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Published by gabriel-berger, 2021-10-18 03:30:11

1997: Juden waren in der DDR privilegiert

Wolfssohn

(1997)
Gabriel Berger
Was Michael Wolffsohn in seiner „Deutschland Akte“ verschweigt:

Juden waren in der DDR privilegiert

Er liest sich streckenweise wie ein Drehbuch für einen Agenten-
thriller, Michael Wolffsohns zeithistorischer Tatsachenbericht „Die
Deutschland Akte“. Und doch ist sein Wahrheitsgehalt aktenkun-
dig, minutiös nachvollziehbar in verstaubten Ordnern der Gauck-
Behörde, in Archiven der SED und der DDR-Ministerien. Die Ak-
teure der Agentenstory, die inzwischen fast vierzig Jahre zurück-
liegt, sind auf ihre Weise geniale und skrupellose Diener der ver-
meintlich höheren kommunistischen Idee, die vom Politbüro der
SED verwaltet wird. Jedes Mittel ist ihnen recht, ihren größten
Gegner, die Bundesrepublik Deutschland, mürbe und langfristig
vielleicht auch sturmreif zu machen. „Der Feind meines Feindes
ist mein Freund“, diese simple machiavellistische Formel machen
sie sich zu eigen und halten im wörtlichen Sinne neonazistische
Gruppierungen in der BRD aus, um sie auf ihr Zeichen wie Blut-
hunde auf die Handvoll Juden zu hetzen, die den mutigen Versuch
wagen, im westlichen Teil Nachkriegsdeutschlands zu leben. Und
damit die Szenerie noch abstoßender wirkt, es sind Juden, die im
Politbüro der SED und in der Stasi-Zentrale diesen diabolischen

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Plan aushecken und seine Verwirklichung durch Agenten veran-
lassen und koordinieren. Ihre Namen sind Albert Norden, Anton
Ackermann und Markus Wolf.
Im Hintergrund agieren, in der SS-Nachfolgeorganisation Hiag, im
Stahlhelm und der Wiking-Jugend, die Männer für das Grobe, ein-
geschleuste Stasi-Agenten, die nazistische Losungen frisch aus
der Feder des Juden Albert Norden in der „Bewegung“ der
schlecht organisierten braunen Horden verbreiten und bei den Ha-
kenkreuzschmierereien auf jüdischen Friedhöfen selbst Hände mit
anlegen. Als Helfer stehen ihnen, so vermutet der Autor Wolf-
fsohn, Aktivisten der verbotenen KPD zur Seite.
Im Vordergrund regt sich das Gewissen des „guten Teils“ der deut-
schen Nation, „die nützlichen Idioten“ des SED-Regimes wie Wolf-
fsohn sie nennt. Es sind jüdische Schriftsteller, die es nach dem
Holocaust vorgezogen haben im vermeintlich besseren östlichen
Teil Deutschlands ihre Zelte aufzuschlagen und ihren kommunis-
tischen Brötchengebern vor aller Welt zu huldigen. Die prominen-
testen Namen sind Stefan Heym, Stefan Hermlin, Arnold Zweig.
Mit ehrlicher Empörung unterzeichnen sie im Januar 1960 ein „Me-
morandum des Nationalrates der Nationalen Front des Demokra-
tischen Deutschlands gegen den westdeutschen Antisemitismus
und die Nazis in der Politik Westdeutschlands“. Der Adressat des
Schreibens, die Regierung Großbritanniens, geht zur Bundesre-
publik auf Distanz. Es melden sich in der Bundesrepublik Juden

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zu Wort, die ihre Todesangst äußern, in einem Staat der Ewiggest-
rigen zu leben. Auch ihre Texte stammen aus dem Politbüro der
SED, aus der Feder des Rabbinersohns Albert Norden, der we-
nigstens so sein verkanntes schriftstellerisches Talent verwerten
kann. Ein voller propagandistischer Erfolg, den die desolate DDR
kurze Zeit vor dem Mauerbau sehr gut gebrauchen kann.

