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Published by silkem, 2022-12-05 16:50:23

FuK_Heft 4_2022

FuK_Heft 4_2022

Keywords: Kunst

3/2022

Genuss und Verantwortung

Editorial

Genuss und Verantwortung – geht das ?

Mit gutem Gewissen die Früchte der Erde Freude bewahren und uns gleichzeitig stellbar. Aber zuletzt muss natürlich je­
und die Früchte seiner Arbeit zu genießen, unserer sozialen, ökologischen und po­ der für sich selbst wissen: Wie groß kann
ist heute nicht mehr einfach. Zu offensicht­ litischen Verantwortung bewusst sind... der Beitrag sein, den ich leiste? Was will
lich sind die Zusammenhänge zwischen un­ Lebensmittel sind in erster Linie ein uni­ und was soll ich tun?
serem Lebensstil und der Gefährdung der verselles Recht und als solches sollte ihre
Umwelt sowie der schlechten Lebenssitu­ Herstellung immer auf das Gemeinwohl "Essen ist ein Bedürfnis, genießen eine
ation vieler Menschen. Dazu drücken die ausgerichtet und nicht durch Privatinter­ Kunst", schreibt ein Gourmet im 17. Jh. Wir
täglich schlechten Nachrichten aufs Gemüt. essen gesteuert werden." sollten uns nicht nur diesen Kunstge­
nuss gönnen, sondern auch manch an­
Geht das – bei der Ernährung aufs Kli­ Gemeinsame Mahlzeiten spielen von deren wie z.B. öfters gute Musik hören
ma achten und trotzdem genießen? Car­ jeher und in allen Kulturen eine bedeut­ und evtl. selbst musizieren oder singen,
lo Petrini, int. Präsident von Slow Food, same Rolle. Sie vermitteln ein Gefühl der in einem Museum mit Muße ein Bild oder
kommentiert dazu: "Jeder Mensch isst Zusammengehörigkeit, sei es am Famili­ eine Landschaft betrachten oder überra­
und für viele Menschen hängt Essen mit entisch oder im Freundeskreis.Denn Ge­ schend Neues entdecken.Je älter man
Momenten des Genusses, der Lebens­ selligkeit ist der Speise beste Würze. wird, desto kostbarer wird die Zeit, die
freude, vielleicht auch mit einem Hauch man schon deshalb jeden Tag aufs Neue
von Luxus zusammen. Doch es wird immer schwieriger, für genießen sollte, denn die Lebensfreude
alle Gäste das Passende aufzutischen. ist die einzige Waffe gegen Beschwerden.
Bei allem Vergnügen sollten wir je­ Welche Intoleranz gilt es zu berücksich­
doch nie vergessen, dass das Essen im­ tigen? Vegetarismus und Veganismus Auch Bewegung ist ein belegtes An­
mer auch einen Versorgungszweck und b00men nicht nur bei jungen Menschen, ti-Aging-Mittel und macht Freude, sei es
damit eine hohe politische Relevanz weil immer mehr von den Widerwär­ eine Wanderung, Yoga oder Schwimmen.
hat. Unsere Aufgabe besteht darin, das tigkeiten der Massentierhaltung abge­ Übrigens, auch eine Umarmung ist für
Gleichgewicht zwischen beidem herzu­ stoßen werden. Aber Cappuccino mit Körper und Seele gut.
stellen, indem wir uns das Gefühl der Hafermilch? Das ist für mich noch unvor­
Inge Kellersmann

Inhalt Lesegenuss leicht gemacht....................................17
Repair Cafés – Reparieren statt wegwerfen .............. 17
Thema: Genuss und Verantwortung Weitere Rubriken:
Wissen Sie, wer ich bin?........................................18
Editorial ................................................................ 2 Für Sie gelesen......................................................19
Können wir noch genießen?.................................... 3 Aktuelle Kunstausstellungen................................. 20
War Oma ein Gutmensch?....................................... 4 Aus dem Verband:
Esskultur – von 1945 bis heute .............................. 5 Jahresbericht 2021.............................................. 23
Schnipseln, raspeln, kneten .................................. 6 Bundestagung in Bochum .................................... 24
Kochen als Beruf(ung) ............................................ 7 Kunstseminar ...................................................... 25
Verantwortung kommt vor dem Genuss .................. 8 Gruppen berichten von ihren Veranstaltungen... 27
Tropische Früchte – nachhaltig produziert............... 9 Impressum...........................................................31
Stillleben – ein visueller Genuss............................10
Mit allen Sinnen genießen.....................................12
Refugium im Grünen inspirierte manche Künstler...14
Wandern – eine wohltuende Entschleunigung........16

Titelseite: Freunde bereiten ein Picknick am idyllischen Freibergsee vor. Foto: Ursula Michalke

Thema

Können wir noch genießen?

„Diese Marmelade macht jeden Tag zum Sonntag!“, verspricht Der Schutz der Natur heute und morgen ist für alle Menschen le-
das große Werbeplakat an der Straßenecke. Alle Tage Sonn­
tagsgenuss? Wirklich? Wird nicht das, was alle Tage verfüg­ bensnotwendig. Foto: shutterstock
bar ist, schnell alltäglich und endet womöglich in Langewei­
le und Überdruss? einem Lebensstil verabschieden, der gedankenlos genießt.
Wer genießen will, wird einen neuen Blick für die vielen kos­
Genuss braucht die Ausnahme und den Höhepunkt, tenlosen Alltagswohltaten und kleinen Genüsse entwickeln,
braucht Rhythmus und Maß. Genießen heißt, hier und jetzt die es zu genießen gilt:
ausnehmend Wohltuendes schmecken, hören, sehen, füh­
len, erleben und es dann genug sein lassen. Die frühe Tasse Kaffee am Morgen
Das späte Buch im Bett
Wo die Ausnahme zur Regel wird, verkümmert der Genuss Die Gnade einer festen Matratze
zum bloßen Kick, putscht auf oder betäubt, statt zu sättigen Die Dusche nach der Fahrradtour
und zu befriedigen. Das Samstagmorgen-Ei mit frischem Brötchen
Der Wein zum Braten am Sonntag
Das – zugegeben banale – Werbe-Beispiel zeigt aller­ Der Klang des Windes ums herbstliche Haus,
dings Typisches: Wir sind es gewohnt, dass alles jederzeit Der Schein der Sonne am Abendhimmel
verfügbar ist. Globale Warenketten, industrielle Landwirt­ Der Staunen über ein Neugeborenes
schaft und Massenproduktion machen es möglich. Alles, je­ Der Zug der Kraniche
derzeit, schnell, und möglichst billig – so die Maxime unse­ Der Anblick eines Gemäldes
rer Konsumgesellschaft, die vom Immer-mehr lebt. Der Kuss des Geliebten
Die Entdeckung: Die Knospen des nächsten Frühjahrs sind
Allerdings: Die Grenzen des Wachstums und seine Folgen schon jetzt zu sehen
sind inzwischen nicht mehr zu leugnen oder kleinzureden:
Artensterben, Klimawandel, Tierleid, dramatischer Verlust an Wer der Diktatur des Wachstums aus dem Wege geht und im
fruchtbarem Boden, drohende Hungerkatastrophen, zuneh­ Kleinen das Große wahrnimmt, im Geringen das Ganze ent­
mende Fehlernährung und die wachsende Kluft zwischen ar­ deckt, wird sich vergnügt begnügen können und den Genuss
men und reichen Ländern werden immer spürbarer. erleben, der aus dem Versuch erwächst, das Richtige zu tun.

Schlechtes Gewissen und Verzicht? Karin Vorländer

Dürfen wir also noch genießen? Oder ist nicht Verzicht ange­ Journalistin und Vorstandsmitglied beim Institut für Welternährung,
sagt und politischer Wandel? „Die Frage, wie ich mich nach­ https://institut-fuer-welternaehrung.org/
haltig ernähre, reise, wohne, mich kleide, wo ich mich sinn­
voll engagieren kann, treibt mich um. Ich kann kaum noch
irgendetwas ohne schlechtes Gewissen genießen. Manchmal
ist mir alles zu viel“, erklärt Christa Jung.

Geholfen hat der 57-Jährigen eine freundliche Mahnung
ihrer Tochter. „Mama, du musst nicht die ganze Welt retten.
Schlechtes Gewissen und Verzicht mit hängenden Mundwin­
keln macht doch niemanden froh. Wenn viele etwas tun, ist
schon ein bisschen gewonnen“.

Einige Grundsatzentscheidungen haben Christa Jung
(Name geändert) geholfen, wieder genießen zu können. Mit
Entdeckerfreude hat sie sich auf die Suche nach ökologischer
Geldanlage gemacht. Sie kauft mit Genuss ausgewählte se­
condhand-Kleidung, probiert gerne Rezepte für fleischarme
Gerichte, erntet in diesem Jahr erstmals Gemüse aus dem
eigenen Hochbeet und engagiert sich stundenweise in ei­
nem Weltladen. „Mehr schaffe ich nicht und weniger will ich
nicht“, sagt sie zu ihrem Versuch, Genuss und Verantwortung
in Einklang zu bringen.

Wer sich darauf einlässt, seinen ganz persönlichen Bei­
trag zu einer enkelfreundlichen Welt zu leisten, wird sich von

3

Thema

War Oma ein Gutmensch?

Zeitreise Ende der fünfziger Jahre zu Oma, te mir Oma allerdings mit dem Hinweis, Szenenwechsel. 2022
Jahrgang 1901, ins idyllische Nahetal. Für sie seien schädlich für meine Zähne. Eine
mich als Kind eine spannende Szenerie Tüte Mehl, Vanillezucker und ein farben­ Was sind wir doch für Gutmenschen! Wir
und willkommeneAbwechslungzum famili­ froh gestaltetes Päckchen für die Zuberei­ kaufen nur Bioprodukte, regionale Lebens­
ären Alltag im Hunsrück, wobei das Kochen tung von Vanillepudding bildeten dann mittel, vermeiden Plastik, Supermärkte und
von Latwerge (eingedicktes Pflaumenmus) den Abschluss unserer knapp zweistün­ Discounter, gehen regelmäßig mit handge­
im großen Kupferkessel der Dorfgemein­ digen Einkaufstour. flochtenen Körben auf den Wochenmarkt,
schaft schon faszinierend war. spenden für Umweltorganisationen und so­
Zuhause wartete bereits Opa, vor sich ziale Institutionen, reisen nachhaltig. An
Jetzt aber zu Oma in der kleinen Kü­ auf dem Küchentisch die Post der vergan­ Weihnachten gönnen sich manche Spar­
che des verwinkelten Häuschens, immer genen Tage, Zeitung, Tabak und Pfeife. gel aus Ecuador, Erdbeeren und Flugman­
beschäftigt mit Schnippeln von Gemüse, Resolut forderte ihn Oma auf, seine Sa­ gos, alles natürlich biozertifiziert.
Einkochen von Obst und Gartenarbeit. chen wegzuräumen, da sie das Mittag­
Am Sonntag Käsekuchen? Aber ja! essen, Kartoffelpuffer mit Apfelkompott, Sollte weniger nicht mehr sein und
vorbereiten müsse. Frauenleben der fünf­ der bewusste Verzicht dadurch die Be­
Mit Einkaufskorb ging es dann am ziger Jahre. wahrung der Schöpfung und der Lebens­
frühen Samstagmorgen zunächst zum qualität global gesehen fördern können?
Bauern Lenhard, selbstverständlich da­ Der wirtschaftliche Boom einige Jah­ Was läuft falsch in dieser Welt, wenn z.B.
bei Essensreste und altes Brot für die re später mit großzügig gestalteten Ge­ Kirschen aus südeuropäischen Ländern
Pferde und Schweine. Als Nachrichten­ schäften und einem vielfältigen und preiswerter sind als heimische Kirschen?
börse fungierten natürlich auch einige preiswerten Warenangebot unter einem Nachhaltigkeit und damit auch Verant­
wortung als essentieller Bezugsrahmen
Kochen von Latwerge im Dorfkessel Dach faszinierte dann für alle Werte stellt sich dar als Dreieck:
aber auch meine Oma ökologisch, ökonomisch und sozial.
Schwätzchen mit Dorfbewohnern, die und veränderte komplett
jedoch meine Ungeduld angesichts des ihr Einkaufsverhalten Eine vierköpfige Familie mit dem Ein­
Besuches der Ferkel und Küken auf dem trotz der dicken Versand­ kommen eines Facharbeiters hat sicher­
Bauernhof nur noch steigerten. kataloge, insbesondere lich bei den hohen Lebenshaltungs­
dann, wenn man alle zwei kosten trotz guter Vorsätze nicht die
Kartoffeln, Eier und Zwiebel wurden Monate nach Mainz fuhr Möglichkeit, alle Lebensmittel im Biola­
von der zupackenden Bauersfrau im Korb und dort Kleidung etc. den und Kleidung in Fairtrade-Shops zu
verstaut und weiter ging es zu der kleinen in den großen Kaufhäu­ kaufen.
Molkerei, um Butter, Quark, Milch und sern zu akzeptablen Prei­
Sahne für den Käsekuchen zu erstehen. sen vorfand. Verständli­ Ein gemeinsames und solidarisches
Meine geliebten „Zuckersteinchen“ in ches Konsumverhalten Um- und Neudenken aller gesellschaft­
dem winzigen, von Flüchtlingen aus Ost­ bei einer Generation, die lichen und politischen Kräfte ist an der
preußen geführten Dorfladen verweiger­ zwei Weltkriege mit allen Zeit. Vielleicht könnte man einen ganz
Entbehrungen und allem kleinen, banal anmutenden Beitrag dazu
ökonomischen Leid erle­ schon leisten, wenn man das eigene Ein­
ben musste. kaufsverhalten ändert, z.B. auf abge­
packte Wurst (übrigens mit Separatoren­
Beibehalten hat sie fleisch!) verzichtet und Backwaren beim
jedoch bis zu ihrem Lebensende das Ein­ Discounter zugunsten des heimischen
wecken von saisonalem Obst, die Herstel­ Bäckers kauft.
lung von Marmelade, das Ansetzen eines
Rumtopfes und den Anbau von Kräutern Das Streben nach ständigem Wachs­
und Heilpflanzen in ihrem Garten. Hilde­ tum könnte literarisch nicht besser auf­
gard von Bingen, deren Wirkungsstätte gezeigt und kritisiert werden als in der
Disibodenberg nur einen Steinwurf vom Kurzgeschichte „Anekdote zur Senkung
Wohnort meiner Großeltern entfernt war, der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll aus
kannte meine Großmutter, eine strenge dem Jahre 1963 – ein Stück bundesrepu­
Katholikin, nur als Heilige. Sie hätte ge­ blikanische Zivilisationskritik.
schmunzelt angesichts der heutigen Ver­ Lesenswert…
marktung dieser widerständigen Frau.
Gabriela Weber-Schipke

4

Thema

Esskultur - 1945 bis heute

Essen und Trinken ist mehr als Nah- In den 1950er Jahren waren Mayonnaise anti-Wein kennen und schätzen lernten.
rungsaufnahme. Die Entscheidung, und Buttercreme aus deutschen Küchen Im Gegenzug zogen bald südeuropäische
was, wo, wie und mit wem wir essen, nicht mehr wegzudenken. und asiatische Gastronomen nach Deutsch­
hängt stark von den Gegebenheiten land. Bei vielen Deutschen ist der Speise­
unseres Alltags ab. Königspasteten gefüllt mit Ragout fin, plan inzwischen multikulturell, vor allem
Sahne-Torte und – inspiriert vom ersten der Besuch ausländischer Lokale gehört
„Das ist ja wie nach dem Krieg!“ – deutschen Fernsehkoch Clemens Wil­ zum Alltagsleben. Restaurants mit bürger­
diesen Vergleich hörte man in Corona­ menrod – denToast Hawaii aufzutischen. licher Küche werden rar. Andererseits gibt
zeiten gelegentlich, wenn die Lieferung es im Süden auch Eisbein und Currywurst.
von Mehl, Nudeln und Tiefkühlproduk­ Daheim verirrte sich kaum ein Mann
ten nicht nachkam. Aber wie war es tat­ in die Wirtschaftswunderküche. Obwohl Die Imbisskultur ändert die Küche der
sächlich in Deutschland in der Nach­ immer mehr Ehefrauen berufstätig wur­ Deutschen nachhaltig. Pizza, Burger und
kriegszeit? Eine ganze Gesellschaft litt den, blieb der Haushalt weiterhin ihre Döner verlagern das Essen auf die Stra­
unter Kalorienunterversorgung. In den Domäne. Anstatt sich an der Hausarbeit ße. Die mobile Gesellschaft verändert
Hungerjahren erhielt man die Nahrungs­ zu beteiligen, schenkten die Männer ih­ das Essverhalten.
mittel gegen Bezugsscheine. 1946 führ­ ren Frauen lieber „kleine Helfer“ wie Kü­
ten die Alliierten die Schulspeisung ein, chengeräte oder Tiefkühltruhen. Essen in der DDR
denn es ging um das nackte Überleben
der Kinder. Pizza und Döner Mit dem Mauerbau 1961 wurden die Men­
schen von der Wunderwelt des Westens
Was die Menschen damals essen Mit zunehmendem Wohlstand zog es im­ abgeschnitten. Sie mussten mit regiona­
mussten, war nicht nur wenig, sondern mer mehr Bundesbürger gen Süden, wo len Lebensmitteln (auch aus dem eigenen
oft von schlechter Qualität. Gemahle­ sie Spaghetti aglio olio, Pizza und Chi­ Garten) und Produkten aus den Ostblock­
ne Eicheln, gestrecktes Mehl, Zichorien­ staaten auskommen.
kaffee, verwässerte Milch – Improvisa­
tion und Organisation bestimmten den Die HO- und Konsum-Gaststätten der
Alltag der Hausfrauen. Die Kartoffel war DDR boten als typische Gerichte Würz­
die Rettung nach dem 2. Weltkrieg. Wer fleisch, Kasseler oder Rinderroulade mit
mehr wollte, musste auf dem Schwarz­ Rotkraut und Klößen an. In den 60er Jah­
markt viel hinblättern. Oder Hamstern ren kam der Goldbroiler als „sozialisti­
bzw. beim Bauern helfen, dafür gab es sche Antwort“ auf das Wiener Backhendl
Eier oder Milch. Die Beeren im Wald wur­ auf den Markt sowie Ketwurst (Ketchup
den zu Marmelade gekocht. mit Wurst), Griletta – der "sozialistische"

Der Marshallplan half, die Infrastruk­ Die Imbisskultur verlagert das Essen auf die Straße – inzwischen schon mit regionalen
tur in Deutschland wieder aufzubauen Zutaten und handgemacht.
und die Care-Pakete aus den USA still­
ten allmählich den Hunger. Von 1946 bis
1960 wurden ca. 5 Millionen Care-Pakete
mit Corned Beef-Büchsen, Eipulver, Scho­
kolade und Erdnussbutter über den At­
lantik geschickt. Eine helfende Hand von
dem Sieger für die Besiegten.

