The words you are searching are inside this book. To get more targeted content, please make full-text search by clicking here.
Discover the best professional documents and content resources in AnyFlip Document Base.
Search
Published by studiopaz3, 2020-07-16 08:49:21

Lexikonbooklet.gad beck 2020

Lexikonbooklet.gad beck 2020

Zum
Nachschlagen

Begriffe und Personen
Gad Beck

Gad Beck

Diese Publikation wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung von:

Konzept und Ausführung: Dr. Tobias Ebbrecht, Deborah Hartmann, Dr. Noa Mkayton
Pädagogische Beratung: Shulamit Imber
Historische Beratung: Prof. Yehuda Bauer, Prof. Guy Miron, Irena Steinfeldt, Dr. Danny Uziel
Herstellung: Ami Sternschuss
Grafikdesign: Paz Corcos
Recherche: Dr. Irit Abramski, Daniel Rozenga, Anna Stocker, sowie: Johannes Beermann,
Johannes Brunner, Franziska Göpner, Jenny Hestermann, Eva Lettermann, Clara Mansfeld,
Ulrike Maschner, Jenny Misterek, Irina Nowak, Esther Rachow, Lisa Schulz
Überarbeitung der 2. Auflage: Deborah Hartmann, Dr. Noa Mkayton, Esther Rachow,
Myriam Matalon

© Sämtliche Rechte, auch die des auszugsweisen Abdrucks oder der Reproduktion einer Abbildung, sind für alle
Länder vorbehalten. Diese Publikation einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
ist ohne schriftliche Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-965-525-100-5
Gedruckt in Israel 2020

Gesamtübersicht

Gad Beck Gad Beck

Auswanderung – Eichmann und die zionistische Bewegung
„Fabrik-Aktion“ und „Rosenstraßen-Prozess“
Gestapo
Hachschara
Hechaluz
Jüdische Jugendbewegungen
Leben im Untergrund
Mischlings- und Geltungsjude
Scheunenviertel
Zionismus
Walter Dobberke
Erich Möller
Jizchak Schwersenz
Edith „Ewo“ Wolff

Frauenorchester Frauenorchester

Anschluss
Auschwitz
Bergen-Belsen
Bergen-Belsen-Prozess
DP-Camps
Kapos
Novemberpogrom
Irma Grese
Josef Kramer
Werner Krumme
Maria Mandel
Alma Rosé

Gavra Mandil Gavra Mandil und Refik Veseli
und Refik Veseli
Albanien während des Zweiten Weltkriegs
Albanien nach 1944
Deutsche Besatzung in Jugoslawien 1941-1945
Der Kosovo während des Zweiten Weltkriegs
Waffen-SS-Division „Skanderbeg“
Yad Vashem, „Gerechte unter den Völkern“

3

Albert Memmi Albert Memmi

Antisemitismus
Muslimische Reaktionen auf den Nationalsozialismus in Nordafrika
Tunesien
Vichy-Regime
Hans-Jürgen von Arnim
Paul Ghez
Henri Philippe Pétain
Walther Rauff

Sally Perel Sally Perel

Hitlerjugend
Leningrad
Lodz
Nürnberger Gesetze
Ostjuden
SA
SS
Unternehmen Barbarossa
Volksdeutsche
Volkssturm
VW-Vorwerk
Wehrmacht
Menachem (Mendel) Grossmann
Ehrenfried Weidemann

St. Louis
Auswanderung
Judenrat/Ältestenrat
St. Louis St. Louis

Ghetto Theresienstadt
Westerbork
Zwangsarbeit
Leo Baeck
Karl Rahm
Gustav Schröder

Im Folgenden sind die weiblichen Formen prinzipiell den männlichen gleichgestellt. Aus Gründen der
Vereinfachung wird auf die weibliche Form verzichtet. Wenn beispielsweise von „Juden“ die Rede ist,
sind damit gleichbedeutend sowohl Jüdinnen als auch Juden gemeint.
Begriffe des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs werden kursiv gesetzt.

4

Auswanderung – Eichmann und die

zionistische Bewegung

Für die Frage, wie genau mit den deutschen Juden – und später mit den Juden aus den
besetzten Gebieten – zu verfahren sei, gab es innerhalb der nationalsozialistischen Führung
unterschiedliche Lösungsvorschläge.

In den ersten Jahren der NS-Herrschaft befürworteten die Nazis die Auswanderung von Juden
und arbeiteten sogar in gewisser Weise mit den jüdischen Organisationen zusammen, die
etwa die Auswanderung von Juden ins britische Mandatsgebiet Palästina organisierten. Aus
diesem Grund wurden Hachschara-Programme, d.h. die Vorbereitung jüdischer Jugendlicher
auf die Auswanderung nach Palästina, in Deutschland zeitweise geduldet.

Der Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien, Adolf Eichmann, bemühte
sich, jüdische Ansprechpartner in der österreichischen Gemeinde zu finden, die für ihn
die Ausreise von Juden organisieren sollten. Durch eine Kombination aus Diskriminierung,
Terror und der Androhung des Vermögensentzuges erzwang Eichmann die Auswanderung
vieler Juden aus Österreich. Für die Nazis bedeutete das einen hohen finanziellen Gewinn,
da für die Auswanderung hohe Steuern und Gebühren bezahlt werden mussten. Eichmann
arbeitete auch mit verschiedenen zionistischen Organisationen zusammen, die versuchten,
die Auswanderung von möglichst vielen Juden in das britische Mandatsgebiet Palästina zu
fördern. Während die Zionisten hofften, durch die jüdische Einwanderung der Gründung
eines jüdischen Staates näher zu kommen und gleichzeitig das Leben der europäischen Juden
retten zu können, versprach sich Eichmann von dieser Kooperation einen reibungsloseren
Ablauf der Auswanderung.

