The words you are searching are inside this book. To get more targeted content, please make full-text search by clicking here.

Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover

Discover the best professional documents and content resources in AnyFlip Document Base.
Search
Published by alumni, 2020-12-09 03:57:04

Unimagazin 3/4_2020 TRUST

Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover

Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover
Ausgabe 03|04 • 2020

TRUST Stadt unPderLspaenkdti–veOn rdteerdFeorrsVcheuränngderung

Ein Unternehmen mit Perspektiven

www.heidenhain.de/karriere

Der 360° Blick auf die Werkstatt
Prozesse digital beherrschen

Antriebstechnik sowie Längen- und Winkelmessgeräte Umfeld, Beratung, Online-Services und vieles mehr. Sie
von HEIDENHAIN sind weltweit maßgeblich für die bilden die komplette Prozesskette von der Angebots-
Genauigkeit und Performance von Werkzeugmaschinen. erstellung bis zur Auslieferung vollständig ab, schaffen
HEIDENHAIN-Steuerungen für Fräs- und Drehmaschinen Transparenz und optimieren Abläufe.
zeichnen sich durch ihre einfache, anwenderorientierte
Bedienung und ihre genaue Bewegungsführung aus. Das fundierte Know-how des HEIDENHAIN-Teams rund
um die Werkzeugmaschine und den Arbeitsalltag in der
Auf Basis dieses Erfahrungsschatzes entwickeln wir Werkstatt, kombiniert mit frischen, kreativen Ideen,
zukunftsfähige Lösungen für die Digitale Werkstatt. Dazu verschafft die entscheidendenVorteile bei der Entwicklung
gehören Hardware und Software im maschinennahen von praxisnahen Angeboten für die Digitalisierung.

DR. JOHANNES HEIDENHAIN GmbH
www.heidenhain.de

Unimagazin • Ausgabe 3|4–2020 Leibniz Universität Hannover

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit langem wird immer deutli­ cher Zusammenhalt“, in dem
cher, dass Entwicklungen wie unter anderem der Frage nach­
der Klimawandel, die Globali­ gegangen wird, was unsere Ge­
sierung und der demografische sellschaft ausmacht und was das
Wandel das alltägliche Leben mit Räumen zu tun hat. Infra­
verändern und gravierende Aus­ struktur ist ein Schlüsselfaktor
wirkungen auf die Menschen für Orte und Städte – doch wie
und ihr Lebensumfeld haben. sich dieser Begriff gewandelt
Dieser umfassende Wandel lässt hat, steht im Mittelpunkt eines
sich sowohl in der Stadt als auch weiteren Beitrags.
auf dem Land beobachten und
steht im Fokus des Leibniz Der Zusammenhang von Covid­
Forschungszentrums TRUST 19 mit der Stadt­Land Migration
– Räumliche Transformation in Afrika und Asien wird ebenso
Zukunft für Stadt und Land, analysiert wie die Siedlungen im
unter dessen Dach Wissenschaft­ kolumbianischen Medellin, die
lerinnen und Wissenschaftler die Tagelöhner in den gefährli­
aus sechs Fakultäten und 19 Ins­ chen Steilhängen der Stadt er­
tituten arbeiten. richten.

Um die Herausforderungen der In einem zweiten Teil „Nach- Prof. Dr. Volker Epping
vorgenannten Transformations­ haltige Nutzung von Res- Präsident der
prozesse bewältigen zu können, sourcen“ wird ein ökosystem­ Leibniz Universität Hannover
wird neues Wissen über unter­ stärkender Küstenschutz in
schiedliche Aspekte benötigt Niedersachsen vorgestellt eben­
sowie ein Bewusstsein für eine so wie der Umgang mit immer
nachhaltige Entwicklung und knapper werdenden Wasservor­
für verantwortliches Handeln. räten in trockenen Regionen Bra­
TRUST verbindet interdiszipli­ siliens und Kenias. Ein dritter
näre, integrative Forschungs­ Aspekt ist die Biodiversität in
und Umsetzungsstrategien, die Agrarlandschaften.
in Kooperation mit Partnern aus
der Praxis entwickelt werden, Viel Freude beim Lesen wünscht
um diesen Herausforderungen
zu begegnen.

Ganz konkret stehen im ersten
Teil des Heftes „Gesellschaft
und Raum“ im Mittelpunkt.
So wird der Blick im Cluster
„Raum­ und Siedlungsstruktu­
ren“ auf das enge Nebeneinan­
der des Wachsens und Schrump­
fens von Regionen, Gemeinden
und Städten gelenkt. Vorgestellt
wird daran anschließend das
TRUST Verbundprojekt „For­
schungsinstitut Gesellschaftli­

1

Auf jeedienFeragsemarte Sie möchten einen wichtigen Teil zum Erfolg eines
Antwort haben. der weltbesten Arbeitgeber beitragen? Dann sind
Sie bei uns im IT-Betrieb genau richtig – denn wir
035-137_106910_0001_Anzeige_v03_201112093641_105965.indd 1 bilden mit unseren Rechenzentren und mehr als

Servern das technische Rückgrat der gesam-
ten ROSSMANN-IT! Das hört sich gut an?

Jetzt bewerben!
jobs.rossmann.de

18.11.2020 13:15:27

DIK – Kompetenz in Kautschuk und Elastomeren

Das DIK bietet ein breites Forschungs- und Leistungsspektrum

●  Werkstoffcharakterisierung ●  Simulation

●  Neue Materialien ●  Umweltaspekte

●  Werkstoffentwicklung ●  „Leachables“ in Polymerwerkstoffen

●  Lebensdauervorhersage/Alterung

●  Aus- und Weiterbildung

Deutsches Institut für Kautschuktechnologie e.V. 30519 Hannover
Eupener Straße 33
2 Tel: +49 (0)511/84201-16
[email protected]
035-137_105789_0001_Anzeige_geliefert_201102134143_cs5.indd 1
02.11.2020 13:44:08

Unimagazin • Ausgabe 3|4–2020 Impressum • Inhaltsverzeichnis

TRUST

Stadt und Land – Orte der Veränderung

Unimagazin Jens Ibendorf | Winrich Voß Ulrike Grote | Jutta Stender-Vorwachs
Forschungsmagazin der Leibniz Geschäftsführung TRUST, Geodätisches Institut Institut für Umweltökonomik und Welthandel,
U­ niversität Hann­ over • ISSN 1616-4075 4 ����� Das Leibniz Forschungszentrum TRUST Institut für Internationales Recht
„Räumliche Transformationen – Zukunft für 38 ����� Digitalisierung im Mobilitätsbereich
Herausgeber Stadt und Land“ Wie nachhaltig sind die neuen Trends
Das Präsidium der Leibniz Universität und Konzepte?
Hannover 1 ■ GESELLSCHAFT UND RAUM
2 ■ NACHHALTIGE NUTZUNG VON RESSOURCEN
Redaktion Winrich Voß | Jörg Schröder
Monika Wegener (Leitung), Geodätisches Institut, Torsten Schlurmann | Daniela Kempa |
Dr. Anette Schröder Institut für Entwerfen und Städtebau Martin Prominski | David Kreis
8 ����� Die Große Transformation Ludwig-Franzius-Institut, Institut für Umwelt­
Anschrift der Redaktion Gesellschaftliche Herausforderungen zwischen planung, Institut für Freiraumentwicklung
Leibniz Universität Hannover Stadt und Land 42 ����� „Gute Küste Niedersachsen“
Alumnibüro Reallabore für einen ökosystemstärkenden
Welfengarten 1 Sylvia Herrmann | Peter Dirksmeier | Küstenschutz
D–30167 Hannover Rainer Danielzyk
Institut für Umweltplanung, Institut für Jörg Dietrich | Andreas Eberth |
Anzeigenverwaltung / Herstellung Wirtschafts- und Kulturgeographie Kristian Förster
ALPHA Informationsgesellschaft mbH 12 ����� Gesellschaft und Raum Institut für Hydrologie und Wasserwirtschaft,
Finkenstraße 10 Das TRUST Verbundprojekt „Forschungsinstitut Institut für Didaktik der Naturwissenschaften
D–68623 Lampertheim Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ 46 ����� Zur Nutzung knapper Wasserressourcen
Telefon: 06206 939-0 Beispiele aus ariden Regionen in Brasilien
Telefax: 06206 939-232 Eva Barlösius und Kenia
Internet: www.alphapublic.de Institut für Soziologie
16 ����� Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste Benjamin Burkhard | Bastian Steinhoff-Knopp
Titelabbildung Zur Transformation eines gesellschaftlichen Institut für Physische Geographie und
iStock/Pogonici Phänomens Landschaftsökologie
50 ����� Gesunde Agrarlandschaften
Das Forschungsmagazin Unimagazin Ulrike Grote | Kerstin Nolte Zur Erfassung und Bewertung von
erscheint zweimal im Jahr. Nachdruck Institut für Umweltökonomik und Welthandel, Ökosystemleistungen
einzelner Artikel, auch auszugsweise, Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie
nur mit Genehmigung der Redaktion. 20 ����� Ungewisse Aussichten Birte Bredemeier | Christina von Haaren
Für den Inhalt der Beiträge sind die Stadt-Land-Migration in Zeiten von COVID-19 Institut für Umweltplanung
jeweil­igen Autoren verantwortlich. 54 ����� Artenvielfalt als Anreiz
Christian Werthmann Biodiversitätsleistungen in Agrarlandschaften
Institut für Landschaftsarchitektur erfassen, bewerten und verbessern
24 ����� Ungleich verwundbar
Erkenntnisse aus den Steilhängen Jens Ibendorf | Lena Greinke
des Valle de Aburrá Geschäftsführer TRUST, Leibniz-Gemeinschaft
56 ����� Das TRUST/ARL-Promotionskolleg
Rolf Sternberg Exzellenzorientierte, fakultätsübergreifende
Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie und strukturierte Nachwuchsförderung
28 ����� Innovations(t)räume
Wirtschaftsgeographische Forschung zu Helga Kanning | Daniela Kempa |
Innovationen im Raum Sylvia Herrmann
Institut für Umweltplanung
Christiane Meyer | Andreas Eberth 58 ����� Wissen für die Große Transformation
Institut für Didaktik der Naturwissenschaften Wissenstransfer und gesellschaftliche Wissens-
32 ����� „Transformation unserer Welt“ prozesse in TRUST
Mit Bildung für nachhaltige Entwicklung
in die Zukunft 61 ����� Personalia und Preise

3

TRUST Leibniz Universität Hannover

Das Leibniz Forschungszentrum TRUST

„Räumliche Transformationen – Zukunft für Stadt und Land“

Räumliche Veränderungen
in Stadt und Land
stehen im Fokus des

Forschungszentrums TRUST,
unter dessen Dach Wissen-
schaftlerinnen und Wissen-
schaftler aus sechs Fakultäten
und 19 Instituten arbeiten.

Geschäftsführer Jens Ibendorf
und Sprecher Professor Dr.
Winrich Voß geben einen

Überblick über die vielfältigen
Forschungsaktivitäten dieses
interdisziplinären Verbundes.

1

Abbildung 1 Die Welt ist im Wandel und Inkaufnahme dieser Umwelt- breite interdisziplinäre Heran-
Quelle: iStock/pogonici globale Veränderungen sind schädigungen erzeugt diese gehensweise konzentrieren.
fühl-, sicht- und messbar. Seit Lebens- und Wirtschaftsweise Neben diesen Umweltverän-
der Industrialisierung ver- im globalen Maßstab kein zu- derungen geht es uns darum,
ändert der Mensch unseren friedenstellendes Auskommen insbesondere auch die gesell-
Planeten massiv, er ist die do- für die Menschheit, weder in schaftlichen und technisch-
minierende Kraft unseres Erd- städtischen noch in ländlichen sozialen Megatrends mit ih-
zeitalters. Die rasant wach- Räumen. ren raumbezogenen Auswir-
sende globale Bevölkerung kungen zu erforschen. Die
verdeutlicht diesen Einfluss Wir sägen folglich seit Jahren Digitalisierung von Lebens-
schon rein zahlenmäßig (etwa an dem Ast, auf dem wir sit- und Arbeitswelten rückt da-
9 Milliarden Menschen im zen. Ziel muss es sein, unsere bei immer mehr in den Mittel-
Jahr 2050). Die auf Ausbeu- Lebensweise so mit der Nut- punkt. Weitere weltweite Trei-
tung natürlicher Ressourcen zung natürlicher Ressourcen ber sind die Globalisierung,
basierende Wirtschaftsform zu kombinieren, dass letztere die starke Urbanisierung ei-
und unsere nicht nachhaltigen für nachfolgende Generatio- nerseits und Destabilisierung
Lebensweisen führen dabei nen weiterhin verwendbar ländlicher Lebensräume ande-
unter anderem zum Verlust sind. rerseits, ausgelöst unter ande-
der Artenvielfalt, zu einer Ver- rem durch den demografi-
schlechterung der Ökosystem- Das Leibniz Forschungszent- schen Wandel, oder die Zu-
leistungen und zu globaler rum TRUST will seine For- nahme sozialer Ungleichhei-
Klimaveränderung. Trotz schungsansätze dabei auf eine ten, Trends, die unter dem

4

TRUST Leibniz Universität Hannover

Begriff der „Grand Challen- Räumliche Transformation le Partner ergänzen das Spek-
ges“ zusammengefasst wer- trum der Expertise am For-
den. Aktuelle Entwicklungen Die Herausforderungen zei- schungsstandort Hannover.
wie die Auswirkungen einer gen sich konkret vor Ort und
weltweiten Corona-Pandemie wirken in Stadt und Land ent- Nur in diesem interdiszipli-
gehören ebenfalls in das Spek- sprechend der soziokulturel- nären Verbund ist es möglich,
trum. Sie fordern das gesell- len und physisch-materiellen sich den komplexen gesell-
schaftliche Zusammenleben Rahmenbedingungen sehr schaftlichen Herausforderun-
heraus. Individualisierung unterschiedlich. Nachhaltige gen zu nähern und die unter-
und Populismus nehmen zu, Lösungsmöglichkeiten müs- schiedlichen wissenschaft-
Teilhabemöglichkeiten wer- sen dementsprechend die ver- lichen Perspektiven bei einer
den hinterfragt und neu aus- schiedenen räumlichen und Lösungsfindung einzubringen.
gehandelt. Regionale Migrati- gesellschaftlichen Besonder-
onsströme zwischen ländli- heiten abbilden und doch Räumliche Transformation
chen und städtischen Regio- übertragbar sein. Das Verhält-
nen wachsen. nis zwischen Umwelt, Kultur Generell kann festgestellt werden, dass die räumliche
und Gesellschaft dient dann Transformation ein interdisziplinäres Zusammen-
Der Weg hin zu einer nachhal- nicht nur als Erklärungs- wirken zwischen den Politik-, Wirtschafts-, Gesell-
tigen, klimaneutralen und res- grundlage, sondern auch als schafts-, Kultur- und Umweltsystemen erfordert.
ilienten Entwicklung ist Basis für die Gestaltung und Die entstehenden Wechselwirkungen können gleich-
durchaus streitbar, aber, um Steuerung von Wandlungs- zeitig ablaufen und verändern den physisch-materi-
im vorherigen Bild zu bleiben, prozessen hin zu einer nach- ellen Raum mit seinen Strukturen, Mustern und Ele-
die Säge darf nicht nur stumpf haltigen Entwicklung. menten (zum Beispiel Gebäude und Wohngebiete,
werden, sondern wir müssen Straßen und Schienen, Energieanlagen, Wälder und
aufhören zu sägen und das Der spezifische Fokus auf Flüsse).
gesellschaftliche Miteinander Räume und Raumverständ-
unter den geänderten Rah- nisse sowie deren Einfluss auf Durch die verschiedenen Wechselwirkungen zwi-
menbedingungen neu aushan- nachhaltige Veränderungspro- schen den Mensch-Umwelt-Systemen entstehen
deln. Eine „Große Transforma- zesse in Stadt und Land kann räumliche Transformationsprozesse, die intendiert
tion“ hin zu einer nachhaltig unter dem Ansatz der „Räum- sind, aber auch Veränderungen des Raumes, die
agierenden Gesellschaft ist lichen Transformation“ zu- nicht geplant oder gewünscht sind. Gleichzeitig prä-
notwendig, welche alle Le- sammengefasst werden. gen diese Veränderungen auch den sozialen Raum
bensbereiche einschließt und entscheidend (zum Beispiel in sozialen Beziehungen,
die Mensch-Umwelt-Bezie- Diesem Zusammenwirken der Identitäten, sozioökonomischen Verhältnissen, Mi-
hung neu definiert. Mensch-Umwelt-Systeme wid- lieus). Denn das Individuum oder die Gesellschaft
met sich seit 2016 das Leibniz reagieren auf die Veränderungen des physisch-mate-
Diese teilweise schon begon- Forschungszentrum „TRUST – riellen Raumes und umgekehrt, das heißt, die Trans-
nenen Transformationsprozes- Zukunft für Stadt und Land“ formationsprozesse laufen nicht einseitig ab, sondern
se bedingen sich gegenseitig, der Leibniz Universität Han- treiben sich gegenseitig an und stehen in einem rela-
bewirken lokale bis globale nover. In dem Forschungs- tionalen Verhältnis. Damit einher gehen Machtver-
Effekte und verändern das so- zentrum sind Mitglieder aus schiebungen und Inklusions- und Exklusionsprozes-
ziale Miteinander in der Stadt, sechs Fakultäten und 19 Insti- se in der Gesellschaft. Sämtliche Prozesse und Reak-
im Dorf, im Kiez. Auch gilt es, tuten der Leibniz Universität tionen können auf unterschiedlichen Maßstabs-
die Abhängigkeiten zwischen Hannover versammelt, um an ebenen stattfinden. Dabei sind unterschiedliche
Stadt und Land zur Bewälti- dem gemeinsamen Thema der Personen und Gruppen beteiligt und in die Trans-
gung dieser räumlichen „Räumlichen Transformation“ formationsprozesse eingebunden.
Transformationen nutzbar zu wissenschaftlich zu arbeiten.
machen. Dieser nachhaltige Die disziplinäre Bandbreite
Transformationspfad wirft der Mitglieder umfasst die
viele wissenschaftliche und Technik-, Sozial-, Geistes-,
alltagsweltliche Fragen auf Wirtschafts-, Rechts- und
und kann nur in einem inten- Naturwissenschaften sowie
siven Austauschprozess zwi- Planung und Gestaltung.
schen Wissenschaft, Zivilge- Namhafte außeruniversitäre
sellschaft, Wirtschaft und Po- Wissenschaftspartner wie die
litik beschritten werden. Der „Akademie für Raumentwick-
Wissenschaft kommt dabei als lung in der Leibniz-Gemein-
Impulsgeber eine besondere schaft“ (ARL) und Praxispart-
Bedeutung zu, welcher die ner wie der „Wissenschafts-
Transformationsprozesse wis- laden Hannover e.V.“, die
senschaftlich begleitet und „Akademie ländliche Räume“
möglichst mitgestaltet. (ALR) oder diverse kommuna-

5

TRUST Leibniz Universität Hannover

2 TRUST fungiert dabei als Platt- senschaftliche Beiträge und Ernährungssicherheit, infor-
form verschiedener gemeinsa- Impulse für nachhaltige melle Siedlungsentwick-
Abbildung 2 mer Aktivitäten wie die Er- Transformationsprozesse auf lung, Bereitstellungen von
Struktur und Forschungs- möglichung des wissenschaft- den verschiedenen Maßstabs- Infrastrukturleistungen)
schwerpunkte des lichen Diskurses, die Beantra- ebenen für Stadt und Land zu ebenso untersucht wie his-
Forschungszentrums TRUST gung und Durchführung von liefern. Die Zusammenarbeit torische Entwicklungen und
Grafik: TRUST Forschungsprojekten, dem Pu- in TRUST erfolgt dabei in Pfadabhängigkeiten.
blizieren gemeinsamer wissen- Clustern, die immer interdis-
schaftlicher Artikel oder der ziplinär besetzt sind und die ❚ Was ist der Kitt, der unsere
Durchführung von nationalen verschiedenen Forschungsthe- Gesellschaft zusammen-
und internationalen wissen- men aus den unterschiedli- hält? Eine grundlegende
schaftlichen Tagungen. chen disziplinären Perspekti- Frage dabei ist, welche
ven bearbeiten. Die vier in- räumlichen Grundbedin-
Ziel des Zentrums ist es, die haltlichen Cluster (siehe Abb. 2) gungen den gesellschaftli-
Forschungsaktivitäten in die- werden flankiert von den bei- chen Zusammenhalt in
sem aktuellen Forschungs- den übergeordneten Quer- Deutschland und Europa
gebiet der „Räumlichen Trans- schnittsclustern „Theorie“ und fördern oder hemmen. The-
formation“ über die Fakultäts- „Wissenstransfer“. men wie räumliche Identitä-
grenzen hinweg zu bündeln, ten, Verantwortungsüber-
ein interdisziplinäres Netz- Die sich ständig entwickeln- nahmen und Nachbar-
werk aufzubauen sowie Kom- den Beziehungsgeflechte in schaftsentwicklungen wer-
petenzpartner für Gesell- und zwischen städtischen und den dabei analysiert und
schaft, Wirtschaft, Verwal- ländlichen Räumen und deren bewertet. Damit einherge-
tung und Politik zu sein. Da- Steuerungs- und Gestaltungs- hen auch Bildungsfragen für
mit wird die lange Tradition möglichkeiten sind in vielen eine nachhaltige Entwick-
der raumbezogenen For- Forschungsprojekten und lung und deren Vermittlung
schung in Universität und Themenschwerpunkten von in Schulen.
Region fortgesetzt. TRUST verankert. Hier sollen
nur einzelne Themenschwer- ❚ Analyse, Bewertung und
Die interdisziplinäre Zusam- punkte skizziert werden: Entwicklung von Maßnah-
menarbeit ermöglicht es, wis- men, die eine nachhaltige
❚ Entwicklung sozialer Inno- Nutzung natürlicher Res-
vationen, die regionale sourcen wie Boden und
Identitäten lebendig halten, Wasser ermöglichen und
Zielkonflikte einer nachhal- die Biodiversität und die
tigen Kommunal- und Regi- Ökosystemleistungen in
onalentwicklung reduzieren Kulturlandschaften erhal-
und die Daseinsvorsorge im ten. TRUST-Mitglieder füh-
ländlichen Raum sichern. ren Forschungen zu globa-
Fragen der Anpassung von lem Küstenschutz und einer
Infrastrukturen an sich ver- nachhaltigen Nutzung von
ändernde räumliche Gege- Grund- und Oberflächen-
benheiten werden dabei wasser bei sich verändern-
ebenso bearbeitet wie Aus- den klimatischen Bedingun-
wirkungen der Digitalisie- gen und steigendem Nut-
rung auf Lebens- und Ar- zungsdruck durch. Es wer-
beitsprozesse in Stadt und den Lösungsansätze
Land. entwickelt, die die unter-
schiedlichen Interessen des
❚ Migrations-, Armuts- und Umwelt- und Klimaschutzes
Verteilungsfragen in Asien, mit anderen Landnutzun-
Afrika und Lateinamerika gen (unter anderem Land-
im Kontext einer rapiden wirtschaft, Energieproduk-
Urbanisierung, des Klima- tion, Tourismus) in Ein-
wandels, der Globalisierung klang bringen können.
oder kurzzeitiger Schocks
(wie Erdbeben und/oder Die folgenden Seiten dieses
Krankheiten). Dabei werden Unimagazins geben einen
Folgen auf Arbeits- und Le- Eindruck dieser vielfältigen
bensbedingungen in den Forschungsaktivitäten in
ländlichen und städtischen TRUST. Auf den ersten Seiten
Bereichen (unter anderem wird das Verhältnis von Ge-

6

TRUST Leibniz Universität Hannover

sellschaft und Raum und den Dipl. Geoökologe Jens Ibendorf Prof. Dr.-Ing. Winrich Voß
schon beschriebenen Wechsel- Jahrgang 1972, ist seit 2017 Jahrgang 1957, ist Professor für
wirkungen zwischen gesell- Geschäftsführer des Leibniz Flächen- und Immobilienmana-
schaftlichen und physisch- Forschungszentrums „TRUST – gement am Geodätischen Insti-
materiellen Transformationen Zukunft für Stadt und Land“ , tut in der Fakultät für Bauinge-
beleuchtet. In dem zweiten vorher war er Geschäftsführer nieurwesen und Geodäsie der
Abschnitt wird der Blick stär- und Koordinator unterschiedli- LUH und Sprecher des Leibniz-
ker auf Ressourcenfragen und cher Forschungszentren und Forschungszentrums TRUST.
die nachhaltige Nutzung der interdisziplinärer, internationa- Seine Forschungsschwerpunkte
natürlichen Ressourcen ge- ler Forschungsverbünde an den umfassen die Einflüsse der
lenkt. Als Projekt zur wichti- Universitäten Greifswald und Bodenmärkte und der Eigen-
gen Förderung des akademi- Göttingen und an der Hoch- tumsrechte auf die räumliche
schen Nachwuchses stellen schule für Angewandte Wissen- Entwicklung in städtischen und
wir das gemeinsame TRUST/ schaften und Kunst in Holz- ländlichen Räumen. Kontakt:
ARL-Promotionskolleg vor. minden. Kontakt: ibendorf@ [email protected]
Der Abschlussbeitrag „Gesell- trust.uni-hannover.de
schaftliche Wissensprozesse“
zeigt, wie sich das For-
schungszentrum TRUST eine
anwendungsbezogene, integ-
rative Forschung mit der Ge-
sellschaft vorstellt.