Mit der Einführung der D-Mark im Jahr
1949 änderte sich vieles. Auslagen und
Verkaufsregale waren wieder gefüllt, die
Hausfrauen taten ihr Bestes, um ihre Fa­
milien mit solider Hausmacherkost und
selbstgebackenen Torten zu verwöhnen.
Bei Besuch ließen es sich die Hausfrau­
en nicht nehmen, z.B. die sog. "Fliegen­
pilze" mit Eiern und Mayonnaise, Spar­
gel-Schinkenröllchen, russische Eier,

5

Thema

Hamburger, Jägerschnitzel – es war ein­ te sind es gerade einmal 11 Prozent, ob­ Nachdenkgedanken
fach, aber man wurde satt. Die Soljanka, wohl gerade die Preise steigen. Gerade
ein beliebter Eintopf, wird heute noch in die niedrigen Preise mögen aber auch ein Genieße alles dankbar, was von au­
ostdeutschen Gaststätten angeboten. Grund dafür sein, dass in Deutschland pro ßen kommt, aber hänge an nichts.
Jahr 11 Millionen Nahrungsmittel vernichtet
Anfang der 70er Jahre trübten die ers­ werden, d.h. jeder wirft demnach etwa 78 Wilhelm von Humboldt
ten Lebensmittelskandale das Vertrauen Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg.
der Verbraucher. Kritische Stimmen pran­ Für den wahren Lebenskünstler ist
gerten die Massenproduktion von Lebens­ Dem Überfluss stehen indessen 1,5 Mil­ die schönste Zeit immer diejenige,
mitteln und die Massentierhaltung an und lionen Menschen gegenüber, die sich nur die er gerade verbringt.
warnten eindringlich davor, weiterhin die mithilfe der „Tafeln“ angemessen ernähren
Ressourcen der Erde auszubeuten. können. "Mülltaucher" ernähren sich sogar Orson Welles
ganz bewusst von den oft noch genießba­
1971 eröffnete in Berlin der erste Na­ ren "Abfällen" der Supermärkte. Man sollte die Welt so nehmen, wie
turkostladen namens „Peace Food“, und sie ist, aber nicht so lassen.
bald boten in allen größeren Städten Bio­ Mit zunehmender Veränderung der
läden ihre Lebensmittel aus traditionel­ Gesellschaftsstruktur wird das alltägli­ Ignazio Silone
ler und chemiefreier Produktion an – in che Kochen immer mehr zur Ausnahme.
Konkurrenz mit den etwas altmodisch ge­ Gleichzeitig ist eine der einst elementa­ Vergnügt sein ohne Geld, das ist der
wordenen Reformhäusern. 1989 gab es ren Hausfrauenpflichten auf dem besten Stein des Weisen.
schon 1000 Bioläden in der Bundesre­ Wege, zum gediegenen Freizeit-Event zu
publik. Inzwischen geben sich aufgrund avancieren. Immer mehr Männer bringen Magnus Gottfried Lichtwer
der wachsenden Konkurrenz der Bio-Su­ sich mit Hingabe und Leidenschaft nicht
permarktketten kleine Läden geschlagen nur am Grill, sondern auch in der Küche Hindernisse überwinden ist der Voll­
und sehen keine Chance mehr. verantwortungsvoll ein. Immerhin ist die genuss des Daseins.
Zahl der Männer, die sich hauptverantwort­
Anfang der 1960er Jahre gaben die lich um das Essen kümmern, auf ein gutes Arthur Schopenhauer
Menschen in der Bundesrepublik 40 Pro­ Drittel angewachsen.
zent des ihnen zur Verfügung stehenden Wer Freude genießen will, muss sie
Geldes für Essen und Trinken aus. Heu­ Inge Kellersmann teilen. Das Glück wurde als Zwilling
geboren.
Schnippeln, raspeln, kneten ...
Lord Byron
"Freunde schwärmen seit einiger Zeit von so. Zum Glück. Aber ganz ohne Handarbeit
ihrem neuen Universalwunderküchenge­ werden wir nicht unbedingt freier..." Ab und zu sollte ein jeder über die
rät, als seien sie bereits im Zustand des Stränge schlagen und seine küh­
Nirvanas. Sie brauchten NICHTS selbst zu Diese Passage aus der Kolumne "Hand­ le Nüchternheit für eine Weile ver­
machen, schwärmen sie, nie mehr selbst arbeit" stammt aus dem so erfrischend ge­ gessen.
Hand anzulegen. Irre, murmele ich, Wahn­ schriebenen Buch Die Welt auf dem Teller
sinn – aber eigentlich bestürzt es mich, von Doris Dörrie. In ihren vielfältigen und Seneca
dass sie nun nie mehr schnippeln, kne­ inspirierenden Kolumnen lädt sie zum Ge­
ten, rühren, ausrollen, raspeln, rühren, nießen ein, fordert zum Innehalten und Das Essen soll zuerst das Auge er­
wenden, zupfen, reiben, passieren usw. zu mehr Dankbarkeit auf und macht sich freuen, dann den Magen.
werden. Meine Hände, die sonst nicht für eine ökologisch verträglichere Esskul­
viel mehr dürfen, als auf Computertasten tur stark. Ihre Texte rund ums Essen in al­ Goethe
zu hauen oder auf polierten Oberflächen ler Welt machen empfänglich für die klei­
hin und her zu wischen, können es (anders nen Momente der Man soll dem Leib etwas Gutes bie­
als der Rest von mir) oft kaum erwarten, Freude und haben ten, damit die Seele Lust hat, darin
in die Küche zu gehen... die Kraft, den All­ zu wohnen.
...Wie riecht etwas? Wie schmeckt etwas? tag zum Leuchten
Wie fühlt es sich an? ... Frei zu sein von zu bringen. W. Churchill
Handarbeit ist immer noch unser Traum, Mit Illustrationen
als müssten wir alle als Maurer schuf­ von Zenji Funabashi. An deinem Herd bist zu genauso ein
ten oder dreimal am Tag eine Großfami­ Diogenes-Verlag König wie jeder Monarch auf sei­
lie bekochen. Unser Leben ist nicht mehr Hardcover Leinen, nem Thron.
208 S., 2020
Cervantes

Wenn Gott verboten hätte, Wein zu
trinken, würde er dann diesen Wein
so herrlich haben wachsen lassen?

Armand de Richelieu

6

Thema

Kochen als Beruf(ung)

Frauen gehören an den häuslichen Herd, den im Weg. Die meisten Spitzenköchin­ Der Geschmack spielt in ihrer Küche die

sind zuständig für die Versorgung der Fami­ nen sind unverheiratet und kinderlos. Hauptrolle: Alles ist auf Fonds, Essenzen

lie, aber in einer Profiküche haben sie nichts Am besten gelingt es in Familienbe­ und Aromen, viele Kräuter und viel Ge­

verloren! Das war noch vor hundert Jahren trieben, wie bei Douce Steiner, die mit 27 müse ausgelegt. Es gibt auch Fisch und

die vorherrschende Meinung von männli­ Jahren Mutter einer Tochter wurde und Fleisch, aber nur das Beste vom Besten.

chen Gastronomen. In England wurde lan­ im elterlichen Betrieb arbeitete. Die El­ Bei den Tieren achtet sie darauf, dass sie

tern und ihr Ehemann, mit artgerecht aufgezogen werden.

dem sie die Küche leitet, Raue Umgangsformen sind bei ihr

unterstützten sie bei der tabu. Es gibt klare Ansagen, aber Res­

Kinderbetreuung. pektlosigkeit duldet sie in keiner Weise.

Douce Steiner ist die Allergrößten Wert legt sie auf ein harmo­

derzeit mit zwei Sternen nisches Arbeitsklima, denn nur auf die­

höchstbewertete Köchin ser Basis kann der hohen Qualitätsan­

Deutschlands. Die heute spruch erreicht werden.

51-Jährige hat den guten Es ist sehr schwer, an neue Fachkräf­

Gaumen von ihren Eltern te zu kommen. Die Pandemie hat diesen

anerzogen bekommen. Ihr Zustand verschärft. Daher hat sie die Ar­

Vater bewirtschaftete seit beitsstruktur modernisiert, damit ihr Be­

1979 das mit zwei Sternen trieb auch in Zukunft läuft. Von Sonntag

dekorierte Restaurant in bis Dienstag bleibt die Küche geschlos­

Sulzburg. sen. So schafft sie für sich und ihre Ange­

Dass Frauen es oft stellten eine bessere Work-Live-Balance.

schwer in den männlich Für Douce Steiner gibt es nichts Schö­

dominierten Sternekü­ neres, als Menschen mit einem genuss­

chen haben, erlebte auch vollen Essen glücklich zu machen. Ihr

sie, als sie sich bei zahl­ Leitfaden fürs Leben lautet: „Die Lie­

reichen Spitzenköchen für be zum Kochen und Genießen, der Res­

Sterneköchin Douce Steiner eine Ausbildung bewarb pekt vor der Natur und vor dem, was sie
und keine Stelle fand. Da­ uns schenkt, und die Bewahrung der Bo­

her lernte sie in der Küche denständigkeit sind die Schlüssel zum

ihres Vaters. Auch nach Glück.“

ge Zeit keine Frau in die Kochzunft aufge­ der Lehre wurde es nicht einfacher, weil Ursula Michalke

nommen. Auch heute noch bekommen viele sie als Frau abgelehnt

Köchinnen bei einer Bewerbung zu hören, wurde. Schließlich ar­

dass der Kochberuf eine harte Arbeit ist, beitete sie im Restau­

der nur ein Mann gewachsen sei. rant des französischen

Liegt es tatsächlich an der zu schwe­ Sternekochs George

ren Arbeit oder an mangelndem Durchset­ Blanc, als einzige Frau

zungsvermögen, dass der Anteil der Frau­ unter 45 Köchen, die

en in der Spitzengastronomie noch immer der Meinung waren,

niedrig ist? In Deutschland gibt es aktu­ dass Frauen in der Profi­

ell 301 Sterneköche, aber nur 17 Sternekö­ küche nichts zu suchen

chinnen. hätten – eine sehr har­

An Talent mangelt es sicher nicht, eher te Zeit.

sind es der teilweise raue Ton in der Kü­ 2008 übernahm sie

che und die immer noch bestehenden Vor­ das Restaurant ihres

behalte gegen Frauen in der Spitzengast­ Vaters und seine zwei

ronomie. Vor allem die Familiengestaltung Sterne. Zunächst verlor

steht einer Karriere in der Spitzengastrono­ sie einen Stern, gewann Eine Vorspeise, nicht nur schmackhaft – die Präsentation

mie mit ihren Arbeitszeiten und Überstun­ ihn aber wieder zurück. gleicht einem Gemälde. Fotos: © Michael Wissing BFF

7

Thema

Verantwortung kommt vor dem Genuss

Wer das 1000 Meter hoch gelegene konnte kein geeigneter Betreiber gefun­ Wohnzimmer-Atmosphäre betreten. Sie
Schwarzwald-Örtchen Sankt Märgen be­ den werden, bis 2004 die Sankt Märge­ können sich ganz dem Genuss widmen,
sucht, dem sticht das große gelb gestriche­ ner Landfrauen auf den Plan traten. Das den das historische Ambiente und die re­
ne Gebäude mit Erkern und Türmchen im war noch vor der Zeit, als Genossenschaf­ gionalen und saisonalen Speisen, die Ku­
Ortsmittelpunkt ins Auge. Es wurde Mitte ten auch für kleine Betriebe erprobt wa­ chen und Torten versprechen.
des 18. Jahrhunderts als Pilgerheim und ren.
Zu den täglich frisch zubereiteten
Das ehemalige Grandhotel ist nun ein Land- Die Idee, ein Dorf-Café einzurichten, Speisen (ohne Fußnoten für chemische
Frauen-Café für Einheimische und auswärtige wurde zunächst durch die Gründung ei­ Zusatzstoffe) gehört die badische Nudel­
Naturfreunde. Fotos: Beate Waldera-Kynast nes Einzelunternehmens verwirklicht. suppe, die vor über 200 Jahren den von
Die Gastronomie hat bei den kreditge­ langen Fußmärschen erschöpften Pilgern
Klosterherberge erbaut. Mit dem begin­ benden Banken einen schweren Stand. als „Barmherzige Suppe“ serviert wurde.
nenden Schwarzwaldtourismus ab Ende So half der Existenzgründerin Beate Wal­ Eine weitere Spezialität ist ein „Herzhaf­
des 19. Jahrhunderts erlebte das Gebäude dera-Kynast die Förderung vom Land und ter Kuchen“, eine mit Bergkäse verfei­
eine Blütezeit als Grandhotel, in dem gut der EU als „innovatives Projekt für Frauen nerte Gemüse-Quiche, an deren Belag
betuchte Skitouristen und Sommerfrisch­ im Ländlichen Raum“. die jeweilige Jahreszeit zu erkennen ist.
ler residierten, opulent speisten und sich Die Säfte aus der Region und die haus­
im Jugendstil-Ballsaal vergnügten. 2012 erfolgte die Überführung in eine gemachten Frucht-Limonaden erfrischen
Genossenschaft. Seitdem wird das Land­ nicht nur den durstigen Wanderer.
Ab den 1960er Jahren vollzog sich ein Frauen-Café, das nicht nur der geografi­
schleichender Niedergang, der fast zum sche Mittelpunkt von Sankt Märgen ist, Sowohl der Innenraum mit seinen
Abriss des heruntergekommenen Gebäu­ von zwei Dutzend Frauen aus dem Ort und der rund 50 Plätzen als auch der Außenbe­
des geführt hätte. Es ist dem Förderkreis Umgebung bewirtschaftet. Aus der einst von reich des Cafés war schon ab 2004 Ziga­
„Lebendiges Dorf“, der späteren „Golde­ Männerhand betriebenen Grandhotelkü­ rettenrauchfrei, was damals wegweisend
ne Krone GbR“ und deren elf Gesellschaf­ che für mondäne Gäste aus ganz Europa war. Der Genuss, der auf die Gäste war­
tern zu verdanken, dass das Gebäude entwickelte sich eine vernetzte Landfrau­ tet, ist ganzheitlich angelegt. Wer sich
nicht abgerissen, sondern 2002 zwei Jah­ en-Wirtschaft für Einheimische und aus­ mit regionalen Speisen und Getränken
re lang aufwändig aber behutsam reno­ wärtige Naturfreunde. gestärkt hat, der findet im kleinen Laden
viert wurde. Dabei konnte die ursprüng­ gegenüber der Theke heimische Produk­
liche Bausubstanz weitgehend erhalten Von dieser wechselvollen Vorge­ te wie Marmeladen, süße Kleinigkeiten,
werden. Das Projekt wurde 2005 mit dem schichte ahnen die meisten Gäste nichts, Blütensirup, handgemachte Kosme­
Landesdenkmalpreis ausgezeichnet! wenn sie die gemütliche Café-Stube mit tik, badische Weine und Schwarzwälder
Obstbrände.
Heute beherbergt das Gebäude neun Himbeer- und Schwarzwälder Kirschtorte
Wohnungen und ein Atelier. Im Erdge­ oder der Träubleskuchen – die Auswahl „Menschlichkeit statt Perfektion und
schoss mit vorgelagertem Außenbereich fällt fürwahr schwer. unpersönlichem Service am Gast“. Die­
sollte ein gastronomischer Betrieb das ser Leitgedanke war von Beginn an die
soziale Leben im Dorf bereichern. We­ Richtschnur der Gastgeberinnen des Ca­
gen der neun Wohnungen durfte es kein fés. Zum Konzept des LandFrauen-Cafés
Betrieb mit langen Öffnungszeiten, lau­ gehört auch, dass die jährlich anfallen­
ten Partys und Geruchsbelästigungen, z.B. den 12.000 Arbeitsstunden auf 20 fa­
durch Frittier-Fette sein. Auf die Schnelle milienfreundliche und fair bezahlte Teil­
zeitstellen verteilt werden. Die Gründung
und das fast 20-jährige Bestehen des
Sankt Märgener LandFrauen-Cafés ist
eine Frauen-Erfolgsgeschichte bei der
Belebung des ländlichen Lebensraums.

