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Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover

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Published by alumni, 2020-12-03 08:42:10

Unimagazin 1/2_2017 Aufarbeitung und Gedenken

Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover

Dem persönlichen und wissenschaftlichen Angedenken der Hochschulmitglieder
und -angehörigen, die ab 1933 Opfer NS-bedingter Unrechtsmaßnahmen der
Technischen Hochschule Hannover waren

Biernath, Rudolf Student · Birmann, Gert Student · Brauns, Wolf Student · Carsten, Albert Dr.-Ing. E. h.
Dernedde, Wolfgang Assistent · Dirscherl, Wilhelm Privatdozent · Dorner, Alexander ao. Professor
Dux, Walter Dr.-Ing. · Eichengrün, Arthur Dr.-Ing. E. h. · Flachsbart, Otto o. Professor · Fraenkel, Stefan
Student · Friedburg, Helmut Student · Führer, Otto Student · Fröhlich, Klaus Student · Geissler, Otto
o. Professor · Ginsberg, Max Student · Hoffmann, Friedrich Student · Kempf, Johannes Student
Kirchhof, Franz Student · Klüsener, Otto ao. Professor · Krone, Max Dr.-Ing. E. h., Ehrenbürger
Kröning, Willy Karl Student · Kroupa, Jaroslav Student · Krug, Willi Privatdozent · Kulka, Hugo
Honorarprofessor · Lessing, Rudolf Student · Lessing, Theodor ao. Professor · Levi, Fritz Student
Levi, Hans Werner Student · Lilienfeld, Erich Student · Lilienfeld, Werner Student · Lutz, Friedrich
Privatdozent · Mautner, Kurt Student · Mewes, Hermann Student, Assistent · Michaelis, Hermann Student
Nezval, Ladislav Student · Nörrenberg-Sudhaus, Walter Student · Noske, Gustav Ehrenbürger
Ostermeyer, Günter Student · Otto, Kurt Student · Passarge, Georg Student · Plaut, Helene Studentin
Roeder, Wolfgang Student · Rohr, Joachim Student · Rubo, Ernst Student · Samuel, Erich Student
Sander, Helmut Student · Schäfer, Heinz Student · Scharlibbe, Otto Student · Schiemann, Günther
Privatdozent · Schwarzer, Alfred Student · Seitz, Urte Studentin · Siepmann, Harald Student
Slawinski, Friedrich Student · Spangenthal, Hans-Friedrich Student · Staskiewiecz, Alfred Student
Teusch, Heinz Student · Vierthaler, Ludwig Honorarprofessor · Weil, Ulrich Student · Weiß, Herbert
Student · Wichert, Ulrich Student · Wohlwill, Andreas Student · Woldt, Richard Lehrbeauftragter

Leibniz Universität Hannover 2015

13. Kautschuk-Herbst-Kolloquium

6.–8. November 2018

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unimagazin • ausgabe 1|2–2017 leibniz universität hannover

Editorial

liebe leserin, lieber leser,

die Leibniz Universität ist hin- Geschichtswissenschaft ist unt­ erschiedliche Richtungen zu erzielen, hat das Institut
sichtlich der Aufarbeitung der imm­ er auch ein Spiegel der einschlugen. seit dem 16. November 2016
NS-Vergangenheit sicherlich gesellschaftspolitischen Lage die Denomination Ludwig-
keine Vorreiterin, ganz im und bringt eigene Strömungen Der Beitrag von vier Studie- Franzius-Institut für Wasser-
­Gegenteil. Viele Hochschulen und Trends hervor. Ein Inter- renden präsentiert schließlich bau, Ästuar- und Küsteninge-
haben sich vielmehr bereits view mit Professorin Adelheid ausgewählte Ergebnisse eines nieurwesen. In Hinblick auf
früher mit dem dunkelsten von Saldern, dem Universi- Forschungsseminars und den ehemaligen Rektor Pestel
Kapitel ihrer Geschichte in tätspräsidenten a.D. Professor macht deutlich, dass es weiter- wurde eine gemeinschaftliche
vielfältiger Weise auseinander- Erich Barke und den Mitglie- hin Aspekte und Themen gibt, Erklärung mit der Deutschen
gesetzt. Daher ist dem vor­ dern der Senatsarbeitsgruppe die noch unerforscht sind. Technion Gesellschaft heraus-
herigen Präsidium zu danken, Professor Holger Butenschön ­Abschließend geht es um die gegeben in welcher sich die
dass es die Aufarbeitung der und Professor Michele Barri- Interpretation der NS-Vergan- Universität mit aller Deutlich-
Rolle unserer Universität bzw. celli beleuchtet die Anfänge, genheit an der Technischen keit von antisemitischen Äu-
ihrer Vorgängerinstitution in die Schwierigkeiten und den Hochschule Hannover nach ßerungen Eduard Pestels wäh-
der Zeit des Nationalsozialis- Verlauf der Aufarbeitung an 1945 sowie um das Thema rend der NS-Zeit distanziert.
mus im Jahr 2011 endlich unserer Universität und bettet »Universitäten und Erinne-
­angegangen ist. Eine dafür sie in die Entwicklung der Ge- rungskultur«. Der Weg ist für die Leibniz
e­ igens zusammengesetzte schichtswissenschaft ein. Uni­versität hier nicht zu Ende:
­Senatsarbeitsgruppe sichtete Dass die Aufarbeitung der Selbstkritische Betrachtung
über einen Zeitraum von fast Die Geschichte der NS-Zeit Geschichte einer Institution und Aufarbeitung der eigenen
fünf Jahren in akribischer Wei- beginnt nicht erst im Jahr 1933: auch nach langer Zeit noch Vergangenheit bleiben weiter-
se Literatur und Archive und Das belegen die ersten vier wirksam werden kann, zeigt hin unsere Aufgabe.
erhob mit großer wissenschaft- Beiträge dieses Magazins, die die Reaktion der Leibniz
licher Expertise die am Ende sich mit der politischen Ein- U­ niversität auf die die For- Ihr
in der Publikation »National- stellung von Professoren und schungsergebnisse zu zwei
sozialistische Unrechtsmaß- Studenten sowie der Bedeu- ehem­ aligen Rektoren der Prof. Dr. Volker Epping
nahmen an der Technischen tung des Hochschulsports Techn­ ischen Hochschule Han- Präsident der
Hochschule – Beeinträchtigun- ­beschäftigen. Dabei kann der nover: Professor Otto Fran­ Leibniz Universität Hannover
gen und Begünstigungen von weithin bekannte Fall der zius, dem früheren Namensge-
1933 bis 1945« niedergelegten V­ ertreibung von Professor ber des Instituts für Wasserbau
Befunde. Dabei konnte die Theodor Lessing im Jahr 1925 und Rektor von 1933 bis 1934
Arb­ eitsgruppe sich auf eine durchaus als Auftakt für die sowie Professor Eduard Pestel
Reihe thematisch einschlägiger Zeit nach 1933 gelten. Die (Mechanik und Regelungs-
Forschungsarbeiten in Form ­folgenden zwei in einer Publi- technik), Rektor von 1969 bis
von Dissertationen und Mas- kation bereits ausführlich ver­ 1970 sowie Minister für Wis-
terarbeiten stützen, die bereits öffentlichten Berichte der senschaft und Kunst des Lan-
vorlagen und mit ihrer Arbeit ­Senatsarbeitsgruppe befassen des Niedersachsen (1977 bis
noch vorhandene Lücken sich mit den »Beeinträchtigun- 1981) sowie ehemaliger Direk-
schließen. gen und Begünstigungen von tor der Technion Gesellschaft.
1933 bis 1945«. Hier haben die Befunde zu
Das vorliegende Magazin deutlichen Maßnahmen der
möchte dem Lesenden somit Mit dem Kunsthistoriker Leibniz Universität geführt:
eine Art komprimierte Zwi- ­Alexander Dorner und dem Um eine eindeutige Distan­
schenbilanz der wissenschaft- Maschinenbauingenieur Wer- zierung zu Otto Franzius und
lichen Auseinandersetzung ner Osenberg stehen schließ- vor allem um eine Unmiss­
mit der Rolle der Technischen lich zwei Professoren im Mit- verständlichkeit hinsichtlich
Hochschule Hannover im Na- telpunkt, deren Lebensläufe der Zusammenhänge in der
tionalsozialismus anbieten. während der NS-Zeit ganz Namensgebung des Instituts

1

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unimagazin • ausgabe 1|2–2017 impressum • inhaltsverzeichnis

Aufarbeitung und Gedenken

Die Technische Hochschule Hannover im Nationalsozialismus

Unimagazin 4 ������ »Aufarbeitung ist nichts, was man einmal Michael Jung
Forschungsmagazin der Leibniz macht und dann abschließt« Institut für Didaktik der Demokratie
Universität Hann­ over • ISSN 1616-4075 Interview zur Auseinandersetzung mit der 38 ���� Wissenschaft als Waffe
NS-Zeit an der Leibniz Universität Der Maschinenbau-Ingenieur
Herausgeber Werner Osenberg
Das Präsidium der Leibniz Universität 8 ������ Die Technische Hochschule Hannover
Hannover Vorläuferin der Christian-Alexander Wäldner
Leibniz Universität Hannover Historiker
Redaktion 42 ���� Zwangsarbeit und das Langemarck-Studium
Monika Wegener (Leitung), Michael Jung Zwei fast vergessene Aspekte
Dr. Anette Schröder Institut für Didaktik der Demokratie der NS-Vergangenheit der TH Hannover
10 ���� »Schon immer vaterländisch und völkisch
Anschrift der Redaktion eingestellt« Detlef Schmiechen-Ackermann |
Leibniz Universität Hannover Die Professoren der TH Hannover und der Greta Henze | Marius Lahme |
Alumnibüro National­sozialism­ us Dominik Docker
Welfengarten 1 Historisches Seminar
D–30167 Hannover Elke-Vera Kotowski 46 ���� Akten-Arbeit
Moses Mendelssohn Zentrum der Studierende erforschen die Geschichte
Anzeigenverwaltung / Herstellung Universität Potsdam ihrer Universität in der NS-Zeit
ALPHA Informationsgesellschaft mbH 14 ���� »… nicht würdig, ein Mitglied des
Finkenstr. 10 akademischen Lehrkörpers zu sein.« Jan Heinemann
D–68623 Lampertheim Ein Rückblick auf den »Fall Lessing« Historisches Seminar
Telefon: 06206 939-0 50 ���� Jagd auf »Kommunisten-Otto«
Telefax: 06206 939-232 Anette Schröder Die Verfolgung politisch diskriminierter
Internet: www.alphapublic.de Historikerin /  Alumnibüro Studierender nach 1933
18 ���� Am Ende erfolgreich
Verkaufsleitung Der NS-Studentenbund an der Frauke Steffens
Peter Asel TH Hannover Historikerin /  Journalistin
Telefon: 06206 939-0 54 ���� »Unpolitische Wissenschaft«
Telefax: 06206 939-221 Rita Seidel Die Interpretation der NS-Vergangenheit
E-Mail: [email protected] Institut für Didaktik der Demokratie an der TH Hannover nach 1945
22 ���� Hochschulsport an der TH Hannover
Titelabbildung Vom Wilhelminischen Reich zum National- Michele Barricelli
Anne-Kathrin Ittmann, Referat für sozialismus Historisches Seminar der
Kommunikation und Marketing Ludwig-Maximilians-Universität München
Holger Butenschön 58 ���� Universitäten und Erinnerungskultur
Das Forschungsmagazin Unimagazin Institut für Organische Chemie Verstrickung, Verantwortung
erscheint zweimal im Jahr. Nachdruck 26 ���� Nationalsozialistisches Unrecht und Gedenken
einzelner Artikel, auch auszugsweise, an der TH Hannover
nur mit Genehmigung der Redaktion. Erster Bericht der Senatsarbeitsgruppe 62 ���� Gemeinsame Erklärung
Für den Inhalt der Beiträge sind die der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität
jewei­ligen Autoren verantwortlich. Michael Jung Hannover und der Deutschen Technion-
Institut für Didaktik der Demokratie Gesellschaft e.V. zu Eduard Pestel
30 ���� Begünstigungen an der TH Hannover
zwischen 1933 und 1945 Mechtild von Münchhausen
Zweiter Bericht der Senatsarbeitsgruppe Referat für Kommunikation und Marketing
64 ���� Aufarbeitung und Gedenken sichtbar
Ines Katenhusen machen
Historikerin /  Präsidialstab
34 ���� Unangepasst und politisch unzuverlässig 66 ���� Personalia und Preise
Die Causa Alexander Dorner

3

AufArbeitung und gedenken leibniz universität hannover

»Aufarbeitung ist nichts, was man
einmal macht und dann abschließt«

interview zur auseinandersetzung mit der ns­zeit an der leibniz universität

die Aufarbeitung der nS-Zeit ist für jede institution eine
schwierige Herausforderung und kann zu unangenehmen
erkenntnissen führen. doch wie kam es eigentlich an der
Leibniz universität zu einem solchen Prozess? Was musste
geschehen, damit aus dem Anstoß einzelner ein Anliegen
wurde, das die Leibniz universität sich zu eigen machte und
vorantrieb? Welche Akteure waren beteiligt und welche
Voraussetzungen mussten erfüllt sein, damit eine solche Auf-
arbeitung umgesetzt werden konnte? LeibnizCampus hat
Prof. Adelheid von Saldern, Prof. erich barke, Prof. Holger
butenschön und Prof. Michele barricelli eingeladen, um in
einem gespräch die Anfänge, die Widerstände und den
Verlauf der Aufarbeitung an der Leibniz universität zu be-
leuchten.

Frau Prof. von Saldern, Sie waren bis 2004 Professorin für Prof. dr. Adelheid von Saldern, Jahrgang 1938, war
Neuere Geschichte am Historischen Seminar und haben mehrere von 1978 bis 2004 Professorin für neuere geschich-
Dissertationen zur NS­Zeit an der TH Hannover initiiert und be­ te an der Leibniz universität. Auf ihre initiative hin
treut. Wie haben Sie die Anfänge in Erinnerung? entstanden seit ende der 90er zwei dissertationen
zur nS-Zeit an der tH Hannover.
von Saldern: Man muss die entwicklung der Geschichtswissen­
schaft vor augen haben, um zu verstehen, wie die auseinander­ Die Festschrift zum 175­jährigen Bestehen der Universität, die
setzung begann: in den 70er Jahren standen die großen theorien 2006 erschien, enthielt einen ausführlichen Beitrag zur NS­Zeit.
im Fokus: Faschismustheorie, Demokratietheorie, totalitarismus­ War dies bereits ein Bekenntnis der Universität oder musste dies
theorie. in den 80er Jahren fächerte sich das themenfeld dann gegen Widerstände durchgesetzt werden?
auf. zum beispiel die alltagsgeschichte, »grabe wo du stehst«:
Da wurde plötzlich das nahe umfeld bedeutsamer. Für die ns­ von Saldern: es war damals selbstverständlich, dass wir einen
Geschichtsschreibung hieß dies, dass man nicht nur die »top­ ausführlichen beitrag zu diesem thema für die Festschrift mach­
täter« und »top­opfer« sowie die Widerständler betrachtete, ten. Das Präsidium hat auch die zwei Dissertationen, die sich um
sondern dass man die schuldfrage erweiterte und nach Mitver­ die studierenden beziehungsweise über die th in der zeit von
antwortlichkeiten suchte. Danach hat sich ­ erstaunlicherweise 1945­1956 drehten, freudvoll finanziert.
erst in den 90er Jahren ­ die Wissenschafts­ und universitäts­
geschichte institutionalisiert und professionalisiert. unser eigenes barke: Das war durch das vorherige Präsidium unter ludwig
universitätsarchiv wurde erst 1986 gegründet. Das bedeutet, schätzl schon angestoßen worden, ich war dann ab 2005 Präsi­
dass die Quellen zuvor schwer zugänglich waren. Dieser hinter­ dent. ich kam aus der elektrotechnik und kannte die universität
grund ist wichtig, um zu verstehen, warum die ns­Forschung damals nicht sehr gut. ich wusste auch nicht, dass sich das histo­
über die technische hochschule hannover erst in den 90er Jahren rische seminar mit der ns­zeit an der th hannover auseinander­
zum Durchbruch kam. Daniela Münkel versuchte in den neun­ gesetzt hatte. es gab keine impulse. Deswegen hat mich das
zigern als erste systematisch aufzuschlüsseln, welche archivalien thema damals inhaltlich gar nicht richtig erreicht. Wenn nur eine
im niedersächsischen hauptstaatsarchiv und an der leibniz uni­ der seiten die initiative ergriffen hätte, dann wären sicherlich viel
versität überhaupt vorhanden waren. Michael Jung begann dann früher anstrengungen unternommen worden, die aufarbeitung
ebenfalls in den neunzigern mit der Dissertation über die th in auf ein ganz anderes level zu heben. ich wurde erst auf das the­
der ns­zeit. zeitlich davor, in den achtzigern, lag natürlich noch
rainer Marwedels biografie über den jüdischen Philosophie­
professor theodor lessing, der 1925/26 von der technischen
hochschule vertrieben und 1933 im heutigen tschechien ermor­
det wurde.

4

AufArbeitung und gedenken leibniz universität hannover

ma aufmerksam, als alexander Wäldner bei mir vorstellig wurde, hinzuziehen sowie lars nebelung als leiter des universitätsarchivs.
der an einer Masterarbeit über den entzug akademischer titel es war hochinteressant zu sehen, wie unterschiedlich diese leute
während der ns­zeit an der technischen hochschule arbeitete. argumentieren.
Das war meine erste begegnung mit dem thema. ich war sehr
überrascht, stieß dann auf die Dissertationen von anette schröder von Saldern: haben sie den eindruck, dass es in den neunzigern
und Frauke steffens und die noch ausstehende von Michael Jung. bei den instituten eine zurückhaltung gab in hinblick auf die Öff­
Dann haben wir im senat darüber gesprochen – das war aus mei­ nung von akten und die Weitergabe ans archiv?
ner sicht der nächste schritt. und sofort war allen klar, da gab es
butenschön: ich weiß gar nicht, ob den institutsleitungen damals
klar war, dass wir ein archiv haben. und dass gefragt werden
muss, ob akten von interesse sind oder ob sie entsorgt werden
dürfen.

von Saldern: aber da hätte das Präsidium Druck ausüben und
eine Öffentlichkeit schaffen müssen, das wäre eigentlich die auf­
gabe des Präsidiums gewesen.

barke: Da bin ich ganz bei ihnen.

barricelli: aber das spätere Präsidium hat etwas anderes getan:
Gleichzeitig mit der einsetzung der Kommission 2011 hat es eine
stelle im historischen seminar eingerichtet. eine volle stelle zur

Prof. dr.-ing. erich barke, Jahrgang 1946, war seit
1992 Professor für Mikroelektronische Systeme an
der Leibniz universität. Von 2005 bis 2014 war er
Präsident der Leibniz universität und hat die Auf-
arbeitung der nS-Zeit maßgeblich unterstützt.

auch gar kein zögern, dass etwas geschehen muss. Das hat sich
der senat zu eigen gemacht und im Jahr 2011 diese arbeitsgruppe
eingerichtet, mit dem auftrag, sich die beeinträchtigungen und
begünstigungen während der ns­zeit anzusehen.

Eine Senatsarbeitsgruppe damit zu betrauen, war das ein Prof. dr. Holger butenschön, Jahrgang 1953, ist seit
naheliegendes Vorgehen? 1993 Professor für Organische Chemie an der Leibniz
universität und seit 2011 Mitglied und Sprecher des
barke: aus meiner sicht war es ausgesprochen naheliegend, dass Senats und Leiter der Senatsarbeitsgruppe zur Auf-
man es jetzt nicht zurückdelegiert in das historische seminar, arbeitung der nS-Zeit an der tH Hannover.
sondern das thema aus ganz unterschiedlichen blickwinkeln be­
trachtet. erforschung der ns­Geschichte der th hannover, eine hälfte ist
dann mit alexander Wäldner besetzt worden, die andere hälfte
butenschön: Die besetzung sollte übergreifend sein, außerdem mit shaun hermel zum thema verwaltungshandeln in der ns­
musste auch jemand aus dem senat dabei sein. ich fand das the­ zeit. im rahmen dieser Forschungen wurde dann an die institute
ma wichtig und habe mich deswegen zur verfügung gestellt. und Fakultäten herangetreten und um archivalien und Mitarbeit
außerdem waren Jörg­Detlef Kühne dabei, ein Jurist, Michele bar­ gebeten. beide arbeiten sind leider noch nicht abgeschlossen
ricelli als historiker, Joachim Perels als Politologe sowie alexander worden.
Wäldner. schnell wurde klar, dass wir Michael Jung, der noch an
der Dissertation schrieb und über große Fachkenntnisse verfügt,

5

AufArbeitung und gedenken leibniz universität hannover

Was war denn das Überraschendste, was die Untersuchung zu schule in verbindung standen. sie wirkten oder forschten oft wo­
Tage gefördert hat? anders, haben sich aber in hannover angesiedelt oder engagiert,
sind als Wissenschaftler oder Wohltäter der hochschule hervor­
butenschön: Das schicksal des Physik­studenten Klaus Fröhlich, getreten und wurden dafür geehrt. aber da ist nicht nur die Frage
der, weil er sein zeugnis nicht ausgehändigt bekommen hatte, der Überlieferung, sondern auch die der Wertung. Wir haben zum
in letzter Konsequenz im Kz buchenwald ermordet wurde. Das beispiel den Fall des reichsbahn­ und Ministerialdirektors im
war vorher nicht bekannt. Klaus Fröhlich konnte ohne das zeug­ reichsverkehrsministerium Werner bergmann untersucht. Das
nis nicht emigrieren, obwohl er schon eine zusage für ein studium klingt zunächst harmlos. Die reichsbahn hat aber wesentlich zur
in harvard hatte. aus schikane ist ihm das zeugnis verweigert ermöglichung des holocaust beigetragen. Während des Krieges
worden. Das hat mich sehr aufgewühlt und das halte ich für machten bald die Deportationszüge, die zwangsarbeiter­ und
den wichtigsten befund. zu der zeit haben wir angefangen, da­ Wehrmachtstransporte den allergrößten teil des gesamten bahn­
rüber nachzudenken, wie wir inhaltlich mit den ergebnissen um­ verkehrs aus. bergmann hatte zwar von der aktenlage her nicht
gehen. direkt mit der steuerung von Krieg und völkermord zu tun, aber

barke: als Präsident war ich dank des leiters der senats­aG, Prof. dr. Michele barricelli, Jahrgang 1966, war von
herrn butenschön, immer auf dem laufenden über die erkennt­ 2009 bis 2016 Professor für didaktik der geschichte
nisse der Kommission. Je länger es dauerte, desto mehr hat sich an der Leibniz universität, seit 2016 lehrt er an der
bei mir auch, ich bitte dies nicht misszuverstehen, eine gewisse LMu München. er war Mitglied der Senatsarbeits-
erleichterung breit gemacht, weil ich vor der aufarbeitung be­ gruppe.
fürchtet hatte, dass alles noch viel schlimmer wäre. Die zahl der
wirklich schlimmen Fälle ist ja nicht allzu groß. er muss von der bedeutung seines rads im Getriebe gewusst ha­
ben. Wie sind diese Menschen einzuschätzen, wie gehen wir damit
von Saldern: Wie schätzen sie denn die Quellensituation ein? um? aberkennen können wir ohnehin nichts mehr, denn akademi­
sche ehrenwürden erlöschen generell mit dem tode.
barricelli: Wir können tatsächlich davon ausgehen, dass wir den
allergrößten teil, also wahrscheinlich alle opfer und auch alle von Saldern: beim aufzeigen dieser Grauzonen ist die Ge­
»täter«, jetzt benannt haben. es ist kaum mehr damit zu rechnen, schichtsforschung ja sehr vorangekommen. es wird nicht mehr
dass noch ein großer Fall auftaucht, denn das wäre systematisch nur nach schwarz oder weiß, gut oder böse geschaut, sondern
schwer zu erklären. Wir haben die einschlägigen studentenakten, es werden die Widersprüche, die in den individuen oder Gruppen
wir haben die n­Matrikelnummern (anmerkung: n stand für selber liegen, herausgearbeitet, um zu zeigen, dass allein be­
nicht­arier) gesichtet. Wir haben zum teil auch eine zweit­ und stimmte tätigkeiten – wie beispielsweise bei der reichsbahn – zu
Drittüberlieferung, wir haben den reichsanzeiger. Die technische einer stabilisierung des systems beigetragen haben und dass es
hochschule verstand sich schon in den zwanziger Jahren als eine Mitverantwortung gab, jenseits von schuldfragen.
deutschnationale, konservative hochschule. hier sind daher so gut
wie keine Juden eingestellt worden, weder auf Dozenturen noch butenschön: auch das thema zwangsarbeiter stand außer­
im Mittelbau oder in der verwaltung. Dementsprechend gab es halb des auftrags der arbeitsgruppe und muss noch bearbeitet
auch nur sehr wenige hochschulangehörige, die nach Januar 1933 werden.
entlassen wurden. Das ist eine völlig andere lage als etwa in Göt­
tingen. außer mit der ideologischen ausrichtung der hochschule
hat dies auch etwas mit der Fächerstruktur zu tun; technische
Fächer, ingenieurwissenschaftliche Fächer wurden traditionell
eher selten von jüdischen Deutschen studiert und sind dann auch
nur selten von ihnen an der hochschule vertreten worden.