1939 wurde die Zentralstelle in Wien um die Reichszentrale für jüdische Auswanderung in Berlin
ergänzt, deren Leiter ebenfalls Eichmann wurde. Der Aufgabenbereich beider Behörden
verschob sich immer mehr von der Organisation der Auswanderung hin zur Planung und
Organisation der Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager des Ostens.
Dies wurde schließlich zu Eichmanns Hauptaufgabe im Reichssicherheitshauptamt (RSHA).

Nach dem Krieg gelang es Eichmann zunächst, unterzutauchen und nach Argentinien zu
flüchten. Dort wurde er 1960 vom Mossad, dem israelischen Geheimdienst, gefasst und nach
Israel gebracht, wo man ihn vor Gericht stellte. Der Prozess gegen Eichmann war ein wichtiges

5

Ereignis für die israelische Gesellschaft und beeinflusste wesentlich die Art und Weise, wie
in Israel mit dem Thema Holocaust umgegangen wurde. Eichmann wurde am 31. Mai 1962
hingerichtet – es war das einzige Todesurteil, das je in Israel vollstreckt wurde.

Literatur:
Benz, Wolfgang/ Graml, Hermann/ Weiß, Hermann (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 2007, S.
763.
Fiedler, Herbert/ Fiedler, Ruth, Hachschara. Vorbereitung auf Palästina. Schicksalswege, Berlin 2004.
Kulka, Otto Dov/ Jäckel, Eberhard (Hrsg.), Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945, Düsseldorf
2004, S. 749.

Fabrik-Aktion und Rosenstraßen-Protest

Die sogenannte Fabrik-Aktion fand am 27. und 28. Februar 1943 in Berlin und vereinzelt auch in
anderen Städten Deutschlands statt. An diesen beidenTagen sollten die letzten in Deutschland
lebenden Juden verhaftet werden. Um deren Flucht bzw. Untertauchen zu verhindern,
planten SS und Gestapo, die jüdischen Zwangsarbeiter während ihres Arbeitseinsatzes in
den Fabriken selbst festzunehmen. Diese Razzien wurden später „Fabrik-Aktion“ genannt.
Die Nazis selbst bezeichneten sie intern als Großaktion Juden, in Kommunikation mit den
Betrieben, von denen die Juden abgeholt wurden, als Evakuierungs-Aktion. Juden wurden an
ihrem Arbeitsplatz, auf dem Weg zur Arbeit oder noch in ihren Wohnungen festgenommen
und zunächst in einem Gebäude an der Rosenstraße festgehalten. Die ca. 2.000 Juden, die bei
der Fabrik-Aktion gefasst und hier eingesperrt wurden, lebten allesamt in einer sogenannten
Mischehe. Mit diesem Begriff bezeichneten die Nazis Ehen zwischen einem jüdischen und
einem nicht-jüdischen Partner, die vor 1935 geschlossen worden waren.
Im Anschluss an die Fabrik-Aktion versammelten sich die nicht-jüdischen Ehefrauen der
Inhaftierten vor dem Gebäude in der Rosenstraße und forderten in einer bis dahin beispiellosen
Demonstration mutig die Freilassung ihrer Ehemänner. Weder die bei der Fabrik-Aktion
Festgenommenen noch ihre Frauen wussten, was mit den Gefangenen geschehen sollte. Die
Demonstrantinnen befürchteten die Deportation ihrer Ehemänner. Ab dem 2. März wurden
die Festgenommenen nach und nach freigelassen.

6

Einige Historiker sind heute der Meinung, dass die bei der Fabrik-Aktion Festgenommenen
vermutlich nie deportiert werden sollten, aber das schmälert den mutigen Einsatz der Frauen
nicht, die sich für ihre Männer einsetzten. Der Rosenstraßen-Protest diente als Vorlage für
einen 2003 erschienenen gleichnamigen Film von Margarete von Trotta.

Literatur:
http://de.wikipedia.org/wiki/Fabrikaktion (Zugriff am 15.12.2011).
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-145 (Zugriff am 15.12.2011).
Leugers, Antonia (Hrsg.), Berlin, Rosenstrasse 2–4. Protest in der NS-Diktatur. Neue Forschungen zum Frauenprotest
in der Rosenstrasse 1943, Annweiler 2005.

