben :newstime 18.15 ¥ g Friends Der SuperbusenExpress / Feuer und Flamme / Aus der Traum... / Der Zweiteiler 20.15 g Darüber staunt die Welt Show. Typisch Mann, typisch Frau . Neue Folgen 22.35 g Darüber staunt die Welt Show. Die verrücktesten WTF! Augenblicke 0.55 g Darüber staunt die Welt Typisch Mann, typisch Frau (Wh.) 2.55 ¥ g Mr. Griffin – Kein Bock auf Schule Der Havard-Stift (Wh.) 5.05 ¥ g Friends Sitcom (Wh.) 6.25 g Galileo 9.35 ¥ g Local Hero Show. Mit Thomas Hayo, Michael Michalsky 12.10 g Darüber staunt die Welt Show. Die verrücktesten WTF! Augenblicke (Wh.) 14.30 g Formel E: FIA-WM Aus Rom (I). Moderation: Andrea Kaiser, Matthias Killing 16.25 g taff weekend Magazin. Taff – Das Lifestyle-Magazin auf ProSieben berichtet über die neuesten Trends aus den Bereichen Beauty & Fashion, Culture und Style. Alles, was gerade angesagt ist, kommt zur Sprache. 17.45 g ProSieben :newstime 17.55 g Galileo Stories Magazin 19.05 ¥ g Galileo X-Plorer Magazin Verborgene Seite Dubais 20.15 H ¥ g Escape Room 2: No Way out Actionthriller (USA/ SA/H/CDN 2021) Mit Logan Miller In dieser Folge finden sich sechs ahnungslose Personen in einer weiteren Reihe von Escape Rooms wieder und entdecken, was sie gemeinsam haben, um zu überleben. Sie erkennen, dass das Spiel nicht neu für sie ist. 22.00 H ¥ õ g Mad Max: Fury Road Actionthriller (AUS/SA/USA 2015) Mit Tom Hardy 0.20 H ¥ g The Last Stand Actionthriller (USA 2013) Mit Arnold Schwarzenegger 12.00 ¥ õ Unser Traum von Kanada: Alles auf Anfang Drama (D 2015) 13.30 ¥ Verrückt nach Meer Dokureihe 15.10 Glockenläuten Magazin 15.15 ¥ BR Heimat – Zsammg’spuit in Riedering Konzert 16.00 ¥ BR24 16.15 ¥ Die größten Flüsse der Erde 17.00 ¥ Die Bauern von Garmisch 17.45 ¥ Zwischen Spessart und ... 18.30 ¥ BR24 Magazin 19.00 ¥ Highway der Schmetterlinge – Die Reise der Monarchfalter 19.30 ¥ Kunst & Krempel Magazin 20.00 ¥ Tagesschau 20.15 ¥ Pfarrer Braun: Adel vernichtet TV-Krimi (D 2005) 21.40 ¥ BR24 Magazin 21.55 ¥ Pfarrer Braun: Ausgegeigt! TV-Krimi (D 2012) 23.25 ¥ Pfarrer Braun: Brauns Heimkehr TV-Krimi (D 2014) 0.55 ¥ õ Unser Traum von Kanada: Alles auf Anfang Drama (D ’15) Mit K. Weitzenböck (Wh.) 11.00 Der Sonntags-Stammtisch 12.00 quer 12.45 BR Retro 13.15 ¥ König Ludwig I. und seine Bavaria 14.00 ¥ Querbeet 14.30 ¥ Der Winzerkönig Serie 15.15 ¥ Lust aufs Land – Bayerische Hofgeschichten Dokureihe 16.00 ¥ BR24 Nachrichten 16.15 ¥ Unser Land Magazin 16.45 ¥ Alle lieben Ota – Große Kunst aus Böhmen 17.15 ¥ Aufgegabelt von Alexander Herrmann Reportagereihe 17.45 Schwaben und Altbayern 18.30 BR24 Nachrichten 18.45 ¥ Bergauf, bergab Magazin 19.15 ¥ Unter unserem Himmel 20.00 ¥ Tagesschau 20.15 ¥ Die 30 schönsten Sommerhits Show 21.45 ¥ Die 100 besten Kulthits der 70er Show. Platz 72 bis 46 23.15 ¥ BR24 Nachrichten 23.30 ¥ Pfarrer Braun: Adel vernichtet TV-Krimi (D 2005) 0.55 BR Retro – Das Magazin (Wh.) 5.35 ¥ õ g The Mentalist Krimi-Serie. Der Botaniker / Falsche Zeit, falscher Ort (Wh.) 7.10 ¥ g Blue Bloods – Crime Scene New York Krimi-Serie. Neue Regeln / Die Feinde meiner Feinde / Was ich nicht weiß ... / Die blutige Spur 10.45 ¥ õ Castle Es war einmal ein Verbrechen / Tanz mit dem Tod / 47 Sekunden / Der Brite / Zombies. Mit Nathan Fillion 15.25 ¥ õ g Hawaii Five-0 Krimi-Serie. Der zwölfte Mann Am „Pro-Bowl“-Wochenende hilft ein Footballprofi, den Mord am Mitarbeiter einer Technologie-Firma aufzuklären. 16.25 g Kabel Eins :newstime 16.35 ¥ g Hawaii Five-0 Krimi-Serie Noelani / Mord ist Ihr Hobby / Die Schuldfrage / Das Leben geht weiter. Noelani und Dr. Chu, werden entführt, um bei einem Kriminellen eine AortenklappenTransplantation durchzuführen. 20.15 ¥ õ g Navy CIS: L.A. KrimiSerie. Die Wahrheit kommt später / Forasteira / Der Teufelskreis / Napalm. Joelle wurde entführt und gefoltert, konnte sich aber befreien und wendet sich nun an Special Agent Callen. 0.10 ¥ õ g Navy CIS: L.A. Krimi-Serie. Die Wahrheit kommt später / Forasteira / Der Teufelskreis / Napalm. Mit Chris O’Donnell (Wh.) 3.25 ¥ g Elementary Krimi-Serie 5.40 ¥ õ g The Mentalist Krimi-Serie. Der einzige Zeuge / Die rote Scheune. Mit Simon Baker 7.10 ¥ õ g Navy CIS: L.A. Krimi-Serie. Der graue Mann / Alte Mauern / Felsen oder Feder? / Humbug. Mit Chris O’Donnell 10.55 g Die Schrebergärtner: Säen, mähen und Trophäen Dokumentationsreihe 13.00 g Mein Lokal, Dein Lokal – Der Profi kommt Reportagereihe. „Mutter Wehner“, Oer-Erkenschwick / „GIGI“, Duisburg / Elbers 800°“, Hagen Moderation: Mike Süsser 16.00 g Kabel Eins :newstime 16.10 g Mein Lokal, Dein Lokal – Der Profi kommt Reportagereihe. „Gasthaus STROMBERG“, Waltrop / „Schindelhaus“, Essen Moderation: Mike Süsser 18.10 g Die Schrebergärtner: Säen, mähen und Trophäen Dokumentationsreihe 20.15 ¥ g Yes we camp! 22.20 g Abenteuer Leben am Sonntag Magazin Camping Vancouver Island 0.20 ¥ g Yes we camp! (Wh.) 2.10 g Achtung Kontrolle! Wir kümmern uns drum Reportagereihe. Jeder Meter zählt – Flohmarkt Hochberg / Geisterfahrer und getunte E-Scooter – PolizeiFahrrad-Staffel Berlin / Heulerrettung an der Nordsee – Seehundjäger Toni Thurm 10.30 ¥ Marktcheck 11.15 ¥ Was kostet... 12.00 Klimazeit 12.30 ¥ 1:0 für das Glück Komödie (D 2008) 14.00 ¥ Schnittgut 14.30 ¥ Traumhäuser 15.00 ¥ g Die Tierärzte Dokureihe 15.45 Die Rezeptsucherin 16.15 ¥ Mein leckerer Garten Bei Landfrau Imgard Feuerbach 17.00 ¥ Einfach & köstlich – Kochen mit Björn Freitag Magazin 17.30 ¥ g Essgeschichten 18.00 ¥ Aktuell BW Magazin 18.15 Menschen und Momente 18.45 ¥ Stadt – Land – Quiz Show 19.30 ¥ SWR Aktuell BW Magazin 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 H ¥ Seeland – Ein Krimi vom Bodensee Kriminalfilm (D 2022) 21.45 ¥ SWR Aktuell BW Magazin 21.50 ¥ Die Bestatterin – Zweieinhalb Tote Kriminalfilm (D 2023) 23.20 ¥ Die Akte General Drama (D 2016) Mit Ulrich Noethen 0.50 H ¥ Seeland – Ein Krimi vom Bodensee Krimi (D 2022) (Wh.) 10.00 „lesenswert“ Quartett 11.00 Nachtcafé 12.30 ¥ Das Wunder der Liebe Drama (D 2007) 14.00 ¥ g Women’s Cycling Grand Prix 15.30 ¥ Den Haag, da will ich hin! Dokumentation 16.00 Expedition in die Heimat 16.45 ¥ g Lecker aufs Land 17.30 SWR Kultur Magazin 18.00 ¥ Aktuell BW Magazin 18.15 ¥ Ich trage einen großen Namen Ein Ratespiel mit Nachfahren berühmter Persönlichkeiten. Rateteam: Stefanie Junker, Liz Baffoe, Dieter Kassel 18.45 ¥ Treffpunkt Reihe. Günstig reisen: Urlaub für wenig Geld 19.15 ¥ Die Fallers Soap. Letzte Ruhe 19.45 ¥ Aktuell BW Magazin 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 ¥ Sagenhaft Reportagereihe 21.45 ¥ Mord mit Aussicht 22.30 ¥ g 3 nach 9 Talkshow 0.35 H ¥ Ein Gauner & Gentleman Krimikomödie (USA/GB 2018) 5.35 g Hitlers Komplizen Hermann Göring / Albert Speer. In der Doku-Reihe werden die Mitglieder des innersten Rings um Adolf Hitler porträtiert, die zum Teil seinen Aufstieg erst möglich machten: Joseph Goebbels, Albert Speer, Adolf Eichmann u.a. 7.10 g Tierische Freaks der Ozeane Dokumentationsreihe. Im Meer der Liebe / Jagdspiele 8.50 g Mensch vs. Krake 9.30 g Lost Ships Dokureihe. Die Bismarck / Die Prinz Eugen 11.10 g Mega Shippers – Die Cargo-Profis Mission: Super Yacht / Hardcore Haul 12.45 g Die fünf Besten Dokumentationsreihe. Gigantische Löschmaschinen / Giganten der Schiene 14.30 g Spitzenreiter der Technik 15.15 g Ikonen Boeing 314 Clipper vs. Airbus A350 / Kolosseum vs. Wembley-Stadion / Empire State Building vs. Burj Khalifa 17.55 g Tierische Freaks der Ozeane 19.30 g Mensch vs. Krake 20.15 g Flüge Extrem Dokureihe Explosion in Las Vegas / Gestrandet in Alaska / Notlandung auf dem Hudson River 23.35 g Abgefahren – Die spektakulärsten Dashcam Clips Reihe 0.45 g Lost Ships Dokureihe Die Bismarck / Die Prinz Eugen 2.10 g Flüge Extrem Dokumentationsreihe. Explosion in Las Vegas / Gestrandet in Alaska / Notlandung auf dem Hudson River 5.40 g Lost Ships Die Bismarck / Die Prinz Eugen 7.00 g Flüge Extrem Dokumentationsreihe. Notlandung auf dem Hudson River / Explosion in Las Vegas / Gestrandet in Alaska 10.00 g Im Auge des Sturms – Extremes Wetter Oklahoma Outbreak & Ferocious Wildfires / Hurricane Irma & Easter Sunday 12.00 g Lost Ships Dokureihe Die Bismarck / Die Prinz Eugen 13.50 g Flüge Extrem Dokureihe Notlandung auf dem Hudson River / Explosion in Las Vegas / Gestrandet in Alaska 16.10 g Im Auge des Sturms – Extremes Wetter Dokureihe Oklahoma Outbreak & Ferocious Wildfires / Hurricane Irma & Easter Sunday 17.55 g Lost Ships Dokureihe Die Bismarck / Die Prinz Eugen 19.15 g Flüge Extrem Dokumentationsreihe. Notlandung auf dem Hudson River. In der Doku-Reihe werden Flugunfälle und Zwischenfälle in der Luft vorgestellt und mit Beteiligten gesprochen. 20.05 g Artemis – Das neue Mondprogramm der NASA Doku 21.00 g Final Countdown Dokumentationsreihe. Das Schwarze Loch / Der Sonnensturm / Aliens 23.45 g Ancient Aliens – Neue Erkenntnisse Dokureihe Verschlüsselte Nachrichten 0.40 g Erde an Aliens Doku 8.55 Maintower 9.20 ¥ hessenschau 9.50 Die Laubenpieper 10.10 ¥ g Geld.Macht.Liebe 10.55 ¥ Kölner Treff Spezial 12.25 ¥ Nachtcafé Talkshow 13.55 ¥ 3 nach 9 Talkshow 16.00 ¥ Hessen à la carte Reihe 17.15 ¥ g Sommerinterviews im hr Hessische Spitzenpolitiker*innen im Gespräch 17.40 maintower weekend Magazin 18.15 ¥ Klimazeit Magazin 18.45 ¥ Kochs anders Reportagereihe. Ali, der syrische Lehrer, Fatayer und Tabouleh 19.30 ¥ g hessenschau Magazin 20.00 ¥ Tagesschau 20.15 ¥ g Wunderschön! Reihe. U.fia.: Die schönsten Spanienreisen 21.45 ¥ Der Camping-Check 22.30 ¥ g Den Harz erleben – Brockenbahnen, Drahtseilakte und Fummelhölzchen Doku 23.15 ¥ Mord auf Shetland: Späte Rache Kriminalfilm (GB 2018) 1.10 ¥ g Watzmann ermittelt 15.30 ¥ g Alles Wissen Magazin 16.15 ¥ Mex – Das Marktmagazin 17.00 ¥ Soll das so??? Einsatz für die Handwerker-Profis Dokureihe 17.45 ¥ Krisenland – Deutschland zwischen Angst und Aufbruch 18.30 ¥ g Hessen-Reporter Mittendrin: Beim Bestatter 19.00 ¥ g Tobis Städtetrip Dokumentationsreihe. Lost Places 19.30 ¥ g hessenschau Magazin 20.00 ¥ Tagesschau Nachrichten 20.15 ¥ g Immer wieder sonntags Show. Mit Linda Fäh, Kastelruther Spatzen. Moderation: Stefan Mross 22.10 ¥ Dings vom Dach Show 22.55 ¥ strassen stars Show 23.25 ¥ g Ich trage einen großen Namen Ein Ratespiel mit Nachfahren berühmter Persönlichkeiten 23.55 ¥ Dings vom Dach Show (Wh.) 0.40 ¥ strassen stars Show (Wh.) 1.10 ¥ Ins Land der geraubten Menschen Dokumentation 5.20 g Lost Places Dokureihe. Stalin’s Subway / Gefängnis unter Wasser 10.25 g Die WELT am Wochenende 15.10 g Deutschland im Glutrausch – Grillen extrem 16.05 g Das große Brauen – Deutschland und seine Biere 17.00 g Salami, Wiener & Co – Die Wurstmacher 18.10 g Lost Places Dokureihe 20.05 g Der Wiesel – Schutz für die Fallschirmjäger Dokumentation 21.05 g Supersonic – Die Überschallflieger Dokumentation 22.05 g Triomphants – Phantome der Tiefe Dokumentation 23.00 g Geschwader auf hoher See 0.05 g Spitzenreiter der Technik 10.30 g Die WELT am Wochenende 15.10 g Countdown zum Weltuntergang Dokumentationsreihe Der Asteroid / Erde auf Abwegen 17.00 g Das Sonnensystem Doku 18.05 g Der Sarkophag – Die neue Schutzhülle für Tschernobyl 19.00 Lost Ships Dokumentationsreihe 20.05 g Die große Achterbahnsanierung – Colossos kehrt zurück 21.05 g Aquaventure – Dubais Mega-Wasserpark 22.05 g MEGAHOTELS – Das neue Wahrzeichen Dohas 23.05 g Highspeed-Baustellen 0.00 g World’s Most Extreme 0.55 g Schatzkammern – Die kostbarsten Reichtümer der Erde 18.45 ¥ g Glaubwürdig 18.50 ¥ g Wetter 18.54 ¥ Sandmann 19.00 ¥ Regional 19.30 ¥ aktuell 19.50 ¥ g Der schönste Sommer meiner Kindheit 20.15 ¥ g Die besten Hits aller Zeiten 22.20 ¥ g Das Gipfeltreffen 22.50 ¥ g Mankells Wallander: Abschied Kriminalfilm (S/D/DK/N/FIN 2014) 0.20 ¥ g Das Traumhotel: Indien TV-Familienfilm (A/D 2006) Mit Ch. Kohlund (Wh.) 16.50 H ¥ g Schneeweisschen und Rosenrot Märchenfilm (DDR 1979) 18.00 ¥ g aktuell 18.05 ¥ Brisant Classix 18.52 ¥ Sandmann 19.00 ¥ Regional 19.30 ¥ g aktuell 19.50 ¥ g Kripo live 20.15 ¥ g Ein Abend für Gerd E. Schäfer 21.45 ¥ aktuell 22.00 ¥ g Sunny? Solo für Renate Krößner 22.30 Hanna Schygulla 23.25 ¥ g Ohne Dich Thriller (D 2014) Mit Stefanie Stappenbeck S A M S TA G 1 5 . 0 7. 2 0 2 3 S O N N TA G 1 6 . 0 7. 