Renate Zimmer

Siehe auch: Cappuccino „à la Mama“ – Ge-
schichte einer LandFrauenWirtschaft, Mit Back-
und Kochrezepten,
erhältlich unter: www.waldera-kynast-design.de

8

Thema
Tropische Früchte - nachhaltig produziert

Tropenhaus Klein-Eden in Kleintettau Fotos:© Tropenhaus am Rennsteig

Kleintettau in Oberfranken, an der Grenze zu Thüringen zwischen fe mitein­ander verbunden. Das mit überschüssigem Futter und
Rennsteig und Frankenwald gelegen, hat eine Jahrhunderte den Ausscheidungen der Fische angereicherte Wasser dient
alte Glastradition. Wegen seines rauen Klimas wird das Gebiet als Dünger für die Produktion der tropischen Früchte. Dies er­
scherzhaft „Bayerisch Sibirien“ genannt. Dennoch wachsen hier möglicht eine Steigerung der Ertragswerte ohne Verursachung
tropische Früchte und Gemüse in Bio-Qualität bis zur Vollreife. von Umweltbelastungen, da das „Abfallprodukt Fischwasser“
durch die Bewässerung und Düngung der tropischen Produkti­
Die Abwärme des Glasindustriebetriebs Heinz-Glas GmbH onsflächen gereinigt wird.
wurde lange Zeit ungenutzt an die Umwelt abgegeben. 2011
entstand die Idee, in unmittelbarer Nähe der Produktionsstät­ Papayas reifen im Tropenhaus
te ein Tropenhaus zu errichten, das mit dieser Prozesswärme
beheizt werden sollte. Ziel war die Erforschung und Kultur von Sechs bis acht Tonnen tropischer Früchte, beispielsweise Naran­
subtropischen und tropischen Früchten und Speisefischen in jilla, Maracuja, Banane, Mango, Karambole, Papaya, Cherimo­
Bio-Qualität. Die Frage war, was wächst bei diesen Tempera­ ya, Guave, Sapote, Avocado und viele andere Exoten sowie Ge­
turen unter Glas und welche Nährstoffe sind notwendig, um müse, Chilis und Salate können jährlich geerntet werden, das
die bis zu acht Meter hohen Stauden zu versorgen? Anfangs ganze Jahr über mit einem perfekten Reifegrad. Üblicherweise
war die Skepsis groß, ob bei der geringen Sonnenausbeute in werden diese Früchte in ihren Herkunftsländern noch grün ge­
dieser Gegend ein quantitativ marktfähiger Anbau von Tropen­ erntet, um den langen Transportweg zu überstehen. Der Vorteil
früchten im Gewächshaus überhaupt möglich sei. liegt auf der Hand: Es entfallen die langen Transportwege und
die Lagerung (dabei z.T. Behandlung mit Fungiziden) sowie Rei­
Mitte 2014 konnte das Tropenhaus mit dem Namen Klein- fung und Kühlung am Zielort, die hohe klimaschädliche Schad­
Eden und einer Fläche von ca. 3.500 m² eröffnet werden und stoffemissionen verursachen. Außerdem ist das Aroma reif ge­
hat sich zu einem einzigartigen Umweltprojekt entwickelt. Es ernteter Früchte unvergleichlich besser.
wurde zu 90 Prozent mit Mitteln der EU, dem allgemeinen Um­
weltfonds sowie der Oberfrankenstiftung finanziert. Ursula Michalke

Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass zukünftig tro­ 9
pische Nutzpflanzen und Speisefische unter nachhaltig wirt­
schaftlichen Bedingungen erzeugt werden können. Die exo­
tischen Pflanzen kompensieren fehlendes Sonnenlicht durch
die gleichbleibend optimale Versorgung mit Nährstoffen, der
Stress durch Stürme, Trockenperioden oder Regenzeiten ent­
fällt.

Die kombinierte Produktion von Pflanzen und Fischen
– afrikanische Nilbuntbarsche – ermöglicht eine nachhalti­
ge und ressourcenschonende Produktion. Ein organisch-bio­
logisches Kreislaufsystem (Polykultursystem) ermöglicht es,
Wasser, Nährstoffe oder Energie mehrfach zu nutzen und so
eine hohe Produktivität bei optimaler Nutzung der vorhande­
nen Ressourcen zu ermöglichen. In der Tropenhausanlage sind
Pflanzen- und Fischproduktion über Wasser- und Stoffkreisläu­

Thema
Stillleben - ein visueller Genuss

Clara Peeters - Stillleben um Blumen und Früchte - um 1615

Der Tisch ist reich gedeckt. In kostbaren Schalen oder Kör- Die wenigen Künstlerinnen des Barock, die insbesondere
ben befinden sich erlesene Früchte wie Weintrauben, reife durch ihre als Künstler tätigen Väter gefördert wurden, wie bei­
Pfirsiche, Äpfel und Birnen, auch Fische, Nüsse und Käse spielsweise Maria Sibylla Merian, widmeten sich Spezialthe­
sind häufig zu sehen. Oftmals steht eine Kanne mit Wein be- men, die in der Gesellschaft als „anständig“ bzw. „sittsam“
reit und ein üppiges Blumenarrangement vervollkommnet eingestuft wurden. Die Darstellung des menschlichen Körpers
das Ganze – eine einladende Tafel für köstliche Mahlzeiten. konnte nur durch jahrelanges Aktstudium erlernt werden, zu
dem Frauen aber nicht zugelassen wurden.
Stillleben hatten ihre Blütezeit im Barock, sie tauchten in der
europäischen Kunstgeschichte zu Beginn des 17. Jahrhunderts Das Stillleben blieb vielen Künstlerinnen bis zum ausge­
als eigenständiges Genre auf. Besonders verbreitet waren sie henden 18. Jahrhundert und auch noch während des 19. Jahr­
im niederländischen Raum, der Begriff „stil leven“: stil = un­ hunderts eine seltene Möglichkeit, Erwartungen der Gesell­
beweglich und leven = Dasein für ein Gemälde ist erstmals um schaft und den Künstlerberuf miteinander zu vereinen.
1650 in einem niederländischen Bilderverzeichnis zu finden.
Bewusstsein der Vergänglichkeit
Diese Kompositionen lebloser oder unbewegter Gegen­
stände, nach formalkünstlerischen und ästhetischen Gesichts­ Eine der bedeutenden flämischen Malerinnen der Barockzeit
punkten angeordnet, sind trotz des Sujets lebendige Bilder ist Clara Peeters (um 1594 - um 1658). Sie gilt als Pionierin des
und es lässt sich viel über die Zeit, in der sie gemalt wurden, Prunkstilllebens. Ihr frühestes Ölgemälde schuf sie bereits im
ablesen. Alter von 14 Jahren. Ihre Malweise weist darauf hin, dass sie
bei einem anerkannten Meister ausgebildet wurde, denn mit
Nicht nur Maler, sondern auch Malerinnen, die noch immer minutiöser Genauigkeit stellt sie kostbare und kulinarische Ge­
zu wenig bekannt sind, haben in diesem Genre großartige Wer­ genstände auf Tischen dar.
ke geschaffen. Malerinnen dieser Zeit brauchten viel Selbst­
bewusstsein, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen, um Wie in vielen Stillleben dieser Zeit gibt es nicht nur die
sich in der Männerdomäne zu behaupten, ihnen wurden mas­ Schönheit, sondern daneben auch Verweise auf die Vergäng­
sive Vorbehalte und Vorurteile entgegengebracht. lichkeit des Lebens. Diese Vanitas-Symbole sind beispielswei­

10

Thema

se herabhängende Blüten, leere Schneckengehäuse, über­ Giovanna Garzoni, Stillleben mit einer Schale Zitronen, Ende der
reifes Obst oder angeschlagene Gefäße. Zu den Symbolen für 1640er Jahre und Schale mit weißen Bohnen, um 1650
eine mögliche Überwindung des Todes durch die unsterbliche
Seele zählen u.a. der Fisch, die Nelke, der Schmetterling und Rachel Ruysch, Blumenstrauß, vermutl. 1690-95
das Ei.

Die Auftraggeber von Clara Peeters müssen wohlhabend ge­
wesen sein, da sie solche wertvollen Gegenstände besaßen und
ihren Reichtum auf den Gemälden zur Schau stellen wollten.

Selbstbewusst hinterließ Clara Peeters auf mehreren Wer­
ken winzige Selbstportraits, die sich beispielsweise In den
Rundungen der Zinnkanne spiegeln.

Zu den wichtigsten italienischen Künstlerinnen des Barock
zählt Giovanna Garzoni (1600-1670). Schon zu Lebzeiten war
sie berühmt und konnte ihre Bilder zu Spitzenpreisen verkau­
fen. Sie arbeitete an bedeutenden Herrscherhöfen, ihre Auf­
traggeber waren spanische Adelige und die Medici.

Ihre Motive waren Porträts, aber auch zunehmend Stillle­
ben im Miniaturformat: Gemüse- und Obstschalen unter Ein­
beziehung von kleinen Tieren oder Insekten. Dabei wandte sie
eine fast pointilistische Technik an und malte mit Gouachefar­
ben auf Pergament.

Ab den 1630er Jahren wichen ihre Bilder von den üblichen
idealisierenden Prunkstillleben ab, ihre Darstellungen wurden
naturalistischer. Detailgetreu bildete sie alltägliche Dinge wie
einfaches Obst oder Gemüse in schlichten Keramikschalen ab.

Rachel Ruysch (1664-1750) gilt gemeinsam mit Maria van
Oosterwijck (1630–1693) und Maria Sibylla Merian (1674–
1717) als bedeutendste Blumenstilllebenmalerin des Golde­
nen Zeitalters in den Niederlanden.

Ihre üppigen Blumenbouquets setzt sie vor einen dunk­
len Hintergrund. Das Licht fällt auf die Blüten, Hell-Dunkel-
Konr­aste erwirken eine große Plastizität. Die Bilder zeichnen
sich durch eine genaue Beobachtung der Natur aus. Ihre Blü­
ten und Tiere, selbst kleinste Details, sind mit großer Sorgfalt
exakt wiedergegeben.

Die Blumen in ihren Sträußen blühen zu verschiedenen
Jahreszeiten. Sie malt nicht nach der Natur, sondern nach prä­
parierten Objekten ihres Vaters, der in Amsterdam eine um­
fangreiche Botaniksammlung aufgebaut hatte. Es war ihm ge­
lungen, Blumen so zu präparieren, dass sie immer noch wie
in Blüte aussehen.

Als erste Frau wurde Rachel Ruysch 1701 zusammen mit
ihrem Mann Mitglied der Malergilde in Den Haag. Der Kurfürst
Johann Wilhelm von der Pfalz engagierte sie von 1708 bis 1716
als Hofmalerin in Düsseldorf.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden Blu­
menarrangements immer beliebter, aufgrund ihrer Bekannt­
heit und der großen malerischen Qualität erzielten ihre Bilder
außergewöhnlich hohe Preise.

Ursula Michalke

Buchtipp:

Barbara König, 50 Stillleben von Malerinnen – Auf den Spuren der

Künstlerinnen im Bild, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg, 2019

11

Thema

Mit allen Sinnen genießen

Haben wir es verlernt, im Moment zu leben – zu spüren, wie lebenswert unser Dasein ist? Wann werden wir uns im Alltag
unserer Sinne tatsächlich bewusst? Klar, wir genießen den Duft des Kaffees oder Tees am frühen Morgen und riechen die
Blumen. Ähnliches gilt für den Tastsinn. Fühlen wir aber auch beim Berühren der Blüte, wie samtig weich ihre Oberfläche
ist? Oder wie herrlich es ist, beim Schwimmen im See das Wasser zu spüren? Eine gelungene Sinneserfahrung ist außer-
dem, ein Stück Schokolade im Mund zergehen zu lassen, ohne dabei etwas anderes zu tun. Hören wir noch die Kirchenglo-
cken bewusst oder das Gezwitscher der Vögel? Uns erwarten in der Natur und auch in der Stadt zahlreiche Möglichkeiten,
unsere Sinne zu schärfen und sie bewusst wahrzunehmen.

Fühlen Studien mit Neugeborenen beweisen, Bäume im Wind oder ein Glockenspiel.

Die innige Umarmung genießen Mutter wie wichtig Berührungen für das mensch­ Während uns diese Laute beruhigen,
und Kind.
liche Wohlbefinden sind. Das völlige Feh­ kann hartnäckiges Schnarchen manche
Spüren, fühlen, tasten. Was wäre das Leben
ohne diese Empfindungen? Der Tastsinn len liebevoller Berührungen verzögert Menschen zur Weißglut treiben.
hat schon im Mutterleib eine wichtige Be­
deutung – und behält sie ein Leben lang. nicht nur die Entwicklung und verursacht Wie komplex der Vorgang des Hörens ist,

Auch wenn es uns nicht bewusst ist: seelische Schäden, sondern kann sogar wissen vor allem blinde Menschen. Sie
Wir brauchen den Tastsinn eigentlich im­
merzu. Wir kramen nach dem Schlüs­ zum Tode führen. Kinder erfahren, dass tasten sich nicht nur mit ihrem Stock vor­
sel in der Tasche, streichen den Kindern
über den Kopf und genießen es, wenn es ihnen gut geht, wenn ein anderer da an, sondern lauschen auch seinem Klang
eine Freundin uns umarmt. Wir streichen
mit der Hand über den Buchdeckel und ist und sie berührt. So lernen sie, Nähe nach. Unser Hörsinn ist von allen fünf
über den Touch-Screen des Handys.
zuzulassen und werden bindungsfähig. Sinnen der differenzierteste, sensibler,
Nicht erst seit der Corona-Pandemie
klagen Menschen über einen Mangel an Aber nicht jede Art von Berührung ist genauer und auch leistungsfähiger als
Berührung, die aber so wichtig ist. Denn
bei Stress wirkt sie entspannend, und sie automatisch angenehm. Die „Me too“- unser Auge. Er macht es uns möglich, bis
stärkt das Immunsystem.
Debatte hat das zuletzt intensiv thema­ zu 400.000 Töne zu unterscheiden und

tisiert. Berührung ist intim, sobald sie sogar die Richtung, aus der sie kommen.

über einen Händedruck hinausgeht. Gleichzeitig ist unser Ohr sehr sensi­

bel. Dass unsere Ohren einwandfrei funk­

Hören tionieren, ist gar nicht so selbstverständ­
lich, wie wir oft annehmen: Jedes Jahr

werden in Deutschland rund 600 Kinder

gehörlos geboren. Insgesamt leben etwa

In unserer konsumorientierten Zeit gibt es 80.000 Gehörlose hier. Schätzungswei­

oft von allem zu viel. Das betrifft auch die se 14 bis 16 Millionen Menschen sind

Musik: Es ist heutzutage möglich, überall schwerhörig und etwa drei Millionen

und ununterbrochen Musik zu konsumie­ Menschen leiden unter ständigen Ohrge­

ren, ob man will oder nicht. räuschen, dem Tinnitus.

Popmusik begeistert Millionen Men­

schen. In Discos und

in Clubs wird die

Nacht durchgerockt.

Aber auch Walzer, Fox

und Tango können

beglücken, und na­

türlich ein z.B. schö­

nes Klavierkonzert

oder ein Kirchenkon­

zert.

Entspannend wir­

ken auf uns das Plät­

schern eines Baches,

das Rauschen der Ein Konzerterlebnis wirkt in Gedanken noch lange nach.

12

Thema

Einfach die Landschaft auf sich wirken zu lassen, bereichert uns. die Partnerwahl und ist eng mit unse­
ren Gefühlen und Erinnerungen verbun­
Schmecken rüber manchmal mehr über ein Land und den. Ein Geruch kann einen plötzlich in
den Lebensstil der Bewohner erfahren eine lange zurückliegende Situation zu­
Unsere Zunge allein ist es nicht, die dar­ als durch Besichtigungen und sich gerne rückversetzen, in der man ihn zum ers­
über entscheidet, was uns schmeckt und daran erinnern. ten Mal wahrnahm.
was nicht. Was wir als „Geschmack“ er­
leben, ist ein komplexes Zusammen­ Sehen Der Geruchssinn ist der einzige Sinn,
spiel unserer Sinne, vor allem von Ge­ der einen direkten Zugang zum Zentrum
ruchs- und Geschmackssinn. Einen Unser Auge ist ein Wunderwerk der Na­ der Erinnerung und der Emotionen im
wesentlichen Teil übernimmt die Nase. tur: Der Sehsinn liefert uns rund 80 Pro­ Gehirn hat. Er ist außerdem der älteste
Wir riechen und schmecken gleichzei­ zent aller Informationen aus der Umwelt, Sinn, der schon im Mutterleib geprägt
tig. Deutlich wird das, wenn wir einen die wir im Gehirn verarbeiten. Wir können wird. Professor Hanns Hatt, Geruchsfor­
Schnupfen haben und uns nichts mehr etwa 150 Farbtöne unterscheiden. Unser scher in Bochum, sagt dazu: „Düfte, die
schmeckt. Gehirn vollbringt dabei Höchstleistun­ die Mutter hasst und die bei ihr beson­
gen. Es vergleicht sämtliche Bilder mit ders negative Emotionen hervorrufen,
An einem solchen Ort schmecken Wein den Informationen, die bereits gespei­ das überträgt sich auf den Embryo. Und
und Käse besonders köstlich. chert sind, mit Objekten und Gefühlsein­ der speichert diesen Duft schon als ganz
drücken, die wir im Laufe unseres Lebens negativ ab.“
Unsere Sinnesorgane können theoretisch gesammelt haben.
unfassbar viele unterschiedliche Nuan­ Wie herrlich duftet doch eine Tasse Kaffee!
cen wahrnehmen. Auch das Auge isst mit. Die Umweltpsychologin Nicole Bauer
betont zurecht, dass Naturgeräusche wie Wie riecht die Kunst? Das versuchen For­
Auch die Umgebung, gesellschaft­ Wassergeplätscher und Vogelgezwitscher scher europäischer Universitäten heraus­
liche und kulturelle Erfahrungen und dazu führen, dass wir uns entspannen. zufinden – anhand von Kunst und Literatur
unsere Erinnerungen tragen zum Ge­ Da der Vogelbestand ständig schrumpft, sowie mit künstlicher Intelligenz. Zusam­
schmack bei. Denn Essen und Trinken wurden nun sog. "Zwitscherboxen" ent­ men mit einem Team der EU-Forschungs­
gehören auch zum Reisen. Man kann da­ wickelt. Künstliche Vogelstimmen boo­ gruppe Odeuropa wurden aus den Samm­
men. An Schweizer Bahnhöfen wurden lungen des Ulmer Museums Kunstwerke
schon zwitschernde Lautsprecher ange­ ausgesucht, die Geruch oder riechende
bracht, die beruhigen sollen. Eine Idee Dinge darstellen: duftende Gärten oder
auch für die Deutsche Bundesbahn? der Esstisch eines Künstlers. „Dies ver­
ändert auch die Wahrnehmung des Bil­
Riechen des“, so die Kunsthistorikerin. „Es wäre
wünschenswert, wenn man das künftig
Erdbeeren, Kaffee, Grillfleisch, Kohl: Wir auch auf das Gehör oder den Tastsinn er­
erkennen Lebensmittel an ihrem Geruch. weitern könnte“.
Gerüche verschaffen uns Genuss und Le­
bensqualität und warnen auch vor Gefah­ Inge Kellersmann
ren und Ungenießbarem. Er beeinflusst