035-137_106119_0001_Anzeige_geliefert_201103084755_103773.indd 1 03.11.2020 08:50:29

7

TRUST Leibniz Universität Hannover

Die Große Transformation

Gesellschaftliche Herausforderungen zwischen Stadt und Land

Stadt und Land als Die Große Transformation ße Transformation“ – ein Be­ lichen Herausforderungen –
(Unterscheidungs-)Kategorien griff, den Karl Polanyi bereits nicht nur aus Sicht der Städte,
Unter dem Schlagwort „Welt 1944 in Verbindung mit seinen sondern viele TRUST­Mitglie­
räumlicher Planung und im Wandel – Gesellschaftsver­ Analysen der gesellschaftli­ der beschäftigen sich insbe­
Gestaltung verlieren trag für eine Große Transfor­ chen Veränderungen durch sondere mit der Erforschung
mation“ hat der Wissenschaft­ die industrielle Revolution ge­ der Veränderungen in den
zunehmend an Trennschärfe. liche Beirat der Bundesregie­ prägt hatte – sondern auch die ländlichen Räumen und Be­
rung Globale Umweltverände­ weiteren, als „Grand Challen­ reichen zwischen Stadt und
Professor Winrich Voß rungen sein viel beachtetes ges“ bekannten gesellschaftli­ Land.
vom Geodätischen Institut Hauptgutachten 2011 veröf­ chen Herausforderungen, wie
und Professor Jörg Schröder fentlicht (WBGU 2011). Im Mit­ der demografische Wandel, Das Verhältnis von Stadt
vom Institut für Entwerfen telpunkt stehen die Anforde­ die fortschreitende Globalisie­ und Land ändert sich
und Städtebau stellen einige rungen des Klimaschutzes rung, die Verkehrswende, die
Hintergründe für die Arbeiten und die Konsequenzen bei Energiewende und aus heuti­ Der Blick zurück: Über viele
ernsthaftem Bemühen der ger Sicht sicherlich auch die Jahrzehnte der zweiten Hälfte
im Cluster „Raum- und Weltgemeinschaft, die „Klima­ Digitalisierung. Das Cluster des 20. Jahrhunderts war das
Siedlungsstrukturen“ vor schutzleitplanke“ einer Erder­ „Raum­ und Siedlungsstruk­ Verhältnis von städtischen
und beschreiben das enge wärmung von nicht mehr als turen“ im Leibniz Forschungs­ und ländlichen Räumen klar
Nebeneinander des Wachsens 2°C einzuhalten. Nicht nur zentrum TRUST befasst sich geordnet: Die Bevölkerungs­
und Schrumpfens von Regionen, die Anforderungen des Klima­ mit den raumbezogenen Kon­ zuwächse dieser Jahrzehnte,
Gemeinden und Städten. schutzes erfordern eine „Gro­ sequenzen dieser gesellschaft­ mehr noch die wohlstandsbe­

8

TRUST Leibniz Universität Hannover

dingten Wohnflächenansprü­ die permanente Abnahme der Markante Folgen dieser dauer­ Abbildung 1
che der Gesellschaft – Wohn­ landwirtschaftlichen Betriebe. haften Entwicklungstrends
fläche pro Person in den Den „Ausgleich“ in den Ent­ sind die breite gesellschaftli­ Illustration von Stadt-, Energie-
1950er Jahren etwa 15 m2, wicklungsperspektiven bilde­ che Akzeptanz unter anderem und ländlichen Landschaften.
heute rund 45 m2 – führten ten die obligatorischen Neu­ der übermäßigen Inanspruch­ Grafik: Adobe.Stock 2020
insbesondere zur Expansion baugebiete, selbst in den ent­ nahme neuer Flächen für
der Umlandgemeinden der legensten Regionen. Die Siedlungs­ und Verkehrszwe­
Städte und im Übergangsbe­ „Profiteure“ der gesellschaft­ cke – in den 1990er Jahren von
reich zu den ländlichen Räu­ lichen und wirtschaftlichen täglich bis zu 130 ha – oder
men (Suburbanisierung). Hier Entwicklungen sind in den der Verbleib von enormen Ver­
entstanden ausgedehnte Gemeinden der Übergangs­ mögens­ und Wertzuwächsen
Strukturen des individuellen bereiche zu finden. Hier sind bei den Eigentümern dieser
Wohnungsbaus mit Doppel­ die wichtigen Forschungen Flächen. Insbesondere letzte­
und Reihenhäusern, insbeson­ zur „Zwischenstadt“ von Sie­ rer Zusammenhang ist wenig
dere aber mit flächenintensi­ verts oder zur Hybridität von empirisch erforscht, steht aber
ven Einfamilienhausgebieten. Stadt und Landschaft von im Verdacht, notwendige Än­
Auch die erheblichen Verän­ Kühne zu verorten, die sich derungen zu erschweren.
derungen der Wirtschafts­ mit der „verstädterten Land­
strukturen mündeten in flä­ schaft“ oder der „verland­ Der heutige Blick: Seit dem
chenintensiven Gewerbege­ schafteten Stadt“ auseinan­ ersten Jahrzehnt des neuen
bieten einschließlich der Ein­ dersetzen. Befördert wurden Jahrhunderts, einer Phase der
zelhandelsansiedlungen in diese räumlichen Strukturen Bevölkerungsstagnation bezie­
diesen Suburbanisierungs­ auch von der Forderung des hungsweise ­abnahme in vie­
zonen, die die allseits bekann­ Baurechts nach Nutzungstren­ len ländlichen oder altindust­
ten täglichen Mobilitätserfor­ nung, basierend auf den Rege­ rialisierten Teilen Deutsch­
dernisse und Umweltbelas­ lungen der Baunutzungsver­ lands – nicht nur in den fünf
tungen auslösten. ordnung seit 1961. Dieses bis­ neuen Bundesländern –,
herige Verhältnis zwischen scheint sich das beschriebene
Kennzeichnend für die Folgen Stadt und Land scheint immer Verhältnis von Stadt und Land
in den Städten war die Abnah­ noch akzeptiert als „dauerhaf­ zu verändern. Es ist ein enges
me der Wohnbevölkerung in te, großräumig ausgewogene Nebeneinander des Wachsens
den zentralen Stadtteilen; in Ordnung mit gleichwertigen und Schrumpfens von Regio­
den Dörfern der ländlichen Lebensverhältnissen in den nen, Gemeinden oder gar Ge­
Räume waren dies die Ab­ Teilräumen“, wie § 1 des meindeteilen zu konstatieren.
wanderung der Arbeitsplätze Raumordnungsgesetzes Der dauerhafte Wirtschafts­
in das Umland der Städte und (ROG) es fordert. aufschwung im 2. Jahrzehnt

1

9

TRUST Leibniz Universität Hannover

2 hat einige ländliche Räume her schon die ländlichen vielerlei Aspekten ab, deren
zwar stabilisiert, hat aber Räume verlassen, allerdings Wirkungszusammenhänge
Abbildung 2 mehrheitlich die Attraktivität ist aufgrund der Bevölke­ Gegenstand von aktuellen
50 km um Hannover: Körnung der städtischen Bereiche und rungsstagnation der „Aus­ Forschungen sind. In beiden
der Siedlungsstrukturen, 2020. ihres Umlandes gesteigert. Die gleich“ durch hinzuziehen­ Fällen bieten sich auch für
Grafik: Regionales Bauen und Grenzziehungen (Polarisie­ de junge Familien mehrheit­ die ländlichen Räume Ent­
Siedlungsplanung LUH. rungen) zwischen Stadt und lich ausgeblieben (Land ­). wicklungspotenziale (Stadt
Land haben zugenommen. ❚ Die Energieproduktion fand + / Land +).
Auch die Bundespolitik sieht auch bisher überwiegend in
sich in der Pflicht, die Bemü­ den ländlichen Räumen Herausforderung:
hungen um gleichwertige Le­ statt (Abbau fossiler Ener­ Gesellschaftliche und räumliche
bensverhältnisse in Stadt und gieträger, Kernkraft). Mit Polarisierung
Land zu überprüfen (Regie­ der Umstellung auf erneuer­
rungskommission „Gleichwer­ bare Energien in dezentraler Räumliche Diskrepanzen und
tige Lebensverhältnisse“ 2019). Produktion sind die Bewoh­ Polarisierung stellen somit be­
Hierbei ist unter anderem auf ner und Landeigentümer reits seit der Finanzkrise 2008
folgende teilweise gegenläufi­ der ländlichen Räume noch ein Leitmotiv der wissen­
ge Trends hinzuweisen, die je­ wesentlich stärker involviert schaftlichen und öffentlichen
weils auch Forschungen zu und verfügen damit häufig Diskussion zur Entwicklung
Raum­ und Siedlungsstruktu­ sogar über eine zusätzliche von Stadt und Land dar. Ins­
ren eröffnen: Einnahmequelle. Die Aus­ besondere Trends der Konzen­
wirkungen hinsichtlich des tration, Abwanderung, Reur­
❚ Der Eindruck hat sich breit Landschafts­ und Umwelt­ banisierung und differente
gemacht, dass viele ländli­ schutzes müssen noch ab­ Muster von Wachstum und
che Räume zunehmend als schließend bilanziert wer­ Schrumpfung lassen sich in
„abgehängt“ und als „Ver­ den. Die Steigerung des An­ den Zusammenhang mit ge­
lierer“ der neueren Ent­ teils der erneuerbaren Ener­ sellschaftlicher Polarisierung
wicklung gelten, unter an­ gieleistungen kann den setzen. Sie stellen einen Teil
derem aufgrund der Proble­ weniger dicht besiedelten von gesamteuropäischen
me bei der Aufrechterhal­ (ländlichen) Regionen zu­ Trends dar. Zudem wird ge­
tung einer angemessenen nehmend zugerechnet wer­ sellschaftliche und räumliche
Infrastrukturausstattung den (Land +). Polarisierung durch die Co­
(Land ­). ❚ Die Städte profitieren über­ vid­19 Krise absehbar ver­
wiegend vom Trend der stärkt. Gerade weil Vorhersa­
❚ Tatsächlich haben die jun­ Reurbanisierung insbeson­ gen der demographischen
gen Leute aus Anlass der dere junger bildungsnaher Schrumpfung nicht eingetre­
Berufsausbildung auch bis­ Bevölkerungskreise, aber ten sind – effektiv ist die Be­
auch der jungen Alten nach völkerung in Deutschland
der Familienphase (Stadt +). zwischen 2011 und 2017 um
❚ Die Städte befinden sich aber 3,1 Prozent gewachsen – rich­
nicht nur auf der „Gewin­ tet sich ein erneuerter Fokus
nerseite“, sondern haben ver­ auf die Ungleichgewichte
schiedene „soziale Schief­ räumlicher Entwicklung. Die
lagen“ zu meistern wie Problematik mangelnder Trag­
wachsende soziale Dispari­ fähigkeit der Daseinsvorsorge
täten im Bevölkerungsmix und vor allem negativer Zu­
oder am unausgeglichenen kunftschancen betrifft Gebie­
Wohnungsmarkt (Stadt ­). te in ganz Deutschland, in de­
❚ Aktuelle Trends wie die nen Zukunftsrisiken überwie­
Digitalisierung des Wirt­ gen. Auf diesen Trend der Po­
schafts­ und des gesell­ larisierung und der damit
schaftlichen Lebens oder verbundenen Risiken für Ge­
neue Mobilitätsformen wie sellschaft und Nachhaltigkeit
das autonome Fahren bis im Erreichen von normativen
hin zu den raumbezogenen Zielen – insbesondere UNSDG
Wirkungen der aktuellen 11 Sustainable cities and com­
Pandemie werden das Ver­ munities (Das Nachhaltig­
hältnis von Stadt und Land keitsziel 11 der Vereinten Nati­
deutlich beeinflussen. Wer onen: nachhaltige Städte und
in der Summe der mögli­ Gemeinschaften, UN 2015)
chen Effekte mehr oder we­ und der Gleichwertigkeit von
niger profitiert, hängt von Lebensverhältnissen – ant­

10

TRUST Leibniz Universität Hannover

worten bereits neue Schwer­ ren Räumen und durch fehlen­ Prof. Dr.-Ing. Winrich Voß
punktsetzungen in verschie­ den sozialen Zugang (indivi­ Jahrgang 1957, ist Professor
denen Politikfeldern: zum Bei­ duelle Infrastrukturausstat­ für Flächen- und Immobilien-
spiel wurde auf Bundesebene tung und Kenntnisse). management am Geodätischen
seit Januar 2020 das Gesamt­ Institut in der Fakultät für Bau-
deutsche Fördersystem für 3. Neue Mobilitätsmodelle und ingenieurwesen und Geodäsie
strukturschwache Regionen räumliche Entwicklung: der LUH und Sprecher des
mit mehr als 20 Förderpro­ Leibniz-Forschungszentrums
grammen aus sechs Bundes­ Fragen der räumlichen Umset­ TRUST. Seine Forschungs-
ressorts eingeführt, das die zung nachhaltiger Mobilität in schwerpunkte umfassen die
Bund­Länder­Gemeinschafts­ peripheren und ländlichen Einflüsse der Bodenmärkte
aufgabe Verbesserung der re­ Räumen, insbesondere öffent­ und der Eigentumsrechte auf
gionalen Wirtschaftsstruktur licher und gemeinschaftlich die räumliche Entwicklung in
(GRW) ergänzt und verstärkt. organisierter Formen, verbun­ städtischen und ländlichen
Damit verbunden sind zahl­ den mit neuen digitalen Orga­ Räumen. Kontakt: voss@gih.
reiche Forschungsprogramme nisationsmodellen (Sharing) uni-hannover.de
im Hinblick auf struktur­ und ihrer Auswirkungen auf
schwache Regionen. Orts­, Stadt­ und Regionalent­
wicklung.
Ausblick: Forschungsfelder
Die Forschung in diesen drei
Vor diesem Hintergrund ge­ Feldern zur Interaktion neuer
sellschaftlicher und räumli­ gesellschaftlicher Trends mit
cher Polarisierung – und auf­ räumlicher Entwicklung so­
bauend auf Innovationen in wie die wissenschaftliche Ar­
Projekten und Steuerung beit an den Wechselwirkun­
räumlicher Gestaltung für gen zwischen den Feldern
“Dynamiken der Peripherie” stellt – insbesondere für peri­
[Schröder et. al. 2018] – kön­ phere Räume – ein hohes Po­
nen drei Forschungsfelder als tenzial für zukünftige For­
besonders interessant für in­ schungsprojekte dar, das so­
terdisziplinäre Forschung zu wohl zu einer Ergänzung the­
räumlicher Entwicklung ange­ oretischer Grundlagen als
sehen werden, die verschiede­ auch zur methodischen Inno­
ne Siedlungstypen (Metropo­ vation insbesondere in Archi­
len, Großstadt, Klein­ und tektur, Städtebau, interdiszip­
Mittelstadt, Dorf) und ihre linärer Stadt­, Orts­ und Regi­
Interaktion neu in den Fokus onalentwicklung wie auch im
nehmen: Flächenmanagement beitra­
gen kann.

1. Neue Lebens-/Arbeitsmodelle Literatur Prof. Jörg Schröder
und räumliche Entwicklung: Jahrgang 1972, ist Professor
[1] Regierungskommission „Gleichwertige für Regionales Bauen und
Fragen räumlicher Steuerung Lebensverhältnisse“ (2019), BMI, Siedlungsplanung am Institut
und Organisation für neue BMEL, BMFSFJ (Hrsg.), Unser Plan für für Entwerfen und Städtebau
Lebens­/Arbeitsmodelle – wie Deutschland – Gleichwertige Lebens- und Forschungsdekan der
gemischte Gebäude­ und verhältnisse überall – Schlussfolgerun- Fakultät für Architektur und
Quartierstypen, Multilokali­ gen aus der Arbeit der Kommission. Landschaft. Seine Forschungs-
tät, Homeoffice, Co­Working – schwerpunkte sind Städtebau
und ihr Einfluss auf Orts­, [2] Schröder J., Carta M., Ferretti M., Lino und Architektur in Peripherien
Stadt­ und Regionalentwick­ B. eds. (2018) Dynamics of Periphery. und ländlichen Räumen sowie
lung, auch im Hinblick auf Atlas of Emerging Creative and Resili- territoriale Innovation. Kontakt:
Gemeinschaft, Versorgung, ent Habitats. Berlin, Jovis. [email protected]
Gesundheit, Bildung und hannover.de
Freizeit. [3] UN United Nations (2015) United Na-
tions Sustainable Development Goals.
2. Digitalisierung und räumliche
Entwicklung: [4] WBGU Wissenschaftlicher Beirat der
Bundesregierung Globale Umweltver-
Fragen der räumlichen und ge­ änderungen (2011) Welt im Wandel.
stalterischen Implikationen ei­ Gesellschaftsvertrag für eine Große
ner verstärkten Polarisierung Transformation.
durch fehlende Infrastruktu­
ren (Breitband, G5) in periphe­

11

TRUST Leibniz Universität Hannover

Gesellschaft und Raum

Das TRUST Verbundprojekt „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“

Was ist der Kitt, der unsere Diesen Fragen geht das vom Ihn kennzeichnet aber genau- sammenhalt befähigt zum
Gesellschaft zusammenhält? Bundesministerium für Bil- so, dass er aktuell bedroht anderen aber auch die Bürge-
Wie hängt der Zusammenhalt dung und Forschung (BMBF) werde oder schwinde und da- rinnen und Bürger, unter der
von den räumlichen Rahmen­ geförderte Verbundvorhaben her wieder gestärkt werden Bedingung von steigender
bedingungen ab? In welchem „Forschungsinstitut Gesell- müsse. kultureller und sozialer Diver-
Verhältnis stehen räumlicher schaftlicher Zusammenhalt sität vertrauensvoll miteinan-
(FGZ)“ nach. Die Leibniz Uni- Das gestiegene Interesse an der zu kooperieren und ihre
und sozialer Wandel? versität Hannover ist einer der der Idee des gesellschaftlichen soziale Umwelt aktiv zu ge-
Warum fühlen sich Menschen elf bundesweiten Standorte Zusammenhalts geht mit stalten.
dieses Zentrums. An der LUH einem sinkenden Interesse an
in manchen Regionen befassen sich mehrere Institu- der Unterstützung von und Der gesellschaftliche Zusam-
„abgehängt“? Warum gelten te gemeinsam mit der Akade- dem Engagement in demokra- menhalt weckt große Hoff-
gewisse Quartiere in Städten mie für Raumentwicklung in tischen Prozessen einher. Vor nungen bezüglich seiner posi-
als „Brennpunkte“? Und gibt es der Leibniz-Gemeinschaft diesem Hintergrund wird mit tiven Wirkungen im Hinblick
(ARL) als außeruniversitärem dem gesellschaftlichen Zu- auf das Gelingen von Gesell-
in manchen Räumen einen Partner mit Fragen des Raum- sammenhalt eine Reihe von schaft. Problematisch ist an
stärkeren Zusammenhalt als bezugs von gesellschaftlichem Eigenschaften verbunden, die dem Begriff jedoch, dass die
Zusammenhalt. ihn als Heilmittel gegen die Entstehens- und Gelingensbe-
in anderen? (vermeintlichen) destruktiven dingungen von gesellschaftli-
Der Begriff des gesellschaft- Herausforderungen in der chem Zusammenhalt nach
Abbildung lichen Zusammenhalts wird modernen Gesellschaft inter- wie vor unklar sind. Das For-
Quelle: Gerd Altmann/pixabay mittlerweile breit diskutiert. pretieren. schungsinstituts Gesellschaft-
Über gesellschaftlichen Zu- licher Zusammenhalt (FGZ)
sammenhalt wird in den Der gesellschaftliche Zusam- befasst sich daher mit Fragen
abendlichen Fernsehtalkshows menhalt stellt Ressourcen be- zu spezifischen Verständnis-
ebenso wie in den Kommen- reit, die im Wesentlichen zu sen und Konzeptionen von
tarspalten der Tageszeitungen einer wachsenden Akzeptanz Zusammenhalt, den Voraus-
oder in den Programmen der und auch Legitimität von Ent- setzungen und Quellen des
politischen Parteien gespro- scheidungen und Maßnahmen Zusammenhalts, seinen Be-
chen. Unwidersprochen ist beitragen, die in politischen drohungen und Gefährdun-
dabei die Annahme, dass Prozessen zu treffen sind und gen sowie den Folgen und
gesellschaftlicher Zusammen- letztlich die Steuerungsfähig- Wirkmechanismen verschie-
halt grundsätzlich etwas Gu- keit des Staates erhalten (sol- dener Formen von Zusam-
tes und Erstrebenswertes sei. len). Gesellschaftlicher Zu- menhalt. Die Antworten auf

12

TRUST Leibniz Universität Hannover

diese Fragen erlauben dann regional, national, global) hin- Mensch-Umwelt-Beziehungen
auch Aussagen zu möglichen aus. in deren spezifischen räumli-
politischen Handlungsemp- chen Anordnungen.
fehlungen. Beschreibung der Arbeiten
am Standort Hannover Die Bedeutung des Raumes
Aufbau und Clusterstruktur für Fragen des gesellschaftli-
Die Analyse räumlicher Diffe- chen Zusammenhalts zeigt
Unter dem Dach des FGZ sind renzierungen der Qualität der sich insbesondere in der aktu-
zurzeit 83 Forschungs- und Verbundenheit von sozialen ellen Debatte um räumliche
Transferprojekte versammelt, Kollektiven ist der wesentli- Ungleichheiten. In der Bun-
die sich drei thematisch-me- che inhaltliche Schwerpunkt desrepublik Deutschland gilt
thodischen Clustern zuord- des FGZ-Standorts Hannover. der Grundsatz der Gleichwer-
nen. Die Cluster bündeln un- Die Analyse erfolgt in Hin- tigkeit der Lebensverhältnisse.
terschiedliche Perspektiven
und Zugänge zur Erforschung
gesellschaftlichen Zusammen-
halts. In allen drei Dimensio-
nen seines Forschungspro-
gramms verbindet das Institut
unterschiedliche Methoden
der quantitativen und qualita-
tiven Sozialforschung. Das
Teilinstitut Hannover arbeitet
schwerpunktmäßig im Cluster
2: „Strukturen, Räume und
Milieus des Zusammenhalts“.
Dort stehen insbesondere Fra-
gen der räumlichen Rahmen-
bedingungen für die Entwick-
lung gesellschaftlichen Zu-
sammenhalts im Mittelpunkt
der Betrachtung.