butenschön: Wir haben uns bisher auf unser archiv beschränkt.
Was nicht berücksichtigt werden konnte, sind Quellen aus ande­
ren archiven. Wenn 1952 ein Kollege hierher berufen worden ist,
und man untersuchen möchte, ob er dunkle Flecken in seiner
vergangenheit hatte, dann müsste man alle seine stationen kon­
taktieren und dort in die archive gehen und die Personalakten
sichten. Das ist eine ganz andere aufgabe.

barricelli: ein ähnliches Problem haben wir mit »unseren« be­
günstigten. Die ehrendoktoren, ehrenbürger und ehrensenatoren
sind zwar namentlich alle bekannt. aber deren biografie mussten
wir anderweitig eruieren. von denen gibt es zwar auch eine akte,
aber das sind Personen, die nicht ausschließlich mit der hoch­

6

Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

Wo stehen wir im Vergleich zu anderen Universitäten mit der Und wenn wir das jetzt in die Gegenwart tragen, etwa in Be­
Aufarbeitung und der Erinnerungskultur? zug auf Minderheiten?

von Saldern: Mit den traditionellen Universitäten kann man uns Barricelli: Universitäten sind immer Kollektive gewesen – das ist
aus verschiedenen Gründen nicht vergleichen, weil Technik­ ja schon in ihrem Namen enthalten – die von Diversität und Hete­
geschichte sich eben etwas schwieriger für Historiker erschließt rogenität geprägt waren. Sie waren immer polyglott. Einerseits
als Philosophie oder Geisteswissenschaften, die in den sehr alten aus rein praktischen Gründen, denn hier werden die jungen Men­
Universitäten sehr viel stärker verankert sind als hier. Unter den schen ausgebildet, die später einmal die Eliten der Gesellschaft
Technischen Hochschulen würde ich uns im oberen Mittelfeld sein werden. Am erfolgreichsten wird sein, wer sich nicht auf ein­
platzieren. zelne Milieus und soziale Schichten beschränkt, sondern auf best­
mögliche intellektuelle und kulturelle Durchmischung setzt. Auf
Butenschön: Die Einbeziehung von Studierenden oder auch die der anderen Seite sind Universitäten heute so global und vernetzt,
Bearbeitung von Begünstigungen ist ziemlich einmalig, dies wurde dass es völlig undenkbar ist, dass Schutz, Anerkennung und Un­
an anderen Hochschulen
nicht so aufgearbeitet.

Barricelli: Ja, das ist richtig.
Die Leibniz Universität war
unter den Technischen Uni­
versitäten nicht die erste,
da gibt es an­dere große Bei­
spiele wie die TU Berlin oder
die TU Darmstadt. Aber Er­
innerungskultur muss aus
dem Inneren einer Einrich­
tung heraus als ­Bedürfnis
formuliert werden, sich der
Vergangen­heit vergewissern
zu ­wollen. Es ist schwierig,
jemanden zu zwingen, seine
eigene Geschichte aufzu­
arbeiten. In Deutschl­and
gibt es immerhin einen
­gewissen Druck auf alle
Institut­ionen, die damals
schon existierten oder ein­
deutig zuzuordnende Vor­
läufer haben, etwas zu un­
ternehmen.

Was gewinnen wir als Die Vorstellung des Berichts durch Universitätsleitung und Senats-AG : Prof. Dr. Michele Barricelli,

Universität an der Aus­ Dr. Michael Jung, (1. und 2. von links), der amtierende Präsident Prof. Dr. Volker Epping (3. v.l.), der Leiter der

einandersetzung mit unse­ Senatsarbeitsgruppe Prof. Dr. Holger Butenschön (4. v.l.), der ehemalige Präsident Prof. Dr.-Ing. Erich Bark­ e

rer Vergangenheit? (5. v.l.) sowie der Leiter des Universitätsarchivs Lars Nebelung und Prof. Dr. Jörg-Detlef Kühne (6. und 7. v.l.).

Zur Arbeitsgruppe ge­hörten außerdem noch Prof. Dr. Joachim Perels und Alexander Wäldner.

Butenschön: Nur wer mit

seiner Vergangenheit eini­

germaßen im Reinen ist, kann aufrechten Hauptes in die Zukunft terstützung derjenigen, die Unterstützung benötigen, kein Teil

schauen. Wenn man da eine Belastung hat, die nicht aufgeräumt i­hres Wesens sein könnte.

ist, dann ist man in sich gefangen. Da die Wahrheit, so gut wir das

aufarbeiten konnten, auf dem Tisch liegt, können wir mit der Ver­ Butenschön: Ich sehe das auch im Zusammenhang mit den aktu­

gangenheit umgehen und daher auch mit der Zukunft. Ich bin der ellen politischen Fragen. Wir bedauern heute, dass es damals

Auffassung, dass eine Universität nicht nur eine Stätte von For­ ­Professoren gab, die von der Universität vertrieben wurden. Aber

schung und Lehre ist, sondern darüber hinaus eine gesellschaftli­ es gibt auch heute Menschen, die aus ähnlichen Gründen hierher

che Institution, die eine gesellschaftliche Verantwortung trägt, immigrieren müssen und vielleicht auch einen Anspruch auf

und zu dieser Verantwortung muss man stehen, auch wenn es un­ Schutz haben.

angenehm ist. Redaktion: Monika Wegener, Anette Schröder

7

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN leibniz uniVersität HannoVer

Die Technische Hochschule Hannover

Vorläuferin der leibniz uniVersität HannoVer

die technische Hochschule bauwesen mit den beiden

Hannover der ersten Hälfte abteilungen architektur

des zwanzigsten Jahrhun- und bauingenieurswesen

derts unterscheidet sich sowie die fakultät iii für

erheblich von der heutigen Maschinenwesen mit den

leibniz universität Hanno- fachrichtungen Maschinen-

ver. abzulesen ist das am ingenieurswesen und elekt-

auffälligsten an ihrer Grö- rotechnik eingeschrieben.

ße: Während an der leibniz die übrigen studierenden

universität im Winter- gehörten der fakultät i für

semester 2016/17 rund allgemeine Wissenschaften

28.000 studenten immatri- an. dazu gehörten die na-

kuliert waren, belief sich turwissenschaften Chemie

der Höchststand an studie- und Physik sowie Mathe-

renden an der technische matik, aber auch Geogra-

Hochschule Hannover nach phie, Mineralogie und

dem ersten Weltkrieg im Geologie sowie betriebs-

Jahr 1920/21 auf 2.800 – wirtschaftslehre und Volks-

genau ein zehntel. bis zu wirtschaftslehre. daneben

beginn der ns-diktatur gab es jedoch auch fächer,

1933 sank die anzahl stu- Das Welfenschloss in den 1930er Jahren • Quelle: Historisches Museum Hannover die allgemeinbildenden

dierender bis auf 1.400 ab Charakter hatten wie Ge-

und verringerte sich bis zu schichte, Philosophie und

beginn des zweiten Weltkrieges 1939 weiter auf nur 1.071. deutsche literatur, Pädagogische Psychologie und Musikwissen-

schaft. darüber hinaus gab es ein so genanntes institut für leibes-

ein weiterer grundlegender unterschied ist fachliche ausrichtung der übungen sowie ein »außeninstitut«, welches für die Planung und

Vorgängerinstitution der leibniz universität Hannover, die 1831 als organisation von Veranstaltungen zuständig war.

Höhere Gewerbeschule im Hause des essigfabrikanten bornemann in

der Marktstraße mit 64 eingeschriebenen schülern ihren betrieb auf- die studierenden konnten die technische Hochschule Hannover mit

nahm. sechzehn Jahre später erhielt die Höhere Gewerbeschule den dem abschluss diplom-ingenieur in den fachrichtungen architektur,

namen Polytechnische schule. aus Platzgründen zogen schüler und bauingenieurswesen, Vermessungswesen, Maschinenbau, elektro-

lehrer 1879 in das für sie umgebaute ehemalige Welfenschloss, technik, Mathematik, Physik und Chemie beenden. zudem konnten

gleichzeitig erhielt die schule die amtliche bezeichnung »Königlich die fächer Mathematik, Physik, Chemie und erdkunde für das höhere

technische Hochschule«. schließlich erlangten die technischen Hoch- lehramt studiert sowie in Wirtschaftswissenschaften das Grund-

schulen insgesamt im oktober 1899 durch die persönliche interven- studium absolviert werden.

tion Kaiser Wilhelms ii. und gegen den heftigen Widerstand der uni-

versitäten das Promotionsrecht. die technischen Hochschulen waren strukturell gliederte sich die technische Hochschule Hannover in

damit zumindest formal den universitäten gleichgestellt. dozentenschaft und (deutsche) studentenschaft. Von 1936 an wurde

die dozentenschaft, der alle lehrenden angehörten, in Personalunion

die technische Hochschule Hannover zählte im Wintersemester vom führer des nationalsozialistischen deutschen dozentenbund

1932/33 insgesamt 41 beamtete Professoren, 63 sonstige lehrende (nsddb) geleitet. die leitung der studentenschaft erfolgte ebenso in

(Honorarprofessoren, lehrbeauftragte), 108 assistenten, 60 bediens- Personalunion durch den führer des nationalsozialistischen studen-

tete im technischen und Verwaltungsdienst sowie 1635 studierende. tenbundes (nsdstb) – ausländische und »nichtarische« studenten

Weit über 80 Prozent der studierenden waren für die fakultät ii für waren jedoch von der studentenschaft ausgeschlossen. ats

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21.04.17 08:48

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

»Schon immer
vaterländisch und völkisch eingestellt«

DIE PROFESSOREN DER TH HANNOVER UND DER NATIONALSOZIALISMUS

An der TH Hannover wurden 1919 beschloss die »Deutsche 1a
im Jahr 1933 nur fünf Prozent Studentenschaft« (DSt), der
der Lehrenden aufgrund ihrer Zusammenschluss der Allge- zius anlässlich der Rektorats-
politischen Überzeugung oder meinen Studentenausschüsse übergabe an seinen Nachfol-
der deutschen Hochschulen, ger: »Aus politischen und
aus rassistischen Gründen dass auch jüdische Studieren- rassischen Gründen brauchte
entlassen – an den Technischen de als Mitglieder anerkannt kein Mitglied sein Amt zu ver-
Hochschulen Braunschweig oder werden könnten, wenn sie lassen.« Ein auf den ersten
bereits vor August 1914 die Blick positiver Befund. Doch
Berlin waren es mit 33 und deutsche Staatsangehörigkeit gleich anschließend erklärte
23 Prozent deutlich mehr. Doch erworben hätten. Dieser Franzius nicht ohne Stolz die
»großzügige« Beschluss schien Grundlage für diese Feststel-
diese Zahl täuscht. antisemitischen Bestrebungen lung: »Der seit Bestehen der
So zeigt der Historiker zumindest teilweise entgegen-
Michael Jung, dass es unter den wirken zu wollen. Wäre da
Professoren an der TH Hannover nicht die grundsätzliche Be-
bereits vor der Machtübergabe stimmung der DSt gewesen,
die sich in ihrer Verfassung als
das Bestreben gab, Vereinigung von allen »Stu-
die Hochschule »rein deutsch« dierenden deutscher Abstam-
mung und Muttersprache«
zu erhalten. definierte. Kurze Zeit später
wurde dieser Ball von der Stu-
dierendenschaft in Hannover zum hundertjährigen Bestehen
aufgenommen. In dieser Form der Hochschule äußerst wohl-
damals noch einzigartig, be- wollend über den damaligen
schlossen mehr als zwei Drit- Beschluss »den Begriff
tel der knapp 2.000 Teilnehmer ›deutsch‹ nicht nach äußer-
einer Studierendenversamm- lichen, etwa kulturellen, Ge-
lung, die Verfassung »in sichtspunkten (…), sondern
antisemitischem Sinne auszu- blutsmäßig« aufzufassen.
legen« und damit »den Aus-
schluss der jüdischen Studen- Szenenwechsel. Im Mai 1934
ten durchzusetzen«, wie der verkündete Rektor Otto Fran-
Politologe Jürgen Schwarz
formulierte. Geschadet hat das
rassistische Engagement den
Studierenden in der neuen
Republik nicht. Im Gegenteil:
Sie konnten sich stets der Un-
terstützung ihrer Professoren
sicher sein, die in ihrer über-
wiegenden Mehrheit wohl
ähnliche rassistische Auffas-
sungen vertraten. Bezeichnend
dafür urteilte Rektor Ludwig
Klein 1931 in der Festschrift

10

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Hochschule bestehende Wille nicht gewesen. Einige kleinere Dorner, den Privatdozenten
der Professorenschaft, die »Korrekturen« mussten vor- Günther Schiemann sowie
Hochschule als rein deutsche genommen werden. So wurde einige Lehrbeauftragte und
Hochschule zu erhalten, hat der noch verbliebene For- Assistenten.
damit wohlverdiente Anerken- schungsauftrag für Lessing
nung gefunden.« Danach war kurz nach der Machtübernah- Der einzige Ordinarius, der
es seit langem schon das Be- me der Nationalsozialisten auf Grund der NS-Unrechts-
streben der Professoren gewe- eingezogen und unmittelbar maßnahmen die TH verlassen
sen, die Hochschule »bluts- darauf der Honorarprofessor musste, war im Jahr 1937 Otto
mäßig« »rein deutsch« zu Hugo Kulka im Frühjahr 1933 Flachsbart. Dem Lehrstuhl-
bewahren. Dabei dürfte den von der TH vertrieben, weil er inhaber für Mechanik wurde
Zuhörern die deutschlandweit ursprünglich der jüdischen zum Verhängnis, dass seine
Frau als »Nicht-Arierin« galt.
1b Findige »Kollegen« hatten das Abbildungen 1
herausgefunden und die Ent- Rektor Simons (mit Amtskette)
lassung betrieben, wobei für und Reichserziehungsminister
die Hochschulöffentlichkeit Rust bei der Grundsteinlegung
der wahre Grund verschleiert des Hochspannungslaboratori-
wurde. Mutig wehrte sich ums (Schering-Institut) der TH
Flachsbart monatelang mit Hannover am 13. November 1937
wohl-überlegten juristischen
Schriftsätzen gegen seine Ent- Quelle: Archiv der TIB/Universitäts-
lassung, was in der Führung
der TH und der Ministerial- archiv Hannover, Best. B; Fotos: Wil-
bürokratie einige Kopfschmer-
zen verursachte, jedoch letzt- helm Hauschild
endlich erfolglos war. Seine
Frau zu verlassen, was ihm
das Amt gerettet hätte, war er
nicht bereit.

Insgesamt wurden an der TH
weniger als fünf Prozent der
Mitglieder des Lehrkörpers auf
Grund der NS-Gesetzgebung
entlassen. Verglichen mit den
THs in Berlin und Braun-
schweig, von denen 23 Prozent
und 33 Prozent der Lehrenden
vertrieben wurden, ist das ein
sehr geringer Anteil. Das deu-
tet darauf hin, dass die For-
mulierung, die Hochschule
immer schon »rein deutsch«
erhalten zu haben, nicht als
rhetorische Anbiederung zu
verstehen war, sondern durch-
aus eine reale Grundlage hatte.

Aufsehen erregende »Rein- Konfession angehört hatte. Er Trotz dieser wenigen Entlas-
haltungsaktion« Mitte der war zwar schon frühzeitig sungen aus politischen oder
zwanziger Jahre gegen den zum evangelischen Glauben rassistischen Gründen boten
jüdischen Philosophen Theo- konvertiert und wohl auch sich an der TH viele Gelegen-
dor Lessing noch bestens in national-konservativer Ge- heiten, Lehrstühle neu zu be-
Erinnerung gewesen sein, die sinnung, was jedoch keinerlei setzen. Zahlreiche Emeritie-
mit dessen Ausschaltung vom Rolle spielte. Später traf es rungen, Abgänge zu anderen
Lehrbetrieb endete. noch aus rassistischen oder Hochschulen und Todesfälle
politischen Gründen den führten dazu, dass zwischen
Ganz »rein deutsch« war die außerordentlichen Professor 1933 und 1945 insgesamt 30
Hochschule aber 1933 doch für Kunstgeschichte Alexander Ordinarien zu berufen waren.

11

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Abbildung 3 3
Der neue Rektor Franzius hält im
Juni 1933 in Talar und Amtskette
seine Antrittsrede. Vorne rechts
im Bild mit Schnurrbart, Papier
und übereinandergeschlagenen
Beinen ist der preußische Kultus-
minister Bernhard Rust zu sehen,
der von 1934 an auch Reichser-
ziehungsminister war.

Quelle: Archiv der TIB/Universitäts-

archiv, Best. B, Fotoalbum Rektorats-

übergabe

Und das bei gerade einmal genehme Bewerber ausge- schaft geschaffen und Werner
etwas über 40 Lehrstühlen schlossen wurden. Auf Grund Osenberg profitierte bei seiner
insgesamt. Die meisten dieser der wohl eher informell erfolg- Berufung auf das Ordinariat
Berufungen sind heute noch ten Vorabsprachen muss hier für Werkzeugmaschinen letzt-
durch Unterlagen aus dem mit einer größeren Dunkelzif- endlich von seinen Verflech-
Universitätsarchiv und weite- fer gerechnet werden. Hinwei- tungen in Partei, SS und SD,
ren Archiven rekonstruierbar. se liefern einige nachweisbare um nur einige Beispiele zu
Grundvoraussetzung scheint Fälle. So kam zum Beispiel nennen. Allgemein kann man
gewesen zu sein, dass bei der Wirtschaftswissenschaftler davon sprechen, dass bei den
Bewerbern die »freudige Be- Friedrich Lutz, der dann ab Berufungen keine wissen-
jahung des nationalsozialisti- 1938 in Princeton lehrte, auf schaftliche Bestenauslese statt-
schen Staates … über jeden Grund einer negativen Be- fand, da politische Qualifika-
Zweifel erhaben« sein musste, urteilung der Partei 1937 gar tionen immer eine bedeutende
wie die vier gestandenen und nicht erst in das Verfahren für Rolle spielten. Aus politischen
einflussreichen Lehrstuhlinha- die Besetzung des volkswirt- – und natürlich auch rassisti-
ber Neumann, Oesterlen, Pott- schaftlichen Ordinariats. Im schen – Gründen nicht geneh-
hoff und Röder im September Gegenschluss wurden Bewer- me Bewerber hatten keine
1935 forderten. In rund der ber, die »politische Qualifika- Chance.
Hälfte der Berufungsverfahren tionen« in die Waagschale zu
haben Hinweise auf Mitglied- werfen hatten, auch dann ge- Allein daher ist zu verstehen,
schaften in NS-Organisationen nommen, wenn ihre fachlichen dass Ende 1944 unter den Or-
oder die als positiv empfunde- Fähigkeiten nicht so ganz den dinarien ein außergewöhnlich
ne Teilnahme am Ersten Welt- wissenschaftlichen Ansprü- hoher Organisationsgrad in
krieg als positive Qualifika- chen entsprachen. Für den NS-Gliederungen zu verzeich-
tionskriterien in die schriftlich Lehrstuhl für Theoretische nen war. 77 Prozent aller Lehr-
fixierten Vorschläge Eingang Physik wurde so der Geophy- stuhlinhaber waren organi-
gefunden. Der Grad des po- siker Teodor Schlomka beru- siert, die meisten in der Partei
litisch-kriegerischen Engage- fen, den Lehrstuhl für Förder- sowie in anderen Organisatio-
ments konnte dabei zu einer technik erhielt der in der nen wie NS-Dozentenbund, SA
besseren oder schlechteren Partei gut vernetzte Albert und SS. Den höchsten Organi-
Einstufung führen. Außerdem Vierling, für Dietrich Kehr sationsgrad hatte die Fakultät
ist davon auszugehen, dass wurde mit Hilfe politischer für Bauwesen mit 94 Prozent,
bereits im Vorfeld der Beru- Beziehungen die neue Profes- wobei die Architekten aus-
fungsverfahren politisch nicht sur für Siedlungswasserwirt- nahmslos der Partei angehör-