13

Thema

Refugium im Grünen inspirierte so manchen Künstler

Das Fürstenhäusle - eine literarische Oase keit und geistigen Austausch mit Freunden und Mitarbeitern.
Ein langer Holztisch bildete das kommunikative Zentrum des
Im Jahr 1843 ersteigerte die Dichterin und Komponistin Annet- Raums. Bertold Brecht wohnte und arbeitete im kleineren Gärt­
nerhaus, seine Sphäre der Isolierung. Der Autor und Verleger
te von Droste-Hülshoff das sog. Fürstenhäusle samt umliegen­ Bernd Erhard Fischer resümiert: "So blieben Nähe und Distanz,
Lebensfreude und Isolation in der Balance, und der Dichter
dem Weinberg und Garten. Ihre, wie sie es in ihren Briefen be­ konnte je nach Wunsch am Geschehen teilnehmen oder sich
verweigern."
schreibt, „unschätzbare Perle“ in Meersburg mit Blick auf den
Zur Entspannung von ihrer Theaterarbeit las Weigel Ber­
Bodensee ließ sie umbauen, um an ihrem Lieblingsort wohnen ge von Kriminalromanen, durchstreifte die Wälder auf der Su­
che nach Pilzen, kochte und legte Patiencen. Brecht arbeitete
und schreiben zu können. Sie konnte sie aber wegen ihrer ab­ in Buckow an Theaterstücken und an Versen, in der er seine
Empfindungen in der umgebenden Natur meist gleichnishaft
nehmenden Gesundheit kaum mehr richtig genießen. 1848 ver­ einfließen ließ. Im Sommer 1953 verfasste er den Gedichtzyk­
lus Buckower Elegien. Helene Weigel wohnte nach Brechts Tod
starb Annette von Droste-Hülshoff in ihrer Wohnung auf Schloss 1956 noch fünf Jahre in dem Haus. Seit 1977 dient das Brecht-
Weigel-Haus nebst Gartenanlage als Museum und Gedenkstät­
Meersburg. te für das Künstlerehepaar. Zur Zeit entsteht ein Besucherzent­
rum für Sonderausstellungen und Veranstaltungen.
Das Fürstenhäus­
Max Liebermanns „Schloss am See“
le kann besichtigt wer­
1909 ließ sich der Maler Max Liebermann ein Sommerhaus in
den. Die möblierten einer Gartenlandschaft ganz nach seinen Wünschen am Wann­
see bauen. Es sollte ihm und seiner Familie zukünftig ungestör­
Räumlichkeiten, etwa ihr te Sommeraufenthalte bieten. Er kümmerte sich auch um die
Ausgestaltung seines Gartens. Vor dem Landhaus entstanden
Rückzugsort im Oberge­ ein großzügiger Staudengarten sowie Obst- und Gemüsegärten.
An der Rückseite des Hauses öffnete eine breite Gesellschafts­
schoss, das sogenannte terrasse den Blick über die tiefer gelegene Blumenterrasse und
den Rasen auf das Panorama des Großen Wannsees. Hier fand
Schwalbennest, und das er die Motive seines Spätwerks: In über 200 Ölgemälden, un­
zähligen Pastellen und Skizzen hielt er das für sich und seine
Paradezimmer im Erdge­ Familie geschaffene Paradies fest, bis er 1935 starb.

schoss, das sie als Ge­

sellschaftraum betrach­

tete, bringen den Gästen

die Zeit und die Person

Fürstenhäusle in Meersburg Annette von Droste-Hüls­
Foto: Bernhard Wrobel-pressebild hoff näher. Die bieder­
meierliche Einrichtung

samt Tafelklavier sowie Porträts und Handschriften ermögli­

chen einen persönlichen Besuch bei der Dichterin und ihrem

gesellschaftlichen Umfeld. Auch zeigt ein bislang unbekann­

tes Bildnis ihren engen Vertrauten Levin Schücking, während

in zahlreichen Vitrinen die Sammelleidenschaft der Dichterin

sichtbar wird. Im neuen Besucherraum kommen die Dichterin

und Personen aus ihrem engsten Umfeld selbst zu Wort.

Informationen über Lesungen im Garten oder im Haus finden Sie unter

http://www.fuerstenhaeusle.de

Brecht-Weigel-Haus

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im Oktober 1948 suchte Max Liebermann, Blick auf den Wannsee-Garten nach Osten
Bert Brecht mit Helene Weigel einen ruhigen Ort, um sich von
Zeit zu Zeit ungestört auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. (1921) © Sammlung Jöns Lahmann, Foto: Oliver Ziebe
Ihnen schwebte ein stilles, waldumgebenes Landstück an ei­
nem See vor. In Buckow, am Ostufer des Schermützelsees –
rund 50 km östlich von Berlin wurde das Paar fündig. Im Früh­
jahr 1952 führten Brecht und Weigel erste Besucher durch ihr
renoviertes Refugium. In einem Journal schrieb Brecht: „Haus
und Umgebung ist ordentlich genug, dass ich wieder etwas Ho­
raz lesen kann.“

Die Halle des großzügigen Sommerhauses mit Blick auf den
Garten und See diente als Speisezimmer und Platz für Gesellig­

14

Thema

Der Zwangsverkauf vom Landhaus und Garten im Juni 1940 In der ruhigen Abge­
brachte durchgreifende Veränderungen mit sich: Das Land­ schiedenheit entstan­
haus wurde zum „Lager für die weibliche Gefolgschaft“ her­ den zahlreiche Balla­
gerichtet. In den letzten Monaten des 2. Weltkriegs wurde das den und große Teile des
Haus zum Lazarett ungewandelt und später durch das Kran­ „Wallenstein“. In der
kenhaus Wannsee genutzt. Die Gartenanlagen verfielen. sog. Gartenzinne ent­
standen auch Teile der
1995 setzte sich die Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin Dramen „Maria Stuart“
e.V. für die Wiederherstellung dieses Baudenkmals ein. Nun und "Die Jungfrau von
ist das Haus und der wunderschöne Garten seit 2006 ständig Orleans“ und viele Bal­
als privat geführtes Museum zugänglich. laden. Die Jenaer Jahre
gehörten zu den produk­
Liebesbekenntis an Charlotte von Stein tivsten im Leben Fried­
rich Schillers. In Schil­
Im Gartenpavillon ihres Geburtshauses lernte Charlotte von lers Gartenhaus gehören Schillers Gartenhaus Foto: FSU Jena
Stein im Jahr 1775 Goethe kennen – Ausgangspunkt für eine nun Lesungen zum guten
enge Freundschaft und spätere Liebesbeziehung. Im Jahr 1777 Ton. Es sind längst nicht nur Klassiker, die dort rezitiert und
ließ Goethe den Stein des guten Glücks an der nördlichen Sei­ vermittelt werden.
te seines Gartenhauses und im Sichtfeld des neuen Wohnhau­
ses von Charlotte errichten. Er widmete das Denkmal Agathe Informationen: www.gartenhaus.uni.jena.de
Tyche. Tyche ist die Göttin des Schicksals, der glücklichen Fü­
gung und des Zufalls. Sie führt launenhaft den Wechsel der Ge­ Die Komponierhäuschen von Gustav Mahler
schichte herbei. Goethe verband Tyche mit Charlotte von Stein.
Um noch näher an die Natur heranzukommen und in Ruhe ar­
Somit wird dieses Denkmal auch als Liebesbekenntnis an beiten zu können, ließ der Komponist im Frühjahr 1894 seinen
Charlotte von Stein bezeichnet. Es besteht aus einem Kubus Musikpavillion direkt am Attersee, errichten. Lediglich ein Raum
und einer ruhenden Kugel. Der solide Kubus verkörpert Stabi­ mit Doppelfenstern nach drei Seiten und einer Glastüre, Tisch
lität und Beständigkeit und die Kugel auf ihm das Unbeständi­ und Sessel, einem Ofen und einem Stutzflügel, diente Mahler
ge. Das Werk gilt als eines der ersten nichtfigürlichen Denkmä­ vier Sommer lang als Arbeits-Sanctuarium. Hier entstanden ein
ler in Deutschland. halbes Dutzend Lieder, die Fertigstellung der zweiten Sympho­
nie und die gesamte dritte Symphonie. Die atemberaubende
Schillers Gartenhaus Gegend wirkte Wunder auf Mahlers Kreativität.

1789 erhielt Friedrich Schiller eine Berufung als außerordent­ In der Ostbucht des Wörthersees bei Maiernigg verbrach­
licher Professor für Geschichte an der Universität Jena. Später te Gustav Mahler von 1900 bis 1907 einige Sommer mit inten­
hielt er Vorlesungen in Philosophie. Auch privat fand das Le­ siver Arbeit. In einer idyllischen Waldlichtung über dem See
ben des unsteten Dichters in der Ehe mit Charlotte von Lenge­ steht noch heute sein als kleines Museum geführtes Kompo­
feld einen Ruhepol. Im Haus Schillergäßchen 2 verbrachte er nierhäuschen, das im Jahr 1900 erbaut wurde. Hier entstanden
mit seiner Familie von 1797-1799 die Sommermonate. Am Ran­ einige seiner berühmtesten Werke.
de des Gartens entstand seine Gartenzinne mit einem Arbeits­
zimmer in ersten Stock. „Hier ist es wunderherrlich und repariert ganz sicher Leib
und Seele ...“ so empfand der Komponist Gustav Mahler seine
Sommerfrische in Toblach in den Dolomiten. In den Sommer­
monaten von 1908 bis 1910 verweilte er auf dem Trenkerhof
und schuf im Komponierhäuschen – einer einfachen Holzhüt­
te – die „Neunte Symphonie, die unvollendete „Zehnte Sym­
phonie“ und „Das Lied von der Erde“.

Das Komponierhäuschen wurde 1981 unter Denkmalschutz
gestellt, renoviert und wird seit 1986 von der Kulturabteilung
der Landeshauptstadt Klagenfurt als Museum mit Exponaten
zu Leben und Werk Gustav Mahlers geführt.

Inge Kellersmann

Zu empfehlen ist das neu erschienene schön gestaltete und informative
Buch "Im Musengarten - Künstleridylle im Pavillon und Gartenhaus" von
Peter Andreas, eine Publikation der Deutschen Stiftung Denkmalschutz,
zu beziehen unter Monumente Publikationen oder im Handel.

15

Thema

Wandern – wohltuende Entschleunigung

Wandern als Freizeitgestaltung liegt voll Kaum eine Freizeitaktivität ist so vielfältig Kühe und erst wenige Tage alte Kälber auf
im Trend – generationsübergreifend. wie das Wandern – außerdem ein erbauli- den saftig-grünen Weiden am Wegesrand,
Möglicherweise ist das eine positive ches, Körper, Geist und Sinne stärkendes Schmetterlinge umflattern die zarten Grä­
Begleiterscheinung der coronabeding- Erlebnis. ser, Bienen summen, Vögeln trällern, zir­
ten Beschränkungen, die uns Begegnun- pen und zwitschern. „Geh aus, mein Herz
gen, Sport- und Freizeitaktivitäten mo- knien schön! Das passte zur Kunstauffas­ und suche Freud ...“ – Kein Wunder, dass
natelang nur im Freien ermöglicht und sung der Romantik. mir dieses alte Lied ganz unverhofft ge­
uns insgesamt eine langsamere Gang- rade hier in den Sinn kommt und ich mit
art abverlangt haben. Manch passio- Wer dagegen heute entspannt auf ihm in ihren Gesang einstimme.
nierter „Indoor“-Sportler hat jetzt das ausgedehnten Spaziergängen, Tages­
Wandern als willkommene Alternative touren oder mehrtägigen Wanderungen Gemächlich steigt der Weg an, Schritt
zum Ausdauertraining im Fitness-Stu- unterwegs ist, sucht vermutlich weniger für Schritt verklingt das helle Plätschern,
dio für sich entdeckt. Inspiration als sportliche Bewegung in verhallen die Geräusche des Ortes. Ich
Verbindung mit Erholung und Ruhe.Doch tauche ein in den grün-dunklen Wald.
Früher war Laufen über lange Wegstre­ ganz gleich, warum und wo man wan­ Weite Farne säumen nun den Wegesrand.
cken die normale Art der Fortbewegung. der: Der Wunsch nach dem unmittelba­ Bemooste Steine, Beerensträucher. Das
So mancher Schriftsteller ließ sich dabei zu ren Naturerlebnis, die Lust, tief einzutau­ dumpfe Knacken und Knarzen unter mei­
berührenden Naturbeschreibungen in Ge­ chen in die Schönheit der Natur ist allen nen Schuhen. Weich fühlt sich das an. Ein
dichten und Erzählungen inspirieren. Auf gemein. umgestürzter Baumstamm lädt zum Ver­
dem z. Zt. wohl beliebtesten Wanderweg weilen ein. Ich setze mich und lausche:
in Deutschland, dem Malerweg im Säch­ Der Wald – Oase der Ruhe winzige Insekten, in den Wipfeln säuselt
sischen Elbsandsteingebirge, kann man der Wind. Ein Zweig knackt. Und doch
das bis heute nachempfinden. Welch wohltuendes, Kör­ ist alles zutiefst wohltuende Stille, inni­
per, Geist und Seele stär­ ge Ruhe.
Seinen Namen verdankt der traditi­ kendes Erlebnis das Wan­
onsreiche, ca. 116 km – in 8 Etappen – dern ist, konnte ich kürzlich Auf dem Weg ins Tal geht´s über Stock
lange Weg den Malern, Komponisten und wieder im Simonswälder­ und Stein. Dann: Ein Misston unterbricht
Dichtern der Romantik, die in dieser von tal erleben. Im Tal steigen schroff die stärkende Ruhe! Zunächst
grandiosen Felsformationen und beein­ lichte Nebelschwaden der noch leise, dann ganz deutlich: das Krei­
druckenden Tafelbergen geprägten Land­ Morgensonne entgegen. schen einer Säge, jetzt auch das dump­
schaft zu ihren bis heute gefeierten Wer­ Schon nach wenigen Schrit­ fe Tuckern eines Traktors, Motorengeräu­
ken inspiriert wurden. Tiefe, waldreiche ten begrüßt mich das mun­ sche. Ich bin zurück im Tal.
Schluchten, dunkle Höhlen, monumen­ tere Plätschern der Wilden
tale Festungsanlagen und Burgen, grü­ Gutach und begleitet mich Waldbaden
ne Gipfelplateaus mit sinnenbetörenden auf dem moderat ansteigen­
Aussichten – zum ehrfürchtigen Nieder­ den Paradiesweg. Zicklein, Seit einigen Jahren macht diese medita­
tive Form der Naturbegegnung und de­
Im Simonswäldertal im Schwarzwald. ren gesundheitsfördernde Wirkung auch
bei uns von sich reden. Innehalten. Ent­
schleunigen. Das Gedankenkarussell aus­
schalten. Sich mit allen Sinnen achtsam
auf das Öko-System Wald einlassen und
dieses bewusst wahrnehmen – mit allem,
was da kreucht und fleucht, grünt, duftet,
summt und raschelt.

Die Dichter der Romantik brauchten
dafür keine angeleiteten Meditations-
und Achtsamkeitsübungen. Ein auf Leis­
tung, Wohlstandstreben und Selbstopti­
mierung getrimmter Mensch sehr wohl.

Sigrid Lindner

16

Thema

Lesegenuss leicht gemacht

Sie sind an vielen Stel­ unkompliziert abgeben möchte und das ohne den Einsatz von
Internet, internationalen Zahlungssystemen, Verpackungen
len zu finden: in Klein­ und Paketfahrzeugen, der findet in seiner Nähe einen dieser
Büchertausch-Schränke. Von denen gibt es fast 3.000 in allen
städten und Dörfern, auf Bundesländern. Hier finden Lesefreunde jederzeit Lektüre-
Nachschub aller Genres.
den Straßen und Plät­
Manchmal schlummern in den Bücherschränken Schätze
zen in den Großstädten wie ungelesene Neuausgaben, die ihrem ehemaligen Besit­
zer offenbar nicht gefallen haben. Und nicht nur das: Meist
sowieso, und sogar an stöbert noch jemand nach einem Buch, und es ergibt sich ein
Gespräch mit einem anderen Bücherfreund und vielleicht so­
einsamen Bushaltestel­ gar eine neue Bekanntschaft. Wem ein mitgenommenes Buch
nicht gefällt, der stellt es zurück, ohne erneut eine ressour­
len auf dem Lande: die cenverschlingende weltweite Infrastruktur in Gang zu setzen.

jederzeit zugänglichen Bei gezielter Suche nach vergriffenen Titeln hilft der Anti­
quar in seinem Ladengeschäft oder die Suche im ZVAB, dem
und gut gefüllten Bücher­ Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher, das mit zahlrei­
chen Antiquariatsverbänden auf der ganzen Welt zusammen­
tausch-Schränke. In Ord­ arbeitet.

nung gehalten werden Renate Zimmer

sie von dienstbaren und

meist unsichtbaren Pa­

ten, so dass sich diese öf­

fentlichen Tausch-Schrän­ Lesen leicht gemacht: Einer von über
20 Bücherschränken im Dortmunder
ke etabliert haben und Stadtgebiet
gut funktionieren. Wer

seine gelesenen Bücher

Repair Cafés – Reparieren statt wegwerfen

Der Wohlstand in Europa hat zu einer Wegwerfmentalität ge­ Kleidung, Möbel,
führt. Neben dem Verpackungsmüll und der Lebensmittelver­ elektrische Geräte,
schwendung werden viele materielle Dinge, die noch weiter Fahrräder, Spiel­
oder wiederverwendet werden könnten, aus Überfluss und zeug und vieles
Bequemlichkeit nur kurz genutzt, schnell entsorgt und oft er­ mehr. Es gibt auch
neut gekauft. Diese heutige Einstellung von Menschen in vor­ Gruppen Kreati­
nehmlich westlichen Industriestaaten ist ein verschwenderi­ ver, die aus alten
scher Umgang mit den begrenzten Ressourcen der Erde. Textilien wie Vor­
hängen, T-Shirts
Während unsere Großeltern einen Gegenstand möglichst usw., neue Dinge
lange nutzten, da er rar und teuer war, kaufen die meisten zaubern, um sie
Menschen ihn heutzutage einfach neu, wenn er kaputt ist, zu tauschen oder
weil er billig und stets verfügbar ist. Dabei sind viele Gegen­ umzugestalten.
stände nach einer einfachen Reparatur problemlos wieder zu Gegenstände sind
verwenden. Leider ist das Wissen, wie man Dinge repariert, auf diese Weise
bei vielen Menschen in Vergessenheit geraten. länger brauchbar. Im Reparaturcafé
Die Grundstoff- und Energiemenge, die für die Herstellung neu­
Um dem entgegenzuwirken, wurden Repair Cafés ge­ er Produkte erforderlich ist, wird somit gespart. Das gilt auch
gründet. Die ersten entstanden 2009 in den Niederlanden, für die CO2-Emissionen. Denn bei der Herstellung neuer Pro­
mittlerweile gibt es sie in vielen Ländern Europas, allein in dukte und beim Recycling von Gebrauchtgegenständen wird
Deutschland sind es rund 860 Reparatur-Cafés, die man über CO2 freigesetzt.
www.reparatur-initiativen.de leicht findet.
Wer nichts zu reparieren hat, kann bei einer Tasse Kaffee
Im Repair Café lernen Menschen, Gegenstände auf andere oder Tee einfach nur zuschauen und lernen oder einem ande­
Weise wahrzunehmen. Und sie ganz neu wertzuschätzen. Die­ ren helfen. Nette Menschen aus der Nachbarschaft dabei ken­
se Reparatur-Cafés werden ehrenamtlich geleitet, Besucher nenzulernen, ist ein positiver Nebeneffekt.
können dort allein oder gemeinsam mit einem Fachmann oder
Fachfrau ihre kaputten Dinge reparieren. Werkzeug und Ma­ Ursula Michalke
terial ist für viele Reparaturen vorhanden, beispielsweise für
17

Rätsel

Die in der letzten Ausgabe gesuchte Frau ist Hannah Arendt. In den 1920er Jahren schärft Kurt Blumenfeld ihr Selbstverständ­
nis über ihre jüdische Identität. 1929 heiratet sie ihren ehemaligen Kommilitonen Günther Stern (1902 bis 1992), der unter dem
Namen Günther Anders als Medienphilosoph und Technikkritiker bekannt wird. Hannah Arendt wendet sich dem politischen
Denken zu und versteht sich als Philosophin des Politischen. Ihr Mann hatte Deutschland bereits verlassen, als Hannah Arendt
und ihre Mutter im Juli 1933 von der Gestapo verhaftet und verhört werden. Mit Charme und geschickten Lügen erreicht Han­
nah Arendt, dass sie und ihre Mutter freigelassen werden. Mit wenigen Habseligkeiten und ihren wichtigsten Manuskripten
gelingt ihnen die Flucht über das Erzgebirge auf tschechisches Staatsgebiet. Ihr von Sorgen und Nöten geprägtes Exil endet in
den USA, wo sie 18 Jahre auf die US-amerikanische Staatsbürgerschaft warten muss. Sie avanciert zur politischen Publizistin,
deren Denken sich nicht aus der Welt zurückzieht. In ihrem Hauptwerk Vita activa – vom tätigen Leben unterscheidet sie drei
Grundformen des tätigen Seins: Arbeiten, das Herstellen von Waren und Handeln. Sie arbeitet gerade an ihrem letzten Werk
„Vom Leben des Geistes“ als sie einen Herzinfarkt erleidet. Der Arzt kann am 4. Dezember 1975 nur noch ihren Tod feststellen.