Warum befassen wir uns
mit den räumlichen Aspekten?

Formen des gesellschaftlichen blick auf Beziehungen, Identi- Gleichwertige Lebensverhält- 1
Zusammenhaltes sind räum- fikationen, Interaktionen und nisse bezeichnen eine räum-
lich verortet. Sie finden nicht Orientierungen als bedeuten- lich ausgeglichene Verteilung Abbildung 1
irgendwo statt, sondern haben de Grundlagen des gesell- von öffentlichen Dienstleis- Clusterstruktur des bundes­
direkten Bezug zum Quartier, schaftlichen Zusammenhalts tungen und Infrastrukturen, weiten Forschungsinstituts
zur Stadt, zum Dorf oder der in unterschiedlichen räumli- die allgemein akzeptiert wird. Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Region. Gesellschaftliche Pro- chen Zusammenhängen. Zen- Die Gefährdung des gesell- mit eingebetteten Forschungs­
zesse und Veränderungen fal- traler Ansatz ist dabei die ver- schaftlichen Zusammenhalts feldern
len dementsprechend auf un- gleichende Betrachtung räum- wird nun durch eine schlei- Quelle: FGZ
terschiedlichen räumlichen licher Merkmale, Muster so- chende Veränderung in den
Ebenen sehr verschieden aus. wie von Zugangsmöglichkeiten zu die-
Gesellschaftliche und räumli-
che Veränderungen beeinflus-
sen sich gegenseitig und be-
dingen einander. Infolgedes-
sen ist es bei der Analyse und
Gestaltung des gesellschaft-
lichen Zusammenhalts unab-
dingbar, räumliche Muster
und Zusammenhänge als Er-
klärungsvariablen zu berück-
sichtigen und miteinander in
Beziehung zu setzen. Dieser
Ansatz geht weit über die sim-
ple Einbeziehung unterschied-
licher Maßstabsebenen (lokal,

13

TRUST Leibniz Universität Hannover

sen (vor allem von der öffent- ren, unter denen sie Ge- Forschungsprojekten des
lichen Hand bereit gestellten) meinschaftsgüter bereitstel- Standorts differenziert umge-
Leistungen vermutet. Benach- len, setzt. Ziel aller Transferaktivi-
teiligte Regionen, das heißt täten ist es, einerseits Informa-
Räume mit erheblichen Barrie- ❚ zivilgesellschaftliche Ver- tionen aus den Forschungs-
ren der Zugänglichkeit, er- antwortungsübernahme, projekten an relevante Akteu-
schweren die Konstitution von deren räumliche Kontext- re aus Politik, Verwaltung,
Zusammenhalt. abhängigkeiten, Gelingens- Wirtschaft und Zivilgesell-
bedingungen, Bedrohungen schaft zielgruppenspezifisch
Ziel der Forschungsarbeiten sowie auch Auswirkungen zu vermitteln. Andererseits
ist die Analyse der hand- auf unterschiedliche Di- wird auf diese Weise sicher-
lungsleitenden Faktoren und mensionen gesellschaftli- gestellt, dass die Forschungs-
der Beziehungen von sozialen chen Zusammenhalts (zum ergebnisse an aktuelle gesell-
Kollektiven innerhalb unter- Beispiel sozialräumlich de- schaftliche Diskussionen an-
schiedlich ausgestatteter Räu- finierte Identitäten, Bezie- knüpfen. Damit wird eine di-
me. Das Teilinstitut Hannover hungsnetzwerke, Vertrauen rekte Rückkopplung der
untersucht beispielsweise Ak- in Institutionen, die durch Wissensproduktion an be-
teure und Akeurinnen , die in große Infrastrukturprojekte deutsame Diskurse ermög-
je spezifischen Situationen wie dem Südlink beein- licht. Kontinuierliches Feed-
Verantwortung für „ihren“ trächtigt werden können). back mit der Praxis ist Aus-
Raum und die dortige Zivil- druck dieser Herangehens-
gesellschaft übernehmen. Rolle des Transfers weise.
Räumliche Strukturen wirken
auf den Einzelnen und dessen Quer zu diesen Arbeitsbe- Neben innovativen wissen-
Bereitschaft, sich für den Zu- reichen liegen Themen des schaftlichen Ergebnissen aus
sammenhalt zu engagieren. Transfers. Mit den Forschun- den beteiligten Disziplinen
Gleiches gilt für Kollektive. gen verbundene Transfer- werden auch anwendungsori-
Der Standort Hannover wid- aktivitäten werden ergänzt entierte Hinweise für Politik
met sich daher drei zentralen durch ein Transferforschungs- und Gesellschaft erarbeitet.
Arbeitsfeldern: projekt, das den Beitrag von Das Forschungsinstitut Ge-
Wissenstransfer zum gesell- sellschaftlicher Zusammen-
❚ Interaktionen und Begeg- schaftlichen Zusammenhalt halt ist damit ein wichtiges
nungen zwischen Menschen analysiert. Dieses wird Bindeglied zwischen Wissen-
in öffentlichen und semi-öf- schwerpunktmäßig vom schaft und Gesellschaft. Letz-
fentlichen Räumen und de- außeruniversitären Partner teres ist eine klare Anforde-
ren Einfluss auf Einstellun- ARL getragen. rung aus dem Bereich der Po-
gen und Vorurteile (zum litik (insbesondere BMBF) an
Beispiel die Rolle der Nach- Der Standort Hannover wen- das FGZ insgesamt und soll
barschaft/des Stadtteils als det ein abgestuftes Transfer- mittelfristig zur Stärkung des
Begegnungsort und Kataly- verständnis an: Von der rei- gesellschaftlichen Zusam-
sator von Zusammenhalt), nen Informationsvermittlung menhalts beitragen, wie er be-
über die Beteiligung von Pra- reits gegenwärtig im Zuge der
❚ Akteure und Akteurinnen xisakteuren an der Forschung Covid-19 Pandemie vor gro-
des Staates, des Marktes bis hin zur Erstellung von ßen Belastungen steht.
und der Zivilgesellschaft Produkten im Co-Design von
und die Voraussetzungen, Wissenschaft und Praxis. Das https://www.fgz-risc.de/
Bedingungen und Struktu- wird in den verschiedenen

14

TRUST Leibniz Universität Hannover

PD Dr. Sylvia Herrmann Prof. Dr. Peter Dirksmeier Prof. Dr. Rainer Danielzyk
Jahrgang 1958, ist Privatdozen- ist Professor für Kulturgeogra- Jahrgang 1959, ist Hochschul-
tin am Institut für Umweltpla- phie im Institut für Wirtschafts- lehrer im Institut für Umwelt-
nung. Ihre Arbeitsschwerpunkte und Kulturgeographie. Er be- planung und Generalsekretär
sind die Partizipation in der schäftigt sich unter anderem der ARL – Akademie für Raum-
ländlichen Entwicklung, die mit Sozialgeographien des urba- entwicklung in der Leibniz-
Rolle von regionaler Identität nen Zusammenlebens sowie deb Gemeinschaft. Seine Arbeits-
bei der Aktivierung von Akteu- Einstellungen zum Klimawandel. schwerpunkte sind Theorie und
ren sowie die Unterstützung Kontakt: dirksmeier@kusogeo. Empirie der Raumentwicklung,
von Akteursprozessen durch uni-hannover.de Raumordnung und Planungs-
modellbasierte Systeme. kulturen. Kontakt: danielzyk@
Kontakt: herrmann@umwelt. umwelt.uni-hannover.de
uni-hannover.de

Niedersächsische Landesbehörde
für Straßenbau und Verkehr

Werde ein Teil von uns als
Bauingenieur (m/w/d)

Dein Weg ist unser Ziel

Wir bieten Stipendien, Praktika und ein
Referendariat für Bauingenieure an!
Worauf wartest Du noch?

Werde Teil unseres Teams!
www.strassenbau.niedersachsen.de
[email protected]

035-137_107068_0001_Anzeige_v02_201116111221_105081.indd 1 2017_magrathea_Anz1_UH_RZZW 20.10.2017, 15:42 Uhr
19.08.2020 13:24:52
17.11.2020 09:19:23
106523.indd 1

15

TRUST Leibniz Universität Hannover

Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste

Zur Transformation eines gesellschaftlichen Phänomens

Gemeinhin werden staatliche Gegenwärtig wird alles Mög- Infrastrukturen besteht darin, Raumüberbrückende Infra-
und private Einrichtungen, liche zur Infrastruktur erklärt: die Schaffung einer bestimm- strukturen erbringen dagegen
die für eine ausreichende In ländlichen Regionen zählen ten sozial-räumlichen Ord- Dienste, die Austausch- und
Daseinsvorsorge und wirt- neben klassischen Einrichtun- nung zu unterstützen, etwa Kommunikationsprozesse
schaftliche Entwicklung sorgen gen wie etwa die Dorfschule auf dem gesamten staatlichen über größere Entfernungen
als Infrastrukturen bezeichnet. und der Kindergarten mittler- Territorium gleichwertige Le- ermöglichen, beispielsweise
Häufig unterscheidet man in weile auch Tankstellen, Bank- bensverhältnisse herzustellen. durch die Nutzung von Eisen-
automaten, Dorfläden, Gast- Insofern Infrastrukturen an bahn oder Flugzeug. Sie ver-
technische und soziale häuser und vieles mehr zur der Schaffung dieser Ord- binden territorial voneinander
Infrastrukturen. Seit einigen daseinsvorsorgenden Infra- nung mitwirken, sind sie als getrennte Orte, Flächen und
Jahren wird jedoch der Begriff struktur. Staatlicherseits wer- Ordnungsdienste tätig. Folg- Bevölkerungsgruppen. Ent-
wesentlich breiter gebraucht den beinahe alle Versorgungs- lich ist zu fragen: Welcher sprechend begünstigen sie
einrichtungen, einschließlich Wandel der sozial-räumlichen eine sozial-räumliche Ord-
und auf diese Weise vieles Medien und Kultur, Finanz- Ordnung scheint in der Titu- nung, die eine räumlich und
zur Infrastruktur erklärt. und Versicherungswesen, als lierung offenbar aller mögli- sozial umfassendere, aller-
„kritische Infrastrukturen“ chen Dienste und Einrichtun- dings auch unpersönlichere
Prof. Eva Barlösius eingestuft, worunter Einrich- gen als Infrastrukturen auf? Integration fördert. Über-
vom Institut für Soziologie tungen verstanden werden, Dies ist eine überaus komple- räumliche Infrastrukturen
untersucht und analysiert, für die Aufrechterhaltung xe Frage, weshalb sie hier auf schaffen Voraussetzungen für
welches gesellschaftliche zentraler gesellschaftlicher die verräumlichenden Eigen- Austausch- und Kommunika-
Phänomen dahintersteckt. Funktionen unerlässlich sind. schaften von Infrastrukturen tionsprozesse, die sich über je-
Zunehmend ist die Rede von beschränkt und nur exempla- den Raum erstrecken, unab-
„Gastronomie-Infrastruktur“, risch beantwortet wird. hängig von der geographi-
„Fitness- und Wellness-Infra- schen Lage und seiner Aus-
struktur“, „religiöser Infra- Infrastrukturen stellen räum- gestaltung. Sie stellen im
struktur“ wie von „Chor-, liche Ordnung auf dreierlei Wesentlichen gleichberechtig-
Theater-, Opern-, Museums-, Art und Weise her: raumbil­ te Beziehungen zu allen Men-
Kino- oder Ausstellungs- dend, raumüberbrückend sowie schen wie auch zu allen Plät-
Infrastruktur“. Ursprünglich überräumlich. zen und Gegenden her und
war der Begriff Infrastruktur können deshalb die Herausbil-
zur Bezeichnung großer tech- Raumbildende Infrastruktu- dung einer sozial-räumlich
nischer Einrichtungen wie ren fixieren die infrastruktu- äußerst inklusiven Ordnung
Talsperren, Eisenbahnen oder relle Leistung an einem be- begünstigen. Die katholische
Wasser- und Elektrizitätslei- stimmten Ort, wie das Schul- Kirche beispielsweise versteht
tungen reserviert. Heutzutage gebäude als Ort des Unter- sich als überräumliche Ge-
scheint er beliebig dehnbar ge- richts oder die Philharmonie meinschaft, die über alle
worden zu sein. Welches ge- als Ort der Musik. Damit bil- räumlichen und sozialen Dif-
sellschaftliche Phänomen ver- den sie feste Ankerpunkte für ferenzen hinweg eine Einheit
birgt sich hinter dieser Trans- Austausch- und Kommunika- formt, die jedoch an Mitglied-
formation? tionsprozesse. Auf diese Wei- schaft geknüpft ist. Die wich-
se schaffen beziehungsweise tigste überräumliche Infra-
Darin – so die Botschaft dieses fördern sie eine lokalisierte struktur unserer Tage ist das
Beitrags – drückt sich ein sozial-räumliche Ordnung, Internet, das – technisch gese-
Wandel dessen aus, was Infra- die mehrheitlich auf Face-to- hen – als Ort des Austausches
strukturen gesellschaftlich face-Beziehungen basiert und und der Kommunikation von
leisten sollen. Die wesentliche damit einen Beitrag zu per- allen und überall genutzt wer-
gesellschaftliche Leistung von sönlicher Vertrautheit leistet. den kann. Tatsächlich sind je-

16

TRUST Leibniz Universität Hannover

1

doch Zugang und Nutzung kel des Staatsgebiets vor und Zum einen ist bemerkenswert, Abbildung 1
keineswegs derart offen ge- markierten es als staatliches dass in den vergangenen Jah-
staltet, weshalb die sozial- Territorium. Damit leisteten ren hauptsächlich räumlich Beliebig dehnbarer Begriff?
räumlich inklusive Wirkung sie einen wichtigen Beitrag fixierte Einrichtungen und Neben der klassischen techni­
ihre Grenzen hat. zum Nationalstaatenbildungs- Dienste zu Infrastrukturen er- schen Infrastruktur wie Bahn­
prozess, indem sie den Staat klärt und ein entsprechender anbindungen zählen mittlerweile
Schauen wir uns nun zum flächenmäßig – sprich territo- Umgang mit ihnen gefordert auch Dorfgasthäuser oder Kioske
einen die gesellschaftlichen rial – abbildeten und ihn so beziehungsweise bereits prak- zur Infrastruktur.
Leistungen von Infrastruktu- für jeden und überall unmit- tiziert wird. Dies gilt beson- Fotos: pixabay (Schienen), Schröder
ren in der wohlfahrtsstaatli- telbar erfahrbar machten. Auf ders für ländliche Regionen, (Kiosk, Gasthaus)
chen Industriegesellschaft diese Weise trugen die Infra- wo geradezu eine Verdörfli-
und zum anderen in unserer strukturen dazu bei, Staatlich- chung von Infrastrukturen
Gegenwartsgesellschaft an, keit und Territorium in eins stattgefunden hat: Dorfladen,
die auch als Wissensgesell- zu denken. In diese Art der Bäckerei, Gasthaus, Kneipe,
schaft bezeichnet wird, und staatlichen Errichtung von In- Dorfplatz – beinahe alle dörf-
welche Veränderungen sich frastrukturen war eine sozial- lichen Begegnungsorte wer-
feststellen lassen. Typisch für räumliche Ordnung einge- den mittlerweile als dörfliche
wohlfahrtsstaatliche Indus- schrieben, die den Einzelnen Infrastrukturen begriffen
triegesellschaften ist die staat- mittels staatlicher Einrichtun- oder in solche transformiert.
liche Ausstattung mit raum- gen an sich band und gesell- Im Allgemeinen geht damit
überbrückenden und raumbil- schaftliche Teilhabe staatlich einher, dass neben ihrer origi-
denden Infrastrukturen. Zu garantierte. nären Funktion, etwa die
den raumüberbrückenden Nahversorgung zu sichern,
Infrastrukturen gehören ins- Die überragende Rolle des mindestens gleichgewichtig
besondere leitungsgebundene Staates bei der Gewährleis- ihre Bedeutung für die Her-
Infrastrukturen wie die Was- tung der infrastrukturellen stellung von Dörflichkeit als
ser-, Gas- und Elektrizitätsver- Ausstattung begründet, dass spezifische sozial-räumliche
sorgung, Infrastrukturen zur deren Veränderungen im All- Ordnung tritt. Oftmals
Kommunikation über große gemeinen mit einem Wandel handelt es sich um privat-
Distanzen, wie Post und Tele- der Auffassung und Praxis (wirtschaftlich) betriebene
graphie, und Infrastrukturen, von Staatlichkeit verknüpft Einrichtungen und Dienste,
die es erleichtern, von einem sind. So steht die Aufhebung die nunmehr zusätzlich infra-
Ort zu einem anderen zu ge- staatlicher Infrastrukturver- strukturelle Leistungen er-
langen, wie Straßen, Eisen- antwortung für eine Zurück- bringen. Geradezu entgegen-
bahn oder Wasserstraßen. nahme von Staatlichkeit und setzt findet zum anderen zeit-
Wichtige raumbildende Infra- die Schließung von Infra- gleich ein Rückzug ehemals
strukturen sind Schulen, strukturen insbesondere in staatlich garantierter Infra-
Krankenhäuser, Polizeistatio- ländlichen Regionen für einen strukturen aus der Fläche
nen und andere kommunale Rückzug des Staates aus der statt. Schulen und Kranken-
Ämter. Mittels der Schaffung Fläche. Pointiert formuliert: häuser werden geschlossen,
und dem Betreiben dieser Infrastrukturell wird Staat- Ämter und Behörden zusam-
staatlichen Infrastrukturen – lichkeit weniger territorial mengelegt – mit der Folge,
zumeist mit dem Status ho- praktiziert. Vor diesem Hin- dass lange Fahrzeiten und
heitlicher Einrichtungen ver- tergrund sollen exemplarisch raumüberbrückende Infra-
sehen – gelang eine umfassen- zwei Linien des gegenwärti- strukturen erforderlich wer-
de territoriale Integration, gen Wandels der Infrastruktu- den, um Dienste, die ehemals
denn sie drangen in alle Win- ren vorgestellt werden. lokalisiert waren, in Anspruch

17

TRUST Leibniz Universität Hannover

Prof. Dr. Eva Barlösius nehmen zu können. Hinzu die Möglichkeit einer Entterri- dings weitgehend losgelöst
Jahrgang 1959, ist seit 2007 kommt, dass die raumüber- torialisierung angelegt. In der von einem bestimmten Terri-
Professorin für Makrosoziologie brückenden Infrastrukturen, Praxis zeigt sich jedoch, dass torium. Sehr anschaulich ver-
und Sozialstrukturanalyse an speziell der öffentliche Nah- die Reichweite des Netzes – gegenwärtigen dies Darstel-
der Leibniz Universität Hanno- verkehr, stark „ausgedünnt“ jedenfalls in Deutschland – lungen der Dichte des E-Mails
ver. Sie hat das Leibniz Center und zudem häufig privatisiert insbesondere jene Gegenden Verkehrs zwischen den Metro-
for Science and Society (LCSS) wurden. Für die durch Infra- und Orte benachteiligt, die be- polregionen der Welt. Zweifel-
gegründet und ist Sprecherin strukturen vermittelte sozial- reits besonders stark von der los handelt es sich bei den
der Forschungsbaus Forum räumliche Ordnung bedeutet Schließung staatlicher raum- Wissens- und Informationsin-
Wissenschaftsreflexion. Ihre dies, dass sie eine deutlich ge- bildender und raumüberbrü- frastrukturen um einen zent-
Arbeitsgebiete sind soziale Un- ringere territoriale und per- ckender Infrastrukturen be- ralen Treiber von Globalisie-
gleichheit, Wissenschaftssozio- sönlich bindende und staat- troffen sind. Dort entfalten rungsprozessen, für die die
logie, Soziologie des Essens. lich integrierende Wirkung die neuen Infrastrukturen nur Loslösung von einer flächen-
Kontakt: e.barloesius@ish. besitzt. eingeschränkt ihre überräum- mäßigen räumlichen Ordnung
uni-hannover.de liche Qualität. Hinzu kommt, typisch ist. Wie die durch die-
Die erste Linie macht den dass sie im Allgemeinen kei- se Infrastrukturen geförderte
Wandel der Infrastruktur aus neswegs Wissen und Informa- Ordnung sozial verfasst sein
dem Blickwinkel der wohl- tionen sozial breit zugänglich kann und sollte, ob sie in ähn-
fahrtsstaatlichen Industrie- machen, sondern der Zugang licher Weise darauf angelegt
gesellschaft deutlich; in der oftmals an Mitgliedschaften sein wird, möglichst alle Men-
zweiten Linie scheint dagegen gebunden ist, beispielsweise schen gleichermaßen zu betei-
der Übergang zur Wissensge- der zu wissenschaftlichen ligen und gleichwertige Le-
sellschaft auf. Unbestrittenes Zeitschriften an die Mitglied- bensverhältnisse herzustellen,
Kennzeichen der Wissensge- schaft zu einer Hochschule. und durch welche Gover-
sellschaft ist, dass Wissen Ist der Zugang dagegen offen, nance sie eingehegt werden
zum wichtigsten „Rohstoff“ muss er häufig mit der Über- sollte – diese Fragen können
wird. Entsprechend sind die lassung von Daten, also mit vermutlich nicht national be-
für die Gesellschaft typischen Informationen, „erkauft“ antwortet werden, sondern
Infrastrukturen darauf ausge- werden. verlangen Lösungen von über-
richtet, Wissen und Informati- geordneten Instanzen. Wenn
onen zugänglich zu machen Noch lässt sich kaum erschlie- Infrastrukturen als soziale
und deren Transfer zu ermög- ßen, in welche Richtung sich Ordnungsdienste wirken sol-
lichen. Die Wissens- und In- die durch die Infrastrukturen len, dann ist es jedoch erfor-
formationsinfrastrukturen der Wissensgesellschaft ge- derlich, sie absichtsvoll so zu
können prinzipiell überall förderte sozial-räumliche Ord- gestalten und zu regulieren,
und von allen genutzt werden, nung entwickeln wird. dass sie tatsächlich die Leis-
zudem überwinden sie auch tungen erbringen, die von ih-
die Restriktionen der Zeit- Die sozial-räumlich verein- nen gesellschaftlich erwartet
dimension, die für raumüber- heitlichende Kraft der Infra- und gewünscht werden.
brückende Infrastrukturen strukturen der wohlfahrts-
typisch sind. Ich kann E-Mails staatlichen Industriegesell- Literatur
von überall mit meiner Uni- schaft beruhte ganz wesent-
versitätsadresse verschicken, lich auf der Verschmelzung [1] Eva Barlösius (2019): Infrastrukturen
unabhängig davon, ob ich ge- von Staatlichkeit und Territo- als soziale Ordnungsdienste. Ein Bei-
rade an einer anderen Hoch- rium, einer territorialisierten trag zur Gesellschaftsdiagnose.
schule forsche oder am Strand Staatlichkeit. Diese vereinheit- Frankfurt/M.: Campus.
liege, und meine Nachricht lichende Wirkung setzte enor-
kommt beinahe in Echtzeit an. me soziale, kulturelle und po-
Unabhängig davon, ob ich litische Homogenisierungs-
meiner Kollegin im Neben- prozesse in Gang. Welche
raum ein PDF-Dokument schi- Konzeption sozial-räumlicher
cke oder dem Kollegen in den Ordnung überräumlichen Inf-
USA, beide erhalten es augen- rastrukturen inhärent ist,
blicklich. Als überräumliche stellt – soweit ich es überblicke
Infrastrukturen bezwingen – eine weitgehend offene Fra-
Wissens- und Informationsin- ge dar. Oftmals wird über sie
frastrukturen sowohl die Res- gesagt, dass sie zur „Aufhe-
triktionen der Raumdimensi- bung des Raums“ beitragen.
on wie auch der Zeitdimensi- Dies ist jedoch eine voreilige
on und ermöglichen einen Annahme, denn auch über-
ortsungebundenen Zugang. räumliche Infrastrukturen
Technisch gesehen ist in ihnen wirken verräumlichend, aller-

18

Die norddeutsche Art.