2 0 2 3 STREAMING-TIPP STREAMING-TIPP Quarterback (Reportagereihe) Für die Dokuserie arbeitete der Streamer Netflix erstmals mit der NFL zusammen, der National Football League in den USA. Während der Saison 2022/2023 begleiteten Filmteams die drei Quarterbacks Patrick Mahomes, Kirk Cousins und Marcus Mariota. Die Dokuserie erlaubt hautnahe Einblicke, etwa in Taktikbesprechungen mit der Mannschaft oder ins Zuhause der gefeierten Athleten. Netflix The Family Stallone (Dokumentationsreihe) Er wurde dreimal mit dem Oscar ausgezeichnet und spielte zwei der legendärsten Figuren der Filmgeschichte. Doch das Kino – und neuerdings auch die Streamingwelt – sind nicht alles für Schauspieler und Regisseur Sylvester Stallone. Die größte Rolle seines Lebens ist die des Familienmenschen. Das Reality-Format zeigt den Alltag von „Sly“, seiner Frau und ihren Töchtern. Paramount+ 19.05 Der Boden in Dallol im Norden Äthiopiens ist voll mit Chemikalien und Salzen. Das verursacht all die seltsamen Farben, Tümpel und Geysire. Außerdem: Ein Erdbeben in Taiwan am 21. September 1999 löst eine Bodenverflüssigung aus. Es kommt zu Erdrutschen und Schlammlawinen. 20.05 60 Meter hoch, 110 Stundenkilometer schnell, Fahrzeit bei einer Streckenlänge von 1500 Metern: 1.45 Minuten. Die Holzachterbahn „Colossos“ gehört zu den Publikumsmagneten im Heide Park Soltau. Im Jahre 2016 begann die aufwendige Restaurierung der Bahn, die bis 2019 dauerte. Nachrichten um 8, 9, 12, 15, 18, 19 und 20 Nachrichten um 8, 9, 12, 15, 18, 19 und 20 DIE HÖHEPUNKTE DES TAGES SAMSTAG/SONNTAG, 15./16. JULI 2023 ANZEIGE WIR SIND LIVE IM TV Montag – Freitag 14 Stunden Dein Nachrichtensender © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
48 KULTUR WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 „Ich bin ja erst um Mitternacht mit der letzten Maschine von Budapest nach Hause gekommen“, sagt Burghart Klaußner, als wir uns am Nachmittag am Hamburger Deichtorplatz treffen. Jetzt hat er einen kleinen Hunger. Um diese Zeit hier etwas zu finden, ist gar nicht so einfach. Wir lassen uns im „Berliner Bahnhof“ nieder, der sich „Ganztagesbar“ nennt. „Was haben Sie denn in Budapest gemacht?“ – „Eine Neuverfilmung von ,Der Schakal‘. Ich spiele einen deutschen Top-Politiker, der erschossen wird.“ – „Hoffentlich nicht zu schnell.“ – „Das gehört bereits zum Produktionsgeheimnis“, lacht Klaußner. Und bestellt ein Tatarbrot. VON HANNS-GEORG RODEK War da nicht noch etwas in Riga? Das war schon wieder ein anderer Film, bestätigt Klaußner, „da spiele ich den Vater des KZ-Arztes Mengele, der immer mal wieder nach Hause kommt und sich Geld und gute Worte holt, während die ganze Welt ihn sucht.“ Der Dreh sei nun weitergezogen nach Uruguay, aber da brauche man ihn als Vater nicht. Es klingt fast ein bisschen neidisch. Irgendwie hat man den Eindruck, als gebe es keinen anderen Schauspieler, der in so vielen Geschichtsgeschichten auftaucht wie Burghart Klaußner. Björn Engholm in „Einmal Macht und zurück“. Der Vater in „Goodbye, Lenin!“. Ernst Reuter in „Die Luftbrücke“. Der Richter in „Der Vorleser“. Der Pastor im „Weißen Band“. Der Reichspolizeichef in dem Hitler-Attentatsfilm „Elser“. Der Hotelier in „Das Adlon“. Der Wehrmachtshauptmann in dem SchlöndorffFilm „Diplomatie“. Brecht in Breloers „Brecht“. Der Staatsanwalt in „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Autoritätsfiguren plus deutsche Geschichte = Burghart Klaußner? Oder eine zu simple Gleichung? Klaußner zögert. Sagt „och ...“ Sagt dann: „Ich habe das bewusst getan. Solche Rollen auch gesucht. Mir war es immer – sagen wir: auch aus Sentimentalität – wichtig herauszufinden: Was war eigentlich los mit der deutschen Geschichte?“ B urghart Klaußner ist so alt wie die Bundesrepublik – gut, drei Monate jünger. Er hat ein Buch geschrieben, das zu wenige kennen, eine Novelle mit dem Titel „Vor dem Anfang“. Sie spielt an einem einzigen Tag, dem 23. April 1945, als die Russen in die Außenbezirke Berlins eindringen. „Es war ein kleiner Glücksmoment, das veröffentlicht zu sehen, weil es vieles bündelt, womit ich mich schon ewig beschäftige“: Ein Militärbote soll eine Geldkassette vom Flughafen im Osten durch das Chaos der Stadt in die Wilhelmstraße bringen, ins Luftfahrtsministerium. Der Bote heißt Fritz, und Klaußner hat ihn mit Zügen seines Vaters ausgestattet. Die Geschichte einer Familie, die Geschichte eines Landes, auf einen Tag komprimiert. Die Familie Klaußner spielte, wenn man so will, schon im Kaiserreich eine gewisse öffentliche Rolle. „Mein Urgroßvater hat 1875 in Berlin eine Gastwirtschaft gegründet, ,Zum Klaußner‘, Krausenstraße 64, und er hat als Erster in Deutschland Pilsner Urquell ausgeschenkt.“ Auf Tauschbörsen findet man noch heute alte Postkarten vom „Klaußner“. Ein Promi-Treff, ähnlich dem „Borchardt“ im heutigen Berlin. An diesem Tag wird der Prominente im Berliner Bahnhof entdeckt. Ein älterer Mann tritt an unseren Tisch. Sagt entschuldigend: „Sie müssen Schauspieler sein, dem Gesicht nach.“ – „Burghart Klaußner der Name, guten Tag.“ – „Jan Behrenz, Maler. Ist dieser Nebentisch noch frei?“ Ja, er ist frei, aber liegt auch arg nahe an unserem. Weiter entfernt gibt es auch freie Tische, es wirkt ein wenig zudringlich, speziell im distanzierten Hamburg. Wir tauschen Blicke, denken anscheinend dasselbe. Wo haben wir solch eine Szene erst vor Kurzem gesehen? Natürlich! Eine Bushaltestelle in Berlin, eine Frau rennt in einen Mann, entschuldigt sich, aber irgendwie wird er sie nicht mehr los. Greta ist eine Nervensäge, Alexander zu höflich, um sie grob zu verjagen. Es ist der Beginn von Klaußners neuem Kinofilm „Die Unschärferelation der Liebe“ nach dem gleichnamigen Theaterstück, und natürlich wird daraus irgendwann eine Beziehung. Es ist aber auch eine Geschichte über das Aufeinanderprallen zweier Unverträglichkeiten und die Kraft, die es kostet, nicht sofort „Verschwinden Sie!“ zu rufen. Nun entspinnt sich also ein Déjà-vu, ganz real an unserem Tisch. Klaußner sucht nach der angemessenen Antwort. „Würden Sie einen der anderen freien Tische nehmen? Sonst können wir hier nicht richtig weiterreden.