12

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

ten, gefolgt von den vermeint- mit war er dann unter den Or- Lebensraum« in Polen sowie Dr. Michael Jung
lich unpolitischeren Mitglie- dinarien auch erster Parteige- die Beteiligung am Atom- Jahrgang 1951, ist Mitglied
dern der Fakultät für Maschi- nosse. Sicherlich kamen ihm programm, um nur einige Bei- des Instituts für Didaktik der
nenwesen mit immerhin 77 seine schon seit den zwanziger spiele zu nennen. Demokratie. Seine Arbeits-
Prozent. Das Engagement der Jahren bestehenden engen Ver- schwerpunkte sind Hochschul-
Professoren beschränkte sich bindungen zu führenden Per- So bewahrheitete sich die geschichte von 1899 bis in die
nicht auf die bloße Mitglied- sonen der Nationalsozialisten Äußerung von Rektor Klein 70er Jahre des 20. Jahrhun-
schaft. Viele von ihnen über- zugute. Nicht von ungefähr aus dem Jahre 1933, dass derts. Michael Jung war Mit-
nahmen Funktionen innerhalb war er zum Beispiel Ende der »der größte Teil unserer … glied der vom Senat eingesetz-
und außerhalb der Hochschu- zwanziger Jahre als Ehrengast Professoren … immer schon … ten Arbeitsgruppe der Leibniz
le. Sie agierten beispielsweise bei einem der wenigen Partei- vaterländisch und völkisch Universität Hannover zur
als NS-Dozentenführer, SA- tage der NSDAP. eingestellt« war. Diese Hal- Aufarbeitung der NS-Vergan-
oder SS-Schulungsleiter, Mit- tung war tragfähig über die genheit der Technischen Hoch-
glied von Partei-Ortsleitungen. 4 gesamten zwölf Jahre des schule Hannover. Kontakt:
In die höchste Parteifunktion »Tausendjährigen Reichs«. [email protected]
stieg Rektor Helmut Pfann- Die enge Verbundenheit der
müller auf: Er war ab 1943 hannoverschen Professoren Abbildung 4
Gaudozentenführer und damit mit dem NS-Regime zeigte Michael Jung, »Voll Begeisterung
Mitglied der Führung der sich auch nach Beginn des schlagen unsere Herzen zum
NSDAP im Gau Süd-Hanno- Zweiten Weltkrieges. Zwi- Führer« – Die Technische Hoch-
ver-Braunschweig. schen 1940 und 1945 können schule Hannover und ihre Profes-
178 als kriegswichtig bezeich- soren im Nationalsozialismus
Der hohe Organisationsgrad nete Forschungs- und Ent- Quelle: © Michael Jung 2013; BoD –
kam jedoch nicht nur durch wicklungsaufträge der TH Books on Demand, Norderstedt; ISBN:
die »Neuen« zustande. Gab es nachgewiesen werden. Fast 978-3-8482-6451-3
Anfang 1933 unter den Ordi- alle naturwissenschaftlich-
narien zwar eine ganze Menge technischen Institute waren
Sympathisanten, jedoch noch daran beteiligt. Dabei ging es
kein Parteimitglied, so änderte um Torpedoentwicklung, Erd-
sich das mit der Machtüber- öl- und Ersatzstoffforschung,
nahme der Nazis schlagartig. Planungen im Zusammenhang
Acht langjährige Angehörige mit der Schaffung von »neuem
des Lehrkörpers schafften es
noch vor der Verhängung der
Aufnahmesperre als Mitglie-
der in die Partei aufgenommen
zu werden, weitere 13 mussten
erst einmal mit einer Mitglied-
schaft im NS-Dozentenbund
vorlieb nehmen. Die meisten
von ihnen konnten sich ihren
Traum dann nach Lockerung
der Sperre ab 1937 erfüllen.
Eine ganz besondere Ehrung
erfuhr Rektor Otto Franzius,
der von 1933 an Rektor der TH
Hannover war: Rückwirkend
zum 1. Januar 1929 wurde er in
die Partei aufgenommen. Da-

13

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

»… nicht würdig, ein Mitglied
des akademischen Lehrkörpers zu sein.«

EIN RÜCKBLICK AUF DEN »FALL LESSING«

In einem am 25. April 1925 1
veröffentlichten Artikel im
Kaum ein historisches Ereignis Prager Tagblatt resümierte
hat die Technische Hochschule Theodor Lessing, außerordent-
und die Stadt Hannover in den licher Professor im Fach Phi-
zwanziger Jahren so geprägt losophie an der Technischen
wie die gewaltsame Vertreibung Hochschule Hannover, seine
Gedanken zur aktuellen No-
des außerordentlichen minierung des Generalfeld-
Professors Theodor Lessing. marschalls Paul von Hinden-
Gastautorin und Lessing- burg zum Reichspräsident-
Expertin Elke-Vera Kotowski schaftskandidaten und kam
schildert die Dynamik von dabei zu dem Schluss: »Nach
antisemitischer Hetze und Plato sollen die Philosophen
Diffamierung, die mit dem Tode Führer der Völker sein. Ein
Philosoph würde mit Hinden-
burg nun eben nicht den
Thronstuhl besteigen. Nur ein
repräsentatives Symbol, ein
Fragezeichen, ein Zero. Man
kann sagen: ›Besser ein Zero
als ein Nero.‹ Leider zeigt die
Geschichte, dass hinter einem
Zero immer ein künftiger Nero
verborgen steht.«

Lessings im Jahr 1933 endete. Ein Lokalredakteur des Hanno-
verschen Kuriers ergriff einige
Tage später die Gelegenheit einigen Professoren der Tech- Rektor der Technischen Hoch-
und zitierte Passagen aus die- nischen Hochschule Hannover schule Hannover, Prof. Dr.
sem Artikel, der bislang kei- rekrutierte. Deren Forderung, Ernst Vetterlein, einen Brief an
nerlei Aufmerksamkeit, ge- Lessing den Lehrauftrag an den preußischen Minister für
schweige denn Kritik in Han- der dortigen Hochschule zu Wissenschaft, Kunst und
nover hervorgerufen hatte. entziehen, wurde sogleich als Volksbildung, Prof. Dr. Carl
Die Vermutung liegt nahe, Eingabe an das Preußische Heinrich Becker, in dem er
dass der Termin für den er- Kultusministerium formuliert. diesen wiederum auf besagten
neuten Teilabdruck des Arti- Artikel aufmerksam machte
kels bewusst gewählt war, da Wiederum zwei Tage später, und konstatierte, dass durch
am 8. Mai 1925 in Hannover am 12. Mai 1925, richtete der den Verfasser jener Schrift die
eine Huldigungsfeier zu Ehren
Hindenburgs stattfand. Zwei
Tage nach Erscheinen des Arti-
kels in der Lokalpresse bildete
sich am 10. Mai 1925 ein
Kampfausschuss gegen Lessing,
der sich aus nationalvölki-
schen Korpsstudenten und

14

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

»Würde der Hochschule und gen mit folgenden Worten: in der Tschechoslowakei« sei
des akademischen Standes »Dieses akademische Stück und als »parteilose Geschäfts-
auf das schwerste verletzt und Unglück wagt es, Lessing den zeitung« begutachtet werde,
gefährdet« sei. Lessing sei wissenschaftlichen Charakter »deren politische Haltung
»nicht würdig, Mitglied eines abzusprechen, faselt von ›geis- dementsprechend bestimmt
akademischen Lehrkörpers zu tiger Onanie‹ und ›philosophi- ist, so dass [das Blatt] sowohl
sein«. schem Bolschewismus‹, nennt den Angelegenheiten der
das Prager Tagblatt, das Organ Deutschen in der Tschechoslo-
Auch Lessings Kollegen mel- des liberal-demokratischen wakei als auch dem Deutschen
deten sich öffentlich zu Wort. Deutschlands in Böhmen!, eine Reich oft sehr kritisch gegen-
In einem Artikel in der Nieder- ›deutschfeindliche tschechi- übersteht«.
deutschen Zeitung vom 10. Mai sche Zeitung‹. Warum schreibt
1925 mit der Überschrift »Ge- der Mann? Will er durch sein Mittlerweile solidarisierten sich
gen die Schmähungen des Pro- Beispiel demonstrieren, was einflussreiche Kreise in Hanno-

2 Abbildung 1
Theodor Lessing (1872 bis 1933)
mit Schopenhauerstock.

Quelle: Stadtarchiv Hannover,

NL Lessing Nr. 3026

Abbildung 2
Es gab auch einige wenige Orga-
nisationen, die sich mit Lessing
solidarisierten: Plakat zu einer
Protest-Versammlung.

Quelle: Stadtarchiv Hannover, Nach-

lass Edor Hillebrecht Nr. 59

fessor Lessing! Eine Stimme sich an unseren Hochschulen ver mit den vornehmlich
aus dem Lehrkörper der dozierend herumdrücken rechtsgerichteten Korpsstuden-
Hochschule«, richtete sich Pri- darf?« ten, die die öffentliche Hetze
vatdozent Dr. Wilhelm Müller gegen Lessing initiiert hatten.
an die Hannoveraner Bevöl- Interessant ist in diesem Zu- Unter ihnen der Direktor des
kerung und gab seiner Verach- sammenhang, dass das Kul- Ratsgymnasiums, an dem Les-
tung über das »Schmierfinken- tusministerium mit Schreiben sing einen Teil seine Schulzeit
tum« jenes »Herrn Lessing« vom 20. Mai 1925 beim Aus- verbrachte. In einem Schreiben
Ausdruck, »der sich anmaßt, wärtigen Amt ein Gutachten an das Kultusministeriums
deutsche Philosophie an deut- über das Prager Tagblatt ein- heißt es: »In diesem Sinne er-
schen Hochschulen zu lesen« holte, da diese Zeitung als kläre ich mich völlig eins mit
und doch nur »diesen philoso- »deutschfeindlich« und »jü- dem Bestreben der Hochschul-
phischen Bolschewismus« hoch- disch« eingestuft werde. Das jugend, solche Schmarotzer an
halte, »der jede Objektivität Antwortschreiben der Presse- dem Gottseidank neu ergrü-
und jedes Verständnis für die abteilung des Reichsregierung nenden Stamme echten
Volksseele« vermissen lasse. vom 29. Mai 1925 lautete Deutschtums zu tilgen! Treu-
Carl von Ossietzky kom- denn, wenn auch vertraulich, deutsch allewege! Gez. Prof.
mentierte Müllers Artikel am dass diese Publikation »eine Dr. Rudolf Graefenhain. Direk-
18. Mai 1925 im Montag Mor- der bestgeführten Zeitungen tor des Ratsgymnasiums.«

15

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Auch über Hannover hinaus Stettiner Schule schrieb einen 31. Mai [1926]: Höhepunkt der
mehrten sich die erbosten erzürnten Brief an die Redak- Tumulte und Terrorakte. Etwa
Stimmen. Lessing erhielt tion und sah sich genötigt, das 700 mit eichenen Bergstöcken
Drohbriefe, in denen zu lesen Abonnement dieser Zeitschrift bewaffnete Studenten bedro-
war: »Ich für meine Person zu kündigen, da die Lehrer- hen Lessing. Die Hochschule
erkläre Ihnen hiermit als Ka- schaft »mit Entrüstung die unternimmt nichts gegen diese
tholik, dass dies eine solche Ausführungen« Messers ver- 700, sondern lässt durch die
niederträchtige Hundsgemein- nahm. Beamten drei Anhänger Les-
heit ist, dass ich hiermit erklä- sings bedrohen, der Freiheit
re, wenn ich Sie zwischen mei- Teile der Hannoveraner Stu- berauben und beleidigen. Bei
ne Hände bekomme, mit einer dentenschaft hatten nunmehr den Revoltierenden entwickelt

3

Abbildung 3
Nach einer Hetzjagd durch den
Georgengarten sucht Lessing am
3. Mai 1926 in einem Café im
Georgengarten Zuflucht. Lessing
sitzt in der rechten Bildhälfte,
links neben dem Garderoben-
ständer. Zwischen den ganzen
Studenten, die sich vor dem Café
versammelt haben, sind einige
mit Stöckern zu sehen.

Quelle: Stadtarchiv Hannover,

NL Lessing Nr. 3041

Hundepeitsche so lange auf seit einem Jahr massiv gegen sich eine regelrechte Pogrom-
Sie einhaue, bis Sie sich nicht Lessing Stimmung gemacht stimmung. Man brüllt wäh-
mehr rühren. Für solche Leute und deren Gefolgschaft weite- rend der Dauer des ganzen
ist eine Kugel viel zu schade«. te sich zunehmend über die Kollegs, […] im Chore: Juden
Oder: »Sie frecher Jude ver- Grenzen der eigenen Studen- raus! Lessing raus!«
dienen, dass man Ihnen die ten- und Professorenschaft
Knochen im Leibe zerschlägt. aus. Deren Anti-Lessing- Bereits vier Wochen zuvor gab
C. Sander, Lübeck.« Aktionen wurden zunehmend es ähnliche Ausschreitungen.
durch Solidaritätsbekundun- Ein Foto, aufgenommen am
Lessing erfuhr derartige gen anderer Hochschulen 3. Mai 1926, illustriert in gro-
Schmähungen nicht allein, öffentlich begrüßt. So sah die tesker Weise die vorherrschen-
auch Personen, die für ihn Par- Studentenschaft der Universi- de Stimmung: Lessing um-
tei ergriffen oder nur um eine tät Königsberg durch Lessings ringt von einer Horde von
objektive Darstellung des Verhalten »das akademische Studenten, mit Knüppeln aus-
Sachverhalts bemüht waren, Ehrgefühl und das deutsche gerüstet, in der Kulisse des
schwappte eine Welle der Ent- Nationalbewusstsein auf das idyllischen Hannoverschen
rüstung entgegen. So bei- schwerste verletzt«. Eine hek- Georgengartens mit Caféhaus
spielsweise auch August Mes- tographierte Schrift, die ein im Hintergrund.
ser, Professor für Philosophie studentischer Ausschuss gegen
und Pädagogik in Gießen, der die Lessinghetze herausgab, do- Die Lage spitzte sich erneut
sich mit dem »Fall Lessing« in kumentiert die Situation, die zu, als am 8. Juni 1926 annä-
seiner pädagogischen Monats- zu den allwöchentlichen Lehr- hernd 1.500 völkische Korps-
schrift Die Schule auseinander- veranstaltungen von Lessing studenten mit einem Sonder-
setzte. Das Kollegium einer herrschte: »Das Kolleg vom zug nach Braunschweig fuh-

16

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

ren, um damit den Auszug Es bestand Handlungsbedarf einer wilden Kampagne den
aus der Hochschule Hannover seitens der Hochschulleitung Startschuss für die erneute
anzudrohen, sofern Lessing und des zuständigen Ministe- Hatz auf Theodor Lessing.
nicht endlich seine Lehrtätig- riums. Nach langwierigen Ver- Streute dieser doch das Ge-
keit einstelle. Die ausgegebene handlungen, unterstützt durch rücht, Lessing, »der jüdische
Parole lautete »Kein deutscher eine Eingabe des Verbandes Geschichtsprofessor«, habe
Student geht nächstes Semes- sozialdemokratischer Akademiker Hindenburg mit dem Massen-
ter nach Hannover«. Der Ein- mörder Fritz Haarmann ver-
zelhandel und die Zimmerwir- (unter ihnen der Göttinger glichen und als Belohnung
tinnen der Leinestadt fürchte- Philosoph Leonard Nelson, dafür jenen Forschungsauftrag
ten um ihre Existenz. In der der Breslauer Mathematiker erhalten. Lessing bemerkte
Fritz Noether und der Frank- kurz darauf im Tagebuch ver-
schmitzt: »Gesetzt, ich wollte
diesen Rattenkönig entwirren, Dr. Elke-Vera Kotowski
wie könnte ich das? [Ich bin] Jahrgang 1961, ist seit 2000
kein Geschichtsprofessor (er wissenschaftliche Mitarbeiterin
verwechselt mich entweder am Moses Mendelssohn Zent-
mit dem Kulturhistoriker Ju- rum für europäisch-jüdische
lius Lessing oder denkt wie Studien in Potsdam. Seit 2009
der Bauer, bei dem ich in die- ist sie zudem wissenschaftliche
sem Sommer wohnte: als er Koordinatorin des Walther
hörte, ich sei ›Schriftsteller‹, Rathenau Graduiertenkollegs.
sagte er mir, er habe mich Ihre Arbeitsbereiche und
schon in der Schule gehabt)«. -schwerpunkte liegen im Be-
Doch seine humorige Schluss- reich der europäisch-jüdischen
bemerkung jener Stellungnah- Kulturgeschichte, aktuell
me gegenüber dem Ausspruch forscht sie zum deutsch-jüdi-
von Dr. Goebbels sollte wenig sches Kulturerbe in In- und
später einer bitteren Wirklich- Ausland. Kontakt: kotowski@
keit begegnen, schrieb er doch: uni-potsdam.de
»Wenn nun alles, was von mir
übrigbleibt, der Satz aus der Foto: Karla Fritze, Uni Potsdam
Rede des Doktor Goebbels
wäre, so wie vom Catilina
nichts übrigblieb als die Rede
des Cicero? Schrecklich!«

4 Drei Jahre später meldete sich Abbildung 4
Goebbels wieder zu Wort. Auf Lessing auf dem Titel des rechts-
Stadtverordnetenversamm- furter Rechtwissenschaftler dem Nürnberger Parteitag am gerichteten Witzblattes »Kladde-
lung wurden Kräfte mobili- Hugo Sinzheimer), wurde 2. September 1933, wenige radatsch« aus Berlin, auf dem er
siert, auch die ortsansässigen endlich ein einvernehmlicher Stunden nach der Ermordung wie ein Baby von einem Corps-
Unternehmen meldeten sich Kompromiss gefunden. Les- Theodor Lessings, tönte er, es studenten »trocken gelegt«, also
zu Wort: »Die Industrie- und sing sollte formal seine Lehr- sei nicht verwunderlich, dass »außer Gefecht gesetzt wird«
Handelskammer muss for- tätigkeit einstellen und statt- »die deutsche Revolution« – denn Lessing hatte sich für das
dern, dass die Ausbildung dessen einen mit monatlich nun auch »die Abschüttelung Wintersemester 1925/26 bereits
industriellen Nachwuchses 400 Mark vergüteten For- dieses Jochs« mit sich brächte beurlauben lassen.
nur in Händen von Persönlich- schungsauftrag erhalten. – er führte dabei auch den Quelle: Stadtarchiv Hannover, NL
keiten liegt, die die Gewähr Namen Theodor Lessing im
dafür bieten, dass sie ihr Lehr- Schien nun endlich etwas Munde. Lessing Nr. 2745
amt im Geiste völliger Sach- Ruhe eingekehrt zu sein, so
lichkeit verwalten.« gab Joseph Goebbels 1930 in

17

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Am Ende erfolgreich

DER NS-STUDENTENBUND AN DER TH HANNOVER

1

Extrem völkisch, radikal und

nationalistisch: Die Studenten

der Technischen Hochschule

Hannover wurden in den

zwanziger Jahren über die

Stadtgrenzen hinaus bekannt,

als sie Professor Theodor Lessing

von der Hochschule vertrieben.

Dennoch konnte der NS-

Studentenbund sich bis 1933

an der Hochschule

nicht wirklich etablieren.

Die Studenten der Technischen und Hochschulen. Noch im krieg beeinflusst. Dass die
Hochschule Hannover schei- Wintersemester 1932/33 wa- Weimarer Republik sich nicht
nen sich jeglicher generalisie- ren an der TH Hannover von von einer Kriegsgesellschaft in
render Aussage zu entziehen. 1635 Studierenden insgesamt eine Friedensgesellschaft ver-
Während die Technischen lediglich 70 im NS-Studenten- wandelt hatte und eine Nach-
Hochschulen allgemein bereits bund organisiert, das ent- kriegsgesellschaft blieb, zeigte
vor dem Januar 1933 als die sprach 4,2 Prozent. sich nicht zuletzt an dieser
Hochburgen des Nationalso- studentischen Nachkriegs-
zialistischen Deutschen Stu- Der Erste Weltkrieg als generation in Hannover. Auch
dentenbunds (NSDStB) so- Orientierungspunkt diese jungen Männer orientier-
wohl bei den Wahlen als auch ten sich an einem – oft auch
bei den Mitgliedschaften gal- Die Sozialisation und Identi- eher diffusen – Bild eines auto-
ten, erfüllt die TH Hannover tätsbildung der fast aus- ritär geführten, militärisch
keines dieser beiden Kriterien. schließlich männlichen und starken und national geeinten
Der 1928 gegründete NS-Stu- überwiegend protestantischen Deutschlands. Unterstützung
dentenbund erreichte nie mehr Studenten an der Technischen in ihrer negativen und größ-
als zwanzig Prozent der Stim- Hochschule Hannover war tenteils sogar feindlichen Ein-
men bei den Kammerwahlen während der Weimarer Repu- stellung zur Demokratie er-
und bildete damit das Schluss- blik stark vom Ersten Welt- hielten sie durch ihre Hoch-
licht unter allen Universitäten schule: So kann von einer

18

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

»institutionalisierten Demo- ihre hochschulpolitische Männlichkeit in der Weimarer
kratiefeindlichkeit« in dem Macht weder an den NS-Stu- Republik jedoch weder auf
Sinne gesprochen werden, dentenbund abgeben noch mit dem Schlachtfeld noch in der
dass die Studenten in Hanno- ihm teilen. Bei aller Überein- Kaserne unter Beweis stellen
ver nicht nur ihre völkische stimmung der politischen Ein- konnten, suchten sie sich in-
Politik innerhalb der Hoch- stellungen gab es jedoch auch nerhalb der akademischen
schule praktizieren konnten, einige bedeutende Unterschie- Institution Hochschule und im
sondern von den Rektoren, de: So empfanden die korpo- Alltagsleben Ersatzrituale.
Professoren und dem Senat rierten Studenten das Auftre- Akademischen Feiern wie die
aktiv unterstützt wurden. ten und die Art einzelner NS- Reichsgründungsfeier, das
Nicht zuletzt durch die Ver- Studentenbundsfunktionäre Gedenken an die Schlacht von
treibung Theodor Lessings als ungehobelt und nicht stan- Langemarck sowie die verbin-
und die Auseinandersetzun- desgemäß. Die Studierenden, dungsstudentische Lebens-

2 Abbildung 1
Der Vorstand der Studenten-
schaft anlässlich der 100. Jahr-
Feier der Technischen Hochschule
Hannover am 15. Juni 1931.

Quelle: Hannoversche Hochschul-

blätter, 13. Semesterfolge, Nr. 10, Juli

1931, S. 163

Abbildung 2
Rektoratsübergabe an Otto Fran-
zius in der Turnhalle der Tech-
nischen Hochschule Hannover.
Gut zu erkennen sind die zahl-
reichen Mützen der Verbindungs-
studenten.