An Geschmack- und Instinktlosigkeit lassen die von Wolffsohn auf
fast 400 Seiten beschriebenen Aktionen der SED-Führung zur Be-
kämpfung der „bundesdeutschen Imperialisten“ und der „israeli-
schen Zionisten“ sowie zur Aufwertung der DDR in der Weltöffent-
lichkeit nichts zu wünschen übrig. Dabei versuchte das Politbüro
der SED insbesondere in den letzten Jahren seiner Herrschaft die
geistige und materielle Unterstützung des gegen Israel ausgerich-
teten arabischen Terrorismus mit der Umarmung des Weltjuden-
tums, repräsentiert durch den Vorsitzenden des jüdischen Welt-
kongresses Bronfman und den Vorsitzenden des Zentralrates der
Juden in Deutschland Heinz Galinski, zu verbinden. Das Ziel die-
ser bizarren ideologischen Quadratur des Kreises war sehr profan:
Es war eine Dollarspritze, die die DDR-Führung aus den USA für
den Erhalt ihrer Wirtschaft herbeisehnte, wobei sie die „goldene
jüdische Internationale“ als Pforte zum Weißen Haus und zur Wall-
Street zu nutzen gedachte. Als Köder für die US-Dollars sollte der

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Wiederaufbau der Ostberliner Neuen Synagoge in der Oranien-
burger Straße dienen. An der Inszenierung und Ausführung des
schmierigen Schauspiels, das zumindest den Glauben an das an-
tisemitische Klischee von der jüdischen Weltfinanzmacht zur Vo-
raussetzung hatte, waren wiederum jüdische Exponenten maß-
geblich beteiligt, so der Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus
Gysi (IM „Kurt“, Vater von PDS-Gysi), der Vorsitzendende der jü-
dischen Gemeinde (Ost-) Berlin Peter Kirchner (IM „Burg“), Irene
Runge (IM „Stefan“ und Hobby-Zuträgerin aus Passion), um nur
einige zu nennen. Während sich Galinskis Begeisterung für Ho-
neckers Staat der Antifaschisten in Grenzen hielt, war der
Schnapsfabrikant Bronfman für die DDR gleich Feuer und
Flamme. Doch noch bevor er, gemäß Regie des Politbüros der
SED, beim damaligen Präsidenten der USA Bush die Werbetrom-
mel für die DDR rühren konnte, war sie zu seinem tiefsten Bedau-
ern von der Landkarte verschwunden.

Wäre Wolffsohn nicht selbst ein Jude, könnte sein Buch als anti-
semitisch gedeutet werden. So aber ist es, trotz einiger auffälliger
Mängel, ein glaubwürdiges und zugleich trauriges Dokument, ein
Beleg für das moralische Versagen einer Gruppe linksintellektuel-
ler Juden, die sich nach dem Holocaust und dem Ende des Nazi-
reiches anschickten, ausgerechnet in Ostdeutschland ihre Vorstel-
lungen von einer idealen Gesellschaft in die Tat umzusetzen. Sie

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wollten als Literaten, Philosophen, Juristen, politische Propagan-
disten gemäß des Marxschen Auftrages die Welt nicht nur inter-
pretieren, sondern sie verändern. In den stalinistischen Strukturen
wurden sie zu Tätern, Helfern aus naiver Gutgläubigkeit, Opportu-
nismus oder Feigheit und nur selten zu Opfern, jedenfalls seltener
als Nichtjuden. Das wage ich, selbst ehemals ein „jüdischer Mit-
bürger“ in der DDR, zu behaupten und habe diese Feststellung bei
Wolffsohn leider vermisst.