“ Der Mann nickt und dreht ab. Caroline Peters’ Greta wären wir so einfach nicht losgeworden. D er ,Klaußner‘“, nimmt der Klaußner den Faden wieder auf, „wurde 1943 ausgebombt und hat danach in der Grolmanstraße weitergemacht. Es gibt noch das Gästebuch aus den 50er-Jahren, da stehen sie alle drin, von Romy Schneider über Curd Jürgens bis Willy Brandt.“ Klaußners Vater hat nach dem Krieg im Kaisersaal des zerstörten Hotels „Esplanade“ am Potsdamer Platz auch die ersten Filmbälle ausgerichtet: „Es gab eine unglaubliche Aufbruchslust bei denen, die den Krieg überlebt hatten.“ Klaußner pausiert. Nimmt wieder auf. „Das Gegenteil der Stimmung von heute. Der Krieg in der Ukraine und die Klimakrise legen sich wie Mehltau auf unsere Gegenwart. Ich zögere nicht, die vielen Selbstmorde, von denen ich in letzter Zeit höre, damit in Verbindung zu bringen. Ich höre es aus dem Bekanntenkreis, irritierend oft, dreimal allein in den letzten Tagen. Die Menschen sind zutiefst verunsichert. Es ist kein gutes Lebensgefühl zurzeit, finde ich.“ Zeit zum Aufbruch, für die paar Schritte hinüber zur Freien Akademie der Künste, deren Vizepräsident er ist. Dort findet eine Plenarversammlung statt. Die Akademie in privater Trägerschaft sitzt über dem Kunsthaus, unrepräsentativ, beengt, das Plenum muss sich den Raum mit einer Ausstellung teilen. „Wir müssen ernsthaft einen neuen Ort suchen“, sagt Klaußner, als wir den Außen(!)-Aufzug hochfahren. „Aber Hamburg war ja schon immer eine arme Stadt.“ Er grinst. D ann postiert er sich am Eingang und begrüßt seine Mitglieder. Alle kennen ihn, und er scheint alle zu kennen. Dann geht die Tür zu. Plenarsitzung, der Pflichttermin des Tages. Es wird auch noch einen Lusttermin geben. Die Akademie hat ein ungenütztes Eck. Man tritt aus der Bibliothek auf ein kleines Stück Flachdach, vielleicht acht mal acht Meter, ausgelegt mit Dachpappe, gesichert mit einem Geländer. Auf den Gleisen unten ruckeln die Züge vorbei. Als Monique Schwitters, die Akademiepräsidentin, das Fleckchen entdeckte, hatte sie gleich den Gedanken: „Da musst du mal ein Konzert geben, Burghart!“ Seit Jahren singt Klaußner leidenschaftlich gern, Lieder von Trenet, Porter, Waits, Heymann, Waldoff, mit einer Sechs-Mann-Band, und die Programme stehen unter dem Titel „Zum Klaußner“. Heute ist Auf-dem-DachPremiere. Er wird „Dead End Street“ von den Kinks singen, jene große sozialkritische Ausnahme unter den Swingin’-Sixties-Liedern aus London, das wie die Faust aufs Auge der Nach-Brexit-Verarmung passt. Und er probt ein Lied aus dem ersten Rooftop-Konzert der Popgeschichte, dem letzten Liveauftritt der Beatles in der Savile Row: „Ich bin einer der wenigen, die noch behaupten können, die Beatles live gesehen zu haben, bei der Bravo-Blitztournee 1966 im Münchner Krone-Bau.“ Damals lebte der Teenager Klaußner in München „im Exil“ (wie der eingefleischte Berliner heute sagt), weil der Vater sein Lokal nach dem Mauerbau ins Bayerische verlegt hatte; die Verirrung wurde bald mit einem Studium in Berlin korrigiert. Klaußner hat als Regisseur am Bochumer Schauspielhaus auch einmal ein Stück gemacht, das aus Beatles-Liedern lauter kleine Szenen entwickelte, und er kam damit davon, obwohl er die Rechte gar nicht besaß, sondern Sony: „Nachdem ich die abgewehrt hatte, glaubte man in der Bochumer kaufmännischen Direktion fortan, ich sei der liebe Gott.“ Die ersten Gäste trudeln auf der Dachpappe ein. Es sind Mitakademisten, Verwandte, Freunde. Wie damals bei den Beatles hat es weder Werbung noch Kaufkarten gegeben. Das Quadrat ist schon ziemlich voll, da lässt Klaußner die Bemerkung fallen, der Statiker habe das Dach eigentlich nur für 20 Leute freigegeben ... Scheeerz! Er hat sich in Lackschuhe, Smoking und ein weißes Hemd geschmissen, und Frau Jenny mäkelt an dem Hemd herum. Ihr Mann hantiert mit Kopfbedeckungen für den kahlen Schädel, einer Basecap für „Surfin’ USA“ und einem Zylinder für „Puttin’ on the Ritz“. Dann beginnt ihn etwas zu irritieren. Eine Drohne schwirrt über den Köpfen des Publikums umher. Wer sitzt denn da an der Steuerung? Es ist der Sohn des Geschäftsführers, stellt sich heraus. „Sag ihm doch mal, er soll damit aufhören“, ruft Klaußner von der Bühne. Die Drohne verschwindet. Der Weg ist frei für das Grande Finale. Klaußner greift zur Gitarre. Rockt im fallenden Zwielicht „Get back“ herunter, wie damals Paul McCartney auf dem Apple-Dach. Nach einer Dreiviertelstunde ist in Hamburg Schluss, wie einst in London. Der Rest ist Weintrinken. „Es gab unglaubliche Aufbruchslust“ Der Schauspieler ist so alt wie die Bundesrepublik und hat die Beatles noch live gesehen. Seine Familie führte ein Promi-Lokal im Vorkriegs-Berlin. Und auch in seinen Rollen interessiert er sich vor allem für Geschichte I THOMAS RABSCH EIN TAG IM LEBEN VON BURGHART KLAUSSNER Gilt in Bochum als der liebe Gott: Burghart Klaußner 1949 in Berlin geboren, war Klaußner 30 Jahre lang Schauspieler und Regisseur an den großen Bühnen von Berlin über Frankfurt und Bochum bis Zürich. Dann – er war schon über 50 – wurden ihm plötzlich Hauptrollen im Kino angeboten: „Die fetten Jahre sind vorbei“, „Das weiße Band“, „Der Vorleser“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Seitdem ist er einer der viel beschäftigten deutschen Filmschauspieler, auch international. In seiner Freizeit spielt er mit seiner Band. Burghart Klaußner Schauspieler Klaußner bei seinem Dachkonzert HANNS-GEORG RODEK SALMAN RUSHDIE „Verrückte Träume“ seit dem Anschlag Seit der Messerattacke im August vergangenen Jahres im Bundesstaat New York, bei der der Schriftsteller Salman Rushdie lebensgefährlich verletzt wurde und einseitig das Augenlicht verloren hat, leidet er unter „verrückten Träumen“. Das sagte Rushdie jetzt in einem seiner raren Interviews der britischen BBC. Körperlich fühle er sich hingegen „mehr oder weniger in Ordnung“. Die davongetragenen Handverletzungen hätten ihm das Tippen erschwert. Nach der Attacke musste Rushdie sechs Wochen im Krankenhaus verbringen. Über den bevorstehenden Prozess sagte er, wenn sich der Angeklagte, ein 25-jähriger Amerikaner namens Hadi Matar, schuldig bekenne, gebe es keine Verhandlungen, nur eine Verurteilung, und es könne gut sein, dass seine Anwesenheit dann nicht erforderlich sei. „Ich bin da zwiegespalten“, sagte Rushdie. „Ein Teil von mir möchte im Gerichtssaal stehen und ihn ansehen, und ein anderer Teil von mir hat dazu keine Lust. Ich habe keine besonders hohe Meinung von ihm. Für mich ist es wichtig, in der Lage zu sein, mein Leben weiterzuführen. Damit bin ich gerade ausgelastet.