Quelle: Universitätsarchiv Hannover,

Carl Thies Nachf.

gen mit dem preußischen die den Burschenschaften und kultur boten an der Techni-
Kultusminister Carl Heinrich Corps angehörten, definierten schen Hochschule Hannover
Becker konnten sie sich inner- sich demgegenüber als gesell- vielfach Spielraum und Mög-
halb der Hochschule als eine schaftliche Elite und wollten lichkeiten, diese Bedürfnisse
akademische Elitegemein- mit nationalsozialistischen innerhalb der akademischen
schaft definieren, die im größ- Massenbewegungen nichts zu Männergesellschaft zu befrie-
ten sozialdemokratisch regier- tun haben. digen. Wahrscheinlich lag
ten Reichsland die »nationa- darin einer der Gründe, war-
len« und »wahren Werte Krieg und Technik um Ende der zwanziger Jahre
Deutschlands« vertrat (siehe mit der akademischen Nach-
Der Fall Lessing von Elke-Vera Für die Studenten waren der kriegsgeneration die Zahlen
Kotowski in diesem Heft). Da- Krieg und damit verbunden der Verbindungsstudenten in
her hatte es der NS-Studenten- die Feindschaft zwischen Völ- Hannover anstiegen, ebenso
bund Ende der 20er Jahre in kern und Staaten zentrale As- wie sich die Zahl der geschla-
Hannover besonders schwer, pekte ihres Nationalismus. In genen Mensuren (Fechtkampf)
ein eigenes Profil zu entwi- ihren Weltbildern erschienen erhöhte.
ckeln und Mitglieder für sich der Krieg und das Militär als
zu gewinnen. Denn die größ- Initiationsriten von Männlich- Zur männlichen Sozialisation
tenteils in Korporationen orga- keit. Da die Studenten ihre an der Technischen Hochschule
nisierten Studenten wollten Hannover gehörte für die über-

19

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

wiegende Mehrheit der Stu- Mit dem verlorenen Krieg war mit Beliebigkeit verbunden.
denten jedoch nicht nur ver- nicht nur die Sehnsucht nach Der einzige Wert, den sie in
bindungsstudentische Lebens- neuer Stärke, Souveränität diesem Zusammenhang als
formen und eine spezifische und technischen Siegen ver- Fixpunkt akzeptierten, war die
Interpretationen des Ersten bunden, sondern auch das Nation. Der neue positiv ge-
Weltkrieges, sondern auch »die Verlangen nach Stabilität und schaffene Politikbegriff stand
Technik«. Technikkompetenz Ordnung. Der Topos des »in nun für »Einheit« und »Ge-
war und ist ein zentrales Mo- Unordnung geratenen Vater- meinschaft«, während der »Ist-
ment männlicher Identität. Die landes« während der Weima- Zustand« des Politischen mit
Relation von Krieg und Tech- rer Republik ist in den Quellen Chaos und Unordnung assozi-
nik hatte gerade für die Stu- immer wieder zu finden. iert wurde. Die neu definierte

Abbildung 3 3

Kundgebung am 15. Februar
1935 vor der Technischen Hoch-
schule Hannover anlässlich der
am 13. Februar 1935 erfolgten
Saarabstimmung. Die Bevölke-
rung im Saarland hatte sich zu
über 90 Prozent für eine »Heim-
kehr ins Reich« entschieden. Der
Abstimmung war eine massive
Propagandakampagne voraus-
gegangen.

Foto: Wilhelm Hauschild

denten der Technischen Hoch- Dies hing mit den idealisierten Form des Politischen konnte
schule Hannover zwei wichtige Vorstellungen von einer Ge- und sollte dagegen ordnung-
Aspekte, wie sich in den Han- sellschaft und eines Staates stiftend sein. Gleichzeitig be-
noverschen Hochschulblättern, zusammen, den es selbst vor kam der Begriff mit dieser Ver-
einer studentischen Publikati- 1914 nie gegeben hat. änderung ein aktives Moment.
on, Ende der zwanziger Jahre »Politisch sein« hieß, aktiv für
zeigen lässt: Zum einen galt Ein neuer Begriff des das »natürliche« und damit
der Krieg als innovationsför- »Politischen« »höhere« Ordnungssystem der
dernd sowie als Motor des (Volks-)Gemeinschaft zu
Fortschritts. An diesen Fort- Verknüpft wurde diese anzu- kämpfen. In den Hannover-
schritt war der (Wieder-)Auf- strebende Ordnung mit dem schen Hochschulblättern ist die
stieg Deutschlands gekoppelt, Begriff des Politischen, der um Umdeutung des Politischen zu
der durch die technische Elite 1930 mit neuen Werten und einem als organisch und kons-
im Land vollzogen und voran- Maßstäben konnotiert wurde. tant aufgefassten Begriff daher
getrieben werden sollte. Zum Die Studenten verbanden an die Gemeinschaft und das
anderen generierte der Krieg in »Politik« bis dahin mit der von Volk gebunden. So zeigten die
der Vorstellung der Studenten ihnen verhassten »Parteipoli- Diskussionen rund um die
das Idealbild von »Technischen tik« und definierten sich als Reform der als überfüllt wahr-
Führern« und »Eiskalten Rech- »unpolitisch«, wie es inner- genommenen Technischen
nern«. Diese Konstruktion halb der akademischen Insti- Hochschule, dass die »Ausle-
eines technizistischen Front- tutionen – vor allem auch un- se« als natürlicher Selektions-
soldatenmythos verband den ter den Ingenieuren –, aber prozess dieses neuen Ord-
Nationalismus mit der Technik auch in der Mittelschicht Tra- nungskonzeptes durchaus als
zu einer Erfolgsgeschichte dition war. Aus der Sicht der Lösungsmöglichkeit favori-
technischer Rationalität und Studenten war »Parteipolitik« siert wurde. Die Studenten der
technischer Entwicklungen. Technischen Hochschule Han-

20

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

nover lagen damit »im Trend« Elite gehören wollten, gestalte- und Teilen der korporierten Dr. Anette Schröder
der Zeit, auch an den Univer- te es sich zweckmäßig, nun Studentenschaft an der Techni- Jahrgang 1969, hat an der
sitäten war eine neuartige und doch dem NSDStB beizutre- schen Hochschule Hannover Leibniz Universität über die
folgenreiche »volksbiologische ten. Besonders sichtbar wurde waren daher in der Regel keine Studenten an der Technischen
Umdeutung« zu bemerken. Es dieser Wandel in Hannover weltanschaulichen Auseinan- Hochschule Hannover im Na-
etablierte sich ein Denken in durch Aktionen wie die Feier dersetzungen, sondern reine tionalsozialismus promoviert.
sozialen Pathologien: Instituti- zum 1. Mai, die Bücherver- Machtkämpfe: Während der Anschließend absolvierte sie
onen wie Hochschulen und brennung am 10. Mai und die NS-Studentenbund seinen al- ein Volontariat bei der HAZ
soziale Konstellationen wie Störung einer Stefan-Zweig- leinigen Herrschaftsanspruch und arbeitete als Redakteurin
»Volk« oder »Nation« wurden Verfilmung im Ufa-Palast- an der Hochschule durchsetzen im Politikressort. Seit 2012 ist
organisch betrachtet, ihre je- Kino bei denen nationalsozia- wollte, waren die Korporatio- sie Mitarbeiterin im Alumni-
weiligen »Zustände« in die listische und korporierte Stu- nen weiterhin bestrebt, ihre büro und vor allem für die
Kategorien »krank« oder »ge- denten erstmals gemeinsam tradierten Lebensformen in Zeitschriften Unimagazin
sund« eingeteilt. auftraten. Diese dicht aufein- den NS-Staat einzubringen. und LeibnizCampus zuständig.
ander folgenden Ereignisse im Die zahlreichen Auseinander- Kontakt: anette.schroeder@
Wendepunkt 1933 Mai 1933 waren nicht nur eine setzungen, die sich aus dieser zuv.uni-hannover.de
visuelle Demonstration von Konstellation ergaben, endeten
So sehr sich die Weltanschau- Macht, sondern auch Vorgän- in Hannover schließlich mit Abbildung 4
ung der korporierten und der ge, an denen sich die Studen- der Auflösung der Verbindun- Die Publikation von Anette
nationalsozialistischen Studie- ten aktiv beteiligten und sich gen im Herbst 1935. Diese de- Schröder, Vom Nationalismus
renden anglichen – im Alltag als Teil einer neuen Politik be- struktive nationalsozialistische zum Nationalsozialismus – Die
an der Technischen Hochschu- greifen konnten. All diese As- Hochschulpolitik hatte eine Studenten der Technischen Hoch-
le Hannover blieb der NS- pekte erzeugten ein Klima, in tiefgreifende Verbitterung und schule Hannover 1925 bis 1938,
Studentenbund unbeliebt, und dem die Mitgliederentwick- Enttäuschung in einem großen ist bereits 2003 im Verlag Hahn-
auch reichsweit hatte der NS- lung des NS-Studentenbunds Teil der männlichen Studenten- sche Buchhandlung erschienen.
DStB die Sympathien vieler an der TH Hannover rasant schaft sowie im akademisch ge-
Studierender eingebüßt. Daher anstieg: Im Juli 1933 waren mit bildeten Bürgertum zur Folge.
hatten es die NS-Studenten 700 Studenten fast die Hälfte Aus diesem Grund schlug die
nach Hitlers Ernennung zum der Immatrikulierten in den nationalsozialistische Führung
Reichskanzler am 30. Januar Studentenbund eingetreten – ab November 1936 einen »Ver-
1933 immer noch schwer, dem und das war auch im Vergleich söhnungskurs« mit den Kor-
politischen Wandel auf Reichs- mit den anderen Hochschulen porationen ein. Das bereits
ebene einen politischen Wan- und Universitäten relativ 1934 initiierte und zu dem Zeit-
del innerhalb der Hochschule hoch. punkt gescheiterte Konzept der
folgen zu lassen. Gleichzeitig Kameradschaftshäuser wurde
wurden die staatspolitischen 4 erneut aufgenommen. An der
Veränderungen von den Stu- Technischen Hochschule Han-
dierenden insgesamt als will- Annäherung durch nover entwickelte sich in die-
kommene politische Ordnung Vermischung sen Kameradschaften Ende der
interpretiert, da die Regierung dreißiger Jahre ein studenti-
unter Reichskanzler Hitler Die im Laufe der dreißiger Jah- sches Leben, in dem sich kor-
»neue« und »alte« Werte mit- re dennoch immer wieder ent- porative Traditionen mit natio-
einander zu verbinden schien. stehenden Spannungen zwi- nalsozialistischen Elementen
schen den NS-Funktionären mischten. Dabei erwiesen sich
Erst die preußische Studenten- die seit dem Ersten Weltkrieg
rechtsverordnung vom 12. April tradierten Deutungen von »Ka-
sowie das Reichsgesetz über die meradschaft«, die in den Ver-
Bildung von Studentenschafen an bindungen als »Lebensbund«
wissenschaftlichen Hochschulen oder Bruderschaft ihren Aus-
vom 22. April 1933 regelten druck fanden, als zentral für
die Verhältnisse innerhalb der die Integration der Studenten
Hochschule und die Machtba- in die NS-Volksgemeinschaft.
lance unter den Studierenden So war der Männerbund oder
eindeutig. Durch die Verord- die Kameradschaft für die
nung wurde das Führerprin- Studenten ein kollektiv geteil-
zip für die Studenten konsti- tes Muster zur alltäglichen
tutiv, der NS-Studentenbund Konstruktion von politischer
bekam eine staatstragende Realität, das in ihren Denkwei-
Funktion und damit einen Be- sen und emotionalen Dispositi-
deutungszuwachs. Für viele onen eine große Rolle spielte
Studenten, die weiterhin zur und vielfach Anknüpfungs-
punkte für den NS-Staat bot.

21

AufArbeitung und gedenken leibniz universität hannover

Hochschulsport an der tH Hannover

voM WilhelMinisChen reiCh zuM nationalsozialisMus

1

Von spielerischen und gesund-

heitsfördernden Zielen

bis hin zur erhaltung der

Wehrkraft durch militärisch

geprägte Übungen im

nationalsozialismus:

die ehemalige Leiterin des

universitätsarchivs gibt einen

Überblick über die entwicklung

des Hochschulsports an der

technischen Hochschule Sport als Spiel – perlichen Übungen und den vosität als ein Synonym für ein
Hannover, der in den Anfängen Sport als therapie Sport in der Studentenschaft ganzes Zeitalter. 2016 wies er
vor allem durch die Studieren- zu fördern.« Professoren und darauf hin, wie sich nach der
Der »Verein akademischer Studenten forderten in einer Jahrhundertwende die Idee
den vorangetrieben wurde. Radfahrer« wurde 1886 der gemeinsamen Denkschrift un­ durchsetzte, Nervosität und
erste akademische Sportverein ter nationalen Gesichtspunk­ Neurasthenie nicht durch Ruhe
an der TH Hannover. Bis da­ ten die Förderung regelmäßi­ und warme Bäder loszuwer­
hin gab es nur studentisches ger Leibesübungen für die den, sondern am besten durch
Fechten in den Korporationen. körperliche und geistige Ent­ Sport zu überwinden. Er spe­
Der Radfahrerverein lag ganz wicklung der akademischen kulierte: »Da konnte auch
auf der Höhe der Zeit, ihm Jugend, »um die zunehmende die Vorstellung aufkommen,
folgten weitere akademische Nervosität« zu bekämpfen. Kampf und Krieg als heilsam
Sportverbindungen und far­ Diese so genannte Neurasthe­ zu begreifen – so wie es Hans
bentragende Turnerschaften. nie (Nervenschwäche) wurde Castorp am Ende von Thomas
Rudern, Turnen und Fußball damals von der völkischen Manns Zauberberg tut.« Die
waren Schwerpunkte. Zu der Bewegung als Verfallserschei­ Gedanken des nationallibera­
Zeit zeigten jedoch sowohl die nung gewertet, die die deut­ len preußischen Reformpäd­
Hochschule als auch der preu­ sche Identität bedrohe. agogen Emil von Schencken­
ßische Staat wenig Interesse an dorff von 1904 zur Steigerung
dem sportlichen Engagement Der Historiker Joachim Radkau der Wehrkraft durch Sport un­
der Studierenden. beschreibt in seiner Untersu­ ter dem Schlagwort »Wehrkraft
chung »Das Zeitalter der Ner­ durch Erziehung« kamen in
Erst 1908 beschloss der Senat vosität. Deutschland zwischen der hannoverschen Denkschrift
der TH Hannover, die »kör­ Bismarck und Hitler« die Ner­ nicht zum Tragen.

22

AufArbeitung und gedenken leibniz universität hannover

1911 entstanden auf einem von tete die TH Hannover das tung setzten sich die Gedan­ abbildung 1
der Stadt Hannover zur Ver­ »Deutsch­Akademische Olym­ ken von sportlicher Ertüch­ Postkarte mit dem Text »Die
fügung gestellten Gelände in pia« aus. Generalfeldmarschall tigung und Erhaltung der Sportplätze der Technischen
der Steintormasch für die Stu­ von Hindenburg empfing die Wehrkraft zunehmend durch. Hochschule Hannover«, gebaut
dierenden der TH Hannover einzelnen Vertreter sämtlicher Die praktischen sportlichen 1911.
eine Laufbahn und ein ein­ deutscher Hochschulen in sei­ Pflichtveranstaltungen wurden Quelle: Uelschen
faches Sporthaus. Finanziert ner Wohnung im hannover­ an der TH Hannover durch
wurden sie mit staatlichen schen Zooviertel. Mit der Aus­ Vorlesungen ergänzt. So be­ 2
Mitteln und Geldern von richtung auf eine Olympiade handelte der promovierte Me­
Freunden der Hochschule, ab trat an die Stelle des Spiele­ dizinalrat Friedrich Münter abbildung 2
1912 auch aus dem Etat der rischen mehr und mehr der »Wesen und Hygiene der Lei­ Sport-Sondernummer der
Jugendpflege. Der Regierungs­ Wettkampfgedanke. In den besübungen«. Münter hatte Hannoverschen Hochschulblätter
rat a.D. Hans Vogel wurde mit 1920er Jahren hatten die han­ zunächst einen Lehrauftrag, aus dem Jahr 1926 (Nr. 2,
der Leitung des akademischen noverschen Studierenden eini­ 3. Semesterfolge, 15. April 1926).
Sportbetriebs nebenamtlich ge Erfolge zu verzeichnen: 1932 wurde er Honorarprofes­
beauftragt. Da sich der Sport So war die TH Hannover 1922 sor für Leibesübungen und
an anderen Hochschulen ähn­ und 1924 deutscher Hoch­ Erste Hilfe bei Unglücksfällen.
lich entwickelte, fanden im schulmeister im Fußball. Bei Münter führte auch die sport­
Sommersemester 1914 die ers­ einer akademischen Olympia­ ärztliche Untersuchung durch,
ten »Niedersächsischen Hoch­ de in Marburg 1924 schnitt sie der sich alle neueintretenden
schulwettkämpfe« zwischen als beste Hochschule ab. Studierenden unterziehen
Hannover, Göttingen und mussten. Die Frage, welche
Braunschweig statt. Die Stellung des Hochschul­ Kriterien bei der Eingangsun­
sports änderte sich gravierend tersuchung zum Tragen ka­
Sport als Pflichtfach durch die Einführung der men, ist bislang für die TH
Leibesübungen als Pflichtfach. Hannover noch offen. Fried­
Nach dem Ersten Weltkrieg Das Preußische Kultusministe­ rich Münter trat bereits 1925 in
ging die Initiative zur Einfüh­ rium trug dem Wunsch der die Nationalsozialistische Deut­
rung der Leibesübungen an Deutschen Studentenschaft sche Arbeiterpartei (NSDAP)
den Hochschulen von der von mit der Verordnung vom ein und erhielt die Nr. 8540. Er
einem völkisch­nationalen 24. März 1924 Rechnung. Alle ist damit an der TH Hannover
Verbindungswesen getragenen Studierenden hatten an den das Parteimitglied mit der
Studentenschaft aus. Mangel­ zweisemestrigen Leibesübun­ niedrigsten Mitgliedsnummer.
hafte Ernährung und Woh­ gen teilzunehmen. An allen Anlässlich des Hochschuljubi­
nungsnot kennzeichneten die preußischen Universitäten läums 1931 sah er den Sinn der
wirtschaftliche Lage der Stu­ und Technischen Hochschulen
dierenden. Viele befanden sich wurden ab 1925 »Institute für
in einem beängstigenden Ge­ Leibesübungen« eingerichtet
sundheitszustand. Die 1919 und hauptamtliche akademi­
gegründete »Deutsche Studen­ sche Turn­ und Sportlehrer
tenschaft« forderte 1920 die eingestellt. An der TH Hanno­
Einführung der Leibesübun­ ver erhielt Hans Vogel eine
gen als Pflichtfach an den feste Anstellung und leitete
deutschen Hochschulen. Die das am 1. Oktober 1925 ein­
Forderung wurde richtungs­ gerichtete Institut. Es gab
weisend für die Entwicklung Leichtathletik und Ballspiele,
des Hochschulsports in der in angemieteten Hallen wurde
Weimarer Republik. geturnt. Ab 1926 verschärfte
sich in den »Hannoverschen
Da die Leibesübungen an den Hochschulblättern« die Wort­
Hochschulen in der Nach­ wahl der Studierenden, die
kriegszeit von offizieller Seite nun von der »Notwendigkeit
nicht unterstützt wurden, setz­ der körperlichen Ertüchti­
te an vielen Universitäten, gung« sprachen.
besonders jedoch an den Tech­
nischen Hochschulen, eine geländesport zur erhaltung
intensive Eigeninitiative der der Wehrkraft
Studierenden ein, die in Han­
nover von den Professoren Mit Einführung der Leibes­
mitgetragen wurde. 1920 rich­ übungen als Pflichtveranstal­

23

AufArbeitung und gedenken leibniz universität hannover

Leibesübungen in der Erhal­ 1932 trat die Frage der fehlen­ Wehr­ und Opferbereitschaft
tung der Wehrkraft: »Jedes den Wehrpflicht und der dar­ für Volk und Land.«
Volk, das sich nicht selbst auf­ aus angeblich resultierenden
gibt, sich nicht selbst sein Grab mangelhaften körperlichen Der Geländesport als wesent­
schaufeln will, muß sich wehr- Erziehung der Studierenden in liches Element des späteren
haft erhalten.« Darüber hinaus den Blickpunkt des Interesses. Wehrsports spielte nach bishe­
beschäftigte man sich am Insti­ Der in diesem Jahr gegründete rigen Erkenntnissen an der
tut für Leibesübungen auch »Deutsche Hochschulaus­ TH Hannover eher eine unter­
mit dem Thema »Rasse«. Spä­ schuß für Körpererziehung«, geordnete Rolle. Er gehörte bis
testens ab 1930 bot dort Theo­ dem Vertreter der Professoren­ Ende 1932 nicht zum offiziel­
dor Messerschmidt die Vorle­ schaft, der Hochschulärzte len Programm des Instituts für
Leibesübungen. Aus diesem
3 Bereich wurden unter der Ru­
brik »Zwecksport« lediglich
abbildung 3 Lehrgänge über »Erste Hilfe
Eine Siegerurkunde vom Hoch- bei Unglücksfällen« und
schulsportfest im Sommersemes- »Luft­ und Gasschutz« durch­
ter 1933. geführt. Die praktischen
Übungen wie Gepäckmärsche
Quelle: Pflüger und Kleinkaliberschießen gab
es nicht. Zu Wochenendlagern
konnte man ins Geländelager
in Scheunen oder ins Wehr­
sportlager Hanseatische Yacht­
schule in Holstein fahren. Eine
Wende zeichnete sich ab, als
der preußische Kultusminister
am 28. November 1932 Ge­
päckmärsche, Kleinkaliber­
schießen und Wochenendlager
für die vorgeschriebenen Lei­
besübungen anerkannte.