Immer wieder thematisiert Wolffsohn in seinem Buch, wie die
DDR-Ideologen den Massenmord an den Juden in seiner Schlüs-
selrolle für den Nationalsozialismus herunterspielten, was sich ins-
besondere in der hartnäckigen Verweigerung einer Entschädi-
gungszahlung an die Juden Israels und der USA geäußert habe,
nach dem stereotyp wiederholten Motto: „Wir haben als Kommu-
nisten im Ostteil Deutschlands mit dem Kapitalismus die Wur-
zeln des faschistischen Übels ausgerottet und tragen deshalb für
die Gräuel des Nationalsozialismus weder Schuld noch Verant-
wortung.“ Ich halte allerdings Wolffsohns Interpretation für gewagt,
der in dieser Verweigerungshaltung eine Äußerung des Antisemi-
tismus sieht und im Zusammenhang damit das mit Juden reichlich
bestückte „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer
der DDR“ zu einer Gruppe verstockter Antisemiten erklärt. Es
passte vielmehr nicht in das stalinistische, bereits von Dimitrov in

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den dreißiger Jahren ausformulierte, und bis vor Kurzem auch in
der westlichen Linken verbindliche Konzept der Deutung des Fa-
schismus als einer „extrem aggressiven Diktatur des Monopolka-
pitals“, wenn ihre Hauptopfer nicht Kommunisten oder sonstige
Gegner des Kapitalismus, vielmehr politisch meist indifferente Ju-
den gewesen sein sollen. Das und nicht ein linker Antisemitismus
war auch für die jüdischen Kommunisten das Motiv, die Leiden der
Juden in der Nazizeit und das beispiellose Verbrechen ihrer Ver-
nichtung erst an zweiter Stelle, nach dem „heroischen antifaschis-
tischen Kampf der Kommunisten“ zu nennen. Es ist übrigens von
jüdischen Kommunisten selbst als ehrenrührig empfunden worden
zuzugeben, dass sie von den Nazis als Juden verfolgt wurden.
Das traf auch für meinen Vater, einen Kommunisten aus Vor-
kriegsberlin, zu. Dem Juden haftete der Makel des Opfers an, man
wollte sich aber als Kommunist mit der Aura des Heldentums
schmücken.

Wolffsohn, der seine Kindheit und Jugend in Israel verbracht hat,
kann oder will es nicht akzeptieren, dass Kommunisten, seien sie
nun Juden oder Nichtjuden, aus anderen als antisemitischen Mo-
tiven Israel bekämpft hatten. Es dürfte ihm aber als Zeithistoriker
nicht unbekannt sein, dass leninistische Marxisten unter den Ju-
den bereits Jahrzehnte vor der Gründung Israels das zionistische

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Konzept einer jüdischen Staatsgründung erbittert abgelehnt hat-
ten, weil sie jeden Nationalstaat als ein nach der proletarischen
Weltrevolution überflüssiges bürgerliches Relikt zurückwiesen. So
hat mein leninistisch orientierter Vater schon in Jahre 1935 seinen
kleinen Bruder verspottet, der achtzehnjährig nach Palästina aus-
wanderte. Und dennoch hasste mein Vater keine Spezies auf der
Welt mehr, als die Antisemiten. Die Gleichsetzung des Antizionis-
mus mit dem Antisemitismus erscheint somit aus der Perspektive
des einstmals auch von einer Gruppe von Juden vertretenen Le-
ninismus sehr fragwürdig.

Als ebenso fragwürdig erscheint mir, wenn Wolffsohn die Instru-
mentalisierung der Juden für außenpolitische Zwecke seitens der
Führung der DDR für eine Äußerung des Antisemitismus hält. Um
diese These zu bestätigen müsste er nachgewiesen haben, daß
christliche Kirchen in der DDR nicht mindestens im gleichen Maße
wie jüdische Gemeinden vom Staat für Innen- und außenpoliti-
sche Zwecke instrumentalisiert wurden. Diesen Nachweis ist Wolf-
fsohn seinen Lesern schuldig geblieben.