Gestapo

Die Gestapo (Abkürzung für Geheime Staatspolizei) war zwischen 1933 und 1945 die
politische Polizei des NS-Regimes, die für die Verfolgung von Gegnern zuständig war. Sie
ging 1933 aus der politischen Polizei der Weimarer Republik hervor und war seit 1939 in
das Reichssicherheitshauptamt in Berlin eingegliedert. Bis 1939 nahm die Gestapo vor allem
Kommunisten und Sozialdemokraten in sogenannte Schutzhaft. Am 28. Februar 1933, einen
Tag nach dem Reichstagsbrand, erließ der Reichspräsident Paul von Hindenburg eine
Verordnung, die die Reichsregierung ermächtigte, alle zur„Wiederherstellung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen” zu treffen. In der Folge konnte die Gestapo
Menschen festnehmen, die mit der Verhaftung ihre Bürgerrechte verloren und damit
nicht mehr durch das Gesetz geschützt waren. Somit hatte die Gestapo nun ganz legal die
Möglichkeit, mit ihren Opfern zu verfahren, wie immer sie wollte. So wurden Aussagen und
Geständnisse der Festgenommenen oft durch Folter erzwungen, viele der Verfolgten wurden
durch die Gestapo-Beamten ermordet. Andere wurden in Konzentrationslager verschleppt.
Diejenigen, deren spätere Freilassung verhindert werden sollte, erhielten in ihrer Akte den
Vermerk: „Rückkehr unerwünscht“. 1934 wurde innerhalb der Gestapo der Bereich für
Judenangelegenheiten eingerichtet.
Die Effektivität der Gestapo beruhte unter anderem auf der Bereitschaft eines großen Teils der

7

deutschen Bevölkerung, Andersdenkende und Juden aus unterschiedlichsten Motiven heraus
zu verraten und an die Gestapo auszuliefern.

Literatur:
http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/gestapo/index.html (Zugriff am 7.12.11).
http://www1.yadvashem.org/odot_pdf/microsoft%20word%20-%206284.pdf (Zugriff am 7.12.11).

Hachschara

Hachschara ist hebräisch und bedeutet soviel wie „tauglich machen“. Der Begriff bezeichnet
die Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina und ein Leben im Kibbutz. Die
Hachschara-Bewegung begann in Europa bereits nach dem Ersten Weltkrieg, die meisten
Hachschara-Einrichtungen entstanden jedoch erst nach Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933.
Aufgenommen wurden jüdische Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die eine praktische
Ausbildung in landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen erhielten. Palästina war zu
diesem Zeitpunkt noch wenig erschlossen, weshalb praktische Fähigkeiten für das zukünftige
Leben der jüdischen Auswanderer von zentraler Bedeutung waren. Neben der beruflich-
praktischen Ausbildung erhielten die Jugendlichen auch Unterricht in Hebräisch und Englisch,
Palästinakunde sowie jüdischer Geschichte und Kultur. Die Länge des Aufenthalts in einem
Hachschara-Lager variierte zwischen drei Jahren und wenigenWochen. Die Ausbildungsstätten
wurden meist von jüdischen, zionistisch orientierten Jugendverbänden eingerichtet und
unterhalten, um ihren Mitgliedern die Flucht aus Deutschland zu ermöglichen. Trotz der oft
spartanischen Verhältnisse und der Trennung von Familie und Freunden beschrieben viele
Absolventen ihre Zeit im Hachschara-Lager als glücklich. Abgeschirmt von antisemitischer
Ausgrenzung in ihrem Land, fühlten sie sich unter Gleichgesinnten und erlebten in der Gruppe
Zusammenhalt und Solidarität. Die Hachschara-Einrichtungen kümmerten sich auch um die
oft langwierige Beschaffung der Ausreisedokumente sowie um Fragen der Finanzierung. Den
Mitgliedern der Hachschara-Bewegung gelang es, mehrere tausend jüdische Jugendliche zu
retten, indem sie ihnen die Auswanderung nach Palästina ermöglichten.
In NS-Deutschland gab es offiziell insgesamt 32 Hachschara-Ausbildungsstätten, die meist

8

in ländlichen Gegenden gelegen waren. Sie wurden bis ins Jahr 1941 vom NS-Regime
weitgehend geduldet. Die letzten Einrichtungen wurden im Sommer 1941 geschlossen bzw.
in Zwangsarbeitslager umgewandelt. Die dort verbliebenen Jugendlichen und ihre Betreuer
wurden in die Vernichtungslager im Osten deportiert.

Literatur:
http://www.gedenkstaettenforum.de/nc/gedenkstaetten-rundbrief/rundbrief/news/eine_geschichte_der_hachschara/
(Zugriff am 8.12.2011).
Paetz, Andreas/ Weiss, Karin (Hrsg.): „Hachschara“, Potsdam 1999.

Hechaluz

Der zionistische Weltverband Hechaluz (hebr. Pionier) wurde 1921 gegründet. Er hatte das
Ziel, jüdische Jugendliche und junge Erwachsene auf die Einwanderung nach Palästina
und das dortige Arbeitsleben im Kibbutz vorzubereiten. Der deutsche Landesverband des
Hechaluz wurde 1922 in Berlin gegründet. Beitreten konnte jeder, der jüdisch war, sich aktiv
am Aufbau eines jüdischen Staates im britischen Mandatsgebiet Palästina beteiligen wollte
und einen landwirtschaftlichen, handwerklichen oder anderen für diesen Zweck dienlichen
Beruf ausübte oder erlernte.
Der Hechaluz-Verband organisierte die verschiedenen Hachschara-Zentren in Deutschland, in
denen eine entsprechende Berufsausbildung angeboten, die hebräische Sprache unterrichtet
und Wissen über das Land Palästina (aus jüdischer Sicht„Eretz Israel“) vermittelt wurde.

Literatur:
Kulka, Otto Dov/ Jäckel, Eberhard (Hrsg.), Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945, Düsseldorf
2004, S. 695.

