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Ein Fotograf begleitet Mitglieder einer Sondereinheit, um ihren Kampf gegen den IS zu dokumentieren. Und wird plötzlich Zeuge von Vergewaltigungen, Folter und gezielten Tötungen – ein Protokoll.

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Published by GICJ, 2017-05-23 12:15:31

Nicht Helden, sondern Monster

Ein Fotograf begleitet Mitglieder einer Sondereinheit, um ihren Kampf gegen den IS zu dokumentieren. Und wird plötzlich Zeuge von Vergewaltigungen, Folter und gezielten Tötungen – ein Protokoll.

Nicht Helden, sondern
Monster

Ein Fotograf begleitet Mitglieder einer Sondereinheit, um
ihren Kampf gegen den IS zu dokumentieren. Und wird
plötzlich Zeuge von Vergewaltigungen, Folter und
gezielten Tötungen – ein Protokoll.

Gefangener Mahmoud im Hauptquartier der irakischen ERD-Truppe Den Vater hängten sie an der
Decke auf, beschwerten seinen Rücken mit Wasserflaschen, dann begannen sie, ihn zu schlagen
FOTOS:ALIARKADY/VII/REDUX/LAIF

Foltervorwürfe gegen irakische Sondereinheiten
Der irakische Fotograf und Dokumentarfilmer Ali Arkady begleitet das
Geschehen in seinem Heimatland seit 2006. Er ist nicht nur ein exzellenter
Fotograf, seine vielseitigen Kontakte im Land sowie zahlreichen
Dokumentationen verschafften ihm auch ungewöhnlich tiefe Einblicke in
die verschiedenen Konfliktherde des Irak.

Seit 2011 arbeitet der SPIEGEL mit Arkady zusammen. Die
Folterszenen, Vergewaltigungen und gezielten Tötungen, die Ali Arkady im
vergangenen Jahr über Monate minutiös fotografiert und gefilmt hat,
bestätigen ähnliche Beobachtungen von Menschenrechtsorganisationen
wie auch Zeugenaussagen. Auch der SPIEGEL berichtete schon, dass
irakische Sicherheitskräfte willkürlich Menschen festnehmen, foltern und
töten.

So stießen SPIEGEL-Reporter im Mai des vergangenen Jahres bei einer
Recherche in der Stadt Tus Churmatu südlich von Kirkuk auf die Spuren
einer Vertreibungs- und Mordkampagne schiitischer Milizen.
Übereinstimmend erzählten Zeugen ihnen von entführten Angehörigen.
Schon damals hieß es, bis zu tausend Sunniten seien allein aus Tus
Churmatu verschwunden. Geflohene aus anderen Provinzen des Irak
bestätigten die Entführungen. Doch stets fehlten Beweise jenseits der
Zeugen und der verlassenen Orte.

Ali Arkady hat diese nun geliefert. An der Authentizität seines Materials
und der Identität der Täter besteht kein Zweifel. Seine Schilderungen
stehen im Gegensatz zur gängigen Berichterstattung über den Feldzug zur
Befreiung Mossuls. Viele Reporter hatten die irakischen Armeeeinheiten
bisher als Befreier erlebt und beschrieben. Vielleicht auch weil sie einfach
nicht sahen, sehen konnten, was außerhalb der Stadt geschah? Die von
Arkady begleitete Einheit Emergency Response Division, die dem
Innenministerium untersteht, verschleppte ihre Opfer nicht aus Mossuls
befreiten Stadtvierteln – sondern aus Dörfern der Umgebung, immer
nachts, wenn keine Journalisten zugegen waren.

Ich komme aus Chanakin, einer kleinen Stadt im Nordosten des Irak –
dort, wo der kurdische und der arabische Teil aufeinandertreffen. Bei uns
war es immer normal, dass Sunniten, Schiiten, Kurden, Araber neben- und
miteinander leben. Vielleicht habe ich deswegen mehr als andere daran
geglaubt, dass Iraker verschiedener Herkunft auch in Zukunft miteinander
leben könnten.

Im Oktober des vergangenen Jahres begann ich mit meinem Projekt, ich
wollte zwei Soldaten der Emergency Response Division (ERD), eines
Militärverbands des irakischen Innenministeriums, begleiten, wollte ihren
Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) dokumentieren. Das zumindest
war der Plan.