Auch stellt Wolffsohn nicht deutlich genug heraus, daß es sich bei
jenen Überlebenden des Holocaust, die nach dem Krieg mehrheit-
lich aus freiem Entschluss ein Leben in der kommunistisch orien-
tierten Ostzone bzw. in der DDR aufgenommen hatten, meist nur

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gemäß nationalsozialistischer Nomenklatur um Juden gehandelt
hat, weil sie außer jüdischer Vorfahren kaum etwas Jüdisches auf-
zuweisen hatten, und weil sie es meistens nach außen strikt leug-
neten, Juden zu sein. Es ist aber sehr problematisch, Personen
als Juden zu interpretieren, die nicht nur überzeugte Marxisten wa-
ren, sondern zugleich jede Bindung an die jüdische Tradition strikt
zurückwiesen. Eine solche Haltung war nicht nur für die wenigen
jüdischen Exponenten der DDR charakteristisch, sondern für die
meisten der kaum mehr als tausend seit den sechziger Jahren in
der DDR lebenden Personen, denen nach der nationalsozialisti-
schen Nomenklatur das Prädikat „Jude“ zugestanden hätte. Das
traf aber ebenso auf die knapp 400 Mitglieder der jüdischen Ge-
meinden in der DDR zu, von denen die meisten problemlos zu-
gleich der SED angehören konnten. An ihre Umwelt voll angepasst
wussten sie mit Weihnachten als dem staatlich sanktionierten
„Fest des Friedens“ weit mehr anzufangen als mit Pessach oder
Chanukka, und ihre Sprösslinge taten nicht mit Bar Mitzwa, viel-
mehr mit der Jugendweihe den ersten Schritt zum Kreis der Er-
wachsenen. Wolffsohn beschreibt ganz richtig den religionsfreien
Charakter der jüdischen Gemeinden in der DDR sowie deren au-
ßerordentliche Loyalität gegenüber dem Staat, nennt aber nicht
die Gründe für diese Haltungen.

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So verschweigt er in seinem Buch den sehr wichtigen Umstand,
dass es sich bei den wenigen DDR-Juden um eine im hohen Maße
privilegierte Gruppe gehandelt hat, suggeriert im Gegenteil ihre
Benachteiligung, weil sich die DDR-Führung geweigert habe, an
Juden Entschädigungen zu zahlen und weil zu Lebzeiten Stalins
einige kommunistische Spitzenfunktionäre jüdischer Herkunft in
ihrer Parteikarriere empfindlich gestört wurden. Nun hatte aber
das eine mit dem anderen nichts zu tun. Wolffsohn suggeriert des-
weiteren, es habe in der DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik
keine materielle Unterstützung der Juden gegeben. Dem kann ich
aufgrund eigener Erfahrungen als Jude in der DDR nicht zustim-
men. Es ist zwar richtig, dass 1952 die gesamtdeutsche Ver-
folgtenorganisation VVN in der DDR aufgelöst wurde, aber nur um
unter dem Namen VdN als eine auf die DDR begrenzte soziale
Institution fortzuexistieren. Das erwähnt Wolffsohn in seinem Buch
ebenso wenig, wie die materiellen Privilegien, die mit dem Status
des Verfolgten des Naziregimes (VdN) in der DDR verbunden wa-
ren, der allen dort lebenden Juden, auch den Kindern der ehemals
verfolgten, zuerkannt wurde. Den VdN-Anerkannten, zu denen ne-
ben kommunistischen „Kämpfern gegen den Faschismus“ die
ehemals „rassisch Verfolgten“ gehörten, stand außer der für DDR-
Verhältnisse sehr großzügigen Zusatzrente, die als Teilrente be-
reits im berufstätigem Alter gezahlt wurde, eine vorbildliche sozi-
ale und medizinische Betreuung, mit VdN-Ärzten, VdN-Sanatorien

