2021
LiLningguuaa MMaatteerrnnaa
Constanze Müller
Lange Zeit habe ich nicht verstanden, was
meine Wut mir sagen möchte, wo meine Wut
herkommt und was sie von mir will.
Ich wurde häufig als wütend oder aggresiv
bezeichnet und habe dadurch nur noch mehr
Wut empfunden.
Wo Wut entstehen kann und wie man sie
als Schönen und motivierenden Teil seines
Lebens wahrnehmen und umarmen kann ist,
was ich im Folgenden und in meiner Kunst
gerne zeigen möchte.
Wut ist ein sehr persönliches Gefühl und ich
erhebe keinen Anspruch auf Wahrheit. Ich
möchte nur Denkanstöße geben und zeigen,
dass Wut in gewissem Maße schön und
leidenschaftlich sein kann.
Die im Folgenden gestellten Fragen,
beschäftigen mich schon eine Weile und
ich dachte, dass vielleicht auch andere
Menschen ähnliche Gedanken haben.
Ich war sehr neugierig, ob ich meine Wut
dadurch , dass ich mich so eingängig mit ihr
beschäftige, verliere. Ich denke, dass ich
eine Kompensation meiner Wut gefunden
habe, die sehr befriedigend ist, da sie
anderen Menschen Freude schenken kann.
Ein perfekter
Sturm der durch
dich Fegt bis nichts
mehr übrig ist -
typisch ich!
- Lea ft. Casper - Schwarz
02
Was ist die Sprache
von Wut?
Muttersprache (lingua materna) - die
Sprache, die einem von der Person, die
einem das Leben gab, gegeben wurde, als
Ausdrucksform von Wut und Angst zu nutzen
ist pur und ungeschützt, ungefiltert, ohne
Milch und Zucker.
Als Muttersprache bezeichnet man eine
vom Sprecher in der frühen Kindheit ohne
formalen Unterricht erlernte Sprache. Eine
Sprache wird in der Regel durch eine enge
Bezugsperson wie die Mutter vermittelt
(daher „Muttersprache“). Verbunden mit
dem Begriff ist außerdem eine allgemeine
Vorstellung, dass die Muttersprache
die Sprache ist, die ein sich verbal
ausdrückendes Individuum (Muttersprachler)
am besten beherrscht.1
Wut entsteht häufig aus Angst. Aus
Ängsten, die jeder Mensch von klein auf
hat. Angst vor Überforderung, Angst davor
nicht geliebt zu werden oder ungenügend
zu sein. Nicht gesehen zu werden, nicht
ernst genommen zu werden. Angst lähmt
und macht passiv. Doch manchmal lassen
diese Ängste Wut entstehen. Und aus dieser
Wut ergibt sich ein Gefühl von Macht. Die
ängstliche Machtlosigkeit wird zur kräftigen,
produktiven Wut.
Wut kann Aggression sein, Wut kann
Leidenschaft sein, Wut kann Liebe sein.
Wut erzählt, Wut schreit, Wut weint, Wut
kämpft, Wut liebt. Wut ist aktiv. Wut gibt
Worte, Zuversicht und Leichtsinn.
Wut kommt und geht und nimmt und gibt.
Unkontrollierbar kontrolliert.
Wutschnaubend liebevoll.
Leidenschaftlich kämpfend.