Freiraum für Leistung.

Für jeden guten Start
gibt es den richtigen Moment.

Mit Traineeprogramm, Praktikum oder Stipendium:
In der NORD/LB starten Sie immer in einem Berufsumfeld,
das in seiner Dynamik und seinem Leistungsumfang
beste Perspektiven eröffnet.

Weitere Infos unter: www.nordlb.de/traineeship
oder www.nordlb.de/praktikanten

S Finanzgruppe www.facebook.com/nordlb www.twitter.com/nord_lb

TRUST Leibniz Universität Hannover

Ungewisse Aussichten

Stadt-Land Migration in Zeiten von COVID-19

Im TRUST Cluster Migration und die Rolle bereits auf die schwerwiegen­ In Afrika haben trotz geringer
Risiko und Ungleichheit von Rücküberweisungen den Auswirkungen der Pan­ Fallzahlen viele Staaten sehr
demie auf Migrant*innen und schnell reagiert, um die Ver­
in Afrika, Asien und Zunächst ein kurzer Blick auf ihre Herkunftsländer hin. breitung des Coronavirus zu
Lateinamerika ist Migration die globalen Zahlen (Abb. 1): verlangsamen. Uganda hat be­
ein zentrales Thema, denn Die Internationale Organisati­ Die COVID-19 Pandemie, reits Anfang März Grenzkont­
Migration hat sehr viel mit on für Migration geht im Jahr Maßnahmen und Auswirkungen rollen eingeführt, und Einrei­
räumlicher Transformation 2017 von 258 Millionen inter­ auf internationale Migration sende aus Ländern mit mehr
nationalen Migrant*innen aus; als 100 bestätigten Fällen in
zu tun. dies entspricht etwa 3,4 Pro­ Zahlen der Weltgesundheits­ Quarantäne geschickt. Südaf­
zent der Weltbevölkerung. organisation zeigen, dass im rika hatte erst 400 bestätigte
Professorin Ulrike Grote Knapp zwei Drittel der inter­ Globalen Süden vor allem Fälle, als das Land in einen
vom Institut für Umwelt- nationalen Migrant*innen Lateinamerika, Indien und Lockdown ging, in Ruanda
ökonomik und Welthandel und sind Arbeitsmigrant*innen. Südafrika von der COVID­19 waren es sogar noch weniger.
Juniorprofessorin Kerstin Nolte Daneben gibt es weltweit etwa Pandemie stark betroffen sind; Viele Regierungen (zum Bei­
vom Institut für Wirtschafts- 756 Millionen Binnenmigran­ die Fallzahlen im restlichen spiel Nigeria, Kenia, Südafri­
und Kulturgeographie unter- t*innen, was ungefähr der Asien und Afrika bleiben bis­ ka, Uganda) haben in Cash­
suchen, wie sich Migrations- dreifachen Anzahl internat­ her vergleichsweise gering Transfer­Programme inves­
muster in Zeiten der COVID-19 ionaler Migrant*innen ent­ (Stand: August 2020). Da die tiert. In Südafrika, einem der
Pandemie ändern und welche spricht. Siehe dazu exemp­ Testkapazitäten in vielen Län­ größten Einwanderungslän­
Implikationen zu erwarten sind. larisch für Thailand und dern insbesondere Afrikas der Afrikas, wurden drasti­
Der Beitrag konzentriert sich Vietnam (Abb. 2). sehr gering sind, dürften die sche Maßnahmen zur Unter­
auf den Globalen Süden, tatsächlichen Fallzahlen aller­ bindung der Migration ergrif­
insbesondere Asien und Afrika. Rücküberweisungen, das dings deutlich höher liegen. fen. So wurden dort ein 40 km
heißt die Gelder, die Migran­ Zudem ist zu befürchten, dass langer Zaun an der Grenze zu
t*innen ihren Familien in ihre Armut, die vor allem in vielen Zimbabwe gezogen und Ge­
Herkunftsländer schicken, ha­ afrikanischen Ländern ein schäfte von Migrant*innen ge­
ben eine große wirtschaftliche großes Problem ist, zur weite­ schlossen; zudem wurde ein
Bedeutung. Die wichtigsten ren Verbreitung des Virus bei­ Alkoholverbot erlassen, um
Empfängerländer von Rück­ tragen wird. Die Maßnahmen soziale Konflikte zu vermei­
überweisungen waren 2019 gegen die Ausbreitung von den. Die Zunahme von Frem­
Indien und Mexiko gefolgt COVID­19 reichen von Grenz­ denhass, die sich gegen inter­
von den Philippinen und schließungen und ­kontrollen, nationale Migrant*innen rich­
Ägypten (Abb. 3). Weltweit Quarantänemaßnahmen für tet, ist allerdings nicht nur
übersteigen sie bei weitem die Einreisende bis hin zu Aus­ dort, sondern weltweit zu be­
öffentlichen Ausgaben der gangsbeschränkungen und obachten (zum Beispiel gegen
Entwicklungszusammenar­ Kontaktverboten und der Afrikaner*innen in China und
beit oder ausländische Direk­ Schaffung von Kapazitäten gegen Asiat*innen, vor allem
tinvestitionen, die diese Län­ für die Durchführung von Chines*innen, in anderen
der erhalten. Allerdings prog­ COVID­19 Tests. Darüber hin­ Ländern).
nostiziert die Weltbank, dass aus wurden häufig Soforthil­
aufgrund von zahlreichen Be­ fen (cash transfers) zur Exis­ Auch in Asien haben einige
schränkungen der Migration, tenzsicherung und Liquidi­ Länder (zum Beispiel Indien,
Rücküberweisungen in Folge tätshilfen für die Wirtschaft Vietnam) drastische Lock­
der COVID­19 Pandemie die­ gegeben, um den dauerhaften down­Maßnahmen ergriffen.
ses Jahr um 20 Prozent zu­ Verlust von Arbeitsplätzen Gleichzeitig haben viele Re­
rückgehen werden. Dies weist zu vermeiden. gierungen (zum Beispiel

20

TRUST Leibniz Universität Hannover

1

Thailand, Vietnam, Kambod­ laysia und Singapur. Mit dem aus ländlichen Regionen Abbildung 1
scha) Unterstützungsmaß­ Verlust des Arbeitsplatzes ha­ aufgrund des Wegfalls von
nahmen, wie Cash­Transfers ben sich viele Migrant*innen Arbeitsmöglichkeiten ver­ Herkunfts- und Zielregionen
an Kleinunternehmer*innen jedoch wieder auf den Weg in schlechtert, da die Industrien internationaler Migrant*innen
und arme Haushalte, einge­ ihre Herkunftsländer begeben ihre Arbeit zumindest tempo­ Quelle: Demokratiezentrum Wien
führt. In Südostasien ist Thai­ oder werden abgeschoben. rär eingestellt haben. Von den http://www.demokratiezentrum.org/
land Ziel von geschätzten 4 Shutdowns waren auch viele fileadmin/media/img/Migration_
bis 5 Millionen Arbeits­ Auswirkungen der COVID-19 Selbständige betroffen, die im Ausstellung/S3_Herkunfts_
migrant*innen aus Nachbar­ Pandemie auf Binnenmigration Dienstleistungssektor als ZielregionenInt.MigrantInnen.jpg
ländern wie Laos, Kambod­ Händler*innen oder Taxi­
scha und Myanmar; weitere Im Zuge der COVID­19 Pande­ unternehmer*innen tätig wa­
Hochburgen der Arbeitsmig­ mie hat sich in den Städten die ren, und viele Migrant*innen,
ration in der Region sind Ma­ Situation für Migrant*innen die in Küchen, Restaurants

Abbildung 2

Bedeutung von Binnenmigration

in Thailand und Vietnam

Quelle: Eigene Darstellung – Zahlen

entnommen aus Policy Briefs on

Internal Migration in Southeast Asia

http://bangkok.unesco.org/content/

policy-briefs-internal-migration-

2 southeast-asia (Thailand und
Vietnam)

21

TRUST Leibniz Universität Hannover

Abbildung 3 3

Wichtigste Empfängerländer
von Rücküberweisungen
(in Miliarden US Dollar) in 2019
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis
von World Bank Development Indica-
tors (Personal remittances, received
(current US$), 2019)

Abbildung 4 und Hotels oder in privaten ten Transfers von ihren ländli­ eine große Rolle. So zeigen ei­
In Südostasien ist das Tragen von Haushalten arbeiteten. Die chen Haushalten benötigen, gene Studien, dass ländliche
Mundschutz weit verbreitet – COVID­19 Pandemie hat um in der Stadt zu überleben Haushalte in Thailand und
auch unabhängig von COVID-19 Arbeitslosigkeit und Armut oder auf das Land zurückkeh­ Vietnam von den Rücküber­
Foto: Grote/Neubacher aber nicht nur aufgrund des ren zu können [2]. weisungen aus den Städten
sofortigen Verlusts an Be­ profitiert haben. Allerdings
4 schäftigung befördert, son­ In vielen Entwicklungslän­ funktioniert Migration nicht
dern auch weil mittelfristig dern war bisher rural­urbane immer als Weg aus der Armut.
keine Verbesserung der Be­ Migration eine Strategie, länd­ So hat sich in Tansania durch
schäftigungssituation in Städ­ liche Haushalte aus den Her­ Migration der Status der Er­
ten zu erwarten ist. Infolge­ kunftsregionen, die Schocks nährungssicherung ländlicher
dessen haben sich die Migrati­ wie Dürren, Überflutungen Migrant*innenhaushalte ver­
onsströme umgekehrt, das oder Krankheit erlitten haben schlechtert. Dieses Ergebnis
heißt, die Migrant*innen keh­ oder keine Arbeitsmöglichkei­ erklärt sich durch den Verlust
ren in ihre Dörfer zurück. ten finden, zu unterstützen. an Arbeitskräften, der zu
Dies gilt sogar für Rücküber­ Rücküberweisungen der einer geringeren landwirt­
weisungen und bedeutet, dass Migrant*innen spielen vor al­ schaftlichen Produktivität
Migrant*innen aus den Städ­ lem für ländliche Haushalte ländlicher Haushalte in Tan­
sania führt, die nicht durch
den Transfer von Überweisun­
gen ihrer jeweiligen Migran­
t*innen kompensiert werden
kann [1]. Welche Auswirkun­
gen sind nun aufgrund der
COVID­19 Pandemie auf die
ländlichen Regionen zu er­
warten?

Im Zuge der Pandemie ist die
Situation in den ländlichen
Regionen angespannt. Die
Rückkehr der Migrant*innen,
die das Angebot an Arbeits­
kräften steigern, aber auch
den Bedarf an Nahrungsmit­
teln, setzt die natürlichen Res­
sourcen in mehrfacher Hin­
sicht unter Druck. So ist mit­
telfristig mit einer Intensivie­
rung der Landwirtschaft und

22

TRUST Leibniz Universität Hannover
TRUST Leibniz Universität Hannover

der Extraktion natürlicher Kleintieren). So kann die Rück­ Die Rücküberweisungen von Literatur
Ressourcen (wie Fisch, Holz) kehr von Binnenmigran­ Migrant*innen werden in Fol­
zduerrEecxhtrnaeknti(osno ninatVüirelticnhaemr, tK*ilneinnetniermenit).vSieolfkäaltnignednieEnRtü­ ck­ DgeiestRaürkckeüinbberewcehiesnu.nDgeanmviton [L1i]teGrraotteu, Ur ., Dietrich, J., Ibendorf, J.,
TRhesasiolaunrdce).nIn(wAiefrFikisackhö, nHnotlez) wkeihckr lvuonngBsiimnnpeunlsmenigirmanl­ändli­ Menitgfärallnt tf*üinr nveienlewFearmdeinliein eFionl­e
dzuierseicnheniennig(esno iRneVgiioentneanmz,u ct*hinenneRnaummit eviinelhfäerltgigehenenE.nImt­ gweicshtatirgkeeEininbkreocmhmene.nDsaqmueitlle. Werthmann, C., Gabbert, W., Liefner, I.,
TeihnaeirlaAnuds)b. IrneitAufnrgikdaekröAngnrtear­ Ewrigcekblunnisgesrimgipbut slsicehn eiminelätniedf­li­ eInnwtfäielwlt efüitrsviciheleduFracmhidliieen eine [1] NGroolte, KU..,, ODniekternic,hH, .J,.S, cIbhelunrdmorafn, nJ.,,
fdliäecshiennefiünhigren R(zeugmionBeeniszpuiel cghreinfeRnaduemTreainnshfeorgmeahteinon. Idmörf­ wRüicchktwigaenEdienrkuonmg mdeernDsqrueclkle.
SeianmerbiAa)u.sMbriet idtuernIgndteenrsAivgirea­r­ ElicrghebrnGiseseerlglsibcht saifcths­euinedtWiefi­rt­ Ianuwf nieawtüeritliscihcehRdeusrscohudrcien er­ WT.,eSrcthmaiendne,rC, U., .G, Taubibtjeerrt,,LW., .W, Leiiecfhn-er, I.,
rfluänchgednerfüLharnednw(zirutmschBaefitspbiee­l gscrheiaffetnssdteruTkratunrsefonr.mAallteiordnidngörsf­ RhöühceknwuandeKrulinmgad­ eurnDdrUucmk­ Ngroelbte, KD., (O2n01ke9n).,MH.i,gSracthilounrmunandnr,äum-
zSiaemhubinag).sMweitisdeedr eIrntAeunsbivrieei­ lisictheeinr eGseosleclhlsecEhnafttws­icuknludnWg irt­ awuefltnpartoübrlleicmhee vReerssscohuärrcfen er­ lTi.c, hSechTrmainesdfeorr,mUa.,tTiounit.jeThr,eLo.,reWtiesicchhe- An-
trung der FLlaäncdhwenirktsacnhnaeftsbzeu­m kscehinafAtsustorumkattuisrmenu. sAullnedrdsientgzst hwöehrdenenuondeKr loibmnae­ uuendEnUt­m­ gsärtezbee,,eDm. p(2ir0i1sc9h).eMEirgkreantniotnisusned, irnä-um-
ezienheunnzgusweieniesrewdeirteArugsebhreeni­ eisitneginewe sisoslcehseKEnnotww­iHckolwunugnd weicltkpluronbglseimmepvuelsrescehnätrsfteenhen, ltiecrhdeisTzriapnlisnfäorremPaetriospne. kTthiveeonre. tLiesicbhneizAn-
dtuengDdeegrrFadläicehruengkadnenr Beösdzeunm kgeüinnsAtiguetoimnsattitisumtiouns eullnedRsaehtz­ t weirrddeimn oZdeenrtorubmnekuüenEfntitg­er Fsäotrzsec,heumngpsirziesnchtreuEmrkTeRnUnStnT.isTsReU, iSnT--
ekionmenmzeun euinderzwumeitearngdeehreenn­ist eminengbeewdiisnsgeus nKgneonww­HieoZwuuganndg Fwoircskclhuunnggsismtephuelnse, zeunmtstBeheie­n, Stecrhdriisfztiepnlirneäihre .PDeirsskpueskstioivnesnp.aLpeiiebrnNizr.
dzuenerDweagrrtaedni,edruasnsgRdeegreBlnöddeens gzuünMstäirgketeinnsutintudtiAognreallreinRpauht­s swpiiredl im RZaehnmtruenmdkeüsnDftFiGge­r F1o/2r0sc1h9u. nHgasnzneonvterur.m74TRSU. ShTt.tTpRs:U//SdTo-i.
kZoumgamnegns zuundnaztuümrliachnednerReensi­st mvoernaubes.dingungen wie Zugang fFionrasnchziuenrtgensteLhaenng,zzeuitmprBojeeik­ ts oScrgh/r1if0t.e1n5r4e8ih8e/5. 2D1i2skussionspapier Nr.
zsouuerrcwenarutemng, adnagsesnRwegeerldnedne. s zu Märkten und Agrarinputs ‚sPpoievleirmt y Rdayhnmamenicds easnDdFsGus­ tai­ [2] 1W/2a0ib1e9l,. Ha.,nGnroovter,.U7.4, MS.inh, tSt.p,sT:/.T/d. oi.
ZDuagmaint gwsezrudennatdüireliRcehcehnteRveso­n vStoarrakusb.etroffen von der Pande­ nfianbalnezdiervteelnopLmanegnzt:eAitploronjge­kts oNrggu/1y0en.15u4n8d8S/5. P21ra2neetvatakul (2020).
Msoeunrcsechneunmbgeadnroghent, wdieerüdbener. mie ist letztlich auch die Tou­ t‚Peromveprtayndelypnraomjeicts iannTdhsauislatanid­ [2] WCOaVibIDel-,1H9.,inGrtohtee,GUre.,aMteirnM, Se.k,oTn.Tg.
iDnafomrimt welelerdReengedline ZRuecghatnegvzoun Sritsamrkubsbertraonfcfhene uvonnd daellrePdaanmdiet­ annabdleVdieetvnealmop, m20e1n5t:­ A20l2o4n‘g­ SNugburyeegniounn:dhoSw. Preasnielietnvtaatraekurul r(a2l020).
LMaenndscuhnednabnedderroehnt,ndaiteüürlbi­er mveirefliosct hlettezntelinchSearuvcihcedleieisTtuonu­ t(werwmwp.aTnVeSl pErPo.djeec)t. in Thailand hCoOuVsIeDh-o1l9dsin? FthoeodGrSeeactuerritMy e1k2o,npgp.779–
cinhfeonrmResllseoRurecgeenlnhZabuegna,nwg izeu griesnm(usosbzruamnchBeeiuspndielaTllreadnas­mit and Vietnam, 2015 ­ 2024‘ 7Su82br(e2g0i2o0n):.hhotwtprse:/s/idlioein.otragr/e10ru.1r0a0l 7/
iLnanwdeiutenndTaenildeenreAnfrniaktaüsrvlie­ r­ pveorrftl,oWchiltdenheünteSr)e.rBveicisepleiiesltsu­ n­ (www.TVSEP.de). hs1o2u5s7e1h-o0ld2s0?-F0o10od69S-e0curity 12, pp.779–
bchreeinteRt.essourcen haben, wie wgeenis(esoisztudmie BNeaicshpiferal gTerannasc­h 782 (2020). https://doi.org/10.1007/
in weiten Teilen Afrikas ver­ Spaofrat,riW­Tioludrhiüsmteru)s. Bineidspenielasf­ri­ Prof. Dr. Ulrike Grote s12571-020-01069-0
Gbreeniteerte. ll ist die Resilienz in wkaenisisecihset ndiLeäNnadcehrnfra(ignesbneascohn­ leitet seit 2006 das Institut für
den ländlichen Regionen auf­ SdaefraerSi­üTdoaufrriiskmau, Ks einnidae, nabaefri­ Prof. Dr. Kerstin Nolte
gGreunnedredlleirsut dntierRberosiclhieennzenin akuacnhisTchanensaLnäianduenrdn S(ianmsbbeias)on­ ProUf.mDwre. lUtölkroikneomGirkoutend Welthan- ist seit 2018 Juniorprofessorin
WdeenrtlsäcnhdölpicfhuenngRskeegtitoennegneafäuhf­r­ pdrearektSisücdhafzruikma,EKrleiengiae,nagbe­r ldeeitl eatnsdeietr2W00ir6tsdcahsafIntsswtiitsustenfü-r
gdreut:nSdo disetrduenrtZerubgraonchgeznuenDün­ kauocmhmTean,swanoidauurncdh aSuamchbdiai)e UscmhawfetlticöhkeonnoFmakiuklutäntd. SWieelitshtan- Proffü.rDerm. pKierirsscthine WNiortltsechaftsgeo-
Wgeemrtisttcehlönp, Pfuenstgiszkideettnenungdefähr­ lpärnadklticshchenzuRmegiEornlieengeennogrem­ e dVeolrsatnanddesrmWitirgtlisecdhadfets wFoisrs-en- igsrtaspehitie2a0m18InJustniitourtpfrüorfeWssiortr-in
dSaeat:tgSuotiswt edgeernZLuigeafenrgsczhuwDieü­n­ kEoinmkmomenm, ewnosdeuinrbcuhßaeuncherdleiei­ schuafntglisczheenntrFuamkuslTtRätU. SSTie. Visotn fsüchr aefmtsp-iruisncdheKuWltiurtrsgcehoagfrtaspgheioe-
griegmkeititelnne, rPsecshtwizeidrte,nwuansdsich dläennd. lDiciheesnerRReügciokngaengendoersme V2o01rs6t-a2n0d2s0mwitgarliesdiedBeesirFäotrin- im ganradpehrieNaamturInwsitsisteuntsfcühraWftilrict-hen
Snaeagtagtuivt awuefgdeine LEiretfreärgsechinwdiee­r EToinukroismmmusengseehitnmbuitßdeenmerAleni­­ sWchBuGnUg(sWzeinstsreunmscshTaRftUliScTh.eVroBnei- sFcahkaufltäs-t. uSnied iKstuMltuitrgleieodgriamphie
rLiagnkdewiteinrtsecrshcahfwt aeurst,wwiraksesnich sdteieng. DdeiersWeriRldüecrkegi aeninghdeer,sda 2ra0t1d6e-2r 0B2u0ndweasresgieieBrueinrgätGinloimbale aGnlodbearl NLaantudrPwriosgsernamscmhaeftulnicdheimn
nkaegnant.ivDaieusfidstieinEsrbteräsgoendinerdeeirn TFaomuriilsimenuasugsedhetrmNitodt ehmeraAuns­ UWmBwGUelt(vWeirsäsnednesrcuhnagftelnic)h. IehrrBeei- Faokrsuclthäutn. gSsiezeinsttrMumitgTliReUdSimT. Ihre
LdearndinwteinrtssicvheanftLaunsdwwiirrktescnhaft WstiielgdtdieerreWeniltdweeredieerifnühredr,edna FraotrsdcehruBnugnsdbesrereicghieruliengeGnloinbale FGolorsbcahluLnagndbePsrcohgärfatmigmt esicuhndmiimt
kinanAns.ieDnieesinisPt rionbsbleemso. nAduecrhe isnt FEaigmenilbieendaurfsoddeerrNfüort dhernaluusk­ dUemrwUemltwverltä-nudnerduEnngtewni)c. kIhlurnegs- dFoenrscsohzuinogöskzoennotmruimschTeRnUSFoT.lgIherne
der iknotmenmsievreznieLllaenVdewrkiratuscf hvaofnt rWatiilvdetinerielleegnatwlenedWerilfdühradnednel Fforschung smbeitreFiockhuesliaeugfeSnüidn- FgolorbscahleurnUgmbweseclhtväefrtäigntdseircuhnmgeitn
iAngArasriepnroedinukPtreonbelermsc.hAwuecrht. ist Etöitgeenn.bedarf oder für den luk­ doestraUsimenwuelntd- uAnfrdikEanutwndickulmunfags- udennd sGolzoiboaölkisoienroumnigs.cShieenhFaotlgsiecnh
dSoerisktoimn mKenrziaiedllieeVNearckhaufrfavgoen rativen illegalen Wildhandel fsoenrscThuemngenmwitieFoZkeurstiafiuzfieSrüund-g ignlosbbeasleornUdemrewmeltitvegräonßdfleärcuhnigenm
AungdraPrrpordouduktkitoennveornscvhewrderetr.b­ Ftöatzeitn. uonstdasHieannduenld, MAifgrrikaatioundoduemrfas- uLannddGerlowbearlbisbieersucnhgä.fStigethuant dsich
SliochisetminFKriescnhiagedmieüNseacuhnfdrage AsegnraTrhpeomliteink.wKioenZtearktti:figzrieortuen@g iwnasbr ezsuoFnodresrcehmunitgsgaruoßfefnlätchhailgtenm
uFrnidscPhrboludmuketniofnürvodnenveErxdpeorrbt­ SFaezlbitst wenn die Resilienz in iuunwd.uHnain-hdaenl,nMovigerra.dtieon oder LinanMdaelriw, Searmb bieascuhnädftKigent iuan. d
lnicahchemEuFrroispcahsgteamrküesienugenbdro­ vielen asiatischen und afrika­ Agrarpolitik. Kontakt: grote@ wKoanr tzauktF:[email protected]
Fchriesnc.hIbnluKmaemnefrüurndgeinlt Edxiepsort Sneislbchstewn eLnänddeirenRaeusiflgierunnzdin iuw.uni-hannover.de ihnanMnaoliv,eSr.admebia und Kenia.
nfüarchdeEnureogpiaonstaalrekneAinbgseabtzrov­on dvieerlelannagsjiäahtirsicghenenEurfnadhraufrnigkean­ Kontakt: [email protected]
cThoemna.tIennKinamWeersut­nugnidlt Zdieenstral­ mniistcShcehnoLcäkns dweirenÜaubefgrsrcuhnwdem­ hannover.de
afüfrrikdae.n regionalen Absatz von mdeurnlagnengjoähdreirgKenraEnrkfahherituengen
Tomaten in West­ und Zentral­ (mwiiteSEchbolcaksinwAiefrÜikbae)raslcshrweleam­ ­
Aaflrliekrad.ings ist auch denkbar, tmivuhnogcehn eoidnegreKscrhaäntkzht ewitiernd,
dass sich die landwirtschaftli­ (fwühiertEdbioelaCiOnVAIDfr­i1k9a)Palnsdreemlai­e
cAhlelePrdroindguskitsitonauicnhfodlgeenkdbearr, taiuvchhodcohret iznugeräscuhmältizcthwenird,
sdtaesigs esnicdhendiVe elarfnüdgwbairrtkseciht aafntli­ fTürahnrtsfdoiremCaOtiVonIDen­1u9 nPdanndeeumenie
AchrebePirtoskdruäkfteionneirnhföohlgt eoder aMuicghradtoiornt szmu uräsutemrnli.cVhieenle in­
steäirgkeenrddeinveVrseirffiüzgiebratruknedit naneue TterrannastfioornmalaetiMonigenraunnt*dinnneeunen
lAarnbdewitsirktrsäcfhtaefntleicrhöehEtiondkeorm­ gMeihgernatiimonZsmuguestdeersn.VVerielulestisn­
mstäernkseqrudeilvleenrseifriszciherlotsusnedn wneeure­ tdeersnAatriboneiatsleplMatizgersanztu*rinücnkenin
ldaennd(wwiiretsEcihnakfotlmicmheeEnianuksoTmie­ r­ giherheeHn eimimZautlgäenddeers. VInenrleurstsaat­
hmaelntusnqgu,eHlleanusegrsäcrhtelons, sFeinscwh­er­ dlicehs eALrbaenidts­SptladtzteMs zigurraütcioknisn­
fdaenng(,wHioelEzeininksocmhlmage,nSaaumsmTieelrn­ sihtrröemHeekimehartelännsdiecrh. aInkntueerslltainat­
vhoanltuBneger, eHnauunsgdäIrntesnek, tFeinscohd­ er Slitcahdet­LLaanndd­SMtaidgrtaMtioignrautmio.ns­
fang, Holzeinschlag, Sammeln ströme kehren sich aktuell in
von Beeren und Insekten oder Stadt­Land Migration um.