Vom geländesport
zum Wehrsport

sung »Fürsorgebestrebungen und der Hochschul­Turn­ und Nach dem Regierungsantritt
für die deutsche Jugend im Sportlehrer angehörten, der Nationalsozialisten wurde
Sinne der Erhaltung der Ras­ schrieb die Eingliederung des der Geländesport zum Wehr­
se« an. Der Privatdozent Mes­ Geländesports in den Betrieb sport. Er umfasste diverse mi­
serschmidt unterrichtete seit der Hochschulleibesübungen litärisch geprägte Übungen
1928 an der TH Hannover und der Körpererziehung auf wie Gelände­ und Orientie­
Hygiene, insbesondere Gewer­ seine Fahnen. Geländesport rungsmärsche, Hindernisläufe,
be­ und Sozialhygiene. sollte die deutsche Jugend zu Schießübungen, Nahkampf­
»wehrhaften Männern« erzie­ training oder Angriffs­ und
Ein Höhepunkt an der TH hen: »Die Grundeigenschaften Verteidigungstraining. Inner­
Hannover war 1931/32 die des wehrhaften Mannes sind halb eines Jahres wurde der
Errichtung eines eigenen körperliche Leistungsfähig­ Wehrsport an den Universitä­
Hochschulstadions mit Turn­ keit, Gewandtheit und Härte, ten und Hochschulen offiziell
halle und Institutsgebäude Willensstärke, Mut und Ent­ eingeführt und der SA unter­
zum einhundertjährigen Hoch­ schlusskraft, Zucht, Ord­ stellt.
schuljubiläum. nungsliebe, Kameradschaft,
Am 21. Januar 1933 ordnete
der aus Hannover stammende
preußische Kultusminister
Bernhard Rust, ab 1934 Reichs­
minister für Wissenschaft, Er­
ziehung und Volksbildung, die
Einführung des Geländesports
an den Instituten für Leibes­
übungen an. Am 19. Mai 1933

24

Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

folgte die Ankündigung der Sommersemester 1934 von Leibniz Universität Hannover Dr. Rita Seidel
Einstellung von Wehrsportleh­ zwei auf drei erhöht worden. ermittelten NS-bedingten Be­ Jahrgang 1948, war bis 2013
rern. Am 1. Juli 1933 wurde Die Hochschulsportordnung günstigten der TH Hannover. Leiterin, bzw. stellvertretende
Sturmbannführer Eberhard ist Teil des 1934 vollzogenen Wegen seiner NS-Betätigung Leiterin des Universitätsarchivs
Stein auf Anordnung des Mi­ Gleichschaltungsprozesses der wurde er 1933 trotz schlechter Hannover und ist Mitglied
nisters Wehrsportlehrer an der Nationalsozialisten. Mit ihrer Staatsexamensnoten bevor­ des Instituts für Didaktik der
TH Hannover. Im Sommerse­ Einführung wurden die noch zugt in den Vorbereitungs­ Demokratie. Ihre wissenschaft­
mester 1933 wurden hier be­ bestehenden Akademischen dienst für das Lehramt an lichen Schwerpunkte sind Wis­
reits an vollen vier Tagen Ausschüsse für Leibesübun­ Gymnasien eingestellt. senschaftsgeschichte, Wirt­
Übungsmärsche durchgeführt. gen endgültig aufg­ elöst. schafts- und Technikgeschichte
Während des Zweiten Welt­ sowie Regionalgeschichte.
Als sichtbares Zeichen der in­ Drei Jahre später, am 10. Mai kriegs wurde der Sportbetrieb Kontakt: [email protected]
zwischen zentralen Stellung 1937, wurden die an den deut­ an der TH Hannover aufrecht­ hannover.de
des Sports im Nationalsozia­ schen Hochschulen zugelas­ erhalten. In der Nacht vom
lismus kann die groß aufgezo­ senen Juden von der drei­ 8. zum 9. Oktober 1943 wurde
gene Rektoratsübergabe an semestrigen Grundausbildung die Turnhalle ausgebombt und
Otto Franzius unter Anwesen­ an den Hochschulinstituten am 28. März 1945 endgültig
heit von Minister Rust in den für Leibesübungen ausge­ zerstört. Nach Kriegsende
neuen Sportanlagen der TH schlossen. Der Ausschluss hat­ wurde Friedrich Münter sofort
Hannover im Juni 1933 gese­ te Methode: Mit dieser Anord­ und Karl-Heinz Graumann am
hen werden. nung waren Juden praktisch 29. Januar 1946 auf Anord­
vom Studium überhaupt aus­ nung der Militärregierung
Zum Wintersemester 1933/34 geschlossen, da die Grundaus­ entlassen.
erfolgte die Übergabe der bildung eine für das Studium
wehrsportlichen Erziehung zu erbringende Pflichtleistung 1945 – ein Neubeginn?
der Studierenden an die war. Im gleichen Jahr wurden
Sturma­ bteilung (SA), der para­ Juden nicht mehr zur Promo­ Hans Vogel, der schon längst
militärischen Kampforgani­ tion zugelassen. Endgültig die Altersgrenze überschritten
sation der NSDAP. Nach Ein­ vervollständigt wurde die hatte, leitete das Institut für
richtung des SA-Hoch­schul­ ­Vertreibung 1938. Im An­ Leibesübungen an der TH
amtes wurden die örtlichen schluss an das November­ Hannover weiter bis 1948.
SA-Hochschulämter mit SA- pogrom (»Reichskristall­ Nach revidiertem Entnazifi­
Wehrsportlehrern besetzt. Bei nacht«) sprach das Reichser­ zierungsbescheid wurde Karl-
den Geländesportübungen ziehungsministerium die Heinz Graumann im August
waren nunmehr die Komman­ te­legraphische Anweisung 1949 wiedereingestellt und
dos der SA anzuwenden. Am aus, Juden die Teilnahme an übernahm ab Ende des Jahres
28. Dezember 1933 erfolgte Lehrveranstaltungen und das die Leitung des »Instituts für
die offizielle Abgrenzung der Betreten der Hochschulen zu Sporterziehung der Techni­
Arbeitsgebiete der Institute für verbieten. schen und Tierärztlichen
Leibesübungen und der SA- Hochschule Hannover«. Zum
Hochschulämter. Da eine Ab­ Das Institut für Leibesübun­ Hochschuljubiläum 1956 er­
grenzung in der Praxis jedoch gen an der TH Hannover wur­ hielt das Institut für Leibes­
kaum möglich war, galt fol­ de in der Zeit des Nationalso­ übungen hinter der Großen
gende Regelung: Ȇbungen, zialismus weiter ausgebaut. Allee eine neue Turn- und
die im Sportanzug betrieben Ab 1935 wurden die Studie­ Sporthalle. Entwurf und
werden, fallen unter die Zu­ renden der Tierärztlichen B­ auleitung lagen bei Walther
ständigkeit des Instituts für Hochschule Hannover vom Wickop, Professor für Archi­
Leibesübungen; Übungen, I­nstitut mitbetreut. Mehrere tektur, seit 1933 Mitglied der
die im SA-Dienstanzug bzw. Assistenten und Hilfsassisten­ NSDAP und einer der NS-
Marschanzug betrieben wer­ ten wurden eingestellt. Einer bedingten Begünstigten der
den, unter die Zuständigkeit der Wissenschaftlichen Assis­ TH Hannover. 1972 wurde
des SA-Hochschulamts.« tenten war ab 1936 Karl-Heinz Graumann erster Lehrstuhl­
Graumann, der bis dahin mit inhaber für Sportwissenschaft
Ihren formalen Abschluss fand den Fächern Deutsch, Ge­ der TU Hannover.
die Entwicklung im Oktober schichte und Sport im Schul­
1934 mit der Einführung der dienst tätig war. Graumann Die Frage, inwieweit 1945 ein
»Hochschulsportordnung«. wurde seit 1933 in den Listen Neubeginn im Hochschulsport
Sie sah unter anderem für alle der NSDAP geführt und 1937 war, erfordert eine Aufarbei­
Studierenden eine dreisemest­ offiziell als Mitglied aufge­ tung des Themas Sport an der
rige Grundausbildung vor. nommen. Seit 1931 war er akti­ TH Hannover bis in die 1970er
Die Pflichtsemester für Leibes­ ves Mitglied der SA. Grau­ Jahre.
übungen waren bereits im mann zählt zu den von der

25

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Nationalsozialistisches Unrecht an der
TH Hannover

ERSTER BERICHT DER SENATSARBEITSGRUPPE

Die Senatsarbeitsgruppe hat 1
im Zuge ihrer Untersuchun­
Im Rahmen der Aufarbeitung gen 63 Fälle von Beeinträchti­
nationalsozialistischen Unrechts gungen unterschiedlichen Ge­
an der Technischen Hochschule wichtes ermittelt, die sich über
alle Statusgruppen der Techni­
Hannover (THH) hat sich schen Hochschule Hannover
die vom Senat der Leibniz (THH) erstrecken. Die wich­
Universität Hannover ein- tigsten Quellen dazu fanden
sich im Archiv der TIB/Uni­
versitätsarchiv Hannover so­
wie im Niedersächsischen
Landesarchiv.

gesetzte Arbeitsgruppe Der Fall von Hugo Kulka des bekannten SPD­Politikers auf eine besonders perfide
im ersten Teil ihrer Arbeit mit (1883–1933) hat einen klar ras­ und früheren Reichswehrmi­ Weise: der Rektor regte in
den NS-bedingten Beeinträch- sistischen Hintergrund: Der nisters Gustav Noske (1868– einem Schreiben an das
seit 1924 an der THH als Ho­ 1946), der als Oberpräsident Reichsministerium für Erzie­
tigungen befasst. norarprofessor lehrende Hugo der Provinz Hannover 1928 hung, Wissenschaft und Volks­
Holger Butenschön, Leiter Kulka legte seinen Lehrauftrag Ehrenbürger der THH gewor­ bildung an, die Ehrenbürger­
dieser Gruppe, verdeutlicht die gezwungenermaßen auf den war. Er wurde im Mai schaft an Hochschulen von –
Breite der Beeinträchtigungen Grund der rassistischen Ge­ 1933 in den einstweiligen wie er formulierte – »Banner­
anhand ausgewählter Beispiele. setzgebung im April 1933 nie­ Ruhestand versetzt und im trägern des alten Systems«
der. Der anerkannte Experte September desselben Jahres abzuerkennen, auch wenn sie
für Eisenbau, der z.B. am Bau wegen »politischer Unzuver­ sich – wie Noske – gewisse
der Norderelbe­Brücke und lässigkeit« entlassen. Er hatte Verdienste in »nationalem«
des Hauptbahnhofs Leipzig wegen seines Vorgehens als Sinne erworben hätten. Um
maßgeblich beteiligt war, soll­ Reichswehrminister gegen darüber keine großen Diskus­
te eigentlich auf den Lehrstuhl linksgerichtete Aufständische sionen aufkommen zu lassen,
für Eisenbau und Statik der in den Jahren 1919/20 auch in schlug Franzius vor, dass es
THH berufen werden, war nationalkonservativen und nicht nötig wäre, dem »Betrof­
jedoch schon 1932 wegen sei­ nationalsozialistisch orientier­ fenen hiervon besondere Mit­
ner jüdischen Herkunft unter ten Kreisen ein gewisses An­ teilung zu machen.« Darauf­
den Lehrenden der THH hef­ sehen. Trotzdem traf ihn am hin verfügte das Ministerium
tig umstritten. Kulka, der 1912 12.8.1933 die willkürliche Min­ am 12.8.1933, dass Noske aus
vom jüdischen zum christ­ dervariante einer stillen Strei­ der Liste der Ehrenbürger der
lichen Glauben konvertierte, chung aus den Ehrenlisten. Technischen Hochschule Han­
floh im Spätsommer 1933 nach Dies geschah auf Betreiben des nover »stillschweigend« zu
Den Haag, wo er im Oktober damaligen Rektors Franzius streichen sei.
des Jahres an den Folgen einer
durch die Flucht verschlepp­
ten Erkrankung starb.

Wie subtil die Aberkennung
eines Titels oder einer Ehrung
verlaufen kann, zeigt der Fall

26

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Ein weiterer als rassistisch ein­ der Rektor Simons und der andere Arbeitsstelle suchen
zustufender Fall ist der von Dekan der zuständigen Fakul­ musste. Ursächlich für beide
Otto Flachsbart (1898–1957): tät Schleicher. Otto Flachsbart Aktionen war, dass Schiemann
Otto Flachsbart war seit 1932 kehrte am 1.10.1945 in die nach nationalsozialistischer
Lehrstuhlinhaber für Mecha­ THH zurück und amtierte Definition als »Halbjude« galt.
nik an der THH und wurde 1947–1950 als ihr Rektor. Sein Gesuch um weitere Beur­
am 29.6.1937 in den Ruhestand laubung von Ende Juni 1937
versetzt. Begründet wurde Ein weiterer rassistischer Fall wurde von der Hochschule
dies mit einer besonders ist der von Günther Schie- nicht zur Kenntnis genommen,
schwammigen Formulierung mann (1899–1967): Am da – wie der Leiter der Dozen­
des NS­Säuberungsgesetzes, 10.6.1937 wurde der am Insti­ tenschaft formulierte – »eine
die Handhabe bot, Beamte aus tut für Organische Chemie als weitere Beurlaubung des
dem Dienst zu entfernen, auch Privatdozent tätige Chemiker Dozenten Dr. Schiemann …
wenn sie nicht unter die jewei­ Günther Schiemann mit der unerwünscht [ist], da er jü­
ligen Vorschriften des Geset­ Begründung aus dem Lehr­ disch versippt« sei. Nach 1945
konnte Schiemann an die
2 Hochschule zurückkehren. Abbildung 1
Holger Butenschön mit dem Stu-
Ein gründlich untersuchter dentenausweis von Klaus Fröh-
Fall ist der von Walter Dux. lich bei der Gedenkveranstaltung
Wie Günther Schiemann war im November 2013.
auch Walter Dux (1889–1987) Foto: Christian Bierwagen
Chemiker. Er wurde 1889 in
ein jüdisches Elternhaus gebo­ Abbildung 2
ren. Er studierte an den Tech­ Ein Schreiben von Klaus Fröhlich
nischen Hochschulen Darm­ an seinen Professor Georg Pran-
stadt und Hannover und ge. Oben links bescheinigt Prange
schloss sein Studium 1912 als dem Studenten »wissenschaftlich
Diplom­Ingenieur ab. Bereits qualifiziert« zu sein. Dennoch
1913 promovierte er mit einer wird er selbst nicht aktiv, um
Dissertation »Zur Photochemi­ seinem Studenten zu helfen.
schen Kinetik des Chlorknall­ Quelle: Universitätsarchiv Hannover,
gases« bei Max Bodenstein Hann 146 A, Acc. 134/81; Nr. 54/N/17.
über die Entwicklung der Ket­
zes über aus politischen oder körper der THH gestrichen, tenreaktion an der TH Hanno­
rassistischen Gründen zu ver­ dass er seit 3 Semestern »nicht ver zum Dr.­Ing. 1936 siedelte
folgende Personen fielen. Tat­ mehr gelesen und auch ein Walter Dux mit den beiden
sächlicher Grund für die Ent­ Urlaubsgesuch nicht einge­ Kindern nach Großbritannien
lassung Flachsbarts war je­ reicht hat« (so der damalige über, seine Frau Marga Dux
doch, dass seine Frau nach Rektor Simons). Bereits zuvor folgte 1937. Im Jahr 1939 wur­
nationalsozialistischer Defini­ war Schiemanns Vertrag als de durch den Deutschen Reichs-
tion als Jüdin galt. Treibende Oberassistent nicht über den anzeiger und den Preußischen
Kräfte für das Vorgehen gegen 30.9.1935 hinaus verlängert Staatsanzeiger der Verlust der
Flachsbart waren insbesondere worden, so dass er sich eine deutschen Staatsangehörigkeit
von Walter Dux und allen Fa­
milienmitgliedern veröffent­
licht. Aufgrund des Verlustes
der Staatsangehörigkeit erfolg­
te am 10.1.1940 die Aberken­
nung des 1913 erworbenen
Dr.­Titels der THH, weil Wal­
ter Dux damit als »unwürdig«
zum Führen eines akademi­
schen Titels galt. 1946 wurde
Dux in der hochschulintern
erstellten Liste der Aberken­
nungen nicht erwähnt. Seit
den 1950er Jahren besuchte
Dux wiederholt Hannover
und auch sein altes Institut,
das heutige Institut für Physi­
kalische Chemie und Elektro­

27

Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

chemie. 1963 fand eine Jubi­ gegangenes Schreiben, mit deportiert und verlor im KZ
läumsfeier aus Anlass der dem er diesen um eine schrift­ Buchenwald am 9.2.1945 sein
­Erneuerung der Promotions­ liche Empfehlung immerhin Leben.
urkunde mit einer Ansprache für die Harvard Universität
von Walter Dux statt. Dies ge­ und das Bostoner MIT ersuch­ Auch wenn sich die Arbeits­
schah zwar unter dem zum te, war ebenso vergeblich. Statt gruppe, wie ich anfangs sagte,
Zeitpunkt dieser »Goldenen selbständig auf diesen formlo­ mit den belegbaren Einzelfäl­
Promotion« amtierenden Rek­ sen Antrag zu reagieren, such­ len befasst hat, gibt es doch
tor Vierling, der 1940 am Ent­ te sich sein Betreuer nämlich, einen besonderen Umstand,
zug des Titels beteiligt gewe­ wie aus seinem Handvermerk der die zahlenmäßig größte
sen war, doch gab es bei der auf dem Gesuch ersichtlich, Statusgruppe betrifft, die der
Studierenden: Mitte der drei­
Prof. Dr. Holger Butenschön Aus dem Beschluss des Senats, des Präsidiums und des ßiger Jahre wurde für alle
Jahrgang 1953, ist seit 1993 Hochschulrates der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität: deutschen Hochschulen ein
Professor für Organische Che- reichsweit einheitliches Sys­
mie. Seine Forschungsinteres- »Die Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover stellt in der tem von Matrikelnummern
sen liegen in der Metallorgani- Nachfolge der Technischen Hochschule Hannover mit Nachdruck eingeführt, das sich aus der
schen Chemie. Er leitet die fest, dass sie sämtliche an dieser ab 1933 durch Hochschulorgane jeweiligen Hochschulnummer
Curie-AG, eine Arbeitsgemein- bewirkten NS-bedingten Beeinträchtigungen verurteilt und als (für die THH: 54) und der lau­
schaft der Naturwissenschaft- von Anfang an nichtige Unrechtsakte wertet.« fenden Matrikelnummer des
lichen Fakultät an der Schnitt- einzelnen Studierenden zu­
stelle zwischen Schule und Veranstaltung keinen erkenn­ zunächst beim Rektor abzusi­ sammensetzte (Beispiel: 54/
Hochschule. Er ist seit 2011 baren Hinweis auf den Ent­ chern. Dieser verfügte indes­ 3487). Diese Matrikelnum­
Mitglied und Sprecher des zug. Dux überreichte der Fa­ sen bereits einen Tag später mern wurden aber nur an
Senats der Leibniz Universität kultät eine Kopie der goldenen die Ablehnung. Damit nicht deutsche, als »arisch« angese­
Hannover und hat die Arbeits- Kette Max Bodensteins in Er­ genug: Da das nunmehr ver­ hene Studenten vergeben.
gruppe des S­ enats zur Aufar- innerung an die erstmalige stärkte Bemühen, beim Dekan Ausländische Studierende be­
beitung der NS-Vergangenheit Beschreibung der Kettenreak­ seiner Fakultät ein Zeugnis kamen eine »A«-Matrikelnum­
der Technischen Hochschule tion im Jahr 1913. Walter Dux über seine Vordiplomarbeit zu mer (Beispiel: 54/A/365). So­
Hannover geleitet. Kontakt: verstarb im Jahr 1987. erhalten, ebenfalls nicht fruch­ genannte »nichtarische« Stu­
holger.butenschoen@mbox. tete, wandte sich Klaus Fröh­ dierende erhielten eine mit
oci.uni-hannover.de Ein bisher unbekannter Fall, lich per Einschreiben vom »N« (»Nichtarier«) ergänzte
der erst durch die Nachfor­ 4.1.1939 an den Rektor unserer Matrikelnummer (Beispiel
schungen der Arbeitsgruppe Hochschule. Dabei hatte er 54/N/20). An der THH sind
aufgeklärt wurde, ist der von nun noch in Kopie das zwi­ 33 dieser »N«-Matrikelnum­
Klaus Fröhlich (1918–1945): schenzeitliche Schreiben der mern bis 1945 bekannt. Darun­
Klaus Fröhlich, geboren 1918 Harvard Universität beigefügt, ter fielen vor allem Juden.
in Berlin, hatte den Wunsch, aus dem hervorgeht, dass er
Physik zu studieren. Nach dort sein Studium bereits zum Diese Studierenden waren
dem vergeblichen Versuch, als Februar 1939 oder auch später durch ihre Matrikelnummer
damals sogenannter Volljude fortsetzen konnte. Wie aus im Hochschulalltag als »Nicht­
zum WS 1936/37 an der Tech­ dem Antwortvermerk des arier« zu identifizieren und
nischen Hochschule Berlin Rektors vom 9.1.1939 hervor­ entsprechend stigmatisiert,
zum Studium zugelassen zu geht, hatte der Dekan den Fall zumal auch der entsprechende
werden, gelingt ihm dies zum jedoch schon zuvor an den Studentenausweis eine andere
SS 1937 an der THH. Fröhlich, Reichserziehungsminister wei­ Farbe als die üblichen aufwies.
der am 5.11.1938 die Vorprü­ tergegeben, von dem schon
fung im Fach Physik abgelegt unter dem 13.1.1939 zurück­ Zunächst konnten einige jüdi­
hat, wird nun von der THH im kam: »Aushändigung des sche Studierende mit »N«-Ma­
Stich gelassen, indem sie ihn Zeugnisses über das bestande­ trikelnummer ihr Studium
über das Ergebnis seiner Vor­ ne [sic] Diplomvorexamen noch fortsetzen, wenn die
diplomarbeit nicht mehr be­ kommt nicht in Frage.« »Quote für nichtarische Stu­
schied. Dabei wollte er inzwi­ Der alsbaldige Kriegsausbruch denten« noch nicht ausge­
schen sein Studium im Aus­ führte für Klaus Fröhlich schöpft war. Dies war aber
land fortsetzen. Sein an seinen nur noch zu weiterer Ver­ offenbar nur auf gesonderten
betreuenden Professor Prange schlimmerung. Er wurde am Antrag möglich und konnte
gerichtetes, am 28.11.1938 ein­ 28.6.1943 in das KZ Auschwitz willkürlich abgelehnt werden.
Spätestens 1938 wurden aber
auch die letzten jüdischen
S­ tudenten mit »N«-Matrikel­
nummer von der TH Hanno­
ver entfernt.