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und VdN-Altersheimen zur Verfügung. VdN-Kinder im jugendli-
chen Alter erhielten Sonderstipendien, gegebenenfalls auch Wei-
sen-, bzw. Halbweisenrenten. VdN-Anerkannte und ihre Kinder
wurden desweiteren in der Wohnungsvergabe bevorzugt und ka-
men selbst an Autos schneller heran. Ein „gewöhnlicher“ DDR-
Bürger musste dagegen auf Wohnung wie Auto jeweils etwa zehn
Jahre warten. Nur wer in der DDR gelebt hat, kann den Wert die-
ser Vorzüge voll ermessen. Hinzu kam das Privileg des Besitzes
eines westlichen Passes, mit dem sich zahlreiche nach dem Krieg
in die DDR zurückgekehrte kommunistisch-jüdische Emigranten
ihr Leben in der seit 1961 abgeschotteten DDR versüßen konnten.

Doch ganz ohne Zweifel war der finanzielle Aufwand für die mate-
rielle Unterstützung einer Handvoll eigener Juden sehr gering, ver-
glichen mit der Summe von einigen Milliarden Dollar, die der östli-
che Teil Deutschlands als Entschädigungszahlungen an überle-
bende Juden im Ausland, insbesondere in Israel und den USA,
hätte zahlen müssen. Die moralische Schuld der Ost-Deutschen
am Holocaust war damit alles andere als abgegolten.

Ich selbst war aufgrund meiner Geburt im deutsch besetzten
Frankreich in der DDR ein VdN-Anerkannter aus Gründen „rassi-
scher Verfolgung“ in der NS-Zeit. Die materiellen Privilegien, um
die ich im Freundeskreis ganz ohne antisemitische Häme beneidet

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wurde, konnten mich allerdings nicht daran hindern, das totalitäre
System abzulehnen. Meine öffentlichen Auftritte zugunsten Israels
Anfang der Siebziger Jahre wurden von den DDR-Behörden still-
schweigend toleriert. Wegen meiner systemkritischen Äußerun-
gen wurde ich allerdings 1976 verhaftet. Das Gerichtsurteil gegen
mich, ein Jahr Gefängnis wegen „Staatsverleumdung“, fiel nach
DDR-Maßstäben verhältnismäßig mild aus, vermutlich aus Res-
pekt vor meiner jüdischen Herkunft. Viel weniger Respekt hatte
das SED-Regime vor engagierten Christen, die wesentlich härter
angepackt wurden als die Handvoll aufmüpfiger Juden. War das
der virulente Antisemitismus der Kommunisten, den Wolffsohn in
seinem Buch zu entlarven meint?

Mein bereits vor der Wende 1988 erschienenes Buch „Mir langt´s,
ich gehe“ belegt wie ich meine eindeutig, dass ich für den unter-
gegangenen „ersten Arbeiter-und Bauern-Staat auf deutschem
Boden“ keinerlei nostalgische Gefühle hege. Dennoch halte ich es
für angebracht wenigstens diese eine Seite der DDR zu würdigen:
die großzügige materielle und soziale Unterstützung der DDR-Ju-
den. Ich spreche hier keineswegs nur von der Vergangenheit. Die
schützende Geisterhand des selbsternannten „Staates der Antifa-
schisten“ erhebt sich noch heute über der kleinen jüdischen Ge-
meinschaft in den neuen Bundesländern. Denn die VdN-Gesetz-
gebung ist durch den Einigungsvertrag in das bundesdeutsche

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Recht übernommen worden, als „Gesetz über Entschädigungen
für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet“ vom
22.04.92. Nach diesem Gesetz steht DDR-Juden der Kriegsgene-
ration im Pensionsalter sowie ehemaligen „Kämpfern gegen den
Faschismus“ neben der Altersrente eine Entschädigungsrente in
Höhe von 1400 DM monatlich zu, ein Privileg das in den Altbun-
desländern weder für die Juden noch für ehemalige Nazi-Gegner
gilt. Warum hat Wolffsohn diese wichtigen Details seinen Lesern
vorenthalten? Vielleicht um die Verurteilung der DDR als „das
Reich des Bösen“ noch überzeugender ausfallen zu lassen.