23

TRUST Leibniz Universität Hannover

Ungleich verwundbar

Erkenntnisse aus den Steilhängen des Valle de Aburrá

„Wenn Du hier in der Stadt
ankommst hast Du nichts.
Da bleibt Dir nichts anderes
übrig als in die Hänge zu
ziehen. Natürlich gibt es
da Erdrutsche, aber wir haben
keine Möglichkeit woanders

zu wohnen.“

Enfren,
Tagelöhner in Medellín,

Kolumbien

1

Abbildung 1 Wir sitzen an einem Nachmit­ etwa 450 Menschen das Le­ allergefährlichsten Lagen um­
tag mit Enfren G. in dem stau­ ben. Die Stadt sorgt sich um gesiedelt. Doch sind diese Um­
Über 240.000 Menschen leben bigen Quartier einer kleinen dieses Problem und hat seit siedlungen kostspielig und
in Medellín in prekären Steil­ NGO (Nichtregierungsorgani­ Jahrzehnten in ihren Bebau­ nicht immer mit der Einwilli­
hängen. In den selbstgebauten sation) in Medellín. Enfren ist ungsplänen die gefährlichen gung der Bürger. Außerdem
Siedlungen arbeiten Bewohner ein Tagelöhner mit unstetem Steilhänge im Nordosten der fehlt es an sicheren und be­
regelmäßig zusammen, um minimalen Einkommen. Er ist Stadt als unbebaubar klassifi­ zahlbaren Baulagen in dem
gemeinsame Infrastrukturen vor einigen Jahren vor dem ziert. Doch 50 Jahre Bürger­ eindrucksvollen Aburrá Tal.
wie Wege instand zu halten. Bürgerkrieg vom Land in die krieg und ein stetiger An­ Medellín ist in den letzten
Copyright: Marcus Hanke, Stadt geflüchtet. In den Steil­ drang von Flüchtlingen mach­ Jahrzehnten zu einer Metropo­
Fachgebiet Landschaftsarchitektur hängen der Stadt hat er dann te diese Position unhaltbar. le von 2,8 Millionen Einwoh­
und Entwerfen, LUH sein eigenes Haus gebaut. Er Aus Mangel an bezahlbarem nern angewachsen. Die be­
ist einer von circa 240.000 Wohnraum bauten sich die grenzte geographische Lage in
Menschen mit geringem Ein­ Flüchtlinge mit viel Mühe ihre den Ausläufern der Anden zu­
kommen in Medellín, die in eigenen Häuser in den freien sammen mit dem Wachstums­
erdrutschgefährdeten Hängen Nordosthängen. Heute woh­ druck erschwert die Auswei­
wohnen. In den letzten 80 Jah­ nen Hunderttausende dort. sung von bezahlbarem Bau­
ren sind circa 850 Menschen Die Stadt nimmt ihr Vorsorge­ land. Die Stadt weiß, dass sie
in der Stadt von Erdrutschen prinzip ernst und hat in den nicht 240.000 Menschen aus
verschüttet worden. Der letzten Jahrzehnten immer erdrutschgefährdeten Lagen
schlimmste Erdrutsch kostete wieder Menschen aus den umsiedeln kann. Was nun?

24

TRUST Leibniz Universität Hannover

Medellín steht mit diesem immer mehr Menschen der neben Industrieflächen in
Problem nicht alleine da. Ob sogenannten „absoluten Ar­ weniger bevorzugten oder
es Erdrutsche oder Überflu­ mut“ entrinnen konnten, so risikobehafteten Lagen wie
tungen, Dürre oder Feuer leben doch noch knapp 1 von zum Beispiel Schwemmflä­
sind, die Städte der Zukunft 4 Milliarden Menschen in chen oder Steilhängen liegen.
werden größeren Risiken mit Städten, die die UN als Diese Lagen (aber nicht nur
gleichzeitig geringeren räum­ „Slums“ bezeichnet (ein Be­ diese) werden bevorzugt von
lichen Ausweichmöglichkei­ griff, der wegen seiner ab­ (Un)Naturkatastrophen heim­
ten ausgesetzt sein. Im Mo­ schätzigen Wertung um­ gesucht.
ment sehen wir einen gefähr­ stritten ist).
lichen Cocktail von sich ge­ Nimmt man dazu die global Abbildung 2
genseitig verstärkenden Es ist davon auszugehen, projizierten Wanderungsbe­
Tendenzen, die heftige Kaska­ dass die massiven Verstädte­ wegungen ausgelöst durch die Als Teil eines Risikoworkshops
deneffekte auslösen können. rungsbewegungen, die in den Klimakrise gepaart mit poten­ von Inform@Risk installieren
kommenden Jahrzehnten vor ziell welterschütternden Er­ Bürger­ und Experten simple
Seit vielen Jahren erleben wir allem in Asien und Afrika eignissen wie die derzeitige Gerätschaften zur Messung von
die größte Verstädterungswel­ ablaufen werden, in den Pandemie, so ist unschwer zu Hangbewegungen.
le der Menschheit, während wenigsten Fällen in eine ge­ erkennen, dass sich die jahr­ Copyright: Carolina Garcia,
sich unser Klima verändert ordnete und geplante Bebau­ zehntelangen Herausforde­ Team Inform@Risk

23

und uns ungekannte Naturka­ ung von sicheren Baulagen rungen Medellíns in Zukunft Abbildung 3
tastrophen beschert. Der Be­ münden wird. Es ist eher da­ an vielen Orten der Welt­
griff „Naturkatastrophen“ ist von auszugehen, dass der verstädterung wiederholen Experten des Teams Inform@Risk
übrigens nicht treffend, denn Großteil der zukünftigen werden. Diese Stadt, die von zeigen den Kindern einer Grund­
der Großteil der Risiken ist Städte ein Abbild der zuneh­ massivem Wachstum, von schule im Untersuchungsgebiet
menschgemacht. So sprechen menden Ungleichheit und Ge­ großer Ungleichheit, Gewalt erste Ergebnisse des Forschungs­
schon manche Experten wie fährdungen sein wird. Es ist und einem Andrang von projektes.
Janet Abramovitz seit einiger eine weitere urbane Verinse­ Flüchtlingen und (Un)Natur­ Copyright: Lisa Seiler,
Zeit von „Unnaturkatastro­ lung zu erwarten, wie sie katastrophen gebeutelt wurde Team Inform@Risk
phen“ („unnatural disasters“). schon heute in vielen Städten und wird, ist nicht ein Ex­
Erschwerend hinzu kommt existiert. In gut erschlossenen trembeispiel der Vergangen­
die wachsende Ungleichheit und als sicher eingeschätzten heit, sondern zeigt eine Zu­
auf unserem Planeten. Wie Lagen werden sich gehobene kunft, die vielen noch bevor­
prominente Ökonomen wie Businessviertel neben abge­ steht. Es lohnt sich als
Thomas Piketty für Europa riegelten Wohnvierteln der Landschaftsarchitekt*in,
und USA beispielhaft gezeigt oberen und mittleren Klassen Stadtplaner*in oder Archi­
haben, hat sich die Schere befinden; die bescheideneren tekt*in diese Stadt zu studie­
zwischen Arm und Reich in und zumeist in Eigenbau er­ ren, um etwas für den planeri­
den letzten 50 Jahren kontinu­ richteten Wohnbereiche der schen Umgang mit den wach­
ierlich geöffnet. Obwohl in Überzahl der Geringverdie­ senden Städten der Zukunft
den vergangenen Jahrzehnten nenden werden weiterhin zu lernen.

25

TRUST Leibniz Universität Hannover

Das Besondere an Medellín ist Berufsperspektiven für die und sozialer Ungleichheit ent­
nämlich, dass die Stadt inno­ jungen Bewohner*innen; ein steht derzeit ein vielverspre­
vative Konzepte entwickelt Netz von neuen öffentlichen chendes Forschungsfeld der
hat, um mit ihren Problemen Freiräumen durchzieht die urbanen Risiken, das nicht
umzugehen. In den letzten selbstgebauten Viertel. Viel mehr von Risikoforschern*in­
20 Jahren wurde viel für die wurde über den Phönix aus nen allein abgedeckt werden
Bürger*innen in den benach­ der Asche geschrieben, große kann. Die Herausforderungen
teiligten Vierteln getan. Be­ Fortschritte wurden gemacht. sind so komplex und so immi­
sonders eine integrierte Her­ Doch die Stadt ist noch weit nent, dass nur in der Vernet­
angehensweise genannt „Ur­ entfernt von einer egalitären zung von unterschiedlichen
banismo Social“, die bauliche Gesellschaft. Zu groß ist noch Experten mit Laienwissen
mit sozialen Maßnahmen eng die Kluft zwischen Arm und Fortschritt erzielt werden
verbindet, hat Medellín den Reich. Was trotz aller Innova­ kann. Kontextuelles Wissen,

Abbildung 4 4

Neben Warnsystemen gegen
Erdrutsche müssen partizipative
Wiederaufforstungsprojekte in
den Siedlungsgebieten entwickelt
werden, um das Hangrutsch­
risiko zu mildern.
Copyright: 3D-Modellierung Joseph
Claghorn, Fachgebiet Landschafts-
architektur und Entwerfen, LUH

Titel „Innovativste Stadt der tionen weiterhin auf der Stre­ also Erkenntnis, die nur für
Welt“ im Jahr 2013 einge­ cke blieb, ist auch das Erd­ einen gewissen Raum zutrifft,
bracht. Scharen von Bewunde­ rutschrisiko. Tatsächlich wird zunehmend wichtiger,
rern kommen inzwischen von nahm es zu, denn die selbst­ um als Wissensbasis für er­
überall her. Skigondeln er­ gebauten Siedlungen wachsen folgreiche räumliche Transfor­
schließen die schwer zugängi­ weiter in den Steilhängen. mation dieser Orte zu dienen.
gen Steilhänge; moderne Bil­ Im allgemeinen Wissen­
dungseinrichtungen gleichen In dem Spannungsdreieck schaftsbetrieb ist es nötig,
die Unterversorgung an Schu­ schnell wachsender Städte, diesem nicht übertragbaren,
len aus und öffnen erweiterte Auswirkungen der Klimakrise kontextuellen Wissen und

26

TRUST Leibniz Universität Hannover

dem daraus folgendem Trans­ nicht als die Entwickler von Weiterführende
formationswissen eine größere Warnsystemen. Informationen unter:
Bedeutung zuzuschreiben und https://www.bmbf-client.de/
es nicht niederstufiger als das Für uns, als Interne, ist es je­ projekte/informrisk
Grundlagenwissen einzuord­ doch eine logische Weiterent­ https://www.instagram.com/
nen. Die raumuntersuchenden wicklung der Profession ange­ informatrisk/
und transformierenden Diszi­ sichts der oben beschriebenen
plinen wie Landschaftsarchi­ weltweiten Herausforderun­ Prof. Dipl.-Ing.
tektur, Architektur, Stadt­ und gen. Die Landschaftsarchitek­ Christian Werthmann
Umweltplanung können sich tur war immer eine Quer­
an dieser Wissensproduktion schnittsdisziplin zwischen Jahrgang 1964, ist Professor
entscheidend beteiligen und Natur­, Kultur­ und Ingeni­ am Institut für Landschafts­
müssen dabei neue Hand­ eurswissenschaften. Die Dis­ architektur der Leibniz Uni­
lungsinstrumente entwickeln. ziplin versteht etwas von versität Hannover. Sein For­
Zum Beispiel sollten traditio­ Pflanzen, Tieren und Men­ schungsschwerpunkt ist die
nelle Steuerungsinstrumente schen. Sie ist nicht rein unter­ Entwicklung von resilienten
wie Bebauungs­ und Master­ suchend, sondern transfor­ Freiräumen in städtischen
pläne neu überdacht werden, mierend auf die Zukunft aus­ Risikogebieten. Momentan be­
um in den rapiden und unbe­ gerichtet. Sie interessiert sich schäftigt er sich mit der Ent­
rechenbaren Prozessen wirk­ weniger für absolutes Wissen wicklung von landschaftsar­
sam bleiben zu können. Doch als für relationales Wissen chitektonischen Strategien in
auch neue Felder, die traditio­ und damit dafür, wie die be­ den erdrutschgefährdeten
nell anderen Disziplinen wie obachteten Raumphänomene Berghängen rund um die Stadt
der Risikoforschung zugeord­ zusammenhängen, sich ge­ Medellín in Kolumbien.
net waren, müssen betreten genseitig beeinflussen und Kontakt: werthmann@ila.
werden. weiterentwickelt werden kön­ uni­hannover.de
nen. Ihre Arbeiten hingen im­
Im Falle Medellín ist das Fach­ mer eng mit den Risikozonen
gebiet Landschaftsarchitektur der Stadt zusammen. Viele be­
und Entwerfen der Leibniz rühmte städtische Parks lie­
Universität Hannover seit 2012 gen in unbebaubaren und ehe­
dabei, sich in verschiedenen mals unwirtlichen Flächen
Studien mit den erdrutschge­ wie Überschwemmungs­
fährdeten Hängen und seinen gebieten oder Steilhängen.
Bewohnern*innen auseinan­ Man denke nur an den Geor­
derzusetzen. Aus diesen Stu­ gengarten in der Leineaue in
dien resultierte das trans­ und Hannover, den Englischen
interdisziplinäres Forschungs­ Garten in den Münchner Isar­
projekt Inform@Risk, das un­ auen, den Bergpark Wilhelms­
ser Team seit 2019 leitet und höhe in den Steilhängen Kas­
welches vom BMBF (Bundes­ sels. Auch damals hatte man
ministerium für Bildung und Wege gefunden mit den jewei­
Forschung) gefördert wird. ligen Risiken umzugehen.
Das Ziel ist es, ein sozial und
räumlich integriertes Warn­ Wenn diese Disziplin heute in
system für Erdrutsche in Me­ den rauen Verstädterungszo­
dellín zu entwickeln. Warum nen der Welt arbeitet, dann
ausgerechnet Landschafts­ können nicht die Risiken der
architekten*innen ein Projekt Bewohnenden ausgeblendet
leiten, in dem sich Geologen, werden und sich nur auf die
Geoingenieure, Geographen, Entwicklung von erholsamen
Stadtplaner, Architekten, Grünräumen konzentriert
Stadtbehörden, Firmen, Nicht­ werden. Diese können in we­
Regierungsorganisationen, nigen Sekunden vernichtet
Bürger­ und Bürgerverbände werden. Uns, als wissen­
vereinen, ist ohne Erklärung schaftliche Repräsentante­
für den Außenstehenden nicht n*innen der Landschaftsarchi­
so leicht nachzuvollziehen. tektur treibt eher die Frage
Werden doch Landschafts­ um, wie die Stadt der Zukunft
architekten*innen traditionell besser und gerechter mit den
als die Gestalter des Grüns in unausweichlichen Risiken
der Stadt wahrgenommen und leben kann.

27

TRUST Leibniz Universität Hannover

Innovations(t)räume

Wirtschaftsgeographische Forschung zu Innovationen im Raum

Die Art und Häufigkeit der Es ist der Traum jedes Wirt­ staatlicher Politik (Militär­ kenntnisse in raumsensible
Innovationen von Unternehmen, schaftsförderers: das Silicon ausgaben, NASA) –, die im Förderprogramme um (zum
Forschungseinrichtungen und Valley in Kalifornien als die Silicon Valley für die Genese Beispiel die Smart Specialisa­
Hightech Region weltweit, oft und sein später explosions­ tion Strategie der EU oder das
Beschäftigten differieren kopiert, aber nie erreicht. Hier artiges Wachstum verantwort­ frühere Innoregio­Programm
zwischen Regionen erheblich, konzentrieren sich viele der lich waren: Entrepreneurship des Bundes).
innovativsten Unternehmen, sowie die Generierung und
auch in Deutschland. Wirtschaftszweige und Be­ Kommerzialisierung neuen Zwischen der Theorie als Er­
Der Beitrag fasst erste schäftigte, und zwar seit mitt­ Wissens (Stanford Universi­ klärung ökonomischer Raum­
Ergebnisse des InDUI-Projekts lerweile mehreren Technolo­ ty!). Auch wenn explizite systeme und der Politik als
am Institut für Wirtschafts- giewellen: Beginnend mit dem staatliche Politik im Silicon Gestaltung solcher Raumsys­
und Kulturgeographie dort von Bill Shockley in den Valley keinerlei Rolle spielt teme platziert der in der Wirt­
zusammen, einem vom 1950ern von der Invention zur und spielte, interpretier(t)en schaftsgeographie der Leibniz
Bundesministerium für Bildung Innovation veredelten Transis­ viele Wirtschaftspolitiker, ins­ Universität Hannover in den
und Forschung (BMBF) tor, der den wesentlichen besondere außerhalb der USA, 1970er Jahren entwickelte
geförderten Forschungsverbund Technologieimpuls für die das Phänomen als wiederhol­ raumwirtschaftliche Ansatz
der Universitäten Jena, lokale Halbleiterbranche lie­ und imitierbar, um Wachstum die empirische Forschung.
Göttingen und Hannover zur ferte, bis zu globalen Playern ihrer Regionalökonomien Auf Innovationen bezogen
Entwicklung von Indikatoren der Plattformökonomie, von zu befördern. Neben viel Fal­ bedeutet dies unter anderem,
zur Messung von regionaler denen mit Google, Facebook, schem ist daran richtig, dass geeignete Indikatoren zu ent­
Innovationsintensität. Apple, Yahoo, Mozilla, Netflix Innovationen, wenn sie zeit­ wickeln, um Innovationsart
und Ebay mehrere der um­ lich und räumlich konzent­ und ­intensität interregional
Professor Sternberg vom satzstärksten ihr Headquarter riert auftreten, ein erhebliches vergleichend mittels geeigne­
Institut für Wirtschafts- im nur 200 Quadratkilometer Potenzial zur Transformation ter Maßzahlen zu erfassen.
und Kulturgeographie gibt kleinen Silicon Valley haben. regionaler Ökonomien be­ Traditionell dominierten Indi­
Und: Das Ganze begann in sitzen. katoren des STI­Modus, der
einen Einblick. einer bis dato von Obstplanta­ von einem linearen Innovati­
gen geprägten Landschaft, Heute weiß die wirtschafts­ onsprozess (Science­Technolo­
also ohne jegliche industrielle geographische Innovations­ gy­Innovation) ausgeht und
Vorgeschichte. Zu den weit forschung: Weder die Entste­ für Großunternehmen mit
verbreiteten Irrtümern der hung noch die Diffusion von eigenen Forschungs­ und Ent­
ersten Phase der globalen Ver­ Innovationen sind raumneut­ wicklungsabteilungen (FuE­
suche, das Silicon Valley zu ral, sondern sie begünstigen Abteilung) oft charakteristisch
imitieren, gehört die Annah­ bestimmte Regionen und neu­ ist, auch heute noch. Das
me, dass diese Art Hightech es Wissen ist wichtigster Input Innovationsvolumen vieler
auf Unternehmen und Tech­ wie auch Output dieses raum­ Volks­ und Regionalwirt­
nologien basiere, die überall zeitlichen Prozesses. Entspre­ schaften würde allerdings sig­
entstehen könnten, da sie kei­ chende regionalökonomische nifikant unterschätzt, falls die
nerlei klassischer Standortfak­ oder wirtschaftsgeographi­ anders innovierenden Kleinen
toren wie Rohstoffnähe, Ver­ sche Theorien (wie zum Bei­ und Mittelgroßen Unterneh­
kehrsanbindung oder nied­ spiel industrielle Entwick­ men (KMU) ignoriert würden
riger Löhne bedürften (sie lungspfade, regionale Innova­ – sie bilden den „Mittelstand“,
seien „footloose“). Tatsächlich tionssysteme oder Wissens­ das Rückgrat auch der deut­
waren und sind es nur andere spillover) vermögen dies zu schen Volkswirtschaft. KMU
Standorteigenschaften – ne­ erklären, und in der Folge ent­ haben in der Regel keine eige­
ben dem Faktor Zufall und wickelte innovationspolitische ne FuE­Abteilung, sondern
nicht­intendierten Effekte Strategien setzen diese Er­ innovieren und lernen eher

28

TRUST Leibniz Universität Hannover

im DUI­Modus, das heißt über Abbildung 1
Doing­Using­Interacting (Abb.
1). Sie unterscheiden sich auch Wissensbasis „symbolisches
hinsichtlich der ihren Innova­
tionen zugrundeliegenden Wissen“ in den deutschen
Wissensbasen häufig von
Großunternehmen. Der Diffe­ Raumordnungsregionen 2017
renzierung in analytisches Datenbasis: Bundesagentur für Arbeit
Wissen (basiert eher auf wis­
senschaftlichen Erkenntnissen 1 2017, eig. Berechnungen Bennat/
und formalisierten Modellen, Sternberg 2020
zum Beispiel Genetik), synthe­
tisches Wissen (Neukombina­ Abbildung 2
tion vorhandenen Wissens
und Lösung praktischer Prob­ Dimensionen des Lernens
leme, wie zum Beispiel im
Maschinenbau) und symboli­ 2 im DUI-Mode
sches Wissen (wie zum Bei­ Quelle: Alhusen et al. 2020
spiel im Kreativwirtschafts­
sektor oder der Kulturbran­
che) folgend, lässt sich ein spe­
zifisches räumliches Muster
jeder dieser Wissensbasen in
Deutschland erkennen, das re­
gionale Innovationsprozesse
beeinflusst. Unter Verwen­
dung berufsspezifischer Tä­
tigkeitsmerkmale und der Zu­
ordnung von Berufen zu Wirt­
schaftszweigen lässt sich da­
her zeigen, dass symbolisches
Wissen überproportional
stark in urbanen Ballungsräu­
men vertreten ist, anders als
die beiden anderen Wissens­
arten (Abb. 2).