28

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Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

Begünstigungen an der TH Hannover
zwischen 1933 und 1945

Zweiter Bericht der Senatsarbeitsgruppe

Im Vergleich zum ersten Teil »Ich habe die Absicht, Sie auf Nur selten lassen sich jedoch sche Beurteilungen, die bei
war es für die Mitglieder Grund Ihrer früheren Betäti­ – wie in diesem Fall – Begüns­ Einstellungsverfahren obliga­
der Senatsarbeitsgruppe gung für die N.S.D.A.P. in den tigungen durch NS-Mitglied­ torisch waren, verbauten in
­wesentlich schwieriger, ordnungsmässigen Vorberei­ schaften oder NS-Engagement der Regel Karrieren an der
tungsdienst … aufzunehmen, so unmittelbar dokumenta­ Hochschule, positive konnten
­NS-bedingte Privilegierungen während ich Sie mit Rücksicht risch nachweisen. Deshalb – zum Beispiel in Berufungs­
an der TH Hannover aufzu­ auf Ihr Zeugnis zunächst für erarbeitete die Senatsarbeits­ verfahren – wesentliche ziel­
arbeiten. Die Recherchen den Vorbereitungsdienst auf gruppe (AG) vor dem Hinter­ führende Entscheidungskrite­
­erwiesen sich als deutlich um- dem ›freien Wege‹ … vor­ grund der von Gustav Rad­ rien sein.
fassender und zeitaufwändiger, gesehen hatte.« So heißt es in bruch 1946 aufgestellten For­
da die materiellen Begrün- einem Schreiben des Oberprä­ mel »extremes Unrecht ist kein Unter den Professoren (ein­
dungszusammenhänge auf­ sidenten der Provinz Hanno­ Recht« Kriterien, die Nutz­ schließlich der außerordent­
ver vom 11. Oktober 1933 an nießer des NS-Systems iden­ lichen) ermittelte die AG auf
gedeckt und überprüft den »Kandidaten des höheren tifizierbar machen. Dies sind der Grundlage bereits vorlie­
werden mussten. Lehramtes« Karl-Heinz Grau­ unter anderem: eindeutig gender Forschungsergebnisse
mann. Er hatte sein 1. Staats­ nachw­ eisbarer NS-Bezug, zum insgesamt 21 Begünstigte.
Michael Jung, Mitglied examen nur mit der mäßigen Beispiel bei Einstellungen und Dazu zählen unter anderen die
der Arbeitsgruppe, Gesamtnote »genügend« abge­ Ehrungen, von der Militärre­ Rektoren Horst von Sanden,
schlossen, was üblicherweise gierung nach dem 8. Mai 1945 Alexander Matting und Hel­
erläutert einige Beispiele. zumindest zu einer längeren verfügte Entlassungen; nach mut Pfannmüller, der 1943 als
Wartezeit auf das Referenda­ Kontrollratsdirektive 38 vom Gaudozentenführer auch noch
riat geführt hätte. Graumanns Oktober 1946 definierte Be­ in die Führung der NSDAP
NS-Engagement seit 1931 be­ lastete und Nutznießer, bei im Gau Südhannover/Braun­
wahrte ihn vor dieser unsiche­ denen nach Hauptschuldigen schweig aufstieg. Zwei Profes­
ren Zukunftsperspektive: Es (zum Beispiel SD-/SS-Mit­ soren (Werner Osenberg und
war die »Eintrittskarte« in den glieder, höhere NS-Funktions­ Oskar Vierling) waren in der
Vorbereitungsdienst und seine träger, Wehrwirtschaftsführer SS aktiv, Osenberg zusätzlich
weitere schulische und wis­ ab 1942, Hochschulrektoren im SS-Spitzelapparat SD. Von
senschaftliche Karriere. Trotz nach 1934, wenn sie Parteimit­ den 21 Personen wurden allein
wieder nur »genügender« Ab­ glied waren), Belasteten (zum 13 kurz nach Ende der NS-
schlussnote im 2. Staatsexa­ Beispiel Amtsträger des NS- Herrschaft auf Anweisung der
men wurde er postwendend in Dozentenbundes), Minderbe­ britischen Militärregierung
den Schuldienst übernommen lasteten (zum Beispiel Wehr­ entlassen. Allerdings kehrten
und konnte kurze Zeit später wirtschaftsführer bis Ende fast alle Entlassenen nach
eine Assistentenstelle am 1941, Leitende Angestellte von meist sehr kurzer »Karenz­
I­ n­stitut für Leibesübungen Handels- und Industriebetrie­ zeit« in den Dienst der Hoch­
an der TH Hannover über­ ben), Mitläufern und Entlaste­ schule zurück.
nehmen. Nach Ende der NS- ten unterschieden wurde.
Herrschaft wurde Graumann Dass allein die Berücksichti­
zwar vorü­ bergehend entlas­ Generell muss davon ausge­ gung von Mitgliedschaften
sen, konnte jedoch schon gangen werden, dass zwischen nicht ausreicht, Begünstigun­
k­ urze Zeit später seine Hoch­ 1933 und 1945 alle Stellen­ gen zu attestieren, zeigt allein
schulkarriere als Leiter des vergaben und von der Hoch­ ein Blick darauf, dass zwi­
Instituts und 1972 als erster schule verliehenen Ehrungen schen 1933 und 1945 ins­
Lehrstuhlinhaber für Sport­ in gewisser Weise NS-privi­ gesamt 47 Professoren Partei­
wissenschaft fortsetzen. legiert waren. Negative politi­ mitglieder waren. Unter

30

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LeiBniZ uniVerSitÄt hannOVer

Berücksichtigung einiger zwi­ dieser Rolle organisierte er die hielt. Der Bewerber hieß Teo­
schenzeitlich eingetretener dor Schlomka und war Privat­
Todesfälle sind insgesamt Neuorganisation und ­beset­ dozent für Geophysik an der
mehr als doppelt so viele Leh­ Universität Greifswald. Schon
rende mit NS­Vergangenheit zung der Physik­Lehrstühle in für dieses Gebiet war seine
festzustellen als die AG Be­ Qualifikation nicht unumstrit­
günstigungen festgestellt hat. nationalsozialistischem Sinne ten. Was jedoch diejenige für
Darunter ist mit Hans Bartels Theoretische Physik betraf, war
sogar jemand, der niemals der und engagierte sich für eine die Einschätzung sowohl der
Partei angehört hat, dennoch überwiegenden Mehrheit in
das Geschäft des Nationalsozi­ äußerst linientreue Besetzung der zuständigen Fakultät der
alismus an der Hochschule TH wie auch aller befragten
vehement vorangetrieben und des volkswirtschaftlichen Kapazitäten der Theoretischen
davon profitiert hat. Er war Physik eindeutig: Schlomka
seit Juli 1934 Mitglied im NS­ Ordinariats im Jahre 1937. galt als unqualifiziert. Werner
Heisenberg, Max von Laue,
Für letzteres versuchte er mit Gustav Mie und Arnold Som­
merfeld – die »crème de la
Vehemenz und Unterstützung crème« der damals noch ver­
bliebenen deutschen theoreti­
durch Hochschulleitung, Do­ schen Physiker – äußerten sich
in ausführlichen Gutachten
zentenführung und weiterer teilweise vernichtend über sei­
ne Fähigkeiten auf dem Gebiet
bedeutender Teile der Hoch­ der Theoretischen Physik.

schule entgegen aller wissen­

schaftlichen Gepflogenheiten

einen »alten

1 Kämpfer« der abbildung 1
Partei durch­ Teodor Schlomka, geboren 1901,
war vom Sommersemester 1935
zusetzen, der an Professor für Theoretische
Physik an der Technischen Hoch-
über keinerlei schule Hannover. Nach Stationen
in Prag (1939) sowie von 1945
wissenschaft­ bis 1951 wieder an der Techni-
schen Hochschule Hannover ging
liche Qualifi­ er anschließend nach Weimar.
Quelle: Catalogus Professorum
kationen für
abbildung 2
das Amt ver­ Von 1951 an war Teodor Schlom-
ka Professor am Lehrstuhl für
fügte. Physik an der Hochschule für
Architektur und Bauwesen in
2 Weimar. Das Foto zeigt ihn beim
»Kongress der Nationalen Front«
in der ehemaligen DDR mit sei-
nen Mitarbeitern bei der Bespre-
chung eines neuen Versuchs.
Foto: Blumenthal/Bundesarchiv

Dozentenbund, ohne jedoch Bartels war auch daran betei­ Dass Schlomka trotzdem das
eine Funktion auszuüben. ligt, dass das Ordinariat für Extraordinariat erhielt, hing
Trotzdem legte er an der Theoretische Physik nach dem mit der besonderen Lage der
Hochschule eine atemberau­ Wechsel von Erwin Fues nach Theoretischen Physik nach
bende Karriere hin: Anfang Breslau in ein Extraordinariat 1933 zusammen. Sie galt als
1935 auf dringliche »Empfeh­ umgewandelt wurde. Die be­ »jüdisch« dominiert und wur­
lung« des zuständigen Minis­ reits von der Fakultät beschlos­ de von der völkisch­irrationa­
teriums mit der Vertretung sene Berufungsliste mit vier listischen »Deutschen Physik«
der Professur für Theoretische ausgewiesenen theoretischen mit ihren Protagonisten Len­
Physik betraut, wurde er zum Physikern veränderte er kur­ ard und Stark bekämpft. Als
1. April 1935 auf den Lehr­ zerhand kraft seines Amtes, schon frühzeitig im Sinne des
stuhl für Experimentalphysik indem er einen Bewerber Nationalsozialismus aktiv und
berufen, ohne zuvor auf der strich, einen anderen hinzufüg­ Mitglied der NSDAP brachte
Berufungsliste gestanden zu te und diesen gleich gemein­ Schlomka die Voraussetzung
haben, jedoch auf Vorschlag sam mit dem bisherigen Spit­ mit, in diesem Sinne tätig zu
des zuständigen Dekans und zenreiter an die erste Stelle der werden. Zudem hatte er sich
mit Zustimmung des Rektors. Liste setzte. Aus seiner schrift­ schon Mitte der zwanziger
Nur einen Monat später, im lichen Begründung geht Jahre wenn nicht als theoreti­
Mai 1935, amtierte er bereits allerdings hervor, dass er ihn scher Physiker, so doch als
als Dekan der Fakultät für All­ eigentlich allen anderen Bewer­ Speerspitze gegen einen füh­
gemeine Wissenschaften. In bern gegenüber für überlegen renden Vertreter der wissen­

31

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LeiBniZ uniVerSitÄt hannOVer

Dr. Michael Jung schaftlichen Physik einen Na­ Aus dem Beschluss des Senats, des Präsidiums und des
Jahrgang 1951, ist Mitglied men gemacht. Damals griff er Hochschulrates der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität:
des instituts für didaktik der in polemischer Form eine Ar­
demokratie. Seine arbeits- beit des damaligen Danziger »die von 1933 bis 1945 an der technischen hochschule hannover
schwerpunkte sind hochschul- Ordinarius Carl Ramsauer an. vorgenommenen, nachweisbar nS-bedingten Begünstigungen
geschichte von 1899 bis in Diese Kritik war wohl im We­ hinsichtlich des erwerbs und der nutzung akademischer Stellun-
die 70er Jahre des 20. Jahr- sentlichen substanzlos, konnte gen, grade und ehrungen sind als unrechtsakte zu werden. Sie
hunderts. Michael Jung war aber nach 1933 als Angriff auf stehen und standen bereits bei ihrer entstehung in klarem wider-
Mitglied der vom Senat ein- die »führenden Schulen« der spruch zu dem schon damals bekannten grundsatz der rechts-
gesetzten arbeitsgruppe der Physik gewertet werden. gleichheit und missachteten insbesondere die Maßgeblichkeit des
Leibniz universität hannover Leistungsprinzips, indem sie selbst bei Berufungen von der mit
zur aufarbeitung der nS- Insgesamt 13 Begünstigte der wissenschaftsfreiheit verbundenen Qualitätsvorstellung per-
Vergangenheit der techni- konnte die AG unter den wei­ soneller Bestenauswahl abgingen und damit die grundlagen der
schen hochschule hannover. teren Lehrenden der TH (zum überkommenen humanistisch-akademischen hochschultradition
Kontakt: michaeljung@ Beispiel Honorarprofessoren, verleugneten.«
posteo.de Assistenten, Lehrbeauftragte)
identifizieren. Dazu gehörten von Begünstigungen etwa wurden 10 Problemfälle be­
abbildung 3 unter anderen der eingangs durch Examenserleichterun­ nannt, bei denen von »objektiv
Alle ermittelten Fälle sind in der erwähnte Karl­Heinz Grau­ gen und besseren Noten bei bedenklicher« (sechs Fälle)
im November 2016 erschienenen, mann, der Chemie­Dozent aktivem Eintreten für den und »objektiv geringer NS­
als open access zugänglichen Herbert Haeussler, SS­Schu­ Nationalsozialismus und ähn­ Verstrickung« auszugehen ist.
Buchpublikation (http://dx.doi. lungsleiter im Rasse­ und lichem gegeben hat. Konkret
org/10.15488/685) enthalten. Das Siedlungshauptamt und SS­ nachweisbar sind sie jedoch Mit Roberto Farinacci wurde
Buch ist im Michael Imhof Verlag Untersturmführer sowie der auf Grund der Akten­ und ein führender Vertreter des
erschienen, hat die ISBN 978-3- Honorarprofessor Friedrich Literaturlage bisher nicht. italienischen Faschismus und
7319-0429-8 und kostet 29 Euro. Münter, Träger des »Goldenen glühender Antisemit geehrt.
Parteiabzeichens« der NSDAP Forschungsneuland betrat die Grundlage war die seit 1938
auf Grund seiner Mitglied­ AG bei der Ermittlung von bestehende Partnerschaft zwi­
schaft seit 1925. Kompliziert Begünstigten bei der Verlei­ schen Farinaccis Heimatstadt
hung von insgesamt 32 Ehren­ Cremona und Hannover. Da­
3 titeln. Sie stellte fest, dass bei bei wurde das Problem der
sieben Ehrungen, die fünf Per­ Begründung der Ehrendoktor­
erwies sich die Aufklärung bei sonen betrafen, eindeutig von würde für den hochrangigen
den Mitarbeitern im techni­ einer NS­Privilegierung aus­ Faschisten, der (mit sehr wahr­
schen und Verwaltungsdienst. zugehen ist. Dies betraf den scheinlich durch Plagiat er­
1945 wurden von der briti­ Ehrendoktor Roberto Farinacci schwindeltem Examen) Jurist
schen Militärregierung zwar sowie die Ehrenbürger Rudolf war, dadurch gelöst, dass man
neun Personen auf Grund ih­ Diels (unter anderem SS­Mit­ ihn als städtebaulichen Mo­
rer NS­Verstrickungen entlas­ glied, führend am Aufbau der dernisierer seiner Stadt aus­
sen, jedoch konnte die AG nur Gestapo beteiligt, Regierungs­ zeichnete.
bei drei von ihnen belastbare präsident von Hannover 1936–
Hinweise dazu in einschlägi­ 1943), Henricus Haltenhoff Die AG hat mit der Abgabe
gen Archiven finden. Bei den (unter anderem NSDAP­Mit­ des zweiten Berichts ihre Ar­
Studierenden kann man davon glied und Oberbürgermeister beit abgeschlossen. Sie hat
ausgehen, dass es etliche Fälle von Hannover 1937–1942, jedoch darauf hingewiesen,
aktiv bei der Diskriminierung dass hinsichtlich der NS­
von Juden sowie Sinti und Vergangenheit noch weitere
Roma), Ewald Hecker (unter Komplexe wie zum Beispiel
anderem frühzeitiger Förderer Zwangsarbeit, »Langemarck­
der SS, SS­Brigadeführer, studium« und NS­Belastung
Wehrwirtschaftsführer) und von Angehörigen der TH nach
Erich Stier (unter anderem 1945 der Aufarbeitung harren.
NSDAP­Mitglied, Gestapo,
1934–1941 führende Stellun­
gen im Oberpräsidium Han­
nover). Diels und Hecker
wurden auch noch zu Ehren­
senatoren ernannt. Weiterhin

32

Das Deutschlandstipendium —
gute Gründe für ein Engagement

Ihr Stipendium macht einen wichtigen Unterschied in der Lebensgeschichte
eines begabten Studierenden
Einladung zur stimmungsvollen Stipendienvergabefeier
Vielfache öffentliche Würdigung des Engagements durch die Leibniz
Universität Hannover
Steuerliche Absetzbarkeit der Spende
Verdoppelung der Stipendiensumme durch den Staat —
damit doppelte Wirkung Ihrer Spende
Schwerpunktsetzung mit der Förderung im Fächerspektrum der Leibniz
Universität Hannover möglich

Wie werde ich Stipendiengeber?
Nehmen Sie Kontakt zur Koordinatorin des Deutschlandstipendiums Dr. Stefanie Beier auf:
Tel.: 0511/762-5597 oder [email protected].
Sie wird das weitere Vorgehen mit Ihnen besprechen.

www.uni-hannover.de/stipendienprogramm

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Unangepasst und politisch unzuverlässig

DIE CAUSA ALEXANDER DORNER

Alexander Dorner Eigentlich hätte er noch nicht 1
gehört zu denjenigen, derer die zur Habilitation zugelassen
werden dürfen, dieser 27-jäh- durchgeführte Einrichtung
Leibniz Universität Hannover rige Kunsthistoriker, der im eines entwicklungsgeschicht-
auf der Gedenkwand im Licht- Sommer 1920 beim Abtei- lich angelegten Rundgangs,
hof erinnert. Der Professor für lungskollegium für Architek- der durch Informationen zu
tur der Technischen Hoch- sozialen, politischen und öko-
Kunstgeschichte verließ schule Hannover mit einer nomischen Konditionen den
Deutschland 1937 und Arbeit zur Romanischen Bau- Blick auf größere (kultur-)-
emigrierte in die USA. Seine ornamentik Sachsens vorstellig historische Kontexte der jewei-
Rolle zur Zeit des Nationalsozia- wurde. Erst ein gutes Jahr lag ligen Phase öffnen sollte. In
lismus ist jedoch ambivalent – der Abschluss seines an der diesem Zusammenhang stand
unangepasst und eigenwillig Berliner Friedrich-Wilhelms- etwa im Sommer 1931 die
scheiterte er letztlich mit sei- Universität durchgeführten Ausstellung 100 Jahre Bauen in
nem Anliegen, sich als Anwalt Promotionsverfahrens zurück, Hannover im neugestalteten
der Moderne durchzusetzen. nicht drei, wie es die Habili-
tationsordnung in Hannover
vorsah. Dorner aber berief sich ab zur deutschen Malerei,
erfolgreich auf die Militärzeit Plastik und Baukunst seit
im Ersten Weltkrieg – Jahre ihren Anfängen.
des physischen und psychi-
schen Grenzgangs, verlorene Schon bevor er im Herbst 1923
Jahre für die Realisierung zum Direktor der Kunstabtei-
seines Berufswunsches, ein lung des Provinzialmuseums
Kunstmuseum zu leiten. Dass ernannt worden war, hatte
die berufspraktischen Erfah- Alexander Dorner mit der
rungen, die er gerade erst am Umsetzung eines Reformkon-
hannoverschen Provinzialmu- zepts begonnen, das durch
seum, dem heutigen Nieder- zwei Hauptelemente geprägt
sächsischen Landesmuseum, war: Erstens, die konsequent
zu sammeln begonnen hatte,
seiner Arbeit als Lehrender
zugutekommen würden,
hoben seine Gutachter – die
Kunsthistoriker August Grise-
bach und Paul Schubring so-
wie der Architekt Gustav
Halmhuber – ausdrücklich
hervor. Seit dem Wintersemes-
ter 1921/ 22 hielt Alexander
Dorner, zunächst als Privat-
dozent und ab Frühjahr 1928
dann als außerordentlicher
Professor, im Welfenschloss
und gelegentlich auch im Pro-
vinzialmuseum Vorlesungen

34

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Kuppelsaal des Provinzialmu- Planck gefeiert wurden, wie er einer, der geeignet und willens Abbildung 1
seums, die Dorner anlässlich selbst angab, mag dahinge- war, auf internationaler Ebene Alexander Dorner, um 1920
des 100-jährigen Bestehens der stellt sein – eine Buchpublika- sein Land bei Museumskon- Quelle: Archiv der TIB/Universitätsar-
Technischen Hochschule ver- tion und ein Film standen je- gressen zu vertreten. Dorner
anstaltete. Dieses außerordent- denfalls nachweisbar auf der trat durchweg durchsetzungs- chiv Hannover, Best BCP
lich breite Interesse an künst- Agenda. Zum Sommersemes- fähig, wenn nicht gar arrogant
lerisch-kulturellen Fragestel- ter 1931 bat er mit Blick auf auf. Das trug ihm bei vielen
lungen führte, zweitens, dazu, eben diese Projekte für ein Jahr Vertretern der Avantgarde Kri-
dass Dorners besonderes um Befreiung von seinen Lehr- tik ein – eine Haltung, die sich
Augenmerk der Kunst der verpflichtungen an der Techni- angesichts der Tatsache noch
Gegenwart als bis dahin letz- schen Hochschule. 1934/35 verstärkte, dass Dorner nach
ter Station künstlerischer Ent- dann stand – Zwischenergeb- der Machtübernahme seine
wicklung galt. Nicht von un- nis seiner Forschungen – die Dienste als Deuter der Rolle
gefähr wurde das erste Werk Entwicklung von der Raumvor- der Moderne im National-
Piet Mondrians nicht von stellung in der Baukunst von den sozialismus anbot. In einem
einem Museum in München, Ägyptern bis zum Anfang des aus heutiger Sicht halsbreche-
Berlin oder Paris erworben, Mittelalters auf dem Lehrplan. rischen Zickzackkurs hielt der
sondern durch das hannover- Spross aus einem Elternhaus
sche Provinzialmuseum; nicht Eigentlich könnte deshalb die protestantischer Geistlicher
von ungefähr wurde Hanno- Mitteilung an den Rektor der und Gelehrter mit ausschließ-
ver während des Dornerschen Technischen Hochschule vom lich »arischen« Wurzeln an der
Direktorats zu einem Treff- Februar 1937 überraschen, er bisherigen Ausstellungs- und
punkt der nationalen und in- gebe seinen Wohnsitz in Han- auch Ankaufspolitik fest; das
ternationalen Avantgarde, das nover auf und betrachte des- entwicklungsgeschichtlich
Künstler wie László Moholy- halb seine Tätigkeit an der angelegte Konzept, das die
Nagy oder Wassily Kandinsky Fakultät für Bauwesen, Abtei- Avantgarde der Weimarer Jah-
mit Emil Nolde und dem Lo- lung für Architektur, für been- re als letzte Stufe der bisheri-
kalmatador Kurt Schwitters det. Nur kurz zuvor noch hat- gen Genese wertete, blieb auf-
zusammen brachte. Insbeson- te sich Alexander Dorner auf recht erhalten. Kaum ein Ge-
dere der Austausch mit El Lis- dem Höhepunkt seiner Kar- mälde oder eine Skulptur, die
sitzky, einem der Mitbegrün- riere befunden. Mit seiner andernorts und ab Mitte der

2 3 Abbildung 2
Das Provinzialmuseum (heute
Niedersächsisches Landesmuse-

um Hannover), um 1903

Abbildung 3
Neuordnung des Provinzialmuse-
ums: die Kuppelhalle vorher –
nachher, um 1925/1927

Quelle: © Landesmuseum Hannover

der des Konstruktivismus, Neuordnung der Museums- 1930er Jahre auch offiziell als
weckte Dorners Interesse am bestände, insbesondere der »entartet« galten, wanderte in
Thema der Raumkonzeption Einrichtung des so genannten die Magazine. In neuen erläu-
im Wandel der Geschichte. Er Abstrakten Kabinetts durch ternden Texten und Beschrif-
nahm den Wandel der Raum- El Lissitzky als Ausdruck der tungen indes erfolgte der ideo-
vorstellung von der »Erfin- aktuellsten Strömungen in der logische Schulterschluss mit
dung« der Perspektive hin zu Kunst, aber auch mit seinen der sich erst langsam konso-
etwas, was er als Vierdimen- Schriften und Vorträgen hatte lidierenden nationalsozialisti-
sionalität bezeichnete, als Leit- er sich bei Kollegen, Künstlern schen Kunstpolitik.
motiv der Kunstentwicklung wie einer breiten kunstinteres-
wahr. Ob seine Vorträge zu sierten Öffentlichkeit als einer Der Konstruktivismus als Vor-
diesem Thema unter anderem der führenden deutschen Mu- stufe zu einer »neuen deut-
von Albert Einstein und Max seumsreformer bewährt, als schen Volkskunst« – mit dieser