Doch nun zu einer weiteren bedeutenden Persönlichkeit:

Über die Bedeutung der Natur für die Nachhaltigkeit habe 1963 berichtet auch die deutsche Wochenzeitung DIE
ich schon vor Jahrzehnten referiert und geschrieben, als Po­ ZEIT von der schon damals umfassenden und unumkehrba­
litik und Öffentlichkeit das Thema noch gar nicht „auf dem ren Verunreinigung von Luft, Erde, Flüssen und Meeren, de­
Schirm hatten“, wie man heute sagen würde. Und das in dem ren Bekämpfung ich meine ganze intellektuelle und emotio­
Land der damals tatsächlich noch unbegrenzt scheinenden nale Kraft gewidmet habe.
Möglichkeiten und zu einer Zeit, als die wolkenkratzenden
Wohn- und Geschäftstürme jedes Jahr höher in den Himmel Ein Jahr später hat der Tod meiner noch lange nicht er­
wuchsen. Im Gegensatz dazu wirken die natürlichen Lebens­ füllten Lebensaufgabe ein jähes Ende gesetzt. Ich war noch
grundlagen lautlos und unsichtbar im Verborgenen, ihre Zer­ keine 57 Jahre alt und auf der Höhe meiner Erkenntniskraft,
störung fällt zunächst nicht auf. Zu hören ist der Niedergang als meine Stimme verstummte. Zugegeben, stumm gewor­
der Natur nicht. den ist der Frühling nicht. Allerdings sind die meisten Geräu­
sche technischer Art und werden von Maschinen verursacht
In meinem 1962 in Boston erschienenen Hauptwerk über und überstimmen die wenigen verbliebenen Vögel.
das Verstummen des Frühlings habe ich den Zusammen­
hang von Insektengiften wie DDT zur Steigerung der land­ Meine über 60 Jahre alten Thesen sind aktueller denn je.
wirtschaftlichen Produktion und den Folgeschäden durch Mein Hauptwerk ist in meinem Land und auch in Deutsch­
diese alles erfassende Vergiftung ausführlich und für Nicht- land immer noch im Buchhandel erhältlich. Vielleicht haben
Wissenschaftler verständlich erläutert. Dieses Buch soll­ Sie Kinder und Enkel, die freitags für den Natur- und Klima­
te zur Geburtsstunde des weltweiten Umweltbewusstseins schutz auf die Straße gehen. Schenken Sie Ihren demons­
werden. Meine wissenschaftlich fundierten Thesen waren trierenden Nachkommen mein Buch, das nichts von seiner
zunächst umstritten; die Chemiekonzerne haben mich an­ Dringlichkeit verloren hat. Vielleicht sollte Genuss künftig da­
gefeindet und bekämpft. Aber nur was kontrovers diskutiert rin bestehen, Schaden von der Natur und damit von unseren
werden darf, weckt das Interesse der Öffentlichkeit. Lebensgrundlagen fernzuhalten.

18

Für Sie gelesen

Eine Frage der Chemie Lyrik zwischen Hoffnung und gen von einer spielerischen Sprachfreu­
Pathos
de, gepaart mit poetischer Sprachkunst,

Wer dieses Buch von Bonnie Garmus bringen uns zum Staunen und katapul­
noch nicht gelesen hat, sollte dies nach­
holen. In den sechziger Jahren startet die Ihr publikumswirksamer und glamourö­ tieren unsere Wahrnehmung der Welt ins
alleinerziehende Mutter und Chemikerin
Elizabeth Zott, nachdem ihr ihre wissen­ ser Auftritt bei der Inaugurationsfeier von Unermessliche.
schaftliche Karriere von Männern verbaut
wurde, kurzerhand eine Kochshow im Joe Biden machte die 1998 in Los Ange­ Die sinnliche Erfahrbarkeit der For­
Fernsehen, in der sie sich dem Kochen
mit chemischem Blick widmet und zum les geborene Amanda Gorman über Nacht men, Farben und Düfte auf einem persi­
Überraschungsstar wird. In dieser Rolle
ermutigt sie ihre Zuschauerinnen, ame­ zur bekanntesten Lyrikerin in unserer kri­ schen Basar, aber auch die tiefsinnigen
rikanische Midcentury-Housewives, ihre
Arbeit ernst zu nehmen und für ihre Wert­ selnden Welt. Von den einen wird die af­ und zeitgeschichtlichen Bezüge zum
schätzung einzutreten.Für sie ist Kochen
Chemie – und Chemie bedeutet Verän­ roamerikanische Schriftstellerin und Akti­ Thema „Grenzen und Schlagbäume“
derung der Zustände.
vistin gefeiert durch die beeindruckende fügen sich zu einem literarischen Kalei­
Ein unterhaltendes, witziges und
kluges Buch, das im Juli immer noch die Formenvielfalt ihres poetischen Werkes doskop zusammen, das wahrhaftig den
Bestsellerliste anführte.
(dokumentarische Gedichte, Collagen, vi­ Namen „Der glückliche Augenblick“ ver­
Bennie Garmus: Eine Frage der
Chemie, Piper Verlag, 2022, Hardcover suelle Poeme), andere werfen ihr die ins dient. Lesefreude pur.
mit Schutzumschlag, 460 Seiten IK
Pathetische und in die Nähe von Kitsch Jan Wagner: Der glückliche Augen-

abgleitende Lyrik vor. blick. Beiläufige Prosa, Hanser, Berlin

Die zweisprachige Ausgabe vermag 2021, (304 Seiten) GWS

nun auch in Papierform dem hiesigen

Publikum die sprachliche Könnerschaft Vorkämpferinnen gesell-
schaftlicher Erneuerungen
Gormans zu verdeutlichen, wenngleich

die Vitalität ihrer Verse, bewusst im ly­

rischen Wir verfasst, vor allem bei Gor­ In verständlichen Formulierungen und

mans rhetorisch geschliffenen Auftritten anschaulichen Schilderungen über Be­

und qua der Wortspiele erst in der Origi­ gegnungen und Lebensstationen führt

nalsprache ihre ganze Kraft entfalten. der Autor in die Denkweisen von Philo­

Von der Kunst des Was könnte unsere heutige Welt und sophinnen der Scholastik bis zur weltum­
Genießens
die negativen Ausformungen der Kom­ spannenden Globalisierung des 20. Jahr­

munikationskultur besser beschrei­ hunderts ein. Die Namen und das Wirken

Damit das Essen auch in den späteren ben als „Wir schwammen in Nachrich- der frühen Denkerinnen sind nahezu un­

Jahren ein Genuss bleibt, gibt die Erfolgs­ ten/wie ein schwankendes Schiff“ oder bekannt. Héloïse, um 1095 bis ca. 1164,

autorin Sybil Gräfin Schönfeldt erprobte „Sprache ist ein Rettungsboot“? Statt war eine „Logikerin der Liebe“. Christine

Tipps. Dazu ist der Band mit Gemälden einer gemeinsamen Sprache füllen nun de Pizian (1364 bis 1430) besinnt sich nach

der Tischkultur von Claude Monet über Gewalt und Zerstörung von Mensch und dem Tod ihres Mannes auf ihre Fähigkei­

Paul Cézanne bis Carl Larsson illustriert. Natur diesen Platz aus, Orientierungslo­ ten als Schriftstellerin und kann als eine

Sybil Gräfin Schönfeldt: Von der sigkeit, Rassismus und eine klimafeind­ der ersten Frauen vom Schreiben leben.

Kunst des Genießens. St.Benno-Ver­ liche Politik machen sich breit. Amanda Geschlossene Systeme oder philo­

lag, überarbeitete und ergänzte Neuauf­ Gorman setzt auf die Liebe, denn „Lie- sophische Schulen haben diese frühen

lage, 80 Seiten) IK ben heißt verlässlich sein/für uns“. Philosophinnen nicht begründet. Dafür

Amanda Gorman. Was wir mit war ihre Philosophie anwendungsbezo­

Arche Kochkalender 2023 uns tragen. Call Us What We Carry, gen und der Lebenspraxis zugewandt.

Hoffmann und Campe, Hamburg 2022, Auch die Denkerinnen des 20. Jahr­

Es ist zwar noch Mitte des Jahres. Doch (432 Seiten) GWS hunderts standen nicht mit theoreti­
dieser Kalender ist jederzeit ein perfek­
ter Küchenbegleiter. Er verbindet köstli­ schen Philosophien über der Welt, son­
che Gerichte, die ohne großen Aufwand
nachzukochen sind, mit passenden lite­ Staunen über die große dern mitten in ihr wie Simone Weil und
rarischen Zitate wie z.B. "Wer ganz ge­ und kleine Welt
nießt, der lebt wirklich." von Karoline von Simone de Beauvoir. Diese Denkerin­
Günderrode oder "Liebe ist wie das tägli­
che Brot: immer gleich und doch immer nen betreiben keine akademische Ka­
wieder anders." (Sigrid Undset)
Wieder mal ist Jan Wagner, Büchner-Preis­ theder-Philosophie, sondern wurden
Arche Kochkalender 2023, Arche träger 2017, ein literarischer Wurf gelun­
Verlag, Hrsg. Nicole Giger, (32 Seiten) gen, der nach Kafka Bücher zur „Axt für zu Vorkämpferinnen gesellschaftlicher
das gefrorene Meer in uns“ macht. Die
Essays zum Verhältnis von Lyrik und Fo­ Erneuerungen.
tografie, zu Stempeln in Reisepässen,
Dichterportraits und Reiseskizzen zeu­ Armin Strohmeyr: Große Philoso-

phinnen - Wie ihr Denken die Welt

prägte, 10 Porträts, Piper Verlag 2021

Taschenbuch, (317 Seiten) RZ

Aktuelle Kunstausstellungen

Expressionisten am im Rheinland anhand signifikanter Wer­ Max Liebermann aus der Dauerausstel­
Folkwang. Entdeckt – ke und Dokumente nach und befasst sich lung in den Fokus. In Videos mit kurzen
Verfemt – Gefeiert mit Themen und Motiven, die für ihn und Statements sprechen Menschen aus
die Rheinischen Expressionisten charak­ unterschiedlichster Perspektive über
Museum Folkwang, Essen teristisch sind. ihre persönliche Begeisterung für Lie­
20. August bis 8. Januar 2023 bermann.
Freischaffend – Die Malerin
Anhand von etwa 250 Meisterwerken Ottilie W. Roederstein Mondrian, Evolution
des Expressionismus beleuchtet die Aus­
stellung das Sammlungs- und Ausstel­ Städel, Frankfurt Kunstpalast Düsseldorf, K20
lungsgeschehen vom Beginn des 20. Jh. 20. Juli bis 16. Oktober 2022 29. Oktober bis 12. Februar
bis heute. Werke der Malerei, Skulptur
und Grafik unter anderem von Wassily Viele kennen den Maler als Schöpfer von
Kandinksy, Ernst Ludwig Kirchner, Os­ strengen geometrischen Kompositionen
kar Kokoschka, Franz Marc, Paula Mo­ mit schwarzweißen Linien und Farbfeldern
dersohn-Becker, Emil Nolde und Egon in Rot, Blau oder Gelb. Dass er in seinen
Schiele erzählen von dem besonderen ersten Jahrzehnten Landschaften und an­
Verhältnis der Expressionisten zum Mu­ dere gegenständliche Motive wählte und
seum Folkwang. diese oft mit überraschender Farbigkeit
inszenierte, ist kaum bekannt. Die Aus­
Biennale Arte 2022: stellung zeigt Mondrians Weg von den
Die Milch der Träume frühen naturalistischen Gemälden bis zu
den späten abstrakten Arbeiten.
bis 27. November 2022

„The Milk of Dreams“ lautet das Motto der Ottilie W. Roederstein (1859-1937) Grüne Moderne. Die neue
diesjährigen Hauptausstellung der Bien­ Selbstbildnis mit weißem Hut, 1904, Öl Sicht auf Pflanzen
nale in Venedig. Mehr als 1.500 Kunstwer­ auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt
ke werden in den Pavillons der Giardini, am Main, Foto: Städel Museum Museum Ludwig, Köln
in den Hallen der ehemaligen Schiffswerft 17. September bis 22. Januar 2023
(Arsenale) und an diversen weiteren Lo­ Die deutsch-schweizerische Malerin
cations in der gesamten Stadt gezeigt. zählt zu den herausragenden Künst­ Was ist dem Menschen die Pflanze? Die
lerinnen ihrer Zeit. Selbstbestimmt neue Sicht auf Pflanzen führt zurück ins
Zu Tisch! Die Kunst des und emanzipiert behauptete sie frühe 20. Jahrhundert und fragt nach der
guten Geschmacks sich im Kunstbetrieb. Ihr facettenrei­ Darstellung der Pflanze in den Künsten
ches Werk spiegel unterschiedliche und ihrer Betrachtung in der Botanik.
Saarlandmuseum - Alte Sammlung Tendenzen der Moderne wieder. Denn so nüchtern Topfpflanzen im Bild
Kreisständehaus, Saarbrücken auf den ersten Blick aussehen mögen,
bis 16. Oktober 2022 Mein Liebermann – so sachlich sich botanische Berichte le­
Eine Hommage
Die Alte Sammlung des Saarlandmuse­ Das Blumenwunder, 1926 (Filmstill)
ums präsentiert eine Sonderausstellung, Alte Nationalgalerie, Berlin © absolut Medien GmbH
die höfische Ess- und Trinkgewohnheiten 20.Juli bis 13.November 2022
wiederaufleben lässt. In fürstlichem Rah­ sen, erzählen sie immer auch von den
men treffen historische Objekte auf zeit­ Max Liebermann gehört zu den Schlüssel­ Widersprüchen, Ängsten, Sehnsüchten
genössische Interpretationen und hin­ figuren des Impressionismus. Er war der und Ideologien der Moderne.
terfragen unsere Sehgewohnheiten. So Kopf der Berliner Secession und, bis zur
entsteht zwischen Historie und Gegen­ Machtübernahme der Nationalsozialis­ Inge Kellersmann
wart ein appetitlicher Dialog. ten, Präsident der Akademie der Künste.