9

Jüdische Jugendbewegungen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand in Deutschland eine Vielzahl von Jugendbewegungen.
Darunter versteht man allgemein Vereine und Gruppen für Kinder und Jugendliche, die
regelmäßig zusammen kamen und gemeinsam verschiedene Aktivitäten sowie Ausflüge
und Fahrten unternahmen. Anfang des 20. Jahrhundert änderte sich die Wahrnehmung
der Kindheit und Jugend durch die Reformpädagogik und massive gesellschaftliche und
politische Umbrüche. Die junge Generation rebellierte gegen das starre und autoritäre
Erziehungssystem ihrer Eltern und Lehrer. Sie versuchte, den oft beengten Lebensverhältnissen
in den Städten zu entkommen, indem sie viel Zeit in der Natur verbrachte. Auch Bildung,
Kultur und Politik waren wichtige Bestandteile der Jugendbewegungen. Man sang, las und
diskutierte gemeinsam. Die einzelnen Jugendbewegungen hatten unterschiedliche politische
Orientierungen: anarchistisch, kommunistisch, sozialistisch, sozialdemokratisch, liberal,
konservativ, nationalistisch usw. Daneben gab es auch religiöse Jugendbewegungen, die eng
an die jeweiligen Konfessionen gebunden waren.

Die jüdischen Jugendbewegungen entwickelten sich parallel zu den übrigen und waren
in ihrer Ausprägung ähnlich vielfältig. Gründe für die parallele Entwicklung liegen in der
Ausgrenzung und Diskriminierung jüdischer Jugendlicher in nichtjüdischen Vereinen, im
wachsenden Nationalismus und Antisemitismus in Deutschland sowie im Zionismus, der zu
einer intensiveren Beschäftigung mit der jüdischen Identität führte.

Nach 1933 hatten vor allem die zionistischen Jugendverbände einen starken Zulauf. Während
alle nicht zionistischen Jugendverbände ab 1938 verboten bzw. in die Illegalität gedrängt
wurden, blieben die zionistischen Verbände bestehen, da sie jüdische Jugendliche in ihrem
Vorhaben unterstützten, auszuwandern. Zu den wichtigsten jüdischen Jugendbewegungen
des 20. Jahrhunderts zählten der Hechaluz, HaBonim, HaSchomer, der Ring, der Schwarze
Haufen und Die Kameraden, sowie HaZofim. Mitglieder jüdischer Jugendorganisationen waren
auch im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv. Ein Beispiel dafür ist die Berliner
Widerstandsgruppe um Herbert Baum, die 1942 einen Brandanschlag auf eine antisemitische
Propaganda-Ausstellung verübte.

Literatur:
http://www.juden-im-widerstand.de/jugendbunde.html (Zugriff am 19.12.2011).
Hetkamp, Jutta, Die jüdische Jugendbewegung in Deutschland von 1913-1933, Münster 1994.
Speitkamp, Winfried, Jugend in der Neuzeit: Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 1998.

10

Leben im Untergrund

Als im Herbst 1941 offiziell die Auswanderung für Juden verboten wurde, befanden sich noch
ca. 170.000 Juden in Deutschland. 400.000 Juden hatten bereits zwischen 1933 und 1941
das Land verlassen. Von den verbliebenen 170.000 lebten etwa 73.000 in Berlin. Ab Herbst
1941 waren alle Juden in Deutschland verpflichtet, den Judenstern zu tragen. Gleichzeitig
begannen die Nazis mit der systematischen Deportation der deutschen Juden. Die einzige
nunmehr verbleibende Rettung bot die Flucht in den Untergrund und ein Leben in der
Illegalität. Das bedeutete, mitten im Zweiten Weltkrieg ein Leben ohne Ausweisdokumente
und Lebensmittelkarten, ohne Anrecht auf Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung,
Wohnraum und Schutz vor Bomben zu führen und der ständigen Gefahr der Denunziation
ausgesetzt zu sein. Die Untergetauchten waren in der Regel vollständig abhängig von einem
Netzwerk nicht-jüdischer Helfer. Oft mussten die Verfolgten den Ort des Versteckes mehrmals
wechseln. Die Lebensmittel waren während des Krieges streng rationiert, Hilfeleistungen
für Juden konnten vor allem ab 1941 zu harten Bestrafungen für die Helfer führen. Zudem
nutzten einige Helfer die ausweglose Situation der Juden aus, um sich zu bereichern. Etwa
40% der Helfer hatten bereits vor dem Krieg eine persönliche Beziehung zu den Verfolgten,
einige handelten aus religiösen Motiven, andere aus politischer Überzeugung oder bloßer
Humanität. Das Spektrum der Hilfe reichte von spontanen Einzelaktionen bis zu organisierten
Hilfsnetzwerken.

In Deutschland lebten zwischen 1941 und 1945 schätzungsweise 10.000 bis 15.000 Juden
im Untergrund, bis zu 5.000 überlebten auf diese Weise. Die übrigen wurden verraten,
festgenommen oder stellten sich freiwillig, etwa wenn Familienmitglieder oder Helfer verhaftet
wurden. Andere fielen Bombenangriffen zum Opfer oder starben aufgrund von mangelnder
Versorgung. Insgesamt 7.000 Juden versteckten sich in der Hauptstadt Berlin, nur 1.700 von
ihnen überlebten.

Literatur:
http://www.museum-blindenwerkstatt.de/de/ausstellung/themen/juden-in-berlin-1933-bis-1945/ (Zugriff am 18.12.2011).
Benz, Wolfgang, Überleben im Dritten Reich: Juden im Untergrund und ihre Helfer, München 2003.
Kosmala, Beate / Schoppmann, Claudia (Hrsg.), Überleben im Untergrund, Hilfe und Rettung für die Juden in
Deutschland 1941-1945 (Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit, Bd. 5), Berlin 2002.