Hinsichtlich der Messbarkeit
und Messung von Innovati­
onsintensitäten für interregio­
nale und internationale Ver­
gleiche auf Basis von Befra­
gungsdaten gibt es noch ei­
nige Forschungslücken. So
fehlen für den erwähnten
DUI­Innovationsmodus den
Entscheidungsträgern, in
Deutschland zum Beispiel
beim BMBF, aber auch inter­
nationalen Konzepten wie
dem Oslo Manual als Grund­
lage für Innovationsvergleiche
zwischen Staaten geeignete
Indikatoren. Die vorhandenen
Messkonzepte bilden im We­
sentlichen nur den STI­Inno­
vationsmodus ab. M.A. Tat­
jana Bennat und Prof. Rolf
Sternberg vom Institut für
Wirtschafts­ und Kultur­
geographie, im Verbund mit
VolkswirtInnen der Univer­

29

TRUST Leibniz Universität Hannover

sitäten Jena und Göttingen, ren wurde mit dem Projekt Literatur
haben es sich deshalb im lau­ „Regionale Innovationsnetz­
fenden Projekt „InDUI – Inno­ werke“ in und außerhalb [1] Bennat, T. & Sternberg, R. (2020):
vationsindikatorik für den deutscher Regionen Pionier­ Geography of knowledge bases in
Doing­Using­Interacting­Mo­ arbeit zu räumlicher Innovati­ German regions: What hinders com-
de von KMU“ zum Ziel ge­ onsforschung geleistet, die binatorial knowledge dynamics and
setzt, anhand von empiri­ sich seitdem in vielen Dritt­ how regional innovation policies may
schen Analysen in drei deut­ mittelprojekten, beispielswei­ help. European Planning Studies 28(2),
schen Regionen Indikatoren se zu regionalen Innovations­ 319-339. https://doi.org/10.1080/0965
zur Erfassung von DUI­Akti­ systemen in China und ande­ 4313.2019.1656168...
vitäten mittels qualitativer ren ost­ und südostasiatischen
Methoden zu entwickeln und Ländern, fortsetzt. [2] Alhusen, H., Bennat, T., Bizer, K.,
anschließend mit Hilfe dieser Cantner, U., Horstmann, E., Kalthaus,
Indikatoren interregional ver­ Auch wenn die meisten Inno­ M., Proeger, T., Sternberg, R. & Töpfer,
gleichend die Innovationsin­ vationsträume von Lokalpoli­ S. (2019): Measuring the ‚doing-using-
tensität von Unternehmen zu tikern, ein neues Silicon Val­ interacting mode‘ of innovation in
messen. Auf Basis qualitativer ley betreffend, auch zukünftig SMEs – a qualitative approach. Volks-
Interviewdaten von 81 Unter­ nicht in Erfüllung gehen dürf­ wirtschaftliches Institut für Mittel-
nehmern und Beratern in den ten, wird es sicher immer wie­ stand und Handwerk an der Universi-
drei Untersuchungsregionen der neu entstehende Innovati­ tät Göttingen (ifh Working Paper No.
Hannover, Göttingen und onsräume geben, denn die 23/2019).
Ostthüringen wurde eine Lis­ Transformationsmacht von
te von 47 Indikatoren entwi­ Innovationen bezogen auf re­
ckelt und 15 Messkategorien gionale Ökonomien ist erheb­
der drei genannten DUI­Di­ lich und wird – auch wegen
mensionen zugeordnet. Dieses (und nicht trotz) der Digitali­
aufwändige Verfahren soll in sierung – noch wachsen.
einem nächsten Schritt in die
Erhebung von Daten zur Inno­ Prof. Dr. Rolf Sternberg
vationsintensität von KMU Jahrgang 1959, ist seit 2005
(auf Basis eines quantitativen Professor für Wirtschaftsgeo-
Surveys – Erhebungen quanti­ graphie am Institut für Wirt-
tativer Daten über Befragun­ schafts- und Kulturgeographie
gen) in den drei Regionen der Leibniz Universität Hanno-
münden. Falls dies gelingt, ver. Seine Forschungsschwer-
kann bei hinreichend großen punkte sind die räumlichen
Samples (Stichproben) in den Implikationen von Innovationen,
drei Regionen von der Stich­ die regionale Entrepreneurship-
probe auf alle KMU in den forschung sowie die regional-
genannten Regionen geschlos­ wirtschaftlichen Konsequenzen
sen und somit interregional der Digitalisierung (Digital Divi-
verglichen werden. Fernziel de). Seit 1999 leitet er das deut-
ist es, in die einschlägigen sche Forschungsteam des Global
Innovationsanalysen in Entrepreneurship Monitor
Deutschland, die bislang (GEM). Kontakt: sternberg@
primär STI­Innovationen ab­ wigeo.uni-hannover.de
bilden, auch DUI­Elemente zu
integrieren und so zum Bei­
spiel die jährlichen EFI­Berich­
te zur technologischen Wett­
bewerbsfähigkeit Deutsch­
lands zu bereichern, das heißt
KMUs und regionale Spezifi­
ka besser abzubilden.

Das InDUI ­Projekt setzt die
lange Tradition regionaler In­
novationsforschung der Wirt­
schaftsgeographie an der
Leibniz Universität Hannover
fort. Schon in den 1990er Jah­

30

Werde Teil unseres Teams

und gestalte aktiv die Energiewende mit!

Bei TenneT machst Du nicht irgendeinen Job. Du 21.10.20 16:38
bewirkst etwas und gestaltest aktiv die Energiewen-
de mit! TenneT ist einer der führenden Übertragungs-
netzbetreiber in Europa. Wir schließen gigantische
Offshore-Windparks an unser Netz an und transpor-
tieren Strom von Nord nach Süd. Dabei denken wir
schon einen Schritt weiter und arbeiten bereits heu-
te an grenzüberschreitenden Lösungen von morgen.

In den nächsten zehn Jahren investieren wir viele
Milliarden Euro in den Ausbau und Betrieb unserer
Netze. Für diese spannende und zugleich herausfor-
dernde Aufgabe suchen wir zahlreiche neue Kolle-
ginnen und Kollegen aus den Bereichen
Ingenieurwesen – Elektro-/Energietechnik –
Projektmanagement – IT.

Wenn Du das nötige Fachwissen besitzt, Dich für
Technik und Energie begeisterst und Dich in einem
Expertenteam wohlfühlst, bist Du bei uns genau
richtig. Wir pflegen einen respektvollen und offenen
Umgang miteinander, orientieren uns nicht an
Problemen, sondern an Lösungen und ermöglichen
unseren Mitarbeitern, eigenverantwortlich und
selbstständig zu arbeiten.
Haben wir Dein Interesse
geweckt? Unsere aktuellen
Stellenangebote findest Du
unter karriere.tennet.eu

Matthias Schneider

Netzentwicklung

tennet.eu

20-155_HR-Uni-Leibniz-V2.indd 1

TRUST Leibniz Universität Hannover

„Transformation unserer Welt“

Mit Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Zukunft

Der Wandel hin zu
nachhaltiger Entwicklung und
einem stärkeren Nachhaltig-
keitsbewusstsein gelingt nur,

wenn bereits Jugendliche
auf bestehende Probleme

aufmerksam werden.

Prof. Christiane Meyer und
Dr. Andreas Eberth stellen
einige Projekte vor, in denen
ein kritisch-reflexiver Ansatz

gefördert wird, anhand
dessen Jugendliche lernen,

die Welt zu verändern.

1

Abbildung 1 Einleitung wicklung (BNE) in die Zu- Berufliche Bildung, Hoch-
kunft (UNESCO 40 C/23). schule bis hin zu informellem
Mitmachgarten am „Transformation unserer Welt“ „BNE ist Treiber für die ge- bzw. außerschulischem Ler-
Park der Sinne in Laatzen – so betiteln die Vereinten Na- samte Agenda 2030 – also für nen –, aber auch in Kommu-
Quelle: C. Meyer tionen die Agenda 2030 für alle Weltprobleme unserer nen.
nachhaltige Entwicklung, die Zeit“ (DUK, o.J.), so bilanziert
im Jahr 2015 verabschiedet die Präsidentin der Deutschen Im Forschungszentrum
wurde (Resolution: A/RES/ UNESCO-Kommission Prof. TRUST werden, koordiniert
70/1). Den Kern dieser globalen Dr. Maria Böhmer das fünf- durch die Arbeitsgruppe Di-
Vision bilden die 17 Ziele für jährige UNESCO-Weltaktions- daktik der Geographie am In-
nachhaltige Entwicklung, die programm Bildung für nach- stitut für Didaktik der Natur-
sogenannten Sustainable Deve- haltige Entwicklung, das bis wissenschaften, diverse Dritt-
lopment Goals (SGDs). Diese 2019 lief. mittelprojekte durchgeführt,
Ziele dienen als Orientierung die nicht nur einen Beitrag zu
für einen weltweiten Wandel Die Bedeutung von BNE BNE leisten, sondern zugleich
in Richtung nachhaltige Ent- kommt auch im Nationalen dem Wissenstransfer in die
wicklung. Dies gilt mittlerwei- Aktionsplan (NAP 2017) zum Gesellschaft dienen. Im Fokus
le auch für den Bereich der Bil- Ausdruck, der BNE in allen stehen verschiedene Akteu-
dung mit dem 2020 gestarteten Bildungsbereichen verankern r*innen des Wandels: Jugend-
Programm der UNESCO: Mit möchte – von der frühkind- liche, Lehrkräfte, Unterneh-
Bildung für nachhaltige Ent- lichen Bildung über Schule, men und Kommunen.

32

TRUST Leibniz Universität Hannover

Jugendliche als Einstellungen und Werte an- Abbildung 2 2
Akteur*innen des Wandels eignen.“ (DUK 2014, S. 20) Screenshot der Website 3
Hierzu trägt das Projekt „Glo- www.sdg-education.net/ mit von
Das Projekt „‚Wandel statt bal Change im Kontext von Studierenden erstellten Videos
Wachstum‘ – Die Sustainable Bildung für nachhaltige Ent- zum SDG 13
Development Goals und Post- wicklung – Unterrichtsmodel-
wachstumsökonomien aus der le und Bildungsangebote für Abbildung 3
Perspektive Jugendlicher im (angehende) Lehrkräfte zur Startseite der Projektwebsite
Kontext einer gesellschaftli- Bewusstseinsbildung sowie www.fashionforfuture-education.
chen Transformation“ wird gesellschaftlichen und räum- net/
vom Niedersächsischen Mi- lichen Transformation“ bei.
nisterium für Wissenschaft Über die Förderung dieses
und Kultur (MWK) seit 2019 Projekts sowie eines weiteren
und bis 2022 gefördert. Im Projekts zum Klimawandel
ersten Teilprojekt wird mittels hat sich seit 2016 ein jährlich
Fokusgruppen die Perspektive stattfindender Fortbildungs-
von Jugendlichen auf die tag für Lehrkräfte an der Leib-
SDGs erhoben, im zweiten niz Universität Hannover eta-
Teilprojekt auf Postwachs- bliert. Hierfür konnten re-
tumsökonomien. Abgesehen nommierte Referent*innen
von den Gruppendiskussio- gewonnen werden, darunter
nen soll jede Gruppe ein Inter- Luisa Neubauer von Fridays
view mit selbst gewählten for Future in 2020, Prof. Dr.
lokalen „Pionier*innen des Klaus Töpfer in 2018 und Prof.
Wandels“ planen und durch- Dr. Mojib Latif in 2016.
führen (zum Beispiel Perso-
nen vom PLATZprojekt e.V. Im Rahmen eines Sonderpro-
in Hannover, von Transition jekts „SDGs mit digitalen Me-
Town Hannover e.V. oder vom dien vermitteln“ in 2018 haben
Mitmachgarten am Park der Schüler*innen sowie Studie-
Sinne). Die Wirkung solcher rende Kurzvideos zu ausge-
Pionier*innen des Wandels im wählten SDGs erstellt und da-
Kontext einer Transformation bei unter anderem konkrete
unserer Welt soll anschlie- Beispiele zur Realisierung des
ßend reflektiert werden. Die Ziels vorgestellt oder Inter-
Ermittlung der Perspektive Ju- views geführt, aufgezeichnet
gendlicher dient vor allem und kommentiert. In den sehr
dazu, didaktische Schlussfol- kreativen Videos kommen
gerungen für Bildungszwecke zahlreiche Personen zu Wort,
abzuleiten. Aufgrund von darunter auch der Präsident
COVID-19 musste die Daten- der Leibniz Universität Han-
erhebung verschoben werden. nover, Prof. Dr. Volker Epping.
Stattdessen wurde ergänzend Die Videos sind einsehbar
zu den noch durchzuführen- auf der Website www.sdg-
den Fokusgruppen ein Frage- education.net/ und können
bogen entwickelt, der ab Au- für Bildungszwecke genutzt
gust 2020 von Jugendlichen werden. 2019 wurden weitere
online ausgefüllt werden Kurzvideos von Studierenden
kann. aufgenommen, die im Rahmen
von Lehrveranstaltungen,
Lehrkräfte als Change Agents zum Beispiel auf einer Exkur-
sion nach Kenia im September,
„Lehrende und Multiplika- entstanden sind.
toren sind wirkungsvolle
Change Agents für die Aus- Unternehmen
richtung von Bildung auf als Pioniere des Wandels
nachhaltige Entwicklung. Da-
mit sie aber zur Transformati- In dem von der Deutschen
on zu einer nachhaltigeren Bundesstiftung Umwelt (DBU)
Gesellschaft beitragen kön- von 2017 bis 2020 geförderten
nen, müssen sie sich zunächst Projekt „Nachhaltigkeitsbe-
die notwendigen Kenntnisse, wertung und -bewusstsein

33

TRUST Leibniz Universität Hannover

entlang der ‚textilen Kette‘ am Kommunale Herausforderungen für eine schulische Umset-
Beispiel ausgewählter Unter- für die Transformation zung in anderen Kommunen
nehmen – Ein didaktisches zur Verfügung stehen.
Modell zur Vermittlung von Im BMBF-Verbundprojekt
‚Transformative Literacy‘ im „LAZIK N2030“ wird unter Fazit
Rahmen schulischer Bildungs- anderem mit den Kommunen
prozesse und Lehrerbildungs- Samtgemeinde Barnstorf in Die hier skizzierten Projekte
angebote“ wurden vier Unter- Niedersachsen und Stadt San- geben einen Einblick in viel-
nehmen, die als Pioniere des dersdorf-Brehna in Sachsen- fältige Möglichkeiten zur Um-
Wandels gelten, interviewt. Anhalt kooperiert. Im Fokus setzung von BNE. Wenngleich
Die Auswahl der Unterneh- stehen Zielkonflikte der Nach- BNE ein normatives Konzept
men erfolgte mit Hilfe einer haltigkeit bei der Gestaltung ist, so sind die Projekte so ge-
Jury. Aus diesen Interviews einer zukunftsfähigen Kom- staltet, dass nicht eine instru-

Abbildung 4 4

Austausch mit dem
Bürgermeister in Barnstorf
Quelle: C. Meyer

wurden Videoclips erstellt, in mune. Ein besonderer Fokus mentelle Vermittlung im Vor-
Unterrichtskonzeptionen inte- wird auf die Partizipation von dergrund steht. Vielmehr liegt
griert und schulisch erprobt. Schüler*innen gelegt, die ak- das Ziel in einem kritisch-re-
Die Konzeptionen sind an den tuelle Zielkonflikte der Nach- flexiven Ansatz, indem Ju-
Wissensformen einer Trans- haltigkeit analysieren sowie gendliche letztlich reflektie-
formative Literacy – System-, Lösungsansätze entwickeln ren, welche Schritte und Wege
Ziel- und Transformations- sollen, die sie kommunalen zu einer „Transformation un-
wissen – orientiert. Auf der Entscheidungsträger*innen serer Welt“ führen können –
Projektwebsite www.fashion- vermitteln. Kommunale Ent- und was diese mit ihrer Le-
forfuture-education.net/ sind scheidungen werden zwar in benswelt zu tun haben. Dabei
diese Videoclips einsehbar der Regel top-down getroffen wird die Urteilsfähigkeit ge-
und über weitere Materialien und wirksam, aber sie können schult sowie zu Reflexivität
kann die Vision des jeweiligen durch politische Partizipation und Bewusstseinsbildung bei-
Unternehmens erschlossen bottom-up mitbestimmt wer- getragen.
werden. Für Lehrkräfte gibt es den. Hierzu dient der schuli-
zudem weitere Informationen sche Think Tank im Teilpro-
zu den Unterrichtskonzeptio- jekt an der Leibniz Universität
nen. Das Projekt wurde zum Hannover, zu dem Materiali-
Spotlight-Projekt der DBU im en auf der Website www.
September 2020 ausgewählt. nachhaltigkeit-toolbox.de/

34

TRUST Leibniz Universität Hannover

In den „Zukunftsdiskursen“ stellen Expert*innen im Prof. Dr. Christiane Meyer Dr. Andreas Eberth
ersten Quartal 2021 folgende Themen der interessierten Jahrgang 1970, ist seit 2008 Jahrgang 1985, ist wissen-
Öffentlichkeit vor: Professorin für Didaktik der schaftlicher Mitarbeiter in der
Geographie am Institut für Arbeitsgruppe Didaktik der Geo-
„Communities for Future“: Wie können Kommunen mit Didaktik der Naturwissenschaf- graphie am IDN. Er engagiert
Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern die UN-Nachhal- ten (IDN). Sie engagiert sich im sich im Forschungszentrum
tigkeitsziele umsetzen? Cluster „Akteure, Gesellschaft TRUST in den Clustern „Akteure,
„Education for Future“: Welche Bildung brauchen wir für und Wissenstransfer“ des For- Gesellschaft und Wissenstrans-
einen gesellschaftlichen Wandel und zur Umsetzung der UN- schungszentrums TRUST. Ihre fer“ und „Risiko und Ungleich-
Nachhaltigkeitsziele? Forschungsschwerpunkte liegen heit in Afrika, Asien und Latein-
„Economics for Future“: Welche ökonomischen Ansätze in den Bereichen Bildung für amerika“. Seine Forschungs-
bringen den Wandel zu einer nachhaltigen Entwicklung voran? nachhaltige Entwicklung, trans- schwerpunkte liegen in den
„Consumers for Future“: Wann tun Konsumierende, was formative Bildung, Kulturbe- Bereichen Bildung für nach-
sie wissen und was sie für richtig halten? wusstsein und Werte-Bildung, haltige Entwicklung, Raumkon-
ethisches Urteilen. Kontakt: zepte, post-/dekoloniale Pers-
Weitere Informationen unter: [email protected] pektiven im Bildungsbereich,
www.idn.uni-hannover.de/zukunftsdiskurse Visuelle Geographien. Kontakt:
[email protected]

DUK: Deutsche UNESCO-Kommission (2019): Interview mit Prof. Dr. Maria Böhmer. https://www.bne-portal.de/de/bne-ist-treiber-fuer-
die-gesamte-agenda-2030-also-fuer-alle-weltprobleme-unserer-zeit-1802.html (07.10.2020)

DUK: Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg., 2014): UNESCO Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms „Bildung für nachhal-
tige Entwicklung“. https://www.bmbf.de/files/2015_Roadmap_deutsch.pdf

NAP: Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung c/o Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg., 2017): Natio-
naler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. https://www.bmbf.de/files/Nationaler_Aktionsplan_Bildung_für_nachhal-
tige_Entwicklung.pdf

Klimaschutz in guten Händen.

Der enercity-Fonds proKlima unterstützt Klimaschutz-
projekte in Hannover und Umgebung.

Mehr Infos zu den vielfältigen Fördermöglichkeiten
bekommen Sie unter www.proklima-hannover.de oder
Telefon 0511 - 430-1970

106625.indd 1 10.11.2020 12:45:45

35

Studium fertig?
Bleiben Sie in Kontakt!

Das Studium ist vorbei, doch die Studienzeit bleibt.
Nutzen Sie unsere Angebote.

Profitieren Sie vom Alumninetzwerk.
Jetzt anmelden:
www.uni-hannover.de/alumni

AlumniCampus der Leibniz Universität Hannover

Das Netzwerk für alle Ehemaligen

nixOhneunswär da
ewfb
035-137_106978_0001_Anzeige_v02_201102134752_103895.indd 1 für ein erfolgreiches Studium. www.studentenwerk-
hannover.de   

11.11.2020 07:46:07

NICHT JEDER ERBT EIN MÄRCHENSCHLOSS. Wir entwickeln brachliegende Grundstücke mit und
DESWEGEN GIBT ES UNS. ohne Bestand in attraktive Wohn- und Gewerbeflächen.
Sie besitzen oder verwalten ungenutzten Raum?
RAUM ENTWICKELN. Dann beginnen Sie mit uns ein neues Kapitel:

106717.indd 1 www.hrg-online.de
0511 / 763 543-10

30.09.2020 08:38:26

Wollen Sie Digitalisierung als Chance begreifen und nachhaltig Wirtschaften
die Digitalisierung
mitgestalten? Die WAGO Gruppe steht aktuell, wie alle anderen Unternehmen, vor großen Herausforderun-
Dann bewerben Sie gen. Doch das Familienunternehmen, das im kommenden Jahr seinen 70. Geburtstag feiert,
sich jetzt. kann auf eine Historie zurückblicken, in der Wandel immer auch als Chance begriffen wurde.