August Macke – Seine letzten Lebensjahre verbrach­
Begegnungen te er zurückgezogen in seinem Haus in
Berlin-Wannsee. Anlässlich seines 175.
Museum August Macke Haus Bonn Geburtstags am 20. Juli 2022 rückt die
bis 16. Oktober 2022 Alte Nationalgalerie Schlüsselwerke von

Die Sonderausstellung spürt einigen der
wichtigsten Verbindungen August Mackes

Aus dem Verband

Jahresbericht 2021

Meine lieben Damen, sehr geehrte Herren, Katastrophen unvorstellbaren Ausma­ Exakt am Gründungstag, am 11. Okto­
gerne würde ich meinen Jahresbe­ ßes entwickelt. Zahlreiche Tote sind zu ber, verlief die Jahreshauptversammlung
beklagen, sehr viele Menschen verloren gewohnt routiniert, vor deren Eröffnung
richt mit einem anderen Thema begin­ ihr Zuhause und mussten monatelang die Übergabe einer respektablen Spende
nen, doch die Corona-Pandemie mit ih­ und zum Teil noch immer in Provisorien an die in Berlin beheimatete Institution
ren Auswirkungen dominiert weiterhin leben. Eine Spendenaktion, initiiert von YOUNG EURO CLASSICS stattfand.
viele unserer Planungen und Vorhaben. der Leiterin der Gruppe Münster, Frau Ine
Absagen und Verschiebungen prägen Waaldijk, hat alle Gruppen und viele Mit­ Am Ende unserer Versammlung ver­
nach wie vor zahlreiche Veranstaltungen. glieder des Verbandes zum Helfen an­ abschiedeten wir die langjährige Leiterin
Davon betroffen waren nicht nur die Pro­ gespornt. Im Herbst konnte ein fünfstel­ des Sachgebietes „Textile Gestaltung“
gramme der Bildungsangebote sondern liger Betrag an die Leiterin der Gruppe Frau Ursel Galgan, die über 40 Jahre das
auch das Gemeinschaftsleben selbst, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Frau Anke Lin­ älteste Sachgebiet des Verbandes enga­
die regelmäßigen Treffen sowie der Aus­ sa überwiesen werden, die davon hilfs­ giert und verdienstvoll geleitet hat.
tausch untereinander, die zu den von den bedürftige Damen ihrer Gruppe unter­
Mitgliedern überaus geschätzten Begeg­ stützt bzw. erste Aktivitäten finanziert. Pandemiebedingt fand die 2020 ab­
nungen im Alltagsleben zählen. gesagte Mitgliederversammlung des
Vom 23.-25. Juli hat das Kunstsemi­ Deutschen Frauenrates nun am 19. Juni
Die wechselnden Inzidenzzahlen der nar mit dem Thema „Weibliche Selbst- in digitaler Form statt. Neben den Stan­
verschiedenen Coronawellen wirken sich bildnisse – vom gemalten Bild zum Sel- dardthemen des Deutschen Frauenrates,
unmittelbar auf die Planung von Mitglie­ fie“ im bereits bekannten Tagungskloster zu denen die Durchsetzung der Gleich­
derversammlungen aus, die alljährlich Frauenberg in Fulda stattgefunden. Un­ stellung und die Förderung von Frauen­
traditionell im April stattfinden. Davon ter der bewährt-kompetenten Leitung rechten zählen, wurde u.a. das Positions­
betroffen war die für 2021 vorgesehene der Kunsthistorikerin Ulrike Kuschel wur­ papier „Ehrenamtliches Engagement von
Jahreshauptversammlung wie auch die de den elf Teilnehmern aus fünf Gruppen Frauen in Verbänden, Vereinen und Par­
damit in Verbindung gebrachte 100-Jahr- des Verbandes ein vielfältiges Spektrum teien für Demokratie und Gesellschaft“
Feier der Gruppe Bochum. Die Jahres­ künstlerischer Selbstdarstellungen von beschlossen. Zudem wurde als neue
hauptversammlung wurde dann in den den ersten Anfängen im 16. Jahrhundert Vorsitzende Frau Dr. Beate von Miquel ge­
Herbst 2021 verlegt und zusammen mit bis in die Gegenwart präsentiert. wählt, die sich einige Wochen später den
dem 125-jährigen-Jubiläum des Verban­ Teilnehmern unserer 125-Jahr-Feier in Ber­
des in Berlin begangen. Die intensiv geplante Jubiläumsfei­ lin als Rednerin am Festabend vorstellte.
er – 125 Jahre Frau und Kultur – hat bei
Auch der Plan, die 100-Jahr-Feier der strahlendem Wetter vom 8. bis 11. Okto­ Anfang März verstarb Irma Hilde­
Gruppe Bochum mit der Jahreshauptver­ ber am Gründungsort in Berlin mit mehr brandt, die über vier Jahrzehnte tätige
sammlung im April 2022 zu vereinen, schei­ als 200 Damen und Herren aus 21 Grup­ Redakteurin unserer Verbandszeitschrift.
terte an den Auswirkungen der Pandemie. pen glücklicherweise stattfinden kön­ Mit ihrer literarischen Kompetenz hat sie
So wollen wir die erneut verschobene Bun­ nen. Drei Tage bot ein ausgesuchtes unsere Zeitschrift „frau und kultur“ um­
destagung und die wiederholt verschobene Kulturprogramm den Teilnehmern die fassend geprägt. In Heft 2/2022 widmen
100-Jahr-Feier der Gruppe Bochum nun im Gelegenheit, neueste kulturelle Entwick­ wir ihr ein ehrendes Gedenken.
kommenden August durchführen. lungen und Baulichkeiten per Bus, zu Fuß
und zu Wasser kennenzulernen. Am Fest­ Am 11. März nahm ich im Rahmen ei­
Mitte Juli 2021 hat sich der Klimawan­ abend widmeten sich Ansprachen und ner Preisverleihung des seit Jahren sozi­
del mit beängstigenden Hochwasserflu­ ein Festvortrag dem denkwürdigen Ju­ al engagierten Unternehmens Mestema­
ten speziell an der Ahr und der Erft zu biläum und ließen die Anfänge unseres cher in Berlin teil. Die Festrede hielt Sr.
Verbandes Revue passieren. Lea, Gründerin der Frauenhilfsorganisa­
tion SOLWODI, der unser Verband vor ei­
Musikalische Klänge, dargeboten nigen Jahren eine großzügige Spende zu­
von der jungen Schlagzeugerin Clara de kommen ließ.
Groote, und künstlerische Gestaltungen
in Form eines anspielungsreichen Fol­ Zu meinen traditionellen Aufgaben
ders in Korsage-Form sowie Figurinen auf zählten auch in diesem Jahr die Ausein­
der Bühne, entworfen von der Künstlerin andersetzung mit den unterschiedlichen
Inge Brune, verliehen der Veranstaltung Fragestellungen innerhalb der einzel­
signifikante audio-visuelle Highlights. nen Gruppen sowie als Ansprechpartne­
rin nicht nur der Vorsitzenden, sondern
auch der Mitglieder zu fungieren. Erwäh­

21

Aus dem Verband

nen will ich noch meine Mitarbeit bei un­ Frau Elke Cronau (re.) wurde zur 2. Vorsitzenden des Bundesvorstands gewählt. Frau
serer Zeitschrift „frau und kultur“ in Form Ursula Dorothee Volkland, die sich neun Jahre lang im Verband engagiert hat, ist aus
von eigenen Beiträgen und inhaltlichen persönlichen Gründen zurückgetreten.
Empfehlungen wie auch beim Redigieren
der Texte.

Meinen Kolleginnen im Vorstand dan­
ke ich recht herzlich für die gute Zusam­
menarbeit sowie den Rat bei allen anste­
henden Fragen und Problemen. Ebenso
danke ich allen Funktionsträgerinnen
und Gruppen-Vorsitzenden für ihre wohl­
wollende Unterstützung und ihr außer­
gewöhnliches Engagement in diesem
weiteren, herausfordernden pandemie­
geplagten Jahr.

Elisabeth Kessler-Slotta

Bundestagung in Bochum

Coronabedingt wurde das 100-jährige Ju­ hen vieler Damen aus diversen Gruppen Frau Renate Ruhlig-Schulte, 1. Vorsitzende
biläum der Gruppe Bochum von 2021 auf nach langer Coronapause war groß. der Gruppe Bochum
den 14. und 15. August 2022 verlegt. Die
Resonanz auf die Einladung war groß und Den Festabend beleitete musikalisch 100 Jahren in Bochum, dass sich gesell­
die Stimmung sehr gut. das Ensemble Più. Passend zu Bochum schaftlich engagierte Frauen aus den
und den Erfahrungen am Nachmittag Zwängen des Korsetts befreien wollten,
In Bochum befindet sich das Deutsche spielten sie Variationen des Steiger­ doch letzlich auch aus dem geistigen
Bergbau-Museum, das weltweit größte sei­ lieds, und viele sangen das Bergmanns­ Korsett. Sie wollten sich in einer Grup­
ner Art. Um einen ersten guten Eindruck lied "Glück auf!" mit. Ein schöner Start pe austauschen und in Arbeitskreisen
zu gewinnen, erfuhren vier Gruppen bei des Abends! Das Trio mit Oboe, Violine besondere Interessen intensiver teilen.
einem Rundgang Wissenswertes zu un­ und Viola unterhielt die Gäste im Laufe Gemeinschaftssinn, Offenheit für Neues
terschiedlichen Themen wie z.B. Bo- des Abends noch bravourös mit Werken
denschätze - Ressourcen der Erde oder von Beethoven und Hans Gál.
Bergbau - Steinzeit mit Zukunft. Ein inte­
ressanter Start der Tagung. Die erste Vorsitzende der Gruppe Bo­
chum, Frau Renate Ruhlig-Schulte, be­
Der gemeinsame Abend begann mit grüßte die Gäste und blickte zurück auf
einem Sektempfang im Foyer des Hotels das 100 plus 1-jährige Bestehen der
Mercure. Die Freude über ein Wiederse­ Gruppe Bochum. Es begann also vor

An runden Tischen im Saal des Hotels Mercure Bochum war bei Dr. Bleidick stellte "Bochum – gestern und heute" sehr informa-
den Damen und Herren gute Stimmung. tiv und kurzweilig vor.

22

Aus dem Verband

Gruppenfoto der Mitglieder, bevor sie an den vier Themen-Führungen im Deutschen Bergbau-Museum teilnahmen.

Fotos: Ursula Michalke

und dennoch die Bewahrung der Traditi­ die Gruppe Bochum. Die Vorsitzende des Spende an das TheaterTotal
on hielt die Gruppe zusammen. Nach wie Deutschen Frauenrates Dr. Beate von Mi­
vor, so Renate Ruhlig-Schulte, muss un­ quel musste leider kurzfristig absagen. Traditionsgemäß hat der Deutsche Ver­
ser Anspruch sein, lebenslang zu lernen, band Frau und Kultur e.V. im Rahmen
egal in welcher Lebensphase. Ein reichhaltiges Buffet sorgte nach seiner Mitgliederversammlung einer ge­
den Vorträgen bestens für das leibliche meinnützigen Organisation eine respek­
Die 1. Bundesvorsitzende Frau Elisa­ Wohl. table Spende überreicht. Sie geht in die­
beth Kessler-Slotta beglückwünschte die sem Jahr an TheaterTotal. Dies steht seit
Gruppe Bochum zu ihrem Jubiläum und Am nächsten Morgen begann die Jah­ 1996 für intensive Jugendtheater-Projek­
erinnerte an die interessante Aufbruch­ reshauptversammlung. Zu Beginn infor­ te in Bochum.
zeit, als sich in der aufstrebenden Indus- mierte Barbara Wollrath-Kramer über
triestadt Bochum ein reges kulturelles das TheaterTotal, das vom Verband eine Junge Menschen im Alter von 20 bis
Leben entwickelte. Spende erhielt. Nach der Gedenkminu­ 30 Jahren werden von erfahrenen Künst­
te für die verstorbenen Mitglieder und lern und professionellen Vertreter*innen
Dies machte auch Dr. Dietmar Blei­ die vorgetragenen Berichte u.a. der Bun­ diverser Berufssparten rund um den
dick mit seiner PowerPoint-Präsentation desvorsitzenden und der Kassenführe­ Bühnenbetrieb angeleitet. In nur 4 Mo­
deutlich. In seinem interessanten Vortrag rin sowie der Redaktion sprach Frau Dr. naten bringen sie ein Theaterstück und
über Kunst und Kultur in Bochum – Ges- Kessler-Slotta über die durchgeführten eine Tanzperformance auf die Bühne und
tern und Heute – zeigte er auch viele his­ Kunst- und Literaturseminare, die auch gehen auf Tournee.
torische Aufnahmen vom Strukturwan­ weiterhin für alle Mitglieder angeboten
del in der Region, so z.B. von ehemaligen werden. Nächste Bundestagungen
Zechen, die nun von Unternehmen oder
für Kultur genutzt werden. 1902 wurde Frau Dr. Kessler-Slotta wurde als Bun­ Der Austragungsort der nächsten Bun­
die Jahrhunderthalle als Ausstellungs­ desvorsitzende wiedergewählt. Frau Elke destagung wird am 23./24. April 2023 in
pavillon gebaut. Nach jahrzentelanger Cronau, 1. Vorsitzende der Gruppe Dort­ Mannheim sein. Die Gruppe Ludwigsha-
Nutzung als Gaskraftzentrale, wurde sie mund, hatte sich bereit erklärt, das Amt fen/Mannheim feiert 2023 ihr 120-jähri­
in ein Festspielhaus für das Kulturfesti­ der 2. Vorsitzenden zu übernehmen und ges Jubiläum.
val Ruhrtriennale umgebaut. Das Schau­ wurde ebenfalls gewählt. Frau Volkland
spielhaus Bochum gehört zu den großen verabschiedete sich mit einem weinen­ Auch die Bundestagung 2024 steht
und renommierten Theatern in Deutschland. den und lachenden Auge nach neun Jah­ schon fest: Die Gruppe Hamm, die 1924
ren als stellvertretende Vorsitzende mit gegründet wurde, lädt am 21./22. April zu
Vor der Präsentation beglückwünsch­ einem herzlichen Glückauf! ihrem 100-jährigen Jubiläum ein.
te die Bürgermeisterin Züleyha Demir
Inge Kellersmann

23

Aus dem Verband

Schwere Steine müssen von star- Kunstseminar
ken Händen geformt werden. Glaubte
man(n) lange. Bildhauerei, die bis ins
15 Jh. vor allem als Handwerk denn als
Kunst galt, konnte doch keine Arbeit
für zarte Frauenhände sein!

Konnte sie doch! Das erfuhren Teilneh­ Die Kunsthistorikerin Ulrike Kuschel stellte in diesem Jahr Bildhauerinnen und ihre
merinnen aus fünf Gruppen unseres Ver­ Arbeiten vor. Die Teilnehmerinnen waren von der inspirierenden Tagung wieder so
bandes bei einem Wochenendseminar in begeistert, dass schon ein neuer Termin für nächstes Jahr vom 7.-9. Juli vereinbart
Fulda vom 15.-17. Juli 2022. Im Kloster Frau­ wurde.
enberg referierte Kunsthistorikerin Ulrike
Kuschel über den weiblichen Beitrag zur männliches Pseudonym zu, um wahrge­ Käthe Kollwitz (1867-1945), die deut­
dreidimensionalen Kunst. nommen zu werden. sche Grafikerin, Malerin und Bildhauerin
zählt zu den bekanntesten Künstlerin­
Werke und Namen von Bildhauerin­ Angelica Facius (1806-87), die deut­ nen des 20. Jahrhunderts. Ihre oft erns­
nen sind in Europa mindestens seit der sche Bildhauerin, Medailleurin und Gem­ ten, teilweise erschreckend realistischen
Renaissance überliefert. Im 19. und 20. menschneiderin, gehörte zu den bedeu­ Lithografien, Radierungen, Kupfersti­
Jahrhundert nahm die Zahl der Skulpteu­ tendsten deutschen Bildhauerinnen che, Holzschnitte und Plastiken, basier­
rinnen deutlich zu. dieser Zeit. ten auf persönlichen Lebensumständen
und Erfahrungen, z.B die Skulpturen des
Aber warum kennen wir nur so we­ Hélène Bertaux (1825-1909 ),eine trauernden Elternpaares der Kriegsgrä­
nige mit Namen? Sicherlich hat das da­ französische Bildhauerin und Frauen­ berstätte Vladslo (Flandern), gewidmet
mit zu tun, dass die Bildhauerei, zu­ rechtlerin, eröffnete 1873 eine Zeichen- ihrem 1914 gefallenen Sohn Peter.
sammen mit der Architektur, als die und Modellierwerkstatt sowie 1880 eine
„unweiblichste" der Künste angesehen Skulpturenschule ausschließlich für Milly Steger (1881–1932) ist bekannt
wurde. Das „schwache Geschlecht“ galt Frauen. 18881 gründete sie die „Union für ihre Großplastiken, z.B. an der Fassa­
als nicht geeignet, um harte Materialien des Femmes Peintres et Sculpteurs“ . de des Stadttheaters Hagen .
wie Stein oder Holz zu bearbeiten. Auch
fehlt Frauen angeblich die Vorstellung Neben Elisabeth Ney (1833 – 1907) Die Bildhauerin Emy Roeder (1890
für das räumliche Denken. Hinzu kamen sind zwei Bildhauerinnen aus den USA zu -1971) war einer der wenigen Künstle­
ganz reale Beschränkungen: Es mangel­ nennen, Edmonia Lewis (1844-1901) und rinnen auf der Dokumenta I. Ihre Plastik
te an Ausbildung, Aufträgen und Ankäu­ Meta Vaux Warrick Fuller (1877-1968). „Die Schwangere“ wurde als „entarte­
fen von öffentlichen Sammlungen oder te Kunst“ bezeichnet und 2010 bei Aus­
Privatpersonen, die Teilnahme an Mes­ Die bekannteste aller Künstlerinnen grabungen in Berlin wiedergefunden. Der
sen wurde verweigert und Museen igno­ des 19. Jahrhunderts ist wahrscheinlich Kopf konnte wieder hergestellt werden.
rierten sie weitgehend. Die Künstlerin­ Camille Claudel (1864-1942).
nen blieben im Verborgenen. Dabei gibt Auch die „Tänzerin“ von Marg Moll
es beeindruckende Beispiele für die Ver­ In der ersten Hälfte des 20. Jahr­ (1884-1977) galt als „entartete Kunst“
gessenen, die „Schöpferinnen von Kunst hunderts kommt es zum künstlerischen und gilt als verschollen. Von Gela Fors-
und Stein“. Durchbruch der Bildhauerinnen, darun­ ters (1893-1957) Werken in der Dresde­
ter Jane Poupelet (1879-1932). Die Aus­ ner und Berliner Zeit existieren nur noch
Properzia de‘Rossi (1490–1530), bildungssituation der Künstlerinnen Fotos.
gestaltete während der italienischen änderte sich. Es gab die Möglichkeit Ate­
Renaissance die Fassade der Basilika liers, Akademien, Privat- oder Kunstge­ Die Werke der Bildhauerin Renee
San Petronio in Bologna. werbeschulen zu besuchen. Auch Privat­ Sintenis (1888-1965) sind heute noch
unterricht bei bekannten Künstlern war aktuell. Sie wurde als zweite Frau nach
Anna Morandi (1714–1774) lehrte als üblich.
Honorarprofessorin Anatomie an der Uni­
versität Bologna und ist bekannt für ihre
anatomisch präzisen Wachsnachbildun­
gen menschlicher Organe und Körpertei­
le.

Marie-Anne Collot (1748–1821) mo­
dellierte eindrucksvolle natürliche Büs­
ten berühmter ZeitgenossInnen.