11

Mischlings - und Geltungsjude

Im September 1935 verabschiedete der Reichstag die zuvor auf dem siebten Reichsparteitag
der NSDAP in Nürnberg formulierten Nürnberger Gesetze. Teil dieser Rassegesetze war das
Reichsbürgergesetz, das festlegte, wer Jude und wer Arier sei. Als (Voll-)Juden wurden Personen
mit mindestens drei jüdischen Großelternteilen erachtet. Neben den Kategorien Jude und Arier
führte das Reichsbürgergesetz außerdem die Kategorie des Mischlings ein. Als Mischlinge galten
Menschen mit teilweise jüdischer Abstammung. Die Nazis unterschieden dabei zwischen
Mischlingen ersten Grades oder Halbjuden, d.h. Personen mit zwei jüdischen Großelternteilen
oder einem jüdischen Elternteil, und Mischlingen zweiten Grades, d.h. Personen mit nur einem
jüdischen Großelternteil. Mischlinge zweiten Grades galten als Reichsbürger, durften Arier
heiraten und wurden zur Wehrmacht eingezogen. Mischlinge ersten Grades hingegen wurden
als vorläufige Reichsbürger angesehen, die rechtlich den Ariern gleichgestellt waren, aber einer
Reihe von Ausnahmeregeln unterlagen.
Mischlinge ersten Grades, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Nürnberger Gesetze der
jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, mit einem Juden oder einer Jüdin verheiratet
waren oder nach 1935 einen Juden oder eine Jüdin heirateten, wurden von den Nazis in die
Kategorie der Geltungsjuden eingestuft. Geltungsjuden wurden rechtlich wie (Voll-)Juden
behandelt. Zum Beispiel mussten sie im Gegensatz zu den Mischlingen den Judenstern tragen.
Viele Geltungsjuden wurden ab 1940 gemeinsam mit ihren jüdischen Angehörigen deportiert
und in den Konzentrations- und Vernichtungslagern im Osten ermordet.

Literatur:
Benz, Wolfgang/ Graml, Hermann/ Weiß, Hermann (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 2007, S.
530, 643f, 679.
Kulka, Otto Dov/ Jäckel, Eberhard (Hrsg.), Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945, Düsseldorf
2004, S. 687, 730.

Scheunenviertel

Im Jahr 1670 untersagte Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg aus Gründen des
Feuerschutzes die Lagerung von Stroh und Heu innerhalb der Stadtmauern Berlins und
ordnete den Bau von Scheunen vor den Toren der damaligen Stadt an. So entstand das

12

sogenannte Scheunenviertel. 1737 mussten alle Berliner Juden, die kein eigenes Haus
innerhalb der Stadtgrenzen besaßen, in dieses Viertel umziehen. So entstand dort ein
vielfältiges jüdisches Leben mit Synagogen, koscheren Geschäften, einer Reihe jüdischer
Kultur- und Wohlfahrtseinrichtungen sowie einem jüdischem Friedhof. Im 19. Jahrhundert
flüchteten zahlreiche Juden aus Polen und Russland, sogenannte Ostjuden, wegen Pogromen,
antijüdischer Diskriminierung, Armut und schlechter Lebensbedingungen nach Berlin. Viele
sahen Berlin lediglich als Zwischenstation auf ihrem Weg in die USA und zogen weiter, sobald
sie im Besitz der nötigen Papiere und finanziellen Mittel waren. Sie siedelten sich aufgrund
der spezifischen Infrastruktur vorzugsweise im Scheunenviertel an, prägten so den Charakter
des Viertels und trugen zur Vielfalt jüdischen Lebens in Berlin bei. Vor 1933 lebten ca. 570.000
Juden in Deutschland, davon 173.000, also etwa ein Drittel, in Berlin.

Die ostjüdischen Einwanderer im Scheunenviertel, in der Zwischenkriegszeit etwa ein Fünftel
der jüdischen Bevölkerung Berlins (ca. 33.000 Personen), unterschieden sich in vielfacher
Hinsicht von den einheimischen, hochassimilierten Juden, die über das gesamte Stadtgebiet
verteilt lebten: Sie sprachen meist jiddisch, kleideten sich traditionell und hatten einen religiös
geprägten Lebensstil. Die unterschiedliche Lebensführung verursachte oft Spannungen
zwischen den beiden Gruppen. Gleichzeitig wurden die Ostjuden zunehmend Gegenstand
antisemitischer Hetze, während die deutschen Juden weniger offen antisemitischen Angriffen
ausgesetzt waren, da sie sich zumindest äußerlich kaum von der Mehrheitsbevölkerung
unterschieden.

Es gab auch Hilfe und Solidarität innerhalb der jüdischen Gemeinde. So bemühten sich
deutsche Juden mit verschiedenen Wohlfahrts- und Fürsorgeeinrichtungen, die beengten und
schwierigen Lebensverhältnisse der Juden im Scheunenviertel zu mildern. Das Scheunenviertel
war ein Arbeiterviertel und sozialer Brennpunkt, in dem Armut, Kriminalität und Prostitution
herrschten. Die Wohnverhältnisse waren beengt, die hygienischen Bedingungen oftmals
schlecht. Dennoch zog das geschäftige, lebendige Viertel mit erschwinglichen Mieten immer
auch Künstler und Intellektuelle an.