Ich kann es auch nicht gelten lassen, wenn Wolffsohn in das
selbstgefällige bundesdeutsche Klischee verfällt, man habe im
Gegensatz zur Bundesrepublik in der DDR lediglich per Dekret,
rein ideologisch den Antisemitismus überwunden, was aber keine
Spuren im Bewusstsein der DDR-Bevölkerung hinterlassen habe.
Umfragen in den alten und neuen Bundesländern, die Wolffsohn
selbst anführt, belegen heute das Gegenteil, nämlich einen
schwächeren Antisemitismus im Osten als im Westen. Natürlich
haben die Parteiideologen der SED die Geschichte nur geogra-
phisch entsorgt, indem sie den westlichen Teil Deutschlands zum
Erben des Nationalsozialismus, den östlichen dagegen zum Erben
des fortschrittlichen Teils der deutschen Geschichte erklärt hatten.
Es ist aber falsch, wenn man behauptet, es habe in der DDR keine

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Kenntnis der Nazi-Gräuel an Juden in ihrem vollen Ausmaß gege-
ben. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin während meines Lebens in
der DDR (bis 1977) und danach nie einem DDR-Bürger ab jugend-
lichem Alter begegnet, der von der Nazi-Diktatur und ihren Untaten
nichts wusste. Ich habe aber mit zahlreichen Bundesbürgern der
Nachkriegsgeneration, selbst mit akademischen Graden, gespro-
chen, die allen Ernstes behauptet haben: „Die Nazizeit haben wir
in der Schule nicht gehabt“. Zunächst wollte ich ihnen diese läppi-
sche Ausrede nicht abnehmen. Inzwischen aber weiß ich, dass sie
die Wahrheit sagten. Und da sie sich privat nie für Geschichte in-
teressiert haben, sind sie bis heute unwissend geblieben.

Und so ist auch das Phänomen der Leugnung des Holocaust ein
genuin bundesdeutsches Produkt, das mir in der DDR selbst in der
rechten Szene, die es dort schon in den Siebziger Jahren gegeben
hat, nicht begegnet ist. Ich habe als politischer Häftling im Gefäng-
nis Cottbus mit überzeugten Nazis gesprochen, die mir versichert
hatten, es sei ein „Fehler“ Hitlers gewesen, Juden zu ermorden.
Er würde ihrer Meinung nach ganz sicher gesiegt haben, wenn er
die jüdische Intelligenz und den Kampfgeist der Juden, den sie in
Israel so beeindruckend bewiesen hätten, gegen den Bolschewis-
mus eingesetzt haben würde. Bei diesem Lob sträubten sich
meine Haare, ich musste aber einsehen, dass nicht jeder extrem
Rechte zugleich ein Antisemit sein muss.

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Wolffsohn stellt in seinem Buch mit Anerkennung fest, dass die
amerikanischen Juden in erster Linie loyale US-Bürger seien und
ihr jüdischer Glaube sowie ihre jüdische Tradition erst an zweiter
Stelle stehen, sie also mitnichten Mitglieder einer weltumspannen-
den goldenen oder sonstigen Internationale seien. Er scheint es
aber nicht bemerkt zu haben, dass genau die gleiche Tugend auch
den Juden in der DDR eigen war: Sie waren in erster Linie loyale,
meist vorbildliche Bürger ihres marxistisch orientierten atheisti-
schen Staates und erst in zweiter Linie hingen sie der jüdischen
Folklore ihrer Vorfahren an. Wen wundert es, bei der privilegierten
Stellung, die sie in ihrem Staat genossen hatten.

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