Den Vater hängten sie an der Decke auf,
beschwerten seinen Rücken mit
Wasserflaschen, dann begannen sie, ihn zu
schlagen

Ich hatte bei der Befreiung der Stadt Falludscha im Sommer zuvor zwei
Mitglieder dieser Einheit kennengelernt. Schon damals sprachen sie davon,
dass sie Menschen umbringen würden. Aber da dachte ich noch, sie
machen Scherze.

Ich traf die beiden im Herbst wieder, als die Befreiung Mossuls begann:
Hauptmann Omar Nazar, einen Sunniten, und Haider Ali, einen
schiitischen Unteroffizier. Nach allen gängigen Klischees wären sie
Gegner. Aber die beiden waren "buddies", engste Freunde, die einander auf
dem Schlachtfeld beschützten. Ich begleitete, filmte sie tagelang. So
entstand die Idee, die beiden zu Protagonisten eines Dokumentarfilms zu
machen: Der Film sollte zeigen, dass Sunniten und Schiiten des Irak im
Kampf gegen den "Islamischen Staat" zusammenhalten können.

Ich habe damals eine Facebook-Seite eingerichtet, sie hieß Happy
Baghdad, ich stellte ein Zwei-Minuten-Video der beiden unter dem Titel
"Befreier, nicht Zerstörer" ein. Das Echo war überwältigend, 345 815
Views, die Seite wurde 1360-mal geteilt und kommentiert. Ich bin auf dem
richtigen Weg, dachte ich.

Ich nahm mir vor, den beiden bis zum Ende dieses Krieges zu folgen,
der Befreiung von Mossul. Beide waren einverstanden, die "Helden"
meiner Geschichte zu werden. Es ging darum zu zeigen, dass nicht nur die

Elitekämpfer der "Goldenen Division", sondern auch andere Einheiten
bemerkenswerte, mutige Dinge tun.

FOTOS:ALIARKADY/VII/REDUX/LAIF

Omars und Haiders Truppe, die Emergency Response Division, hatte
klein begonnen. Aber seit Sommer 2014, als der ganze Irak auf einmal im
Krieg mit dem IS stand, wuchs die Truppe rasant. Sie gliederte sich in drei
Verbände: Aufklärung, Scharfschützen und die Kampfgruppe. Hauptmann
Omar Nazar kommandiert die Kampfgruppe, in der auch Haider Ali
eingesetzt ist, der Unteroffizier.

Die Männer führten Razzien und nächtliche Kommandooperationen
durch. Trainiert wurden sie vor allem von Amerikanern. Vom ERD-
Kommandeur, Oberst Thamer Mohammed Ismail, erhielt ich die Erlaubnis,
die Truppe bei ihren Einsätzen zu begleiten.

Mit jeder gewonnenen Schlacht wuchs das Selbstvertrauen meiner
Protagonisten. Ende Oktober 2016 fotografierte ich für den SPIEGEL im
Irak und hielt mich mit Omar und Haider im Hauptquartier der Truppe in
Kajara, südlich von Mossul, auf, nicht weit von einer US-Basis.

Am 22. Oktober kamen Omars Männer mit zwei jungen Gefangenen zur
Basis, mutmaßlichen IS-Unterstützern. Ich fotografierte sie, wusste aber
nicht, was weiter mit ihnen geschehen würde. Später erzählten mir die
Soldaten, dass die beiden nach drei Tagen Folter gestanden hätten, IS-
Mitglieder zu sein. Eine Woche später seien sie umgebracht worden.

Von diesem Zeitpunkt an begann sich mein Projekt zu verändern. Meine
"Helden" taten Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte. Zunächst
durfte ich ihnen dabei nur zuschauen, später hatten sie auch nichts mehr
dagegen, wenn meine Kamera lief.

Ich fuhr wieder nach Hause, auch Omar und Haider hatten zwei Wochen
frei. Wir hatten verabredet, uns im neuen Hauptquartier der Truppe in
Hamam al-Alil, etwas näher an Mossul, wieder zu treffen. Ich kam vor
ihnen am 11. November an. So lernte ich die anderen Offiziere kennen und
bekam fortan noch mehr mit. Mehr, als mir lieb war und ich vermocht
hatte mir vorzustellen: Folter, Vergewaltigungen, aber auch Morde an
Menschen, gegen die nur vage Verdachtsmomente vorlagen. Oder nicht
einmal das.