“ Am 10. September wird Salman Rushdie seinen neuen Roman „Victory City“ im Berliner Ensemble vorstellen. küv ZEITUNGSVERLAGE Keine Gelder für Zustellförderung Eine seit Jahren von der Bundesregierung versprochene Presseförderung wird es wohl auch im kommenden Jahr nicht geben. Im Bundeshaushalt für 2024 seien keine Mittel eingeplant, hat gerade die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Claudia Roth, zu Protokoll gegeben. Sie sieht darüber hinaus das BKM nicht als die federführende Instanz an. Aber auch das Bundeswirtschaftsministerium, wo eine mögliche Förderung schon vor Jahren von der Merkel-Regierung entworfen wurde, will sich jetzt nicht mehr mit dem Thema beschäftigen. Im Koalitionsvertrag ist eine Presseförderung zwar sehr wohl vorgesehen, und auch der Bundeskanzler hat sich zustimmend geäußert. Umstritten ist allerdings, ob es wirklich eine Zustellförderung sein soll, also eine gezielte finanzielle Unterstützung des Vertriebs der gedruckten Zeitung, vielleicht auch von Zeitschriften und Anzeigenblättern. Das Argument ist hier, dass gerade Druckkosten und Vertriebskosten stark gestiegen sind, sodass manche Regionen nicht mehr kostendeckend beliefert werden können. Müsse es nicht viel besser darum gehen, den Verlagen bei der Digitalisierung zu helfen? Das unwürdige Hin und Her zwischen den Ministerien belegt vor allem eines: dass private Medien ihr Schicksal wie bisher selbst in die Hand nehmen müssen, wenn sie eine Zukunft haben wollen. chm MUSIKINDUSTRIE Schallplattenverkäufe ziehen weiter an Der Vinyl-Boom ist ungebrochen. In den Vereinigten Staaten sind die Verkäufe in der ersten Hälfte des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 22 Prozent gestiegen. Damit verspricht 2023 das 23. Jahr in Folge zu werden, in dem es mit den Schallplatten steil nach oben geht. Während der Pandemie verzeichnete die Branche gar einen Anstieg um 108 Prozent. Das geht aus einem Bericht des Unternehmens Luminate hervor, das sich auf Datenerhebungen aus der Musikindustrie spezialisiert. Taylor Swifts „Midnights“, veröffentlicht im letzten Oktober, ist mit 251.000 verkauften Exemplaren die bisher meistverkaufte Vinyl-LP des Jahres 2023. Sie führt eine Top-10-Liste an, zu der auch Lana Del Rey, Boygenius und Melanie Martinez gehören. Auf den Plätzen folgen Evergreens wie Fleetwood Macs „Rumours“ (103.000 Verkäufe) und Michael Jackson. küv AUF DEM SCHIRM © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
Auf dem Paneel über dem Handschuhfach scheint der Schriftzug des Spectre vor dem Ausläufer eines Spiralnebels zu schweben wie in der Titelsequenz eines Science-Fiction-Films. Die ungewöhnliche Beleuchtung, für die das Holz rund 5500 Mal mit unterschiedlich feinen Laserstrahlen perforiert wurde, stellt eine Verlängerung des künstlichen Sternenhimmels dar, der das Dach schmückt und sich auch über die Innenverkleidung der Türen erstreckt. Die sanfte Illumination entfaltet ihre volle Wirkung bei Fahrten durch die Dunkelheit: Man kommt sich vor, als würde man in einer Wolke aus Licht über den Asphalt gleiten, geborgen und entrückt zugleich. VON HEIKO ZWIRNER Der Spectre ist das erste Elektroauto von Rolls-Royce und damit ein Meilenstein für die Marke, doch den Sternenhimmel kennt man bereits aus anderen Modellen. Überhaupt steht die Kontinuität bei diesem Wagen im Vordergrund, das Cockpit verfügt über die gleichen Tasten, Drehregler und Lüftungszüge wie ein Ghost oder ein Phantom. Offenbar wollte man die Stammkunden nicht mit einem allzu futuristischen Design überfordern, wie es bei früheren Elektroautos in Mode war, die sich möglichst deutlich von ihren benzinbetriebenen Vorläufern unterscheiden sollten. „Wer riesige Bildschirme haben möchte, stellt sich ein anderes Auto in die Garage“, sagt Rolls-RoyceChef Torsten Müller-Ötvös. „Wir wollen das Gefühl vermitteln: Hier kenne ich mich aus, hier bin ich zu Hause.“ Zudem soll der Spectre – der Name hat übrigens nichts mit dem gleichlautenden James-Bond-Film zu tun, sondern bezieht sich auf Versuchsfahrzeuge, die der Autobauer vor dem Zweiten Weltkrieg einsetzte – nicht nur aussehen wie eine klassischer Rolls-Royce. Er soll sich auch so bewegen und das einzigartige Fahrgefühl, das die Modelle der Marke bislang vor allem der gleichmäßigen Kraftentfaltung ihrer mächtigen Zwölfzylindermotoren zu verdanken hatten, auch mit einem Elektroantrieb reproduzieren – „als würde er an einem unsichtbaren Haken hängen, der Der Spectre von Rolls-Royce in der Farbgebung „Morganite“ ROLLS-ROYCE MOTORCARS; GETTY IMAGES; MONTAGE: WELT AM SONNTAG/TOM UECKER Die Welt der Luxusyachten als Bezugspunkt: Concept Car Rolls-Royce 103 EX aus dem Jahr 2016 BMW GROUP A Eine WOLKE, die drei Tonnen wiegt Der künstliche Sternenhimmel im Spectre funkelte bereits in früheren Modellen der Marke Mit dem Spectre lanciert Rolls-Royce das exklusivste Elektroauto der Welt. Um die Ansprüche der Marke ans Fahrgefühl zu erfüllen, musste das Schwergewicht auch einen Champagnertest bestehen ihn über die Straße zieht“, wie es Mihiar Ayoubi beschreibt, der als technischer Direktor für die Entwicklung des Spectre verantwortlich war. Bei Rolls-Royce hat man für diese Eigenschaft den Begriff „Waftability“ erfunden, der eine Art von Gleitfähigkeit oder sanfter Beweglichkeit bezeichnet, wie man sie eher mit einer Yacht in Verbindung bringen würde als mit einem Fahrzeug, das für den Straßenverkehr bestimmt ist. Die Welt der exklusiven Boote ist ein wichtiger Bezugspunkt für Rolls-Royce: Schon das Concept Car 103 EX, mit dem die Firma vor knapp sieben Jahren einen Ausblick wagte, wie eine Luxuslimousine im Jahr 2040 aussehen könnte, erinnerte mit seinen herausgestellten Radkästen an den Doppelrumpf eines Katamarans, auch die lange Fronthaube und die seitliche Linienführung des Spectre