03
Macht los
machtlos
ich fühle die Angst
die mich beherrschen will
ich bin ein Teil von ihr geworden
ich seh auf meine Hände
es sind Fäuste
nun öffne ich
ganz langsam
meine Finger
und lasse
die
Macht
los
- Engelbert Schinkel, 1959
04
05
“die” Wut
Die Wut von Männer und Frauen ist gleichsam Wut wird häufig als Synonym für Gewalt und
vorhanden, wird aber unterschiedlich Zerstörung verwendet, doch Wut und Aggressivität
bewertet. Wütende Frauen werden als sind zwei unterschiedliche Dinge. Aggression kann
emotional, charakterschwach, hysterisch oder aus Wut resultieren, Wut ist allerdings erstmal wie
unprofessionell wahrgenommen. ein Kompass, der uns darauf hinweist, dass wir
In einem Wutraum (wie z.B. in Berlin-Lichterfelde) etwas als ungerecht wahrnehmen.3
kann gegen Geld mit einem Vorschlaghammer Ich denke, dass Wut eine in sich liegende Kraft
ein Wohnzimmer zertrümmert werden. In einem hat, die der wütenden Person verliehen wird. Wut,
Wutraum wird die Wut nicht bewertet oder die kontrolliert und zielgerichtet ausgelebt wird
stigamtisiert, weswegen diese künstlichen Räume kann Neues schaffen, alte Normen und Werte
vor allem von Frauen aufgesucht werden, die das einreißen und verändern. Die Produktivität in
Gefühl haben, dass in der Gesellschaft für ihre Wut Wut ist vielleicht das, was sie am bedrohlichsten
kein Raum ist. macht. Denn Wut verändert, so wie Frauen in
Gefühle abgesprochen zu bekommen oder sie der Geschichte immer wieder wütend auf die
unterstellt zu bekommen, erschwert den Zugang Barrikaden stiegen, um etwas zu verändern.
zu dem, was eine Person wirklich empfindet. Das
verändert Menschen, macht sie unfrei.2
Dass die Wut von Frauen so anders und so
viel negativer bewertet wird, weist auf
ein strukturelles Problem hin. Dass Frauen
weniger Macht und dadurch auch keine
“Machtäußerungen” zugeschrieben werden
resultiert darin, dass weibliche Wut stigmatisiert
und negativ bewertet wird. Frauen wird eher
Traurigkeit zugeschrieben, was eine viel passivere
und sanftere Emotion ist.
Wird eine Frau in der Öffentlichkeit wütend,
werden ihr schneller Charaktereigenschaften
zugeschrieben, als dass es um den inhaltlichen
Aspekt ihrer Wut geht. Frauen haben durch Wut
schon viel erreichen können. Aus kollektiver
Wut entstand schließlich das Frauenwahlrecht.
Auch heute kämpfen wütende Frauen für das
Recht zur Selbstbestimmung z.B. bezogen auf
das Thema Abtreibung. Der ständige Kampf von
Frauen um Gleichberechtigung und Akzeptanz in
der Gesellschaft trägt ebenfalls zu einer Form von
Wut bei. Ich denke nicht, dass Wut ein besonders
männliches oder besonders weibliches Gefühl
ist. Wut ist geschlechtsneutral und unabhängig.
Sie nimmt sich was sie braucht, um vorwärts zu
kommen und um zur Veränderung beizutragen.
06
I’ve been caged, I’ve been hounded, I’ve been
hunted and tamed
I’m the outlaw of outside and ready to rage
I’m in search of a heart I can eat to renew me
And I’m dazzled by all of the things that undo me
- LP - Girls go wild
07
Ist Wut eine Form
von Liebe?
„Wut ist verpönt, weil sie auf etwas
Unangenehmes hinweist, etwa Eifersucht oder
Neid. Die Ablehnung des Gefühls hat außerdem
mit unserer hedonistischen und egoistischen
Haltung zu tun, dass einem nur Nettes, Liebes und
Freundliches begegnen soll. Aber so läuft es im
Leben nun mal nicht“4
Ich frage mich, warum Wut nicht als etwas
Positives, Antreibendes, Produktives gesehen wird.
Wieso wird die Leidenschaft in der Liebe so ganz
anders behandelt, als die Leidenschaft in der Wut?
Ist Wut nicht eigentlich die radikalste Form der
(Selbst)liebe?
08
Angriff, statt Verteidigung. Ich kämpfe für meine
Werte, meine Liebe(n), mein Recht. Es zeugt
für mich von nahezu wahnsinniger Sensibilität
wütend zu sein. So muss die*der Wütende die
Situation erkennen, bewerten und für sich
einordnen. Einnorden, den Kompass benutzen.