Marcello (1836 – 1879) legte sich ein

24

Aus dem Verband

Käthe Kollwitz in die Akademie aufge­ Ein häufiges Motiv ihrer Skulpturen sind (Abakans) aus gewebtem Material (z.B.
Sisaltaue).
nommen. Ihr Modell des Berliner Bärs überdimensional große Spinnen, die ihre
Jenny Holzer (1950), benutzt den öf­
ist Vorbild des heutigen Filmpreises (Der geliebte Mutter symbolisieren. fentlichen Raum, z.B. mit Texten und LED
Leuchtbändern.
Goldene Bär). Barbara Hepworth (1903-1975) ist
Rebecca Horn (1944) bewegt sich
Ebenfalls zum Vorbild eines Fern­ eine der erfolgreichsten britischen Künst­ oftmals im Grenzbereich verschiedener
künstlerischer Disziplinen und umfasst
seh- und Medienpreises ist ein Werk der lerinnen. Eine der größten Sammlungen Installationen, Performances, skulptu­
rale Raum-Installationen, kinetische Ob­
Künstlerin Else Bach (1899-1951). Aus ei­ ihrer Arbeiten befindet sich im The Hep­ jekte (Tasten fallen aus einem Klavier,
etc), poetische Texte, Film und Zeich­
nem Kitz aus Ton wurde das Bambi. worth Wakefield-Museum. Die abstrak­ nung .

Abstrakt- und Objektkünstlerin­ ten Skulpturen sind aus unterschiedli­ Tracy Emin (1963), eine Künstlerin,
deren Werke eine Auseinandersetzung
nen im frühen 20. Jahrhundert waren chen Materialien, von Holz bis Bronze mit der eigenen Biografie sind. Depres­
sionen, Alkohol, Drogen werden umge­
Katharzyna Kobro (1898-1951), Han- oder Marmor. wandelt in Kunst wie die Installation „My
Bed“.
na Höch (1889-1977), Sophie Taeuber- Germaine Richier (1902-1952),
Die Bildhauerei galt immer als Män­
Arp (1889-1943) und Meret Oppenheim eine französische Bildhauerin, entwickel­ nerdomäne. Diesem Vorurteil haben die
genannten Künstlerinnen ganz praktisch
(1913-1985). te Mischwesen, deren zum Teil skelettar­ widersprochen, trotz aller möglichen Wi­
derstände.
Kobro, eine polnische Bildhaue­ tige Formen wie abgemagert und im Sta­
Dank an die Referentin Ulrike Ku­
rin, war Vertreterin konstruktivistischer dium des Verfalls erscheinen, gefesselt schel, deren kompetente Leitung und
Präsentation für alle Teilnehmerinnen
Raumkonzeptionen. Zum 125. Geburts­ von Drähten oder gefangen von Drahtnet­ eine große Bereicherung war.

tag ehrte Google die Künstlerin mit ei­ zen, vertreten auf der Dokumenta II und Angelika Bausch

nem abstrakten Google Doodle. posthum der Dokumenta III. Das Literaturseminar

Höch war eine bedeutende deutsche Louise Nevelson (1899-1988), ist Akademie Franz Hitze Haus, Münster,
Kardinal-von-Galen-Ring 50, 48149
Malerin, Grafikerin und Collagekünstlerin eine US-amerikanische Künstlerin. Münster, www.franz-hitze.haus.de
Leitung: Dr. Christiane Dahms,
des Dadaismus, deren Werke ebenfalls Schwerpunkt ihrer Arbeit bilden große, Literaturwissenschaftlerin, Bonn

unter den Begriff „Entarte Kunst“ fielen. relief- und stelenartige Werke (Assembla­ Freitag, 26.8., 18 Uhr bis
Sonntag., 28.8., 13 Uhr
Auch Taeuber-Arp gehört zu den Ver­ ge) aus Sperrmüllelementen, in der Regel
Maskeraden in Literatur,
treterinnen des Dadaismus. Sie war eine mit schwarzem oder goldenem Farbauf­ Malerei und Fotografie

Schweizer Malerin, Bildhauerin, Textil- trag. Sie war Teilnehmerin der Dokumen­ Anmeldung: Franz-hitze-haus.de,
Tel. 0251/9818416
Gestalterin, Architektin und Tänzerin der ta III und IV. Tagungsnummer 709 WT
Tagungsbeitrag 160 €
Avantgarde. Eva Hesse (1936-1970) arbeitete mit
Übernachtung im Zweibettzimmer
Meret Oppenheim arbeitete mit ver­ ungewöhnlichen, sich zersetzenden Ma­ 50 € Übernachtung im EZ 70 €

schiedenen Materialien. Für ihre Werke terialien wie Naturkautschuk, Glasfaser

griff sie Alltagssituationen auf, z.B. die und Polyester.

Tasse. Frühstück im „Pelz“

Niki de Saint Phalle (1930-2002) Ein Magdalena Abakanowicz (1930-

traumatisches Erlebnis in ihrer Kindheit, 2017), eine polnische Bildhauerin. Mar­

den sexuellen Missbrauch durch den Va­ kenzeichen ihrer Werken sind giganti­

ter, verarbeitete sie lebenslang in ihrer sche, dreidimensionale Textilskulpturen

Kunst. Anfangs arbeitete

Niki de Saint Phalle als

Aktionskünstlerin. Welt­

berühmt wurde sie aber

durch ihre „Nanas“, üp­

pig geformte und bunt

bemalte Frauenfiguren

aus Polyester.

Louise Bourgeois

(1911-2010) Wie viele be­

rühmte Künstlerinnen

verarbeitet Louise Bour­

geois in ihren Werken

ihre Kindheit, die Bin­

dung zur beschützenden
Mutter, das schwieri­ Interessante Vorträge in lockerer Atmosphäre bereicherten
ge Verhältnis zum Vater. das diesjährige Kunstseminar. Foto: E. Kessler-Slotta

25

Aus dem Verband

Gruppen berichten von ihren Veranstaltungen

Die Künstlerin Mary Warburg (1866 – 1934) auf die Welt. Mary Warburg war als Hausfrau und Mutter jah­
relang fast vollständig von den mit diesen Aufgaben verbunde­
„Ich möchte mal ein solches Bild malen, das jeden, der es an­ nen Pflichten in Anspruch genommen.
sieht, auf Augenblicke frei und glücklich macht“! So Mary War­
burg, 1894. Und das ist ihr gelungen, zum Beispiel mit dem Mary Warburg: Junge Frau unter einem Baum, 1899.
Pastell „Junge Frau unter einem Baum“ von 1899 (s. Abb.), das Künstlerischer Nachlass in der Hamburger Kunsthalle.
eine modisch gekleidete junge Frau mit rundem Strohhut und Foto: Andrea Völker
rosafarbener Bluse zeigt, die unter einem Baum Platz genom­
men hat. Und auch mit anderen wunderbaren Zeichnungen, Auf ihr Atelier allerdings hat sie kaum je verzichtet, vielmehr
Pastellen, Gouachen und Aquarellen! ihre künstlerische Arbeit den neuen Lebensbedingungen im­
mer wieder angepasst. So nicht zuletzt dadurch, dass sie sich,
Im Ernst Barlach Haus in Hamburg, idyllisch im Jenischpark jetzt stärker ans Haus gebunden, bevorzugt ihren Kindern als
gelegen, wurden Bilder der bislang vergessenen und weitge­ Modellen für Zeichnungen und Plastiken zugewandt hat. Sie hat
hend unbekannten Künstlerin aus Hamburg in einer Ausstel­ ihrem Mann als engagierte wissenschaftliche Hilfs-, Schreib-
lung gezeigt. Wir haben uns aufgemacht, um diese Künstlerin und Zeichenkraft zur Seite gestanden und war ihm eine inspi­
und ihre Werke kennenzulernen. rierende Gesprächspartnerin und aufmunternde Psychologin.

Bereits zu Lebzeiten stand Mary Warburg im Schatten ihres Aby Warburg war seit 1918 psychisch krank und musste
Ehemannes, des Kunsthistorikers Aby Warburg (1866 – 1929), immer wieder in Kliniken und Sanatorien behandelt werden.
der durch seine Kulturwissenschaftliche Bibliothek und seine 1928 hat Mary Warburg mit der Arbeit an einer Büste ihres
Renaissance-Studien Berühmtheit erlangte. Mannes Aby begonnen, die sie 1930, nach seinem Tod, fertig
gestellt hat. Sie gilt als Hauptwerk der Künstlerin.
Mary Hertz und Aby Warburg lernten sich 1888 bei einer
Studienreise nach Florenz kennen. Aby Warburg hielt kurz da­ In ihren Zeichnungen, Bronzen, Aquarellen und Pastellen
nach fest, dass sie eine Künstlerin sei, die „vortrefflich malt hat sich Mary Warburg viel mit ihrer Umgebung und Porträts
und erstaunlich viel einfaches und dabei tiefgehendes Inter­ der Kinder und Familienangehörigen beschäftigt. Sie zeigte
esse für alles, was Kunst heißt“, besitze. sich als feinfühlige Beobachterin mit wachem Auge und ge­
schulter Hand.
Mary Hertz stammte aus einer Hamburger protestantischen
Reeder- und Senatorenfamilie und erhielt als junges Mädchen Schön, dass Mary Warburg mit dieser Werkschau mit Arbei­
privaten Mal- und Zeichenunterricht bei ortsansässigen Künst­ ten aus rund 50 Jahren gewürdigt worden ist!
lern. Weitere wichtige Ausbildungsstationen waren zahlreiche
Reisen ins europäische Ausland, die sie an der Seite ihres Va­ Sibylle Weitkamp, Gruppe Hannover
ters unternahm und dabei zahlreiche Skizzenbücher füllte.
Neben Bleistiftzeichnungen, Pastellen und Aquarellen zu den Sulzburg im Markgräfler Land
Themen Landschaft und Porträt kamen später Kleinskulpturen
aus Bronze und Porzellan hinzu. Mit 30 Jahren war sie bereits Das Markgräfler Land, das ist der letzte Zipfel im Südwesten
eine angesehene, vom Symbolismus und Jugendstil inspirier­ Deutschlands, zwischen Basel und Freiburg, Oberrhein und
te junge Künstlerin, die Illustrationsaufträge für Plakate und dem südlichen Schwarzwald, an der Grenze zu unserem Nach­
Bücher erhielt. barn Frankreich und dem Einfallstor zur Schweiz. Ein Paradies
auf Erden, denn das milde südländische Klima, die ebenso
Aby Warburg gehörte zu der einflussreichen Hamburger jü­ fruchtbaren wie malerisch gelegenen Weinberge, idyllischen
dischen Bankiersfamilie Warburg. 1897 heiratete das Paar und
siedelte nach Florenz über. Da ist ein Leben voller Kunst und
reges gesellschaftliches Treiben, das in der großen Florentiner
Wohnung geführt wurde. Mary schilderte das in einem kleinen
Gouache-Triptychon: Aby im hellen Arbeitszimmer, der Salon,
an dessen Wänden Mary eigene Arbeiten gepinnt hatte und die
Bibliothek mit den beiden bei Lampenschein lesend.

Nach der Geburt des ersten Kindes, der Tochter Marietta,
1899, widmete sie sich einem Album mit Zeichnungen des Kin­
des und fertigte eine Büste der Tochter an. 1902 zog die Familie
nach Hamburg, dort wurde im selben Jahr der Sohn Max Adolph
geboren, von dem sie 1907 eine Statuette in Fayence arbeite­
te, und 1904 kam das dritte Kind, die Tochter Frede Charlotte,

26

Aus dem Verband

Wiesen und Weiden, Felder und millionenfachen Obstbäume, unserer Führerin den alten Jüdischen Friedhof in Sulzburg. Et­
gepflegten Dörfer und traditionsreichen Städte verbinden sich was versteckt liegt er am Rande der kleinen Stadt, in einem
zu einer zauberhaften Landschaft und Kulisse. engen Tal. „Breite über uns deine bescheidene Hütte des Frie-
dens“ steht als Inschrift über dem Eingangstor. Mitte des 16.
Fährt man z.B. durch das barocke Stadttor des kleinen Jahrhunderts wurde der Friedhof angelegt. Die Stadt beher­
Städtchens Sulzburg, so gibt dieses den Blick frei auf den se­ bergte über 400 Jahre lang eine jüdische Gemeinde, die äl­
henswerten Stadtkern des Ortes, mit seinem geschmückten teste in Baden. Bis zu jenem 22.10.1940, als die Polizei die
Rathaus, dem Marktbrunnen, seinen umliegenden pittoresken jüdischen Bürger aus ihren Häusern trieb, um sie in das Kon­
Winkeln, den schmalen Gassen und stattlichen Hausfassaden. zentrationslager im südfranzösischen Gurs zu deportieren. Die
meisten Überlebenden dieses Horrors wurden später in Ausch­
1028 wird Sulzburg wegen seines Silber- und Bleibergbaus witz ermordet. An sie erinnert ein Mahnmal im Eingangsbe­
erstmals in einer Verleihungsurkunde erwähnt und 1283 in sei­ reich des Friedhofs, das 1970 errichtet wurde. Einer, der sich
nem Stadtwappen mit einer Bergbaudarstellung als Bergbau­ gegen das Vergessen jüdischen Lebens in Sulzburg engagierte
stadt ausgewiesen. Bereits im Jahre 993 schenkte Kaiser Otto und zurückkehrte, war Hugo Bloch. Er ist der Einzige, der nach
III. dem Sulzburger Kloster St. Cyriak das schmale Sulzbachtal. 1938 hier beerdigt wurde.

Unser erster Halt führt uns zur Klosterkirche St. Cyriak, Danach fahren wir durch das beschauliche Sulzbachtal
eine schlichte Schönheit aus der frühen Romanik. Sie ist, pas­ weiter zum historischen Waldhotel und lassen mit Kaffee und
send zur Region, dem heiligen Cyriakus geweiht, der die Win­ Kuchen den Tag im geselligen Miteinander ausklingen.
zer vor Hagel und Unwetter schützen soll. Im Jahr 993 wurde
St. Cyriak erstmals urkundlich erwähnt. Sie ist eine der ältes­ Claudia Schall und Angelika Kieler, Gruppe Freiburg
ten Kirchen in Deutschland und ein schönes Zeugnis ottoni­
scher Architektur. „Freimaurer – ein Versuch,
den Schleier zu lüften“
Der Turm, durch den man die Kirche betritt, wurde Anfang
des 11. Jahrhunderts erbaut und gilt als der älteste erhalte­ Vortrag von Peter Externest
ne Kirchturm Südwestdeutschlands. Die Krypta wie auch das
Hauptschiff zieren Fresken aus der Zeit um 1500. Das Kloster­ Weltweit gibt es schätzungsweise 5-6 Millionen Freimaurer, da­
konvent der Benediktinerinnen, zu dem die Kirche einst gehör­
te, wurde 1555 aufgelöst. Seither istSt. Cyriak eine evangelische von ca. 18.000 in Deutschland. Im Laufe ihrer Geschichte tauchen
Kirche. Seit 2009 gehört sie zu den besonders schützenswer­
ten Baudenkmälern Deutschlands. immer wieder abenteuerliche Gerüchte um ihre geheimnisum­

Eine Führung in der ehemaligen Synagoge Sulzburg witterten Versammlungen und Praktiken auf. Die Freimaurer ha­
schließt sich an. Die Synagoge in Sulzburg war nach Karlsru­
he und Randegg der dritte Synagogenbau einer jüdischen Ge­ ben große politische Bedeutung, dies erkennt man schon, wenn
meinde aus dem Jahr 1822 und ist heute die zweite nicht zer­
störte Synagoge Deutschlands der Architekturschule Friedrich man sich die Liste einiger bekannter Mitglieder ansieht (Geor­
Weinbrenners im spätbarock-klassizistischen Mischstil in Ba­
ge Washington, Friedrich der Große, Churchill, Th. Roosevelt).
den-Württemberg. Mit­
te der 1970er Jahre ge­ Ziele und Werte sowie die Symbole der Freimaurerei lei­
langte das Gebäude in
städtischen Besitz und ten sich ihrem Selbstverständnis zufolge aus der Tradition mit­
wurde als Kulturdenk­
mal und Gedenkstätte telalterlicher Steinmetzbruderschaften ab. Der Begriff „Frei-
restauriert.
maurer“ selbst hat seinen Ursprung in dem englischen Begriff
Nach Abschluss der
umfangreichen Restau­ „freestone-masons“. So wurden seit dem 15. Jh. die in Bau­
rierungsarbeiten wur­
de die ehemalige Syn­ hütten organisierten Steinbildhauer bezeichnet. Ihre Symbo­
agoge im Jahr 1984 als
Haus der Begegnung le wurden von den Freimaurern übernommen und mit eigenen
eröffnet. Es finden kul­
turelle Veranstaltun­ Bedeutungen versehen:
gen und Ausstellungen
im Gebäude statt. Zirkel Kreislauf der Dinge

Gegen das Verges­ Winkelmaß Aufrichtigkeit des Menschen
Auf dem Jüdischen Friedhof Sulzburg sen besuchen wir mit
Hammer Ordnung/Gerechtigkeit – zum behauenen

Stein werden

Pentagramm die fünf Grundsätze Gleichheit, Brüderlich-

keit, Freiheit, Toleranz, Humanität

Hexagramm Symbol für das Transzendente

Auge Besinnung

Totenkopf begrenzte Lebenszeit

Lot Gewissen, die Tiefe des Herzens ausloten

Zollstock Zeit sinnvoll nutzen

Knoten Zeichen der Verbundenheit

27

Aus dem Verband

Stark geprägt wurde die Freimaurerei ebenso durch die Zeit Am Ende seines Vortrags zog Herr Externest folgendes Fa­
der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Mit ihren eher liberalen An­ zit: Der Schleier über den Freimaurern kann nicht vollständig
sichten waren die Freimaurer der Obrigkeit und dem Klerus oft gelüftet werden: Sie bleiben ein Mysterium und Faszinosum,
suspekt, was die Geheimhaltung ihrer Ideen und Treffen wei­ aber einen Geheimbund für Verschwörungen bilden sie nicht.
ter förderte. Wie die Salons und Lesegesellschaften trugen sie Die Freimaurer betrachten den Menschen als Stein und das Le­
wesentlich zur Verbreitung aufklärerischer Ideen bei. Bis heu­ ben als Bauwerk und zur Selbstverwirklichung ist die Beach­
te zeichnen sich die Freimaurer in der Öffentlichkeit durch ka­ tung der Freimaurer Grundwerte unerlässlich.
ritative Arbeit sowie die Förderung von Bildung aus.
Doris Kanzer, Gruppe Bochum
Die Konstitution der ersten Großloge wurde 1723 in Eng­
land verfasst und gilt bis heute als Grundlage der Freimaurerei. Gärten, Burgen und die Droste
Wichtige Themenbereiche für die Freimaurer bilden Philoso­
phie, Ethik und Moral, im Vordergrund steht dabei die ständi­ Unter diesem Motto starteten 23 Damen der Gruppe Hamm im
ge Arbeit an sich selbst. Die fünf Grundideale der Freimaurer Mai 2022 zu einem Tagesausflug ins Münsterland, das sich von
lauten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Huma­ seiner besten Seite zeigte, ob vom Wetter her oder von der ein­
nität. Diese finden sich später in der Unabhängigkeitserklä­ zigartigen Landschaft, die auch heute noch von Äckern, Wiesen
rung der Vereinigten Staaten von 1776 (13 von 56 Unterzeich­ und Burgen geprägt ist. Gestaltet wurde der Tag von dem Gar­
nern waren Freimaurer!) und in den Idealen der französischen tenkunsthistoriker und Landschaftsgärtner Dr. phil. Carsten
Revolution wieder. Seick aus Münster.