sind an einen Schiffsbug angelehnt. B ei einer Probefahrt über die Landstraßen im kalifornischen Napa Valley zeigt sich bald, dass Rolls-Royce seinen Ansprüchen gerecht wird. Der 584 PS starke und 5,50 Meter lange Koloss schießt nicht ruckartig nach vorne, wie man es von einem Elektroauto erwarten würde, das über eine derartige Leistungsfähigkeit verfügt, sondern setzt sich in Bewegung wie ein kraftvolles Motorboot, das auf einer ruhigen Wasseroberfläche in Fahrt kommt und sich dann stoisch durch die Wellen schiebt. Um diese Anforderung zu erfüllen, musste der Spectre nicht nur 2,5 Millionen Testkilometer absolvieren, sondern sich auch einem Champagnertest unterziehen: Er muss losfahren und zum Stehen kommen können, ohne auch nur einen Tropfen aus einem vollen Schampusglas zu verschütten. Bei früheren Rolls-Royce-Modellen hat man dafür echte Gläser verwendet, inzwischen wird der Test nur noch virtuell und mithilfe digitaler Technik durchgeführt. Die erwünschte Trägheit stellt sich durch eine sachte Drosselung des Drehmoments beim Anfahren ein. Wer es mal eilig hat, kommt trotzdem in 4,5 Sekunden von null auf 100, das ist schon spektakulär für so ein Schwergewicht. Der Spectre wiegt knapp 2,9 Tonnen, das ist mehr, als manche Brücke aushalten kann. In seinem Inneren verbergen sich Akkupakete mit einer Kapazität von über 100 Kilowattstunden, die für eine Normreichweite von mehr als 500 Kilometern sorgen. Allein die Batterien wiegen so viel wie ein herkömmlicher Kleinwagen, und bei der Ausstattung setzt Rolls-Royce weiterhin auf massive Materialien. Auf die Frage, was RollsRoyce getan habe, um Gewicht zu sparen, antwortet Müller-Ötvös: „Sparen? Sparen ist ein Wort, das im völligen Widerspruch zur Philosophie von RollsRoyce steht. Wir machen keine Kompromisse. Wir wären doch verrückt, das aufzugeben, was uns groß gemacht hat.“ E s wäre nicht uninteressant zu erfahren, ob Philipp Plein schon einen Spectre bestellt hat. Der fränkische Selfmade-Millionär und Modeunternehmer mit Hang zur brachialen Geste gehört zu den wenigen vermögenden Deutschen, die kein Geheimnis aus ihrem Reichtum machen. Er besitzt bereits vier Rolls-Royce: einen Phantom an seinem Firmensitz in Lugano, einen Dawn in seiner Sommerresidenz an der Côte d’Azur, einen Cullinan für sein Apartment in New York und einen Ghost in seinem Anwesen in den Hügeln von Los Angeles – da wäre das erste elektrische Modell der Marke eine schöne Ergänzung für den Fuhrpark. Der Autobauer übt sich jedoch in Diskretion, was individuelle Interessenten betrifft. Immerhin lässt sich sagen, dass Plein sich noch etwas gedulden müsste, falls er sich ans Steuer des Elektrocoupés setzen will. Wer jetzt eine Anzahlung leistet, kann sich auf eine Auslieferung im Laufe des Jahres 2025 einstellen, so groß ist nach Angaben des Herstellers die Nachfrage nach diesem Automobil, für das man mindestens 390.000 Euro beiseitegelegt haben sollte – ein irrer Preis, auch wenn man bedenkt, dass viele Komponenten mit denen des elektrischen i7 der Konzernmutter BMW übereinstimmen dürften. Dafür hat man dann die Wahl zwischen einer ganzen Reihe von flamboyanten Farbgebungen mit fantasievollen Bezeichnungen, die von Morganite (Altrosa) über Tempest Grey (ein mattes Hellgrau) bis Gunmetal (ein Anthrazitton mit irisierender Körnung, der tatsächlich einer Hightech-Waffe gleicht) reichen. Zudem bietet Rolls-Royce zweifarbige Lackierungen an, die in bestimmten Teilen der Welt, darunter in China und auf der Arabischen Halbinsel, offenbar als Inbegriff von Luxuriösität gelten. Dabei trifft „Salamanca Blue“ auf „Arctic White“ oder „Imperial Jade“ auf „Black Diamond“. In der Farbpalette fehlt eigentlich nur ein knalliges Orange, wie es militante Klimaaktivisten zuletzt auf Sylt verwendeten, um damit einen Privatjet und eine Boutique in Kampen zu beschmieren und dadurch den verschwenderischen Lebensstil der sogenannten Superreichen anzuprangern – aber auch das kann man sich als Sonderlackierung von der Bespoke-Abteilung des Herstellers anmischen lassen. T Die Teilnahme an dem Fahrevent wurde unterstützt von Rolls-Royce. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit ROLLS-ROYCE MOTORCARS WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 SEITE 49 STIL & REISEN D ie Sonne versinkt als orangefarbener Ball im Meer, am Strand von Ostia teilen sich tätowierte Männer in Aussibum-Badehosen schlampig gedrehte Joints, Eltern kriegen ihre Kinder nicht aus dem Wasser und bestellen stattdessen Campari Spritz an der Strandbar „Siete Cieli“ (auf Deutsch und zu Recht: siebter Himmel), zwei drahtige Damen spielen Beachball auf schwindelerregendem Niveau. Und das Licht ist so perfekt – wenn jetzt die Zeit stehen bliebe, würden unsere Körper wie Bronzestatuen aussehen. Leider ist da auch dieser Labrador in der trügerischen Farbe Cremeweiß. Er ist an der Leine eines offenbar überforderten Mädchens, die er mit einem Ruck hinter sich herschleifen könnte. Er tut es nicht, aber er starrt und schickt seine Angriffslust mit der Abendbrise zu uns rüber. Und Jack flippt aus. Sein Rückenfell steht senkrecht, er knurrt kurz aus der Tiefe seines muskulösen Brustkorbs, er springt bellend auf, reißt an der Leine und will zu seinem Herausforderer stürzen. Ich habe, glaube ich, schon beschrieben, dass Kampfspiele unter Hunden zuweilen erschreckend wüst aussehen und ich jedes Mal froh bin, wenn beide heil wieder rauskommen. Aber das hier sieht ernst aus. Befehle und dominante Körpersprache kommen nicht mehr bei ihm an. Im Gegenteil: Jack ist so in Rage, fast könnte man glauben, er würde mich einfach aus dem Weg beißen. Ich reiße ihn an der Leine ein paar Meter aus der Kampfzone und bin wieder mal verblüfft, wie schnell seine Wut verraucht. Er schaut noch ein paar Mal prüfend Richtung Labrador, aber lässt sich gern ablenken von einem Strandgast, der ihn streichelt und mit Komplimenten überschüttet. Alles wieder okay? Fast. Von jetzt an genieße ich den idyllischen Abend mit erhöhter Alarmbereitschaft. Verwirrender Nebenaspekt: In der Nähe spielt eine Frau mit ihrer Pudelfamilie. Die Hunde jagen in der Gischt nach einem