Die von den Nationalsozialisten erlassenen antijüdischen Gesetze und Verbote schlugen sich
im Scheunenviertel mit besonderer Kraft nieder. In der Reichspogromnacht im November
1938 wurden nahezu alle Synagogen und eine Vielzahl weiterer Gebäude des Viertels zerstört.

Zur Zeit der DDR wurde das Scheunenviertel nicht wieder aufgebaut und verfiel zusehends.
Nach 1989 zogen viele Künstler und Studenten in das damals günstige Wohnviertel. Heute ist
es zu einem Szeneviertel Berlins geworden, in dem es auch wieder vereinzelt jüdisches Leben,
eine Synagoge, eine jüdische Schule, koschere Restaurants und Geschäfte gibt.

13

Literatur:
http://www.oei.fu-berlin.de/projekte/charlottengrad-scheunenviertel/gesamtprojekt/index.html (Zugriff am 12.12.2011).
http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt00/0006prof.htm (Zugriff am 18.12.2011).
http://www.zentralratdjuden.de/de/article/980.html (Zugriff am 15.12.2011).
Schlör, Joachim, Das Ich der Stadt: Debatten über Judentum und Urbanität 1822-1938, Göttingen 2005.

Zionismus

Der Zionismus entstand im 19. Jahrhundert als eine nationale Bewegung der in den
verschiedenen Teilen der Welt lebenden Juden (Diaspora). Die Anhänger dieser Bewegung
betrachteten die Juden nicht nur als eine Religionsgemeinschaft, sondern auch als Volk
und forderten die Gründung eines eigenen jüdischen Staates, der im damaligen britischen
Mandatsgebiet Palästina errichtet werden sollte. Die Bezeichnung Zionismus bezieht sich auf
den Berg Zion, der einen Teil der historischen Altstadt Jerusalems ausmacht. Der Wunsch nach
einer Heimkehr der Juden in das biblische Israel („Eretz Israel“) hatte historische und religiöse
Gründe und ist nach wie vor ein bedeutender Bestandteil des Judentums.

Bereits vor der ersten Einwanderungswelle russischer und polnischer Juden ab 1880 lebten
etwa 20.000 Juden in Palästina, der sogenannte alte„Jischuw“. Ausgangspunkt für die jüdische
Einwanderung Ende des 19. Jahrhunderts waren aber auch der wachsende Antisemitismus in
Europa, vor allem die zahlreichen antijüdischen Ausschreitungen und Pogrome in Russland
und Polen sowie die Dreyfus-Affäre in Frankreich 1894.

Dem Wiener Publizisten Theodor Herzl gelang es, mit seinem Buch „Der Judenstaat“ (1896)
und in unermüdlicher politischer Arbeit die Idee eines jüdischen Staates populär zu machen
und 1897 den Ersten Zionistenkongress in Basel zu organisieren. Dort gründete sich die
„Zionistische Weltorganisation“, deren Vorsitz Herzl bis zu seinem Tod 1904 führte. Die
Organisation warb um internationale Anerkennung und Unterstützung für die Gründung eines
jüdischen Staates, trieb die Bildung einer administrativen Infrastruktur voran und unterstützte
jüdische Ansiedlungsprojekte in Palästina.

Der Zionismus, in sich bereits gespalten in verschiedene kulturelle, religiöse und politische
Richtungen, wurde vor der Machtübernahme Hitlers von den deutschen Juden mehrheitlich
abgelehnt, da diese sich als Deutsche fühlten und an eine Integration der jüdischen Staatsbürger

14

in Deutschland glaubten. Mehr Zuspruch erfuhr die Forderung Herzls nach einer „öffentlich-
rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina“1 hingegen im osteuropäischen Raum, wo offene
antisemitische Übergriffe häufiger vorkamen und die Situation der Juden vor 1933 insgesamt
oft deutlich schlechter war.
Während und vor allem nach der NS-Herrschaft war das unter britischem Mandat stehende
Palästina Ziel der Verfolgten bzw. Überlebenden des Holocaust. Nach vielen Schwierigkeiten
wurde am 14. Mai 1948 schließlich der Staat Israel proklamiert. Damit war das Hauptziel des
Zionismus erreicht. Im gegenwärtigen Zionismus geht es vor allem um die Ausgestaltung des
Staates Israel. Dabei gibt es eine Vielzahl von Strömungen, die unterschiedlichste politische,
religiöse oder gesellschaftliche Anschauungen vertreten.

Literatur:
http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=TWQEIT (Zugriff am 18.12.2011).
http://www.bpb.de/publikationen/AQ36B7,0,Zionismus.html (Zugriff am 18.12.2011).
http://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4stina_%28Region%29 (Zugriff am 20.12.2011).
Herzig, Arno, Jüdische Geschichte in Deutschland: von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2002.

Walter Dobberke

Walter Dobberke arbeitete für die Abteilung der Berliner Staatspolizei, die für antijüdische
Maßnahmen zuständig war. Dobberke wurde am 15. August 1906 in Sonneburg (im heutigen
Polen) geboren und starb im Juli 1945 in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager in Posen
(Polen). Dobberke trat am 1. Mai 1937 der NSDAP bei. Er war seit 1938 Kriminalobersekretär
und arbeitete seit Herbst 1941 im Judenreferat der Staatspolizeileitstelle. Zuvor war der
ausgebildete Elektriker zwölf Jahre bei der uniformierten Schutzpolizei gewesen.
Zu seinen Aufgaben bei der Staatspolizeileitstelle gehörte die Suche nach untergetauchten
und versteckten Juden und die Organisation der Deportationen von Berlin.