WAGO Kontakttechnik „Umsichtiges, verantwortungsvolles Wirtschaften, die Sicherung von Arbeitsplätzen und nach-
Team Recruiting haltiges Wachstum sind unsere Prämissen“, erklärt CEO Sven Hohorst. Eine Schlüsselrolle
Tel.: +49 571-887-44501 spiele dabei die Digitalisierung. „Die digitale Transformation ist eine Chance – für unsere Mit-
E-Mail: [email protected] arbeiter, für unsere Kunden und nicht zuletzt als Beitrag zum Klimaschutz.“

Die vergangenen Monate haben es für jedes Unternehmen unabdingbar gemacht, digitale
Wege der Zusammenarbeit zu finden. So hat WAGO seine Home-Office-Kapazitäten deutlich
erweitert und mit Microsoft Office 365 eine neue Plattform zur Zusammenarbeit und zum mo-
bilen Arbeiten etabliert. „Die Resonanz ist sehr positiv – sicherlich bleibt der persönliche Kontakt
immer von Bedeutung, aber so konnten wir den Herausforderungen der Coronapandemie
erfolgreich begegnen und neue, effizientere Arbeitsformen einführen“, betont Christian Sallach
Chief Marketing und Chief Digital Officer bei WAGO. Darüber hinaus spielen digitale Angebote in
Bezug auf mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und lebenslanges Lernen eine wichtige Rolle.

Energieeffizienz durch Automatisierung und regenerative Energien

Mit offenen Automatisierungsplattformen ist WAGO Teil der Lösung, wenn es um das Energie-
management und eine effizientere Nutzung von Ressourcen geht. „Wir sehen Digitalisierung als
wichtiges Werkzeug, das dazu beiträgt, unsere Industrien effizienter und ressourcenschonender
und somit nachhaltiger zu betreiben. Wir unterstützen unsere Kunden bei ihrer digitalen Trans-
formation, sei es durch intelligente Gebäudetechnik, durch modulare Anlagen oder durch die
Erfassung von Energiedaten und deren Management“, erläutert Christian Sallach.

Selbstverständlich setzt das Unternehmen sein Produkt-Know-how auch in der eigenen Pro-
duktion und in Gebäuden ein, um Energie einzusparen und Ressourcen zu schonen. WAGO
war eines der ersten Industrieunternehmen in der Branche, das an den deutschen Standorten
gemäß der Energiemanagementnorm ISO 50001 zertifiziert wurde. Bereits 2014 ging das
Blockheizkraftwerk in Minden im Betrieb. Im Jahr 2020 wurde auf dem Dach der Spritzerei am
Stammsitz Minden eine Photovoltaikanlage errichtet, die ca. 200.000 kWH Ökostrom im Jahr
produzieren wird. Bei Firmenfahrzeugen setzt WAGO auf Elektromobilität und stellt E-Tank-
stellen, auch für private Fahrzeuge, zur Verfügung.

035-137_106674_0003_Anzeige_v01_201006090838_106674.indd 1 15.10.2020 08:45:55

TRUST Leibniz Universität Hannover

Digitalisierung im Mobilitätsbereich

Wie nachhaltig sind die neuen Trends und Konzepte?

Die Mobilität von Menschen
und Gütern wird sich durch
die Digitalisierung weiter

stark verändern.

Prof. Jutta Stender-Vorwachs
vom Institut für Internationales

Recht und Prof. Ulrike Grote
vom Institut für Umwelt-
ökonomik und Welthandel

haben sich die Implikationen
rund um das autonome Fahren

sowie den Online-Handel
genauer angesehen.

1

Abbildung 1 Das Thema Digitalisierung im Bereits heute ist erkennbar, beeinflusst. Fraglich ist, ob
Mobilitätsbereich ist für das dass die Digitalisierung die Digitalisierung auch dazu
Zunehmender Online-Handel Forschungszentrum TRUST die Mobilität von Menschen beiträgt, die Mobilität in länd-
bedeutet auch mehr Verkehr zentral, da es große Herausfor- und Gütern stark verändert lich-urbanen Räumen in Rich-
durch Lastkraftwagen. derungen für die Transforma- (WBGU, 2019). Die Verkehrs- tung zu mehr Nachhaltigkeit
Foto: Gerhard S./Pixabay tion von Räumen darstellt. Der überwachung und -steuerung zu transformieren. Welche
motorisierte Individualverkehr mit Kameras und Sensorik, Möglichkeiten, aber auch
verursacht in den Städten die Vernetzung von Fahrzeu- Probleme ergeben sich durch
hohe CO2-, Stickstoffdioxid- gen, Standort- und Verkehrs- das autonome Fahren, Car
und Feinstaubemissionen. informationen sowie automa- Sharing Konzepte und den
Mehr als 80 Prozent der in tisiertes Fahren greifen inein- Onlinehandel?
Stadtgebieten, die auf Luftver- ander. Privatwirtschaftliche
schmutzung überprüft wer- Onlineplattformen für die Autonomes Fahren
den, lebenden Menschen sind Vermittlung von Mobilitäts-
Verschmutzungsniveaus aus- dienstleistungen (zum Bei- Bei Nutzung automatisierter
gesetzt, die die WHO-Grenz- spiel Fahrdienste wie Moia Fahrzeuge werden die Aufga-
werte überschreiten. Das Risi- und Uber) etablieren sich glo- ben von Fahrer*innen auf das
ko für kardiologische und pul- bal. Mobilität wird ebenfalls Fahrzeug übertragen, so dass
monale Erkrankungen erhöht stark durch den Onlinehandel eine teilweise oder vollständig
sich infolgedessen. Zudem beeinflusst, der den Einkauf autonome Steuerung des Fahr-
steigen Lärmbelastung, Staus im stationären Handel teilwei- zeuges möglich wird. Eine
und Unfallrisiken (Abb. 1). se ersetzt, und Stadtzentren Sonderform autonomer Mobi-

38

TRUST Leibniz Universität Hannover

lität stellen aktuell Flug- be- kann. Tangiert werden eine triebswege für den Kauf und
ziehungsweise Drohnentaxis Vielzahl von Grundrechten, Verkauf von Gütern. Die um-
dar. Bei Nutzung automati- zum Beispiel das Recht auf in- satzstärksten Warengruppen
sierter Fahrzeuge können formationelle Selbstbestim- sind der Bekleidungssektor,
zwar kurzfristig Verkehrsfluss mung (Art. 2 I und Art. 1 I GG) Informations- und Kommuni-
und -infrastrukturauslastung sowie die Vertraulichkeit und kationstechnologien (zum Bei-
optimiert (intelligente Ver- Integrität informationstechni- spiel Smartphones) und Elek-
kehrssysteme) sowie Kraft- scher Systeme (Art. 2 I und troartikel sowie Bücher bezie-
stoff in erheblichem Maße ein- Art. 1 I GG) (Oppermann/ hungsweise E-Books. Zuneh-
gespart und damit Emissio- Stender-Vorwachs 2020). mend verlagert sich auch der
nen reduziert und Unfallzah- Die Einbindung autonomer Nahrungsmittelhandel in die
len verringert werden. Fahrzeuge in Mobilitätskon- digitale Welt. So bieten ver-
Langfristig besteht jedoch die zepte wie Car Sharing ent- stärkt Lebensmittelketten zu-
Gefahr von Rebound-Effekten scheidet maßgeblich über ihre sätzlich zum stationären Ver-
durch veränderte Kosten- Nachhaltigkeit. Neue Anwen- kauf ein Sortiment an haltba-
strukturen und Zeitverwen- dungen im Car Sharing wie ren und frischen Nahrungs-
dung. So wurde festgestellt, Bringen und Holen von Fahr- mitteln online an und werden
dass die Verkehrsnachfrage in zeugen werden möglich, was so zu Onlinehändlern bezie-
Form zurückgelegter Wegstre- zu Kosten- und Zeiteinspa- hungsweise Multi-Channel-
cken steigen könnte. rung führt und zum Beispiel Anbietern, wobei sich auch
die Kombination mit Bahnver- reine Onlineanbieter (zum
Zudem bestehen rechtliche kehr erlaubt. Im öffentlichen Beispiel DHL Amazon) im
und ethische Fragen etwa in Personennahverkehr besteht Lebensmittelsektor etabliert
Bezug auf die Haftung, Ent- das Potenzial für sowohl in haben.
scheidungen in kritischen der Stadt als auch auf dem
Unfallsituationen und das Land einsetzbare, flexible, Die Vorteile des Onlinehan-
Mensch-Maschine-Verhältnis. fahrplan- und liniennetzunab- dels für Unternehmer*innen
So wirft die Nutzung autono- hängige Ruf- beziehungsweise und Konsument*innen sind
mer Fahrzeuge in allen Rechts- Sammeldienste. evident: Transaktionskosten
gebieten Fragen auf, die bisher können eingespart, Effizienz-
nur zum Teil abschließend Der Onlinehandel steigerungen realisiert und
beantwortet werden können. somit Skaleneffekte erzielt
Zu diskutieren sind dabei un- Immer mehr Konsument*in- werden. Preisvergleiche im
ter anderem zivilrechtliche nen und Unternehmer*innen, Internet erlauben Kosten-
Haftungsfragen, strafrechtli- insbesondere in den USA, sowie Zeiteinsparungen. Zu-
che Verantwortlichkeit sowie China, Großbritannien und dem ist das Angebot vielfälti-
allgemeine grundrechtliche Japan gefolgt von Deutsch- ger und die Kaufhandlung je-
Implikationen. Im Fokus der land, wählen digitale Ver- derzeit möglich. Allerdings
rechtswissenschaftlichen Aus-
einandersetzung stehen eben- 2 Abbildung 2
falls datenschutzrechtliche
Herausforderungen. Automa- Nachhaltige urbane Mobilität:
tisierte Fahrzeuge generieren Ein Elektrowagen des Unter-
eine Vielzahl an Daten, die nehmens UPS (United Parcel
eine Identifikation einer oder Service) in Köln.
mehrerer Personen ermögli- Foto: Ulrike Grote
chen und damit personenbe-
zogen im Sinne der Daten-
schutz-Grundsatzverordnung
sind. So kann unter anderem
durch die Positions- und
Mobilitätsdaten, Fahrzeug-
sensorik, die Umwelterfassung
durch Kameras und die Ver-
netzung der autonomen Fahr-
zeuge untereinander, auf die
Identität der Nutzer*innen
und Dritter geschlossen wer-
den. Umstritten ist, wie bei der
Nutzung autonomer Fahrzeu-
ge die notwendige Datensi-
cherheit gewährleistet werden

39

TRUST Leibniz Universität Hannover

geht vom zunehmenden On- tive Umweltbilanz kann erst dass sich sogenannte „Fast-
linehandel eine Reihe von ne- erzielt werden, wenn Online- Fashion“-Unternehmen etab-
gativen Umweltauswirkungen Shopping eine bestimmte An- liert haben, die billige Beklei-
aus (Abb. 3). zahl von herkömmlichen Ein- dung mit kurzen Lebenszyk-
kaufsfahrten mit einer be- len anbieten, was erhebliche
Der Verpackungsmüll (vor stimmten Fahrtdistanz ersetzt negative Externalitäten (Um-
allem auch Styropor und Plas- und etliche Bestellungen weltkosten, die in der Produk-
tik) ist immens. Frische Nah- gleichzeitig geliefert werden. tion oder beim Konsum anfal-
rungsmittel sowie Kühl- und Es gilt: Je kürzer die Lieferzeit, len, jedoch weder vom Verur-
Tiefkühlware stellen zudem desto schwieriger lassen sich sacher getragen werden, noch
besondere Herausforderungen die Fahrten optimieren. in den Marktpreisen enthalten
an Verpackung und Logistik sind) zur Folge hat. Umwelt-
dar. Das in Deutschland seit Onlinehändler, die Express- belastungen entstehen zudem
Januar 2019 geltende Verpa- versand anbieten, haben ge- durch den zunehmenden
ckungsgesetz strebt eine Ver- meinhin eine schlechtere Um- Langstreckentransport von
packungsmüllreduzierung weltbilanz. Durch den Online- Waren. Da bestimmte Waren
unter anderem mit neuen einkauf reduzieren sich zwar nur in einigen Ländern ver-
Pfandregeln, höheren Recyc- herkömmliche Anfahrtswege fügbar oder niedrigpreisiger

Transformation der Wertschöpfungskette Umwelt- und Sozialeffekte

Produktion  Logistik  Verwertung ❚ Energiebedarf
❚ Transportbedarf, Emissionen und Straßenabrieb
❚ Transportsystem, Lieferung, Auslastung der Ladefläche ❚ Rohstoffbedarf
❚ Fehlgeschlagene Lieferungen ❚ Landnutzung und Flächenversiegelung
❚ Rücksendungen
❚ Lagerflächen ❚ Arbeitsverlust im stationären Handel
❚ Recycling und Wiederverwendung ❚ Verlust städtischen Flairs
❚ Verlust von Einkaufs- und Begegnungsorten
von Verpackungen und Endprodukten
Umwelteffekte
Verändertes Konsum- und Freizeitverhalten
Abbildung 3 ❚ Energiebedarf 3
❚ Konsumanstieg ❚ Transportbedarf und Emissionen
Umwelt- und Sozialeffekte ❚ Rücksendungen ❚ Rohstoffbedarf
des Onlinehandels ❚ Kurze Lebensdauer der Endprodukte
Quelle: In Anlehnung an WBGU (2019)

lingquoten, einer zentralen der Konsument*innen, diese sind, bestellen Konsumen-
Stelle zur Registrierung von suchen allerdings häufig t*innen zunehmend Produkte
Verpackungen und Zahlung weiterhin stationäre Geschäfte auch im Ausland, insbesonde-
von Lizenzgebühren an. Indes auf, um sich zu informieren, re in China und den USA.
haben viele Onlinehändler und anschließend aber die
ihre Verpackungen bisher Produkte preisgünstiger on- Von steigender Bedeutung ist
trotz gesetzlicher Verpflich- line zu bestellen. Zu beachten auch die Rolle der Kundenbin-
tung nicht lizensieren lassen. sind auch die häufig fehlge- dung. So werden zunehmend
Hinsichtlich des Verkehrsauf- schlagenen Kundenzustellun- Marketingstrategien zur Kon-
kommens sind die Umwelt- gen und viele Rücksendun- sumsteigerung über die Inter-
auswirkungen in Form von gen. Bei Bekleidung wird in netplattformen der Online-
Luftverschmutzung, Lärm Deutschland etwa jedes zwei- händler entwickelt, wodurch
oder Feinstaubemissionen te Paket retourniert. Produktion, folglich Transport
noch nicht eindeutig be- und die damit verbundenen
stimmt, wobei die Beladung Zudem hat sich das Konsum- Emissionen steigen. Aller-
von Kurierfahrzeugen, Entfer- verhalten stark verändert – dings erleichtern Apps, Infor-
nungen und die Anzahl der mit negativen Umweltaus- mationsplattformen und Rat-
Fahrten pro Lieferung zu be- wirkungen. So ist im Beklei- geber zum Online-Shopping
rücksichtigen sind. Eine posi- dungssektor zu beobachten, Kund*innen unter Umständen

40

TRUST Leibniz Universität Hannover

auch die Suche nach nachhal- Fazit Zukünftige Mobilität muss
tigen Angeboten, so dass über nachhaltig gestaltet sein, den
die Produkteffekte positive Derzeit steht in vielen Berei- in der Agenda 2030 und im
Umwelteffekte erzielt werden chen die Einführung digital Übereinkommen von Paris
können. Weltweite Handels- gestützter Mobilitätsformen verankerten Zielen genügen
plattformen für Gebraucht- noch am Anfang. Die Lösung und dekarbonisiert werden.
güter wie eBay zielen sogar zentraler urbaner Verkehrs-
direkt auf eine Veränderung probleme (zum Beispiel hohe Literatur
des Konsumverhaltens weg CO2- und Luftschadstoff-
von einer Wegwerf- hin zu emissionen) hängt entschei- [1] WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der
einer Wiederverkaufskultur. dend von der passenden Ein- Bundesregierung Globale Umweltver-
bettung digitaler Lösungen in änderungen (2019). Unsere gemeinsa-
Um Nachhaltigkeitsziele im übergreifende Konzepte nach- me digitale Zukunft. Berlin: WBGU.
Onlinehandel zu adressieren, haltiger urbaner Mobilität ab.
wurden neue Konzepte für Transdisziplinäre Forschung [2] Oppermann / Stender-Vorwachs (Hrsg.)
Onlinelieferungen entwickelt. ist unerlässlich, um eine nach- – Autonomes Fahren. Technische
In China hat das Unterneh- haltige, digital unterstützte Grundlagen, Rechtsprobleme, Rechts-
men Alibaba die Kundenbelie- Mobilitätswende zu fördern folgen (2. Auflage 2020). München:
ferung mit Hilfe von Drohnen und Grundlagen einer integ- C.H.BECK-Verlag.
bereits umgesetzt, während rierten Raum- und Verkehrs-
in den USA das Unternehmen planung zu schaffen, die Ge- Prof. Dr.
Uber Eats Essensbestellungen sundheit, Lebensqualität und Jutta Stender-Vorwachs
über Drohnen ausliefert. den Schutz natürlicher Le-
Kühlboxen als Abholstationen bensgrundlagen ins Zentrum ist als außerplanmäßige
für online bestellte Lebens- stellen. Professorin am Institut für
mittel wurden entwickelt und Internationales Recht an der
Lieferroboter, die Pakete mit Prof. Dr. Ulrike Grote Juristischen Fakultät tätig und
einem Gewicht von bis zu 15 leitet seit 2006 das Institut für Mitherausgeberin des Werkes
kg befördern, getestet. Die Umweltökonomik und Welthan- „Autonomes Fahren. Techni-
Deutsche Post hat bereits Elek- del an der Wirtschaftswissen- sche Grundlagen, Rechtspro-
tronutzfahrzeuge, Streetscoo- schaftlichen Fakultät. Sie ist bleme, Rechtsfolgen“. Sie ist
ter und Lasten-Pedelecs in Be- Vorstandsmitglied des For- Mitglied des Forschungszent-
trieb. Zusätzlich werden auch schungszentrums TRUST. Von rums TRUST und Stellvertre-
City- und Crowd-Logistikkon- 2016 bis 2020 war sie Beirätin tende Direktorin des Interdis-
zepte genutzt, indem zum Bei- im WBGU (Wissenschaftlicher ziplinären Instituts für Auto-
spiel zu liefernde Pakete im Beirat der Bundesregierung matisierte Systeme (RifaS) e.V.
Kofferraum des mit GPS ge- Globale Umweltveränderungen). Ihre Forschungsschwerpunkte
orteten Fahrzeugs platziert Ihre Forschungsbereiche liegen liegen unter anderem im Be-
werden. Über „Crowdship- in der Umwelt- und Entwick- reich des autonomen Fahrens.
ping“ kann derjenige, der oh- lungsforschung mit Fokus auf Kontakt: jutta.stender-
nehin unterwegs ist, Pakete – Südostasien und Afrika und [email protected]
gegen Entgelt – für andere umfassen Themen wie Zertifi-
mitnehmen. zierung und Handel, Migration
oder Agrarpolitik. Kontakt:
Mit der Zunahme des Online- [email protected]
handels erhöht sich allerdings
auch der wirtschaftliche
Druck auf den stationären
Einzelhandel in Groß- und
Kleinstädten, worauf zuneh-
mend Einzelhandelsgeschäfte,
aber auch größere Einkaufs-
zentren („dead malls“) schlie-
ßen. Arbeitsplätze gehen so
verloren. Für die Gesellschaft
bedeutet dies unter Umstän-
den einen kulturellen Verlust,
wenn Austauschs- und Begeg-
nungsorte sowie das städti-
sche Flair verloren gehen.

41

TRUST Leibniz Universität Hannover

„Gute Küste Niedersachsen“

Reallabore für einen ökosystemstärkenden Küstenschutz

Der Projektverbund Seit der Mensch begonnen hat, bensraum im Küstenland Nie- tisch dargelegte Konzept von
„Gute Küste Niedersachsen“ Küstenregionen zu besiedeln, dersachsen zu untersuchen. [Temmerman et al. 2013] wird
soll in den kommenden fünf versucht er, sich vor der Kraft in Gute Küste Niedersachsen da-
Jahren ökosystemstärkende des Meeres zu schützen und Die erwarteten Ergebnisse ha- her untersucht, wie Küsten-
gleichzeitig seine Ressourcen ben dabei einen direkten nie- schutzmaßnahmen auch die
Küstenschutzmaßnahmen zu nutzen. Der gesammelte dersächsischen beziehungs- Bereitstellung anderer Öko-
entwickeln, umsetzen und Erfahrungsschatz spiegelt sich weise unmittelbaren nationa- systemleistungen stützen und
heute in der Disziplin des len Bezug. Sie adressieren aber von ihnen in Wechselwirkung
deren Auswirkungen Küsteningenieurwesens wi- auch alle Küsten und küsten- profitieren können (siehe Info­
anschließend untersuchen. der, welche den Schutz von nahen Regionen weltweit, da kasten). Neben dem Schutz von
Lebens- und die Nutzung von global betrachtet die Weltbe- Habitaten werden unter ande-
Wissenschaftlerinnen Wirtschaftsräumen primär völkerung in keiner Region rem die Produktion organi-
und Wissenschaftler vom umfasst. In Anbetracht eines auf dieser Erde schneller als scher Substanz, die Bindung
Institut für Umweltplanung, zunehmenden Nutzungsdru- entlang der Küsten wächst. von Schadstoffen einschließ-
vom Institut für Freiraum­ ckes auf die Küstenmeere so- Auch die Urbanisierung des lich CO2, die Reduktion von
entwicklung sowie vom wie klimawandelbedingter Küstenraums nimmt weltweit Wellenenergie und Strömung
Ludwig­Franzius­Institut Änderungssignale stellt sich massiv zu und verlangt eine sowie Möglichkeiten der Na-
für Wasserbau, Ästuar­ und jedoch die Frage „Was ist angepasste Raum- und Nut- turbeobachtung und Erholung
Küsteningenieurwesen geben eine ‚gute Küste‘, an der wir zungsplanung. In sich entwi- in den Blick genommen.
sicher vor Naturgefahren, im ckelnden Ländern in Südost-
einen Einblick. Einklang mit der Natur, ein- Asien und Afrika löst der stei- Ökosystemleistungen
gebettet in die gewachsene gende Nutzungsdruck auf die
Kulturlandschaft, verantwor- Küsten bereits heute Migrati- Ökosystemleistungen sind
tungsbewusst und nachhal- on und Transformationspro- die „Nutzenstiftungen“
tig leben und wirtschaften zesse aus [Grote et al. 2019]. beziehungsweise „Vorteile“
können?“ An der niedersächsischen (engl. benefits), die Men­
Küste äußern sich marine Na- schen von Ökosystemen
Um diese Fragestellung zu turgefahren zumeist durch beziehen. Dazu gehören
beantworten, sind neben dem Stürme und Sturmfluten, die zum Beispiel die Bereit­
Know-how von Küsteninge- in den zurückliegenden Jahr- stellung von Nahrung und
nieur*innen auch chemisch- hunderten immer wieder zu Wasser, die Regulierung
biologische, ökologische, öko- Schäden und Verlusten ge- von Hochwasser, kulturelle
nomische, planerische und führt haben. Vor diesem Hin- Leistungen wie Freizeit
sozialwissenschaftliche Exper- tergrund sind die Errichtung und Erholung und unter­
tisen erforderlich. Diesen brei- und Vorhaltung eines zuver- stützende Leistungen wie
ten interdisziplinären Zugang lässigen Schutzniveaus in Nährstoffkreisläufe, die
hat der Projektverbund Gute Form eines technisch gepräg- die Bedingungen für das
Küste Niedersachsen gewählt, ten Küstenschutzes unabding- Leben auf der Erde auf­
um mit Förderung des Nieder- bar. Die Berücksichtigung der rechterhalten.
sächsischen Ministeriums für Auswirkungen des Küsten-
Wissenschaft und Kultur schutzes auf den Naturraum [Definition in Anlehnung an
(MWK) in den nächsten fünf wurde dabei bisher weitge- MA 2003: 49]
Jahren ökosystemstärkende hend ausgeblendet bezie-
Küstenschutzmaßnahmen zu hungsweise durch ökosystem-
entwickeln und zu implemen- aufwertende Maßnahmen
tieren und deren breite Wir- andernorts kompensiert.
kungen im Natur- und Le- In Anlehnung an das theore-