Die Soldaten hatten damals gerade das Dorf Kabr al-Abd vom IS
zurückerobert. Hauptmann Thamer al-Duri, der für die
Geheimdienstabteilung zuständig war, leitete die Razzien. Ich war dabei,
als sie nachts mehrere Männer festnahmen, unter ihnen auch Raad Hindiya,
der Wächter und Putzmann der Dorfmoschee gewesen war. Er war von
einem Informanten beschuldigt worden, ein IS-Mann zu sein.

Zuerst nahmen sie ihn nur für ein paar Stunden mit, um ihn zu schlagen
und zu verhören. Aber schon da sagte Hauptmann Duri mir, dass er den
Mann in einigen Tagen noch mal festnehmen und dann töten werde. Am
22. November gingen zehn Mann, alle ausgerüstet mit Nachtsichtgeräten
los, die US-Truppen in der Nähe waren unterrichtet und verfolgten die
nächtliche Razzia mit einer Drohne.

Raad Hindiya schlief mit seiner Familie in einem Raum, als sie ihn
festnahmen. Die Soldaten brachten ihn zu Hauptmann Omar Nazar,

meinem Protagonisten, wo sie ihn stundenlang folterten, bevor sie ihn am
Morgen zum Hauptquartier der Geheimdienstler weitertransportierten. Dort
wurde er eine Woche lang gefoltert. Anschließend sei er zusammen mit
anderen IS-Verdächtigen umgebracht worden. So erzählte es mir später
Hauptmann Duri.

In derselben Nacht verhafteten sie einen jungen Mann namens Raschid,
der unschuldig war, das sagten selbst die Aufklärer der irakischen Armee.
Aber sein großer Bruder war zum IS gegangen, ebenso dessen Frau. Das
war Raschids Verhängnis. Er starb nach drei Tagen unter Folter, ich habe
seine Leiche im Quartier der Geheimdienstler gesehen.

Nun begann der Albtraum. Die Kleinstadt Hamam al-Alil war
vollständig vom IS befreit worden. Viele, die vor den Kämpfen geflohen
waren, kamen zurück. Die ERD-Teams zogen los, um reihenweise junge
Männer zu verhaften, offiziell, um zu klären, ob IS-Männer unter ihnen
seien. Unter den Festgenommenen befanden sich ein Vater und sein 16-
jähriger Sohn, die Soldaten brachten beide ins Hauptquartier.

Truppe des Innenministeriums in der Nähe von Mossul, überfallene Familie von Fathi Ahmed
SalehSie zerrten den Mann aus dem Raum, dann kündigte Unteroffizier Haider an, er werde jetzt die

Frau vergewaltigen
FOTOS:ALIARKADY/VII/REDUX/LAIF

Mahdi Mahmoud, den Vater, hängten sie mit den Armen hinter dem
Kopf an der Decke auf, beschwerten seinen Rücken mit einer Palette voller
Wasserflaschen und begannen, ihn zu schlagen. Der Sohn saß nebenan und
konnte die Schreie seines Vaters hören. Und ich war dabei und filmte.
Niemand stoppte mich. Dann schlugen sie den Sohn vor den Augen seines
Vaters. Später brachten sie den Sohn um.

Alles geriet immer mehr außer Kontrolle. Ich dachte, wo bist du da nur
hineingeraten? Warum lassen sie dich filmen, wie sie Menschen foltern?
Wie soll das Teil einer Dokumentation über die Befreiung vom
"Islamischen Staat" werden? Aber sie denken nicht wie Journalisten. Für
sie war es einfach normal geworden.

Ich war dabei, als sie mehrere Männer
festnahmen, unter ihnen der Putzmann der
Moschee.

Gleichzeitig sagte ich mir: Du musst das hier aufnehmen! Du musst
dokumentieren, beweisen, was sie tun, zeigen, dass sie Kriegsverbrechen
begehen. Ausländische Reporter waren zwar in der Gegend, aber sie
kamen nur tagsüber, fuhren nachmittags stets zurück ins sichere Arbil im
kurdischen Gebiet. Nachts war ich allein mit den Truppen des
Innenministeriums.

Mitte Dezember zogen wir um auf die andere Seite des Tigris, in eine
neue Basis in Baswaja am östlichen Rand von Mossul. Es gab dort zwei
junge Brüder, Laith und Ahmed, die schon einmal von der "Goldenen
Division" festgenommen, aber wieder freigelassen worden waren, aus
Mangel an Beweisen. Jetzt hatte man sie wieder gefangen genommen und
hierhergebracht. Aber in der Nacht waren keine Offiziere da, nur die
Soldaten, die fürs Foltern zuständig waren.