Ball, überschlagen sich dabei und machen Luftsprünge der Lebensfreude. Wenn ich ein Artgenosse wäre, würde ich da unbedingt mitmachen wollen. Jack aber schaut nur prüfend rüber – grundsätzlich entgeht ihm wenig – und wendet sich hochmütig ab. Warum der eine Hund ihn zur Weißglut triggert und andere nicht einmal zum Spiel, bleibt mir ein Rätsel. Nun gibt es Experten, die sagen: Diese Wutanfälle sind in Wirklichkeit Ausdruck von Angst. Der Hund bellt und droht, weil er sich fürchtet. Mir ist das zu positivistisch. Jack ist ein Tier, aber nicht blöd. Mittlerweile müsste er wissen, dass ein anderer Hund, der angeleint ist, für ihn keine Gefahr darstellt. Ich fürchte (und hoffe), dass es ein anderes Motiv gibt: Er braucht Action. Kampf liegt ihm im Blut. Nachdem er stundenlang im Schatten eines Sonnenschirms gelegen hat, ist so ein nerviger, noch dazu übergewichtiger Labrador das perfekte Ventil. „It is the man inside of me who does the killing“, lautet einer der berühmten Sinnsprüche der Künstlerin Jenny Holzer. Etwas Ähnliches (nur ohne Töten) könnte man über meinen Hund sagen. Wie es aussieht, wenn Jack wirklich Angst hat, sehe ich jeden Morgen, wenn wir viel befahrene Straßen überqueren. Ständige Kontrollblicke, unglaubliche Wachsamkeit, keinerlei Risiko. Ich wünschte, Berliner Verkehrsteilnehmer würden mit der gleichen deeskalierenden Umsicht agieren wie dieser Hund. Ist mein Hund ein Feigling? VON ADRIANO SACK MEIN LEBEN MIT JACK ADRIANO SACK Schon wieder ganz ruhig: Jack nach seinem Wutanfall wegen eines anderen Hundes Das andere Italien: Zwischen Apenningebirge und Adria S. 54/55 © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. 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(Cartier) und Hotels („The Standard“ in Bangkok). Kaum ein anderer Designer verfügt über eine solch überbordende Fantasie und verschmilzt in seiner Arbeit so gekonnt und unterhaltsam Kunst, Design, Dekoration und Illustration. Ein aktuelles Beispiel für dieses Crossover: der Garderobenständer New Monkey, bei dem ein Affe die Basis bildet und eine Stange hält, deren Spitze eine Krone aus Bananen bildet – die Garderobenhaken. Hayons leichter Unmut an diesem Tag schlägt in Begeisterung um, als er über die Kurven des Sofas streicht, auf die akkurate Nahtführung und die komfortable Polsterung des Sitzes hinweist. „Das ist Handwerkskunst auf höchstem Niveau, Techniken aus dem letzten Jahrhundert, die kaum jemand mehr beherrscht. Ein Aufbau mit Holzrahmen, Stahlfedern, verschiedenen Lagen von Schaumstoff“, erklärt der 48-Jährige. Dieses Level an Verarbeitungs-Knowhow hat ihn so beeindruckt, dass er für die große Retrospektive seines Werks, kürzlich in Valencia und ab 22. September in Brüssel zu sehen, einen Vuelta-Sessel in zwei Teile geschnitten hat, um den Besuchern einen Blick in das sonst verborgene aufwendige Innenleben zu ermöglichen. G efertigt hat das Möbel die österreichische Traditionsmanufaktur Wittmann, in fünfter Generation familiengeführt und bekannt für die Fertigung der Möbelentwürfe von Josef Hoffmann, Mitgründer der Wiener Secession und der Wiener Werkstätte. Dessen Sitzmaschine (1905), ein geometrisch-funktionaler, von der Arts-and-Crafts-Bewegung inspirierter Sessel, führte zu der Zusammenarbeit von Jaime Hayon ist unzufrieden. Unzufrieden damit, wie sein Sofa auf dem Messestand platziert ist. Nämlich mit dem Rücken zur Wand. „Es steht hier unJ günstig. Vuelta ist ein Sofa, das man auch von hinten sehen muss. Es ist so gearbeitet, dass man es in die Mitte des Raumes stellen kann“, sagt der spanische Designer und Künstler, den das Magazin „Wallpaper“ zu den einflussreichsten Kreativen des vergangenen Jahrzehnts zählt. In Mailand stellt Hayon die modulare Version des Vuelta-Sofas vor, das aus dem gleichnamigen Sessel – ein so knuffiges wie elegantes Polstermöbel mit runder Grundfläche und halbkreisförmigen Armlehnen – entstanden ist. „Ich bin kein Mann für rechte Winkel.“ VON ANNEMARIE BALLSCHMITER Vuelta gehört zu den zurückhaltenden Objekten im Hayon-Universum, das bevölkert wird von comichaften Tieren, Figuren, Gesichtern, Fabelwesen. Seine Welt ist heiter und voller Energie. Sein Werk reicht von Möbelentwürfen für angesehene Firmen wie Cassina oder Fritz Hansen über dekorative Vasen und Figuren aus Glas und Porzellan für Baccarat oder Lladró bis hin zu Installationen wie das Karussell in den SwarovskiKristallwelten und Interiors für Läden Wittmann und Jaime Hayon. Denn der besaß einige Hoffmann-Stücke und erzählte den Eigentümern bei einer Begegnung, er sei schon immer in die Sitzmaschine verliebt und hätte so gern eine. Diese antworteten: „Dann musst du etwas für uns entwerfen.“ Den Anfang machte dann 2016 der Sessel Vuelta. G ut möglich, dass seine Wittmann-Möbel zu den letzten Produktentwürfen aus der Feder dieses Ausnahmegestalters gehören werden, denn Hayon, der Industriedesign in Madrid und Paris studiert und 2001 sein eigenes Studio gegründet hat, beschreitet seit geraumer Zeit andere kreative Pfade: „Seit fünf Jahren widme ich 80 Prozent meiner Zeit der Malerei.“ Großformatige Öl- und Acrylgemälde. Keine Auftraggeber, keine funktionalen Zwänge. So sei das nicht, stellt Hayon klar: „Ich habe mich niemals äußeren Beschränkungen unterworfen – selbst wenn ich ein Sofa entworfen habe. Viele meiner Entwürfe denke ich als Skulptur. Mein Team sorgt dann für die Umsetzung. Der Aspekt der Produktion interessiert mich heute nicht mehr so sehr. Früher war das anders. Ich habe unheimlich viel gelernt, das war toll. Ich habe die technischen Fähigkeiten, kann extrem präzise sein, aber ich will meine Energie in Zukunft nicht mehr darauf verwenden. Mir geht es auch nicht darum, möglichst viele Entwürfe auf der Messe zu präsentieren.“ Anders als Design-Zampano Philippe Starck, der sich gern damit brüstet, jeden Tag ein Produkt zu entwerfen. „Er ist Designer, ich bin ein Künstler, der im Design gearbeitet hat“, konstatiert er trocken. „Die Malerei ist seit vielen Jahren der Kern meiner Arbeit. Die Welt, die ich in mir habe, ist wirklich groß.