Schlägt der Kompass gen Wut? Sogleich muss
die Wut ergründet werden, ist es eine Wut aus
Überforderung oder aus Überzeugung? Können
diese Überzeugungen kommuniziert werden, kann
dafür gekämpft werden.
Die Hingabe und Übergabe an die Wut kann
beinah etwas erotisches haben. Selbstliebe
in ihrer pursten und ehrlichsten Form. Ich
kämpfe, denn ich bin. Wer aufhört wütend zu
sein hat aufgegeben zu verändern. Aufgehört
aktiv wahrzunehmen. Wut ist etwas Mächtiges,
Kräftiges und Überwältigendes. So wie die Liebe.
Und dennoch, wird Wut abgetan, als aufbrausend,
störend, unangemessen laut. Wut ist laut und
wild und schmutzig, doch Liebe ist das ebenso. Die
beiden Kinder der Leidenschaft - Wut und Liebe -
sie liegen vielleicht dichter aneinander als wir es
zu glauben wagen.
09
Weil privates
jetzt politisch
und ironisch
nicht mehr
witzig ist
- CONNY - Ironiewieder (prod. von DONKONG & BLACK LEMON)
Fragestellung: Wie persönlich darf meine Kunst
sein, wenn sie Teil eines Gesamtkunstwerks ist?
Und ist es wichtig, dass autonome Kunst die
persönliche Geschichte der Künstler*in abbildet?
Die Frage ist, wie persönlich meine Arbeit als
Kostüm- und Bühnenbildnerin sein darf. Ich bin im
Theater Teil eines großen Teams, das zusammen
eine Entscheidung darüber treffen muss, welchen
Ton die jeweilige Vorstellung kriegt. Es geht nicht
um mich als Person, sondern um die Geschichte
der Charaktere, die in dem Stück abgebildet
sind. Die Zuschauer*innen müssen sich in die
dargestellten Charaktere hineinversetzen können,
um dem Stück folgen und einen persönlichen
Bezug zu dem Dargestellten herstellen zu können.
Das Bühnen- und Kostümbild sollte nicht zu sehr im
Vordergrund stehen, sondern den Inhalt des Stücks
verdeutlichen. Wie bleibt meine Arbeit persönlich
und ein Teil von mir, ohne autobiografisch zu
werden und nicht mehr in Verbindung zu dem
anderen Geschehen zu stehen? Wie kann sich
meine persönliche Arbeit in ein Gesamtkunstwerk
einfügen? Muss das Team gemeinsam eine
„Gruppenpersönlichkeit“ finden?
Ich denke, dass meine persönliche Note oder
Persönlichkeit in meiner Arbeit als Kostüm- und
10
Bühnenbildnerin mehr darin liegt, eine eigene wenn das Gefühl, dass eine Situation ausgelöst hat
Formsprache zu haben. Der Wiedererkennungswert verformt und dargestellt wird. Das Gefühl, dass ein
der bildnerischen Arbeit liegt eher in der Form, schwarzes Rechteck, dass ich aus einer Situation
dem Feingefühl und dem Stil meiner Arbeit, als heraus male, in mir auslöst, kann in einer anderen
in der inhaltlichen Aussage. Ein inhaltliches Person etwas anderes auslösen. Ich denke, dass
Statement wird gemeinsam als Team gefunden. ein Kunstwerk losgelassen werden muss, um den
Wie an eine Thematik rangegangen und damit Betrachter*innen die Freiheit zu geben, darin zu
umgegangen wird ist eine gemeinschaftliche sehen, was sie wollen.
Entscheidung, die Theater so facettenreich und
vielschichtig macht.
Im Gegensatz dazu steht meine Arbeit in der
autonomen Kunst. Meine Gemälde sind sehr
geprägt von meinen persönlichen Erfahrungen,
bilden sie allerdings nicht explizit ab. Ich male
aus einem expressiven Gefühl heraus und daraus
entwickeln sich Formen und Farben, die nicht auf
etwas konkretes verweisen. In Bezug darauf stelle
ich mir die Frage, wie wichtig es ist, dass die
Betrachter*innen die inhaltlich-persönliche Ebene
meiner Arbeit erkennen bzw. verstehen, worum
es explizit geht. Sollte erkannt werden, worum
es geht oder wer das Kunstwerk geschaffen hat?