Sie begannen, die beiden zu traktieren, erst mit Schlägen, dann, indem
sie Ahmed immer wieder mit einem Messer hinter das Ohr stachen. Es sei
eine Technik, die er von amerikanischen Experten gelernt habe, brüstete
sich Ali, einer der Soldaten.

Ich war überrascht, verängstigt, dass sie mich alles filmen ließen. Ich
blieb für eine Stunde. Am nächsten Morgen erzählte mir ein Soldat, dass
beide im Laufe der Nacht zu Tode gefoltert worden seien, und zeigte mir
ein Video ihrer Leichen, schickte es mir sogar über WhatsApp.

Am 16. Dezember trafen die beiden Männer in Baswaja ein, über die ich
meine Dokumentation hatte drehen wollen: Hauptmann Omar Nazar und
Unteroffizier Haider Ali, der Sunnit und der Schiit, die gemeinsam gegen
den IS kämpfen wollten. Schon in derselben Nacht ging es weiter mit
Festnahmen. Die Soldaten hatten verschiedene Namen von einem
Informanten bekommen, Namen von Männern, die angeblich früher für
den IS gekämpft hatten. Die Soldaten zogen einfach los, ohne weitere
Klärung oder einen Befehl der höheren Offiziere. Ich durfte wieder
mitkommen.

Der Zweite, den sie in dieser Nacht aus dem Haus holten, war ein Mann
namens Fathi Ahmed Saleh. Sie zerrten ihn aus dem Raum, in dem er mit
seiner Frau und den drei Kindern geschlafen hatte. Unteroffizier Haider Ali
ging in das Zimmer, kündigte an, er werde jetzt die Frau vergewaltigen. Ich
folgte den anderen, um zu sehen, was sie mit dem Ehemann machten. Fünf
Minuten später traf ich Haider Ali vor der geöffneten Tür wieder. Die Frau
weinte. Hauptmann Omar Nazar fragte ihn, was er gemacht habe.

"Nichts", antwortet Haider Ali, "sie hatte ihre Tage."
Ich filmte in den Raum hinein, in dem die Frau mit ihrem jüngsten Kind
im Arm saß. Sie schaute mich an. Ich filmte, ohne nachzudenken.
Als ich mir später das Video angeschaut habe, als ich sah, wie sie in
meine Richtung blickte, ihre Kinder küsste, habe ich gedacht: Sie muss
akzeptiert haben, dass ich filme in dieser furchtbaren Situation. Damit
Menschen erfahren können, was geschehen ist! In der Zwischenzeit

räumten die anderen Soldaten das Haus aus, stahlen, was sie mitnehmen
wollten.

Der letzte Gefangene dieser Nacht war ein junger Angehöriger der
Volksmobilisierungseinheiten, auf Arabisch kurz: Haschd, die auch gegen
den IS kämpfen. Er war Sunnit, aber die schiitischen Haschd mögen keine
Sunniten. Sie brachten ihn ins Gebäude von Omar Nazar, wo er von einem
der Soldaten vergewaltigt wurde. Die Männer, die ich begleitete, hatten
harte, schwere Kämpfe erlebt. Aber mittlerweile dachten sie wohl, ihnen
wäre alles erlaubt. Morde, Vergewaltigungen, alles ist halal, legitim. Wenn
sie zurückkamen von ihren Nachtrazzien und das Hauptquartier über Funk
fragte, was sie gemacht hätten, antwortete Hauptmann Omar: "Oh, alles!
Wir haben uns Männer, Frauen genommen, die Häuser geplündert."

Ich war überrascht, dass sie mich alles filmen
ließen. Sie schickten mir sogar ein Video der
Leichen.

Die Antwort: "Okay, macht, was zu tun ist!" Die Vorgesetzten wussten
alles. Auch die Amerikaner müssen eigentlich mitbekommen haben, was
geschah.

FOTOS:ALIARKADY/VII/REDUX/LAIF

Es gab sogar eine Art Wettkampf zwischen der Nationalpolizei und der
Truppe des Innenministeriums: Wenn die Polizisten erzählten, wie sie in
einem Haus eine gut aussehende Frau fanden und vergewaltigten, wollten
die ERD-Männer auch noch mal hin. Um den Kampf gegen den
"Islamischen Staat" ging es immer weniger.