35

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Dr. Ines Katenhusen Wertung polarisierte er: nicht Alexander Dorner unter Preis- ter- und einordnen sollen in
Jahrgang 1966, ist Referentin nur die avantgardistischen gabe seines Professorentitels den Betrieb eines privat ge-
für Lehre im Präsidialstab und Künstler, die sich politisch für alles daran, Deutschland führten Hauses, der sich so
wurde zum Thema »Kunst und die falsche Seite einvernahmt schnell zu verlassen und sich ganz anders ausnahm als jener
Politik. Hannovers Auseinan- sahen, sondern zunehmend eine neue Existenz in den Ver- in Hannover. Um sich seiner
dersetzungen mit der Moderne auch die Funktionäre des neu- einigten Staaten aufzubauen. zu entledigen, setzten seine
in der Weimarer Republik« en Staates, die Verantwortung Vorgesetzten das FBI sowie
promoviert. Autorin zahlrei- für dessen Kunstpolitik tru- Eigentlich hätte, vor dem Hin- das War Department in Gang,
cher Beiträge zur Kunst- und gen. Die früh beantragte Mit- tergrund dessen, was allge- die Dorners vermeintliche an-
Kulturgeschichte im 19. und gliedschaft in der NSDAP mein über die Emigration ti-amerikanischen Umtriebe
20. Jahrhundert, insbesondere wurde aus ungeklärten Grün- nicht-jüdischer und, mehr untersuchten. Gefunden wur-
Hannovers. Derzeit arbeitet sie den versagt, das Misstrauen noch, jüdischer Deutscher aus de nichts, ein Verbleib des
an der Monographie »Mann gegen den Anwalt der Moder- Hitlerdeutschland bekannt ist, Deutschen aber war in der
mit Mission. Der Museums- ne wuchs. Es kam gelegen, sein Neustart Start in den USA explosiven Stimmung kurz
reformer Alexander Dorner in dass Dorner als »Salonbolsche- nicht viel verheißungsvoller vor Eintritt der USA in den
seiner Zeit (1893–1957)«. wist« und politisch unzuver- aussehen können. Auf Einla- Zweiten Weltkrieg unmöglich
Kontakt: ines.katenhusen@ lässig galt. Die Tätigkeit an der dung des Bauhaus-Gründers geworden. Etwas anderes kam
zuv.uni-hannover.de Technischen Hochschule blieb, Walter Gropius, eines guten hinzu: Dorners Haltung wäh-
soweit bekannt ist, ohne Be- Freundes, eingetroffen und rend der ersten Jahre der na-
Abbildung 4 anstandungen. Im Museum durch seine Kontakte zu tionalsozialistischen Herr-
Das Kabinett der Abstrakten indes nutzten Vorgesetzte und Künstlern, Kunsthändlern und schaft wurde unter den Emig-
El Lissitzkys und Alexander Dor- Kollegen, denen seine Persön- Museumsleuten in der Neuen ranten in den Kunstzirkeln vor
ners, 1927 lichkeit, insbesondere aber Welt bestens vernetzt, dauerte allem an der Ostküste des
Quelle: © Sprengel Museum Hannover auch sein Erfolg ein Dorn im es nur wenige Monate, bis ihm Gastlandes diskutiert. Nicht
Auge waren, die Gelegenheit, wieder die Verantwortung für jeder, der den Stab über den
ihn bei verschiedenen Partei- ein Museum übertragen wur- hannoverschen Museumsdi-
organisationen zu denunzie- de: des Kunstmuseums im rektor brach, war selbst ein
ren – mit Erfolg. Der Druck beschaulichen Providence, Gegner des Regimes gewesen.
auf den Museumsdirektor Rhode Island, unweit von Das hinderte so manche aber
verschärfte sich ab Mitte der New York und Boston. Sein nicht daran, die Jagd der US-
amerikanischen Behörden eil-
4 Direktorat jedoch geriet nach fertig mit Halbwahrheiten zu
anfänglichen Erfolgen zum befördern. Während der letz-
1930er Jahre schnell, Ende Ja- Desaster. Der neue Leiter, der ten siebzehn Jahre seines Le-
nuar 1937 drohte die Verhaf- fortsetzen wollte, was er in bens wurde Alexander Dorner,
tung durch die Gestapo. Dor- Hannover hatte aufgeben der eine Remigration ins
ner kam einer Entlassung aus müssen, war den Verantwort- Nachkriegsdeutschland nie in
dem Museumsdienst zuvor, lichen, reichen Kunstfreunden Betracht zog, keine Museum-
indem er um die rasche Auf- mit überwiegend konventio- stätigkeit mehr angeboten. Er
lösung des Dienstverhältnisses nellem Geschmack, zu mo- strebte aber auch nicht mehr
bat – ein Schritt, der zwei Jahr- dern, zu selbständig – und danach – denn für ihn war die
zehnte später im Zuge seines entschieden preußisch-auto- Institution des Museums als
Wiedergutmachungsverfah- kratisch, wo er sich hätte un- Symbol einer untergegange-
rens für Probleme sorgen soll- nen Welt ebenso überflüssig
te. Einstweilen jedoch setzte geworden wie sich das tradi-
tionelle Konzept von Kunst
überlebt hatte. Stattdessen ar-
beitete er an einer Vielzahl von
Plänen zur Gründung von
Forschungseinrichtungen, die
durch die Integration verschie-
denster Wissenschaftszweige
einen Beitrag zur Lösung glo-
balpolitischer Probleme leisten
sollten. Keines dieser Vorha-
ben wurde je realisiert. Alex-
ander Dorner starb weithin
vergessen im November 1957
als Professor für Kunst und
Ästhetik an einem liberalen
Frauencollege in den Bergen
Vermonts.

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AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

Wissenschaft als Waffe

DER MASCHINENBAU­INGENIEUR WERNER OSENBERG

»Ein Erfordernis des totalen 1
Krieges ist der Totaleinsatz
Werner Osenberg war unseres gesamten Forschungs-
von 1938 an nicht nur Professor potentials«. So überschrieb
an der Technischen Hochschule Werner Osenberg neun Mo-
nate vor dem Ende des NS-
Hannover – er war auch ein Regimes am 31. Juli 1944 eine
überzeugter Nationalsozialist, seiner zahlreichen Denkschrif-
ten an führende Personen im
der bis kurz vor Kriegsende NS-Partei-, Regierungs- und
an einen Sieg Deutschlands Militärapparat. Er glaubte
auch zu diesem Zeitpunkt,
glaubte. nach der alliierten Invasion in
Der Historiker Michael Jung der Normandie und ange-
sichts einer desolaten Lage an
den anderen Fronten, weiter-
hin an den »Endsieg« und
wollte dazu seinen Beitrag
leisten.

gibt einen Einblick in den Osenberg war seit 1938 Ordi-
Werdegang eines Ingenieurs, narius für Werkzeugmaschi-
der seine wissenschaftliche nen an der TH Hannover und
Direktor des gleichnamigen
Karriere auch nach 1945 Instituts. Seine Berufung war
ohne Einschränkungen ein wenig ungewöhnlich. Er
stand gar nicht auf der Beru-
fortsetzen konnte. fungsliste, wurde dort nur in
einem Appendix erwähnt als
jemand, der vielleicht später mons, dem Ministerium und Regierungsstellen. Dies schien
einmal für einen Lehrstuhl in wohl auch der Führung der die wahre Eintrittskarte in das
Frage kommen könnte, damals NSDAP in München wurde Ordinariat gewesen zu sein.
aber noch nicht über die erfor- die Berufung Osenbergs voll-
derlichen Qualifikationen ver- zogen. Hilfreich dabei war, Seine Verbindungen halfen
fügte. Berufen wurde zunächst dass Osenberg seit 1933 Mit- ihm auch bei seiner weiteren
ein angesehener Ordinarius glied der NSDAP und der SS Karriere. War er bereits ab An-
der TH Danzig, der jedoch auf war. Ab 1936 gehörte er zum fang 1940 in der Kriegsfor-
dem Weg zu seiner neuen Wir- Sicherheitsdienst (SD) der SS schung insbesondere für die
kungsstätte plötzlich starb. und hatte darüber Zugang zu Kriegsmarine tätig, so wurde
Dieser Umstand führte aber einflussreichen Partei- und er 1943 Prorektor und agierte
nicht dazu, dass der folgende
Bewerber der Berufungsliste
den Lehrstuhl übernehmen
konnte. In einer blitzschnellen
Abstimmung zwischen dem
als NS-Aktivisten bekannten
damaligen Rektor, Hanns Si-

38

AUFARBEITUNG UND GEDENKEN LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER

zeitgleich als Leiter des Pla- ministerium unter Göring so- Damit bewegte er sich ganz in Abbildung 1
nungsamtes des Reichsfor- wie weitere Ministerien, die der Tradition der von den Er- Werner Osenberg.
schungsrates (RFR) und hatte SS-Einrichtung »Ahnenerbe« fahrungen des 1. Weltkriegs Foto: Catalogus Professorum
damit ziemlich großen Ein- und die Deutsche Forschungs- geprägten führenden Vertreter Quelle: Archiv der TIB/Universitäts-
fluss auf die deutsche For- gemeinschaft (DFG). Eine der technischen Bildungselite, archiv Hannover, Best BCP
schungsorganisation. Bei die- ganz besondere Rolle spielte die eine große Bedeutung der
ser Tätigkeit profitierte er von die »Vierjahresplanbehörde«, Technik für die Kriegführung Abbildung 2
seiner Organisationsmanie die 1936 nach der von Hitler in immer wieder betonten und Anwendungsbeispiele »Planet«.
und seiner Leidenschaft für einer geheimen Denkschrift glaubten feststellen zu kön- Quelle: BA Berlin R 26 III, Nr. 49, Bl. 111
das Anlegen von Karteien mit gestellten Aufgabe gegründet
Angaben über politische An- wurde, dass letztendlich Wirt- 2
sichten und fachliche Leistun- schaft und »deutsche Armee nen, dass die Niederlage von
gen über alle relevanten Wis- (…) in 4 Jahren einsatzbereit« 1918 mit der unzureichenden
senschaftler. Für die Einho- und »kriegsfähig sein« sollten. Ausschöpfung der Möglich-
lung der Informationen stützte Sie finanzierte mit erheblichen keiten der technischen Wissen-
er sich auf das weit verzweigte Mitteln diesbezügliche For- schaften wesentlich zu tun
Spitzelnetz des SD. schung und Entwicklung. hatte.
Zur Vereinheitlichung der For- Um die Kriegsforschung kräf-
Osenberg hatte sich jedoch ein schung wurde Ende der 30er- tig anzukurbeln, forderte
eher schwieriges Betätigungs- Jahre ein Reichsforschungsrat Osenberg in seinen Denk-
feld ausgesucht. Denn alles, gegründet, der jedoch auch in schriften unter anderem eine
was mit Wissenschaft zu tun seiner Neuauflage 1942, in
hatte, gehörte nicht gerade zu dem Osenberg die erwähnte
den Steckenpferden der Natio- führende Rolle übernahm, das
nalsozialisten. Als symptoma- grundsätzliche Problem der
tisch dafür kann die Äußerung Konkurrenzsituation nicht
des Führers der »Deutschen lösen konnte.
Arbeitsfront«, Robert Ley, gel-
ten: »Da sitzt so ein Professor Bereits kurz nach Beginn des
jahrelang in einem Laborato- Krieges wurde Osenbergs Ins-
rium, um Bakterien zu ent- titut zu einem »Wehrbetrieb«
decken. Da ist mir doch jeder erklärt, was bedeutete, dass
Straßenkehrer lieber. Der seine Arbeit ganz auf die Be-
nimmt seinen Besen und fegt dürfnisse des Krieges umge-
mit einer Handbewegung Tau- stellt wurde. Kurze Zeit später
sende von Bakterien in den folgte die Einrichtung einer
Rinnstein.« Es gab jedoch gro- »Marine-Entwicklungsabtei-
ße Unterschiede in der Ein- lung« und die Umwandlung
schätzung der Hochschulen des restlichen Teils des Insti-
und der einzelnen Wissen- tuts in ein »Vierjahresplanins-
schaften. Dabei schnitten die titut für Fertigungsverfahren«.
anwendungsorientierten Tech- Osenberg stellte jedoch fest,
nischen Hochschulen wesent- dass die bedingungslose In-
lich besser ab als die traditio- dienststellung seiner wissen-
nellen Universitäten, was nicht schaftlichen Kapazitäten für
zuletzt der Tatsache geschul- die Kriegsziele an vielen ande-
det war, dass sie eine nicht ren Forschungseinrichtungen
unbedeutende Rolle bei der nicht die Regel war, die vor-
Kriegsvorbereitung und handenen Möglichkeiten nur
-durchführung spielen sollten. zu einem kleinen Bruchteil
Allerdings war die Organisa- genutzt wurden. Diese Fest-
tion der Forschung zersplit- stellung veranlasste ihn ab
tert. Unterschiedliche Akteure Mitte 1942 zur Abfassung der
mischten auf diesem Gebiet Denkschriften, in denen er
mit und konkurrierten mitein- seine Vorstellungen für die
ander: das qua Funktion Nutzbarmachung des gesam-
eigentlich zuständige Reichs- ten technischen und naturwis-
erziehungsministerium, die senschaftlichen Forschungs-
Oberkommandos der einzel- potenzials Deutschlands für
nen Waffengattungen, ins- die Herbeiführung des »End-
besondere das Reichsluftfahrt- sieges« entwickelte.

39

Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

Dr. Michael Jung Zentralisierung der For- den. »Das Steuer des Krieges feindlicher Fliegerverbände
Jahrgang 1951, ist Mitglied schungsorganisation, die endgültig herumzureißen« ermöglichen sollte. Für das
des Instituts für Didaktik der Über­wachung der Forschung könne nur gelingen, wenn es von ihm erdachte Projekt eines
Demokratie. Seine Arbeits­ durch »Forschungs-Inspektio- gelänge, »dem Ingenieur, ins- »Großraum-Sperr-und An-
schwerpunkte sind Hochschul­ nen« sowie die Aufstellung besondere aber auch dem For- griffssystems« (Flakrakete
geschichte von 1899 bis in die eines »wissenschaftlichen scher, den ihm gebührenden »Planet«) hatte er bereits drei
70er Jahre des 20. Jahrhun­ Stoßtrupps« von bis zu 5000 Platz neben dem kämpfenden Wochen vorher ein Patent be-
derts. Michael Jung war Mit­ »hochwertigen Forschern«, die Soldaten einzuräumen«. antragt. Gut drei Monate vor
glied der vom Senat eingesetz­ an der Front unterqualifiziert Osenberg hielt es auch noch dem endgültigen Aus für
ten Arbeitsgruppe der Leibniz eingesetzt waren. Mit Letzte- zu diesem Zeitpunkt für mög- ­Nazi-Deutschland war er der
Universität Hannover zur rem wollte er weiteres »na- lich, durch eine »Total-Aktivie- Meinung, »dass es auch heute
­Aufarbeitung der NS-Vergan­ menloses Elend« – sprich: die rung der deutschen Wehr­ noch möglich ist, durch Ver-
genheit der Technischen Hoch­ verheerende Kriegslage – »ver- forschung« kurzfristig den wirklichung geeigneter Maß-
schule Hannover. Kontakt: hüten« und endlich »dem For- Kriegs­ablauf »ausschlag­ nahmen die Luftkriegslage
[email protected] scher und dem Ingenieur sein gebend« zu beeinflussen. fast schlagartig zu verändern«.
Handwerkszeug, seine Waffe« Zur Fertigung der Rakete in
– Forschung und Entwicklung Immerhin hatte er mit einer KZs und zum Einsatz in der
für den Krieg – in »die Hand seiner Ideen Erfolg: Am Waffen-SS hatte er bereits die
drücken«. 24. August 1944 unterschrieb Zustimmung Himmlers er­
Göring einen Erlass, der die halten und von höchster Stelle
Abgesehen von der Einrich- Einrichtung einer neuen Orga- wurde darauf gedrungen,
tung des Planungsamtes und nisation – der »Wehrfor- d­ iese Idee schnellstmöglich
der Rückholung eines Teiles schungsgemeinschaft« – unter voranzutreiben, so dass am
der 5000 Wissenschaftler, blie- Osenbergs Leitung vorsah. 29. März erste Untersuchun-
ben Osenbergs Plädoyers weit- Damit sollten alle »Forschung gen zur Machbarkeit vorlagen.
gehend ohne Erfolg, so dass er treibenden staatlichen und Abgesehen von der aus techni-
sich veranlasst fühlte, die ein- industriellen Institute und schen Gründen eher zweifel-
gangs erwähnte Denkschrift ­Laboratorien … zum Zwecke haften Realisierbarkeit des
zu verfassen. Nicht ganz un­ einer einheitlichen Personal- Projektes war es jedoch zu
geschickt berief er sich dabei Sicherstellung« zusammen­ spät, um noch etwas ausrich-
auf den »Erlaß des Führers geschlossen werden und nur ten zu können. Einige Tage
über den totalen Kriegsein­ noch denjenigen Forschungs- später erreichten alliierte Trup-
satz« vom 25. Juli 1944 und projekten oberste Priorität bei- pen den Standort von Osen-
Hitlers Feststellung, dass »die- gemessen werden, denen vom bergs Institut sowie des Pla-
ser Krieg … nicht allein ein Reichsforschungsrat (RFR) nungsamtes des RFR in der
Krieg der Soldaten, sondern eine »kriegsentscheidende Be- Nähe von Hannover und nah-
vor allem auch der Techniker« deutung« zuerkannt wurde. men ihn fest.
sei. Die Worte des »Führers« Zeichnete Osenberg auch ein
müssen Osenberg wie eine schönes und sehr detailliertes Abgesehen von einer längeren
göttliche Offenbarung vor­ Organigramm, ließ er wohlfor- Internierung hat Osenberg der
gekommen sein, sprachen sie mulierte Erläuterungen dazu Einsatz für das NS-Regime
doch das aus, wovon er schon drucken und wollten bis zum kaum geschadet. Er wurde
immer überzeugt war: dass 15. Oktober 1944 zwar weit nach einer gewissen Karenz-
das Potenzial der technischen über tausend Wissenschafts- zeit wieder Professor an der
Wissenschaften für die Krieg- einrichtungen aus Universitä- TH Hannover und lehrte dort
führung mindestens genauso ten, Industrie und Wehrmacht bis zu seiner Emeritierung
bedeutend wäre wie das mili- an »Osenbergs kühnem Orga- 1970. In Erinnerung blieb nicht
tärische. Das sei bisher jedoch nisationsplan« (so K.-H. Lud- seine geradezu fanatische
sträflich vernachlässigt wor- wig) teilnehmen, so ist eine NS-Anhängerschaft, sondern
Wirkung der Wehrforschungs- die nunmehr als »Osenberg-
gemeinschaft nicht nachzu- Ak­tion« bezeichnete Rückho-
weisen. lung der Wissenschaftler an
ihre Institute. Kurzerhand
Osenberg war auch Anfang wurde die Aktion umgedeutet
1945, als die Kriegsniederlage als unpolitische Sicherung der
Deutschlands bereits unab- deutschen Forschung. Diese
wendbar war, noch voller Ta- Deutung findet sich auch heu-
tendrang. Am 21. Januar 1945 te noch im Catalogus Professo-
schickte er einen Vorschlag an rum der Leibniz Universität
Hitler höchstpersönlich, der Hannover als einziger Hin-
eine wirksame Bekämpfung weis auf sein Wirken vor 1945.

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Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

Zwangsarbeit und das Langemarck-Studium

Zwei fast vergessene Aspekte der NS-Vergangenheit der TH Hannover

Bei der Aufarbeitung der Im nationalsozialistischen 1. Zwangsarbeit an der ­Instituten für Erdölforschung
NS-Vergangenheit der Tech­ Deutschland haben schät­ Technischen Hochschule sowie für Kautschukfor­
nischen Hochschule Hannover zungsweise 20 Millionen aus­ Hannover schung; die meisten waren in
gibt es zwei Themen, die derzeit ländische Menschen zwischen der TH-eigenen Baracke unter­
noch bearbeitet werden: Zum Oktober 1938 und Kriegsende Auch an der damaligen Tech­ gebracht, deren Standort in­
einen das der Zwangsarbeite­ 1945 Zwangsarbeit leisten nischen Hochschule Hannover zwischen nachgewiesen wer­
rinnen und Zwangsarbeiter, müssen. So wurden ausländi­ hat es Zwangsarbeit gegeben. den konnte. Ferner waren
sche Kriegsgefangene, Häftlin­ Durch mehr oder minder ver­ v­ iele Frauen und Männer im
zum anderen das von den ge aus Konzentrationslagern meintlich kriegswichtige For­ Okt­ob­ er 1943 laut den vorlie­
N­ ationalsozialisten initiierte und Kriegsgefangene aus allen schungen und Entwicklungen genden AOK-Unterlagen für
besetzen Ländern in das Deut­ auf technischem Gebiet stieg nur wenige Wochen an der
Langemarck-Studium. schen Reich gebracht, um den nach und nach der Arbeits­ TH Hannover beschäftigt;
Historiker Christian-Alexander kriegsbedingten Arbeitskräfte­ kräftebedarf. Dieser konnte ­vermutlich wurden sie zur
Wäldner beschäftigt mit beiden mangel auszugleichen. Sowohl ausschließlich durch Aus­ Schutträumung herangezogen
Themen und gibt einen Einblick in der Rüstungsproduktion als länderinnen und Ausländer und später wieder an ihre ur­
in seine Dissertationsprojekte. auch in der Industrie mussten g­ edeckt werden. Nach derzei­ sprünglichen Arbeitgeber zu­
diese Männer und Frauen, die tigem Stand können an der rückgeschickt. Mangels Akten­
in großer Zahl vor allem aus TH Hannover 846 Frauen, überlieferungen vieler hiesiger
Polen und der Sowjetunion, Männer und Jugendliche nach­ Institute gibt es hier zudem
von 1940 an aber auch aus gewiesen werden, die hier vermutlich eine große Dunkel­
Westeuropa kamen, oft auch Zwangsarbeit leisten mussten; ziffer.
weit über das eigentliche Kinder waren vor Ort offenbar
Kriegsende hinaus arbeiten. nicht zur Zwangsarbeit einge­ Ein besonderes Phänomen
Untergebracht waren sie über­ setzt. Damit sind in Hannover sind ausländische Haushalts­
wiegend in Baracken, überfüll­ im Vergleich mit den anderen hilfen bei Dozenten und Pro­
ten Sälen oder Gaststätten, deutschen Technischen Hoch­ fessoren, die diese Arbeits­
ihre Verpflegung war oft man­ schulen, die alle vom Verfasser kräfte privat beschäftigten
gelhaft. Um eine Flucht zu ver­ untersucht worden sind, die oder wie im Fall des Profes­
hindern, wurden die Frauen meisten Zwangsarbeitenden sors Matting abwechselnd
und Männer durch Wehr­ tätig gewesen, vor München im Institut oder zu Hause ein­
macht, Arbeitsamt, Werk­ (582) und Stuttgart (462). setzten.
schutz, Polizei und SS streng
überwacht und kontrolliert. An Nationalitäten sind hier in Neben der Technischen Hoch­
Hannover Menschen aus Bel­ schule konnte im Umfeld der­
In Hannover waren zur Zeit gien, Frankreich, Kroatien, den selben auch Zwangsarbeit am
des Zweiten Weltkriegs Niederlanden, aus Polen, Ru­ Studentenwerk Hannover,
125.000 Zwangsarbeiterinnen mänien, der UdSSR sowie der beim Nationalsozialistischen
und Zwangsarbeiter vor allem Ukraine belegbar. Tätig waren Deutschen Studentenbund
in großen Betrieben, aber auch die Zwangsarbeitenden an sowie in der Hochschule für
in privaten Haushalten und den Instituten für Aeromecha­ Lehrerinnenbildung nach­
kleineren Unternehmen be­ nik und Flugtechnik, für Kraft­ gewiesen werden. Aber auch
schäftigt. Sie lebten in ins­ verkehrswesen, für Organi­ die Kameradschaften, die sich
gesamt 500 Lagerunterkünften sche Chemie, für Werkzeug­ nach 1933 zwangsweise aus
und gehörten bis über das maschinen, am Lehrstuhl für den Burschenschaften bilde­
Kriegs­ende hinaus zum Stadt­ mechanische Technologie (Ins­ ten, beschäftigten Auslände­
bild. titut Matting) und an den rinnen und Ausländer.