Ist es wichtig zu wissen, was meine persönliche
Geschichte oder Herkunft ist, um meine Kunst
wertzuschätzen oder zu genießen? Oder ist
auch hier ausschlaggebend, dass die Form-
und Farbsprache einen Wiedererkennungswert
hat? Kann eine Arbeit nur dann persönlich sein,
wenn sie persönliche Inhalte vermittelt, oder
eine Arbeit, die ich entwerfe, sowieso immer
persönlich, da niemand anders sie so hätte
entwerfen können, weil immer etwas meiner
Persönlichkeit und meiner Erfahrung hineinfließt?
Inwiefern ist es notwendig, den persönlichen
Bezug anzugeben?
Ich denke, dass es nicht notwendig ist, explizit
eine Facette meiner Persönlichkeit anzugeben
oder darzustellen. Meiner Meinung nach ist
Kunst immer mit der jeweiligen Künstler*in
verbunden und dadurch persönlich und einzigartig.
Denn: wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch
nicht dasselbe. Die konkrete Angabe einer
bestimmten Facette kann den Betrachter*innen
Interpretationsspielraum nehmen und sie können
dadurch wohlmöglich weniger eine Beziehung zum
Kunstwerk aufbauen, als wenn das abgebildete
ein Gefühl auslöst, dass eine persönliche
Wiedererkennung der Betrachter*innen zulässt.
So denke ich, dass wenn eine konkrete Situation
dargestellt wird, die Menge der Betrachter*innen,
die damit eine Verbindung haben geringer ist, als
11
„Wut ist eine Art Brennstoff, der uns in ein
neues Leben katapultiert“5
Das Schöne in der Wut
Das Starke in der Wut
Das Sensible in der Wut
Wut als Einforderung von Liebe
12
Aktuell ist da
nicht mehr als
Mut und Vermu-
tung
Postkarten aus dem Upsitedown.
Ich will dass es splittert und bricht.
Ein hin und her bis nichts mehr übrig ist,
außer ich.
Ohne den Krieg in meinem Kopf.
Je heller das Licht, desto dunkler der
Schatten.
Schwarz bis es was dunkleres gibt.
Ein hin und her, du wirst reisekrank - scheiße
man.
- Lea ft. Casper - Schwarz
13
Ich habe Fragen, die du dir anhören sollst,
Fragen, um die ich nicht drumherum komme
Die Fragen brennen ein Loch in meinen Kopf
und in diesem Loch entsteht etwas
Entstand lange etwas
Es war zu lange darin ohne gehört zu werden
ohne geliebt zu werden
Warum findest du mich aggressiv, wenn ich dir von Liebe
erzähle?
Warum darf ich nicht sein wer ich bin, ohne dass du
eine Meinung dazu hast?
Warum macht es mir keine Angst mehr allein zu sein?
Warum habe ich Angst, wenn du bei mir bist?
Warum ist Wut ein Zeichen von Schwäche, wenn ich
mich nie stärker gefühlt habe?
Warum hast du Angst?
Warum darf meine Wut dich nicht beschützen?
Warum muss meine Wut unter dir leiden?
Warum verstehst du nicht, dass meine Wut dich liebt?
Meine Wut wird mich immer mehr lieben als dich.
Wieso darf ich mich nicht lieben?
Warum kannst du mich nicht lieben?
Warum lasse ich dich nicht lieben?
Muss Wut wehtun?
Meine Wut ist stark und schön und voller Kraft.
Liebe meine Wut oder lieber nichts?
Ich bin zu viel für dich?
Meine Wut mag dich auch nicht besonders.
Ich nehme alles, bis nichts mehr übrig ist?
Meine Wut hat hunger.
Ich verliere dich, wenn ich so bin?
Meine Wut hat Stolz.
Typisch ich?
Genau das ist das Ziel.
Meine Wut ist mutiger, als du respektlos bist.