Literatur:
http://db.yadvashem.org/deportation/supervisorsDetails.html?language=en&itemId=7448255 (Zugriff am 26.12.2011).

1. Formulierung Herzls aus dem Programm des Ersten Zionistenkongresses in Basel, zit. nach: Herzig, Arno, Jüdische
Geschichte in Deutschland: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2002, S. 209.

15

Erich Möller

Erich Möller war von November 1943 bis zum Ende des Krieges Chef der Jüdischen Abteilung
(IVD1) der Berliner Staatspolizei. Möller wurde am 7. Juli 1900 in Nipmerow (Pommern)
geboren. Möller war bereits vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten Aktivist
der Nazipartei, in die er bereits am 9. November 1925 eintrat. Zuvor war er bereits Mitglied
einer paramilitärischen Organisation (Bund völkischer Frontkämpfer), aus der 1926 die SA
hervorging. Er betätigte sich als SA-Führer und war auch während des Verbots der NSDAP
(1927-1928) für die SA tätig. Nach seinem Umzug nach Ahrensfelde bei Berlin gründete er dort
im Jahr 1929 Ortsgruppen, Stützpunkte und SA-Gruppen. Im Dezember 1930 trat er der SS bei.
Im November 1933 wurde er zum SS-Untersturmführer, im Juni 1934 zum SS-Obersturmführer,
kurz darauf bereits zum SS-Hauptsturmführer ernannt. Im Oktober 1934 bescheinigte ihm
der spätere Chef der Ordnungspolizei im Deutschen Reich Kurt Daluege, „stets im völkischen
Lager gestanden“ zu haben.2 Im November 1934 wurde Möller SS-Sturmbannführer und im
Mai 1935 in den Sicherheitsdienst aufgenommen.
Während seiner Tätigkeit für das Judenreferat der Berliner Staatspolizei war Möller vor allem
für die Suche nach untergetauchten Juden verantwortlich, die sich den Deportationsbefehlen
entzogen hatten. Sein Verbleib nach Ende des Krieges ist ungeklärt. Berichten zufolge wurde
er während der letzten Kriegstage von heranrückenden sowjetischen Soldaten in seinem Haus
im Osten Berlins erschossen.

Literatur:
http://db.yadvashem.org/deportation/supervisorsDetails.html?language=en&itemId=9554928 (Zugriff am 26.12.2011).
Personalakte Erich Möller, BArch ZR-161.

2 . Bescheinigung für Erich Möller von Kurt Daluege vom 12.10.1934, in: Personalakte Erich Möller, BArch
ZR-161.

16

Jizchak Schwersenz

Jizchak Schwersenz wurde am 30. Mai 1915 in Berlin geboren, wo er zunächst in Wilmersdorf,
dann in Charlottenburg aufwuchs und zur Schule ging. Bereits in der Grundschule wurde er
von Mitschülern als Jude beschimpft.

Schwersenz besuchte seit seinem sechsten Lebensjahr die jüdische Religionsschule und lernte
dort Hebräisch. Außerdem wurde er Mitglied der zionistischen jüdischen Pfadfinderbewegung.
„Bis dahin war ich ein ängstliches und feiges Kind, aber diese jüdische Jugendbewegung
stärkte mir das Rückgrat und gab mir Vertrauen.“3 1933, als die Nazis in Deutschland an die
Macht kamen, befand sich Schwersenz mit seiner Pfadfindergruppe in Holland und kehrte
zunächst nicht nach Deutschland zurück, sondern bereitete sich auf seine Auswanderung
nach Palästina vor. Doch 1935 wurde er von einer zionistischen Organisation nach Deutschland
zurückgeschickt, um für die jüdische Jugend zu arbeiten. Nach einem Aufenthalt in Köln kehrte
er 1937 nach Berlin zurück und bereitete junge Juden auf die Auswanderung nach Palästina
vor. 1939 wurde er Leiter der Jugend-Alijah-Schule in Berlin und lernte dort Gad Beck kennen.

Nach Beginn der Deportationen aus Berlin, im Oktober 1941, wurden die jüdischen Schulen
in Berlin geschlossen. Schwersenz wurde Küchenhelfer in der Volksküche der jüdischen
Gemeinde. Am 28. August 1942 erhielt auch er einen Deportationsbefehl. „Doch ich bin nicht
hingegangen. Es war nicht meine Idee, und es war nicht mein Mut, denn ich war nicht mutig.
Es war die Idee meiner Freundin Edith Wolff, kurz Ewo genannt, die zwölf Jahre älter war als
ich, aus einer Mischehe stammte. Sie leistete Widerstand.“4 Schwersenz tauchte unter. Mit
Hilfe der jüdischen Jugendlichen, mit denen er gearbeitet hatte, und Edith Wolff organisierte
Schwersenz Verstecke für andere untergetauchte Juden. Sie besorgten Unterkünfte, Essen,
Geld und Papiere. „Es gab Menschen, ohne die wir unsere Gruppe nicht hätten durchbringen
können, Berliner, die uns beigestanden haben. Das ist Widerstand gewesen, das waren
Widerständler. Berliner Menschen aus allen Lagern, Arbeiter wie Akademiker, fromme Christen
wie Atheisten, die uns beistanden und wussten, daß es dabei auch um ihr Leben ging.“5