42

AufArBEiTuNg uND gEDENkEN leibniZ universität hannover

Todesfälle unter den hier täti­ junge Polin, die 1923 in Mława Adressen teilte sie sich teil­ abbildung 1
gen Personen sind nicht zu zur Welt kam, hat seit 1941 und zeitweise mit anderen Die Zwangsarbeiterin Elzbieta
verzeichnen, wohl aber min­ in Hannover Zwangsarbeit Zwangsarbeitenden der TH. Adamska.
destens ein totes Neugebore­ leisten müssen, neben der An der Technischen Hoch­ Foto: StadtA Hannover, 3 FA 24
nes einer Zwangsarbeiterin. Beschäftigung in der Woll­ schule Hannover war sie ver­
Neben vielen Menschen ohne Wäscherei und Kämmerei mutlich nur zum Schutträu­ Döhrener Wolle, Zwangsarbeiterkartei
jede Religionsbezeichnung Döhren, genannt Döhrener men eingesetzt, nachdem die
sind die übrigen zu über Wolle, hat sie sowohl an der Döhrener Wolle ebenfalls im (E. Adamska)
99 Prozent einer christlichen TH Hannover (Oktober bis Oktober 1943 teilzerstört wor­
Kirche laut den zeitgenössi­ Dezember 1943) als auch beim den war. Beim Studentenwerk
schen Dokumenten zuzuord­ Studentenwerk Hannover Hannover war sie als Küchen­
nen, bislang ist nur ein Mos­ (Dezember 1943 bis Mai 1945) hilfe tätig; ihre Schwester
lem nachweisbar. Insgesamt arbeiten müssen. In den über­
sind die Zwangsarbeitenden 1 Bronislawa war ebenfalls in
an der Technischen Hochschu­ Hannover Zwangsarbeiterin,
le Hannover sowie den oben lieferten Unterlagen wird sie zeitweise arbeiteten beide
aufgeführten weiteren Berei­ mit den Berufsbezeichnungen Schwestern auch zusammen.
chen zwischen August 1941 Masch.Arbeiterin, Arbeiterin, Mit dem 2. Mai 1945 endete
und Mai 1945 nachweisbar. Arbeiterin (Aufräumg.), Ost- das Beschäftigungsverhältnis,
arbeiter [sic!], Küchenhilfe doch noch in einem weiteren
Auch wie im Fall der Institute und als Verkäuferin geführt. Punkt war dann weiterhin
für Werkzeugmaschinen oder Etliche Unterbringungsorte Hannover für Elzbieta Adams­
für Organische Chemie waren sind ebenso dokumentiert: ka von Bedeutung: Am 26. Mai
die bereits in Hannover einge­ Querstraße 12, Am Lindenhofe 1945 erfolgte die Eheschlie­
setzten ausländischen Arbeits­ 30 und 31, Brückstraße 12, Lin- ßung mit Czeslaw Czechowski
kräfte ebenfalls an den Aus­ denhofstraße 38, An der Chris- hier in Hannover. Das weitere
lagerungsorten dieser Institute tuskirche 28, Welfengarten 1 und
in Lindau bei Northeim bezie­ Wilhelm-Busch-Straße 7a. Diese
hungsweise in Baden­Baden
tätig. Eine Besonderheit im
Konvolut der Einsatzorte ist
das von der Continental AG
am Institut für Kautschuk­
forschung gegen Kriegsende
in Hannover eingerichtete
Außenlager dieses Rüstungs­
konzerns, zu dem es bislang
nur sehr rudimentäre Details
gibt; ob es eventuell sogar als
eine Art Außenstelle des KZ­
Außenlagers der Continental
AG in Hannover war, kann
bislang nicht mit letzter Si­
cherheit nachgewiesen wer­
den. Für letzteres spricht, dass
es in den einschlägigen über­
lieferten Einwohnermeldeun­
terlagen Hannovers keinerlei
individuelle Dokumente gibt,
die sonst bei allen anderen
Zwangsarbeitenden eine
Grundlage der üblichen Indi­
vidualnachweise bilden.

Als Beispiel für Zwangsarbeit
soll kurz das Schicksal von
Elzbieta Adamska vorgestellt
werden, von der sich – fast wie
ein Wunder – eine Fotografie
in Hannover erhalten hat. Die

43

A u f a r be i t u n g u nd Geden k en l e i b n i z u n i v e r s i t ä t h a n n o v e r

Lebensschicksal konnte bis­ Nachwuchsförderung, indem
lang nicht ermittelt werden. sie nur noch darauf achteten,
wer sich stramm dem System
2. Das Langemarck-Studium unterwarf und sich in der
an der Technischen ­NSDAP und ihrer Gliederun­
Hochschule Hannover gen bewährte. Dadurch wur­
den nach und nach die übri­
Christian-Alexander Wäldner Über 70 Jahre sind seit dem gen Zugangsberechtigten zum
Jahrgang 1970, ist Historiker Ende des NS-Unrechtsstaates Langemarck-Studium ver­
und forscht zu der Rolle der vergangen und noch immer drängt, was auch an den an­
Zwangsarbeiterinnen und sind nicht alle Facetten seines gepassten Zugangsvorausset­
Zwangsarbeiter an der Techni- Herrschaftssystems aufgear­ zungen abzulesen ist.
schen Hochschule Hannover. beitet. Hierzu zählt auch das
Ein weiteres Vorhaben beschäf- seinerzeitige Langemarck-Stu­ Organisationstechnisch waren wa­ren im März 1943 insge­
tigt sich mit dem so genannten dium, eine Art früher zweiter die Vorbereitungslehrgänge samt wohl etwas mehr als 150
Langemarck-Studium in Han- Bildungsweg. Ursprünglich und das eigentliche Studium Männer gleichzeitig anwe­
nover. Er veröffentlichte im war er eingerichtet worden, der Reichsstudentenführung send. Insgesamt konnten bis­
Jahr 2012 seine Master­arbeit um junge Männer, die kein zugeordnet, welche die Um­ lang 474 Männer und eine
mit dem Titel »Die Technische Abitur aufwiesen und sich setzung dem Reichsstudenten­ Frau nachgewiesen werden.
Hochschule Hannover und er anderweitig in ihren Lebens­ werk übertrug. Hieraus erklärt Frauen waren erst gegen Ende
Entzug akademischer Titel in läufen hervortaten, doch noch es sich auch, dass es in den des Krieges formal im Lange­
der NS-Zeit« und war zeitweilig den Weg ins Studium zu öff­ Archiven so gut wie keine marck-Studium gemäß neuen
Mitglied der vom Senat einge- nen. Dieses geschah mit Vor­ Überlieferungen gibt: Die Stu­ Vorgaben der Reichsstuden­
setzten Arbeitsgruppe zur Auf- bereitungskursen und einer dentenwerke waren und sind tenführung gleichberechtigt.
arbeitung der NS-Vergangen- Art Vorstudium, kurz dem bis heute von der Rechtsstruk­ Diese 475 Personen kamen aus
heit der TH Hannover. Kontakt: Langemarck-Studium. Nur tur her eingetragene Vereine, dem Deutschen Reich (247
[email protected] nach erfolgreichem Durchlau­ die eingeschränkter Archiv­ Per­sonen), Belgien (87), Däne­
fen dieser beiden Stationen pflicht unterliegen. mark (1), Norwegen (5) und
stand diesen Männern der der Schweiz (1). Die Rech­
Weg ins allgemeine Studium An der TH Hannover wurde nungsdifferenz ergibt sich da­
offen. ein Lehrgang im Langemarck- raus, dass zwei Niederländer
Studium erstmals im Oktober sich 1944 eindeutschen ließen.

Der Mythos von Langemarck Von den 245 Deutschen
(ohne die beiden später ein­
entstand rund um die deutsche Niederlage in Flandern, nördlich gedeutscht­ en Niederländer)
der Ortschaft Langemarck und kolportiert den Einsatz junger deut- sind bis zum Kriegsende 20
scher Regimenter, die am 10. November 1914 das Deutschlandlied Männer im Krieg gefallen.
singend die britische Stellungen gestürmt und unter großen Ver- Für die übrigen 230 Personen
lusten viele Gefangene genommen haben sollen. In Wirklichkeit konnten bislang noch keine
handelt es sich bei dieser so genannten Flandernschlacht um den weiteren Erkundigungen ein­
sinn- und erfolglosen Durchbruchversuch des unzureichend aus­ geholt werden.
gerüsteten und ausgebildeten deutschen 27. Reservekorps, unter
denen allerdings kaum junge Männer waren. »Langemarck« wurde Alle Langemarck-Studenten
ein Mythos des Ersten Weltkriegs und fand in den zwanziger und und die meisten der Lehrkräfte
dreißiger Jahren von Ernst Jünger bis Baldur von Schirach begeis- sind namentlich bekannt. Die­
terte Interpreten. Die historischen Fakten gerieten in den Hinter- ses ermöglicht eine Reihe von
grund, selbst das Nennen von Ort und Datum war vielfach nicht Aussagen zu Herkunft, dem
nötig: Langemarck wurde ein Symbol für den selbstl­osen Tod von religiösen Bekenntnis sowie
Soldaten. zum Verbleib nach dem Ende
des Aufenthaltes. Viele wurden
Mit dem Fortschreiten der na­ 1938 eingerichtet. 30 junge nach Beendigung ihres Studi­
tionalsozialistischen Diktatur Männer waren es in der An­ ums gleich wieder zur Wehr­
verwässerten die Nationalso­ fangszeit, die letzten vier sind macht einberufen. Als ordent­
zialisten ihre eigenen Ideale noch im Mai 1945 in Hannover liche Studierende haben sich
hinsichtlich der Ressource nachweisbar. In Hannover nur neun der Männer in den
überlieferten Dokumenten mit
Matrikelnummer der TH Han­
nover nachweisen lassen, alle
übrigen Langemarck-Studie­
renden bis 1945 jedoch nicht.

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Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

Akten-Arbeit

Studierende erforschen die Geschichte ihrer Universität in der NS-Zeit

Ein Studium der neueren Die intensive Auseinanderset­ Semesters und des durch die Prof. Dr. Detlef Schmiechen-
d­ eutschen Geschichte zung mit ausgewählten Aspek­ Prüfungsordnung vorgegebe­ Ackermann
ten zur Geschichte der Techni­ nen geringen Umfangs der
b­ einhaltet traditionell einen schen Hochschule Hannover a­ nzufertigen Hausarbeiten, Jahrgang 1955, ist seit 2002
Schwerpunkt in der Geschichte vor, während und unmittelbar konnte dabei die Devise nur apl. Professor am Historischen
nach den Jahren der national­ lauten: Qualität statt Masse. Seminar, seit 2013 Direktor
des N­ ationalsozialismus. sozialistischen Herrschaft kann Es ging also nicht darum, je­ des Instituts für Didaktik der
Am Historischen Seminar nicht darüber hinwegtäuschen, weils möglichst viele Akten Demokratie und vertritt derzeit
der Leibniz Universität hat Prof. dass es noch viele offene Fra­ auszuwerten, sondern nur die Professur für Didaktik der
Detlef Schmiechen-Ackermann gen und bislang noch gar nicht ganz wenige – die­se aber nach Geschichte. Seine Forschungs-
Studierenden ermöglicht, sich untersuchte Problemfelder allen Regeln der Kunst. Am schwerpunkte sind Theorie und
mit der Rolle ihrer Universität gibt. Diese differenzierte Zwi­ Ende des Semesters präsentier­ Praxis der Diktaturforschung,
in dieser Zeit auseinander­ schenbilanz des Forschungs­ ten die Studierenden ihre die Geschichte des National­
zusetzen und einige Ergebnisse standes bildete die Ausgangs­ Arbeits­ergebnisse im R­ ahmen sozialismus und des Wider-
ihrer Studien hier vorzustellen. basis für die im Wintersemester einer improvisierten studenti­ standes gegen das NS-Regime,
2015/16 im Rahmen des Mas­ schen Arbeitstagung, bei der DDR- und SED-Forschung,
terstudiums am Historischen zudem einige aus­gewiesene Deutsche und Europäische
Seminar der Leibniz Universi­ Expertinnen und Experten ihr Kultur-, Gesellschafts- und
tät Hannover angebotene Lehr­ Feedback zu den vorgetrage­ Politikgeschichte des 19./20.
veranstaltung »Die Technische nen Ergebnissen beisteuerten. Jahrhunderts. Kontakt:
Hochschule Hannover und der Im Folgenden werden die Fra­ schmiechen-ackermann@hist.
National­sozialismus« . gestellungen und zentralen uni-hannover.de
Ergebnisse von drei ausge­
Im Mittelpunkt dieses Semi­ wählten studentischen Arbei­
nars stand die Absicht, die Stu­ ten schlaglicht­artig vorgestellt.
dierenden über die Methode
des forschenden Lernens (in Es ist geplant, im Rahmen der
diesem Falle: über die eigen­ vom Institut für Didaktik der
ständige Auswertung von Demokratie (IDD) herausg­ e­ge­
A­ rchivalien) in die Praxis der benen kleinen Publikat­ions­
historischen Forschung einzu­ reihe »Innenansichten« die ent­
führen. Aufgrund der eng standenen Aufsätze in ausführ­
b­ e­grenz­ten Zeitspanne eines licher Form zu publiz­ ieren.

Marius Lahme: demokratischen Grundsätzen Forschungsfeld. 1929 waren
Studentische Verbindungen verbundene Institutionen. An­ deutlich über 50 Prozent der
und Nationalsozialismus dere kritisieren sie scharf als männlichen Studenten in
in Hannover politisches Sammelbecken für ­Korporationen organisiert, die
antifeministische, rassistische damit als »wichtigste Sozia­
Die Meinungen über Verbin­ oder nationalistische Positio­ lisationsinstanz des akademi­
dungen sind in der Öffentlich­ nen. Für die Sozial- und Poli­ schen Milieus« (Michael Grütt­
keit geteilt. Manche sehen in tikwissenschaften sind Verbin­ ner) verstanden werden
ihnen konservative, jedoch dungen daher ein lohnendes k­ önnen. Auch die Studieren­

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Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

den­schaft der TH Hannover mente, aus denen der politi­ mann kommt in der Broschüre Marius Lahme, B. A.
war in den 1920er und 1930er sche Schulterschluss zwischen »Eliten und Untertanen: Stu­ Jahrgang 1989, studiert Ge-
Jahren stark von Verbindun­ Nationalsozialisten und Kor­ dentische Verbindungen in schichte in Hannover. Seine
gen geprägt. Wie der Text von porationen klar ersichtlich Hannover und anderswo« Studienschwerpunkte sind
Elke-Vera Kotowski zeigen wird. So kann allenfalls von (AStA der Leibniz Universität) Gesellschaftsgeschichte des
konnte, hatten korporierte Stu­ strukturellen Konflikten inner­ zu dem Schluss, dass mindes­ Nationalsozialismus und Er­
denten die Vertreibung des halb der Studierendenschaft tens neun heute noch aktive innerungskultur. Kontakt:
jüdischen Professors Theodor ausgegangen werden. Ein gu­ Verbindungen (die Burschen­ [email protected]
Lessing forciert. Dies deutet tes Beispiel hierfür ist die schaften Alt-Germania, Arminia
auf politische Schnittmengen Überlieferung zum sogenann­ und Germania, die Corps Han-
mit nationalsozialistischen ten Kampfausschuss der Deut- novera, Saxonia und Slesvico-
Ideologemen hin und wirft die schen Studentenschaft gegen Holsatio sowie die Turnerschaf­
Frage nach dem Verhältnis der Schmutz und Schande (NLA, ten Armino-Hercynia, Hansea
Korporationen zum National­ Hann 320 IV. Nr. 10). In Han­ und Tuisko) aktiv an der Ver­
sozialismus auf. Auf ihren nover fand die Bücherverbren­ brennung beteiligt waren. In
Websites klammern bis heute nung am 10. Mai 1933 an der der gesamten Akte finden sich
viele Verbindungen die NS- Bismarcksäule in der Aegi­ keine Anzeichen dafür, dass
Zeit entweder als Leerstelle dienmasch (heute Maschsee) Verbindungen sich auch nur in
aus, beschränken sich mit statt. Dieser Vorgang erlaubt einem distanzierten Verhältnis
e­ inem Verweis auf den repres­ Rückschlüsse auf die politi­ zur Bücherverbrennung be­
siven Charakter des Regimes sche Einstellung von Verbin­ funden hätten. Stattdessen ent­
oder betonen ideologische Wi­ dungen zu Beginn des »Drit­ hält sie beispiels­weise Listen
dersprüche und Konflikte. ten Reiches« , da der national­ für Bücher-Sammel­plätze, die
sozialistische Einfluss in Form einzelnen Korporationen zu­
Mit der historischen Realität – der später existierenden politi­ geordnet sind. Vor diesem
wie sie sich anhand einschlä­ schen Schulungen noch ver­ Hintergrund ist festzuhalten:
giger Akten im Niedersächsi­ hältnismäßig gering ausge­ Von einer kritischen Aufarbei­
schen Landesarchiv Hannover prägt war. Dem Kampfaus- tung der eigenen Vergangen­
fragmentarisch rekonstruieren schuss gehörten 42 Studenten heit ist die hannoversche Ver­
lässt – ist dies schwer zu ver­ an, die in deutlicher Mehrzahl bindungslandschaft insgesamt
einbaren. Dort lagern Doku­ korporiert waren. Felix Schürr­ noch weit entfernt.

Greta Henze: war, als auf den ersten Blick und ihre Grundl­agen« sowie Greta Henze M. A.
Joachim Mrugowsky – angenommen? Tatsächlich gab »Rassenhygiene« ab, für die Jahrgang 1991, studierte Mas-
Medi­ziner, Lehrer, Kriegs­ es keinen Lehrstuhl zu diesem leider keine präzisen Teilneh­ ter of Education mit den Fä-
verbrecher Fachgebiet und »Rassenhygie­ merzahlen vor­liegen. Schluss­ chern Englisch und Geschichte.
ne« wurde vor Mrugowskys endlich hat Mrugowsky aller­ Ihre Studienschwerpunkte
Über SS-Obersturmführer Anstellung nur als Teilbereich dings die Karriere in der SS sind American Literature und
J­oachim Mrugowskys Wirken der Lehrveranstaltung »So­ einer weiteren Fortführung Schulbuchforschung (Schul­
an der TH Hannover ist bisher ziale Hygiene« von Theodor seiner Tätigkeit in Hannover geschichtsbücher). Kontakt:
nur wenig bekannt. Dabei ist ­Messerschmidt unterrichtet. vorgezogen. Im Jahr 1937 stell­ [email protected]
nicht nur seine Tätigkeit als Mrugowsky wirkte neben­ te er einen Antrag auf Frei­
hauptamtlicher SS-Führer beruflich von 1935 bis 1937 stellung von seiner Lehrtätig­
beim SD-Oberabschnitt Nord- an der TH Hannover und keit. In den f­olgenden Jahren
West in Hannover sowie als w­ urde im Personalverzeichnis war er unter anderem für
Oberster Hygieniker und als Experte für »Menschliche menschenun­würdige Experi­
Amtschef III beim Reichsarzt- E­ rblichkeitslehre und Rassen­ mente an KZ-Häftlingen ver­
SS seit 1941 bemerkenswert, hygiene« aufgeführt. Er antwortlich. Aufgrund von
sondern auch jene als Lehrbe­ hielt Kurse zu den Themen Verbrechen g­ egen die Mensch­
auftragter für »Menschliche »Grundl­agen der mensch­ lichkeit wurde J­oachim Mru­
­Erblichkeitslehre und Rassen­ lichen Erblehre, Erbbiologi­ gowsky im Nürnberger Ärzte­
hygiene« an der TH Hannover. sche Fragen, Naturwissen­ prozess verurteilt und 1948
Zeigt die Anstellung dieses schaftliche Familienkunde mit hingerichtet.
hochrangigen SS-Mannes und besonderer Berücksichtigung
erfahrenen Lehrbeauftragten der Vererbung von Talenten
für »Rassenhygiene«, dass das und Krankheiten, Vererbung
Fach an der TH Hannover und Erziehung« , »Die natio­
doch von größerer Bedeutung nalsozialistische Rassenlehre

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Aufarbeitung und Gedenken leibniz universität hannover

Dominik Dockter B. A. Dominik Dockter: Dass in der entsprechenden ist die Frage, welche Personal­
Jahrgang 1993, studiert Ge- Neue Lehrstühle für alte Planung Millionen slawische politik betrieben wurde. Haben
schichte im Fachmaster und ist Nazis? Berufungen an der und jüdische Menschen nicht Wiepking und Meyer gezielt
seit Februar 2015 Mitarbeiter Hochs­chule für Gartenbau mehr auftauchen, weist auf die ein personelles Netzwerk alter
im Forschungsprojekt »Die und Landeskultur 1946-1956 ideologische Nähe dieser Über­ NS-Bekanntschaften an der
Klosterkammer Hannover in legungen zur Versklavung, TH Hannover reaktiviert? Bei­
der Zeit des Nationalsozialis- Nach der Machtübernahme der Vertreibung und Ermordung spielhaft wurde die NS-Vergan­
mus« am Institut für Didaktik Nationalsozialisten wurde das besagter Volksgruppen hin. genheit und Verbindung des
der Demokratie. Forschungs­ Ordnen von Räumen profes­ Doch auch über die scheinbare Bodenchemikers Prof. Dr. Paul
interessen: Soziale Gruppen, sionalisiert und zugleich wis­ Zäsur von 1945 hinaus hat es Otto Schachtschabel unter­
Personelle Kontinuitäten, senschaftlich unterfüttert. Bis auf der Ebene der Ideen, der sucht, der 1948 an die Hoch­
­Geschichtskultur. Kontakt: 1939 entstanden zahlreiche theoretischen Ansätze, der schule berufen wurde. Das
[email protected] Raumforschungsinstitutionen, ­Institutionen und der zentralen E­ rgebnis zeigt, dass dieser be­
in denen Forscher verschie­ Akteure weitreichende Kon­ reits von 1934 bis 1936 an der
denster Disziplinen ihrer Ar­ tinuitäten gegeben. Studien Universität Jena im unmittelba­
beit ideologische Bedeutung von Ursula Kellner, Joachim ren Umfeld von Konrad Meyer
verleihen und ihren wissen­ Wolschke-Bulmahn und Gert gearbeitet und gelehrt hat. Die
schaftlichen Einfluss erweitern Gröning haben gezeigt, dass Entscheidung, Schachtschabel
wollten. In der Kriegszeit kon­ die Raumforscher Heinrich an die HGL zu berufen, erfolg­
zipierte ein Stab von Wissen­ Wiepking und Konrad Meyer te eindeutig aufgrund einer
schaftlern unter der Leitung mit der Hochschule für Garten­ Bevorzugung des Chemikers
des führenden Raumforschers bau und Landeskultur (HGL), gegenüber anderen Bewerbern.
Konrad Meyer den »General­ die 1956 als Fakultät IV der TH Diese Feststellungen verleihen
plan Ost« , in dem die Charak­ Hannover angeschlossen wur­ der Frage nach personellen
teristika der nationalsozialisti­ de, eine Institution etablierten, Netzwerken an der Fakultät IV
schen Planung, ihre wissen­ in der alte Überzeugungen der TH Hannover Nachdruck
schaftliche Fundierung und leicht abgewandelt weiter­ und machen die Notwendig­
ihr praktischer Gestaltungsan­ getragen werden konnten. keit einer umfassenden Netz­
spruch zum Ausdruck kamen. Noch nicht hinreichend geklärt werkanalyse deutlich.

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