Vielleicht bist du eifersüchtig, weil du mich nie so
lieben wirst, wie meine Wut das kann
Vielleicht bist du neidisch, weil meine Wut stärker ist
als du
Vielleicht hast du Angst, dass meine Wut mir erklärt,
dass du nicht gut zu mir bist.
Meine Wut ist egoistisch und sie nimmt sich was sie
will.
Weil ich das will.
Und sie dich nicht will.
14
Ist Wut egoistisch?
Die Allermeisten, was sie auch immer von ihrem “Egoismus”
denken und sagen mögen, tun trotzdem ihr Lebenlang Nichts
für ihr ego, sondern nur für das Phantom von ego, welches sich
in den Köpfen ihrer Umgebung über sie gebildet und sich ihnen
mitgeteilt hat, — in Folge dessen leben sie Alle zusammen in
einem Nebel von unpersönlichen, halbpersönlichen Meinungen
und willkürlichen, gleichsam dichterischen Wertschätzungen,
Einer immer im Kopfe des Andern, und dieser Kopf wieder in
anderen Köpfen: eine wunderliche Welt der Phantasmen, welche
sich dabei einen so nüchternen Anschein zu geben weiß! Dieser
Nebel von Meinungen und Gewöhnungen wächst und lebt fast
unabhängig von den Menschen, die er einhüllt; in ihm liegt die
ungeheure Wirkung allgemeiner Urteile über “den Menschen”
— alle diese sich selber unbekannten Menschen glauben an das
blutlose Abstraktum “Mensch”, das heißt, an eine Fiktion; und
jede Veränderung, die mit diesem Abstraktum vorgenommen
wird, durch die Urteile einzelner Mächtiger (wie Fürsten und
Philosophen), wirkt außerordentlich und in unvernünftigem
Maße auf die große Mehrzahl, — Alles aus dem Grunde, dass jeder
Einzelne in dieser Mehrzahl kein wirkliches, ihm zugängliches
und von ihm ergründetes ego der allgemeinen blassen Fiktion
entgegenzustellen und sie damit zu vernichten vermag.6
15
Kein bisschen sauer, aber dafür launisch
Du machst mich an und ich dich traurig
Eine Krise braucht den Dialog
Ich mach dir Kaffee, du machst mir Sorgen7
Temporär für immer
Ein Hauch von Vergänglichkeit wie Nebel in der Luft
Ein Moment Ewigkeit im Jetzt8
Kontakte gekappt
Leise durch ein Megafon weinen
Ich hoffe, dass du checkst, was meine Absicht
ist, nämlich, dass du in dem Text nur eine
Metapher bist9
Was Bedeutet “Mach dir keine Sorgen”
Ich bin verwirrt, wenigstens beweist das, dass ich
lebe
Mein Hang zum Pathos gibt uns beiden das Gefühl
von Unsterblichkeit
17
Fragestellung: Von der Kunst zum Dialog - Braucht haben kann? „Wenn zwei das gleiche tun, ist
Kunst eine Symbolsprache, um kommunizieren es noch lange nicht dasselbe“ – dieser Spruch
zu können und wann entsteht Kommunikation kam während der Beschäftigung mit Goodman
durch Kunst und wie ausschlaggebend dafür ist immer öfter in mir hoch. Der Referenzkader oder
Originalität? das Erlebte einer Künstler*in prägt die Kunst so
ungemein, dass auch wenn zwei Künstler*innen
Während der Bearbeitung des Textes „Sprachen das exakt gleiche malen würden, es eigentlich
der Kunst“ von Nelson Goodman aus dem Jahr nie das gleiche sein kann. Kunst lebt doch genau
196810 habe ich mich mit der Fragestellung dadurch, dass die Künstler*in Teil davon wird.
beschäftigt, wann ein Kunstwerk eine Fälschung Das Kunstwerk repräsentiert den Referenzkader
darstellt und inwiefern Kunst in der heutigen Zeit der Künstler*in. Im Empirismus geht man davon
noch einen Originalcharakter haben kann. aus, dass Wissen auf Sinneserfahrung beruht.