42

TRUST Leibniz Universität Hannover

ab

c d1

Reallabore Eine besondere Chance für die In Gute Küste Niedersachsen Abbildung 1
praktische Erprobung und stellen die Reallabore Ver-
In Reallaboren erarbeiten Umsetzung ergibt sich daraus, suchs- und Lernräume für von oben links nach unten rechts:
die Beteiligten Lösungen dass viele bestehende Küsten- neue ökosystemstärkende a) Dünenabbruch als Resultat
für reale (Nachhaltigkeits­) schutzanlagen in den kom- Nutzungs- und Management- von Orkan Sabine auf Norder­
Probleme der Gesellschaft menden Jahren erneuert oder konzepte im Küstenschutz ney; b) Geschlossenes technisches
und führen Interventionen verstärkt werden müssen. Da- dar. Aktuell werden die Deckwerk als Deichfußsicherung
beziehungsweise Realexpe­ mit Anpassungen zum Schutz Struktur und die zu betrach- auf der Wattseite von Norderney;
rimente im „Feld” durch. und zur Förderung von Öko- tenden Schwerpunkte der zu c) Salzwiesen im Deichvorland,
Reallabore verbinden dabei systemleistungen berücksich- implementierenden Reallabo- Leybucht; d) Lahnungen im
konkretes Handeln mit wis­ tigt werden können, müssen re mit den Beteiligten vor Ort Deichvorland zwischen Neu­
senschaftlicher Genauigkeit jetzt innovative, integrierende entwickelt. Sie sollen sowohl harlingersiel und Bensersiel
und Überzeugungskraft. Konzepte entwickelt werden. standortbezogene Erkenntnis- alle Fotos: Maike Paul
Dabei wird von Beginn an Dazu braucht es nicht nur ein se aus den umzusetzenden
transdisziplinär gearbeitet. breites interdisziplinäres Kon- Realexperimenten fördern,
Das heißt, die Forscher*in­ sortium aus der Wissenschaft, aber auch einen standortüber-
nen erarbeiten gemeinsam sondern auch den Erfahrungs- greifenden Austausch zu Er-
mit Partner*innen aus der schatz der Praxisakteure, zum fahrungen und Ergebnissen
Praxis sowie der Zivilbe­ Beispiel aus dem Küsten- und ermöglichen. Dieser Ansatz
völkerung die Forschungs­ Naturschutz aber auch aus der bietet die Chance, voneinan-
themen, generieren zusam­ Umweltbildung, dem Touris- der zu lernen und übertragba-
men Wissen und setzen Er­ mus und der Landwirtschaft. re Handlungs- und Manage-
kenntnisse gemeinsam um. Um die Kenntnisse aller Grup- mentoptionen für eine Gute
pen in einem strukturierten Küste Niedersachsen generisch
[Definition in Anlehnung an Prozess zusammenzuführen, abzuleiten. Übergeordnet bie-
Schneidewind 2014; Wanner wird Gute Küste Niedersachsen tet Gute Küste Niedersachsen
et al. 2018] methodisch als Reallabor an einen Modellcharakter, zeigt
verschiedenen Küsten-Stand- starke Bezüge zu den For-
orten implementiert und suk- schungsmissionen der Deut-
zessive umgesetzt. schen Allianz Meeresfor-

43

TRUST Leibniz Universität Hannover

Abbildung 2 schung (DAM) und steht in Nutzung der Küsten und Die strukturelle Entwicklung
Wechselwirkung mit dem Meere wissenschaftlich fun- und Priorisierung der Realla-
a) Konventionelle “graue” BMBF-Verbund Küstenfor- diert zu unterstützen. Zudem bor-Regionen und konkreter
Küstenschutzinfrastrukur See­- schung für Nord- und Ostsee leistet Gute Küste Niedersachsen Standorte für die Felduntersu-
deich (oben) und b) Hybrider (KüNO). Inhaltlich unterstützt in diesem Zusammenhang chungen ist eines der wichtigs-
Seedeich mit ökosystembasierten der hier geförderte nieder- einen effektiven Transfer ten Projektziele für das erste
Anpassungen und ökologischen sächsische Verbund unmittel- von wissenschaftsbasiertem Projektjahr. Im Co-Design von
Aufwertungen (unten) bar die Ziele des DAM, indem Handlungswissen im Dialog Wissenschaft und Praxis wur-
Grafik: entnommen aus [Schoonees lösungsorientiertes Hand- mit Anwendern zur Bewälti- de eine kriteriengeleitete Vor-
[eStcahlo. o2n01e9es] et al. 2019]

2

auswahl und Schwerpunktset-
zung getroffen. Mit einer ge-
meinsamen Bereisung und
zahlreichen vor Ort Konsulta-
tionen der in Frage kommen-
den Regionen und Standorte
im Herbst 2020 wird die Aus-
wahl abgeschlossen.

3 lungswissen für Politik, Wirt- gung der mit dem Klima- und Anschließend starten die
schaft und Zivilgesellschaft Nutzungswandel einherge- großskaligen Realexperimente
Abbildung 3 bereitgestellt wird, um politi- henden ökologischen, sozialen in den Reallabor-Regionen auf
Strukturierung und Abgrenzung sche und gesellschaftliche und ökonomischen Herausfor- den gemeinsam ausgewählten
von „grauen“ und “grünen” Entscheidungsprozesse zum derungen und stärkt ferner Einzelstandorten. Die Ergeb-
Küstenschutzmaßnahmen Schutz und zur nachhaltigen die Nachwuchsförderung. nisse werden ausgewertet und
Grafik: entnommen aus [Schoonees in Parallelexperimenten in
[eStcahlo. o2n01e9es] et al. 2019] kontrollierter Umgebung im
Labor überprüft. Dazu werden
unter anderem der Große
Wellenkanal (GWK) des For-
schungszentrums Küste sowie
weitere Großforschungsinfra-
strukturen an den Forschungs-
einrichtungen in Braun-
schweig und Hannover ge-
nutzt, um die Erforschung
treibender Parameter in gro-

44

TRUST Leibniz Universität Hannover

ßen gegenständlichen Model- weitgehend unbeantwortet ausgewählten Standorten wer- Literatur
len beziehungsweise anhand sind. Hier wird Gute Küste den zudem Interessen und
von nicht-skalierten Pflanzen Niedersachsen neue Erkennt- Präferenzen erhoben. Auf die- [1] Grote, U. et al. (2019). DOI: https://
voranzubringen, die in Feldex- nisse liefern, die auch in die se Weise können frühzeitig DOI.org/10.15488/5212
perimenten in der Regel unbe- technischen Regelwerke zur mögliche Konflikte und Syn-
antwortet bleiben. Wirkungen Auslegung eines ökosystem- ergien von konkreten Küsten- [2] MA- Millennium Ecosystem Assess-
von Ökosystemen im Küsten- basierten Küstenschutzes Be- schutzmaßnahmen analysiert ment (2003). URL: www.millennium-
schutz, wie beispielsweise die rücksichtigung finden können. und in den weiteren For- assessment.org/en/Framework.
Wellendämpfung von Seegras- schungsprozess eingebunden html#download
oder Salzwiesen werden be- Zwischenergebnisse dieser werden. Ein zentrales Ergeb-
reits eindrücklich beschrieben Realexperimente und weiterer nis dieser Vorgehensweise soll [3] Paul, M., Gillis, L. (2015). DOI: https://
[Paul & Gilles, 2015]. Die Er- Versuche und Analysen in von Forschenden und Praxis- doi.org/10.3354/meps11162
gebnisse beruhen aber zu- den Großforschungseinrich- partnern gemeinsam entwi-
meist auf kleinskaligen Ver- tungen werden nicht nur im ckelte Zukunftsvisionen eines [4] Wanner, M. et al. (2018). DOI:
suchsreihen im Labor mit wissenschaftlichen Konsorti- ökosystembasierten Küsten- 10.1080/02513625.2018.1487651
künstlichen Pflanzen und im- um disziplinübergreifend schutzes für die Reallabor-
plizieren Erkenntnisse aus diskutiert, sondern auch mit Regionen sein. Sie zeigen al- [5] Schneidewind, U. (2014). URL: https://
Feldversuchen nur unzurei- Praxisakteur*innen und der ternative Entwicklungspfade epub.wupperinst.org/frontdoor/de-
chend. Auch zu den Wechsel- Zivilgesellschaft in einer Co- für die Küstenlandschaften liver/index/docId/5706/file/5706_
wirkungen von Ökosystemen Evaluation gespiegelt. Kom- auf und entwickeln den öko- Schneidewind.pdf
mit technisch geprägten Küs- plexe Sachverhalte werden systemstärkenden Küsten-
tenschutzelementen als eine dabei durch die Verknüpfung schutz weiter, der zudem auf [6] Schoonees, T. et al. (2019). DOI:
neue Form des hybriden Küs- mit Alltagssituationen, sozia- die lokale und regionale Iden- https://DOI:10.1007/s12237-019-
tenschutzes gibt es erste Un- len Interaktionen und reflek- tität, Erholung und regionale 00551-z
tersuchungen [z.B. Schoonees tierenden Lernformaten zu- Wertschöpfung wirkt und das
et al., 2019], wobei die Schutz- gänglich gemacht. Durch Re- Küstenland Niedersachsen [7] Temmerman, S. et al. (2013). DOI:
wirkung, Effizienz und Dauer- alexperimente mit Akteur*in- nachhaltig prägen wird. 10.1038/nature12859
haftigkeit realer Systeme noch nen und Zivilpersonen auf

Prof. Dr. Torsten Schlurmann Dr. Daniela Kempa Prof. Dr.­Ing. Martin Prominski M.Sc. David Kreis
Jahrgang 1971, ist Professor für Jahrgang 1977, ist wissen- Jahrgang 1967, ist Professor für Jahrgang 1985, ist wissen-
Wasserbau und Küsteningeni- schaftliche Mitarbeiterin am Urbane Landschaftsentwicklung schaftlicher Mitarbeiter am
eurwesen am Ludwig-Franzius- Institut für Umweltplanung. am Institut für Freiraument- Institut für Freiraumentwick-
Institut für Wasserbau, Ästuar- Ihre Arbeitsschwerpunkte sind wicklung. Seine Arbeitsschwer- lung. Seine Arbeitsschwerpunk-
und Küsteningenieurwesen. Biodiversität und Ökosystem- punkte sind großräumiges Land- te sind Entwurf und Ausführung
Seine Forschungsschwerpunkte leistungen; Kulturlandschaft schaftsentwerfen, neue Natur- von urbanen Freiräumen; Kon-
liegen in den Bereichen Küsten- und regionale Identität sowie verständnisse im Anthropozän zepte und Strategien für den
schutz und Ästuardynamik; transdisziplinäre Forschung. sowie „Urbanization and Loca- Katastrophen- und Hochwas-
Offshore Wind und marine Kontakt: [email protected] lity“ (gemeinsame Forschungs- serschutz in der Landschafts-
Energien sowie in der Entwick- hannover.de kooperation mit der Peking architektur. Kontakt: david.
lung und im Wirkungsnachweis Universität). Kontakt: martin. [email protected]
von “Nature-based Solutions [email protected]
(NbS)”. Kontakt: schlurmann@ hannover.de
lufi.uni-hannover.de

45

TRUST Leibniz Universität Hannover

Zur Nutzung knapper Wasserressourcen

Beispiele aus ariden Regionen in Brasilien und Kenia

Wasser ist ein kostbares Gut
– vor allem in Ländern mit
wenig Niederschlag. Durch
Klimawandel und gesellschaft­
liche Veränderungen unterliegt
das wasserwirtschaftliche

System sich ständig
ändernden Dynamiken, die nur

durch interdisziplinäre
wasserwirtschaftliche Analysen

und Prognosen erfasst
werden können.

Wissenschaftler vom 1
Institut für Hydrologie und
Einleitung Bewässerung der Felder benö- werden über die Anlage von
Wasserwirtschaft sowie tigt wird. Andererseits benöti- Wasserspeichern in Form von
vom Institut für Didaktik Die Bewirtschaftung der Res- gen auch die Menschen in den Stauseen teilweise ausgegli-
der Naturwissenschaften source Wasser muss auf der Städten Wasser für ihre Haus- chen. Es finden sich zwei sehr
einen Seite die natürliche halte und die industrielle Nut- unterschiedliche Arten von
geben einen Einblick Wasserverfügbarkeit und auf zung. Dadurch entstehen Nut- Stauseen: zum einen relativ
in ihre Arbeit. der anderen Seite den Wasser- zungskonkurrenzen. Der Zu- kleine und einfach konstruier-
bedarf von Menschen und Na- griff auf Wasser ist daher auch te, nicht steuerbare Stauseen
Abbildung 1 tur berücksichtigen. In ariden eine Frage von Macht und Un- zur Versorgung einzelner
Landschaft im trockenen und semi-ariden Gebieten ist gleichheit. Haushalte oder Farmen bezie-
Nordosten Brasiliens der Wasserbedarf der Men- hungsweise kleiner Orte im
Foto: Max Nino Simshäuser schen oft sehr viel größer als Brasilien: ländlichen Raum. Zum ande-
die Wasserverfügbarkeit. Da- Stauseen für Land und Stadt ren gibt es in Brasilien zahlrei-
mit herrscht Wasserknappheit. che große „strategische“ Stau-
Die Menschen müssen in sol- Im Nordosten Brasiliens seen zur Deckung des Wasser-
chen Regionen mit margina- herrscht oft über Monate oder bedarfs von Industrie und
len Ressourcen auskommen. gar Jahre hinweg Trockenheit, Städten sowie der Bewässe-
Stadt und Land haben unter- obwohl die Niederschläge rungslandwirtschaft. Für die
schiedliche Ansprüche an die über viele Jahre gemittelt in wasserwirtschaftliche For-
Wasserversorgung. Auf dem etwa denen der Region Han- schung stellen derartige Struk-
Land wird ein Großteil der nover entsprechen. Die großen turen eine große Herausforde-
Nahrung für die Stadt er- Unterschiede in der natürli- rung dar, da gerade die zahl-
zeugt, wobei Wasser für die chen Wasserverfügbarkeit reichen kleinen Stauseen nicht

46

TRUST Leibniz Universität Hannover

ausreichend beschrieben sind. risch-ozeanischen Phänomen, relativ hoch für die zumeist 2
Die Anwendung von Simulati- dessen Ausprägungen (Ano- einkommensschwache Bevöl-
onsmodellen zur Planung der malien) bereits Monate im Vo- kerung. In ländlichen Regio- Abbildung 2
Wasserbewirtschaftung und raus relativ gut vorhergesagt nen wird über Mikrokredite Verteilung zusätzlicher kleiner
zur Abschätzung von mögli- werden können. Diese hohe die Anschaffung von Wasser- Tanks zum Händewaschen wäh-
chen Klimafolgen wird durch Zuverlässigkeit bei der Vor- tanks für Familien ermöglicht, rend der Corona-Pandemie in der
zahlenmäßig unbekannte hersage der Witterung bietet welche über Tankwagen oder Kleinstadt Ol Donyo Sabuk
Wasserentnahmen und auch daher großes Potenzial für aus lokalen Quellen befüllt Foto: Charles Ochieng
durch hohe natürliche Wasser- wasserwirtschaftliche An- werden.
verluste aus den Flüssen sol- wendungen. Insbesondere die
cher Regionen erschwert. Um Bewirtschaftung der Speicher Die Stadt Mombasa liegt an
die komplexe Abfolge der de- könnte von diesen Langfrist- der Küste und verfügt über
zentralen ländlichen Speicher vorhersagen profitieren, da einen unzureichenden Zu-
mit den gesteuerten großen beim Vorliegen einer Vorher- gang zu Frischwasser. Daher
Talsperren abzubilden, wurde sage, die auf sehr trockene ist auch hier die Verwendung
in einer gemeinsamen For- Monate hindeutet, versucht zusätzlicher lokaler Wasser-
schungsarbeit mit der brasilia- werden kann, mehr Wasser im quellen erforderlich. In einem
nischen University of Interna- Vorfeld zwischenzuspeichern. Forschungsprojekt wurden
tional Integration of the Afro- Dies ist zugleich auch für mithilfe der Klassifikation
Brazilian Lusophony in Städte relevant, da zum Bei- von Luftbildern Dachflächen
Redenção, Ceará ein differen- spiel mit diesem Wissen die
ziertes Vorgehen basierend auf Stadtbevölkerung noch vor ermittelt, welche sich für die
Luftbildern, Felderhebungen dem Eintreten der trockenen Ableitung von Regenwasser
und Daten der öffentlichen Witterungsbedingungen ver- eignen. Die Idee ist, auch ge-
Verwaltung entwickelt. stärkt für das auf Dachflächen ringe Mengen Niederschlag
gesammelten Regenwassers aufzufangen und für die
Perspektivisch ist eine ganz- (siehe nächster Abschnitt) menschliche Nutzung vorzu-
heitliche quantitative Betrach- sensibilisiert werden kann. halten. Dazu müssen entspre-
tung der Wasserverfügbarkeit Damit können auch neue For- chende Vorrichtungen und
auf der einen und des ländli- men der Gestaltung und Be- auch Speicher errichtet und
chen und städtischen Wasser- wirtschaftung des städtischen unterhalten werden. Die
bedarfs auf der anderen Seite Wasserkreislaufs – wie etwa Nachrüstung in ärmeren Ge-
eine wichtige Forschungsfra- die wassersensible Stadtent- bieten ist sicher problema-
ge. Für diese Fragestellung wicklung oder Schwamm- tisch. Daher hat die Stadt ein
bieten sich meteorologische städte – unterstützt werden. Szenario entwickelt, wie in
Langfristvorhersagen (Wo- den Neubaugebieten Anlagen
chen, Monate) über den typi- Kenia: für das „Ernten“ von Regen-
schen Zeithorizont der Wet- Hausdächer und Wassertanks wasser von Dachflächen vor-
tervorhersage (wenige Tage) geschrieben werden. In dem
hinaus an. Dazu werden ge- Kenia verfügt über eine große Forschungsprojekt wurde ein
koppelte Klimamodelle einge- Bandbreite klimatischer Cha- sozio-hydrologisches Modell
setzt, welche die Zirkulation rakteristika. Die Nieder- entwickelt, mit welchem sich
sowohl in der Atmosphäre als schlagsmengen schwanken verschiedene Szenarien der
auch in den Ozeanen simulie- sowohl innerhalb des Jahres Bevölkerungsentwicklung
ren. Die hier beschriebene An- als auch über die verschiede-
wendung dieser Modelle liegt nen Regionen sehr stark. Das
technisch im Übergangsbe- Bevölkerungswachstum in
reich zwischen Wettervorher- Kenia ist nach wie vor hoch.
sage und Klimaprojektion. Daher sind die Wasserres-
Jüngere wissenschaftliche sourcen stark beansprucht.
Studien belegen, dass die Vor- Bestehende Strukturen der
hersagequalität dieser Model- Wasserversorgung können
le insbesondere im Nordosten den Wasserbedarf der Bevöl-
Brasiliens deutlich höher ist kerung kaum decken. Viele
als in den meisten Weltregio- Haushalte sind gar nicht an
nen. Ursächlich für die gute die öffentliche Wasserversor-
Vorhersagbarkeit ist die enge gung angeschlossen. Dezent-
Kopplung der Witterung in rale Wasserkioske ermögli-
dieser Region an El Niño chen den Zugang zu Frisch-
Southern Oscillation (ENSO), wasser. Die Kosten, um einen
einem zyklisch wiederkehren- Kanister mit Wasser zu befül-
den, gekoppelten atmosphä- len, sind jedoch letztendlich

47

TRUST Leibniz Universität Hannover

und des Klimawandels für die unter Einbeziehung von
nächsten Jahrzehnte abbilden natur-, ingenieur- und sozial-
ließen und der mögliche Bei- wissenschaftlichen Diszipli-
trag des von den Dachflächen nen und – im Sinne von Trans-
aufgefangenen Wassers für disziplinarität – auch der Be-
die Wasserversorgung der völkerung beziehungsweise
Stadt Mombasa berechnet zivilgesellschaftlicher Grup-
werden konnte. pen.

Schlussfolgerungen

3 Wasser ist räumlich und zeit- Literatur
lich sehr heterogen verteilt –
Abbildung 3 sowohl auf der Seite der Ver- [1] Ojwang, R.O.; Dietrich, J.; Kasargodu
Karte der Hausdächer in einem Stadtviertel von Mombasa, fügbarkeit als auch auf der Anebagilu, P.; Beyer, M.; Rottenstei-
links manuell digitalisiert, rechts nach automatischer Klassifikation. Seite der Nachfrage. Gesell- ner, F. (2017): Rooftop Rainwater Har-
Dächer mit Tonziegeln sind rot dargestellt, solche mit Wellblech blau schaftliche Transformation vesting for Mombasa: Scenario Deve-
und Betondächer gelb und Klimawandel führen lopment with Image Classification and
Quelle: Ojwang et al., 2017 dazu, dass das wasserwirt- Water Resources Simulation, Water
schaftliche System nicht nur 2017, 9, 359
der natürlichen Dynamik
unterliegt, sondern die Dyna-
miken sich ständig ändern.

Daher sind quantitative
wasserwirtschaftliche Analy-
sen und Prognosen Aufgaben
von hoher Interdisziplinarität

Privatdozent Dr.­Ing. Dr. Andreas Eberth Juniorprofessor Dr.­Ing.
Jörg Dietrich Jahrgang 1985, ist wissen- Kristian Förster
schaftlicher Mitarbeiter in der
Jahrgang 1970, ist wissen- Arbeitsgruppe Didaktik der Geo- Jahrgang 1981, ist Juniorpro-
schaftlicher Mitarbeiter am graphie am IDN. Er engagiert fessor für Urbane Hydrologie
Institut für Hydrologie und sich im Forschungszentrum am Institut für Hydrologie und
Wasserwirtschaft der Fakultät TRUST in den Clustern „Akteure, Wasserwirtschaft der Fakultät
für Bauingenieurswesen und Gesellschaft und Wissenstrans- für Bauingenieurswesen und
Geodäsie und leitet dort die fer“ und „Risiko und Ungleich- Geodäsie. Gemeinsam mit sei-
Arbeitsgruppe „Wasserbewirt- heit in Afrika, Asien und Latein- nem Team und Wissenschaft-
schaftung“. Seine Forschungs- amerika“. Seine Forschungs- ler*innen angrenzender Diszipli-
schwerpunkte sind Wasser- und schwerpunkte liegen in den nen forscht er in den Bereichen
Stoffhaushalt von Flussgebie- Bereichen Bildung für nachhal- urbane und alpine Hydrologie
ten, Hochwasservorhersage und tige Entwicklung, Raumkonzep- sowie Hydroklimatologie.
Entscheidungsunterstützung. te, post-/dekoloniale Perspekti- Kontakt: [email protected]
Kontakt: [email protected] ven im Bildungsbereich, Visuelle hannover.de
hannover.de Geographien. Kontakt: eberth@
idn.uni-hannover.de

48


Click to View FlipBook Version