“ So groß, dass sie bereits mehr als 400 Skizzenbücher gefüllt hat. Inzwischen vertritt den Maler Jaime Hayon eine renommierte Galerie in Miami, Mindy Solomon. Im April hatte er dort eine große Einzelausstellung, die meisten Werke sind verkauft. Fragt man ihn nach drei Wörtern, die seine kreative Arbeit charakterisieren, nennt er Fantasie, Farbe und Form. Und seine Fantasie ist in der Tat überbordend. Bevölkert von Vögeln, Affen, pinocchioartigen Figuren, Harlekinen, Masken, Blumen. Auch sein Körper dient ihm als Leinwand, unzählige selbstverständlich selbst entworfene Tattoos zieren seine Arme. Welche Künstler haben ihn inspiriert? „Hockney für seinen Gebrauch von Farbe und seine kompositorische Einfachheit. Dalís Verrücktheit, gepaart mit seiner Perfektion und den Dimensionen. Ugo Rondinone für sein Spiel mit Material und Installation.“ Malerei sei Arbeit, viel Arbeit. Vor allem, wenn man, wie er, gleichzeitig an 15 verschiedenen Bildern arbeitet. „Meine Assistenten bereiten die Farben vor. Es sind 27 verschiedene Töne, die wir anmischen. Diese Arbeit mit den Pigmenten ist wie Alchemie, und sie ist wunderschön.“ Er zieht sein Handy aus der Tasche und zeigt ein Bild. Eine clowneske Szene, ein Mann, eine Frau, die Masken fallen. „Ich wollte ein Finish wie alte chinesische Seide. Über solche Sachen diskutiere ich mit meinen Technikern. Wie erzielt man diesen Effekt? Also benutze ich einen speziellen Pinsel, fast wie eine Feder.“ Er scrollt zum nächsten Bild: „Dieses hier hat ein wichtiger Kunstsammler gekauft, John Marquez aus Miami.“ E s ist fast rührend, wie dieser Mann, der so ziemlich jeden Preis abgeräumt hat, den es in der Designwelt gibt, und dessen Entwürfe in den bedeutendsten Designmuseen rund um den Globus vertreten sind, wie diese kreative Urgewalt nach Anerkennung aus der Kunstwelt strebt, seinen Platz finden und behaupten will. Dabei gibt es eigentlich keinen Zweifel, dass er das schaffen wird. „Ich lerne jeden Tag ein bisschen mehr darüber, wie die Kunstwelt funktioniert. Und das macht Spaß.“ Auch wenn er sich aus dem Produktdesign so gut wie verabschiedet hat: Interiors gestaltet er weiterhin mit seinem Studio, das Standorte im spanischen Valencia und im norditalienischen Treviso hat. „Wenn man Interiors gestaltet, fühlt man sich fast wie ein Künstler. Ein Raum muss dir ein Wow geben. Wenn man die Fähigkeit und die Möglichkeit hat, eine Welt zu erschaffen, wird es interessant.“ Sein neuestes Projekt ist das „Battersea Art’otel“ in einem ehemaligen Londoner Kraftwerk, das im Februar eröffnet hat. Eine ganz eigene Welt. Er will doch nur malen Kaum ein anderer Designer arbeitet so fantasievoll und unterhaltsam wie Jaime Hayon. Doch das reicht ihm nicht. Jetzt strebt er nach Anerkennung als Künstler Jaime Hayon zu Hause in Valencia. Rechts Vasen für BD Barcelona und Maison Matisse. In der Hand eines seiner über 400 Skizzenbücher JOSEPH FOX Möbelgewordener Spaß: Garderobenständer New Monkey für BD Barcelona Gemälde „Think Talk Pose“ (2023), Mindy Solomon Gallery, Miami MINDY SALOMON GALLERY/ ZACHARY BALBER BD BARCELONA DESIGN WITTMANN Weiterentwicklung: Den Sessel Vuelta (Wittmann) gibt es seit Kurzem auch als modulares Sofa 50 STIL WELT AM SONNTAG NR. 29 16. JULI 2023 Werden fliegende Autos nun bald wirklich Realität? Das Start-up Alef Aeronautic, das von Elon Musks SpaceX unterstützt wird, hat als erstes Unternehmen in der Geschichte eine Genehmigung von der Federal Aviation Administration (FAA), der Bundesluftfahrtbehörde in den USA für den Test seines Models A erhalten – ein fliegendes Elektroauto. Zugelassene Höchstgeschwindigkeit beim Fahren sind 40 Stundenkilomter, das Flugmobil soll rund 300.000 Dollar kosten. „Ein kleiner Schritt für Flugzeuge, ein großer Schritt für Autos“, sagt der CEO Jim Dukhovny. HUND IM TEDDYFELL Das Beauty-Geheimnis diverser Models? Schlaf, ganz viel Schlaf. Damit man auch unterwegs mal kurz wegnicken kann, hat der britische Designer Jonathan Anderson jetzt eine Tasche entworfen, die auf den ersten Blick einem Kissen gleicht. Für seine Marke JW Anderson mag er es witzig – kürzlich stellte er Clogs in Frosch-Optik vor. Die Cushion Clutch Bag mit Kunststoffbezug ist mit federleichtem Polyester gefüttert und dem Schriftzug „keep away from fire“ versehen. Hab und Gut sind also sicher verstaut, wenn man wegdämmert. Möglicherweise stehen dann nur die Haare nach dem Nickerchen zu Berge. 690 Dollar. Der Hype um die Moonswatch, eine künstlich verknappte Plastikversion der Omega Speedmaster, nimmt kein Ende. Erst kürzlich ließen sich die Uhrmacher einen vergoldeten Sekundenzeiger einfallen. Weil es sich um MondscheinGold handelt, war die Uhr nur zu Vollmond erhältlich. Jetzt wird es richtig absurd: Ein mit Erdbeeren bedruckter Sekundenzeiger wurde unter dem Einfluss des Erdbeermondes im Juni gefertigt. 270 Euro. In Aylesbury, Hauptstadt der englischen Grafschaft Buckinghamshire, zwischen Oxford und London, steht neuerdings eine gigantische Hochzeitstorte auf dem Gelände von Schloss Waddesdon. Es handelt sich um eine begehbare Skulptur der portugiesischen Künstlerin Joana Vasconcelos, die von der Rothschild Foundation in Auftrag gegeben wurde. Der „Wedding Cake“ ist zwölf Meter hoch, dreistöckig und mit Tausenden pastellig glasierten und mit Ornamenten versehenen Keramikfliesen geschmückt. Man kann den Kuchen auch besuchen (bis 26. Oktober). Und seine Hochzeit darin feiern. SWATCH ZUSAMMENGESTELLT VON MARIA-ANTONIA GERSTMEYER HIGH 5: STIL-TIPPS DER WOCHE KURZ ABGEHOBEN SCHÖN GEMÜTLICH HYPE ANHEIZEN KUCHEN BESUCHEN Der US-amerikanische Fotograf William Wegman inszeniert seit Jahrzehnten Hunde in schicker Kleidung. Beim Casting geht er nicht gerade divers vor: Ihm kommen nur Weimaraner vor die Linse. Schon 2001 hat er mit Max Mara zusammengearbeitet. Damals stand der Mantel 101801 im Mittelpunkt des Projekts „Dogs in Coats“. Jetzt hat Wegman den Hunden den TeddyCoat übergestreift. Fotos davon finden sich auch auf bedruckten T-Shirts und Hoodies. Ab 250 Euro. ALEF AERONAUTICS JW ANDERSON WILLIAM WEGMAN CPUK/AVALON/PHOTOSHOT/PICTURE ALLIANCE; VG BILDKUNST BONN © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. 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