Es scheint, als wäre alles schon einmal von einer Eine Künstler*in, die den sinnlichen Akt des
anderen Künstler*in geschaffen worden und Malens ausführt vermittelt ihr ganz individuelles
wäre jedes Kunstwerk nur eine Interpretation, Wissen, ihre Meinung und Einstellung dadurch still
Fortführung oder Erweiterung eines schon an die Konsument*in. Entsteht dadurch bereits
existierenden Kunstwerkes. Kann bei dem ein Dialog? Der stille Dialog zwischen Leinwand
Überfluss an Kunstwerken und den tausenden und Kosument*in? Ist der Dialog das Ziel der
Kunstwerken, die ich täglich konsumiere, noch Künstler*in? Und ist es möglich, einen Dialog zu
etwas wirklich „eigenes“ und „Originales“ führen, ohne dass die Beteiligten davon wissen?
(„originelles“?) entstehen oder verarbeitet das Kunst scheint also auf den ersten Blick
Gehirn der modernen Künstler*in nur noch das heutzutage keinen Zweck mehr zu haben. Geht
Gesehene zu einem großen Gesamtkunstwerk? man davon aus, wir hätten alles schon gesehen, es
Sozusagen eine bildnerische Sammlung und könne nichts neues mehr geschaffen werden und
Interpretation des schon Existierenden. Zwar es gäbe nur noch den „Abklatsch“, demnach die
gefiltert durch die jeweiligen Augen und Emotionen Fälschung, von bereits bestehenden Kunstwerken,
der Künstler*in, aber etwas wirklich „Neues“ erscheint Kunst als eine selbstreferentielle und
entsteht dadurch nicht. Der große Referenzkader, überholte Art der Ausdrucksform. Hier kommt es
der für Kunststudent*innen als sehr wichtig zu der Fragestellung, wie es möglich ist von der
angesehen wird kann auch zu Verwirrung und Kunst zum Dialog zu gelangen.
einem Gefühl von Ohnmacht führen. Der große Funktioniert Kunst als Form der Kommunikation
Ansporn etwas Neues und Eigenes zu Erschaffen und des Informationsaustauschs? Um
wird irgendwann von der Erkenntnis eingeholt, Informationen zu übermitteln können Zeichen
dass es eigentlich gar nichts Neues mehr gibt. und Symbole verwendet werden, die für alle
Jedenfalls nicht in den „alten Künsten“ Malerei, Konsument*innen verständlich sind bzw. Zeichen
Dichtung etc. Jede Technik, die sich für mich als und Symbole, die schon als Charakteristika einer
neu und innovativ aus meiner Arbeit heraus ergibt, bestimmten Strömung, Emotion, etc. zugeordnet
sehe ich ein paar Wochen später auf Instagram. sind.
So stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich So können Stillleben mit bestimmten Attributen
ist, etwas Neues zu erschaffen in einem Atemzug z.B. dem „vanitas-Gedanken“ (17./18. Jhd.)
mit der Frage, ob es dann noch notwendig ist zugeordnet werden. Ohne dass die Betrachter*in
Kunst zu schaffen. Wenn wir uns alle gegenseitig wissen muss, wann dieses Kunstwerk von
reproduzieren und einander dabei auch noch die wem hergestellt wurde, ist die Thematik der
ganze Zeit zuschauen, erscheint Kunst zu schaffen Vergänglichkeit und Nichtigkeit deutlich durch
auf einmal lähmend und unerfüllend. die charakteristischen Symbole, wie z.B. den
Doch muss Kunst immer etwas Neues schaffen? Totenkopf, die Sanduhr, welkende Blumen
Und ist Kunst vielleicht schon dadurch „neu“, weil erkennbar. Auch wenn die Betrachter*in noch nie
niemand meinen ganz speziellen Referenzkader etwas von „vanitas“ gehört hat, drängt sich das
Thema Vergänglichkeit durch die verwendeten
Attribute automatisch auf. Eine Symbolsprache ist
18
Vom Monolog zum etabliert.
dialog Dagegen ist es eindeutig, dass Gemälde aus
groben kontrastierenden Farben und Formen
in die Strömung des Expressionismus (Ende 19.