Schwersenz und seine Mitstreiter organisierten nicht nur Hilfe für untergetauchte Juden,
sondern setzten auch jüdischen Unterricht, Erziehung und Kulturarbeit im Untergrund fort:„Es

3. Schwersenz, Jizchak, Die versteckte Gruppe, Berlin 1988, S. 127.
4. Ebd., S. 131.
5. Ebd., S. 134.

17

war uns klar, daß es uns nicht alleine darum gehen konnte, unsere Menschen durchzubringen
und zu retten, sondern wir mussten sie auch als Menschen und als Juden durchbringen.“6 Sie
lernten Hebräisch, lasen in der Bibel, lernten die Geschichte Palästinas, sangen und feierten
gemeinsam die jüdischen Feiertage.
1944 flüchtete Schwersenz mit gefälschten Papieren und getarnt als Ingenieur der Luftwaffe
in die Schweiz. Von dort setzte er die Unterstützung der illegalen Arbeit in Berlin fort und hielt
Kontakt zu Gad Beck, der nun die Gruppe in Berlin leitete.
1953 wanderte Schwersenz nach Israel aus und arbeitete dort als Lehrer. 1988 veröffentlichte
er seine Autobiographie „Die Versteckte Gruppe. Ein Jüdischer Lehrer erinnert sich an
Deutschland“. Jizchak Schwersenz starb am 1. Juni 2005 in Berlin.

Literatur:
Marcovicz, Digne M., Unverhoffte Rettung. Letzte Zeugen, Bonn 2007.
Schwersenz, Jizchak, Die versteckte Gruppe, Berlin 1988.
Ders., Flucht am Hohentwiel, in: Kroh, Ferdinand, David kämpft- Vom jüdischen Widerstand gegen Hitler, Reinbek bei
Hamburg 1988, S. 126-142.

Edith „Ewo” Wolff

Edith Wolff wurde am 13. April 1904 in Berlin als Kind jüdisch-christlicher Eltern geboren. Mit
sechs Jahren ließen sie ihre Eltern aufgrund des latenten Antisemitismus taufen. Edith Wolff
trat aber bereits mit 14 Jahren aus der christlichen Kirche aus. 1933 beschloss sie als Reaktion
auf die beginnenden antijüdischen Maßnahmen der Nazis, sich zum Judentum zu bekennen
und trat in die jüdische Gemeinde ein. Edith Wolff wurde gezwungen, den Gelben Stern
zu tragen. Da ihr Vater aber dafür sorgte, dass ihre Mitgliedskarte der jüdischen Gemeinde
verschwand, wurde sie nicht zur Zwangsarbeit eingezogen.
Edith Wolff begann sich mit kleinen Aktionen politisch gegen die Nazis zu engagieren: „So
pflegte ich in Katalogen und Bücher-Verzeichnissen öffentlicher Bibliotheken, die für Juden
und Nichtarier bis zu den Nürnberger Gesetzen noch zugänglich waren, jene Stellen, wo das

6 . Ebd., S. 137.

18

Kampf-Buch von Hitler [gemeint ist„Mein Kampf“] und andere nationalsozialistische Literatur
(…) angeführt waren, mit beschrifteten Zetteln zu bekleben. Von einer Apotheke hatte ich
Etiketten für Medizin-Flaschen erhalten mit der gedruckten Aufschrift ‚Vorsicht Gift!’. Die ich
zur Kennzeichnung und Charakterisierung dieser politischen Schund-Literatur darüber oder
daneben klebte.“7
Aus Gegnerschaft zum Nationalsozialismus bekannte sich Edith Wolff auch zum Zionismus.
Sie arbeitete für die Jüdische Jugendhilfe und unterstützte die Vorbereitung junger Juden
zur Auswanderung nach Palästina. Als ab Herbst 1941 Juden aus Berlin in die Todeslager
transportiert wurden, begann Edith Wolff anderen Juden bei der Flucht aus Deutschland
oder dem Untertauchen zu unterstützen. Bei diesen Aktivitäten arbeitete sie eng mit Jizchak
Schwersenz zusammen. In derWohnung von EdithWolff wurde am 27. Februar 1943 die illegale
jüdische Gruppe Chug Chaluzi gegründet. Ihr Leitmotiv war: „Wenn die Menschen verboten
werden, werden wir sie retten.“8 Edith Wolff ging aber nie vollständig in den Untergrund, um
die Aktivitäten aus der Legalität heraus zu unterstützen. Im Juli 1943 wurde sie von der Gestapo
verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie überlebte mehrere Gefängnisse und
Konzentrationslager. Nach ihrer Befreiung ging Edith Wolff 1950 in die Schweiz und wanderte
1953 zusammen mit Jizchak Schwersenz nach Israel aus, wo sie unter anderem in Yad Vashem
arbeitete. Sie starb 1997.

Literatur:
http://www.jugendgeschichtswerkstatt.de/zick/ewo.html (Zugriff am 26.12.2011).
Wolff, Edith, Laßt euch nicht deportieren, in: Kroh, Ferdinand, David kämpft- Vom jüdischen Widerstand gegen Hitler,
Reinbek bei Hamburg 1988, S. 103-117.

7. Wolff, Edith, Laßt euch nicht deportieren, in: Kroh, Ferdinand, David kämpft- Vom jüdischen Widerstand
gegen Hitler, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 103-117, hier S. 104.
8 . Ebd., S. 111.

19

ISBN 978-965-525-100-5
9 789655 251005


Click to View FlipBook Version