Die Freimaurer akzeptieren nicht den christlichen Gott, sie Burg Hülshoff
verehren einen eigenen Demiurg als den großen Schöpfer, der
über allen Religionen steht. Die katholische Kirche lehnt das Zunächst führte unser Weg zur Burg Hülshoff bei Münster,
Freimaurertum daher komplett ab, im Islam sind die Freimau­ der Geburtsstätte der Dichterin Annette von Droste Hülshoff.
rer verboten. Offen ihnen gegenüber stehen die evangelische Sie wurde hier am 10. Januar 1797 geboren. Bei einem Spazier­
Kirche und das Judentum. gang durch die großzügige und gepflegte Parkanlage mit al­
ten Trauerweiden am Ufer der Gräfte öffneten sich uns immer
Die Freimaurer organisieren sich in sogenannten Logen. wieder Sichtachsen auf die Burg, einer typischen Münsterlän­
Mit dem Begriff „Freimaurerloge“ wird zum einen der sog. Lo­ der Wasserburg aus dem 17./18. Jahrhundert. Eine Innenbe­
gentempel bezeichnet, in dem sich die Freimaurer versam­ sichtigung schloss sich unserem Spaziergang an. Wir gingen
meln. Zum anderen werden die Vereinigungen selbst so ge­ durch herrschaftliche Räume, bestaunten hochwertiges Tafel­
nannt. Da sich die Freimaurer nach eigenem Verständnis zu geschirr, eine Ahnengalerie, eine ansehnliche Büchersamm­
ritueller „Tempelarbeit“ treffen, werden sie auch als „Temp­ lung sowie einen Altar, was uns auf wohlhabende, religiöse
ler“ bezeichnet. und gebildete Bewohner schließen ließ.

Anzahl und Art der Freimaurergrade in den Logen variieren, Nach dem Mittagessen im Gewölbekeller der Burg fuh­
aber grundsätzlich beinhalten alle Systeme die Grade Lehrling, ren wir in das knapp sechs Kilometer entfernte Rüschhaus,
Geselle und Meister, welche den Weg der persönlichen Weiter­ das einst der westfälische Barockbaumeister Johann Conrad
entwicklung symbolisieren. Die übliche Kleidung bei den Zu­ Schlaun (1695–1773) für sich als Landsitz gebaut hatte. Hier
sammenkünften der Freimaurer besteht aus einem dunklen lebte die Droste 20 Jahre lang ab 1826. Nach dem Tod des Va­
Anzug mit reich verziertem Schurz, weißen Handschuhen so­ ters übernahm der Bruder Werner-Constantin die Burg Hüls­
wie Hut oder Zylinder. hoff, so dass die Mutter mit ihren beiden unverheirateten
Töchtern Jenny und Annette hierher übersiedelte, was ihnen
Herr Externest schilderte den generellen Ablauf einer Lo­ allerdings nicht leicht fiel.
gensitzung wie folgt: Die Freimaurer versammeln sich in einem
Vorraum ihrer Loge in Ruhe, dann betreten sie gemeinsam den Das Rüschhaus ist ein Kleinod barocker Architektur mit ei­
Versammlungssaal. Hier wird die Loge feierlich eröffnet und
der Arbeitsteppich mit den Symbolen der Freimaurer wird aus­
gebreitet. Dann folgt eine Lesung, eine Rede oder ein Vortrag,
gefolgt von einem feierlichen Abschluss.

Logenhäuser oder Logentempel sind oft eindrucksvolle
und imposante Gebäude z.B. der „Masonic Temple“ in Phil­
adelphia mit insgesamt sieben Versammlungssälen oder die
„Freemason´s Hall" in London.

Auch Literatur und Musik wurden von den Freimaurern und
ihren Grundwerten geprägt: z.B. Lessings Nathan der Weise,
Mozarts Zauberflöte, Lortzings Zar und Zimmermann, Schillers
Ode an die Freude und die Marseillaise.

28

Aus dem Verband

Das Rüschhaus, erbaut nach Entwürfen von Johann Conrad chen Zwängen entfliehen möchte (...) O, sitzen möcht‘ ich im
Schlaun kämpfenden Schiff / Das Steuerruder ergreifen / Und zischend
über das brandende Riff! / Wie eine Seemöve streifen. /(...) Nun
ner wunderbaren Gartenanlage, innen jedoch meist bäuerlich muß ich sitzen so fein und klar / Gleich einem artigen Kinde
geprägt mit Stallungen und Tenne sowie einer großen, hohen / Und darf nur heimlich lösen mein Haar / Und lassen es flat-
Küche mit einer offenen Feuerstelle. Haken unter der Decke tern im Winde!
lassen darauf schließen, dass hier geschlachtetes Vieh verar­
beitet und im Rauchfang der Feuerstelle Schinken und Mett­ Wünsche und Sehnsüchte einer modernen, aufgeschlosse­
würste haltbar gemacht wurden. nen und intelligenten Frau werden hier deutlich. Diese Freiheit
war ihr Anfang des 19. Jahrhunderts nicht vergönnt.
Über eine schmale Treppe gelangten wir ins „Schnecken­
häuschen“, wie die Dichterin ihren kleinen, doch sehr gemüt­ Annette von Droste Hülshoff wurde nur 51 Jahre alt und
lichen Wohnbereich nannte. Aus ihrer Zeit stehen hier noch ne­ starb am 24. Mai 1848 während eines Aufenthaltes bei ihrer
ben weiterem Mobiliar ein Schreibtisch, ein Klavier und ihre Schwester Jenny auf der Meersburg am Bodensee.
Mineraliensammlung. Die niedrige Decke dürfte der Droste
nichts ausgemacht haben; denn sie soll nur 1,48 m gewesen Heute sind die Burg Hülshoff und das Rüschhaus nicht
sein. Durch ein kleines Innenfenster konnte sie dem Treiben in mehr im Familienbesitz und werden seit einigen Jahren aus
der Küche zusehen. Stiftungskapital verwaltet und gepflegt.

Hier verfasste sie „Die Judenbuche“, hier lebte eine begna­ Dann fuhren wir mit unserem Bus in einen Privatgarten bei
dete Dichterin, die Klavier spielte, komponierte, malte und Cappenberg. Von den dort wohnenden Besitzern wurden wir
Scherenschnitte anfertigte. Wir waren von ihrem vielfältigen mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen herzlich empfan­
Schaffen beeindruckt. gen. Wir erlebten einen Traumgarten auf 7.000 qm. Nicht nur
verschiedene Pflanzen, Sträucher und Bäume bereichern die­
Weitere Räume, wie der Gartensaal, das Italienische Zim­ sen Garten, auch eine Vielzahl von Vögeln, Fischen und Insek­
mer oder die Kammern für das Personal sowie Nebengebäude ten. So manches gemütliche Eckchen lud zum Verweilen ein.
sind für Besucher nicht zugänglich.
Und damit endete ein schöner, erlebnisreicher Tag.
Nach dem Gang durch das Rüschhaus überraschte uns Dr. Marlene Szymanek, Gruppe Hamm
Seick im Garten unter schattigen Bäumen mit seiner „rollen­
den Sektbar“. Heliotrop – innovative, ökologische
Architektur in Freiburg
Diesen Tag bereicherte ganz besonders auch unser Mit­
glied Margot Sauerhoff mit frei gesprochenen Gedichten von Auf der Suche nach einem Highlight, das wir den Mitgliedern
Annette von Droste Hülshoff und führte uns vortrefflich in ihre
Welt. Mit dem Gedicht „Der Knabe im Moor“ fühlten wir uns der Gruppe Freiburg zeigen konnten, sind wir bei den Planun­
in die damals noch moorigen Landstriche versetzt, als noch
Spukgeschichten am Herdfeuer erzählt wurden. gen unserer Aktivitäten auf das Heliotrop gekommen. Gelegen

Vor dem Spiegel im Wohnzimmer der Burg Hülshoff hörten auf einem eigentlich
wir das Gedicht „Das Spiegelbild“. Die Droste zeigt hier nicht
nur ihr dichterisches Können, sondern es ist vor allem ein Ge­ als unbebaubar gel­
dicht mit sehr vielschichtigen Eindrücken und Reaktionen bei
der Betrachtung des eigenen Spielgelbildes. tenden Restgrund­

In dem Gedicht „Im Moose“ nimmt sie uns mit in ihre Ge­ stück am Rande der
danken- und Gefühlswelt. Abschließend hörten wir noch „Am
Turme“, in dem die Dichterin sehnsüchtig allen gesellschaftli­ vom Architekten Rolf

Disch maßgeblich

beeinflussten Solar­

siedlung im Stadtteil

Vauban ist das Helio­

trop innovatives Ex­

perimentalgebäude,

Flaggschiff Freiburger

Ökoarchitektur und

zugleich Privatwoh­

nung des Architekten

Rolf Disch und seiner

Frau Hanna Lehmann.

An einem schö­

Das Heliotrop in Freiburg im Breisgau nen, frühlingshaften

ist das erste Drehsolarhaus des Archi- Mittwochnachmittag
tekten Rolf Disch.
kamen 15 Mitglieder

29

Aus dem Verband

nun in den Genuss einer Führung von Hanna Lehmann. Namen. 1786 wurde er zum „Malers des Königs“ ernannt und
Frau Lehmann hat eine Mission (Energieverbrauch senken, 1789 als Hofmaler in den Dienst Karls IV berufen. Er gilt als ei­
ner der wichtigsten Porträtisten Spaniens. 1799 wurde er zum
innovativ leben), das spürten wir von Minute eins der Führung „Ersten Hofmaler“ ernannt – eine Stellung, die zur damaligen
an. Dennoch geht sie wunderbar auf unsere Gruppe ein und Zeit den Höhepunkt einer Maler-Karriere kennzeichnete.
lässt uns teilhaben an ihren Erfahrungen aus 28 Jahren Leben
in einem runden, drehbaren Haus mit Energieüberschuss (nä­ Bei seinen Portraits erfasst er die Seele des Menschen, die
here Infos: http://www.oekosiedlungen.de/heliotrop). Familien- und Kinderbilder sind lebendig und weichen völlig
von den bisherigen starren Darstellungen ab. Goya war sehr
Am Ende schießt sie auf der Dachterrasse unser Gruppe volksverbunden und aufgeschlossen für die Thesen der Auf­
ein Foto. Vielen Dank – wir verlassen das Anwesen voller In­ klärung.
spiration.
Nach einer schweren Erkrankung 1792, durch die Taubheit
In guter Stimmung - wir sehen die Sonne über den Voge­ zurückblieb, änderte sich Goyas Leben drastisch. Er wurde ver­
sen sinken – geht es anschließend in das Restaurant Süden. bittert und entwickelte durch seine veränderte Sinneswahr­
In gemütlicher Runde lassen wir den Tag Revue passieren und nehmung einen kritischen Blick für seine Umwelt.
wissen: Die Welt ist ein Dorf, und es ist gut, wenn wir uns bes­
ser kennenlernen. Ab 1795 übernahm er die Stelle seines Schwagers F. Bayeu
als Direktor der Malerei an der Königlichen Akademie in Ma­
Claudia Schall, Gruppe Freiburg drid. Gleichzeitig zog er sich in den kommenden Jahren mehr
und mehr zurück, um seine eigenen Themen und Motive zu
Francisco de Goya malen, die bevorzugt in einem politischen Bezug stehen. Sei­
ne berühmten Werke entstanden in dieser Zeit, z. B. seine
Ein Vortrag von Carmen Wusterhausen „Caprichos“-Serie, die er 1799 veröffentlichte. Diese Bilder zog
Goya jedoch schnell zurück, um sich seine Stellung als Hofma­
Francisco de Goya, der bekannteste spanische Maler des 18. ler zu bewahren.
Jahrhunderts, wurde 1746 in der kleinen spanischen Stadt Fu­
endetodos geboren. Sein Vater war Vergolder, seine Mutter Um das Jahr 1800 wurde sein Gemälde „Nackte Maja“ ver­
eine verarmte Landadelige. Er wuchs in mittelmäßigen Ver­ öffentlicht, es ist das erste Gemälde einer nackten Frau. Nackt­
hältnissen auf. heit war dem Heiligen und Unberührbaren vorbehalten und
Goya war der erste Maler, der eine „Frau“ so malte. „Die nack­
Mit 14 Jahren begann er eine künstlerische Ausbildung in te Maya“ löste einen Skandal in Madrid aus. Das Bild wurde von
Saragossa, zog dann weiter nach Madrid und lernte beim Hof­ der Inquisition beschlagnahmt und erst 1900 öffentlich gezeigt.
maler Francisco Bayeu. Ohne akademischen Abschluss verließ
er um 1769/70 Spanien, um in Italien Barockkunst und Fres­ 1808 nahmen Napoleons Truppen Madrid ein. Goya reiste
komalerei zu studieren. Bei seiner Rückkehr nach Spanien er­ im Auftrag des Hofes nach Zaragoza, um den Kampf und vor al­
hielt er erste Aufträge für religiöse Freskomalereien in Kirchen. lem die Heldentaten der Spanier im Bild zu verewigen. Es ent­
standen 82 Radierungen, die er „Die Schreckens des Krieges“
Er heiratete Josefa Bayeu, die Schwester des Malers Fran­ nennt. Goyas Bilder zeigen Darstellungen vom Krieg, Verge­
cisco Bayeu. Mit ihr bekam er zwanzig Kinder, von denen ledig­ waltigung, Prostitution und provokative Situationen aus dem
lich ein Kind, ein Sohn, das Erwachsenenalter erreichte. Alltag. Er konzentriert sich bei seinen Motiven auf konkrete
historische Ereignisse. Goya kritisiert als erster Maler der Ge­
In Madrid erhielt Goya 1775 eine Anstellung bei der könig­ schichte die Regierung und die Kirche offen in seinen Bildern,
lichen Teppichmanufaktur. Seine Entwürfe behandelten The­ daher wurde er in Spanien als „Franzosenfreund“ verspottet
men aus dem Leben und waren etwas völlig Neues. Nebenher
machte er sich als Porträtist in gehobenen Adelskreisen einen 1819 zog er sich aufs Land zurück und
bemalte die Wände seiner Finca mit ei­
Francisco de Goya: Die bekleidete Maja (zwischen 1800 und 1805 ner 14-teiligen dunklen Bildreihe, den
„Las Pinturas negras“. Aufgrund politi­
30 scher Verfolgungen in seiner Heimat such­
te Goya ab 1824 Exil in Frankreich. Von nun
an lebte und malte er in Bordeaux, wo er
1828 starb.

Seine Art mit Licht, Zeit und Raum zu
experimentieren, führte die zukünftige
Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts in
eine neue und moderne Richtung. Er gilt
als Vorläufer des Realismus.

Ursula Michalke, Gruppe Nürnberg

Aus dem Verband

Gruppe Nürnberg unterwegs An der Frontscheibe unseres Busses prangte neben dem Schild
„Studienfahrt“ gut sichtbar und sehr passend auch die letzte
Unsere bereits für 2020 geplante und der Corona-Pandemie Ausgabe unserer Verbandszeitschrift mit dem Thema Frauen
zum Opfer gefallene Studienreise ins Saarland konnten wir im unterwegs!
Juni 2022 endlich durchführen. Für die meisten von uns war das
Saarland ein Bundesland, das wir noch nicht kannten. Daher
war es schön, dass wir auf unserer Studienfahrt viele neue Ein­
drücke sammeln konnten.

Unser Standort war Saarbrücken, eine sehenswerte Stadt
mit einer über 1000-jährigen Geschichte und zahlreichen ba­
rocken Bauwerken. Tagestouren führten nach Mettlach – die
wunderbare Saarschleife erlebten wir per Schiff – und Saarburg
mit dem imposanten Wasserfall mitten im Ort, weiterhin das
Kloster Tholey mit Glasfenstern von Gerhard Richter und nicht
weniger beeindruckenden von Mahbuba Elham Maqsoodi.

Ein Höhepunkt war die Besichtigung des Weltkulturerbes
Völklinger Hütte, ein einzigartiges technisches Denkmal.

Auf dem Rückweg legten wir einen Halt in Künzelsau ein
und besuchten das Museum Würth 2, das die Höhepunkte aus
dem Sammlungsbestand der modernen Kunst zeigt.

Ursula Michalke

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Gegründet 1896 Thema des nächsten Heftes:
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Redaktionsschluss für Heft 4/2022:
20. Oktober 2022

Das Magazin dient der Mitgliederbindung

Unser Verband Wir gehören zu den traditionsreichen Frauenverbänden Deutschlands.
Unsere Ziele Wir arbeiten überparteilich und überkonfessionell.
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Unsere Arbeit
Unsere Zeitschrift Der Verband setzt sich ein
Vertreten in für die vielseitige Bildung und Aktivierung der Frau auf kulturellem Gebiet,
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Wir treffen uns regelmäßig zu Vorträgen und Arbeitsgemeinschaften.
Bei Studienfahrten und Seminaren bieten wir unseren Mitgliedern Information und
Weiterbildung auf vielen Gebieten der Kultur und Auseinandersetzung mit den Problemen
unserer Zeit. Die Gruppen engagieren sich in sozialen und kulturellen Projekten. Wander-
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FRAU UND KULTUR erscheint viermal jährlich, jeweils mit einem Schwerpunktthema.
Sie stellt unseren Verband nach außen dar und ist ein wichtiges Bindeglied für die
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