Jhd.) einzuordnen sind. Dabei werden häufig
Primärfarben verwendet, die gepaart mit
einem kräftigen, stürmischen Pinselduktus die
Emotionen der Künstler*in verdeutlichen und an
die Betrachter*in übermitteln sollen. Das Gefühl,
dass die Farben rot, gelb oder blau hervorrufen,
ist bei den meisten Betrachter*innen ähnlich.
So ist davon auszugehen, dass ein überwiegend
rotes Bild mit starkem grobem Pinselduktus ein
eher stürmisches Gefühl übermitteln soll, wie
Wut, Angst, aber möglicherweise auch Liebe
und Erotik. Hier ist zu erkennen, dass bei einem
abstrakteren und expressiven Kunstwerk der
Interpretationsspielraum größer wird.
Je abstrakter das Kunstwerk, desto weniger
eindeutig sind die Zeichen und Symbole, die es
der Betrachter*in zur Interpretation gibt. Die
Farbsymbolik kriegt eine größere informative
Bedeutung. Der Inhalt ergibt sich demnach aus
der Form. Ein abstraktes Kunstwerk vermittelt vor
allem emotionale Information.
Doch wie kommt diese emotionale Information in
das Kunstwerk? Muss die Information durch den
Titel vermittelt werden oder kann die Information
auch ohne eindeutige Symbolsprache allein im
Optischen stecken?
Was passiert zum Beispiel, wenn für ein Gemälde,
dass sich mit dem Thema Wut beschäftigt, nicht
die charakteristischen Farben wie rot und schwarz
verwendet werden, sondern pink, gelb und weiß?
Kann das Gefühl der Künstler*in dann trotzdem
auf die Betrachter*in überströmen, ohne dass mit
Worten die Thematik angesprochen werden muss?
19
Gehen wir im folgenden Gedankenexperiment von ein einzigartiges Gespräch über Gefühle, mit
einer abstrakten Malerei aus. Ich als Künstlerin einer Person, die ich nicht kenne. Ich habe mich
lasse Farben auf die Leinwand laufen, schmiere, nackt gemacht vor der Leinwand und das sieht
sprühe und pinsel, ohne ein konkretes Motiv vor die Betrachter*in. Egal, welche Emotion die
Augen zu haben. Ich lasse mich leiten, von einem Betrachter*in empfindet, es wird die richtige
Gefühl, dass in mir brodelt. Ich führe einen Emotion sein, denn die Symbolik liegt unter
Monolog. Einen Wut-Monolog. Es steckt nicht den vielen Schichten Farbe verborgen. Kaum zu
Hamlets Angst vor dem entschlossenen Handeln in erkennen und dennoch schafft sie es manchmal
diesem Monolog. Nein, gerade die Entschlossenheit auf sich aufmerksam zu machen und ein kleines
meiner Wut treibt mich an und sagt mir wohin Stück meines Gefühls hervorzubringen.
die Farben sollen. Welche Farben richtig sind und Ich denke, dass dieser Weg – vom Monolog zum
mit welcher Bewegung ich die Farbe auftrage. Dialog – die Originalität eines Kunstwerkes
Adressat meines Monologs ist die Leinwand, sie ausmacht. Diese pure ungefilterte Emotion, die
muss aufnehmen, was ich ihr zu sagen habe, sie ich auf mein Kunstwerk übertrage, strömt auf die
ist nur Empfängerin, in dieser monologisierten Betrachter*in ein und lässt, wenn es gut läuft,
Kunstform meines Malens. Sie kann mir und meiner einen Dialog entstehen, der ebenso ungefiltert
Wut, meiner Macht nichts entgegensetzen. und pur ist, wie meine ursprüngliche Emotion.
Mein Gefühl: Wut. Meine Farben: hell, fröhlich, So entsteht etwas einzigartiges, was keinerlei
sommerlich. Mein Farbauftrag: beschwingt, Fälschung zulässt. Ein unwiederbringlicher Moment
expressiv, eher tänzerisch als wütend. Für mich des Austauschs. Vom Monolog zum Dialog. Die
ist die mich leitende Emotion eindeutig, doch ich Sprache der Kunst.
verwende keinerlei Symboliken und Zeichen, die
darauf hinweisen.