Wenn die Männer der Sondereinheit überhaupt eine Strategie haben,
dann die, alle Sunniten der Gegend in Todesangst und Schrecken zu
versetzen, sie in die Flucht zu treiben, um die Demografie des Nordirak zu
verändern.

Es waren meine letzten Tage bei der ERD. Ich ertrug es nicht mehr,
filmte, was geschah, und dachte später: Das könnte meine Frau, meine
Tochter sein. Als Hauptmann Omar und einer der Soldaten weitere
Gefangene schlugen, forderten sie mich auf mitzumachen. Es war eine
absurde Situation: Alle behandelten mich wie einen Teil ihres Teams.

Ich bekam es mit der Angst zu tun, ich war Kurde, arbeitete für eine
amerikanische Fotoagentur. Sie waren zu viert, bewaffnet, ich war allein.

Sie sagten immer wieder: "Jetzt komm, schlag auch zu, los!" Dann habe
ich einem der Gefangenen eine Ohrfeige gegeben. Nicht zu hart, nicht zu
weich. Es war schrecklich und das Letzte, was ich dort tat.

Ich gab vor, meine Tochter sei krank, ich müsse zurück nach Hause
fahren. Ich fuhr in meine Heimatstadt Chanakin, aber nur für wenige Tage.
Anschließend habe ich meine Familie in Sicherheit gebracht und den Irak
verlassen. Mein Land. Aber es war klar, dass mein, unser Leben in Gefahr
ist, sobald ich die Beweise dieser Kriegsverbrechen veröffentliche.

Jetzt verstehe ich, warum der IS es so leicht hatte, Mossul und andere
sunnitische Gegenden einzunehmen. Die Menschen dort hatten Angst,
nicht zu überleben ohne militärischen Schutz. Nur dass der IS letztlich ihre
Lage noch verschlimmert hat.

Jetzt leben wir im Ausland. Wo genau, möchte ich aus
Sicherheitsgründen nicht schreiben. Ich frage mich manchmal, wie Omar
und Haider wohl nun über mich denken. Ich habe ja nicht einmal eine
Verabredung gebrochen, habe nichts heimlich gefilmt.

Alle haben zugeschaut, wie ich stundenlang ihre Misshandlungen
dokumentierte. Ja, sie schickten mir sogar nachträglich Videos ihrer
Morde, wenn ich sie darum bat. Und im Fall der getöteten Brüder sagten
sie sogar explizit, ich könne diese Videos für meine Dokumentation
benutzen. Sie hatten alle Maßstäbe verloren dafür, was richtig ist und was
falsch.

Ursprünglich wollte ich mit den beiden in das nach hartem Kampf
befreite Mossul einrollen, als letzten Teil unserer gemeinsamen
Geschichte. Das wird nun nicht mehr geschehen.

Ich wollte sie als Helden darstellen. Auch das wird nicht geschehen.
Es ist nicht leicht, woanders ein neues Leben zu beginnen. Chanakin ist
meine Heimat, ich habe gern dort gelebt. Aber dies ist der Preis für meine
Arbeit, dafür, zu veröffentlichen, was ich gesehen habe. Es ist mein Preis,
ich zahle ihn.

Gefangener Ahmed Mitte Dezember östlich von Mossul: Sie stachen ihm mit einem Messer hinter
das Ohr

ALIARKADY/VII/REDUX/LAIF

Seit Omar, Haider und die anderen Offiziere verstanden haben, was die
Veröffentlichung ihrer Taten für sie bedeuten kann, erhalte ich Drohungen.
Erst kamen Fragen: "Wir müssen Ali sprechen, wo ist er?"

Dann wurde es konkreter. Sehr konkret.
Als ich am 4. Januar 2017 nach Katar reiste, war alles noch ruhig. Nach
meiner Ankunft kontaktierte ich Haider Ali über Facebook, fragte ihn, ob
er mir noch das eine Video schicken könne, das er mir gezeigt hatte: wie er
und Hauptmann Omar Nazar einen ihrer Gefangenen von hinten
erschießen. Der Mann läuft durch die Steppe und fleht um sein Leben, sie
schießen einfach auf ihn, als er läuft, selbst noch als er schon auf dem
Boden liegt.
"Klar", schrieb Haider zurück – und schickte mir das Video. Ich habe es
noch immer auf meinem Telefon.

Ali Arkady


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