Kann ich dennoch mein konkretes Gefühl auf
die Betrachter*in übertragen? Muss ich meinen
Gemälden beschreibende Titel geben, die
„erklären“ worum es geht? Und ist es überhaupt
wichtig, dass die Betrachter*in das gleiche
Gefühl hat wie ich? Oder ist es wichtiger, dass
überhaupt ein Gefühl aufkommt, wodurch ein
Dialog entstehen kann? Mein Gefühl, meinen Weg
dorthin und meine Geschichte, kann ich nicht in
einem Titel festhalten. Das will ich eigentlich auch
nicht. Die Originalität und Purheit entsteht nicht
durch Worte, durch Erklärung. Ich kann selber
nicht genau erklären, warum ich welche Farbe
in welchem Moment auswähle. Die Kunst ist frei
und befreit mich von dem Gefühl der Wut. Mein
Monolog verändert sich in der Schaffensphase.
Wird weniger deutlich ein Gefühl von Wut, eher ein
Gefühl von ankommen und finden. Herausfinden.
Aus meiner Gedankenwelt herausfinden in die Welt
des Dialogs.
Wenn mein Monolog abgeschlossen ist, entsteht
durch die vermittelnde Wirkung der Betrachter*in
ein Dialog. Zunächst ein Dialog zwischen mir
und der Leinwand, der eine klärende und
beschwichtigende Wirkung haben kann. Wir
versöhnen uns und sprechen über die intensive
Zeit, die wir miteinander verbracht haben. Danach:
ein Dialog mit der Betrachter*in: ein Austausch,
20
FAZIT
Ich persönlich denke, dass Wut etwas
Faszinierendes inne hat.
Wut schafft Veränderung und Emanzipation. Sie
kann verschiedene Gesichter haben, genauso wie
jede andere Emotion. Sie kann im Stillen liegen
oder auf die Barrikaden gehen. Wut hat etwas
Verbindendes, sowie etwas Zertsörerisches.
Meine Auseiandersetzung mit dem Thema hat
etwas Geschaffen. Etwas Buntes, Brodelndes,
Gegenständliches, was für mich nicht mehr
wegzudenken ist. Sowie meine Wut, mit der ich
seit Jahren zusammenlebe. Die mich beschützt,
antreibt, in den Wahnsinn treibt und liebt.
Meine Wut gehört zu mir, wie meine Herkunft, mein
Aussehen, meine Vorlieben. Sie ist Teil von mir, wie
meine Muttersprache.
21
22
Leben auf Lunge
80 x 100 cm
Acryl, Sprühfarbe auf
Buchbinderkarton
2021
23
24
Geh nicht geht weiter
108 x 150 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
25
26
Die Ringe meiner Augen verraten dich
80 x 100 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
27
28
Flimmerlicht II
80 x 100 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
29
30
Ohne Milch und Zucker
80 x 100 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
31
32
Es ist viel zu laut und alle auf MDMA
80 x 100 cm
Acryl, Sprühfarbe, Marker, Tape auf
Buchbinderkarton
2021
33
34
Und keine Träume mehr
108 x 150 cm
Acryl, Sprühfarbe auf
Buchbinderkarton
2021
35
36
Tunnelblick
80 x 100 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
37
38
Süchtig nach Sucht 39
108 x 150 cm
Acryl, Sprühfarbe, Abtönfarbe auf
Buchbinderkarton
2021
40
Rauchen im Gegenlicht
108 x 150 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
41
42
Solange man kann so viel wie geht
108 x 150 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
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44
Arbeitslos wo andere Urlaub machen
80 x 100 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
2021
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46
Grundlos sein
108 x 150 cm
Acryl, Sprühfarbe auf
Buchbinderkarton
2021
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48
Wir türmen
108 x 150 cm
Acryl auf Buchbinderkarton
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50